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Full text of "Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur"

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7 


BEITRÄGE 

ßESl  If Ic  INI    Uli;  DEUTSCHEN  SPRACHE 
UND  LITERATUR 

II     MM  \vi  RKUNG     von 
i:i  Rl  \nn  r  vi  I     UND    BDI  \KI>  BISTBB8 

IIKKA  I 

WM.  Hl  IM    BRAUNE. 


XXXV.  HAM>. 


HALLE  a.  S. 

MAX    NIEMEYER  / 


:;  n  *iR-  STEINSTRASSE 
1909 


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I   N    II   A   !.    l. 


pel.   \\>n   \  ThOmmel 1 

I  karten,   hihall 

be  lehnworte  u  Von  Fr.  Kluge  .    ,    .    1'24 

Zur  d  C.  Uhlenbeck 161 

Zur  diminutivbi  F.  Veil                      1S1 

Zu  \\  ■'oh  A.  Wal  Inei                        191 
Waltl 

Inj  .    .    208 

Religii  frühchristen- 

IIKi         1  

I.  1 1.  111  las 

[II    Das  himmlische  heim- 

b  1.2X8         \\     .  motive  ii  lich- 

tnng  -  _  beu  Btammung 

eimat  der  altnordischen  liedei  von  den  Weisungen  und  den 

Nibelungen.    II     \  f) 240 

1.   i  ii  Eddaliedern  and  der 

dichtung  -   240         _   Gunii  3.  Mundo  and 

4.  Wolfdietrich-Theoderii  b. 267.  — 
SJQrdls  und  AJfr  &  270 

As.  C  a  W.  Braune 272 

« .riTi.in.iTi--.il'-     Von  W.  van  Holten 27.'! 

I.XXII.   ;  gen.  pL  a.273  I. XXIII.  Zum 

rken  praeteritum  ind.  plur.  (dual.)  und  opt.  nach  4. 

5  ,.  I, XXIV.  Zu  den  sogen,  verba  pura 

I.XXV.  Zu  den  wrben gOn,  stän und  don  s.285. 

IAXYI.  Zum  rerbum  robstantaynm  tu  291.  —  LXXVIL 

Zum  verl.um  wollen  I  297.         LXXVI1I.  Zu  -st(-)  und  -ft 

von  gut.  -onmate,   ahd.  brvnsl  etc..   ahd.  eumft  etc.  und 

Vrl  W.lli'. 

Zur  etymologie  von  braut.    Von  W.  vanHelten 306 

Gab   »'s   einen    gotischen    nominatirna   absolutns?    Von  W.  van 

Holten 310 

Zur    erklarung    des    ersten    Merseburger    Zauberspruches.     Von 

K.  Helm    . 312 

Zum  Muspilli.     Von  K.  Helm 319 

Wolframs  grab  und  die  heimatfrage.    Von  K.Helm 323 


INHALT. 

Seite 

Neues  zur  Überlieferung  des  evangeliuins  Nicodemi  von  Hesler. 

Vou  K.Helm '    '    '    *    ' 

Meister  Alexanders  parabel  vom  guten  hirten.    Von  0.  Schissel    ^ 

v.  Fieschenberg ;    • 

Zum  conj.  praet.  im  schwäbischen.    Von  Fr.  Veit j«» 

Reinbot  von  Dürne.    Von  Fr.  Wilhelm         .    .    .    •     •    •    •    •    *ü 
Zur  etymologie  des  ahd.  as.  harmscara.    Von  A.  Lmdqvist .    .    oöo 

Noch  einmal  der  köter.    Von  S.  Feist 

Das  DWb.  und  die  Zips.    Von  E.  Kövi ^ 

Mhd.  Poytwin.    Von  A.  Gebhardt 

Zur'  HedLpoesie  in  Fischar'ts  Gargantua.    Von  Ch.  A.  Williams    395 
Die  heimat  der  altnordischen  lieder  von  den  Weisungen  und  den 

Nibelungen.  III.   Von  Sophus  Bugge  (f)       .    .    .    •    •    •    **> 
6   Sigurd,  Isung  und  Belisar  s.  465.  -  7.  Krimhüt  -  Gnm- 
hild  s  485.  —  8.  Sinfjotle  und  Herkules  s.  490 
Die  aufgaben  der  nhd.  wortstellungslehre.  Von  E.  Blttmel  (mhalt 

s  554.) 

Der  gott  Fos'(e)te  und  sein  land.   Von  Th.  Siebs    .    .    .    .    •    •    535 
Kleine  beitrage  zu  den  quellen  des  Annoliedes.    Von  Ph.Kohl- 

mann ; rfiö 

Zur  deutschen  etymologie.   V.    Von  Fr.  Kluge  .....    obb 

Zur  abfassungszeit  von  Boners  edelstein.    Von  A.  Leitzmann  .    o74 

Literatur ,.„0 

Berichtigungen  und  nachtrage 


DER  GERMANISCHE  TEMPEL. 

Literatur. 

.'.  Grimm,  Den!  Keyer.    Berlin  1875    78, 

1  111 
E  II 

P  uils  Grundriss1 
ur.1  Strass- 
•  n  and  Nordgermanen 
im  :».  und  10.  jahrhund« 
W.  Golther,  Handbaob  en  mythologie.   Leipzig  li 

hte. 
S   M  lllenhofl  •  rtamskaii  rlin  1900. 

k  bin-  uüenzka  fornleifal  kjavik  18$  jistur 

1.   K.-vkjavik  I  I 

Kr.  K.iluii'l,    Bidrag   til   en   hiitoriak  .    Beskrivelse  af   Island. 

2  bde.    Kjabenharn  18T!  !.)• 

I1.  Braun,  l  ortidsminder  og  Nntidshjem  paa  bland  (Nordboernes  Kulturliv 

i  Fortid  og  Nuti  enham  18 

V*.  GuOmnndsson,  Priratboligen  \  .i  bland  i  Bagatiden  samt  delvis  i  det 

errige  Norden.    Kebenhavn  1889  (GuÖm.).  Den  islandske  Bolig  i 

Fristatstiden.   Tillseg  zu  C  I  Traek  af  Livel   paa  Island  i 

Fristats-Tiden.    Kjebenhavn  1894,  -.  251  ff.  (Trsek). 
bumann,  blande  si<  delongagebiete  während  der  Landnämatiö.  Leipzig 

1900. 

K   Maurer,   Wund  von  rten  entdeckang  bis  zum  Untergänge  des 

Ereistaats.  München  1874  (IsL)  -  Die  bekebrung  des  norwegischen 
Stammes  zum  christentume.  2  bde.  Hünchen  1*55— 56  (Bek.).  —  Die 
entstehung  dea  isländischen  Staate  und  seiner  Verfassung  (Beiträge  zur 
rechtsgeschichte  des  germanischen  nordens,  1.  heft).  München  1852 
(Beitr.i. 

EL  Keyser,  Nordmsendenee  K-ligionsforfatningiHedendommen. Saml.Afb.III. 

II.  I'etersen,  Om  Nordboernes  Gudedyrkelse  og  Gudetro  i  Hedenold. 
Kjebenhavn  1876. 

N.  N  icolaysen,  Om  Hov  og  Stavkirker,  Norsk  Historisk  Tidsskrift  2.  R.  VI. 
Kristiania  1888.   s.  265  ff.  402  ff.  (Hist.  Tidsskr.). 

Beiträge  zur  geschiente  der  deutschen  spräche.     XXXV.  j[ 


2  THÜMMEL 

P.  A.  Munch,  Nordmsendenes  feldste  Gude-og  Heltesagn.2 
K.  Rygh,  Minder  om  Guderne  og  deres  Dyrkelse  i  norske  Stedsnavne  (An- 
hang zu  P.A.Munck).  ■ —  Norske  Gaardnavne,  Forord  og  Indledning,  bd.I 
—IV.  VIII.  XIV— XVI. 
S.  Müller,  Nordische  altertumskunde,  übers,  von  Jiriczek,  2  bde.  Strassburg 

1897-98. 

Wichtigste  abkürzungen. 

No.  deutet  auf  die  betreffende  nummer  in  der  tabelle  über  isländische  tempel- 

stätten  (s.  6  ff.)  und  auf  der  nach  dieser  angefertigten  karte  1. 
Eb.  =  Eyrbyggjasaga,  ed.  Gering,  Sagabibl.VI.   Halle  1897. 
Laxd.s.  =  Laxdaelasaga,  ed.  Kalund,  Sagabibl.  IV.   Halle  1896. 
Eg.s.  =  Egilssaga,  ed.  E.  Jönsson,  Sagabibl.  III.    Halle  1894. 
Ldn.  =  Landnäinabök,  ed.  F.  Jönsson.   Kobenhavn  1900. 
Landn.  I — V  =  Landnäraabok,  Isl.  S.  I  21  ff. 
NgL.  =  Norges  gamle  Love. 
Safn  =  Safn  til  sögu  Islands. 
Hkr.  =  Heimskringla,  ed.  Finnur  Jönsson.   Kh.  1900. 

In  der  entwicklungsgeschichte  des  germanischen  tempel- 
lieiligtums  existiert  —  abgesehen  höchstens  von  seinem  jüngsten, 
nordgermanischen  zweig  —  kaum  eine  stufe,  die  ihrem  bau- 
lichen Charakter  nach  und  zugleich  chronologisch  mit  Sicher- 
heit feststeht.  Begründet  ist  dies  wol  dadurch,  dass  sich  bei 
betrachtung  der  einzelnen  stufen,  sowie  bei  dem  versuch,  ihre 
dauer  chronologisch  annähernd  festzulegen,  eine  reihe  wichtiger 
fragen  aufdrängen,  deren  lösung  man  offenbar  nur  durch  eine 
möglichst  eingehende  betrachtung  der  gesammten  entwicklung 
näher  zu  kommen  hoffen  darf.  Das  bild  über  die  ersten  an- 
fange des  heiligtums  ist  in  gewissen  punkten  bisher  über  Ver- 
mutungen nicht  hinausgekommen,  noch  immer  liegt  auch  vor 
allem  die  frage  offen,  ob  man  den  beginn  der  entwicklung 
des  tempelhauses  schon  in  taciteischer  zeit  ansetzen  darf, 
noch  immer  nicht  endgültig  gelöst  ist  ferner  das  problem  des 
'horgr'  —  eine  frage,  von  deren  beantwortung  manche  auf- 
schlüsse  über  wesen  und  form  des  nordgermanischen  tempel- 
cultes  als  auch  älterer  entwicklungsstufen  zu  erwarten  sind. 
—  Selbst  die  kenntnis  des  nordgermanischen  tempels  weist 
noch  manche  empfindliche  lücke  auf,  obgleich  uns  das  bild 
dieses  jüngsten  zweiges  aus  den  schriftlichen  quellen  noch 
weitaus  am  klarsten  entgegentritt.  Die  nachrichten  der  sagas 
sind  weder  qualitativ  noch  quantitativ  ausreichend,  um  ein  in 
den  hauptzügen  gesichertes  bild  zu  gewähren.     Auf  der  einen 


DÖ  tE    IKMl'KL. 

die  interpretatorische  Vereinigung  der  wenigen  aus- 
führlicheren berichte  in  mancher  beziehnng  problematisch,  auf 
der  andern  seite  sind  die  nachrichten  bei  aller  reichhaltigkeit 
doch  nicht  vielseitig  um  alle  blichen  punkte  zu 

erhellen.    -    •     ihren  wir  nichts  oder  doch  nur  dürftige  einzel- 

u   aber  territori  e,   baumaterial   und   construction, 

äussere  form  und  bauliche  an 

Die  bist  ung  hat  lediglich  aus  der  mittelbaren 

quell»  lninliidi.il  Überlieferung  (direct  auf  literarischem 

lurch  die  sprach  höpft,  die  um  so 

dürftiger  ist,  je  weiter  wir  in  d<  Eurflckschreiten    In- 

zwischen hat  man  j<  .  en,  eine  zweite,  die  onmittel- 

bare  quelle  zu  erschliessen  i  heiligtümern  (auf  Lsland 

und  einige  in  JOtland).  Namentlich  die  modernen  ausgrabungen 
und  topographischen  Untersuchungen  auf  Island  sind  von  gr< 
bedeutung,  in  erster  Linie  natürlich  für  die  kenntnis  des  islän- 
dischen  (nordgermanischen)  tempels.  In  grösserem  rahmen 
verwertet  ist  jedoch  diese  neue  quelle  bisher  Dicht  Kein  ein- 
heitlich zusammenfass  esultat  aber  die  ruinenforschung, 
Bondem  nur  zahlreiche  einzelberichte  liegen  vor,  aus  deren 
systematischer  Verwertung  erst  ein  gesammtbild  auf  grund 
dieser  quelle  fliessen  kann. 

Die  vorliegende  arbeit  stellt  Brauch  dar.  der  Lösung 

der  ''luii  berührten  probleme  Boweit  als  möglich  näher  zu 
rücken  durch  ein.-  gesammtbetrachtung  der  entwicklung  und 
durch  heranziehen  auch  der  zweiten,  bisher  unbenutzten,  un- 
mittelbaren quelle. 

Die  natürliche  richtschnur  war  der  weg,  die  entwicklung 
vini  ihrem  endpunkte  aus  zeitlich  rückwärts  zu  verfolgen  — 
der  isländisch-nordgermanische  tempel  ist  die  form  des  heilig- 
tums.  die  wir  mit  hülfe  der  beiden  quellenarten  qualitativ  wie 
quantitativ  weitaus  am  besten  zu  erschliessen  vermögen,  und 
somit  die  gegebene  sichere  grundlage,  auf  der  wir  beim  rück- 
schreiten  fussen  können. 

Als  nächstliegende  aufgäbe  ergab  sich  die  construction 
eines  möglichst  vollständigen  und  genauen  bildes  vom  islän- 
dischen tempel  auf  grund  des  heute  verfügbaren  materials. 
Diese  construction  geschah  zunächst  unter  (möglichst)  getrennter 
benutzung   der  beiden  quellenarten   und  vereinigte  erst  dann 

l* 


4  THÜMMEL 

die  ergebnisse  beider  zum  gesammtbild.  Bei  der  relativ  grossen 
reichhaltigkeit  der  ruinenfunde  wie  der  nachrichten  in  den 
sagas  gab  es  sich  von  selbst,  dass  dieser  teil  der  arbeit  den 
weitaus  grössten  räum  einnahm. 

In  den  weiteren  etappen  beim  rückschreiten  in  die  älteren 
entwicklungsstufen  —  auf  dem  wege,  wie  ihn  die  Inhaltsüber- 
sicht am  Schlüsse  veranschaulicht  —  erlangte  dann  besondere 
bedeutung  die  Untersuchung  über  den  Charakter  der  'horgar'. 
Die  beschränkung,  die  wir  uns  dann  bei  betrachtung  der 
ältesten  formen  auferlegten,  ist  in  erster  linie  auf  natürliche 
weise  bedingt  durch  die  unvollständigkeit  der  verfügbaren 
quellen. 

Am  Schlüsse  endlich  ist  der  versuch  gemacht,  eine  kurze 
skizze  der  entwicklung  zu  zeichnen,  wie  sie  auf  dem  zeitlich 
umgekehrten  wege  gewonnen  wurde. 

1.  Der  isländische  teuipeJbau. 

I.   Im  liebte  der  ausgrabungeu  und  topographischen 
Untersuchungen. 

1)  Ueberblick  über  die  vorgenommenen  Unter- 
suchungen. 

Sieht  man  ab  von  jenen  statten,  die  lediglich  den  namen 
Hof  (als  simplex  oder  compositionsbestandteil)  oder  eine  allzu 
farblose  Überlieferung  aufweisen,  so  kommen  nach  den  bisherigen 
feststellungen  rund  70  orte  als  tempelstätten  auf  Island  in 
betracht.  —  Das  hauptmaterial  bieten  zahlreiche  einzelberichte 
in  den  Jahrbüchern  der  isländischen  altertumsgesellschaft,  in 
deren  auftrag  1880 — 1906  annähernd  50  vermutliche  tempel- 
stätten ')  untersucht  worden  sind.  Die  hervorragendsten  ergeb- 
nisse verdanken  wir  Siguröur  Vigfüsson,  der  26  von  diesen 
'hoftöptir',  die  besonders  dazu  geeigneten  durch  mehr  oder 
weniger  vollständige  ausgrabungen  erforscht  hat;  seine  berichte 
liegen  vor  in  den  Ärb.   1880—93.    Fortgesetzt  wurde  diese 


x)  Die  gewöhnlichste  Bezeichnung  für  tempelruinen  oder  -statten  ist 
hoftöpt  (jünger  -töft,  -tött),  daneben  erscheinen  (mitunter  2  gleichzeitig)  die 
namen  hof  (no.  4.  11.  58.  69  der  folgenden  tabelle),  godahof  (4.  12),  goÖa- 
töpt  (41.  50),  godatött  (19),  godaicettr  (32),  blöthof  (52),  blöttöft  (6),  goda- 
Ugr  (8.  24). 


DBB    GEBMANISCHE   TEMPEL.  5 

arbeit  von  Brynjülfur  Jönsson,  der  17  dieser  statten  untersucht 
hat  und  in  den  Ärb.  1  -'.»1— 190G  davon  berichtet;  seine  ergeb- 
nisse,   die  gegenüber  denen  \  ns  in  der  hauptsache  nur 

uzender  natur  sind,  erscheinen  weniger  einwandsfrei,  in 
erster  lüde  wo!  deshalb,  weil  er  nur  ganz  unbedeutende  gra- 
bungen  angestellt  hat  Eine  Untersuchung  endlich  hat  .Tön 
Jönsson  vorgenommen  (Ärb.  L896). 

Ein   empfindlicher  mangel    I  allen   diesen   Unter- 

suchungen ist,  dass  sie  nicht  systematisch  genug  sind.  Kaum 
ein  einziger  bericht  enthält  alles  positiv  oder  negativ  wissens- 
werte, die  weitaus  meisten  sind,  durchaus  lückenhaft  und 
dürftig,  wodurch  ihre  Verwertung  nicht  wenig  erschwert  wird. 
Mancher  punkt,  der  aufgrund  des  vorliegenden  materials  noch 
nicht  genügend  klar  hervortritt  oder  gar  unsicher  bleibt,  würde 
gewiss  sonst  deutlicher  in  die  erscheinung  treten. 

Eine  treffliche  erganzung  zu  diesen  berichten  bilden  in 
vieler  beziehung  die  zahlreichen  beitrage,  die  Kälund  in  seinen 
'Bidrag1  zur  tempelforschung  liefert  Ausgrabungen  hat  er 
zwar  nirgends  unternommen,  doch  erwähnt  er  etwa  50  angeb- 
liche tempelstätten,  von  denen  er  36  näher  beschreibt  und  die 
daran  geknüpften  Überlieferungen  gibt  Von  diesen  36  decken 
sich  21  mit  den  in  den  Ärb.  geschilderten  tempelstätten.  — 
Daniel  Brunn  endlich  hat  5  angebliche  tempelstätten  unter- 
sucht: eine  davon  hat  er  ausgegraben,  die  übrigen  4  Unter- 
suchungen bilden  eine  bestätigung  oder  erganzung  der  in  den 
Ärb.  niedergelegten  ergebnisse. 

Nicht  alle  von  diesen  'hoftoptir'  können  den  gleichen  an- 
spruch  auf  Wahrscheinlichkeit  der  echtheit  machen.  Der  name 
Hof{-)  an  sich  bietet  kein  sicheres  Kriterium  (s.  18  f.),  und 
selbst  bei  echtheit  der  tempelstätte  an  sich  kann  wegen  der  oft 
grossen  anzahl  nebeneinander  gelegener  ruinen  mitunter  der 
fall  vorliegen,  dass  die  Überlieferung  sich  an  eine  falsche  ruine 
geknüpft  hat  oder  auch  vereinzelt  auf  ein  bauwerk  über- 
gegangen ist,  das  nach  verfall  des  tempels  auf  dessen  platz 
errichtet  wurde.  Die  grenzen  zwischen  echtheit  und  unecht- 
heit  sind  infolge  der  reichhaltigkeit  der  gleichzeitig  aufstossen- 
den  probleme  in  vielen  fällen  schwer  oder  gar  nicht  zu  ziehen. 
Bei  der  im  folgenden  aufgestellten  tabelle,  die  zu  einem  teil 
resultate  späterer  Untersuchungen  vorwegnimmt,   bin  ich  von 


ü  THUMMEL 

dem  liauptgrundsatz  ausgegangen,  mich  lieber  von  zu  grosser 
als  zu  geringer  Skepsis  leiten  zu  lassen. 

Tempelruinen  und  tempelstätten  auf  Island.1) 
I.  Tempelruinen  (bezeichnet  nach  den  betreffenden  gehöften). 
1)  Echt. 

a)  Durch  ganz-  oder  teilgrabungen  (im  fussboden)  erwiesen: 

1.  *pyrill  (Bgf.):  Harö.s.,  Isl.S.  II 109,  blöthüs  des  porsteinn  Gullknappi. 

a)  '80/81  71—76.    b)  I  288  (s.  karte  2). 

2.  *Ljärskögar  (D.):  a)  '80,81  79;  *'82,  5— 8.  10.  11.  15.  16.  29.  45.  77 
—78.  b)  (1473).  S.  Vigf.  '82,10:  zweifellos  haupttempel  im  Godord 
des  porör  Gellir,  dritter  haupttempel  im  porsnessping  (s.  karte  2). 

3.  *Rütsstaöir  (D.):  Laxd.s.  49  [Ldn.].  privattempel.  a)  '82,4.  8. 10.  13. 
15.  89—90.    b)  I  466  (s.  karte  2). 

4.  Seljaland  undir  Eyjafjöllum  (R.):  a)  '92,36—37.    b)  1268—69. 

5.  *Lundr  (Bgf.):   [zuerst  um  946  in  der  Harö.s;  Ldn.].     a)  '85,97—102. 

b)  I  311. 

6.  fHöföi  i  Dyrafiröi  (isf.):  a)  '92,130— 32.    b)  I  577.    c)  175— 76. 

b)  Nicht  näher  untersucht,  doch  deutlich  mit  allen  anzeichen 
der  echtheit: 

7.  *Bersatunga  i  Saurbse  (D.):  wahrscheinlich  der  privattempel  des 
HolmgQiigu-Bersi  [Laxd.  79J.     a)  '82,67;  *'97, 15— 16.     b)  1502. 

8.  Hof  a  Rangar  voll  um  (R):  gehöft  des  Ketill  hsengr  [Ldn.  106,  7,  Eg.s. 
72].    a)  '92, 52.    b)  (I  221). 

9.  Hofteigr  (N.M.):  Ldn.  204,14,  haupttempel.  a)  '93' 50— 51.  b)  II  214. 
Safn  II  437.  469.  495. 

10.  Aöalböl  (N.M.):  goöahüs  Hrafnkells,  Hrafnk.s.  (1847)  s.  4.  23,  haupt- 
tempel.   a)  '93,  38.    b)  II  219. 

11.  Hof  i  Vapnafiröi  (N.M.)  [Ldn.  203,7.  21].    a)  '93,55—57.  b)  II 196. 

Safn  II  435.  468. 

12.  *fÜthliÖ   (A.):    wahrscheinlich   haupttempel   des   Goden    Geirr   (Nj.) 
(s.  unten  1, 2.  B)  f.).    a)  '94,  6—7.  b)  1 167—68.   c)  176  ff. 

c)  Abweichende  anläge. 

13.  *Saebol  (Isf.):   indirecte  nachricht  in  der  Gisla  s.  Sürss.   [Eb.  XH  3], 

haupttempel.    a)  * '83, 17—20;  '84/85,22—23;  '92,133—34.    b)  (1571). 
(s.  karte  2). 


*)  a)  =  Arb.  ('80— '93  S.  Vigfüsson,  '94— '06  Br.  Jönsson). 
b)  =  Käl.  c)  =  Bruun 

*  :  s.  riss  in  der  Arb. 
f  :  s.  riss  bei  Bruun 
[]  :  an  der  saga-stelle  ist  nur  das  gehöft,  nicht  der  tempel  selbst 

erwähnt. 
Im  übrigen  vgl.  die  beiden  kartenbeilagen. 


DER   GERMANI8CHE   TEMPEL.  7 

14.  Hofstaöir  i  porskafiröi  (Bat.);   Gullp  -.  (ed.  Maurer)  8.  (2,  [Ldn.]. 

a)  99,17.    I»)  1520.    Safn  11  583. 

'_')  Nicht  endgültig  als  echt  erwiesen: 

a)  Nicht  genau  untersucht ; 

15.  *BrusastaÖir  (1.):  a)  '80/81,21;  '82,44;  '"95,21.    b)  (1  90). 
IG.  Gaulverjabser  (A.):  gehöft  des  Loptr  aus  Gaular  in  Norwi 

Ldn.  223,20ff.,  F16am.s.  (1898)  8 f.    a)  '82,54.    b)  I 
17.  fFossnes  (Ä.):  a)  '94,10—11.     c)  17(1. 
is.  Oaustrhölar  (1.):  a)  -05,3!).    b)  1  186. 

19.  Hof  i  DyrafirÖi  (isf.):  a)  '83,37. 

20.  Hofstaöir  i  BlönduhliÖ  (8kg.):  Ldn.  189, 19 ff. :  'Kollsveinn...  bio  ä 

Kollsveinsstauoum  ...  hann  haföi  blol  ä  HofstauÖum.'    a)  '92, 

b)  II  76. 

b)  Unzureichende  (oder  undeutliche)  reste: 

21.  Sandl.nekr  (Ä.):  a)  '94, 10.     b)  (I  Ist,. 

22.  Plateyri  (landzunge)  (isf.):  a)  '80/81,114—15;  '83,3-5. 

23.  Hof  i  Vatnsdal  (Hv.):  haupttempel  [Ldu.J:  Vatzd.  8.  XV.    a)  (82, 39 ; 

«92,  122;  '95,  4.    b)  II  37. 
21.  Bof  i  Ejaltadal   (Skg):    [Ldn.],  vielleicht  haupttempel  (vgl.  G.  Vig- 

fusson  im  Safn  I  249).    a)  '92, 107—8.    b)  II  81. 
25.  Hrafnabjörg  (N.M.):  a)  '93,  51— .VI 

3)  Unecht  erscheinen1): 
[26.  *Hrafnabjürg  (Ä.):  a)  '05,45  (Er.  Jönsson:  =  heiniahof)  J. 
[27.  *Fjall  &  SkeiÖum  (Ä.):  a)  '94,9—11)]. 
[28.  *MelkorkustaÖir  (M.):  a)  '96,  17]. 
[29.  Äsl.jarnarstaöir  (M.):  [Ldn.J.    a)  '97,16]. 
[30.  *fEofstaöii  i  M\  vatussveit  (Sp.):  a) '01,12-13.  b)II167.  c)174£.]. 

Offen  gelassen  werden  muss  einstweilen   die  trage  über  die  echtheil 

folgender  beiden  ruinen : 

31.  fLjösavatn  (Sp.):  [Ldn.]  gehöft  des  porgeirrgoöi:  b)H  17:'.  e)171     74. 

32.  *Freysnes  (S.M.):  a)'96,24    27  (Jon  Jonsson).  b)  |  II  238);  Safn  H460. 

Vielleicht  Budenruine? 

II.  Tempelstätten  (nicht  untersucht,  bes.  ohne  deutliche  ruinen). 

1)  Durch  sagas  bezeugt: 
(i.)  ilin  ■  i 

33.  Hol  .i  Kjalarnesi  (Kj.):  haupttempel,  [Ldn.];  Kjaln.s.,  tal.8.  11  K)! 
a)  '81,65    70.  80  83;  '82,6    a  1".  LI.  29.   I  b)  I  55 

')  Das  urteil  besieht  sich  nur  auf  'li<'  tempelruine  in  der  \ 
form,  nicht  auf  die  echtheit  der  tempelst 
mente  gegen  <li'-  echtheit  der  ruinen  i.  unten  r, 2. B)f. 
3.  unten  u.  L> 


8  THUMMEL 

34.  Olfusvatn  (A.):  haupttempel  des  Goclen  Grimkell,  der  porgerör  Ho-rga- 
brüör  geweiht.  HarÖ.s.,  Isl.S.  1159;  [Ldn.].  a)  '81,19;  '99,2.  3.  b)  I 
89—90. 

35.  Mosf  eil  (Ä.):  Ldn.  228,  21  ff.     b)  1 185-86. 

36.  HofstaÖir  i  Hälsasveit   (Bgf.):    haupttempel,   Ldn.  141,  35;   Eg.  s. 

a)  '85, 123;  '93, 79.    b)  I  321. 

37.  Hofstaöir  a  pörsnesi  (Snf.):  haupttempel,  Eb.IV;  Ldn.  153,  3.1)  a)  '81, 
80.  83;  '82,10.  16-18.  96.    b)  1435-40;  Safn  II  286. 

38.  (Odds-)Äss  (Hv.):  privattempel  gegenüber  Hof  (no.  23),  Vatzd.s.  XXVI: 
blöthüs  des  Hrolleifr,  [Ldn.].    a)   92,121;  '95,4—5  (dazu  Zeichnung  I). 

39.  Knappst aö i r  (Skg.):  [Ldn.]  Öl.s.  Tr.  Fiat,  I  (vgl.  Maurer,  Bek.  1 231  ff). 

b)  II  89. 

40.  (Efri)  pverä  i  Eyjafiröi  (Ef.):  der  tempel  (des  Ingjaldr  für  Freyr) 
stand  auf  dem  andern  (südl.)  ufer,  in  dem  späteren  Hripkelsstaöir.  Ldn. 
197, 13;  Viga  Gl.  s.  (1897)  s.  14.    a)  '82,  34.    b)  II 120-21. 

41.  Hof  i  Svarfaöardal  (Ef.):  [Svarfd.  s.:  Ljotölfr  goöi]  haupttempel 
(vgl.  Safn  I  259).    b)  II  99. 

42.  Gnüpufell  (Ef.):  Ldn.  197,4.    b)  II  117. 

43.  BersastaÖir  (N.M.):  privattempel,  blöthüs  oder  goöahüs  des  Spak- 
Bessi,  auf  dem  andern  ufer,  [Ldn.]  Dropl.  *)  a)  '93,  36;  '96,  24.  b)  II  225; 
Safn  II  460. 

44.  Hof  i  Älptafiröi  (S.M.):  Ldn.  209,23.    b)  II  260.  262. 

45.  Hofsfell  (Au.  Skf.):  Ldn.  211, 29.    b)  II  272. 

ß)  Indirect: 

46.  GoÖaland   (R.):   hier  der  tempel  von  Svertingsstaöir?   (Ldn.  218,26). 

a)  '92,73;  '94,23.    b)  1258. 

47.  Hofgaröar  (Snf.):  [Ldn.,  Eb.  XYI  7:  Helgi  Hofgaröagoöi]  sicher  haupt- 
tempel.   b)  1411. 

48.  Hallsteinsnes   (Bst):    hier   Hallsteinn,    opfert   Thor,     Ldn.  165,24, 

a)  '99,  7.    b)  I  530. 

49.  Melr  (Melstaör)  (Hv.):  Oddr  errichtet  hier  das  MelmannagoÖorÖ  (Bdm.  s. 
(1901)  s.  9,  vgl.  Nj.  c.  97,  s.  505).    a)  '95. 12—13.     b)  II  5. 

50.  Hof  ä  Skagaströnd  (Hv.):  [Ldn.,  pjööölfr  goöi].   Sicher  haupttempel. 

b)  II  56. 

2)  Durch  die  Überlieferung  als  solche  bezeichnet: 

51.  Hraun  i  Ölfusi  (A.):  hier  poroddr  goöi?    a)  '95,27—28. 

52.  Hof  (A.):  sicher  tempelstätte.    b)  1 197. 

53.  Norötunga  (M.):  gehöft  des  Arngrimr  goöi  (Hsp>.  s.)  [Ldn.].  a)  '85, 137. 
b)  I  359. 

54.  Hofstaöir  i  Miklaholtshrepp  (Hnp.):  a)  '97,11.    b)  1407. 

55.  Störi  -  Langidalr   (Snf.):    [Ldn.,   Eb.  1X9],    hier  die  inhaber  eines 

Godords  (Laxd.  s.  c.  67, 1).    a)  '97, 14. 

56.  Sauöafell  (D.):  b)  I  461  f .  464. 

57.  HöskuldsstaÖir  (D.):  b)  1468. 

>)  S.  unten  II.  1). 


DEE  GERMANISCHE   TEMPEL.  9 

58.  Bjarnarstaöir  (Bat.):  a)  '99,  L6     17. 
teinsstaöir  illv.i:  b)  II  6. 

60.  Kofi  GoÖdölum  (Skg.):  [Ldn.].    b)  1169-  7". 

61.  Bofgeröi  (Ef.):  a)  '06,22. 

62.  Bof  i  Börgardal  (Ef.):  b)  II  103. 

63.  Störidalr  (der  Djnpidalr  der  Bagae)  (Ef.):  b)  II  115. 

64.  Bof  i  Flateyjardal   (SJ>.):    in  den  sagas  nichl   erwähnt,  doch  bat 
. \ sl >). nn  das  Grodord  im  Flat.-dalr  (Finnb.s.  ed.  Gering  s.  3).    b)  II  136. 

65.  Bofströnd  (N.M.):  b)  II  210. 

66.  Borg  (Au.  Ski.):  b)  II  274. 

67.  Huf  (An.Skf.):  [I.an.].    b)  II 288. 

Es  folgen  noch  <li''  5  in  den  Axb.  beschriebenen,  z.  t.  eing 
untersuchten  ruinen,  welche  bei  fler  frage  nach  dem  Charakter  der  alten 
'horirar'  in  betracht  kommen  nnd  daher  in  diesem  speciellen  Zusammen- 
hang später  betrachtet  werden.    Sie  liegen  bei  folgenden  gehöften: 

68.  Börgsholt  (i..):  a)  '00,28-29. 

69.  Ftri-Fagradalr  (D.):  [Ldn.  163,33].    a)  '82,44.    b;  1494. 

70.  Hvammr  (Bst):  a)  'n:!.  7— 8. 

7!.  auf  «lein  berg  Bringholt  (Bst.;:  a)  '92,141—42. 
72.  *H8rgsdalr  (8p.):  a)   t»l,7— 11  (Br.  Jonsson);  *'03, 1— 9  (Bj.Ölsen  nnd 
D.  Bruun). 

2)  Das  bild  des  tempels. 

A)  Die  territoriale  läge, 
a)  Auf  der  insel  überhaupt  Verfolgt  man  karto- 
graphisch die  läge  der  oben  genannten  cultstätten1),  so  er- 
gibt sich  ein  bild,  das  sich  völlig  in  den  rahmen  der  siedelungs- 
verhältnisse  /.tu-  landnämatiö  fügt.  Alle  liegen  sie  innerhalb 
der  grenzen  der  damaligen  siedelungsgebiete2),  nnd  auch  ihre 
Verteilung  auf  die  einzelnen  s^slur  entspricht  ziemlich  genan 
deren  siedelungsdichte  zur  landnämatiö.3)  Die  reihenf olge  der 
>ysluf.  geordnet  nach  der  anzahl  der  in  ihnen  gefundenen  cult- 
stätten i.\.  N.-M.  I>.  Ilv.  Ef.  Skg.  Bst  Bgf.  tsf.  Snf.  R.  S.-M. 
8p.  Au.-skf.  M.  K'j.  Hihm  zeigt,  dass  die  B^slur,  welche  die 
meisten  dieser  Btätten  aufweisen,  auch  zur  landnämatiö  am 
stärksten  besiedelt  waren,  während  die  i  sv>lur.  in  denen  man 
Doch  keine  'hoftött'  nachweisen  konnte  (Gbr.  Str.  N.-I».  V*.-Sk.), 
auch  zur  landnämatiö  am  schwächsten  bes  tn  sind1); 

>)  Vgl.  karte  1. 

.  gl.  die  karte  bei  Schümann. 
'i  Vgl.  Schumann 


10  THÜMMEL 

sie  weisen  auch  fast  gar  keine  Ortsnamen  mit  Goö-  oder  Hof- 
auf.  —  31  (32)  der  heutigen  gehöfte,  bei  denen  diese  statten 
liegen,  finden  sich  auch  in  der  Ldn.,  z.  t.  unter  erwähnung  des 
tempelbaues,  namentlich  aufgeführt. 

Diese  läge  der  tempelstätten  und  ihre  Verteilung  stimmt 
ganz  zu  den  geschichtlichen  Voraussetzungen  ihrer  entstehung. 
Tempelstätten  werden  wir  (im  allgemeinen)  nur  innerhalb  oder 
doch  in  nächster  nähe  der  siedelungsgebiete  zur  landnämatift, 
die  im  einzelnen  durchaus  nicht  mit  denen  der  gegenwart  zu- 
sammenfallen, vermuten  dürfen;  denn  in  den  folgenden  Jahr- 
zehnten bis  zum  eindringen  des  Christentums  werden  nur  noch 
wenige  tempel  erbaut  worden  sein,  zumal  man  ängstlich  be- 
strebt war,  den  heimatlichen  göttercult  sofort  in  der  ererbten 
weise  wider  einzurichten. *) 

Während  aber  das  damalige  siedelungsbild  insofern  von 
der  sonstigen  regel  abweicht,  als  nicht  der  eigentliche  küsten- 
saum,  sondern  infolge  der  vegetations  Verhältnisse  die  tief  ebenen 
und  grossen  flusstäler  am  dichtesten  besiedelt  sind2),  liegt  die 
weitaus  überwiegende  anzahl  unserer  tempelstätten  —  und 
gerade  die  sichersten  —  in  unmittelbarer  oder  nächster  nähe 
der  küste,  nur  wenige  liegen  etwas  weiter  im  innern,  in  diesem 
falle  in  der  Umgebung  der  grossen  flüsse.  Diese  tatsache  hat 
wol  in  erster  linie  ihren  grund  in  der  allgemeinen  religiösen 
sitte,  den  künftigen  wohnort  durch  auswerfen  der  ondvegissülur 
zu  bestimmen,  die  in  der  Ldn.  und  auch  sonst  widerholt  er- 
wähnt wird  und  bei  den  einwanderern,  namentlich  der  ersten 
zeit,  zweifellos  eine  hervorragende  rolle  spielte.3)  Daniel  Bruun 
fand  denn  auch,  als  er  1897  topographische  Untersuchungen  in 
den  entvölkerten  gegenden  des  inneren  hochlandes  vornahm4), 
weil  dort  am  ehesten  aufschlüsse  über  alte  Verhältnisse  zu 
erwarten  sind,  nur  eine  einzige  statte,  die  die  Überlieferung 
als  hoftött  bezeichnete:  im  ödeliegenden  Hofgarör  bei  Ishöll 
im  Bäröardal  (Sp.).  Diese  vermeintliche  hoftött  ist  sicher  als 
apokryph  zu  betrachten,  da  die  siedelungen  zur  landnämatiö 
in  dieser  gegend  noch  nicht  zur  hälfte  soweit  ins  innere  vor- 
gedrungen sind,  als  diese  statte  von  der  küste  entfernt  liegt; 


J)  Vgl.  Schweitzer,  Island  s.  30;  Maurer,  Beitr.  61. 

2)  Vgl.  Schumann  s.  48. 

3)  Maurer,  Beitr.  45  ff.  4)  Arb.  '98  fylg. 


DER    GERMANISCHE   TEMPEL. 


11 


ausserdem  ist  der  name  dieses  gehörtes,  der  eventuell  für  einen 
ehemaligen  tempeldienst  an  dieser  stelle  sprechen  würde,  viel- 
leicht gar  nicht  ursprünglich.') 

b)  In  der  umgebenden  natur.  Bei  der  foischung  nach 
der  natürlichen  beschaffenheit  der  heidnischen  cultstätten  im 
allgemeinen  wie  der  tempelstätten  im  besonderen  sind  für  Is- 
land zwei  wege  von  besonderer  bedeutung:  I)  eine  Statistik 
der  Ortsnamen  im  allgemeinen,  die  auf  heidnischen  göttercult 
deuten,  II)  die  natürliche  beschaffenheit  der  bisher  bekannten 
tempelstätten  —  zwei  wege,  die  sich  in  gewissen  punkten 
naturgemäss  decken. 

I.  Ortsnamen,  die  auf  heidnischen  cult  deuten.2) 

A)   53  composita  mit  GoÖ-: 


^     3) 

andre  orte 

vgl.  Ärb. 

vgl.  Käl. 

x  — 
£:Ja 

in  (nächster;  nähe 
bez.  bemerk. 

1)  10  GoÖ(a)höll: 

a)  bei  Hof  (Kj.) 

'81,67.68 

155.  II403 

33 

Blötkelda,  '81,68. 
II  403 

b)  Gaulverj  abser  (A.) 

'82, 54 

1182 

16 

Goöadalr  (Goden-j 
tal?)  I  182  not.  1 

c)  Klaustrbölar  (Ä.) 

'05, 39 

18 

d)  pyrill  (Bgf.) 

'81,  75 

[288 

1 

e)  Hofstaöir  (M.) 

1386 

f)  Bersatunga  (D.) 

'82,  67 

I  502 

7 

ein  heiliger  acker, 
'97, 15 

g)  Svefneyjar  (D.) 

'93,1 

(pinghöU  mit  dom- 
Bseti  i 

h)  Flateyri  (Isf.) 

'81,114-5 
'83,  3-5 

22 

i)  Hof  i  Vd.  (Hv.) 

'92, 122 
'95,4 

II  37 

23 

k)  Knappstaöir  (Skg.) 

II  89 

39 

')  Vgl.  K;il.  TI  153,  not.  2. 

-i  1.  Die  geographische  läge  der  einzelneu  statten  i>t  angegeben  durch 
dir  namen  der  gehöfte,  bei  denen  Bie  liegen.  —  2.  Bei  den  •  durch  Sperrdruck) 
hervorgehobenen  geholten  bezeichnet  der  betr.  Ortsname  ungleich  die  Stätte, 
wo  der  temptd  steht  (als  rnine)  oder  gestanden  bähen  solL 

8)  Dir  zahlen  beziehen  Bich  auf  die  tahelle  der  tempelstätten  • 
sowie  auf  karte  1. 


THUMMEL 


vgl.  Arb. 


2)  6  Goöaborg  (an  der 
ostküste) : 

a)  Bersastaöir  (N.M.) 

b)  pingnmli  (S.  AI.) 

c)  im  Breiödalr  (S.M.) 

d)  Hof  i  Alpt.  (S.M) 


e)  Hofsfell  (Au.  Skf.) 

f)  Borg  (Au.  Skf.)     . 

3)  1  Goöaborgarfjail: 
im  Fäskrüösfjörör  (S.M.) 

4)  1  Goöafjall: 
bei  Hof  (Au.  Skf.) 

5)  1  Goöatindr: 

bei  Hof  i  Alpt.  (S.M.) 

G)  1  GoÖatindar: 
bei  Hof  im  Mjöfifj.  (S.M.) 

7)  1  Goöaklettr: 
bei  Hamar  (A.) 

8)  2  Goöasteinn: 

a)  Gipfel  des  Eyjaf  jallajök. 

(R.) 

b)  pingmüli  (S.M.) 

9)  1  Goöanes: 
Hofteigr  (N.M.) 

10)  1  Goöaskarö: 

in  d.  pingvallasveit  (A.) 


'05, 42 


'93, 34 


vgl.  Kai. 


II  225 
II  243 

II  254 

II  263 


II  272 

II  274 


II  254 


II  288 


II  262 


II  248 


jl,  ^  andre  orte 

&H  g  :  in  (nächster)  nähe 
2  «  bez.  bemerk. 


1258 

verschied. 

sagen 

II  243 


II  215 


43 


44 


45 
66 


67 


44 


'81,42         1154 


pinghöll,  Goöatün, 
-toptir,  -steinn 

Goöaborgarfjail, 
Hoffell 

GoÖatindr,  Hofsä, 
-dalr,    -jökull, 
-tunga,    -holmar 
(wiese!) 

Hoff ellsfj all,  -dalr 

Borgarklettr 


Hoffell,    Goöaborg 
(s.  2,  c.) 


Hofsfjall,  -nes 
s.  2,d 


s.  2,b 

Blotkelda,     Goöa- 
töptir    (-taettur) 
-vaö,    Disastaöir 

Goöaskogr  (Goden- 
wald?)  Hofman- 
naflöt 


DER    GERMANISCHE   TEMPEL. 


lü 


vgl.  Ärb. 

vgl.  Kai. 

^  o,              andre  orte 
g*ä  2   in  (nächster)  nähe 
£  »            bez.  bemerk. 

11)  3  Goöafoss: 

a)  Hof  i  Svarf.  (Ef.) 

b)  (Munka)  pverä l)  (Ef.) 

c)  Ljosavatu  (Sp.)1) 

II  99 

II 120 

II 150 
Brnun  171 

41 

40 
31 

Hofsä  (darin  der  G.) 

GoÖatopt,  in  der 

nähe  die  dortige 

dingstätte 

dingstättedes  alten 

Vöölufdng 
in    der    nähe    die 
dingstätte  des  al- 
ten pingeyrarping 

12)  1  Goöä: 
Sellatrar  (S.  M.) 

n251 

13)  2  GoÖ(a)dalr  (Goden- 
tal?): 

a)  Gaulverjabser  (Ä.) 

b)  Svänsholl  (Str.) 

'82,  54 

1182 
1628 

16 

s.  1,  b 

14)  1  Goödalir: 
Hof  (Skg.) 

II  69  f. 

60       Hofsä,  -dalr,  -jökull 

15)  1  GoÖadasld: 

Hof  i  Hj.  (Skg.)   (wo  die 
götter  gewascben  wor- 
den sein  sollen) 

H81 

24 

Blötsteinn,     Goöa- 
läg,  -laut 

16)  1  Goöavaö: 

Hofteigr  (S.M.) 

II  215 

9       s.  9 

17)  1  GoÖask6gr(Goden- 
wald?): 

in  (1.  pingvallasveit  (Ä.)        '81,42 

1154 

s.  10 

18)  1  Goöaland; 

swisi  henKrossäu.Hvannä  '92,38-40 
(R.) 

1  259 

4f, 

in  der  nähe: 
1 |  alte  tempel- 
Btfttte 

19)  1  Goöalandsjöknll: 

'92,  39 

I  248 

2)  ßönmörk 
;:,  Boftorfa 

')  Vgl.  Maurer,  Genn.  10,  192, 


.                         

5  ® 

andre  orte 

vgl.  Ärb. 

vgl.  Käl. 

&13  6 

in  (nächster)  nähe 
bez.  bemerk. 

20)  2  Goöavöllr: 

a)  Sandlsekr  (A.) 

b)  Hof  (Ef.) 

'94, 10 

1184 
II 103 

21 

62 

Goöaläg  darin 
Hörgä,  -ärdalr  (auch 
in  sagas  genannt) 

21)  2  GoÖalägar1)"- 

a)  Haukadalr  (A.) 

b)  Hof  ä  Rang.  (R.) 

'92,  52 

1166 

1221 

8 

daneben   die   bof- 
tött,  HofsvaÖ 

22)  3  Goöaläg: 

a)  Fossnes  (A.) 

b)  Sandlsekr  (A.) 

c)  Hof  i  Hj.  (Skg.) 

'94, 10 
'94, 10 

II  81 

17 

21 
24 

)  name  der  ruine 
/        selbst 
s.  15 

23)   3  Goöatöptir  (bez. 

-tsettnr) : 

a)  Hofteigr  (N.M.) 

b)  pingnmli  (S.M.) 

c)  Ereysnes  (S.M.) 

'93,  34 
'96, 24  ff. 

II  215 

II  215 

9 
32 

s.  9 

s.  2,  b 

name  der  hoftött 

24)  2  Goöatopt: 

a)  Hof  ä  Sk.  (Hv.) 

b)  Hof  (Ef.) 

II  56 
II  99 

50 
41 

Hofsä 
s.  11,  a 

25)  1  GoÖatün: 

pingmüli  (S.M.) 

'93, 34 

II  243 

s.  2,  b 

26)  1  Goöalaut: 

Hof  i  Hj.  (Skg.) 

'92, 108 

24 

nähe  der  hoftött 

27)  1  GoÖabvammr: 

am  Hallsteinsues  (Bst.) 

'99,7 

48 

28)  1  Goöasund: 

Gnüpufell 

II 118 

42 

')  Ein  name,  der  oft  widerkehrt  bei  gehöften,  von  denen  berichtet 
wird,  dass  einst  ein  teinpel  dort  gestanden  habe  (Käl.  1 166). 


DKR   GERMANISCHE   TEMPEL. 


15 


vgl.  Arli. 

Vgl.  Kai. 

andre  orte 

in  (nächster)  nähe 

bez.  bemerk. 

B)  68  (70)  Ortsnamen  mit  Hof-: 

1)  22  Hof) 

2)  11  Hofstaöir 

3)  1  Hofgaröar 

4)  1  Hofkot 

Gehöfte,  deren  namen  die  tempelstätte  an 

sich  bezeichnen  (falls  nicht  vereinzelt  die 

andere  bedeutung  =  garör  vorliegt). 

5)  2  (3)  Hofhöll: 
(a)  Hofstaöir  (Gb.) ) 

b)  Hofstaöir  i  porsk. 

(Bst.) 

c)  Ölfusvatn  (Ä.) 

127 
1520 

189 

14 
34 

Hofhaugr   (Halls 
grabhügel '?) 

6)  1  Hofhaugr 

1520 

s.  5,  b 

7)  1  Hofsfjall: 
Hof  (Au.  Skf.) 

Ü288 

67 

s.  A,  4 

8)  2  Hofsnes: 

a)  Hestapingshöll  (R.) 

b)  Hof  (Au.  Skf.) 

'92, 48 

H288 

67 

s.  A,  4 

9)  2  Hofsjökull: 

a)  Gletscher  im   inneren 

hochland ,       genannt 
nach  Hof  (Skg.) 

b)  Hof  i  Älpt.  (S.  M.) 

H69 
II  262 

60 
44 

s.  A,  14 
s.  A,  2,  d 

10)  2  Hoffell: 

a)  Bergspitze  im  Fäskr.-Fj. 

(S.M.) 

b)  Gehöft  (Au.  Skf.) 

H254 
H272 

45 

s.  A,  2,  c 
3.  .\.  •_'.  e 

11)  1  Hofsmelar: 

Hof  i  Vd.  (Hv.) 

'92, 121 

28 

')  Bei  den  gehöften,  die  nicht  in  die  obige  taWllc  (g.  ti  ff.)  aufgenommen 
sind,  haben  Bicb  bisher  weder  tempelreste,  noch  irgendwelche  näheren  Über- 
lieferungen nachweisen  las»  n. 


16 


THUMMEL 


9,  m 


andre  orte 

in  (nächster)  nähe 

hez.  bemerk. 


12)  1  Hofklettr: 
HofstaÖiriHäls.  (Bgf.) 

13)  1  Hofklettar: 
Fj all  a  Sk.  (Ä.) 

14)  1  Hofkinn: 
BrüsastaÖir  (Ä.) 

15)  1  Hofsholt: 
Hof  (A.) 

16)  1  Hofsheiöi: 
Hof  (A.) 

17)  2  Hoftorfa  (ahhang) : 

a)  Seljaland  (R.) 

b)  GoÖaland  (R.) 

18)  1  Hofgil: 
ftoroddsstaöir  (Hv.) 

19)  8  Hofsä  (bez.  der  ent- 

spr. -dalr): 

a)  Seljaland  (R.) 

b)  Hof  ä  Skag.  (Hv.) 

c)  Hof  i  Go8d.  (Skg.) 

d)  Hof  ä  Hoföastr.  (Skg.) 

e)  Hof  i  Svarf.  (Ef.) 

f)  Hof  i  Väpn.  (N.M.) 

g)  am  LoÖmundarfjörÖr  (N 
h)  Hof  i  Älpt.  (S.M.) 

20)  2  HofsvaÖ: 

a)  Hof  (Ä.) 

b)  Hof  ä  Rang.  (R.) 

21)  1  Hofmannafiöt  (Ä.)  j  '81,34.43 


'85, 123 
'93,  79 


'94,9 
'81, 21 
'85, 40 


'94, 11 

s.  zeichn.  I 


'92,  36 
'92,  73 
'94,  23 

'95, 19 


'92,36.37 


'01,19 
'93,  56 
M.) 


22)  1  Hofsholmar  (S.  M.) 

23)  1  Hofsteigr  (N.M.) 


'93, 50 


1321 


1197 
1197 


1269 
1258 
anm. 


1269 
II  56 
II  70 
II  86 
II  99 
II 195 
II  211 
II  262 


1197 
1225 

1150 

H263 

II  214 


27 


15 


52 


4 
46 


4 

50 
60 

41 
11 

44 


52 

8 

44 
9 


Hofsvaö, 

Büdafoss  mit 

blotsteinn 


Hoftorfusker, '92,37 
s.  A,  18 


s.  A,  10 
s.  A,  2,  d 
s.  A,  9 


DER   GERMANISCHE    TEMl'EE. 


17 


->  i  amlre  orte 

vgl.  Kai.    £".?  =    in  (nächster)  nähe 
3  "  bez.  bemerk. 


24)  1  Hofs(taöa)vagr 
bei  Hofstaöir  (Snf.) 

25)  1  Hofsös: 

Hof  ä  Hüföastr.  (Skg.) 


'81,-83 
u.  a. 


I  436 


II  86 


37 


s.  B,  19,  d 


C) 

9  Ortsnamen  mit  Hörg-: 

1)  1  Hörgsholl 

'81, 92 

2)  2  Hörgsholt: 

a)  Geböft  im  Hrunam.- 

'81,  92 

68 

hreppr  (A.) 
b)  Gehöft,  in  der  Ldn.  ge- 

'00,28 
'03, 16 

nannt  (Hnp.) 

3)  1  HörgshliÖ: 

Gehöft  im  MjofifjörÖr  (Isf.) 

1595 

•1)  1  Hörgsnes  (Est.) 

1547 

5)  1  Hörgä: 

Hof  (Ef.) 

II 103 

62 

Hörgärdalr    (scbon 
in  der  Ldn.) 

6)  2  Hörgsdalr: 

a)  Gehöft  in  der  Mvv.-sveit 

(SJ>.) 

b)  Gehöft  (V.  Sk.) 

'01,7 
'03, 1-3 

II  314 

72 

1)  1  Hörgaej-rr  (V.): 

das  beutige  Klemenseyri? 
(Kristin  s.  c.  xx) 

1279 

D)  2  Ortsnamen  mit  B16t-: 


1)  1  Blöthöll: 
SanÖafell  (D.) 

2)  1  Blüthvanimr: 
anf  der  insel  Meiouarey 


I  538-9 

Beitrag«  zur  beschichte  der  deutschen  spräche.     XXXV 


1  4»i| 


56 


darin  Bin  Blötateinn 

- 


18  THUMMEL 

Die  auffallend  grosse  anzalil  dieser  mit  wenigen  ausnahmen 
noch  heute  fortlebenden  Ortsnamen  lehrt,  wie  ungemein  lebendig 
einst  der  heidnische  götter-  und  im  besondern  wider  der  tempel- 
cult  auf  Island  gewesen  ist,  und  wie  fest  die  alten  erinnerungen 
im  lande  wurzeln.  Bei  den  Ortsnamen  auf  Island  ist  kein  andres 
subst,  so  häufig  wie  Hof  (als  simplex  oder  im  compositum) 
und  Goö-.  Beide  treten  auch  meist  örtlich  miteinander  ver- 
bunden auf;  in  diesem  falle  ist  die  echtheit  der  tempelstätte 
wahrscheinlich,  da  die  annähme,  dass  beide  Ortsnamen  secundär 
sind,  etwas  fern  liegt.  —  Andrerseits  freilich  muss  begründeter 
zweifei  an  der  echtheit  mancher  namen  und  Überlieferungen 
erhoben  werden: 

1)  In  vereinzelten  fällen  können  solche  namen 
auf  einen  andern  sachlichen  Zusammenhang  zurück- 
gehen: a)  in  3  fällen  (2  Goöadalr,  1  Goöaskögr)  bringt  die 
Überlieferung  das  ortscompositum  Goö-  in  Verbindung  mit  dem 
wort  'goöi'.  Doch  kann  diese  tatsache  —  abgesehen  davon, 
dass  diese  berichte,  die  für  die  ältere  zeit  im  gründe  auf  einen 
ähnlichen  religiösen  Zusammenhang  zurückgehen,  nicht  un- 
bedingte echtheit  beanspruchen  können  —  bei  der  endgültigen 
beurteilung  nicht  entfernt  ins  gewicht  fallen,  da  gerade  die 
Ortsnamen  mit  Goö-  in  den  weitaus  meisten  fällen  zugleich 
eine  concrete  tempelüberlieferung  aufweisen  und  auch  in  der 
überwiegenden  mehrzahl  an  sichere  oder  wahrscheinliche  tempel- 
stätten  geknüpft  sind.  —  Noch  weit  weniger  kann  wol  ein 
Zusammenhang  mit  dem  christlichen  gotte  in  betracht  kommen; 
direct  unmöglich  ist  ein  solcher  bei  Ortsnamen  von  der  form 
Goöa-  wegen  des  sonst  unerklärlichen  -a.  —  b)  Hof  kann  auch 
mitunter  synon}:m  zu  garör  sein,  also  ein  gehöft  ganz  allgemein 
bezeichnen1)  (=  hd.  hof);  doch  ist  auch  diese  möglichkeit  kaum 
in  den  fällen  anzuziehen,  wo  der  Charakter  der  tempelstätte 
noch  auf  andere  weise  zum  ausdruck  gebracht  wird. 

2)  Manche  namen  und  Überlieferungen  können 
erst  secundär  entstanden  sein:  a)  die  Überlieferungen  auf 
grund  des  namens,  b)  die  namen  auf  grund  der  Überlieferungen, 
die  nachträglich  localisiert  wurden. 

Es  zeigt  sich  auch  hier,  mit  wie  kritischem  äuge  man  der 


*)  S.  Fritzner,  Ordbog2  unter  hof  4. 


DKIi    GKKMANISniK    tEMt»Et.  1'.' 

Volksüberlieferung  gegenüberstehen  muss,  zumal  auf  Island,  wo 
die  fortwährende  beschaff igung  mit  der  heimischen  saga- Lite- 
ratur ganz  besonders  dazu  reizen  musste,  die  berichte  dieser 
sagas  zu  localisieren.1)  Dieser  umstand  fällt  umsomehr  ins 
gewicht,  als  es  vielleicht  einmal  eine  zeit  gegeben  hat,  in  der 
die  alten  Überlieferungen  fast  völlig  in  Vergessenheit  geraten 
waren.'2) 

Allein  wie  skeptisch  man  auch  diesen  namen  und  Über- 
lieferungen gegenüberstehen  mag,  der  zweifei  vermag  doch  nicht 
die  folgenden  ergebnisse  zu  trüben,  die  mit  aller  klarheit 
hervorgehen: 

1.  Sieht  man  ab  von  jenen  beiden  Goöadalr  und  dem  einen 
Goöaskogr,  die  durch  ihre  sonder  Überlieferung  eine  kleine 
gruppe  abseits  bilden,  so  bleiben  noch  50  Ortsnamen,  die  durch 
ihr  Goö(a)-  auf  den  göttercult  im  allgemeinen  hindeuten.  Alle 
diese  50  namen  sind,  sofern  nicht  jegliche  Überlieferung  fehlt, 
an  alte  tempelstätten  geknüpft,  ohne  dass  jedoch  hierdurch 
deren  echtheit  wirklich  endgültig  bewiesen  wäre.  Von  den 
43  statten,  die  ihrer  natur  nach  überhaupt  als  unmittelbarer 
Standort  des  tempels  in  betracht  kommen  können  —  die  götter- 
wasserfälle,  -üüsse,  -täler,  -fürten  (insgesammt  7)  fallen  unter 
diesem  gesichtspunkt  fort  —  erweisen  sich  25  als  hügel  bez. 
felsen.  Alle  diese  götterhügel  macht  die  Überlieferung,  sofern 
sie  nicht  gänzlich  fehlt,  ausdrücklich  zu  trägem  alter  tempel; 
auf  ihrem  abhang  oder  gipfel  habe  das  heiligtum  gestanden. 
—  Von  den  10  vorhandenen  Goö(a)höll  sind  denn  auch  7  ohne 
jeden  zweifei  wirklich  die  statte,  auf  der  einst  der  tempel 
gestanden  hat;  in  pyrill  (no.  1),  Bersatunga  (7),  Gaulverjabser 
(16)  und  Klaustrhölar  (18)  hat  man  ja  die  'hoftöft'  auf  dem 
betreffenden  götterhügel  gefunden,  bei  den  3  wol  endgültig 
sicheren    tempelstätten    Hof  i  Ad.   (23),    Hof  ä   Kj.   (:>>"'t   und 


»)  Vgl.  Kai.:  a)  Islands Fortidsln-viiinir'-r.  Aarb.  1882,  81  ff.;  b)  K..1.  1  503, 
not.  2.    Es  zeigte  sich  denn  auch,  daes  manche  der  vermeintlichen  'hoftöttir' 

in  wirklichkeil  etwas  gana  anderes  waren,  /.  b.  viehpfercl ler  henschober- 

einhegnngen:    a)  die  'hoftött'  in  [Hof-]  Akr  (D),  vgl.  Käl.  I  185,  daj 
Äii..  '82,75;    (i)  die  'hoftott'  in  Fijötahlifl  (B),    vgl.  Äxh  '94,24,   da 
Äri».  "00,5;    y)  die  'hoftött1  in  Kakkarhjaleiga  (A),   vgl.  Ärb.  '05,10    LI 
Maurer  (Germ.  24, 88  ff.)  freilich  gieng  in  seinem  skepticunrai  allxnweit 

■)  Maurer  ebda.  02 

a 


20  THÜMMEL 

Knappstaöir  (39)  ist  die  Überlieferung  auch  zweifellos  echt; 
das  gleiche  kann  nach  Yigfussons  Untersuchungen  von  Flateyri 
(22)  gelten;  bei  den  übrigen  beiden  'Goöahöll'  fehlt  leider  eine 
nähere  Überlieferung.  Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  mit  den 
6  Goöaborg:  4  bezeichnet  die  Überlieferung  ausdrücklich  als 
die  unmittelbare  heidnische  cultstätte,  bei  2  fehlt  jede  nähere 
Überlieferung.  Dasselbe  Verhältnis  ergibt  sich  bei  den  übrigen 
arten  von  götterhügeln,  -bergen,  -felsen,  die  mit  ausnähme  der 
2  Goöasteinn  nur  je  einmal  vorkommen. 

2.  Ein  paralleles  ergebnis  folgt  aus  einer  betrachtung  der 
mit  Hof-  verbundenen  Ortsnamen: 

Von  33  (35)  dieser  composita  sind  18  (20)  an  berge,  hügel 
oder  abhänge  geknüpft.  Diese  liegen  in  nächster  nähe  von  alten 
tempelstätten,  die  in  der  überwiegenden  mehrzahl  (12 — 14) 
noch  heute  als  echt  gelten  müssen.  7  von  diesen  tempelhügeln, 
-bergen  oder  -abhängen  sind  durch  die  Überlieferung  als  die 
statte  gekennzeichnet,  auf  der  der  tempel  einst  gestanden  hat. 
Diese  Überlieferung  ist  auch  ohne  zweifei  echt  bei  den  2  (1) 
Hofhöll,  1  Hofkinn,  2  Hoftorfa,  1  Hofklettr,  bei  Hofklettar 
jedoch  wenig  sicher;  in  den  letzten  beiden  fällen  soll  der  tempel 
naturgemäss  nicht  auf  den  felsen  selbst  gestanden  haben,  son- 
dern auf  einem  hügel,  der  diese  trägt.  —  Die  übrigen  11  (13) 
Hof-namen  bezeichnen  nicht  die  unmittelbare  tempelstätte, 
sondern  orte  in  deren  nähe,  meist  in  der  Umgebung  eines  gehöfts 
Hof.  Sie  sind  daher,  wie  im  gründe  alle  Hofnamen  dieser 
art,  an  sich  wenig  beweiskräftig,  weil  die  damit  behafteten 
orte  häufig  bei  gehöften  liegen,  die  noch  heute  den  namen 
Hof  tragen  und  daher  in  den  meisten  fällen  für  solche  Orts- 
namen bestimmend  gewesen  sind.  Sie  können  daher  an  sich 
nichts  für  die  echtheit  einer  tempelstätte  beweisen,  höchstens 
indirect  in  vielen  fällen  ein  zeichen  sein  für  das  relativ  hohe 
alter  des  gehöftes  Hof  in  der  betreffenden  gegend.  (Dass  die 
gehöfte  'Hof  in  der  tat  relativ  sehr  hohes  alter  aufweisen, 
geht  daraus  hervor,  dass  17  von  ihnen  in  der  Ldn.  namentlich 
erwähnt  sind).  —  Immerhin  ist  wie  bei  den  'götter' -statten  so 
auch  hier  durchaus  charakteristisch,  dass  die  absolut  und  relativ 
grösste  anzahl  dieser  Ortsnamen  eben  an  hügel  und  berge  ge- 
knüpft ist,  die  selbst  tempelstätten  (im  engeren  sinne)  gewesen 
sind  oder  doch  in  nächster  nähe  von  solchen  gelegen  haben. 


DBB   QBBMANISCHE    u  mii  i  Jl 

8,    Bei  den   mit   Hörg-  verbundenen  Ortsnamen 
wegen  ihrer  geringen  anzahl  keine  ähnliche  Btatistü 
aahme  machen,  doch   weist   auch  die  mehrzahl  dieser   noch 
lebenden  namen  auf  büge]  and  abhänge  hin. 

Die  offenkundige  Vorliebe  für  berge  and  hfigel  als  cult- 
Btätten,  die  aus  allen  diesen  Ortsnamen  and  überliefern! 
hervorgeht,  tritt  aoch  deutlicher  in  die  erscheinung  durch 
parallele  beobachtungen,  'li»'  wir  an  den  alten  tempelstatten 
machen,  auch  an  Bolchen,  wo  ähnliche  Ortsnamen  heute  nicht 
nachzuweisen  Bind. 

II.   Die  natürliche  beschaffenheil  der  bisher  bekannten 
tempelstätten. 

\'(ni  48  der  In  den  Arb.  and  bei  K&L  beschriebenen  oder 
flüchtig  erwähnten  'hoftöttir'  (67)  wird  ausdrücklich  berichtet, 
dass  Bie  auf  einem  hügel,  berg,  abhang  oder  sonstwie  erhöhten 
boden  liegen  i»*1/.  von  der  Überlieferung  dorthin  verlegt  werden. 
[Jeber  die  läge  der  übrigen  Bind  wir  leider  nicht  genau  unter- 
richtet, teils  weil  sich  an  «Im  meisten  dieser  platze  heute 
keinerlei  reste  alter  tempel  mehr  finden,  teils  infolge  der 
notizenhaften  art  mancher  berichte  gegenüber  anderen  aus- 
führlicheren. Zum  teil  mag  diese  lücke  in  dem  betr.  bericht 
auch  reiner  zufall  sein1);  diea  geht  schon  daraus  hervor,  dass 
in  diesem  punkte  Schilderungen  in  den  Lrb.  nnd  bei  Kai.  mit- 
anter  einander  ergänzen.  Zweifellos  würde  jedoch  bei  kenntnis 
der  genauen  läge  aller  tempelstätten  die  I  ang  der 

bügellage  zahlenn  noch  klarer  hervortreten. 

Von  diesen  18  tempelstätten  liegen: 
i  ii  i  in*  im  hfigel  od<  i 

■  .  manche       i  nrfthrtchi  inli< 
bob<  n  and  n  hflnen      ein«  n  namen,  d<  i  auf  d<  n 

rillt   liiixli  MI'  i 

I    1 1  QOtterb 


22  THÜMMEL 

6)  1  Goöatindr  (44), 
e)  1  Goöanes  (9). 
IL  5  tempelhügel,  -berge,  -felsen  (s.  s.  15—16) : 
«)  2  Hofholl  (14.  34), 
ß)  1  Hofklettr  (36)     1 
y)  1  Hof  klettar  C>7)   i  temPe"elsen>  f^e  auf  dem  hügel  stehen, 

6)  1  Hofkinn  (15). 
HI.  1  opferhügel  (s.  s.  17) : 

Blothöll  (56). 
IV.  1  Valhöll!  (20). 
b)  Die  übrigen  11  tragen  keinen  besonderen  namen  (5.  8.  10.  17.  19. 
24.  37.  40.  41.  48.  60). 

B)  8  auf  einem  abhang. 

a)  2  dieser  abhänge  tragen  den  namen  'Hoftorfa'  (4.  46)  (s.  16). 

b)  die  übrigen  6  tragen  keinen  besonderen  namen  (3.  6. 11.  30.  32.  49). 

C)  3  auf  erhöhtem  boden,  der  nicht  näher  beschrieben  ist. 

a)  1  statte  heisst  Goöasund  (42)  (s.  14). 

b)  die  beiden  andern  sind  unbenannt  (2.  55). 

Eine  ganz  ähnliche  läge  weisen  auch  jene  'horgar'  auf,  von 
denen  5  in  den  Ärb.  beschrieben  sind1):  einer  liegt  auf  dem 
berge  Hringholt,  der  in  Hörgsholt  auf  einem  hügel,  in  Hörgs- 
dalr  oben  auf  der  beide,  in  Hvammr  an  einem  abhang,  in 
Fagradalr  in  einer  bergkluft,  also  am  fusse  des  gebirges. 

Können  auch  die  vorliegenden  angaben  ihrer  natur  nach 
keinen  ansprach  auf  wirklich  statistische  genauigkeit  machen 2), 
so  geht  doch  das  eine  mit  aller  deutlichkeit  daraus  hervor: 

Die  alten  tempel,  wie  überhaupt  die  heidnischen 
cultstätten,  haben  auf  Island  in  der  regel  auf  dem 
gipfel  oder  abhang  von  bergen  und  hügeln  gelegen; 
seltener  -  wahrscheinlich  nur  dann,  wenn  der  hügel  selbst  keinen 
geeigneten  platz  zum  tempelbau  bot  -  lagen  sie  am  fusse  oder 
in  nächster  nähe.  Denn  wenn  auch  von  diesen  tempelstätten 
einige  erst  secundär  auf  grund  von  sagas  localisiert  worden 
sein  mögen,  so  würde  gerade  diese  art  der  localisierung  eben- 
falls darauf  deuten,  dass  die  tempel  nach  einer  alten,  echten 
Überlieferung  in  der  regel  auf  derartig  erhöhtem  boden  gelegen 
haben.    Wir  stossen  auch  hier  auf  die  für  alle  germanischen 

J)  Tabelle  no.68-72. 
2)  Vgl.  Käl.  II  524. 


I>KK   GEBMANI8CHE    i  EMPEL.  J 

Völker  geltende  natürliche  tatsache,  dass  man  die  götterheilig- 
tiimer  am  liebsten  an  statten  verlegte,  die  an  sich  schon  als 
heilig  galten.1)  Ebenso  naheliegend  ist  es,  dass  man  mögliche 
die  schönste  stelle  der  gegend  zur  tempelstätte  wählte,  mit 
Vorliebe  solche,  die  eine  weite  fernsieht  gestatteten.1) 

Berge  und  hügel  sind  also  die  hauptorte  der  göttervereh- 
rnng  auf  Island. —  Stark  zurück  vor  diesem  ausgeprägten  ' 
eult  treten  der  wassercnlt,  der  andernorts  besonders  in  der 
form  des  guellencultes  auftritt,  namentlich  aber  der  wald-  und 
baumcult,  der  bei  den  südlichen  Germanen  eine  vorhersehende 
rolle  spielt.  Auf  Island  finden  sich  nur  vereinzelte  Bpuren 
davon: 

a)  So  erregen  einige  gütterwasserfälle  and  -täler,  auch  ein  ^'itertiuss 
das  interesse.  Obwo]  nur  mangelhafte,  zum  teil  jedoch  sehr  eigenartige 
Überlieferungen  an  diese  statten  geknüpft  sind,  darf  man  in  ihnen  wol 
spuren  alten  wassercultes  erblicken.8)  Besonders  concret  erscheinl  diesei 
in  der  Überlieferung  vom  Wasserfall  bei  Fossnes  (no.  17). 

b)  Waldcult  wird  man  bei  dem  ungemein  dürftigen,  dazu  niedrigen 
banmwnchfl  in  historischer  zeit4)  von  vornherein  kaum  in  gross*  rem  masse 
erwarten  dürfen;  doch  sind  auch  hiervon  einige  spnren  vorhanden:  1)  es 
finden  sich  2  Stätten,  an  denen  einst  ein  von  einem  kreisförmigen  zäun 
umgebener  wald  gewesen  -ein  boII:  in  Lnndr  (Bgf.)s)  'in  der  nähe  der 
alten  tempelstätte)  und  in  Lundrbrekka  (Sp.)8)  —  eine  Überlieferung,  die 
ja  sehr  wol  zu  dem  uamen  dieser  gehöfte  stimmen  winde,  falls  er  urspi 
lieh  ist.  2)  In  fjthliö  soll  der  tempel  einst  mitten  in  einem  wähle  geständen 
haben7)  (ähnlich  berichtet  die  Fsereyinga s.,  c.23,  von  einem  tempel  de« 
Bakon  Jarl  an  einer  gerodeten  stelle  im  walde,  mit  einem  'skiögarbr' 
darum).  '.',)  Br.  Jönsson8)  berichtet  von  einem  Ortsnamen  'Blötbjörk'  beim 
gehöft  Björk  (iL);  er  hält  ihn  für  zweifellos  heidnischen  Ursprungs  and 
erklärt  ihn  dadurch,  dass  in  der  nähe  einsl  eine  birke  gestanden  habe; 
diese  sei  im  vergleich  zum  wald  der  Umgebung  bo  Bchön  und  stattlicl 
wesen,  dass  die  heidnischen  leute  au  sie  glaubten,  Bie  verehrten. 

c)  Im  Verhältnis  zu  den  gehöften.  Nicht  aus  allen 
den  berichten  aber  die  (37  tempelstätten  der  oben  gegebenen 
tabelle  geht  deutlich  hei  vor.  welche  läge  /.um  nächstliegenden 

>)  VgL  Grimm,  D.  M.  I  71  i  Hogk,  Pauls  Grundr.'  III  B 

-»  Z.b.  im.  i.  ;,.  :i.  ii.  i-_v  22.  _'!.  71. 

»)  VgL  Hogk,  ebda.  'Ü'.".:   Maurer.  I.it.-ld.  1880,  9.  1  l 

')  S 

8)  Kai.  i  :;i  i  (rest  Heu  einhegnng 

")    Kai.  II   l.M.  not 

■i  \ib.  :i»,7.  i  arb,  •<».'•.  n. 


24  THÜMMEL 

gehöft  die  betreffende  'hoftött'  einnimmt,  bez.  wo  der  tempel 
einst  gestanden  haben  soll;  für  15  dieser  statten  (no.  22.  28. 
32.  35.  38.  44.  46.  47.  51.  52.  56.  60.  61  65.  67)  fehlt  in  dieser 
beziehung  eine  deutliche  angäbe.  Aus  den  berichten  über  die 
übrigen  52  'hoftöttir'  aber  geht  hervor,  dass  diese  —  mit  vier 
ausnahmen  —  alle  innerhalb  des  engeren  gutsbezirkes  der 
betreffenden  alten  gehöf te  liegen,  nämlich  auf  dem  tun. l)  Bei 
2  von  diesen  48  hoftöttir  wird  zwar  ihre  läge  im  tun  nicht 
direct  festgestellt,  aber  angegeben,  dass  sie  in  der  nähe  des 
Wohnhauses  liegen  (no.  9.  10). 

Die  gegenseitige  läge  von  tempel  und  wohnhaus  innerhalb 
des  tun  ist  natürlich  in  den  einzelnen  fällen  verschieden,  in 
gewisser  beziehung  auch  wol  abhängig  von  der  jeweiligen 
ausdehnung  des  tun.  In  vielen  fällen  liegt  die  tempelstätte 
in  unmittelbarer  nähe  des  gehöf ts  (so  bei  no.  2.  5.  6.  15.  18. 
19.  41),  in  andern  fällen  wider  in  der  nähe  des  tüngarör  (so 
in  7.  8.  27.  53.  63),  in  Hof  i  Vd.  (23)  ist  der  götterhügel,  auf 
dem  die  tempelruine  liegt,  etwa  120  m  vom  wohnhauscomplex 
entfernt. 

Nur  in  4  von  den  oben  genannten  52  statten  scheint  der 
tempel  ausserhalb  des  tun,  entfernt  vom  alten  gehöft,  gelegen 
zu  haben:  1)  In  pverä  (no.  40),  2)  in  Bersastaöir  (no.  43),  in 
diesen  beiden  fällen  auf  dem  andern  flussufer,  3)  in  Kollsveins- 
staöir  (no.  20),  4)  in  Hallsteinsnes  (no.  48) ,  in  1)  und  3)  bei 
den  späteren,  damals  wol  noch  nicht  vorhandenen2)  gehöf ten 


J)  Unter  tun  verstellt  man  das  gedüngte  wiesenland,  das  zu  jedem 
gehöft  gehört  und  früher  immer  von  einer  einheguug  (tüngarör)  umgehen 
war.  Es  hat  meist  ovalen  grundplan  und  steht  im  gegensatz  zu  den  ausser- 
halb des  tüngarör  liegenden  wiesen  (engjar),  die  gewöhnlich  nicht  gedüngt 
wurden.  Ungefähr  in  der  mitte  des  tun  stehen  die  dicht  zusammengestellten 
Wohnhäuser,  ein  gehäudecomplex  (bser)  von  mindestens  3 — 4  häusern,  der 
gelegentlich  durch  eine  besondere  Umzäunung  abgeschlossen  war;  die  Wirt- 
schaftsgebäude (in  der  regel  mindestens  3)  liegen  meist  abgesondert  im 
tun.  Die  heutige  grosse  des  tun  ist  sehr  verschieden  (bis  zu  30  dänischen 
tonnen  =  1600  ar,  im  durchschnitt  7—10  dänische  tonnen  =  4 — 500  ar) 
und  von  der  anzahl  der  kühe  abhängig,  für  die  das  winterheu  beschafft 
werden  soll;  es  war  daher  früher  grösser,  oft  sehr  ausgedehnt.  So  hat  das 
tun  an  der  tempelstätte  Hof  i  VapnafirÖi  (no.  11)  heute  eine  fläche  von  rund 
640  ar;  in  alter  zeit  war  es  um  die  gute  hälfte  grösser,  also  fast  1000  ar 
(Arb.  '93,  56).  —  Vgl.  Maurer,  Island  s.  402;  Bruun  s.  97;  Guöm.s.  19  f. 

2)  Vgl.  Kai.  II 121. 


DER   GEBMANISCHE   TEMPEL.  2.~> 

Hripkelsstaöir  bez.  Hofstaöir.  —  Wahrscheinlich  liegen  in 
diesen  Verhältnissen  reminiscenzen  aus  viel  älterer  zeit  vor. 
Der tempel, ursprünglich  stammesheiligtum  ').  lag  in  den  ältesten 
zeiten  dranssen  in  der  freien  natur,  ersl  bei  den  Nordgermanen 
entwickelt  sich  der  privatrechtliche  Charakter  des  tempels  und 
somit  die  läge  beim  gehöft. 

Eine  gewisse  bestätigung  dieser  erklärung  bietet  eine  be- 
trachtung  über  die  läge  der  5  auf  Island  bisher  gefundenen 
'horgar'  (no. 68-72),  jener  weit  altertümlicheren2)  heiligtümer: 
in  Fagradalr,  Eörgsholt  und  Hörgsdalr  liegt  der  horgr  im  tun; 
die  horgar  von  Hringiiolt  und  Hvaminr  dagegen  scheinen  vom 
gehöft  verhältnismässig  weit  entfernt:  der  horgr  auf  dem  gipfel 
des  Hringiiolt  liegt  etwa  in  der  mitte  zwischen  den  beiden 
nachbarhöfen  Bakki  und  Sellätrar.  der  andre  etwa  4 — 500  m 
von  Hvammr  entfernt. 

Die  ergebnisse  über  die  allgemeine  läge  der  tempelstätten 
innerhalb  des  tun  zeigen,  dass  ein  unterschied  zwischen  haupt- 
und  privattempeln  in  diesem  punkte  nicht  bestand.  Ein  solcher 
unterschied  ist  auch  von  vornherein  nicht  zu  erwarten,  da  die 
einrichtung  von  haupttempeln  erst  am  ende  der  landnämatfö 
geschah,  bis  zu  dieser  zeit  also  sämmtliche  tempel  rein  prr 
eigentum  waren.  Dieser  privatrechtliche  Charakter  gilt  ja  zu 
einem  teile  auch  noch  späterhin  für  die  haupttempel,  wie  aach 
schuu  früher  von  den  Godentempeln  in  Norwegen  vor  der  land- 
nämatfö, wie  die  beispiele  von  pörölfr  Mostrarskegg  (Eb.  IV  2) 
und  ßörhaddr  (Ldn.  208, 26  ff.)  lehren;  beide  brechen  einen 
norwegischen  haupttempel  ab,  um  ihn  in  Island  wider  aufzu- 
bauen.3) 

Auch  nachrichten  aus  den  sagas  zeigen  ganz  deutlich, 
dass  in  bezug  auf  die  läge  zum  gehöft  kein  unterschied 
zwischen  privat-  und  haupttempel  bestand: 

a)   Kj'aln. 8.,   bl. 8.  II 402   (vom  haupttempel  in  Hof,  do.83 
bann  reiaa  hof  mikit  i  ttini  sinn  ...':    b)  Laxd. s.,  c.  19,32  (vom  privat- 
tempel  in  HrutsetaSir,  ao.3):  'Hof  atti  bann i  tüni . . ' j  c)  ahnlich Sb. IV. 6 
(vom  haupttempel  in  Hofetaöir,  no. 37):  'Hann  setti  boe  mikinn  ...  ) 
bann  reiaa  hof  (vgl.  Ldn.  L58,2  f.). 


';  Vgl.  Mogk,  Paula  Grandr.1  III  894. 

■>  8.  unten  .1.  II. 

N  Vgl.  Kauxer,  Beitr.  61. 


2(3  THÜMMEL 

Zugleich  bestätigen  diese  Zeugnisse,  wenn  auch  in  etwas 
dürftiger  weise,  das  ergebnis  von  der  gewöhnlichen  läge  der 
tempel  innerhalb  des  tun. 

d)  In  bezug  auf  seine  himmelsrichtung.  Man  hat 
widerholt  eine  feste  regel  aufstellen  wollen,  nach  der  die 
isländischen  (nordischen)  häuser,  im  besonderen  wider  die 
skälar,  eine  ganz  bestimmte  himmelsrichtung  gehabt  hätten, 
nämlich  0. — W.1)  Aus  der  erwägung  heraus,  dass  der  haupt- 
raum  des  tempels  dem  veizlu-skäli  gleiche,  hat  man  dann  die- 
selbe regel  auf  die  tempel  übertragen'2)^)  und  ihr  besondere 
bedeutung  zugemessen  für  alle  fälle  von  Umbildungen  heid- 
nischer tempel  in  christliche  kircken,  die  auch  diese  0. — W.- 
richtung  besessen  hätten.3) 

Dass  in  bezug  auf  die  richtung  des  nordischen  hauses 
ursprünglich  einmal  ein  gewisser  brauch  geherscht  hat,  geht 
aus  Zeugnissen  der  Edda  deutlich  hervor.4)  Für  die  zeit  jedoch, 
in  welche  quellen  und  baureste  zurückreichen,  existiert  eine 
diesbezügliche  allgemeine  regel  ebensowenig  wie  heute. 5) 4) 
AVird  schon  durch  diese  tatsache  eine  derartige  regel  für  den 
tempelbau  wenig  wahrscheinlich,  so  fällt  auch  die  annähme 
einer  solchen  durch  die  erfahrungen  an  den  tempelstätten. 
Es  sind  nämlich  alle  hauptrichtungen  bei  den  ruinen  vertreten. 
Soweit  die  Ärb.  und  Käl.  in  dieser  hinsieht  angaben  machen, 
ist  das  ergebnis  folgendes: 

a)  0.— VT.:  no.2.  3.  i.  7.  8.  9.  10.  15.  19.  31. 

b)  N.— S:  5.  11.  12.  20.  (30.)  55. 

c)  Mittelrichtungen:  1.  0  (N.W.— S.O.).  32.  53  (S.W.— N.O). 

Irgendwelche  regel  lässt  sich  aus  diesen  resultaten  ent- 
schieden nicht  ableiten.  Die  richtung  des  tempels  ist  vielmehr 
sicherlich  im  einzelfalle  immer  von  praktischen  rücksichten,  in 
erster  linie  von  den  örtlichen  Verhältnissen,  abhängig.  Dies 
leuchtet  besonders  ein  angesichts  der  oben  festgestellten  hügel- 
lage.  die  für  die  tempel  so  charakteristisch  ist.  Die  beschaffen- 
heit  des  hügels  war  selbstverständlich  in  hohem  grade  mass- 


l)  Mcolaysen  s.  270.  410:  vgl.  H.  Petersen  s.  22,  not.  1. 
2j  Xicolaysen  ebda. 
3;  Petersen  s.  22. 

4)  Vgl.  Meissner,  Zs.  fda.  36, 323. 

5)  Gnöm.s.  12,256. 


DER   GEBMANI8CHE   TEMPBL.  27 

gebend  bei  der  wähl  der  tempelstätte  und  somit  auch  für  die 
jeweilige  himmelsrichtung. 

Dass  die  0. — W.-richtung,  jedoch  nur  vereinzelt  genau, 
relativ  am  häufigsten  und  besonders  bei  ruinen  auftritt,  die 
die  grosse  wahrscheinlichkeil  der  echtheil  für  Bich  haben,  isl 
somit  entweder  reiner  zufall  oder  allenfalls  eine  reminiscenz 
aus  alter  zeit,  in  der  diese  richtung  regel  war.  —  Wenn  man 
dagegen,  wie  wol  Petersen1),  die  0. — W.-richtung  auch  aus  dem 
gründe  annehmen  und  ihr  besondere  bedeutung  zuschreiben 
möchte,  weil  die  heidnischen  tempel  gelegentlich  zu  christlichen 
kirchen  geweiht  worden  seien,  für  die  ja  die  0.— W.-richtung 
rege]  ist.  bo  muss  ihm.  wie  auch  Dietrichsson,  Keyser,  .Manch 
u.a.-)  gegenüber  betont  werden,  dass  aus  der  gesammten  ger- 
manischen bekehrungsgeschichte  nicht  ein  einziges  beispiel  für 
die  Umwandlung  eines  heidnischen  tempels  in  eine  christliche 
kirche  bekannt  ist.  Die  möglichkeit  solcher  Vorkommnisse 
bestellt  am  ehesten  noch  für  die  angelsächsischen  Verhältnisse, 
auf  grund  des  Bchreibens  von  papsl  Gregor  an  bischof  Angnstin 
(601)'-1),  doch  muss  auch  für  die  angelsächsische  bekehrung  das 
eintreten  solcher  fälle  als  durchaus  zweifelhaft  bezeichnet 
werden;  es  liegt  nicht  das  geringste  argument  dafür  vor,  dass 
man  wirklich  ein  verfahren  im  sinne  dieses  briefes  bi 
hat.1)  Vielmehr  wird  fast  immer  in  den  berichten  übet 
kehrungen  germanischer  stamme  —  speciell  der  Priesen,  aber 
deren  bekehrung  zahlreichere  Zeugnisse  vorliegen  —  ausdrück- 
lich bemerkt,  dass  erst  nach  Zerstörung  oder  niederreissen  der 
tempel  an  ihrer  stelle  kirchen  errichtel  wurden'),  woraus  auch 
in  erster  Linie  die  masslose  wut  der  heiden  verständlich  wird. 

\indi  für  Norwegen  ist  kein  einziges  zengnis  für  Umwand- 
lung oder  weihung  eines  tempels  vorhanden,  alles  Bprichl  viel- 
mehr für  das gegenteil.    Die  tempel  weiden  entweder  ni< 
gerissen  oder  verbrannl   '»der  Btehen  gelassen.*)    Das  letzte 


■i  i'  22. 

■')  Vgl  Nioolaysen  -  276if. 

I  BO;  'li<-  betr.  Stella  am  h  ' 
s.  544,  not 

4)  VgL  Nieolaysen  i.  K 

-.  Vgl  Grimm,  D  H    l  70     EUchthotoa  II  i.  i.  HO    111.  * 1 1 


2ö  THUMMEL 

ist  speciell  auf  Island,  wo  die  bekehrung  vor  und  nach  1000 
weit  mildere  formen  als  anderswo  zeigt,  geschehen  —  ein  um- 
stand, dem  in  erster  linie  die  erhaltung  so  vieler  ruinen  zu 
verdanken  ist. 

Wie  sehr  also  auch  die  kirche  zur  förderung  der  bekeh- 
rung  an  die  heidnische  sitte  anknüpft,  so  weit:  die  heidnischen 
tempel  zu  christlichen  kirchen  umzuweihen,  ist  sie  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  nie  gegangen  (oder  doch  nur  in  äusserst 
seltenen  fällen,  von  denen  aber  kein  einziger  bekannt  ist,  am 
ehesten  noch  bei  den  Angelsachsen).  Andrerseits  steht  jedoch 
fest,  dass  die  kirche  in  der  regel  an  der  stelle  der  alten  tempel 
oder  in  ihrer  nächsten  nähe  erbaut  wurde;  allenfalls  mag  ge- 
legentlich einiges  baumaterial  des  abgerissenen  tempels  mit 
benutzt  worden  sein.1) 

B)  Die  äussere  bauart  und  anläge. 

e)  Baumaterial  und  mauerconstruction.  Es  darf 
zwar  als  sicher  gelten,  dass  schon  in  alter  zeit  die  baukunst 
über  den  ganzen  norden  hin  im  wesentlichen  einheitliche 
formen  aufweist2),  einer  der  hauptunterschiede  jedoch  zwischen 
dem  scandinavischen  festland  und  Island  ist  das  baumaterial. 

Während  in  den  waldreichen  ländern  Dänemark,  Schweden, 
Norwegen  die  gebäude  des  altertums  in  der  regel  ausschliess- 
lich aus  holz  errichtet  wurden3),  ist  dies  auf  Island  schlechter- 
dings nicht  möglich  gewesen.  Dies  lehrt  schon  die  tatsache, 
dass  wir  hier  noch  so  relativ  zahlreiche  tempelruinen  nach- 
weisen können,  während  wir  solche  in  jenen  ländern  eben 
infolge  des  materials  entbehren.  —  Man  hat  zwar  lange  be- 
hauptet, dass  in  der  vorzeit  die  natur Verhältnisse  der  insel 
auch  qualitativ  weit  günstiger  gewesen  seien  als  heute,  wo 
die  cultur  und  ertragsfähigkeit  ein  nicht  gerade  glänzendes 
bild  bietet  —  insbesondere  hat  man  auf  grund  verschiedener 
angaben  in  den  sagas  (vgl.  dagegen  die  stelle  Bisk.S.  II 5,  21  f.) 
mit  Vorliebe  von  dem  waldreichtum  des  landes  in  der  vorzeit 
gesprochen  —  doch  darf  es  heute  als  tatsache  gelten,  dass  die 


J)  Vgl.  das  zeugnis  aus  der  jung.  Öl.  s.  Tr.  bei  Maurer,  Bek.  I  232 
(tempelstätte  no.  39). 

2)  Guöm.  10. 

3)  Ebda.  s.  11,  99—102. 


DER    OKKMAXISCFIK    TEMPEL.  29 

klimatische  und  die  specifische  bodenbeschaffenheit  derinsel  in 
der  historischen  zeit   keine  irgendwie  erhebliche  Verschiebung 

erfahren  hat.')  Wirkliche  wühler  hal  es  auf.  [sland  in  geschicht- 
licher zeit  nie  gegeben;  wie  heute  so  hat  die  insel  auch  im 
altertum  nur  buschholz  besessen,  das  selten  eine  höhe  von  6  m 
erreicht,  in  der  hauptsache  birke,  wie  aus  den  archäologischen 
funden  hervorgeht,2) 

Wie  heute  so  war  also  auch  in  alter  zeit  der  holzbestand 
der  insel  nicht  fürbauzwecke  geeignet,  sondern  nur  zu  unter- 
geordneten zwecken  verwendbar.3)  Sowreit  holz  zum  haushau 
verwendet  wurde,  diente  das  in  manchen  gegenden  sehr  reiche 
treibholz4),  vor  allem  aber  norwegisches  holz,  und  in  den  weit- 
aus meisten  fällen  nur  dieses.  •'■)  Das  einführen  norwegischen 
holzes  muss  ziemlich  allgemein  geschehen  sein;  dies  zeigt  unter 
anderm  auch  deutlich  ein  vertrag  zwischen  Olaf  dem  heiligen 
und  den  Isländern  (anfang  des  11.  jh.'s),  in  welchem  diesen 
ausdrücklich  das  recht  eingeräumt  wird,  ihren  bedarf  an  holz 
überall  in  Norwegen  zu  nehmen.6)  Die  benutzung  norwegischen 
holzes  speciell  beim  tempelbau  ist  uns  an  zwei  stellen  bezeugt: 
pörölfr  nimmt  das  meiste  holz,  ßörhaddr  wenigstens  die  Säulen 
des  alten  tempels  in  Norwegen  mit  nach  Island.7) 

In  allen  den  fällen  jedoch,  wo  holz  zum  haushau  benutzt 
wurde,  diente  es  lediglich  für  pfosten,  dachwerk  oder  paneel8); 
denn  auch  das  norwegische  holz,  das  ja  zunächst  hierbei  in 
betracht  kommt,  ist  im  einzelfalle  in  der  regel  nicht  in  gro 
menge  eingeführt  worden,  dazu  waren  die  schiffe  zu  klein,  die 
Unkosten  zu  gross.  Reine  holzbauten  hat  es  auf  Island  äusserst 
selten  gegeben !t);   höchstens   die  giebel   waren   mitunter   aus- 


'i  Maurer,  Isl.  8  ff. 

'-)  Ebda.  13—15;  Bruun  s.  8,39;  Arb. '81,  84. 

3i  Maurer,  ebda.   l.">. 

-   karte  1  (x).  —  I'i*'  beimal  dieses  treibholzes  sind  diewaldi 
Sibiriens,  aus  denen  es  dnrcb  die  Busse  an  .\>irns  nordküste,  von  dort  dorcb 
einen  polarstrom  au  (das  nordwestliche)  Island  geführt  wird:  vgL  Manier, 
[al.  t:;:  K.,1.  I  614. 

i  Kanrer,  Esl.  =-.  1 1. 

a)  NgL.  l  i:;t    88;  Kanrer,  Bek.  l  572  t 
7)  Vgl.  Hanrer,  Beitr.  61. 

nÖrn.  177. 
*>  Ebda 


30  THÜMMEt, 

schliesslich  aus  holz,  was  durch  ruinen  bestätigt  wird,  bei 
denen  die  giebel  wände  fehlen.1)  Wenn  wir  gelegentlich  von 
Verbrennungen  hören,  so  ist  dies  kein  zeichen  für  reine  holz- 
construction.'-) 

Man  könnte  nun  an  steinbauten  denken.  Gemauerte  stein- 
bauten aber  hat  es  im  ganzen  norden  vor  einführung  des 
Christentums  nicht  gegeben,  und  aUch  diese  waren  zunächst 
auf  kirchen  und  klöster  beschränkt.3)  In  den  sagas  ist  daher 
auch  nirgends  davon  die  rede4);  noch  heutzutage  findet  man 
reine  steinbauten,  jedoch  ziemlich  primitiven  zustandes,  auf 
Islaud  nur  an  der  see,  und  auch  da  sind  sie-  auf  die  sogenannten 
seebuden  (sjobuö)  und  ähnliche  bauten  beschränkt.5) 

Zum  vollen  Verständnis  der  isländischen  bauweise  ist  eine 
kenntnis  der  gegenwärtigen  Verhältnisse  unerlässlich.  Für 
diese  ergibt  sich  nun  folgendes  bildfi):  die  mauerconstruction 
kann  zweierlei  art  sein:  a)  gras-  bez.  erdtorf  allein.  —  Wo 
er  in  genügender  menge  vorhanden  ist,  benutzt  man  nur  die 
oberste  5—6  cm  dicke  schiebt  des  erdkörpers,  den  eigentlichen 
rasen.  Dieser  sogenannte  strengr7)  wird  in  grossen  flächen 
geschnitten,  die  dann  horizontal  aufeinander  gelegt  werden. 
Oft  jedoch  ist  man  gezwungen,  die  erdschicht  bis  zu  einer 
tiefe  von  13  cm  zu  benutzen;  in  diesem  falle  wird  der  erdtorf 
in  schrägen,  ca.  20  cm  langen  und  etwa  ebenso  breiten  mauer- 
torf,  den  sogenannten  hnaus,  geschnitten,  der  dann  in  Verbin- 
dung mit  dünnem  strengr  zur  klömbruhnaus  -  construetion 
benutzt  wird.8)  —  Für  Wohnhäuser  kommt  nur  die  strengr- 
construetion  in  betracht,  während  bei  den  Wirtschaftsgebäuden 
vornehmlich  die  klömbruhnaus-,  seltener  die  strengr-construc- 
tion  angewant  wird.1')  —  b)  Combination  von  grastorf  und 
unbehauenen  feldsteinen  in  abwechselnden  schichten,  unter 
vorzugsweiser  anwendung  von  rasen.  In  diesem  falle  legt 
man  in  der  regel  abwechselnd  dünne  strengr-schichten  zwischen 


*)  Guöm.  94—95.  2)  Ebda.  93. 

3)  Ebda.  100;  Ärb.  '81,  92. 

4)  Vgl.  Keyser,  Efterl.  Skr.  II 1,  s.  39  f. 

5)  Bruun  81,  abbild.  48. 

6)  Vgl.  Bruun  80—85;  Guöm.  93. 
')  Bruun  82,  abbild.  49. 

8)  Ebda,  abbild.  50.  B)  Ebda.  83. 


i>!  R    GERMANISCHE    i  i.Mi'Kl..  .1 

20 — 25  cm  dicke  Bteinschichten,  eine  construction,  die  bowoI 
bei  Wohnhäusern  wie  Btällen  angewanl  wird,  i  In  gegenden, 
wo  treibholz  reichlich  zur  Verfügung  steht,  benutzt  man 
einzell  (so  auf  den  Eornstrandir)  wagerechl  gelegte,  unbehauene 
balken  Btatl  der  steine.2)  Diese  bauarl  b)  wird  jedoch  meist 
nur  im  unteren  teile  der  mauern  angewant;  weiter  oben, 
namentlich  in  den  giebeln,  benutzt  man  gewöhnlich  b 
grastorf. 

hus  Fundament  der  mauer  \ \  i i « I  bei  a)wieb)  in  «irr 
durch  je  eine  einfache  steinreihe  an  der  innen-  und  aus 
gebildet,  mit  einem  gegenseitigen  abstand  von  ca  1,6  m.    An 
alten  ruinen  treten  oft  doppelreihen  auf.3)    Häufig,  uamentlich 
bei  Wohnhäusern,  verjüngen  sich  die  wände  auf  der  aussen 
ein  wenig  (so  z.  b.  bei  alten  ruinen  in  Mööruvellir,  die  Brunn 
untersucht  hat4) 

Diese  für   Island  so  charakteristische,  durch  die  klima- 
tischen  Verhältnisse  verursachte  bauarl   bedingt  eine  außer- 
gewöhnliche dicke  der  wände.    Sie  beträgt  heute  bis  zu  l.-  m, 
während  die  höhe,  natürlich  ohne  die  giebelwände,  nur  l. 
1.  6  ni  misst.*) 

Die  mannigfachen  neueren  Untersuchungen  haben  endgültig 
den  uachweis  geliefert,  dass  baumaterial  und  mauerconstruction 
der  isländischen  gebäude  schon  zur  Bagazeit  die  gleichen 
wesen  sind:  a)  aus  den  Zeugnissen  der  alten  sagaliteratur  wies 
zunächst  Guömundsson  nach,  dass  man  in  allem  wesentlichen 
auf  Island  noch  heute  dieselbe  bauweise  befolgt  wie  ums  jähr 
1000. •)  Der  Bpringende  unterschied  in  der  constrnetionsweise 
von  damals  und  heute  liegt  in  der  form  des  daches7):  das  im 
altertum  allgemeine  'Aastag'8)  ist  allmählich  vom  'sparren- 
dach'9) verdrängt  worden.  Dies  aber  hat  wider  darin  Beinen 
grund,  da—  man  heute  nicht  mehr  bo  ansehnliche  hauten  aus- 
fuhrt wie  im  altertum.  Island  Btand  an  wolstand  und  eultur 
einst    wrii   höher  als   jetzt.1")         b)  Diese  aus  der  Literatur 

')  1  :ruii',  »)  QuÖib 

Brau  si    35,  Abbild  ,  ,.1  b. 

•»  Ebda.  ss.  ■,  BM  1    EM 

•)  Qaöm.1.  9,98  K  .  1  ■ 

-la.  11t;  ff. 
l0)  Ebda 


32  THÜMMEL 

geschöpften  ergebnisse  wurden  erhärtet  durch  zahlreiche  ein- 
gehende Untersuchungen  alter  bauruinen.  Namentlich  bei  den 
forschungen  von  Daniel  Bruun  1896  erwies  sich  offenkundig, 
dass  sämmtliche  gebäude  aus  grastorf,  meist  von  grund  auf, 
errichtet  waren.5)  Eine  besonders  wertvolle  bestätigung  er- 
fuhr diese  beobachtung  im  folgenden  jähre  durch  seine  weiteren 
Untersuchungen  an  sehr  alten,  heute  verödeten  gehöften  im 
inneren  hochland2);  überall  waren  die  wände  aus  erdtorf,  bis- 
weilen mit  abwechselnden  schichten  von  steinen  aufgeführt, 
in  derselben  weise  wie  heutzutage,  somit  im  wesentlichen  auf 
ganz  Island  einheitlich. 

Liegt  schon  nach  den  bisherigen  ausführungen  der  schluss 
nahe,  dass  auch  beim  tempel  das  baumaterial  das  gleiche  ge- 
wesen sein  werde  —  die  sagas  geben  darüber  keinen  aufschluss 
—  so  wird  diese  erwartung  durch  die  blosse  tatsache  bestätigt, 
dass  die  wände  der  vorhandenen  tempelruiuen  sich  in  nichts 
von  den  ruinen  anderer  gebäude  unterscheiden,  so  dass  eben 
die  entscheidung  über  die  echtheit  einer  'hoftöft'  mitunter  auf 
grosse  Schwierigkeiten  stösst. 

Die  erste  der  oben  beschriebenen  bauarten  zeigt  sich  z.  b. 
bei  den  tempelruinen  von  Höföi  (no.  6)3),  Üthliö  (12) 4),  Hof  i 
Vd.  (23) 5),  [Ljösavatn  (31) J,  während  sich  für  die  zweite  kein 
reines  beispiel  findet.  Es  scheint  also,  als  ob  die  erste  bauart: 
reiner  rasenbau  auf  steinfundament  vorhersehend  oder  regel 
gewesen  ist. 

Man  darf  von  vornherein  erwarten,  dass  der  erbauung 
der  heiligtümer  ganz  besondere  Sorgfalt  gewidmet  wurde.  In 
den  berichten  über  nähere  Untersuchungen  wird  denn  auch  fast 
regelmässig  die  selbst  für  isländische  Verhältnisse  auffallende 
dicke  der  wände  und  ihr  gewaltiges  steinfundament  hervor- 
gehoben, das  namentlich  auf  der  aussenseite  besonders  grosse 
grundsteine  aufweist.  —  So  besitzt  die  ruine  in  Lundr  (no.  5) 
eine  mauerdicke  von  allermindestens  1,6  m6),  in  Ljärskögar 
(no.2)  1,7  m7),  in  Rütstaöir  (no.3)  ca.  1,3  m8),  in  Höföi  (no.6) 
1,4  m3).  —  Die  heutige  durch  das  zusammensinken  reducierte 

*)  Bruun  88  f.  2)  Ärb.  '98  fylg.  44—46. 

3)  Bruun  176. 

«)  Arb.  '94, 7.  5)  '95, 4. 

°)  '85,  99.  ■>)  '82, 7.  8)  '82, 13. 


DEK   GERMANISCHE   TEMPEL. 

höhe  der  wände  beträgt  in  Ljarskögar  (no.  2)  durchschnittlich 
Im1),  in  Hofteigr  (no.9)  ca.  0.8  m-),  in  Üthlifl  (no.  12)  an  der 
höchsten  stelle  1,8  m3),  in  pyrill  (no.  1)  durchschnittlich  1,5  m*) 
einschliesslich  des  bedeutenden  Untergrundes,  dessen  höhe  nicht 
angegeben  ist.  —  Bei  allen  näher  untersuchten  tempelruinen 
ergab  sich  in  jeder  mauer  das  Vorhandensein  grosser  grund- 
steine,  in  der  aussenwand  ganz  besonders  gross,  in  Dyrill  (no.  1 1 
an  der  unteren  wand  (die  ruine  liegt  geneigt)  ein  2-,  3-  und 
sogar  vierfacher  Untergrund4),  offenbar  um  ein  rutschen  zu 
verhüten.  Am  gewaltigsten  ist  das  fundament  der  ruine  in 
Eöföi  (no.  G).  Ihre  mauern  ruhen  auf  zwei  reihen  gri 
steine,  je  eine  auf  der  aussen-  und  auf  der  innenseite.0)  Viele 
von  ihnen  waren  derartig  gross,  dass  4  männer  erforderlich 
waren,  sie  von  der  stelle  zu  rücken.8)  —  Aehnlich  starkes 
fundament  besitzen  auch  andere  untersuchte  'hoftöttir',  z.  Ix 
in  Ljärskögar  (no.  2)"),   Lundr  (no.  5)s),  Brusastaöir  (no.  1 

f)  Aeussere  form.  Wie  die  s.  6  ff.  aufgestellte  tabelle 
zeigt,  sind  auf  Island  bisher  67  statten  als  einstige  Standorte 
von  tempeln  in  frage  gekommen.  Bei  26  von  diesen  statten  '  | 
sind  keine  oder  allzu  undeutliche  spuren  von  ruinen  vorhanden, 
bei  den  übrigen  41  dagegen  finden  sich  'hoftöftir',  deren  äussere 
umrisse  noch  zu  erkennen  sind,  wenn  auch  zum  teil  nur  äussersl 
dürftig.  Von  16  dieser  ruinen  wider  besitzen  wir  deutliche, 
durch  ausgrabungen  (mehr  oder  weniger)  verbürgte  risse.11) 

Von  jenen  41  'hoftöftir'  erscheinen  nun  ihrer  äusseren 
form  nach:  a)  36  als  länglich-viereckig;  b)  nur  5  als  kreis- 
förmig (no.  16.  18.  22.  41.  58).  —  Zu  den  36  gehören  ohne 
ausnähme  alle  die  tempelruinen,  die  aufgrund  von  ausgrabungen 
oder  sicheren  Überlieferungen  als  echt  gelten  dürfen;  von  den 
5  kreisförmig  erscheinenden  dagegen  ist  bisher  noch  keine  als 
endgültig  echt  erkannt,  wenn  auch  die  wahrscheinlichkeil  da- 
für bei  den    1  erstgenannten  sein-  gross  ist 

Nach  Kalunds  angäbe12)  finden  sich  auf  bland  widerholl 
kreisförmige  ruinen.  die  als 'hovtomter'  bezeichnet  werden.  — 

l)  Äii..  "82,5.  13,50. 

L,  75.  >  Brunn  L76.              Lrb.  '92,  ISO  R 

:;  '82,5.  31,21. 

1  )  No.22.  :;.;    88.  l".  12.  41  -  L8.  61.  52  54  56.  57. 

»)  8.     ;  der  tabelle.  K&l.  l  508,  not  1. 

Bell  ebichte  Jcr  dcuisclicu  iprmcbe,    XXXV. 


34  THÜMMEL 

Bei  jeder  dieser  ruinen  kommen  folgende  mögliclikeiten  in  be- 
tracht:  a)  die  ruine  ist  echt.  Dann  können  die  beiden  fälle 
in  frage  kommen:  1)  sie  ist  in  Wirklichkeit  nicht  kreisförmig. 
—  In  der  tat  erscheinen  die  mehrzahl,  so  auch  die  5  vor- 
liegenden, den  berichten  nach  so  undeutlich  oder  so  stark  zu- 
sammengesunken, dass  die  kreisform,  zumal  bei  der  geringen 
ausdehnung  der  meisten  dieser  ruinen,  sehr  wol  nur  eine  schein- 
bare, etwa  erst  durch  das  zusammensinken  der  wände  hervor- 
gerufen sein  kann.  So  erwies  sich  z.  b.  die  tempelruine  zu 
Brüsastaöir,  die  Siguröur  Vigfüsson1)  als  kreisförmig  oder 
elliptisch  beschrieben  hat,  bei  genauer  Untersuchung  als  läng- 
lich-viereckig mit  abgerundeten  ecken2);  ähnlich  beschrieb 
Kälund  die  angeblichen  tempelreste  in  Bersatunga  und  in 
Norötunga3)  als  kreisförmig,  während  sie  nach  Vigfüssons 
Untersuchungen  als  länglich- viereckig  erscheinen.4)  2)  Sie  ist 
wirklich  kreisförmig.  —  Dass  es  einmal  kreisrunde  heiligtümer 
gegeben  hat,  erscheint  unzweifelhaft  schon  angesichts  der  hart- 
näckigkeit,  mit  der  sich  die  Überlieferung  an  solche  bauformen 
knüpft,  ferner  aus  dem  gründe,  dass  der  rundbau  die  primi- 
tivste form  ist;  sie  musste  notwendig  der  länglich  viereckigen 
weichen,  sobald  gebäude  von  grösserer  ausdehnung  in  betracht 
kamen.  —  ß)  Die  ruine  ist  unecht.  Auch  diese  möglichkeit 
liegt  vor,  zumal  bei  der  letzten  der  5  oben  genannten  ruinen. 
Die  kreisrunden  'hovtomter'  sind  ohne  zweifei  mit  der  aller- 
grössten  vorsieht  zu  betrachten,  oft  sicherlich  nur  reste  von 
viehhegungen. 5) 

Wie  es  sich  auch  mit  den  kreisförmig  erscheinenden  ruinen 
im  einzelfalle  verhalten  mag,  so  viel  ist  deutlich,  dass  solche 
heiligtümer  auf  Island  relativ  selten  vorhanden  gewesen  sind, 
dass  dagegen  die  länglich  -  viereckige  form  entschieden  die 
durchaus  vorhersehende  ist.  Dieses  ergebnis  wird  auch  er- 
härtet durch  Zeugnisse  der  sagaliteratur: 

a)  Die  Eb.  s.  (c.  IV  6)  berichtet  von  dein  tempel  in  HofstaÖir  (no.  37), 

1)  Ärb.  '82,  44. 

2)  S.  riss,  Ärb.  '95. 

s)  Kai.  I  502  bez.  I  359. 
")  Ärb.  '82, 67  (s.  riss,  Ärb.  '97)  bez.  '85, 137. 

5)  Vgl.  Käl.  I  503  (wo  er  eine  kreisförmige,  aber  ziemlich  verdächtige 
'hoftott'  erwähnt),  ferner  Kai.  Aarb.  f.  nord.  Oldk.  1882,  83  f. 


DEB   GEttMANIS«  in.    i  KMPEL. 

der  einer  der  aller&ltesten  auf  Island  ist:  rai  patmikitl  dyrr 

ä  liliiHttr^iinuii  »>k  nn-r  QÖrnm  endannm  . . 

b)  Die  Kjaln.s.  lisl.s.  II  M)2)  vom  tempel  in  Bofd  Kj,  (i  .  |mi 
(hof)  rar  c.  föta  langt,  en  Bextngt  a  breidd'1), 

c)  Pie  Vatnsd.s.  (e.N  Y  |  vmu  tempel  in  Hof  i  Vd.  (no.23):  ...  bof  mikit 
hnndrafi  föta  langt  ■  ■  ■'  l) 

Diese  Zeugnisse  können  sich  nur  auf  eine  rechteckähnliche 
form  beziehen.  Durch  diese  doppelheil  der  quellen  ist  somit 
ausser  allen  zweifei  gestellt,  dass  die  typische  grundform  des 
isländischen  tempels  die  länglich-viereckige  ist.  Die  ruinen- 
funde  —  und,  wie  wir  sehen  werden,  zu  einem  teil  auch  die 
sagas  —  lehren  aber,  dass  wir  keine  genaue  rechteckiorm 
vor  uns  halten  insofern,  als  die  ecken  stets  mehr  oder  weniger 
abgerundet  sind.  Ein  blick  auf  die  vorhandenen  tempelrisse 
zeigt,  dass  der  grad  der  eckenrundung  bei  den  verschiedenen 
ruinen  wechselt,  jedoch  bei  den  einzelnen  ecken  ein-  und  der- 
selben ruine  in  der  regel  ungefähr  gleich  ist;  an  dem  einen. 
nämlich  dem  afliüs-giebel,  ist  sie  mitunter  besonders  stark, 
relativ  am  stärksten  bei  der  ruine  von Ljärskögar  (no.2),  die 
zweifellos  echt  und  in  ihrer  ursprünglichen  form  noch  völlig 
rein  erhalten  ist2)  Bei  ihr  nimmt  das  afhus  halbkreisähnliche 
form  an,  sodass  diese  ruine  fast  genau  der  tempelbeschreibung 
der  k'.jaln.s.  und  somit  auch  der  Eb.  entspricht1)  In  diesem 
falle  zeigt  Dämlich  das  afhüs  eine  grosse  ähnlichkeit  mit  dem 
für  die  bauart  der  kirchen  charakteristischen  chorabschluss 
(apsis);  der  vergleich  mit  einer  haube  (Kjaln.s.)  oder  dem  chor 
in  der  kirrhe  (Eb.)  lag  daher  sehr  nahe.  Eine  ganz  ähnliche 
anläge  zeigt  auch  die  ruine  von  Seljaland  (no.  i  laut  einer 
beschreibung  aus  dem  jähre  1821. 3) 

Bei   manchen  der  alten  tempel   vermögen  wir  auf  grund 
der  sagas  die  zeit  ihrer  entstehung  einigenr 
zulegen: 

1 1  Hof  &  EL  l  ii".  B):  anno  879  (Tgl.  Qnöbr.  Vigfnsson  im  Safn  til 

Hofstaßir  fi  p  i   (ßörolfr  kos  ich  bland 

:,  l  228), 


unten  II.  l  >. 
»)  Ali'.  '82,78;  rgl.  I 

t.  i. 


36  THÜMMEL 

3)  Hof  ä  Kj.  (33):  ca.  890  (Helgi  bjola  kommt  zwischen  886—892  an; 

Safn  I  207). 

4)  Hof  i  Vd.  (23):  892  *)  (890  kommt  Ingimundr  nach  Island  (Safn 

1247);  ans  der  Vatzd.  s.  (c.  XIV — XV)  geht  hervor,,  dass  er 
sich  erst  im  übernächsten  früh  jähr  im  Vatnsdalr  niederlässt 
und  den  tempel  haut). 

5)  Hof  i  Väpn.  (11):  kurz  vor  900  (vgl.  Safn  I  265—66). 

6)  AÖalböl  (10):  ca.  920  (vgl.  Safn  I  268). 

7)  Kofi  Hj.  (24):  ca.  920  (vgl.  Safn  I  250). 

8)  Pyrill  (1):  vor  950  (die  Harö.  s.  spielt  von  950—70  —  Safn  I  304 

—  und  setzt  das  bestehen  des  'blötbüs  at  Pyrli'  voraus). 

9)  Bersatunga  (7):  ca.  950  (Holmgöngu-Bersi,  dessen  privattempel 

wir  offenbar  hier  vor  uns  haben,  stirbt  958,  wahrscheinlich 
35  jähre  alt;  Safn  I  496). 
10)  Rütsstaöir  (3):  nach  943  (Hrütr  923*  —  Safn  I  494  —  kommt 
20jährig  nach  Island,  hält  sich  erst  drei  jähre  in  Kambsnes 
auf  (Lasd.  s.  XIX  11),  kommt  dann  nach  HrütsstaSir  (Laxd.  s. 
XIX  32) ,  bleibt  hier  mit  ausnähme  der  jähre  963—65,  die  er 
in  Norwegen  verbringt;  Saf n  I  344  —  45). 

Ueber  die  erbauung  des  tempels  von  Ljärskogar  lässt  sich 
leider  keine  Zeitangabe  aus  den  quellen  ableiten,  da  das  gehöft 
erst  in  der  späten  Grettissaga,  der  tempel  dagegen  nirgends 
genannt  ist. 

Verfolgen  wir  nach  dieser  zeitlichen  reihenfolge  die  vor- 
handenen risse  der  heutigen  tempelruinen,  wobei  wir  für  die 
nicht  mehr  erhaltenen  ruinen  von  Hofstaöir  (no.  37)  und  Hof 
(no.  33)  die  von  Ljärskogar  einsetzen  —  als  ein  nach  den 
obigen  feststellungen2)  sehr  wahrscheinliches  äquivalent  —  so 
finden  wir,  dass  die  tempelform,  welche  die  stärkste  ecken- 
rundung,  zum  teil  das  halbkreisförmige  afhüs  aufweist,  zugleich 
die  älteste  ist,  während  die  von  Rütsstaöir,  welche  die  recht- 
eckform wegen  der  geringen  eckenrundung  relativ  am  reinsten 
verkörpert,  zweifellos  bei  einem  der  jüngsten  tempel  in  dieser 
reihe  auftritt.  Bei  der  ruine  von  Freysnes  (no.  32),  welche, 
falls  sie  echt  ist,  von  einem  tempel  kurz  vor  1000  herrühren 
würde3),  finden  wir  die  scharfe  eckenform  wenigstens  an  dem 
einen  giebel  ganz  rein,  während  der  afhüs-giebel  die  rundung 
beibehalten  hat.  —  Es  kann  ferner  kein  zweifei  sein,  dass  der 
kreisrunde  tempelbau,  der  —  wie  aus  den  vorigen  betrachtungen 


!)  Nicht  893,  wie  G.  Vigfusson  (Safn  I  248)  angibt. 
2)  S.  35.  3)  Arb.  '96, 24.  25.  27. 


DER    GBRMANI8<  HE   TEMPE1 

hervorgieng        auf  bland  vereinzelt   vorhander    ■• 
eine  ältere  Btufe  in  der  entwickelnng  darstellt  als  die  für  [s- 
land  typische  länglich -viereckige  form.     !  h  Bomit 

für  die  änssere  türm  der  tempelbauten  eine  entwicklung  von 
drei  stufen:  l)  kreisförmig,  2)  länglich-yiereckig  mit  immer 
geringer  werdender  eckenrundung  (die  typische  form  des  islän- 
dischen tempels),  3)  länglich-yiereckig  mit  scharfen  «<k«-n 
wenigstens  an  dem  einen  giebel,  während  man  die  afhtis-rundung 
—  wahrscheinlich  aus  historischen  gründen  I 
diese  form  in  keiner  sicheren  ruine  auftritt,  erklärl  sich  offenbar 
dadurch,  dass  sie  ersl  am  schluss  des  10.  jh.'s,  kurz  vor  ein- 
fuhrung des  Christentums,  eingeleitet  wurde. 

Wir  erhalten  also  eine  vollkommene  parallele  zu  der  ent- 
wicklungsreihe,  wie  sie  Guömundsson  von  den  isländischen 
häusern  erwiesen  ha1 l),  doch  so,  dass  die  einzelnen  phasen  der 
beiden  entwicklungsreihen  nicht  nebeneinander  bestehen,  son- 
dern dass  die  entwicklung  der  hausform  der  des  tempels  stets 
ein  wenig  vorausgeht.  Während  der  typus  des  isländischen 
tempels  die  zweite  form  aufweist,  daneben  noch  vereinzelt 
runde  tempel  auftreten,  ist  die  in  dersagazeit  gebräuchlichste 
hausform  bereits  die  reine  rechteckform;  ihr  gegenüber  tritt 
die  zweite  form  entschieden  zurück,  während  die  erste  ziem- 
lich selten  auftritt,  ihr  Vorhandensein  bei  Wohnhäusern 
problematisch  erscheinen  muss 

Neben  diese  typische  grundform   stellt   sieh  als   zw< 
merkmal   für  die  äussere  anläge  des  isländischen  teini.eiK.nies 
eine  einrichtung,  die  ebenfalls  allen   echt  befundenen  ruinen 
ohne  ausnähme  gemeinsam   ist    und   für  die  tempel  charakte- 
ristisch erscheint-,  zumal  bei  einem  vergleich  mit  den  mannig- 
fachen andern  bauten  der  alten  zeit.         Eis  ist  dies  i  ine  den 
giebelwänden,  d.h.  den  kürzeren  rechteckseiten  parallel, 
quer   durch   das   gebäude   laufende    wallartige   erhöhung   im 
innern,  die  Bt  ei  s  ohne  i  ttr ')  ist    und  somit 
tempels  in  zwei  völli  tnte  ungleich  grosse  räume  teilt: 

1 1  d<  i  en  langraum,  der  zur  abhaltung  der  opferschmaus« 


•I  Quöm  91  n. 

■  Dauer:  türöft  nang 


38  THÜMMEL 

diente,  2)  das  kleinere  afhus,  das  allerlieiligste  des  tempels,  in 
welchem  die  götterbilder  und  altäre  standen  und  der  tempel- 
priester  die  Opferhandlungen  vollzog.  —  Diese  erhöhung  ist 
ganz  nach  art  der  aussenwände  aufgeführt,  in  der  regel  nur 
noch  weit  breiter  und  mächtiger,  wie  wir  sehen  werden.1) 

Bei  der  hälfte  jener  41  'hoftöttir',  deren  form  noch  zu 
erkennen  ist,  lässt  sich  dieser  türlose  querwall  mit  Sicherheit 
feststellen.2)  Dass  dies  in  vielen  fällen  nicht  mehr  möglich 
ist,  wird  erklärlich,  wenn  man  bedenkt,  dass  dieser  quer  wall 
gewöhnlich  wol  noch  niedriger  gewesen  sein  wird  als  die 
aussenwände,  also  beim  zusammensinken  sich  noch  weit  eher 
in  der  Umgebung  verlieren  konnte  und  somit  heute  für  das 
äuge  nicht  mehr  deutlich  wahrzunehmen  ist.  Vergegenwärtigt 
man  sich  nämlich  die  rolle,  die  langraum  und  afhüs  bei  aus- 
übung  des  religiösen  cultes  in  an  Wesenheit  der  opf  er  Versamm- 
lung spielten,  so  erscheint  es  als  notwendig,  dass  dieser  quer- 
wall eine  gewisse  höhe  nicht  überschritt,  denn  die  im  lang- 
raum versammelte  opfergemeinde  musste  die  götterbilder  im 
afhüs  sowie  den  tempelpriester  während  seiner  Opferhandlungen 
sehen  können. 

Für  keine  andere  art  von  bauwerken  auf  Island  lässt  sich 
ein  derartiger  querwall  nachweisen,  wenigstens  nicht  als  regel. 
Die  teilung  eines  raumes  in  zwei  oder  mehrere  kleinere  räume 
geschah  vielmehr  —  dies  gilt  für  den  ganzen  norden  —  stets 
durch  holzwände3)  und  zwar  entweder  durch  eine  holzwand 
quer  über  den  räum  (Jweijüli)  oder  durch  eine  dicke  Scheide- 
wand (bälkr),  die  aus  mehreren  wagrecht  übereinander  gelegten 
balken  bestand  und  gewöhnlich  bis  zu  den  querbalken  empor- 
reichte, bisweilen  aber  auch  niedriger  war.4) 

Es  wäre  vielleicht  zu  weit  gegangen,  wollte  man  schliessen, 
dass  notwendig  1)  alle  tempel  oder  2)  nur  die  tempel  einen 
türlosen  querwall  aufweisen.  —  Es  könnte  ja  wol  sein,  dass 
ein  solcher  hier  und  da,  vielleicht  infolge  der  örtlichen  Ver- 
hältnisse, auch  bei  andern  gebäuden  vorhanden  gewesen  ist, 
dass  er  hingegen  bei  einzelnen  tempeln  in  dieser  form  gefehlt 

')  S.  unten  C)  m). 

2)  No.  1—12.  15.  17.  19.  20.  21.  24.  25.  32. 

3)  Uuöm.  94.  98;  Brunn  87. 

4)  Guöm.  98—99. 


DEB    GBRMANI8CIIK    i  EMPEI 

hat  and  etwa  durch  einen  'bälkr'  ans  holz  ersetzt  wurde,  von 
dem  natürlich  nichts  mehr  übrig  ist.  Sicherlich  aber  sind 
diese  beiden  möglichkeiten,  wenn  überhaupt,  so  um  ganz  ver- 
einzeil in  die  erscheinnng  getreten,  znmai  die  letzte,  obgleich 
sie  zunächst  für  gegenden,  wo  treibholz  zur  Verfügung  stand, 
eine  gewisse  wahrscheinlichkeil  für  Bich  hat  Wir  finden 
diesen  querwall  auch  bei  tempelruinen,  die  in  treibholzgegenden 
liegen1))  während  für  die  ruinen,  die  diese  anläge  entbehren 
und  doch  als  'hoftöttir1  bezeichnet  werden,  kein  treibholz  in 
betracht  kommt. 

Es  isl  gewiss  kein  zufall,  dass  die  echtheil  gerade 
'hoftöttir',  bei  denen  der  querwall  in  der  beschriebenen  form 
fehlt,  fast  ohne  ausnähme  auch  anderweitig  wenig  gestützt] 
vielmehr  meisl  direct  discreditiert  wird,  dass  dagegen  alle  die 
ruinen,  die  durch  sichere  Überlieferung,  endgültig  noch  durch 
ausgrabungen  als  echt  erkannl  sind,  diesen  türlosen  querwall 
aufweisen. 

Somit    kann   kein  zweifei  darüber  herschen,   das 
türlose  querwall,  ganz  nach  art   der  aussenwände  aufgeführt, 
einen  integrierenden  bestandteil  des  isländischen  tempelbaues 
darstellt,  und  dass  eine  starke  Skepsis  gegen  solche  'hoftöttir' 
am  platze  ist,  bei  denen  er  fehlt  oder  türen  besitzt. 

Wie  wolbegründet  diese  Skepsis  ist,  hat  dieerfahrunj 
einer  ruine  in  Fljötshliö  gelehrt,  die  lange  für  eine  'hoftöft' 
galt,  aber  durch  eine  mittelwand  mit  türen  zweigeteilt  vi 
Die  genaue  Untersuchung  ergab  nichl  das  geringste  kriterium 
der  echtheit,  vielmehr  erwies  sich  der  bau  als  alte  fjärhüs- 
ruine.3)    Ganz  analog  erscheint  eine  als  'hoftoft'  bezeichj 
nicht  ausgegrabene  ruine  in  Eelludalr  (A.),  deren  zwischenwalJ 
ebenfalls  mit  türen  versehen  ist.  eher  eine  rjos-  oder  hlööi 
zu  sein.4) 

Das  stärkste  mistrauen   ist  ferner  geboten   bei  folgenden 
ruinen:    ai    Fjall  ;i  Sk.  (no. 27),    b)    tfelkorkustadir  (no 
c)  Hofstaöiri  M.w.  (no. 30).    a)undb)  halt  Brynjulfur  J6n£ 
für  echte  'hoftottir*.    Beide  haben  türen  an  der  ein» 

')  y..\>.  do.  9.  28.  41. 
•i   \ii.    M,24    26       Arn 

•>   Ai 


40  THÜMMEL 

des  mittel walles;  der  zweifei  an  ihrer  echtlieit  wird  besonders 
genährt  durch  einen  vergleich  der  beiden  risse  mit  dem  riss 
von  Fljötshliö,  wobei  sich  eine  grosse,  kaum  zufällige  älmlich- 
keit  mit  dieser  fjärhustöft  ergibt.  Aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  haben  wir  es  auch  in  diesen  beiden  fällen  mit  fjärhus- 
oder  fjöstöftir  zu  tun,  wie  in  Fljötshliö  und  Helludalr,  jeden- 
falls nicht  mit  tempelruinen.  —  Ebenso  zeigt  die  ganze  anläge 
der  ruine  c),  dass  es  sich  hier  nicht  um  den  riss  eines  ursprüng- 
lichen tempels  handeln  kann. 

Aehnliche  bedenken  erheben  sich  gegen  die  echtlieit  der 
ruinen  von  Äsbjarnarstaöir  (no.  29)  und  Ljösavatn  (no.  31).  Bei 
beiden  fehlt  jede  spur  eines  querwalles  der  oben  beschriebenen 
art.  Während  die  erste  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  als  un- 
echt angesehen  werden  darf,  fällt  bei  Ljösavatn,  dem  wohnort 
des  Goden  porgeirr,  eine  dahingehende  entscheidung  schwer 
bei  der  tatsache,  dass  porgeirr  doch  einen  tempel  gehabt 
haben  muss,  und  angesichts  der  übrigen  ergebnisse  bei  der 
Untersuchung  durch  D.  Brunn.  Er  fand  spuren  einer  Zwei- 
teilung des  raumes,  die  dann  natürlich  nur  durch  holz  bewirkt 
worden  sein  könnte,  ferner  reste  alter  feuerstätten  und  knocken 
verschiedener  tiere.  Besonders  bemerkenswert  ist,  dass  die 
vorhandenen  köpfe  zweier  schafe  und  eines  rind.es  der  länge 
nach  gespalten  waren.  Es  erinnert  dies  an  jene  opfer-  oder 
votivfunde  aus  der  älteren  eisenzeit  in  den  mooren  von  Jüt- 
land ,  z.  b.  bei  Lundtoft.  *)  —  Entweder  liegt  hier  der  ganz 
aussergewöhnliche  fall  vor,  dass  der  querwall  aus  holz  gewesen 
ist  —  das  material  hätte  man  ja,  sofern  man  es  nicht  aus 
Norwegen  bezog,  allenfalls  von  dem  treibholz  an  der  küste 
stromaufwärts  herbeischaffen  können-)  —  oder  wir  haben  eben 
in  Wirklichkeit  keine  tempelruine  vor  uns. 

Fassen  wir  die  ergebnisse  über  die  äussere  form 
des  isländischen  tempels  zusammen,  so  ergibt  sich  als  typische 
grundform  ein  länglich-viereckiger  bau,  dessen  inneres  durch 
einen  türlosen  querwall  —  ganz  nach  art  der  aussenwände 
hergestellt,  in  der  regel  aber  wol  etwas  niedriger  als  diese  — 
in   zwei    ungleich    grosse   räume   geteilt   wird:    1)  langraum, 


')  S.  Müller  II 178. 
2)  S.  karte  1. 


DKH    GERM  \\is<  in:    i  EMP1  i  I  1 

2)  afhüs.    Die  ecken  des  baues  sind  nicht  lern  mehr 

oder  weniger  stark  abgerundet,  and  zwai  sdieälti 

tempel  die  stärkste  eckenrundnng  aufweisen,  die  entwicklung 
aber  immer  mehr  zur  reinen  rechteckform  strebt,  d 
nichl  ganz  erreicht  wird.  Besonders  stark  ist  zuweilen  die 
rundung  an  der  giebelseite  des  afhüs,  die  sich  mitunter  der 
halbkreisform  nähert;  in  diesem,  falle  findet  bisweilen  zugleich 
eine  geringe  verschmälerung  des  baues  nach  dieser  Beite 
hin  statt. 

In  bezug  auf  diese  äussere  form  repräsentieren  die  tempel 
von  Ljärskögar  (einer  der  ältesten  tempel:  relativ  stärkste 
rundung  der  ecken,  halbkreisähnliche  form  des  afhüs,  ver- 
schmälerung  nach  dem  afhüs  hin)  und  Rütsstaöir  (ein  sehr 
junger  tempel:  sehr  regelmässiges  rechteck  mit  ganz  geringer 
eckenrundung)  die  beiden  pole,  zwischen  denen  die  grund- 
formen  der  übrigen   tempel  schwanken.    Ein  zufall   ftigl 

'lies»-  beiden  pole  der  vorliegenden  entwicklung  in  näcl 
nachbarschafl  bei  einander  liegen.1) 

ihrer  heutigen  anläge  nach  scheinen  Bich  «-i n i tr» -  ruinen 
nicht  in  diesen  rahmen  einfügen  zu  lassen:  <  |  i  thliti  (no.  12), 
,;i  Freysnes  (no. 32),  ,i  Sseböl  (no.  13),  o*)  Bofstadir  i  borsk. 
(no.  l  h. 

.  |  Die  ruine  in   UthliÖ  besteht  heute  aas  3  teilen:  _  etwa  \ 
geri<  hteti  d  g<  bänden  ;i  and  b  (a  das  kl<  inere)  and  einem  ö.  au  b  . 
qoadratformigen  bau  c  mit  Btark  gerundeten  ecken.    Jeder  bau 
eigenen  eingang,  a  im  Bttden,  b  and  c  im  aorden.    Brynjülfur  J< 
richtet*),  daa  ii  andc  nicht  darch  eine,  sondern  durch  zwei  trennt 

■  inst  zwischen  beiden  ein  -  aum  blieb;  zw  i 

a  uii'i  en  scheine  dieselbe  Zwischenwand  vorauliegi 

•Ii  r  einseinen  rninenteile  i-t  verschieden  versucht  worden.    Brjrnjälfui 
-"ii   selbsl  hält   c  für  den  'veizlusalr',   I»  für  da« 
t * ■  ii i j = *  dann  mit   a  nichts  re<  i .' 

Kälnnd  '»  mit ,  dass  man  'Ii' 
alten  tempelbau  ansieht 

den  bis! 
kaum  ein  ine  aufzul 

Brynjalfur  Jon  In  nur  dar«  I. 

•  n  und   repi  reu  dt  d   alten  I 

1 1.  Bi  nun  vi  rmatel  ') 

karte  i  and  •_'. 
I  XIL 1  '    Braun  -  L' 


42  THÜMMEL 

den  langraum.  Der  bau  c  ist  ein  (vielleicht  secundärer)  besonderer  bau  in 
geringem  abstand  vom  tempel.  —  Diese  auffassung  wird  bestätigt  durch 
einen  antiquarischen  bericht  aus  dem  jähre  1817  *);  der  pfarrer  von  ÜthliÖ 
betrachtet  da  offenbar  nur  die  kleine  längliche  ruiue  (a  +  b)  als  teinpel- 
ruine,  den  quadratischen  bau  dagegen  als  'domring'.  Diese  bemerkung  legt 
zugleich  eine  lösung  der  frage  nach  der  art  des  baues  c  sehr  nahe.  Bei 
dem  erigen  Zusammenhang  zwischen  tempel-  und  dingstätten2)  hat  in  der 
tat  diese  auffassung  grosse  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  zumal  sie  gestützt 
wird  durch  diesen  älteren  bericht.  —  Es  ist  kaum  zweifelhaft,  dass  wir  hier 
den  alten  tempelbau  des  aus  der  Njäla  bekannten  Goden  Geirr  vor  uns  haben. 

ß)  Die  ruine  von  Freysnes  weicht  insofern  von  der  typischen  anläge 
ab,  als  der  langraum  selbst  wider  durch  eine  relativ  sehr  schmale  Zwischen- 
wand zweigeteilt  ist,  die  in  der  mitte  türen  hat.  Bei  der  Unsicherheit, 
mit  der  wir  der  frage  nach  der  echtheit  dieser  ruine  gegenüberstehen,  ist 
es  nicht  angängig  zu  entscheiden,  ob  hier  eine  abweichung  vom  typus  oder 
eine  secundäre  anläge  oder  überhaupt  kein  alter  tempel  vorliegt. 

y)  und  6)  erwecken  ganz  besonderes  interesse,  weil  sie  wegen  ihrer 
abweichenden  anläge  eine  so  eigenartige  Sonderstellung  einnehmen,  dass  im 
anfang  wol  zweifei  über  ihre  echtheit  aufkommen  müssen.  Die  erste  (y) 
ist  von  SigurÖur  Vigfüsson  genauer  untersucht  worden,  während  die  zweite 
(6)  bei  Kälund  lediglich  ihrer  anläge  nach  kurz  beschrieben  ist  [doch 
weisen  beide  ruinen  in  allem  eine  derartige  Übereinstimmung  auf,  dass  über 
ihre  enge  Zusammengehörigkeit  kein  zweifei  bestehen  kann].  Bei  diesen 
beiden  tempelruinen  liegt  der  eigenartige  fall  vor,  dass  die  beiden  räume 
des  tempelinnern  als  zwei  selbständige  gebäude  nebeneinander  bestehen: 
1)  der  eigentliche  tempelbau  (das  sonstige  afhüs)  liegt  in  der  mitte  einer 
einhegung,  2)  dicht  dabei  der  'veizluskäli'. 

y)  In  Ssebol  fand  SigurÖur  Vigfüsson  1882  eine  sehr  grosse  länglich- 
viereckige ruine,  in  geringem  abstand  (3,5  in)  davon,  parallel  zu  den  lang- 
seiten,  eine  quadratische  einhegung,  in  deren  mitte  wider  konzentrisch  eine 
zweite,  ziemlich  kleine  ruine  von  annähernd  quadratischer  form. 3)  Auf  grund 
von  grabungen  im  fussboden  beider  gebäude  sprach  Vigfüsson  die  ansieht 
aus,  dass  hier  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  das  eingehegte  'hof  und  der 
'veizluskäli'  jenes  porgrimr  Freysgoöi  gefunden  seien,  der  in  der  Gislas. 
Sürss.  widerholt  erwähnt  wird.  —  Weitere  forschungen  im  jähre  1888 4) 
erhöhten  die  Wahrscheinlichkeit  dieser  annähme;  namentlich  stellte  sich 
dabei  heraus,  dass  sich  für  diese  beiden  ruinen  in  der  tat  die  bezeichnungen 
'hof  und  'skäli'  eine  reihe  von  geschlechtern  zurückverfolgen  lassen. 

Auf  grund  dieser  ergebnisse  kann  kaum  mehr  ein  zweifei  darüber 
walten,  dass  hier  eine  echte  tempelanlage  vorliegt,  umsomehr  als  eben 
dieser  ort  wirklich  einst  tempelstätte  und  zwar  der  ort  für  den  haupttempel 
im  Godord  des  porgrimr  Freysgoöi  gewesen  ist,  wenn  auch  der  tempel 
selbst  in  der  saga  nicht  genannt  wird. 


!)  Kai.  1 168,  not.  1. 

2)  S.  unten  II.  B)  g).  3)  S.  karte  2. 

4)  Arb.  '92, 133  ff. 


DER    GERMANISCHE    TEMPI  i. 

<»)   Die  tempelrnine  in  Hofstaöir  i  porsh    /■ 
sprechende  anläge:  in  <I.t  nähe  des  gehöfta  liegt  ein  runder  flacher  I 
der  den  charakteristischen  namen  'Hofhöll   trägl   and  snf  seinem 
offenhar  einst   von  einer  kreisförmigen  einhegnng  nmgeben  war.    lütten 
in  diesem  sann  liegt  eine  länglich-viereckige  rnine.    Am  I 
mit  einem giehel  nach  ihm  hingewant,  liegt  parallel  za  jener  eine  zu 
grössere  länglich-viereckige  rnine;  « l  i  *  *  — ■  -"11  einst  der  'veizlnskali 
sein.       I>i"  charakteristische  httgellage  der  rnine,  'li.'  Ortsnamen,  -li.-  dem 
tempel  von  Sseböl  so  ähnliche  anläge  and  .li"  tatsache,  d 
wirklich  einst  tempelstätte  gewesen  i-t,   machen  es  höchst  wahrscheinlich, 
ja  sich,  r .  rlass  hier  <li''  rainen   jenes  tempels   gefunden  sind,  den   einst 
Ballr,  der  erste  bewohner  dieses  gehöftes,   hier  errichtete    (Gnllp 
Kaurer  b,  12). 

Aller  wahrscheinlichkeil  nach  i-t  diese  eigi  nartige  anlaf  tnf  an- 

gleichzeitige entstehang  znrückzaführen,  and  zwar  ist  das  afhüs  entschieden 
das  primäre.  Ein  langraum  ohne  afhüs  erscheint  völlig  zwecklos,  das  um- 
gekehrte  dagegen  Behr  wol  verständlich. 

Es  sind  verschiedene  versuche  gemacht  worden,  eine 

1   für  die  läge  des  afhüs  zum  langraum  zu  construieren. 

Raubte  Nicolaysen1)  im  anschluss  an  seine  annähme  von 
der  0. — W-richtung  der  tempel,  d;iss  das  afhus  -t «t s  deD  ö. 
teil  des  ganzen  gebäudes gebildet  habe;  doch  fällt  die  berech- 
tigung  dieser  ansieht  schon  durch  die  tatsache,  dass  eine  <  >.  W.- 
richtung  der  tempel  nicht  als  rege]  betrachtet  werden  darf.') 
Siguröur  Vigfusson3)   wider  meinte,    das  afhüs  habe   in  der 

',  zur  rechten  des  häuptlings  gelegen,  welcher  im  hochsitz 
des  langraumes  sa>s;  er  deutet  nämlich  das  'innar'  der  Eb.4) 
in  diesem  sinn»-  —  entschieden  irrtümlich;  denn  offenkundig 
bezeichnet  dieses  wort  ebenso  wie  Bein  positiv  'uro'  Btets  eine 
bewegung  vom  haupteingang  hinweg5),  wie  umgekehrt  ' üt.u  ' 
=  mich  der  tttr  hin.  'ütarliga'  uaheandertttr  bedeutet*) 
I  »rr  irrtum  in  Vigfussons  meinung  zeigt  Bich  auch  bei  betrach- 
tung  einiger  tempelruinen,  wie  Bersatunga  (no.' 
(no.9),  Bof  i  Vapn.  (no.  1 1  >,  8andl83kr  (no,  21  .  Fn 
hei  denen  da-  afhüs  sicher  link-  von  dem  im  hochsitz  Bitzenden 

Bist  Tidsskr.  410. 

')  All..  -M.-  10 

mit.  n   II.  t  . 

•i  VgLQufim.88;  L  mos,  Priöpj  - 
,  Larzson,  ebda,  n,  no1  . 


1  I  THÜMMEL 

gelegen  hat,  da  doch  der  hochsitz  gewiss  nie  auf  der  langseite 
gestanden  hat,  in  welcher  der  haupteingang  lag. 

Eine  gesammtbetrachtung  der  tempelruinen  ergibt  folgendes 
für  die  läge  des  afhüs  (soweit  sich  hierüber  angaben  in  den 
berichten  finden): 

a)  im  0.  bei  den  ruinen  110.  2.  3.  4.  9.  15.  21  (32);   —   b)  im  W.  bei 
no.7.  8;  —  c)  im  S.  bei  no.  12.  20;  —  d)  im  N.  bei  no.  5.  23. 

Diese  Zusammenstellung  zeigt,  dass  die  ostlage  nicht  einmal 
bei  den  ruinen  durchgeführt  erscheint,  welche  die  0. — W.-rich- 
tung  besitzen.1)  Das  relativ  vorhersehende  auftreten  der  ostlage 
ist  —  ganz  wie  dies  schon  von  der  O.—W.-richtung  der  ruinen 
galt  ■ —  entweder  zufall  oder  vielleicht  ein  argument  für  das 
einstige  bestehen  eines  solchen  brauches  in  ältester  zeit.2)  — 
Eine  allgemeine  regel  lässt  sich  auch  hier  wider  nicht  auf- 
stellen; in  erster  linie  waren  eben,  zumal  bei  der  hügellage 
der  tempel,  die  örtlichen  Verhältnisse  ausschlaggebend. 

Eine  besondere  regel  für  die  läge  des  afhüs  scheint  dagegen 
in  den  fällen  befolgt  worden  zu  sein,  wo  der  tempel  nicht  auf 
ebener  grundfläche  stand.  Nicht  immer  wird  ein  berg,  hügel 
oder  abhang,  die  man  ja  gern  als  tempelstätte  wählte3),  einen 
ebenen  platz  geboten  haben,  auf  dem  der  tempel  erbaut  werden 
konnte.  Häufig  wird  der  tempel  auf  schiefer  ebene  errichtet 
worden  sein.  Es  scheint  nun,  als  ob  in  diesem  falle  das  afhüs 
gewöhnlich  den  oberen  teil  des  ganzen  baues  gebildet  hat. 
Eine  derartige  läge  findet  sich  wenigstens  bei  den  ruinen 
no.  1.  2.  4.  6.  11.  5,  und  im  letzten  falle  berichtet  Siguröur 
Vigfüsson,  dass  er  die  erhöhte  läge  des  afhüs  widerholt  beob- 
achtet habe;  für  die  umgekehrte  läge  auf  schiefer  ebene  da- 
gegen wird  in  den  berichten  kein  fall  erwähnt.  —  Die  läge 
des  afhüs  am  oberen  ende  erscheint  auch  sehr  zweckmässig, 
da  auf  diese  weise  die  opferversammlung  die  Vorgänge  im 
afhüs  sehr  gut  verfolgen  konnte. 

g)  Grössen  Verhältnisse.  Wirklich  zuverlässige  angaben 
über  die  grosse  der  alten  tempel  können  nur  die  ruinen  liefern, 
deren  Untergrund  genügend  ausgegraben  ist,  um  die  äusseren 
umrisse  deutlich  erkennen  zu  lassen.  Die  scheinbare  aus- 
dehnung  der  zusammengesunkenen,  grasüberwucherten  ruinen 

J)  S.  s.  26.  2)  S.  s.  27.  3)  S.  s.  22. 


DKB    GEBMANISCHE    TEMPEL.  45 

täuscht  mitunter;  in  der  rege]  erweisen  sie  Bich,  Bobald  die 
grundsteine  gefunden  Bind,  grösser  als  sie  vorher  schienen,  da 
die  wände  beim  zusammenfallen  nach  innen  stürzen.  Das 
beweisen  zahlreiche  Irrtümer,  die  ersl  durch  genauere  grabungen 
richtig  gestellt  wurden.  So  erwies  Bich  die  raine  zu  Lundr 
etwa  4m  länger  als  man  vorher  vermutet  hatte1);  aus  eben 
diesem  gründe  gibt  Eälund  widerholt  erheblich  kleinere  n 
für  die  ausdehnung  als  Vigfusson  nach  der  ausgrabung  (z.  b. 
bei  no.  1  u.  a.). 

In  der  folgenden  Übersicht  über  die  masse  einzelner  tempel- 

ruinen  sind  deshalb  in  erster  linie  die  in  den  Ärb..  vereinzelt 
auch  die  in  Brunns  werk  gemachten  angaben  über  ausgegrabene 
ruinen  zu  gründe  gelegt,  im  ersten  lalle  ohne  besonderen 
verweis.  Eälunds  angaben  sind  nur  in  den  wenigen  fällen 
herangezogen,  in  denen  die  andern  quellen  versagen;  in  solchem 
falle  liegt  daher  immer  die  möglichkeit  nahe,  dass  die  werte 
zu  klein  angegeben  sind. 

Die   zahlen   sind  sämmtlich   auf  das  meter  bezogen   (in 
parenthese  die  anzahl  der  dänischen  fuss)  und  als  aussenm 
zu  verstehen.   —    In  der  gesammten  anordnung  ist  die  >.  6  ff. 
aufgestellte  tabelle  zu  gründe  gelegt 


=  langranm  +  afhüs 

gesainiiitr  lange 

iy-  bifl  zur  mit  • 
querwalls) 

bn 

1) 

;l 

1.  Iiyiill 

17,9   (57) 

L2,6                      L7  1 

•  17) 

'J.  Lj&nkögar 

27,6   (88) 

10,7   (64 

il)  (ah  der 

br.it. 

::.  RütsstaSir 

(60) 

L0,4 

4.  Seljaland 

24,2 

19,5 

.*>   I.uiiilr 

22,6   (72) 

14,1 

6.  BöfW 

19,8   (63 

11.:: 

b) 

7.  !;•  rsatnnga 

it.:: 

>)   AT. 


46 


THUMMEL 


gesammte  länge 

=  langraum  +  afhüs 

(je  bis  zur  mitte  des 

querwalls) 

breite 

8.  Hof  ä  R. 

9.  Hofteigr 

15    (48) 

42    (135) 

grösste  länge 

9,7  4-5,3   (31  +  17) 
32  +  10   (103  +  32) 

.5,6    (18) 
10,7    (34) 

10.  Aöalbol1) 

11.  Hof  i  Väpn. 

12.  Üthliö  (Brunn) 

[12,6    (40)] 
37,7    (120) 
22    (70) 

25,1  +  12,6  (80  +  40) 

ca.  10,7    (34) 
10   (32) 

c) 

13.  Steböl 

14.  HofstaÖir  i  ]>. 

(Kai.) 

a)  hof:  7,1   (22,5) 

/?)hofgarÖr:14(45) 

y)  skäli:  30,8  (98) 

ß)  7,5  (24) 

ß)  durchm.  18  (60) 

y)  18,8   (60) 

«)6,6    (21) 
ß)  14    (45) 
7)  12    (38) 
a)  4,7    (15) 
/?)durchm.  18(60) 
y)5    (16) 

2) 
a) 
15.  BrüsastaÖir 

19.  Hof  i  Dyr. 

20.  Hofstaöir  i  Bl. 

18,8    (60) 
10,7    (34) 
20,7    (66) 

30,1    (96) 

14,1  +  4,7    (45  +  15) 
4,7 +  62)    (15  +  19) 

17,9  [9,4  +  8,5]  + 12,2 
([30 +27] +  39) 

14,1    (45) 

4   (12,5) 

9    (28—30) 

32.  Freysnes 

7,2    (23) 

Der  Vollständigkeit  halber  seien  schon  hier  (nächste  seite 
oben)  die  masse  jener  ruinen  angefügt,  die  als  einstige  'hcrgar' 
in  frage  kommen. 

Es  war  von  vornherein  anzunehmen,  dass  die  ausdehimng 
der  einzelnen  tempel  eine  sehr  verschiedene  gewesen  ist;  in 
jedem  einzelnen  falle  galt  es,  den  localen  bedürfnissen  rechnnng 
zu  tragen.    Diese  erwartnng  wird  auch  durch  die  vorstehenden 


J)  Sehr  undeutlich. 

2)  Der  einzige  fall,  wo  das  aflms  grösser  erscheint  als  der  langraum. 


DEN    GKUMANISCHK    l  1  Ml'KI,. 


i; 


-    lai    ■ 

gesammte  län 

(je  iiis  zur  mitte  des 

ijiHiw.iINi 

breite 

68 

Hörgsholl 

5,3    (17. 

i.c, 

69. 

Ytri-Fagradalr 

ca.  11,3   (86) 
durchmesst  t 

70. 

[  Ilvaimiir) 

9,4    (30) 
durchmesse! 

71. 

Bringholl 

inhegung: 
28   (90) 
ß)  bau:  !'.  1    (30) 

ß)  ?  [schmal] 

72. 

Hürgsdalr 

13,2   (42) 

7.!i                     -  17) 

to 

(innenmasse): 

9,7   (31) 

6,3      3,4  (20 

zahlen  bestätigt.  —  Gleichzeitig  wird  man  aber  auch  ver- 
muten dürfen,  dasa  jene  haupttempel,  welche  ja  öffentlichen 
zwecken  dienten,  im  allgemeinen  grösser  gewesen  seien  als 
die  privattempel,  die  für  einen  ?iel  beschränkteren  kreis  be- 
rechnet waren  nicht  so.  als  ob  jene  tempel  gleich  bei  der 
ansiedehm-  des  betreffenden  besitzers  ans  dem  gründe  grö 
eingerichtet  wurden,  weil  sie  als  haupttempel  dienen  Bollten 
(die  einrichtung  der  haupttempel  erfolgte  ja  61*81  am  Bchluss 
der  besiedelungsperiode),  doch  werden  wo!  diejenigen  männer, 
welche  so  mächtig  und  angesehen  waren,  di 
langen,  in  der  rege!  auch  einen  tempel  besessen  oder  dann 
wenigstens  eingerichtet  haben,  der  den  anforderungen  an  einen 
haupttempel  genügte,  Es  erscheint  deshalb  zweckmässig,  die 
vorliegenden  grössenverhältnisse  unter  d  richtspunkte 

zu  betrachten.  Soweit  es  möglich  ist,  die  einzelnen  tempel 
nach  ihrem  privaten  oder  öffentlichen  Charakter  zu  trennen, 
und   soweit    ihre    masse   zuverli  Ibt    sich 

Märende 


48 


THUMMEL 


hau 

pttempel 

privattempel 

a)  länge  : 
breite 

b)  afhüs- 
länge 

a) 

b) 

2.  Ljärskogar 

27,6  :  14 

10,7 

1.  pyrill 

17,9  :  5,3 

5,3 

9.  Hofteigr 

12  :  10,7 

10 

3.  Rütsstaöir 

18,8  :  6,3 

8,4 

11.  Hof  i  Vapn. 

37,7  :  10,7 

12,6! 

7.  Bersatunga 

11,3  :  7,5 

ca.  4 

12.  Üthliö 

24,5  :  10 

13.  Ssebol1) 

38  :    ? 

7,1 

23  Hof  i  Vd.2) 

31  :    ? 

Diese  Zusammenstellung  bestätigt  trotz  ihres  geringen 
umfangs  die  ausgesprochene  erwartung.  Während  die  vor- 
stehenden haupttempel  eine  durchschnittliche  länge  von  ca. 
30  m  aufweisen,  ergibt  sich  für  die  nebenverzeichneten  privat- 
tempel eine  solche  von  nur  15  m.  Man  ist  daher  aus  all- 
gemeinen erwägungen  wie  nach  dem  ergebnis  dieses  wenn 
auch  geringen  statistischen  materials  zur  aufstellung  der  regel 
berechtigt,  dass  im  allgemeinen  die  haupttempel  erheblich 
grösser  gewesen  sind  als  die  privattempel.  —  Natürlich  haben 
auch  ausnahmen  von  dieser  regel  bestanden.  Es  hat  selbst- 
verständlich erheblich  kleinere  haupttempel,  andererseits  er- 
heblich grössere  privattempel  gegeben  als  die  vorstehenden 
betreffenden  durchschnitte.  Dafür  spricht  auch  die  vorhin 
gegebene  gesammtübersicht,  in  der  widerholt  tempel  mit  einer 
zwischen  15  m  und  30  m  liegenden  längsausdehnung  auftreten. 
In  erster  Knie  haben  eben  immer  die  besonderen  localen  Ver- 
hältnisse den  ausschlag  für  die  grosse  des  tempels  gegeben. 
Im  allgemeinen  haben  diese  aber  im  sinne  der  ausgesprochenen 
regel  gewirkt. 

Ueberblicken  wir  ganz  allgemein,  d.  h.  abgesehen  von  dem 
eben  erörterten  artenunterschied,,  die  grossen  Verhältnisse  der 
einzelnen  ruinen,  so  ergibt  sich:  a)  eine  durchschnittliche  länge 
von  16—22  m.    In  sehr  erheblicher  weise  überschritten  wird 


J)  Die  beiden  getrennten  gebäude   sind   als   nebeneinander  stehend 
gedacht.  '-')  S.  unten  II.  1). 


DEB    GERMANISt  HE    I  KMPEL.  19 

dieses  inass  von  den  beiden  ruinen  Hofteigr  und  Hol  i  Väpn 
izwei  haupttempel!);  auf  der  andern  seite  bleibt  eine  ruine 
stark  anter  diesem  durchschnitt:  Bersatunga1)  (privattempel!); 
b)  eine  durchschnittliche  breite  von  8  m. 

Für  durchschnittliche  grössenverhältnisse  beträgl  die 
breite  etwa  ein  drittel  der  gesammten  tempellänge,  in  der 
regel  etwas  mehr.  Für  aussergewöhuliche  Längenmasse  kann 
diese  regel  nicht  in  betracht  kommen,  da  man  (Wr  breite  eine 
gewisse,  aus  bautechnischen  gründen  gebotene  grenze  i  gezogen 
hat,  die  länge  aber  beliebig  wachsen  kann. 

Wenden  wir  uns  nun  an  der  liand  unserer  masstabelle 
einer  gesonderten  betrachtung  der  beiden  tempelräüme  zu: 

1)  Das  afhüs.  Aus  der  übersichi  über  die  grössenverhält- 
nisse heutiger  ruinen  geht  deutlich  hervor,  dass  jener  räum, 
in  dem  die  altäre  und  götterbilder  standen  und  der  tempel- 
priester  die  heiligen  Opferhandlungen  vollzog-,  kleiner  gewesen 
ist  als  der  zur  abhaltung  der  opferschmäuse  bestimmte  lang- 
raum.  Diese  tatsache  erscheint  schon  durch  den  namen  an- 
gedeutel  und  auch  durchaus  natürlich  bei  der  specifischen 
bestimmung  des  einzelnen raumes.  I>as  afhüs  isl  somil  Inder 
regel  kürzer  als  die  halbe  tempellänge.  Nur  in  einem  einzigen 
falle  (110.  19)  scheint  dies  nicht  durchgeführt.  Während  näm- 
lich hier  das  afhüs  völlig  den  durchschnittlichen  Verhältnissen 
entspricht,  ist  der  langraum  ca.  ■'•  i  m  kürzer,  besitzt  also  eine 
relativ  recht  geringe  ausdehnung;  es  ist  denn  auch  der  kürzeste 
der  in  der  tabelle  verzeichneten  tempel.  Vielleicht  würde  eine 
genaue  grabung  nach  dem  fundaraent  dieser  nicht  näher  unter- 
suchten ruine  eine  modification  ihrer  masse  ergeben. 

In  den  meisten  fällen  ergibt  sich  rnr  das  afhüs  eine  li 
die  etwas  grösser  ist   als  ein  drittel  der  gesammten  tempel- 
länge.   Da   wir   das  gleiche  mass   schon   für  die  breite  des 
tempela   feststellten,  so   folgt,   dass  das  afhüs   in  der 
Quadratähnliche  tonn  annimmt    Dies  lässt  sich  denn  auch  bei 
fasl  allen  ruinen  beobachten,  deren  afhnslänge  näher  bestimmt 

')  abgesehen  ron  der  noch  kleiner  erscheinenden,  aber  nicht  . 
nntersachten  rnine  no.  19  (die  in  wirklichkeil  vielleicht  <■< 
rgl,  ■.  l.">). 

•,  \.  faeeon  4rb.  98  7    Nl  olejten,  HistTidsiki  4 1  *j  i 

r.citi«^e  im  getchicbi  LXV.  , 


50 


THUMMEL 


ist.  Sehr  rein  finden  wir  diese  form  des  afhüs  bei  den  riünen 
no.  1.  5.  8.  9.  13,  weniger  genau  bei  3.  4.  6.  11.  12.  17.1) 

Die  grosse  des  afhüs  bei  den  einzelnen  tempelruinen  zeigt 
keine  sehr  erheblichen  massunterschiede.  Seiner  ganzen  eigen- 
art  nach  wird  dieser  räum  eine  einigermassen  constante  aus- 
dehnung  besessen  haben;  denn  der  umfang  der  durch  den 
goden  vorgenommenen  Opferhandlungen  wechselte  an  den  ein- 
zelnen tempelstätten  im  allgemeinen  kaum  derartig  stark,  dass 
grosse  unterschiede  dadurch  bedingt  waren.  —  Aus  der  Zu- 
sammenstellung auf  s.  48  geht  hervor,  dass  das  afhüs  der  dort 
verzeichneten  haupttempel  die  relativ  grössten  masse  aufweist, 
während  bei  den  privattempeln  das  relativ  kleinste  mass  ver- 
treten ist,  ein  unterschied,  der  dadurch  begründet  erscheint,  dass 
im  allgemeinen  die  opferhandlungen  in  haupttempeln  in  etwas 
grösserem  stile  vorgenommen  wurden  als  in  privattempeln. 

2)  Der  langraum.  Seine  grosse  wechselt  bei  den  ver- 
schiedenen tempelruinen  in  ziemlich  freier  weise;  sie  ist  immer 
bedingt  durch  die  anzahl  der  tempelbesucher. 

Die  ziemlich  beträchtlichen  aussenmasse  verlieren  insofern 
stark  an  praktischer  bedeutung,  als  ihnen  gegenüber  die  für 
die  raumverhältnisse  ausschlaggebenden  innenmasse  infolge  der 
erheblichen  dicke  der  mauern2)  einigermassen  reduciert  er- 
scheinen. Besonders  bemerkbar  macht  sich  dies  bei  kleineren 
tempeln,  da  die  mauerdicke  bei  geringerer  ausdehnung  nicht  ent- 
sprechend abnimmt,  sondern  ungefähr  constant  ist.  Soweit  sich  aus 
den  berichten  die  innenmasse  feststellen  lassen,  sind  es  folgende: 


110. 

a)  gesammte 

länge  (incl. 

tiiienvall) 

=  langraum 
+  afhüs  (je 
bis  zur  mitte 

des 
querwalls) 

b)  breite 

a) 

b) 

1. 

[15  m] 

[11,2  +  3,8] 

[2,3] 

7. 

[6,8] 

t  [4,5] 

2. 

24,2 

15,2  +  9 

12 

8. 

[10,5] 

[7,4  +  3,1] 

[2,6] 

3. 

16.2 

9,1  +  7,1 

3,7 

9. 

[35] 

[28,5  +  6,5] 

[7,7] 

5. 

19,4 

12,5  +  6,9 

5 

11. 

[33,2] 

[22,8+10,4] 

[7,7] 

6. 

15 

[ohne  querw.J 

8,8  +  6,3 

6,7 

49. 

7,5 

5,6 

')  S.  die  vorhandenen  risse. 


a)  S.  s.  31. 


DEB    GERM  INI8CHE    i  BMPEL.  51 

In   Eingänge.    Die  untersuchten  tempelruinen  bähen  alle 
ohne  ausnähme  zwei  eingänge,  und  zwar  bat  jeder  der  beiden 
tempelräume  seinen  besonderen  eingang,  da  der  querwall  im 
innerD  des  tempels  charakteristischerweise   nie  eine  tttr  auf- 
weist   und    somil    beide   räume   völlig   von   einander   trennt 
Siguröur  \  igfüsson  vermutet  zwar  an  der  ruine  von  Ljärskl 
noch  eine  dritte,   wenn  auch  kleinere  tür  im 
raumes    und    erklärt    ihr   Vorhandensein    aus   dei 
baues1);  wahrscheinlich  aber  ist  die  betreffende  Öffnung  in  der 
mauer,  wie  es  auch  den  anschein  hat,  vom  wasser  ausgewaschen 
und  nicht  eine  alte  tür.    Selbst  bei  weit  >n  ruinen  sind 

bloss  zwei  eingänge  da. 

Mit  Sicherheit  festzustellen  ist  die  läge  >\<r  beiden  eing 
nur  noch   bei  den  ruinen   no.  1.  2.  •">.  ."».  6.  7.  9.  11.  L2  (nicht 
recht  deutlich).  r>.  L9.  32. 

Dil    läge  der  beiden  türen  kann  nun  zweierlei  art  Bein: 

1)  Beide  türen  in  einer  der  beiden  langwände:  im.  l.  6. 
7.  9.  11.  L5.  L9.  32.  —  lud  keiner  ruine  fanden  sich  die  türen 
auf  verschiedenen  Seiten,  stets  in  »du  und  derselben  langwand. 
Die  läge  in  einer  der  beiden  langwände  kann  widerum  eine 
doppelte  sein:  a)  jede  in  der  nähe  der  giebelecke  des  betref- 
fenden raumes  —  also  ganz  entsprechend  der  beschreibung 
de>  tempels  von  Eofstaöir  a"  p.  (no.37)  in  der  Eb.:  'a*  blii 
ginum  um  r  oörum  endanum'  —  eine  von  beiden  wol  auch  in 
der  giebelecke  selbst  (no.  1.  9.  11».  in  Eine  von  beiden 
mitunter  in  nächster  nähe  des  querwalls  (no.  6.  7.  15.  l" 
dasselbe  auch  bei  8  und  21,  wo  diese  Lue  drr  einen  tttr  noch 
zu  erkennen  «rar). 

2)  Mine  der  beiden  türen  in  der  mitte  einer  giebelwand 
(also  direel  gegenüber  dem  inneren  querwall),  die  ander« 
einer  langwand  in  nächster  nähe  des  andern  giebels.  a)  Bei 
den  ruinen  3.  5.  12  ist  die  tür  des  langraumes  in  der  mitte 
von  dessen  giebelwand,  die  afhüs-tür  in  einer  langwand  gleich 
beim  afhüs-giebel   (das  gleiche  wo)   auch   bei  der  ruine  - 

an  der  man  nur  noch  undeutlich  die  tür  des  langraumes 
stellen  konnte).        b)  Bei  der  ruine  no.  2  ist  das  tiend 

umgekehrte  der  Call. 


52  THÜMMEL 

Niemals  liegen  die  beiden  eingänge  einander  gegenüber, 
d.  h.  weder  sind  a)  beide  türen  in  der  mitte  der  giebelwände, 
noch  ß)  beide  in  verschiedenen  langwänden.  Die  Vermeidung 
dieser  anläge  hat  wahrscheinlich  ihre  Ursache  in  der  prak- 
tischen erwägung,  starken  luftzug  zu  verhindern,  der  zumal 
bei  der  erhöhten  läge  der  tempel  gewiss  oft  störend  ge- 
wirkt hätte. 

i)  Tempelzaun.  An  alten  tempelstätten  begegnen  wider- 
holt raseneinhegungen,  welche  die  heutigen  tempelruinen  um- 
geben bez.  einst  den  tempel  umschlossen  haben  sollen  und  in 
derselben  weise  aufgeführt  sind  wie  die  mauern  des  tempel- 
baus  selbst.  Ganz  deutlich  zeigt  sich  dieser  tempelzaun  bei 
den  beiden  ruinen  in  Ssebol  (no.  13)  und  Hofstaöir  i  p.  (no.  14). 
Bei  beiden"  ist,  wie  wir  sahen ').  der  eigentliche  tempelbau  von 
einem  zäun  umgeben,  der  in  Sa?böl  die  ruine  concentrisch 
umschliesst,  also  gleich  dieser  quadratische  form  aufweist, 
während  er  in  Hofstaöir  i  p.  nach  Kälunds  bericht  kreisförmig 
den  länglich  -  viereckigen  bau  umgibt.  Mit  Sicherheit  ist  ein 
solcher  zäun  ferner  noch  festzustellen  bei  den  ruinen  in  Höföi 
(no.6;  viereckig)2),  Hofstaöir  i  Bl.  (no.  20:  offenbar  viereckig)3), 
Hof  i  Yd.  (no.  23;  sehr  dick,  kreisförmig)4),  Hof  i  Sv.  (no.  41; 
kreisförmig)5),  Hof  ä  Sk.  (no.  50;  kreisrund)0),  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  auch  noch  in  Hofstaöir  auf  pörsnes  (no.  37; 
viereckig)7),  Melstaör  (no.  49;  kreisförmig) s),  Störi - Langidalr 
(no.  55;  kreisförmig)9);  die  gleiche  Überlieferung  knüpft  sich  an 
zaunruinen  in  Knappstaöir  (no.39)Ul)  und  Hofgaröar  (no.  47). ") 

Der  tempelzaun  zeigt  also  teils  kreisform,  teils  wie  der 
tempelbau  selbst  die  rechteck-  bez.  quadratform,  doch  muss 
auch  hier  bemerkt  werden,  dass  die  kreisähnliche  form  sehr 
wol  mitunter  nur  eine  scheinbare,  in  Wirklichkeit  viereckige 
sein  kann.12)    Diese  Vermutung  wird  wider  bestätigt,  dadurch 


')  S.  s.42.  43. 

2)  Kai.  I  577. 

a)  Ebda.  II  76.  s)  Ärb.  '92, 122.  '95,  4. 

5)  Kai.  II  99.  G)  Ebda.  56. 

7)  Ärb.  '82,  96  (s.  zeiclmimg),  Käl.  I  437. 

8)  Ärb.  '95, 13.  9)  '97, 14. 

10)  Käl.  1411.  ")  Ebda.  II  89. 

12)  Vgl.  s.  34. 


DEH    GERMANISCHE    1  IM  II  l. 

dass  Kälund  den  auf  pörsnes  erhaltenen  zaunresl  als  halbkreis- 
förmig bezeichnet,  während  nach  der  Zeichnung  in  der  Ärb. 
kein  zweifei  über  seine  einstige  rechteckform  Bein  kann. 

Die  jeweilige  grosse  des  bempelzaunes  Ist  natürlich  in 
erster  linie  bedingt  dnrch  die  gri  betreffenden  tempels, 

in  zweiter  linie  durch  den  abstand  von  diesem,  der  sich  nur 
zum  teil  nach  der  grosse  des  tempels  gerichtel  haben,  viel- 
mehr einigermassen  constant  gewesen  sein  wird.  Leider  finden 
sich  in  den  berichten  nur  sehr  spärliche  angaben  äbi  r  diesen 
punkt.  Mit  den  angaben,  dass  die  kreisförmige  zaunruine  in 
Bielstaör  (no.  49)  einen  dnrchmesser  von  37,6  m,  der  halbkreis- 
förmige rest  in  Störi-Langidalr  (no.  55)  einen  solchen  von  12  m 
hat.  ist  wenig  anzufangen.  Genaueres  erschliessen  lü^st  sich 
ans  Siguröur  Vigfussons  bericht  über  die  tempelanlage  in 
Saeböl  (no.  L3)  und  wol  auch  aus  Kälunds  angaben  aber  die 
ruineii  in  Hofstaöir  i  p.  (no.14),  Hut  i  8v.  (no.41)  und  Hof  ä 
Sk.  ino.  50).  —  In  Saeböl  beträgt  die  äussere  Länge  j<'d-r 
teinnelmauer  7  in,  die  äussere  länge  jeder  zaunseite  1 1  m, 
folglich  der  abstand  zwischen  entsprechenden  aussenseiten  des 
tempels  und  des  zaunes  3,5  m.1)  Bei  der  ruine  in  Hofstaöir 
i  |'.  ergibl  >i<h  ein  senkrechter  abstand:  a)  von  ca.  6,2  m 
zwischen  zäun  und  längsseite  des  tempels,  b)  von  ca.  i.>  in 
zwischen  zäun  und  giebelseite2),  in  Hof  i  Sv.  und  Hof  a  Sk. 
endlich  ein  abstand  von   1.7  m8)  1>"Z.  •".    ,  in.1) 

I  in-  abstand  zwischen  >U-r  aussenseite  des  zaunes  und 
einer  Langwand  des  tempels  mag  also  im  allgemeinen  rund 
I  ra  betragen  haben,  bei  kleinen  tempeln  etwas  weniger,  bei 
grossen  etwas  mehr,  der  abstand  zwischen  äusserer  tempel- 
wand nnd  innerer  zaunseite  also  3-  -  I  m. 

hie  heutige  höhe  des  natürlich  stark  zusammengesunkenen 
zaunes  in  Hofstaöir  auf  pörsnes  (no.37)  I  -70  cm, 

-.•ine  breite  knapp  l  m.  i  Die  gleiche  zaundicke  scheint  sich 
in  Hofstaöir  i  b.  (no.14)  zu  ergeben  bei  einem  vergleich  zwischen 

-   oben  b.  16  and  kei  l 
-i  KlL  I  520,  -.  oben  -  4»;. 
I  Ebda,  il  99 

4i  Naen  einer  angäbe  von  1821,  vgl.  K;d.  r 
»)  KU.  I  187. 


54  THÜMMBL 

der  angäbe  Brynjülfur  Jönssons  für  den  äusseren  durchmesser 
des  zaunes1)  und  Kälunds  massangabe,  die  sich  offenbar  auf 
den  inneren  durchmesser  bezieht.2) 

Ganz  besonderes  interesse  erwecken  die  reste  der  ein- 
friedigung  in  Hofstaöir  auf  pörsnes,  die  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  einst  den  tempel  des  pörölfr  Mostrarskegg  umgeben 
hat.3)  —  Von  dem  einst  viereckigen  zäun  ist  nur  noch  eine 
grosse  ecke  erhalten,  genannt  iiofgarör'  oder  'hof  und  zwar 
ist  jeder  Schenkel  des  so  erhaltenen  winkeis  24  m  lang.  Wäre 
dieser  rest  gerade  die  hälfte  des  einstigen  ganzen,  so  wäre 
der  alte  tempelzaun  ein  quadrat  mit  einer  seitenlange  von 
24  m  gewesen.  Dem  würde  eine  tempellänge  von  etwa  16  m 
entsprechen,  wenn  wir  im  sinne  der  vorigen  ergebnisse  an 
tempelruinen  als  durchschnittlichen  abstand  des  tempelzaunes 
von  der  langseite  des  lieiligtums  4  m  zu  gründe  legen.  Ueber 
die  breite  lässt  sich  in  diesem  falle  keine  Vermutung  mit  Sicher- 
heit aufstellen;  nur  das  eine  lässt  sich  sagen,  dass  der  bau 
rechteckig,  nicht  quadratisch  gewesen  ist,  wie  wir  oben  sahen.1) 
—  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ist  jedoch  die  erhaltene  zaun- 
ecke  nicht  zufällig  die  genaue  hälfte,  sondern  der  kleinere  teil 
der  alten  einhegung.  Der  ursprüngliche  tempelzaun  und  somit 
auch  der  tempel  des  pörolfr  Mostrarskegg  ist  also  vermutlich 
erheblich  grösser  gewesen  als  eben  unter  jener  wenig  wahr- 
scheinlichen Voraussetzung  berechnet.  Bei  diesen  grössen- 
verhältnissen  würde  er  seinen  zweck  als  haupttempel  in  einem 
dichtbevölkerten  godord  schwerlich  erfüllt  haben.  Die  tabelle 
über  die  masse  der  tempelruinen"')  zeigt,  dass  er  so  beträcht- 
lich unter  der  durchschnittslänge  bliebe;  auffallend  klein  würde 
er  namentlich  gegenüber  den  ruinen  anderer  alter  haupttempel 
erscheinen,  auch  wrürden  diese  grössenverhältnisse  schwerlich 
der  Eb.  entsprechen,  die  den  tempel  als  'mikit  Ms'  bezeichnet.6) 

Eine  andere  auffassung  dieser  ruine  ist  aber  nicht  möglich: 
die  annähme  etwa,  dass  wir  hier  nur  den  eigentlichen  tempel- 


»)  Arb.  '99, 17. 
*)  Kai.  I  520. 

3)  Ärb.  '82,96  (s.  Zeichnung);  Kai.  I  437;  Safn  II  286;  vgl.  s.63. 

4)  S.  s.  34  f. 

5)  S.  s.  45  f.  6)  S.  s.  63. 


DBB   GEBMANI8I  BE    ihMii.i.. 

räum  (afhüs)  mit  zäun,  also  eine  ähnliche  anläge  wie  in  Sa 
und  Hofstaöir  i  |\  vor  uns  haben,  ist  abzuweisen,  da  sie  dem 
berichl   der  Eb.   völlig  zuwiderlaufen  würde.  Ebenso  un- 

begründet ist  es,  die  ruine  nicht  für  i  zaunes,  sondern 

des  tempels  Belbst  zu  halten1),  obgleich  diese  deutung  eine 
scheinbare  stütze  darin  findet,  dass  neben  'hofgarör'  auch  der 
name  'hof '  an  diesen  ort  geknüpf!  ist.2)  Eine  breite  von  -\  m 
isl  an  alten  nordischen,  zumal  alter  an  Isländischen  bauten 
sicher  nie  vorgekommen;  gegen  die  annähme  sprichl  auch 
die  relativ  geringe  dickt-  der  mauern3)  sowie  die  ei  • 
dass  sich  schwerlich  der  name  'hofgarör'  an  die  eigentliche 
tempelruine  geknüpft  hätte.  Die  bezeichnung  'hof  dagi 
isl  sicherlich  ursprünglich  auf  die  gesammte  tempelanlage 
bezogen. 

k)  Blötkelda,  blötsteinn  und  bollasteinn. 
a)  Blötkelda.    Vereinzelt    begegnel    der   bemerkenswerte 
name  einer 'Blötkelda',  über  «leren  Charakter  in  späterem  zu- 
sammenhange gehandeil  werden  soll.4)     I)  In  Hot  ä  K'.i.  in 
liegl   gleich  südlich  vom  Goöhöll,  auf  dem  einst   der  tempel 
gestanden  haben  soll,  ein  sumpf  "der  eine  Wasserlache;  sie 
wird  als  jene  blötkelda  bezeichnet,  in  welche  der  saga  nach 
die  zum  opt'er  bestimmten  menschen  gestürzl  wurden. -i    Beide 
namen  erwähnt  bereits  Arni  Magnüsson.6)  2)  In  Hofteigr  qo.9) 
Siessl  ein  kleiner  bach,  der  von  jeher  Blötkelda  heisst,  in  einer 
entfernung  von  L50    200m  an  der  tempelruine  vorbei.    Diesen 
tatbestand   scheint   schon  der  antiquarische  bericht  von  1821 
zu  verzeichnen.7)     8)    Vor  dem  eingang  zum  langraum 
tempelruine  von  Ljarskögar  (no.2)  ist  eine  grübe  'blötkelda', 
stark  zusammengesunken   und  heute  ohne  wasser.*)     [)   Eine 
blötkelda  zeigl   man   auch   bei  der  ruine  von  pvera   (no. 
es  wird   aber  nicht  berichtet,  von  weh  her  beschaffenheil 
hier  ist  | 

•i  Vgl.  Kai    I  i:;7.  Dot  •_' 

-.  81.  0  S.  («  64  and)  mit'  it  il.  B 

I   \ri.  '81,68    B  IL  l  56    9  ifn  II  W7 
gl.  KU.  II  108, 

BS    -     K&l.  II  - 
|   \r.  '81,79  •  l-  II  i-l 


56  THÜMMEL 

Eine  blötkelda  vermutet  Siguröur  Vigfüsson !)  endlich  auch 
5)  bei  der  ruine  in  Hof  i  Väpn.  (no.  11).  Es  ist  dies  ein 
künstlich  geschaffener  tiefer  brunnen,  der  noch  heute  wasser 
enthält.  Er  liegt  am  oberen  ende  des  afhüs  (die  ruine  liegt 
den  hügel  hinauf,  mit  dem  afhus  nach  oben).  —  In  denselben 
rahmen  müsste  dann  auch  6)  der  brunnen  gehören,  der  sich 
gleich  vor  der  tür  der  ruine  in  Brusastaöir  (no.  15)  befindet.2) 

ß)  Blötsteinn.  1)  Der  J?örssteinn  am  ]?6rsnessJ>ing.3)  — 
Ausser  diesem  aus  der  Eb.  bekannten  kennt  die  tradition  auf 
Island  opfersteine,  denen  die  gleiche  bestimmung  zugeschrieben 
wird,  noch  bei  folgenden  gehöften:  2)  Hof  (A.)4)  (no.  52):  an 
der  dort  liegenden  dingst ätte  des  alten  Araess]?ing5),  direct 
am  Büöafoss;  auf  diesen  stein  seien  die  zum  opfer  bestimmten 
vom  steilen  ufer  herabgestürzt  worden,  dann  habe  sie  der 
Wasserfall  verschlungen.  —  3)  Lundr6)  (no.5):  ca.  6  m  von  der 
tür  des  tempellangraumes  entfernt,  ziemlich  gross,  scharf- 
kantig. —  4)  Steinsstaöir7)  (no.  59):  vor  der  einen  giebelwand 
des  alten  tempels.  —  5)  Hof  i  Hj.*)  (no.  24).  —  6)  Sseböl») 
(no.  13):  vor  der  tür  des  tempels,  innnerhalb  des  hofgarör,  ein 
grosser  stein.  —  7)  Melstaör10)  (no.  49):  in  der  nähe  der  tempel- 
stätte,  1,85  m  hoch,  1,55  m  dick.  —  8)  Bersatunga J ')  (no.  7): 
unten  am  tempelhügel,  vor  dem  stein  eine  spitze  steinkante  in 
gleicher  höhe.  —  9)  Joingskälar  *  -),  in  der  nähe  von  Hof  a  K, 
(no.  8):  der  opf erstem  in  der  nähe  des  domhringr. 

Sämmtliche  'blötsteinar'  liegen  also  in  der  nähe  alter 
tempelstätten,  in  unmittelbarer  nähe  (3 — 8)  oder  von  ihr  ent- 
fernt (1.  2.  9),  im  letzten  falle  dann  an  der  dingstätte. 

/)  Bollasteinn.  Andrer  art  als  die  oben  erwähnten  'blöt- 
steinar  sind  die  oft  mit  dem  gleichen  namen  bezeichneten 
steine,  in  deren  Oberfläche  napfartige  Vertiefungen  eingehauen 

£)  Arb.  (93,  56.  a)  Arb.  '81, 22. 

3)  S.  unten  II.  B)  g). 

*)  Käl.  1 196—97:  Maurer,  Genn.  X  492. 

5)  S.  plan  in  der  Arb.  '94. 

6)  Käl.  I  311.  7)  Ebda.  II  6. 
s)  Ebda.  II  81. 

9)  Ärb.  '85, 23.  lt>)  '95, 13. 

")  '97, 15,  s.  riss. 

I2)  '98, 13;  Maurer,  Germ.  X  192. 


DKK    GERM  WIM  HE    I  KMIM'.I.. 

sind.  Sie  erscheinen  ziemlich  häufig  auf  feland1)  und  werden 
widerholl  mit  dem  alten  tempel  in  Verbindung  gebracht,  so  in 
hyi-iir-)  (no.l),  Brusastaöir3)  (no.15).  Ölfusvatn4)  (no.  34)  und 
nhli(V')  (no.  12).  Diese  vier  steine  sind  wie  die  meisten  andern 
dieser  arl  20  60  cm  hoch,  50  -80  cm  lang  and  breit,  die  Ver- 
tiefung in  ihnen  ist  l — 2  fauste  gross  and  6— 12  cm  tief;  ganz 
besonders  gross  sind  stein  und  bolli  in  Öthliö. 

Es  isl  höchst  zweifelhaft,  ob  solche  Bteine  jemals  im  tempel 
gestanden  haben  und  da  als  hlautbollar  benutzt  worden  Bind, 
vielmehr  spricht  das  zeugnis  der  sagas,  wonach  der  hlautbolli 
auf  dem  altar  liegen  bez.  stehen  sollte,  bei  der  grosse  d 
steinblöcke  dagegen;  es  müsste  denn  sein,  dass  gelegentlich  ein 
solcher  grosser  bollasteinn  zugleich  als  banstein  für  den  altar 
gedient  hat,  was  aber  kaum  jemals  der  fall  gewesen  sein  wird. 
In  den  meisten  (allen  sind  solche  bollasteinar  sicherlich  weih- 
wasserbecken  ans  katholischer  zeit.6) 

Auf  der  andern  seite  ist  es  aber  durchaus  wahrscheinlich, 
dass  als  hlautbollar  wirklich  einst  steine  mit  schalenförmigen 
Vertiefungen  gedient  haben.  Der  umstand,  dass  die  Überliefe- 
rung so  häufig  solche  als  -hlautbollar'  bezeichnet,  spricht  für 
eine  echte  tradition  in  diesem  sinne,  zumal  napfartige  Ver- 
tiefungen seit  uralter  zeit,  bereits  in  der  stein-  und  broneezeil 
als  religiöse  Symbole  bezeugt  sind.")  [Vielleicht  geht  die  christ- 
liche einrichtung  der  weih  Wasserbecken  zu  einem  gewissen  teil 
darauf  zurück. 

•  'i  charakteristische  beobachtungen  und  fände  im  innern 
der  tempelruinen. 

1)  Der  boden.  Der  ursprüngliche fussboden  scheint,  wie 
in  der  stofa8),  gewöhnlich  aus  festgestampftem  lehm  bestanden 

zu    haben.     Dies   zeigte   sich    deutlich    im  langraum    zu  Höföi 

')  K.il.  I  90 

bb.  '81,  Tl.  -  sei«  lurang. 
nb.  '96,21. 
4)  Ebda.  •94,7.  8;  EIL  I  L68. 
»)  EU.  II  90     bb 

■  i  K.il.  I  90.  II  i'-'.  not;  m.oiim   Gera  \.\. 
-    Müller  [168 

:-     Keyeer,  EfterL  Skr.  II  t.  b.  U. 


58  THÜMMEL 

(no.  6) ')  und  im  afliüs  von  Seljaland  (no.  4)2),  ähnlich  beschaffen 
ist  der  aus  strandsand  und  mit  besonderer  Sorgfalt  bereitete 
fussboden  im  langraum  zu  Ljärskögar  (no.  2).3)  —  Mitunter 
ist  das  afhüs,  aber  nur  dieses,  gepflastert,  wie  dies  Siguröur 
Vigfüsson  in  mehreren  ruinen  gefunden  hat4),  am  vollkom- 
mensten in  pyrill  (no.  I).5)  Nur  bei  einer  ruine  fand  er  das 
umgekehrte,  d.h.  nur  den  langraum  gepflastert,  nämlich  in 
Lundr  (no.  5). 6) 

1)  Speciell  im  langraum.  —  Sehr  charakteristisch  ist,  dass 
sich  widerholt  bei  grabungen  holzkohlenasche  längs  der  mitte 
des  golfes  fand.")  In  Ljärskögar  (no.  2)  fand  sich  davon  an 
einer  stelle  eine  75  cm  tiefe  Schicht8),  geringere  reste  ferner 
z.  b.  noch  in  Höföi  (no.  6)")  und  Üthliö  (no.  12). ,J)  —  Zweifellos 
sind  dies  reste  von  jenen  langeldar,  die  bei  den  blötveizlur 
längs  der  mitte  des  fussbodens  brannten.10)  Der  alte  herd 
(arinn)  selbst  ist  in  charakteristischer  art  und  reinheit  noch 
bewahrt  in  Lundr  (no.  5)11);  reste  eines  solchen  liegen  wol 
auch  in  den  erhöhten  steinen  vor,  die  Brynjülfur  Jönsson  in 
Üthliö  (no.  12)  fand  und  für  reste  des  einstigen  altars  halten 
möchte,  da  er  den  räum  irrtümlich  als  afhüs  auffasst.1-) 

2)  Speciell  im  afhüs.  —  Auch  hier  fand  sich  holzkohlen- 
asche,  aber  nicht  so  viel  wie  im  langraum,  in  Ljärskögar 
(no.  2)13)  z.  b.  eine  Schicht  von  3—8  cm,  an  ihrer  tiefsten  stelle 
15  cm,  ähnliche  spuren  in  pyrill  (no.  I)14),  Seljaland  (no.  4)15) 
und  Höföi  (no.  6).  16)  Besondere  aufmerksamkeit  erwecken : 
a)  die  funde  von  pferdezähnen,  die  man  einige  male  gemacht 
hat,  z.  b.  in  pyrill  (no.  I)14),  an  zwei  stellen  in  Ljärskögar 
(no.  2) ,3),  in  der  ruine  auf  dem  Goöhöll  von  Flateyri  (no.  22), 
besonders  reiche  funde  dieser  art  in  Ljösavatn  (no.  31)  —  und 


>)  Ärb.  '92, 

131. 

*)  '92,37. 

*)  "82,  78. 

A)  '85, 100. 

5)  81,  75  f. 

6)  '85.  99  f. 

'•)  '92, 132. 

8)  '82,  77. 

9)  '94,  7. 

10)  S.  nuten 

II.  C)  a). 

J1)  Ärb.  '85, 98. 

12)  S.  s.  41  f 

ia)  Ärb.  '82, 

5.  77. 

u)  '81,75. 

15)  '92,37. 

16)  '92, 132. 

DER   GERMANISCHE   TEMPEL. 

ß)  der  fand  pechschwarzer  steine  in  Höföi  (no.6),  die  offenbar 
in  starkem  feuer  gewesen  waren.  l)  —  Beide  arten  dieser 
funde  erinnern  deutlich  an  die  Opferhandlungen,  die  der  gode 
auf  dem  altar  verrichtete.  Pferde  wurden  ja  besonders  gern 
geopfert2),  and  die  sin.-  ihr  fleisch  zu  essen  isl  als  Bpecinsch 
heidnisch  bezeugt.3) 

in)  'Stallar'  im  afhüs.  In  der  für  die  inner.-  einrich- 
tung  des  afhüs  fundamentalen  frage  naeh  der  anläge  der 
'stallar'  erscheinen  folgende  funde  in  tempelruinen  wesentlich: 

1)  i)er  querwall  im  allgemeinen. 
Das    merkwürdigste,    zugleich    aber    auch    das    baupt- 
charakteristikum  der  tempelruinen  ist,  wie  wir  (s.  37  ff .)  sahen, 
jener  türlose  querwall,  der  die  Zweiteilung  des  innem  bewirkt. 
In  derselben  weise  hergestellt  wie  die  aussenwände  ist  er 
mit  ganz  besonderer  Sorgfalt,  meisl  mit  noch  stärkerem  Unter- 
grund4), vor  allem  aber  viel  dicker  erbaut  als  diese.    G< 
über    einer    durchschnittlichen    dicke    der    aussenwände    von 
l1  •■  m   mag   dieser  querwall   im  allgemeinen  gegen  2  m  dick 
gewesen  sein.)  Hei  einigen  ruinen  ist  diese  nnverhältnismäs 
dicke  dieses  querwalls  ganz  besonders  auffallend.    In  Rüts- 
staöir  (no.  3)  sind  die  aussenwände  heute  ca.  1,3  m  dick,  der 
innere  querwall  aber  2:2  m,  also  beinahe  doppelt  so  dick.    Am 
erstaunlichsten   ist  jedoch  das  Verhältnis  in  Bofteigr  (n 
hier  beträgt   die   heutige  dicke  (\c<  querwalls,  die  allerdings 
ursprünglich  nicht  ganz  dieses  mass  besessen  haben  wird,  volle 
5  m.   —    Sehr  interessant  und  von  Wichtigkeit  isl  es  endlich, 
dass  auch  in  Saebö]  (no.  13)  eine  wand  des  afhüs  weil  dicker 
ist  als  die  übrigen  drei,  nämlich  1,9  m,  bei  der  geringen  g 

dieses    batles    doppelt    Übel  l  u-diend.  ■  i 

Ks  i>t  ganz  und  gar  ausgeschlossen,  dass  eine  derartige 
anläge  nur  dem  einen  zweck  gedient  habe,  die  Zweiteilung 
lies  tempels  zu  bewirken.  Ganz  abgesehen  davon,  dass  eine 
>u  ausserordentliche  breite  einer  blossen  Bcheidewand  auf  alle 

,   \iip.  '92,  L82.  ')  Maurer,  Bek  ll 

I  Ebda,  m .i.4l.  ')  Z.  b.  bei  Q 

-    •   *a  bei  ao.  i  I  brb    Bl 


60  THÜMMEL 

fälle  unverständlich  bliebe,  wissen  wir  auch,  dass  zur  trennung 
zweier  räume  wie  heute  so  schon  in  alter  zeit  im  ganzen 
norden  nicht  rasen-,  sondern  bretterwände  gedient  haben. 
Bruun  hat  bei  seinen  umfangreichen  Untersuchungen  über  die 
bauart  heutiger  isländischer  gehöfte  stets  bretterwände,  nicht 
ein  einziges  mal  eine  Scheidewand  aus  torf  gefunden.1)  Dass 
das  gleiche  auch  für  die  sagazeit  und  zwar  für  den  ganzen 
norden  gilt,  hatte  Guömundsson  schon  vorher  aus  der  alten 
literatur  erschlossen'2)  und  muss  auch  bei  dem  überaus  con- 
servativen  Charakter  der  bauart,  den  wir  kennen  gelernt  haben, 
von  vornherein  als  sehr  wahrscheinlich  gelten.  —  Die  deutung 
als  Scheidewand  würde  denn  auch  ohne  weiteres  scheitern  an 
dem  befuncl  der  ruine  in  Sa?böl;  denn  selbst  hier  ist  die  eine 
wand,  und  zwar  die  gegenüber  dem  eingang,  viel  dicker  als 
die  übrigen,  obwol  dieser  bau  durch  die  umhegung  an  sich 
schon  völlig  vom  langraum  getrennt  ist. 

Zweiteilung  des  innern  kann  also  nicht  der  endzweck 
dieses  querwalls  gewesen  sein,  er  muss  daher  einen  andern 
zweck  gehabt  haben;  denn  dass  ihm  eine  besondere  bedeutung 
zukommt,  leuchtet  ein.  Für  den  langraum  kann  er  nicht  un- 
mittelbar in  betracht  kommen,  sonst  würde  er  in  Saeböl  nicht 
im  afhüs  auftreten. 

Aus  allein  geht  mit  Sicherheit  hervor,  dass  der  querwall 
ein  wichtiger  bestandteil  des  afhüs  gewesen  ist,  eine  besondere 
bedeutung  für  die  Vorgänge  in  diesem  räume  gehabt  hat.  So 
viel  darf  als  sicher  gelten,  dass  er  in  engster  beziehung  zu 
den  ;stallar'  gestanden  hat,  die  als  altar  bez.  als  postament 
für  die  götterbilder  gedient  haben. 

2)  Im  besonderen  der  'grjötbälkr'  in  Hörgsholt  und 
Hörgsdalr. 3) 
a)  In  Hörgsholt  (no.  68) 4)  fand  sich  ein  länglicher  stein- 
wall, oben  auf  ihm  eine  reihe  'hellusteinar '  und  etwas  holz- 
kohle.    Die  ruine  war  voll  asche,  und  in  dieser   fanden  sich 
reste  verfaulter  knocken,  dazu  zwei  kleine  Wetzsteine. 


J)  Bruun  87;  vgl.  oben  s.  38. 

2)  Guöm.  98—99. 

3)  Uebei'  den  Charakter  der  beiden  ruinen  s.  unten  3.  II. 
')  Arb.  '00,28.  '03, 16;  s.  unten  3.  II. 


DEB    GERM  \M-<  HB    i  EMPEL.  Ü  1 

ß)  \\\  Hörgsdalr  (no.72)1)  lief  quer  aber  die  ruine  von 
\Y.  nach  < ).  ein  60  cm  hoher  and  ebenso  breiter  steinwall  aus 
grossen  steinen  (15  cm  an  jeder  kante),  doch  so,  dass  zwischen 
seinem  ost-ende  und  der  ost-wand  ein  Zwischenraum  freiblieb. 
Die  steine  des  walles  waren  russig,  überall  zwischen  ihnen, 
hier  und  da  auch  auf  dem  golf,  besonders  des  afhüs,  I 
grosse  und  kleine  holzkohlenreste,  namentlich  halbverbrannte 
stücke  von  buschzweigen  und  einige  halbverbrannte  knochen- 
reste.  —  Oben  auf  dem  wall  lagen  russige  und  feuerfarbene 
steine,  in  ihm  seihst  einige  zinnstiicke. 

Lng-efähr  in  der  mitte  des  walles  lag  oben  auf  ihm  ''in 
länglicher  hellusteinn-)  mit  unregelmässigen  rändern,  des 
untere  seite  ebener  war  als  die  obere.  Seine  grösste  länge 
mass  90  cm,  seine  grösste  breite  60  cm  —  der  stein  nahm 
also  gerade  die  ganze  breite  des  walles  ein  —  und  die  dicke 
in  der  mitte  20  cm.  diese  nahm  jedoch  nach  den  rändern  hin 
ab.  In  diesem  steine  war  nahe  der  mitte  eine  unregelmässige 
Vertiefung  (bolli):  18  cm  lang.  12  cm  breit  und  6  cm  tief,  her 
stein  trug  die  spuren  starken  feuers.  die  feuerfarbe  reichte 
l1  .— 2' .  cm  tief  in  ihn  hinein.  Dass  der  stein  zu  einem 
ganz  besonderen  zweck  herbeigeschafft  war,  ist  um  so  offen- 
kundiger, ;il^  sich  in  der  Umgebung  keine  grossen  steine  finden. 

Dieser  stein  ruht  wider  auf  \  steinen,  die  im  nereck auf- 
gerichtet so  im  querwall  drinnen  stellen,  dass  ihr  oberer  rand 
gerade  die  höhe  de-  walles  erreicht,  sie  bilden  eine  Feuerstätte 
unter  dem  hellusteinn.  Innerhalb  dieser  lag  wider  ein  kleiner 
bolla>teiiin  ■■)  (ohne  feuerspur)  mit  einer  kreisähnlichen  Ober- 
fläche voii  21  cm  durchmesser  und  einer  dicke  von  8  cm  (in 
der  mitte».  In  dem  ,-tein  war  ein  sehr  regelmässige]  l  \  ielleicht 
unvollendeter)  belli  von  8  cm  durchmesser  und  2,6  cm  tiefe. 

Charakteristisch  Bind  schliesslich  noch  folgende  funde  auf 
dem  boden  der  ruine:  7  Wetzsteine  im  afhus,  1  am  breiliegenden 
ost-ende  des  walle.-,  6  am  giebel,  hier  auch  pferdexahne.  Im 
grösseren  räume  fanden  -ich  gleichfalls  zahne,  dazu  eine  pferde- 
kinulade. 


'i  Ali.,  -o:;.  i-  :..  Beichntum  \  I    viil:  t,  nuten  -i.  IL 
•/  Ebda,  leichnnng  \  ll  t  _ 
'■  i  Ebda,  leicbnnng  vil  J. 


62  THÜMMEL 

3)  Andre  wesentliche  funde. 

pyrill  (no.  1)  i) :  am  f usse  des  querwalls,  besonders  an  seiner 
dem  afhüs  zugekehrten  seite,  sowie  an  der  hier  sich  anschlies- 
senden unteren  (südlichen)  wand,  fand  sich  ein  breiter  stein- 
wall, der  jedoch  nicht  wie  jener  ganz  bis  an  die  obere  (nörd- 
liche) längswand  reichte.  In  der  freibleibenden  ecke  fanden 
sich  einige  pferdezähne  und  viel  asche.  [Von  der  mitte  der 
nördlichen  wand  aus  verläuft  eine  ca.  60  cm  hohe,  breite  er- 
höhuug  aus  steinen  quer  bis  über  die  mitte  des  bodens;  sie 
ist  jedoch  so  verfallen,  dass  sich  nichts  sicheres  über  ihre 
einstige  beschaffenhe.it  sagen  lässt.] 

Brüsastaöir  (no.15)2):  nahe  der  mitte  des  afhüs  fanden  sich 
grosse  steine,  die  nicht  aus  den  wänden  gefallen  sein  konnten. 

Ljärskögar  (no.2)3):  in  der  mitte  holzkohlenasche,  3 — 8  cm 
dick,  an  der  tiefsten  stelle  ca.  15  cm,  dort  an  zwei  stellen  reste 
von  pferdezähnen. 

Höföi  (no.  6):  bei  einer  grabung  vor  der  mitte  des  quer- 
walls  fand  Siguröur  Vigfüsson  im  afhüs  kohlen  und  asche4), 
ausserdem  steine,  die  stark  vom  teuer  ergriffen  waren. 

Inwieweit  das  vorliegende  material  zur  erhellung  der  oben 
erwähnten  frage  beitragen  kann,  wird  später  gegenständ  der 
erörterung  sein. 

II.   Der  isländische  tenipel  im  lichte  der  sagas. 

Zwei  hauptpunkte  kommen  hier  in  frage:  a)  im  Zusammen- 
hang ist  zu  untersuchen,  ob  und  wie  weit  die  alten  tempel- 
beschreibungen  im  einklang  stehen  mit  den  ergebnissen  der 
ruinenforschung ,  bez.  in  welchen  punkten  etwa  die  schrift- 
lichen quellen  zu  berichtigen  sind;  b)  es  gilt,  wesentliche 
punkte  zu  erhellen,  über  welche  die  ausgrabungen  kein  oder 
nicht  genügendes  licht  verbreiten  können. 


*)  S.  karte  2. 

2)  Ärb.  '95,  21. 

3)  Ärb.  '82,  77. 

4)  Bruun  s.  176  (siehe  a  des  dortigen  risses) ;  nach  dem  bericht  Siguröur 
Vig'füssons  selbst  (Ärb.  '92, 131 — 32)  scheint  jedoch  die  fmidstelle  innen  am 
ü'iebel  zn  sein. 


DKR    0ERMANI8CHE   TEMPEL. 

1)    Die  liauptquellen. 

;u  Die  Eb.  beschreibl  den  Thorstempel  v.\\  Hofstaöir  auf 
ßörsnes  (no.37),  welcher  norwegischer  lianpttempel  an!  der 
insel  Mostr  in  der  landschaft  Sunnhoröaland  gewesen  war;  er 
wird  von  pörölfr  Mostrarskegg  bei  seiner  auswanderung  (884) 
abgebrochen  und  nach  Island  verpflanzt,  wo  er  später  wider 
lianpttempel  wird  (c.  III — LV5).1) 

c.  IV  (i    9:    '11:111)1  (Porölfr)  Betti   boe   mikinn  viö  Eol  bann 

kallaöi  ä  EofsstQOum ;  parlel  bann  reisa  hof 2),  oh  var  pat  mikit  bös;  varn 
dyrr  ä  hliövegginum  ok  nser  oorum  endanum:  [?ar  fyrir  Lnnan  Btoöu  Qnd- 
vegissülurnar,  ok  varn  par  i  naglar;  J'eir  hetu  reginnaglar.  |?ar  fyrir  innan 
vur  friöstaör  mikill.  Innar  af  hofinu  var  büs  i  pä  liking  sein  du  -i 
songhüs  i  kirkjum,  ok  BtöÖ  )>ar  Btalli  ä  miöju  gölfinu  sein  altari,  ok  la  p&\ 
ä  hringr  ei ii ii  mötlauss,  tvitngeyringr,  ok  skyldi  p&x  al  Byeija  eiöa  alla. 
|Mnn  bring  skyldi  hofgoöi  bafa  ä  bendi  ser  til  allra  mannfunda.  A  stallannm 
skylili  ok  standa  blautbolli,  ok  pari  hlautteinn  Bern  BtQkkull  vasri,  ok  Bkyldi 
j'ar  >tu]<kva  nieö  6r  bollanum  bloöi  pvi,  er  hlaut  var  kallat;  pat  van 
konar  blöö,  er  s<efö  väru  )>au  kvikendi,  er  goöunum  var  fornat.  ümhverfis 
stallaun  var  goöunum  skipat  i  afhüsinn.  Til  hofsina  skyldn  allir  menn  tolla 
gfjalda,  ok  vera  skyldir  hofgoöannm  til  allra  feröa,  sein  m'i  ein  pingmenn 
boföingjum,  en  goöi  Bkyldi  hofi  app  balda  af  själfs  sina  kostnaöi,  BYä*  a1 
eigi  renaöi,  ok  bafa  inni  blotveizlur. ' 

Von  dem  hier  beschriebenen  tempel  selbst  ist  nichts  mehr 
vorhanden,  nur  noch  ein  teil  des  in  der  saga  merkwürdiger- 
weise nicht  genannten  hofgarör  ist  übrig:  er  liegt  im  tun,  so.  vom 
gehört  auf  einem  hohen  sandhügel  am  steilen  ufer  der  bucht.3) 

Diese  beschreibung  ist  von  ungemein  hohem  wert,  da  die 
Eb.  als  ganzes  genommen  eine  höchst  zuverlässige  geschicht- 
liche quelle  ist,  die  in  erster  linie  aus  der  localtradition  am 
BreüMfjünV  gvsclniptt  hat.1)  Dies  zeigl  sich  auch  im  einzelnen 
an  dem  vorliegenden  bericht.  Er  ist  in  allen  punkten  durchaus 
selbständiges  eigentum  der  Eb.,  mit  alleiniger  ausnähme  viel- 
leidit  der  ausführungen  über  die  hlaut.  Diese  stelle  könnte 
spätere  Interpolation  sein  und  auf  Snorri  zurückgehen.       Ein 

')  Der  entsprechende  berichl  über  [)6r.  M.  in  der  8turlub.-H*uksb.  ist 
ein  aussog  ans  der  Eb.,  das  ganz  kurze  cap.  dei  Kelab.  dagegen  du 
selbständig ;  vgl.  Björn  Olsen,  Aarb.  f.  nord.  Oldk.  1905,  b.  LI 

»)  Znsatz  in  der  Ldn.  (153,3):  'oi  belgaöi  pör'j  vgl.  Eb.  Ml  L:  pörshot 

:()  8.  b  54. 

')  Vgl.  Gering,  Eb.  Will  (einleitnng);  ifogk,  Pauls  Grundr.' II 
■  J    l'iiiitnr  Jönsson,   Lrb 


(54  THÜMMEL 

abhängigkeitsverhältnis  zwischen  den  betreffenden  Sätzen  der 
Hkr.  *)  und  Eb.  wird  wahrscheinlich  durch  den  kaum  zufälligen 
vergleich  des  hlautteinn  mit  einem  stokkull. 

b)  Die  Kjaln.  s.  beschreibt  den  haupttempel  des  goden 
porgrimr  in  Hof  auf  Kjalarnes  (no.  33). 

c.  2,  Isl.  S.  II  402—4:  '  ...  Haiin  (porgrimr)  var  blötmaör  mikill; 
let  hann  reisa  hof  mikit  i  tüni  sinu;  j?at  var  c  föta  längt,  en  sextugt 
ä  breidd;  f>ar  skyldu  allir  menn  hoftoll  til  leggja.  J>6rr  var  ]?ar  niest 
tignaör;  par  var  gjört  af  innar  kringlott  svo  sem  lmfa  va?ri;  p>at  var  allt 
tjaldat  ok  gluggat.  par  stöö  J?6rr  i  miöju  ok  önnur  goö  ä  tvaer  kendr; 
frammi  fyrir  ]?ar  (Variante:  ]?6r)  stöö  stallr,  meö  miklnm  hagleik  gjörr 
ok  piljaör  ofan  meö  järni;  j?ar  ä  skyldi  vera  eldr,  sä  er  aldri  skyldi 
slokna;  f»at  kölluöu  peir  vigöan  eld.  Ä  peim  stall!  skyldi  liggja  hringr 
mikill  af  silfri  (gnlli)  gjörr;  kann  skyldi  hofgooi  hafa  ä  hendi  til  allra 
mannfunda;  p>ar  at  skyldu  allir  eiöa  sverja  um  kennslnmäl  811.  A  (i,  hjä) 
J?eim  stalli  skyldi  ok  standa  bolli  af  kopar,  mikill;  ]?ar  skyldi  i  lata  blöö 
p>at  allt,  er  af  ]?vi  fe  yröi,  er  pöv  var  gefit,  eör  mönnum ;  petta  köllnöu  ]?eir 
blant  ok  hlautbolla.  Hlantinu  skyldi  dreifa  yfir  menn  ok  fe,  en  fe  pat, 
sem  f»ar  var  gefit  til,  skyldi  hafa  til  mannfagnaöar  pä  er  blötveizlur  ern 
haföar.  En  mönnum,  er  peir  blötuöu,  skyldi  steypa  ofan  i  fen  p>at,  er  üti 
var  hjä  dyrunum;  J?at  kölluöu  p>eir  Blötkeldu  ...? 

Auch  von  diesem  tempel  sind  heute  keine  reste  mehr 
vorhanden,  doch  sah  man  vielleicht  noch  anfang  des  19.  jh.'s 
ruinen  davon.2) 

In  bezug  auf  seine  Selbständigkeit  bildet  dieser  bericht 
den  directen  gegensatz  zur  Eb.  Er  ist  —  wie  Finnin-  Jönsson 
im  einzelnen  dargetan  hat3)  —  lediglich  eine  durch  Inter- 
polationen erweiterte  compilation  aus  älteren  schritten,  vor 
allem  aus  Eb.  IV  (dem  unter  a)  widergegebenen  bericht),  Hkr. 
(Hak.  s.  g.  c.  14)  und  Ldn.  Selbständig  und  durchaus  neu  sind, 
abgesehen  von  den  kleineren  interpolationen,  nur  a)  die  be- 
schreibung  des  stallr  (stalli)  und  ß)  die  nachricht  von  der 
ertränkung  der  menschenopfer  in  der  blotkelda. 

Die  vorsieht,  die  bei  einer  Verwertung  der  Kjaln.  s.  als 
historischer  quelle  wegen  ihrer  mythischen  färbung  schon  an 
sich  geboten  erscheint,  ist  bei  der  vorliegenden  tempelbeschrei- 
bung  infolge  ihres  unursprünglichen  Charakters  doppelt  am 
platze.  —  Auf  der  andern  seite  ist  aber  zu  betonen,  dass  der 


J)  Hkr.  186, 16  ff.,  Häk.s.  g.  c.  14;  s.  unten  II.  C). 
*)  Kai.  I  55,  not.  2.  3)  Ärb.  '98,  31  ff. 


DBB   GERMANISCHE    i  EMPEL.  65 

märchenhafte  zug  im   ersten  teil  dei  dem  der  tempel- 

bericht  angehört)  weil  weniger  hervortritt  als  im  zweiten  teil, 
dass  vielmehr  der  Charakter  der  [sl.-saga   aoeh  ziemlich 
wahrt  ist  und  sich  unter  dem  mythischen  gewande  zweifi 
reale  Verhältnisse  verbergen.    Dies  lehrt   schon  die  tatsache 
der  entlehnung  aus  sehr  glaubwürdigen  Schriften,  ferner  ein 
auch   nur  oberflächlicher  vergleich   mit  den  ergebnissen  der 
niinenforschung.     Es  hat  sich  auch  allgemein   gezei| 
die  weniger  zuverlässigen  und  erdichteten   sagas   in   cultur- 
historischer    hinsieht    bisweilen    ebenso    wichtige    aufschlösse 
geben  wie  die  andern  sagas,  dass  sie  im  besonderen  betreffs 
der  gebäude  äusserst  selten  etwas  absolut  fehlerhaftes  ent- 
halten. l) 

[st  also  beim  heranziehen  dieser  tempelbeschreibung  zwar 
eine  sorgfältige  kritik  notwendig,  so  heisst  es  doch  entschieden 
zu  radical  urteilen,  wenn  man  —  wie  Finnur  Jönsson2)  — 
den  gesammten  bericht  als  völlig  wertlos  verwirft  An  der 
band  einer  durch  die  resultate  der  ausgrabungen  und  durch 
nachrichten  andrer  sagas  ermöglichten  controlle  wird  er 
zweifellos  ein  wertvoller  beitrag  zur  alten  tempelliteratur. 

c)  Der  sogenannte  Viörauki  Melabökar  ennar  yngri  enthält 

folgende  allgemeinen  bemerkungeil  über  isländische  tempel: 

Landn.  :>:U  ff.:  ' . . .  (335)  Hof  i  Vatnsdal  oh  Bot  a  Kjalamesi  hafa  her  ä 
landi  Btserst  verit,  einkum  stört  hnndraö  Eota  ä  Lengö,  psA  ByÖra  var  ob 
I,X  föta  breitt  Kor  eöa  goöastnha  var  bjä  hverju  hofi,  par  vorn  i  goöin; 
]"'ir  Jüppiter  var  seöstr  oh  d  Ör,  päFreyr,  bom  ööins, 

conditor,  Ba  er  ryrsl  bygöi  öppsali  i  Sviarihi;  ...  pessi  goö  BtöÖn  ;i  Btalli 
e6a  hafnin  bekk;  firammi  fyrir  pea  Btöö  Btalli  meö  mihlnm  hagleih,  oh 
piljaör  ofan  meö  järni;  |?ar  Bhyldi  .i  vera  eldr,  bb  er  aldri  slohnaöi;  pal 
kölluön  heirvigöan  eld;  ä  J?eim  Btalli  Bhyldi  oh  Btanda  bolli  mjöh  ai  i 
)'ar  Bhyldi  i  lata  W68  )>at  allt,  Bern  bfiemi  af  Ee  |\  i  er  parvar  til  | 
mönnnm  peim  Bern  til  blöta  vorn  dsemdir;  J'at  kölluön  )><  ir  blanl  eöa  blant- 
bolla,  tu  hlantinni  Bhyldi  bseöi  dreifa  yfir  menn  ob  E<      Yatshyrna.1 

Die  'jüngere  Melabök'  ist  zwar,  als  eine  compilation  des 
17.  jh.'s.  an  ßich  ohne  historische]]  wert,  doch  isl  gerade  der 
angeführte  bericht   in  seinem  kerne  zweifellos  von  bedeutung. 

.im  schluss  als  quelle  angeführte  Vatzhyrna  ist  eine  Behr 
gute  hs..  in  der  neben  andern  Bagas  auch  die  Eb.,   Vatn 

Qnöm.  13    U. 

beitrage  zur  geichichte  der  deutschen  spräche      XXX  N  . 


66  THÜMMEL 

und  Kjaln.s.  gestanden  haben.1)  Der  bericht  ist  im  wesent- 
lichen eine  freie  abschritt  aus  der  Kjaln.  s.,  der  anfangssatz 
stützt  sich  auf  Vatnsd.s.  c.  XV.2) 

d)  Die  ausführliche  recension  der  Dropl.s.3)  bringt  einen 
bericht  über  das  blöt-  oder  goöahüs  des  Spakbessi  zu  Bessa- 
staöir  (no.  43).  —  Die  betreffende  stelle  in  der  Dropl.  (1847) 
selbst  lautet:  (s.  10 — 11):  ' . . .  peir  komu  under  hüsvegg  einn  ok 
gengu  um  sölarsinniss.4)  pä  fundu  peir  dyrr,  ok  kenndi  Helgi, 
at  pat  var  blöthüs  Spakbessa.'  —  Dieser  kurze  bericht  ist  in 
der  ausführlichen  recension  legendenhaft  ins  breite  gesponnen, 
stark  übertrieben  und  in  mancher  beziehung  unklar,  vor  allem 
in  bezug  auf  die  gesammte  tempelanlage.  Seiner  ganzen  fär- 
buug  nach  ist  daher  dieser  erweiterte  bericht  von  sehr  geringem 
wert.  Die  wenigen  punkte,  in  denen  er  glaubwürdig  erscheint, 
bieten  nichts  neues  oder  wesentliches;  allenfalls  kann  die  er- 
zählung  noch  für  den  tempelzaun  in  betracht  kommen. 

e)  Andre  notizen  in  sagas.  Was  wir  sonst  noch  hier  und 
da  in  den  sagas  über  isländische  tempel  hören,  sind  gelegent- 
liche bemerkungen  mehr  notizenhafter  art,  die  nur  als  be- 
stätigung,  kaum  als  ergänzung  der  bisher  widergegebenen 
berichte  erscheinen.  —  Sie  sind  zum  teil  schon  oben  berück- 
sichtigt oder  werden  es  im  folgenden  bei  der  betrachtung 
der  punkte,  zu  deren  kenntnis  sie  im  einzelnen  beitragen. 

2)   Das  bild  des  tempels 

im  vergleich  und  als  ergänzung  zu  den  ergebnissen  der 

ruinenforschung. 

A)  Die  territoriale  läge. 

Ueber  diesen  punkt  geben  die  schriftlichen  quellen  fast 

gar  keine  directen  aufschlüsse.    Weder  von  der  hügellage,  die 

sich  als  so  charakteristisch  ergab,  noch  von  der  himmelsrich- 

tung  erfahren  wir  etwas  bestimmtes.    Nur  über  die  läge  des 


>)  Vgl.  Gering,  Eb.  ein].  XXVI. 

2)  S.  s.  71. 

3)  Ed.  Kälund,  Kh.  1883  (Fljotsdoela  hin  meiri  eller  den  längere  Drop- 
laugarsonasaga).  Der  in  betracht  kommende  tempelbericht  ist  auch  ab- 
gedruckt Ärb.  '82,  35  ff.;  vgl.  P.  E.  Müllers  Sagabibl.  I  9i  ff. 

4)  Vgl.  hierzu  Maurer,  Bek.  II 137,  not.  164. 


DEIt  GEBMANISCHE   TEMPEL.  '>T 

tempels  in  nächster  nähe  dergehöfte  liegen  einige  nachrichten 
vor.  die  das  bisher  gewonnene  bild  bestätigen.1) 

Ein  mittelbares  zengnis  für  die  Übereinstimmung  zwischen 
den  ergebnissen  der  topographischen  Untersuchungen  und  den 
schriftlichen  nachrichten  liegt  auch  darin,  dass  in  fällen,  wo 
auf  grund  von  saga- Zeugnissen  ein  tempel  localisierl  werden 
kann,  die  ruine  sich  genau  an  der  betreffenden  statte  fand,  so 
in  In  rill  (no.  I)2)  und  in  Aöalböl  (no.  1|! 

B)  Die  äussere  bauart  und  anläge. 

a)  Die  mauerconstruction.  CTeber  die  mauerconstruc- 
tion,  im  besonderen  über  das  dabei  verwendete  material,  fehlen 
jegliche  directen  nachrichten;  doch  sind  die  gewonnenen  t-rgeb- 
nisse  so  endgültiger  natur,  dass  es  einer  bestätigung  ihurh  die 
literarischen  quellen  nicht  bedarf.  Indirect  spricht  aber  auch 
das  fehlen  besonderer  angaben  über  diesen  pnnkt  dafür,  dass 
in  dieser  beziehung  im  grossen  und  ganzen  kein  unterschied 
zu  den  isländischen  gehöften  (deren  bauart  wir  ja  aus  den 
sagas  relativ  genau  kennen)  vorgelegen  hat. 

1»)  Das  dach.  Einige  Zeugnisse  vermitteln  uns  indirecten 
aufschluss  über  das  material  des  dachwerks  —  über  einen 
pnnkt,  den  die  ausgrabungen  nicht  erhellen  können.  Wir  hören 
nämlich  an  drei  stellen  von  isländischen  tempelverbrennnngen 
und  an  zwei  stellen  von  )>vertre  in  isländischen  bempeln. 

I.  Isländische  tempelverbrennnngen. 

et)  Hrafhk.8.  (1847)  s.  23  (das  Freyr  geweihte  goßahüa  des  Brafnkell 
in  A.6alböl,  u".  10). 

ß)  Bart ,a .  c  19,  tsl.8.  [159  (der  PorgerÖr  HorgabruÖr  geweihte  haupt- 
tempel  des  GrlmkeU  goöi  in  Ölfuavatn,  do. 84). 

y)  Kjalu.  a.  ß.4,   tsl.S.  II  4in  f.   (der  ;  ihte  haupttempi 

ßorgrlmr  gofti  in  EofaJSj.,  ao.S3).4)  Die  offenkundige  tati 

dieser  berichl   von  der  tempelverbrennung   durch  Büi  spätere  sutal 
im  seiner  bedeutnng  für  die  vorlief  .■-■  keinen  abbrach. 

Da  die  mauern  aus  rasen  bez.  ans  rasen  and  steinen  auf- 
geführl  waren,  also  kein  brennbares  material  boten,  so  muss  das 

•)  s.  i  86  t. 

.;..  '81,76.  ■)   Irb   '■ 

■)  VgL  Q.  Vigftason,  Sarh  l  ' 
■_•  der  fol|  ite. 


68  THÜMMEL 

dachwerk  —  wie  bei  isländischen  gebäuden  überhaupt  —  aus 
holz  gewesen  sein.  Dies  wird  auch  in  der  dritten  erzählung 
ausdrücklich  bestätigt  durch  die  worte:  ' . . .  näöist  viö  pat 
nokkuö  af  viöinum'  (s.411).  Diese  tempelverbrennungen  tragen 
daher  zweifellos  einen  ganz  gleichen  Charakter  wie  die  be- 
kannte grosse  Njälsbrenna  von  1011 ')  und  wie  alle  brennur 
überhaupt. 

II.  J3vertre  in  isländischen  tempeln. 

«)  Kjaln.  s.  c.  2,  Isl.  S.  II  404  (gleich  nach  der  tempelbeschreibung)  wird 
berichtet,  die  pvertre  des  tempels  seien  später  zum  hau  eines  skali  in  Hof 
verwendet  worden.3) 

ß)  Ldn.  228, 25  ff.  wird  zur  illustrierung  von  KetilbJQrns  reichtum  er- 
zählt, dass  er  seinen  söhnen  befiehlt,  für  den  bau  seines  tempels  in  Mosfell 
(no.  35)  silberne  querbalken  zu  zimmern.  An  sich  freilich  sieht  die  erzäh- 
lung, die  in  ihrem  verlaufe  stark  an  Egilss.  (ed.Finnur  Jonsson,  c,LXXXV,17) 
erinnert,  stark  legendenhaft  aus. 

Ob  man  bereits  zur  sagazeit  auf  Island  für  diese  balken 
gelegentlich  auch  anderes  material  als  holz  benutzt  hat  — 
etwa  schon  eisen,  wie  Guömundsson  glaubt :?)  —  erscheint  mehr 
als  zweifelhaft.  Das  einzige  zeugnis  für  eiserne  querbalken, 
das  sich  überhaupt  nachweisen  lässt,  stammt  erst  aus  dem 
anfang  des  14.  jh.'s  und  berechtigt  nicht  zu  einem  rückschluss 
auf  die  sagazeit.  Das  dachwerk  der  tempel  ist  also  ein  hölzernes 
balkendach  gewesen. 

Von  den  beiden  auf  Island  bekannten  arten  der  dach- 
construction:  'Aastag'4)  und  'Spsertag'5)  kommt  nun  für  die 
ältere  zeit  fast  ausschliesslich  das  erste  in  betracht.  Das 
'Spaertag',  welches  bei  Wohnhäusern  das  'Aastag'  allmählich 
verdrängt6),  tritt  nur  ganz  vereinzelt,  in  grösserem  umfang 
nicht  vor  1200  auf.13)  Auch  für  den  tempel,  der  schon  in  der 
äusseren  form  noch  altertümlicheres  gepräge  zeigt  als  die 
Wohnhäuser,    kommt  aller  Wahrscheinlichkeit   nach   nur   das 


1)  Vgl.  Döring,  Eine  altisl.  brandlegung,  1878. 

2)  Diese  nachricht  kennzeichnet  zugleich  die  stelle  von  der  tempel- 
verbremmug  durch  Büi  als  offenkundige  interpolation.  —  Ueber  die  beiden 
mit  Schnitzereien  verzierten  hretter,  die  aus  diesem  skali  stammen  und  für 
reste  der  einstigen  tempelbalkeu  gelten,  s.  Käl.  I  55,  not.  2;  Arh.  '81,  69,  not. 

3)  Gliom.  124—25.  4)  Ebda.  116—25. 
5)  Ebda.  125  ff.                          6)  Ebda.  130. 

7)  Ebda.  116,  vgl.  Braun  94. 


DEB    GERM  LNI8I  SB    i  EMPEL. 

'Aastag'  mit   seiner  eigentümlichen  'stabconstruction'  in   be- 
tracht.    Das  charakteristische  dieses  'Aastag'   besteh!   darin, 
dass  «las  dachwerk  von  einem  oder  mehreren  dachfi] 
tragen    wird.     Nach    GuÖmundssons   Untersuchungen')   lassen 
sich   nun  drei  hauptarten  unterscheiden,  je   nach   der  anzahl 
dieser  firsten  il     3):  h  reines  Satteldach  (einfaches  lA 
1  dacbürste;  für  verhältnismässig  kurze  und  sein-  schmal 
bände       die  gewöhnlichste  dachform  der  sagazeit.    2)  Altan- 
dach3), 2  dachfirsten,  statt  <\v<  eigentlichen  dachrückens  eine 
horizontale  fläche;  Eür  einfache,  aber  doch  ziemlich  breite 
bände    (Übergangsform  zu  3).     3)    Mansarddach   (zusammen- 
gesetztes 'Aastag')4),   3  dachfirsten,  gebrochene  Seitenflächen; 
meist  in  breiten  und  grossen  häusern,  bei  diesen  ziemlich  all- 
gemein in  der  sagazeit. 

In  grösseren  und  ansehnlicheren  gebäuden  isl  der  offene 
räum  unter  -dem  dachfirsl  oft  zu  einer  Wölbung,  genannl  hüfa, 
umgebildet.5)  Die  worte  der  Kjaln.s.  'sem  hüfa  vasri'6)  zeigen, 
das>.  dies  auch  bei  den  heidnischen  tempeln  gelegentlich  der 
fall  gewesen  ist.  und  besonders  im  afhüs.  Aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  hat  also  das  dach  an  kleineren  tempeln  dir  • 
an  grösseren  die  dritte  tonn  besessen,  im  letzten  falle  gewiss 
häufig  mit  gewölbtem  dach  (hüfa),  speciell  im  afhüs. 

Nach  <\ri  beschaffenheil  des  giebels  unterscheidet  man 
walmdach  (mit  ganzem  oder  halbem  walm)7)  und  giebeldach. 

.Man  darf  mit  Guömundsson  annehmen,  dass  sich  das 
eiste  au-  dem  kuppelda ch  entwickelt  hat  und  somit  älter  ist 
als  das  giebeldach;  denn  während  das  kuppeldach  nur  für 
kreisrunde  häuser  in  betrachl  kommt8)  also  für  die  älteste 
hausform  —  .  ist  das  walmdach  bedingung  für  ein  haus  mit 
rundbogigen  giebeln9)  für  die  zweite  stufe  der  entwicklung 
—  da-  giebeldach  widerum  nichl  zu  trennen  von  der  reinen 
rechteckform         der  dritten   und  letzten  stufe.  -int 

durchaus    natürlich,    da--    di  itentwicklun 

gefunden  bat:    li  kreisrundes  hau-   mit  kuppeldach;    - 

luöm.  los  ti.:  -'i'i.'k   a  i 

17.  3)  I 
Ebd :    Bfi    19.  I.    La 

-  »,i  tafim.  L04 

*)  Ebda,  toi  Ebdi 


70  THÜMMEL 

lieh- viereckiges  haus  mit  rundbogigen  giebeln  und  walmdach; 
3)  rechteckiges  haus  mit  giebeldach. 

Nach  früheren  ausführungen  über  die  tempelform1)  geht 
somit  hervor,  dass  bei  den  (ältesten)  tempeln  das  walmdach 
geherscht  hat.  Das  giebeldach  ist,  wenn  überhaupt,  so  nur 
selten  und  erst  an  tempelbauten  allerjüngsten  Stils  in  anwen- 
dung  gekommen,  was  doppelt  wahrscheinlich  ist  bei  dem  alter- 
tümlichen Charakter  der  gottesdienstlichen  bauten.  Da  für  die 
einzelnen  nordischen  länder  weder  in  der  form  noch  in  der 
construetion  des  daches  irgend  ein  bestimmter  unterschied 
nachzuweisen  ist2),  so  darf  man  die  ergebnisse  für  das  islän- 
dische tempeldach  betreffs  der  form  seiner  Seitenflächen  sowol 
wie  seines  giebels  ohne  bedenken  als  für  den  gesammten  norden 
gültig  betrachten. 

Die  dachdeckung  ist  sicher  ganz  wie  bei  den  gewöhnlichen 
häusern  entweder  aus  rasen  oder  aus  holz  gewesen.  Das  rasen- 
dach  war  das  gebräuchlichste  selbst  in  gegenden,  wo  holz- 
bauten  herschend  waren,  während  nur  bei  ansehnlicheren  ge- 
bäuden  die  dachdeckung  aus  holz  und  (ganz  wie  die  holzwände) 
aussen  geteert  war. 3)  Wenn  auch  bei  den  isländischen  tempeln 
die  holzdeckung  relativ  häufiger  vorgekommen  sein  wird,  als 
bei  den  gewöhnlichen  häusern,  so  war  doch  bei  der  holzarmut 
der  insel  vermutlich  auch  bei  den  gottesdienstlichen  bauten  das 
rasendach  die  regel.  In  den  waldreichen  übrigen  nordischen 
ländern  ist  das  holzdach  bei  tempeln  sicher  weit  häufiger  als 
auf  Island,  wahrscheinlich  herschend  gewesen. 

Oben  in  den  beiden  schrägen  Seitenflächen  des  daches,  gleich 
bei  den  seitenbalken,  waren  die  fenster  (gluggar)  angebracht.4) 
Glasfenster  hat  es  sicherlich  in  nordischen  tempeln  noch  nicht 
gegeben. 5) 

c)  Aeussere  form.  Dass  auch  in  diesem  punkte  die  saga- 
nachrichten  durchaus  mit  den  ergebnissen  der  ruinenforschung 
übereinstimmen,  wurde  schon  oben  dargelegt. 6)  Die  altertüm- 
lichste von  den  bisher  ausgegrabenen  formen  des  isländischen 


0  S.  s.  40  f.  2)  Guöm.  103. 

3)  Ebda.  151—53.  162. 

4)  Ebda.  144—46.  163—69;  Traek  256. 

5)  Guöm.  168-69;  Keyser,  Efterl.  Skr.  II  1,  41. 

6)  S.  s.  34  f. 


DER   QERMAN1  31  Hl     TEMPEL.  71 

tempeltypus:  die  tempelruine  von  Lj&rskogar,  ist  eine  getreue 
Illustration  zu  der  tempelbeschreibung  der  Eb.,  die  ja  einen  der 
ältesten  tempel  auf  bland  betrifft,  and  somit  auch  zudem 
bericht  der  K.jaln.  Die  vergleiche  des  afhus  mit  dem  chorder 
kirehe  (Eb.)  oder  einer  haube  (Kjaln.)  stehen  durchaus  im  ein- 
klang  mit  der  Wahrnehmung  bei  den  ausgrabungen,  dass  der 
'innar'  liegende  räum.  d.h.  das  afhüs,  meist  eine  besonders 
starke  giebelrundung  aufweist.1) 

d)  G-rössenyerhältnisse.  In  der  gesammten  saga-lite- 
ratur  finden  sich  nur  drei  angaben  über  die  grosse  von  tempeln; 
sie  beziehen  sich  alle  drei  auf  isländische  Verhältnis 

1    Vatnsd.  8.  cXV:  •...  hof  mikit  hundraö  föta  langt  .. 

2)  Kjaln.  -.  -,:  'c  föta  langt,  en  Bextugt  ä  breidd'    oo.  33). 

;{)  'Jüngere  Melabök'1)  -H"t  i  Vatnsdal  ob  hof  a  Kjalarneri  bafa  her 
;i  landi  Btserel  verit,  einkum  Btört  hundraö  föta  a  lengO,  pal  Björa  vea  "k 
LX  föta  breitt.' 

Während  die  erste  nachrichl  als  durchaus  selbständig  und 
zuverlässig  betrachtel  werden  darf,  ist  der  erste  teil  der  zweiten 
angäbe  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  eine  blosse  Übernahme 
der  ersten,  die  dritte  endlich  eine  compilation  der  beiden 
andern. 

Als  einzige  authentische  angäbe  bleibt  somil  die  länge  von 
100  fuss  -  31  m.  Kin  vergleich  mit  den  massen  der  tempel- 
ruinen4)  lehrt  denn  auch,  dass  die  angäbe  der  Vatnsd.  s.  vollen 
glauben  verdient.  Der  vergleich  zeigt  aber  auch,  dass  die  obige 
nachrichl  der  jüngeren  Melabök,  die  tempel  von  Hof  i  Vd.  und 
Hof  ;'i  K'j.  seien  die  grössten  auf  Island  gewesen,  falsch  Ist, 
wenn  auch  das  angegebene  mass  als  ein  relativ  beträchtliches 
erscheint,  üebertroffen  wird  nämlich  diese  länge  von  den 
beiden  tempeln  In  Hofteigr    \2  m)  und    Hol  i  Vapn.  (37,7  m  . 

M  Durch  die  ergebniese  der  ausgrabungen  RUH  'ü--  an  rieh  schon  un- 
natürliche annähme  Finnur  Jönssons  (Art.  '98,31),  dan  rieh  der 
ifhfta  mit  den  chor  (in  der  Eb  i  nicht  auf  die  runde  form 

sondern  nur  cur  veranachauli  I  moii.'.  und 

dan  die  nach  der   Eb.  Enge»  hnitt 
miBventändnifl  Eurückznftthrcn  Bei  (Arl 

i  ..  di  i  \  atntd  -   und  «Im 
mverh&ltniseen  der  h<    I  ist  leider  nicht  nißglich,  >U  SigurAnr 

Vigffi 


72  THÜMMEL 

Die  angäbe  wird,  wenn  man  sie  nicht  auf  das  conto  der  Ober- 
flächlichkeit setzen  will,  vielleicht  dadurch  erklärlich,  dass  diese 
beiden  tempel  im  äussersten  osten  der  insel  liegen,  während 
die  Melabök  ihrem  Ursprung  nach  dem  äussersten  westen,  dem 
Borgarfjorör,  angehört, 

Betrachten  wir  nun  die  angäbe  der  Kjaln.s.  über  die  ge- 
waltige breite  des  tempels  von  Hof:  I.  practisch  wäre  diese 
breite  für  altisländische  Verhältnisse  gewiss  nicht  unmöglich, 
zweifellos  aber  ganz  und  gar  aussergewöhnlich.  II.  Textkritisch 
betrachtet  erscheint  sie  durchaus  unhistorisch:  «)  bei  der  grossen 
Wahrscheinlichkeit,  dass  die  längenangabe  entlehnt  ist,  liegt 
die  Vermutung  nahe,  dass  auch  die  breite  nicht  auf  wirkliche 
Verhältnisse  zurückgeht.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ist  sie 
eine  der  Vollständigkeit  halber  eingefügte  zutat  des  Verfassers, 
wobei  das  mass  gegenüber  der  ungewöhnlichen  länge  ent- 
sprechend gross  gewählt  ist.  Hierfür  spricht  auch  der  umstand, 
dass  die  breite  von  60  fuss  die  grösste  ist,  die  uns  von  einem 
gebäude  auf  Island  berichtet  wird.  Vielleicht  ist  die  angäbe 
jenem  bericht  angepasst,  nach  welchem  der  grösste  skäli  der 
alten  zeit  zugleich  diese  grösste  breite  von  60  fuss  aufwies.1) 
ß)  In  diesem  sinne  spricht  auch  ein  vergleich  mit  den  massen 
der  tempelruinen.  Die  durchschnittsbreite  beträgt  etwa  25  fuss 
=  8  m.  Nur  bei  zwei  ruinen  wird  dieses  mass  erheblich  über- 
schritten: Ljärskögar  und  Brüsastaöir  mit  ca.  45  fuss  =  14  m 
mittlerer  breite  repräsentieren  entschieden  aussergewöhnliche 
Verhältnisse.  Dies  erklärt  sich  aus  den  bautechnischen  Schwierig- 
keiten, die  sich  bei  einer  derartigen  breite  ergaben  und  auf 
Island  bei  dem  mangel  an  bauholz  doppelt  ins  gewicht  fielen.2) 
—  Dass  eine  ähnliche  durchschnittsbreite  auch  bei  den  privat- 
häusern  herschte,  geht  daraus  hervor,  dass  die  grössten  islän- 
dischen gebäude  der  alten  zeit  28—30  fuss  =  ca.  9  m  breit 
waren,  während  ihre  bedeutende  länge  (108.  114.  200.  210  fuss) 
sich  dadurch  erklärt,  dass  der  gesammtraum  durch  querwände 
aus  holz  in  eine  reihe  von  einzelräumen  geteilt  war. 3)  /)  Ein 
weiteres  zeugnis  gegen  den  historischen  Charakter  der  angäbe 


J)  Vgl.  Nicolaysen,  Hist.  Tidsskr.  413. 

2)  Vgl.  Siguröur  Vigfüsson,  Ärb.  '82,7;  Nicolaysen  442  f. 

3)  Guöm.  74—75. 


DBB   OBBMANIBCHE    l  BMPEL. 

ist  endlich  vielleicht   ein  Widerspruch,  der  dem  verfasse] 
versehen  oder  aus  Unkenntnis  der  alten  bauverhältnisse  unter- 
laufen ist.    Am  Schlüsse  i\vs  tempelberichtes  sind  die  |>vertr6 
des  tempels  erwähnt;  nach  den  Untersuchungen  Guömund 
kommen  solche  in  jener  zeit   nur  für  das  dachwerk  schmaler 
häuser  in  betracht. l) 

Unter  diesen  umständen  und  auch  angesichts  des  compila- 
torischen  Charakters  der  gesammten  tempelbeschreibung  wird 
es  immer  wahrscheinlicher  —  und  die  argumente  dafür  weiden 
sich  noch  häufen  —  dass  im  grossen  und  ganzen  bi  i  di 
besclireibung  weder  der  tempel  von  Eof  ä  Kj.  noch  iiberhaupl 
ein  bestimmter  tempel  modell  gestanden  hat,  dass  vielmehr 
das  ganze  hier  gezeichnete  bild  nichts  ist  als  ein  zusammen- 
geflicktes phantasiebild  <\ij>  Verfassers,  das  zwar  —  und  darin 
liegl  sein  werl  —  in  seinen  einzelnen  zügen  sehr  wol  auf 
realen  Verhältnissen  fusst,  d.h.  in  dieser  form  gewiss  existiert 
haben  konnte,  in  wirklichkeil  aber  wol  nicht  existiert  hat. 

e)  Eingänge  und  türen.  Dass  die  nachrichl  <U-v  Eb. 
über  die  läge  der  eingänge  (dyrr)  am  tempel  in  Bofstaftir  — 
die  einzige  nachricht  über  diesen  punkl  —  durchaus  im  ein- 
klang  steht  mit.  den  Wahrnehmungen  an  den  ruinen,  wurde 
schon  hervorgehoben. 2) 

^'ie  die  türen  selbsl  (huröir)  bei  den  tempeln  beschaffen 
gewesen  sind,  erfahren  wir  nicht.  Der  altertümlich-conservative 
Charakter  der  tempel  im  allgemeinen  macht  es  wahrscheinlich, 
dass  es  Schiebetüren  gewesen  sind,  nicht  angeltüren,  die  ersl 
spätei-  üblich  werden  und  jene  verdrängen.8)  In  der  r< 
waren  die  tiiren  der  häuser,  besonders  die  Schiebetüren,  mit 
einem  ring  als  handgriff  versehen.  Wahrscheinlich  ist  dies 
auch  bei  den  tempeln  der  fall  gewesen.  Eine 
stätigung  liegl  in  einer  nachricht  vom  ende  des  10.  jh/s  in 
der  jüngeren  Öl.  s.  Tr.  c.150  und  Hkr.,  Öl.  s.  Tr.  c  65  über  den 
ring,  der  an  der  tempeltur  zu  EQaöir  in  Norwegen  hieng  und 
scheinbar  golden,  in  wirklichkeil  ahn  großenteils  aus  kupfer 
war  (c  193  bez.  66).  Verschlossen   winden   die  türen 

Wohnhäuser  in  der  sagazeit   durch  eine  qnerstange  aus  holz 

taCm.  L24, 

89. 


74  THÜMMEL 

oder  durch  ein  schloss  mit  Schlüssel.  Ob  das  letzte  schon  für 
die  tempel  gilt,  bleibe  dahingestellt;  Kjaln.  s.  (Isl.  S.  II  410) 
wie  jung.  Dropl. ')  setzen  dies  zwar  voraus,  doch  kann  bei  dem 
unzuverlässigen  Charakter  beider  sagas  sehr  wol  ein  anachro- 
nismus  vorliegen. 

f)  Tempel  zäun  (hofgarör).  Die  dürftigen  nachrichten 
über  das  Vorhandensein  von  tempeleinhegungen  sind  durch  die 
funde  bestätigt  worden.2)  Wenn  die  Kjaln.  s.  (Isl.  S.  II  409. 
410 — 11)  und  die  jüngere  Dropl.  s.  (Ärb.  '82,  37)  berichten,  dass 
der  hofgarör  stark  über  mannesgrösse  gewesen  sei,  so  ist  das 
vielleicht  etwas  übertrieben.  In  der  regel  ist  er  kaum  höher 
gewesen  als  die  mauern  des  gebäudes.  Dafür  sprechen  auch 
die  ruinen  alter  einhegungen  um  tempel  sowol  wie  um  andre 
gebäude.  Wie  der  tempel  selbst,  so  war  auch  der  hofgarör 
vermutlich  verschliessbar;  die  diesbezüglichen  nachrichten  der 
citierten  sagas  erscheinen  durchaus  glaubwürdig,  weniger  da- 
gegen die  weitere  nachricht  der  Kjaln.  s.  über  das  schloss  an 
der  zauntür. 

g)  Opfer  sumpf  und  Opfer  st  ein.  Ob  wol  der  umstand, 
dass  die  nachricht  der  Kjaln.  s.  über  eine  zum  menschenopfer 
benutzte  'blötkelda'  bei  tempeln3)  die  einzige  derartige  ist, 
die  wir  überhaupt  besitzen,  bei  dem  mythischen  Charakter  der 
saga  zu  besonderer  vorsieht  in  der  beurteilung  mahnt,  ist  sie 
doch  deshalb  noch  nicht  von  vornherein  (d.  h.  lediglich  vom 
textkritischen  Standpunkt  aus)  zu  verwerfen.  Wenn  auch  der 
tempelbericht  fast  durchweg  compiliert  ist,  so  hat  doch  der 
Verfasser  dabei  sehr  zuverlässige  quellen  (Eb.,  Hkr.,  Ldn.)  be- 
nutzt, und  ein  auf  einzeluntersuchungen  gegründetes  gesamint- 
urteil  muss  dahin  lauten,  dass  nicht  ein  einziger  punkt  an 
sich  ohne  reale  unterläge  völlig  frei  erfunden,  wenn  auch  man- 
ches bisweilen  übertrieben  oder  mythisch  ausgeschmückt  ist. 

Dass  auch  die  Überlieferung  von  der  blötkelda,  die  einzige 
völlig  selbständige  dieses  tempelberichtes,  nicht  aus  der  luft  ge- 
griffen sein  kann,  zeigt  die  tatsache,  dass  bei  6  tempelruinen 
auf  Island  gruben  oder  gewässer  vorhanden  sind,  die  als  'blöt- 
keldur'  in  betraeht  kommen.  Vier  von  diesen  tragen  tatsächlich 


')  Arb.  '82,  :'.7.  *5  S.  s.  52  f.;  vgl.  Arb.  '83, 19. 

3)  S.  s.  64. 


DER  GEBMANISCHE   TEMPEL. 

diesen  namen1),  und  es  erscheint  unnatürlich,  ihn  in  jedem  falle 
als  nicht  ursprünglich  zu  betrachten.  Dass  der  name  auch  an 
die  tempel8tätte  in  Hof  a  Kj.  geknüpft  ist.  1  lIs  sicher 

erscheinen,  dass  der  Verfasser,  der  ja  in  Ejalarnes  seine  heimal 
hatte,  die  reale  unterläge  für  seinen  berichl  über  den  opfer- 
sumpf wirklich  in  Hof  selbst  gefunden  hat. 

Die  Überlieferung  erscheint  also  an  sich  schon  durchaus 
glaubwürdig-.  Sie  wird  weiterhin  durch  folgende  argumente 
gestützt: 

a)  Eb.  X8:  "par  (am  porsnessping)  ser  enn  dömhring  pann,  er  menn 
väni  doemdir  i  (il  hlöts.  I  beim  bring  stendr  J>6rs  steinn,  er  peir  menn 
väni  hrotnir  um,  er  til  blota  väru  haföir,  ok  ser  enn  blöösiitinn  ä  Bteininnm.' 

Der  parallelbericlit  der  Ldn.  lautet  (15:5, 24  ff. j:  'par  stendr  enn  pora 
steinn  er  peir  brutn  l^a  menn  um  er  peir  blötudu.  ok  pai  hja  e.i  Ba  dom- 
hrhigr  er  menn  skylldn  til  Motz  dsema.' 

Der  wichtige  unterschied  beider  Fassungen  besteht  darin,  dass  nach 
der  ersten  der  opferstein  in  dem  gerichtsring  Bteht,  nach  der  zweiten  in 
seiner  nähe.  Es  darf  als  sicher  betrachtet  werden,  dass  die  Ldn.  den  rich- 
tigen text  bietet.-') 

Die  angäbe  der  Eb.,  man  habe  damals  —  zur  zeit,  da  - 
wurde,  also  reichlich  200  jähre  später  —  noch  blutspuren  am  stein  gesi 
beeinträchtigt  nicht,  wie  SigurÖur  Vigrusson3)  andeutet,  die  Glaubwürdig- 
keit der  ganzen  Btelle.  Einerseits  könnte  in  diesem  punkte  Selbsttäuschung 
des  Verfassers  vorliegen,  andererseits  aber  ist  es  nicht  mir  möglich,  sondern 
gar  wahrscheinlich,  dass  man  den  stein  wie  die  altäre  mit  dem  opferblut 
bestrich,  Bomit  ""1  glaubhaft,  dass  Bich  hier  und  da  (an  geschützten 
Btellen)  blutflecken  noch  lange  erbalten  haben.     Beide  opferstätten,   der 


' )  S.  s.  55. 

i  hon  Maurer  (Germ.  X  491-  92)  bat  dies  Behr  wahrscheinlii 
macht.    Bei  der  besichtigung  einer  reihe  alter  dingstätten  bat  er  stets  eine 

--■■  Gleichförmigkeit  der  einrichtung  gefunden.    In  allen  fällen  aber,  wo 
man  die  opferstätte  aoch  zeigte,   Lag  sie  in  geringer  entfernung  von  dem 
gerichtsplatse.  -     Brynjulfur  Jönsson  (Ärb.'00,10    LI)  endlich,  der  zuletst 
nach  dem  pörsnesdömhringr  gesucht  hat,  glaubt  diesen  wirklich 
zu  haiien  und  /.war  in  der  nähe  eben  ■  der  von  jehei   fttr  den 

pörssteinn  gilt.     Eine  endgültige  lösung  in  der  suche  nach  dem  dömhringr 
und  pönsteinn  ist  dies  jedoch  nicht,  da  die  meinnngen  aber  identitl 
nichüdentitäl  des  bezeichneten  Steines  mit  dem  einstigen  opl 
sind.    Während  A.  Thorlacius  (Safn  LI  294),  KU.  (1 
(Arb. '82,104    05)  und  Brynjulfur  Jönsson  (Arb.  *00,10    1 1  >  an  der  echtheit 

.Iten.  kamen  Maurer  und  Qnöbrandr  Vigfusson  bei  gemeii 
Bichtigung  zur  gegenteiligen  '■     '-'   \X!\ 

s)  Arb.  «1,88. 


70  THÜMMEL 

porssteinn  am  porsnesspihg  wie  die  blotkelda  am  Kjalarnessping,  liegen  in 
der  nähe  von  tempel  und  dingstätte. r)  Dass  der  opferstein  etwas  weiter 
entfernt  vorn  tempel  in  Hofstaöir  liegt  als  die  blotkelda  vom  tempel  in 
Hof,  erklärt  sich  vielleicht  dadurch,  dass  der  gerichtsplatz  von  seiner  ur- 
sprünglichen, aber  entheiligten  statte  verlegt  worden  war.2)  Der  bericht 
der  Eb.  gleicht  in  seinem  kern  durchaus  dem  der  Kjaln.  s.  Nur  die  concrete 
ausgestaltung  ist  eine  verschiedene,  was  sich  dadurch  erklärt,  dass  die 
Opferung  in  verschiedener  weise  vollzogen  wurde.  Ausser  diesem  bekann- 
testen opferstein  kennt  die  tradition  noch  8  andere,  die  gleichfalls  in  der 
nähe  alter  tempel-  nnd  dingstätten  liegen3)  und  zum  mindesten  nicht 
sämmtlich  apokryph  sind. 

b)  Eine,  freilich  ausserisländische  bestätiguug  gibt  vielleicht  Adam 
Brem.  Schob  134:  'Ibi  (beim  tempel  in  Uppsala)  etiam  est  fons,  ubi  sacri- 
ficia  paganorum  solent  exerceri  et  homo  vivns  immergi.  Qui  dum  non 
invenitur,  ratum  erit  votum  populi.'  Eine  abbängigkeit  der  Kjaln.-stelle 
von  der  vorliegenden  —  was  Finnur  Jonsson  für  möglich  hält'1)  —  ist 
ebenso  unwahrscheinlich  wie  die  benutzung  des  tempelberichtes  bei  Adam 
für  den  gesammteu  tempelbericht  der  Kjaln.  überhaupt. 

c)  Einen  ähnlichen  Charakter  wie  porssteinn  und  blotkelda  tragen 
wahrscheinlich  auch  die  Goöafoss,  zumal  ja  das  herabstürzen  in  gewässer 
oder  sümpfe  für  die  isländische  form  der  Opferung  charakteristisch  ist.6) 
Wir  finden  deren  3  auf  Island,  stets  in  der  nähe  alter  tempel-  und  ding- 
stätten. '■)  Dasselbe  gilt  von  dem  Büdafoss  an  der  statte  des  alten  Ärness- 
ping.'7) 

Die  glaubwürdigkeit  der  saga-nachrichten  über  menschen- 
opfer  ist  von  Siguröur  Vigfussons)  und  Finnur  Jonsson !l)  an- 
gefochten worden  mit  der  begründung,  diese  seien  im  norden 
während  der  letzten  Jahrhunderte  des  heidentums  nur  ganz 
selten  vorgekommen,  auf  Island  überhaupt  nicht.  Die  Wichtig- 
keit dieser  frage  für  die  beurteilung  der  nachrichten  vom  pörs- 
steinn wie  von  der  blotkelda  erfordert  ein  näheres  eingehen 
auf  diesen  punkt. 

x)  Anhangsweise  sei  hier  bemerkt,  dass  —  wenigstens  für  isländische 
Verhältnisse  —  ohne  zweifei  der  tempel  das  primäre  ist,  in  dessen  nähe 
dann  die  dingstätte  eingerichtet  wird  (vgl.  Brenner,  Germ.  XXIV  103),  nicht 
umgekehrt,  wie  H.  Petersen  (s.  6)  angibt.  Dies  geht  deutlich  aus  einer 
reihe  von  saga-zeugnissen  hervor  (vgl.  z.  b.  die  einrichtung  des  pörsness- 
und  des  Kjalamesspingj. 

2)  Eb.  X  7.  3)  S.  s.  5G. 

4)  Arb.  '98,  36,  not. 

5)  Vgl.  Maurer,  Germ.  X  491—92,  Lit.-bl.  1880,  11. 

6)  S.  s.  13.  7)  S.  s.  56  ß)  2). 
8)  Arb.  '81, 81.  89.  9)  Arb.  '98, 35. 


DEB    GERMANISCHE    ii'.mit.i..  77 

Darüber,  dass  bei  allen  germanischen  stammen  menschen- 
opfer  sitte  gewesen  sind,  herschl  kaum  ein  zweifei. ')    In  der 
rege]  winden  gefangene  feinde,  sclaven  oder  Verbrecher 
opfert,  nur  in  höchster  not,  bei  schwerstem  zorn  der  götter, 
freie  männer,  häuptlinge,  könige,  franen  oder  kinder.2) 

7on  anfang  an  tragt  das  menschenopfer  sühnenden  Cha- 
rakter.3) Einzelne  werden  geopfert :  a)  zur  bannung  schweren 
unheils,  das  als  strafe  der  erzürnten  götter  für  vergehen  des 
Volkes  angesehen  wird,  b)  zur  sühne  für  eigene  schwere  ver- 
brechen (namentlich  tempelentheiligungen4)).  —  Beide  arten 
enthalten  sowol  ein  religiöses  wie  ein  strafrechtliches  moment, 
im  zweiten  fall  herscht  dieses,  im  ersten  jenes  vor.5)  Es  scheint. 
als  ob  im  laufe  der  Jahrhunderte  die  erste  arl  des  menschen- 
opfers  gegenüber  der  zweiten  mehr  und  mehr  zurücktritt  oder 
auch,  dass  der  strafrechtliche  Charakter  aller  menscheno 
allmählich  in  den  Vordergrund  rückt.  Am  ende  des  nordischen 
heidentums  scheint  sich  schliesslich  die  auff assung  <\>-v  menschen- 
opfer darauf  zu  beschränken,  dass  die  hinrichtung  schwerer 
Verbrecher  als  ein  opfer  an  die  götter  betrachte!  wird,  durch 
welches  man  deren  zorn  über  das  vergehen  versöhnt  Das 
strafrechtliche  und  das  religiöse  moment  scheinen  verschmolzen, 
das  erste  aber,  wenn  auch  nicht  das  vorhersehende,  so  doch 
das  ursächliche  moment. 


')  Löhers  ausführungen  'Ueber  angebliche  menschenopfer  bei  den  Ger- 
manen', abh.  d.  acad.  München  1882,  Bind  kein  beweis  für  das  gegenteil.  Ein 
hanptirrtnm  in  Löhers  darlegungen  Bcheim  mir,  dass  sie  bereits  für  die 
altgermanischen  Verhältnisse  unsere  moderne  hohe  wertnng  des  menschlichen 
voraussetzen,  die  doch  zweifellos  wie  dies  aneb  ein  blick  auf 
beatige  aatnrvölker  lehrl  —  für  jene  zeit*  d  oichl  angenommen  werden  darf. 
Znsammenstellung  der  Zeugnisse  von  Lyngby,  Tidskr.  for  pbil.  X  llöff. 
(dazu  B.  Petersen  25,  not.  2).  Zeugnisse  für  Deutschland  B.J.Grimm, 

D.  M.  I  86  ff.;  Bpeciell  für  Sachsen  nnd  Fries»  a:  Richthofen,  Zur  lex  Saxonum 
b.204  ff  :  Frii  b.  re<  ntsg  Beb.  II  1.  419  ff   ; 

,  .i  Grimm,  D.M.  1 87;  Kaurer.Beh  [291    126    27,  dazu  not  24;  II 196. 
Vgl.  im  besonderen  '!;i<  Zeugnis  der  Fngl.s.  18  (Maurer,  Bek.  II  197,  not). 
Grimm,  D.M.  I  85;  E.  B.  Mey<  r,  Germ.  myth.  199  Genn. 

invtli .  indr.s  lll  I  gl  BJchtbofen  II  1,  I 

•    Der  Btrafrechtliche  Charakter  anscheinend  rein 
opfer  leuchtet  deutlich  aus  den  schwedischen  königsopfern:  dem  kOuig  wird 
Bteti  die  schuld  an  allem  anbei]  des  rolkes  beig  i  mit  <l«ni 

Leben  büssen  muss   die  tuellemeugi  iei  Maurer,  Bek.  11  197,  n 


78  THÜMMEL 

Menschenopfer  rein  religiöser  natur  sind  auf  Island  sicher- 
lich nicht  mehr  sitte,  sie  scheinen  im  gegenteil  verpönt.  Das 
erste  folgt  aus  dem  wol  kaum  zufälligen  mangel  jeglicher  der- 
artiger quellenzeugnisse1),  das  zweite  aus  einer  nachricht  der 
Vatnsd.  c.  XVI  (ende)  und  c.  XXX  (anfang),  wonach  pörölfr 
Heljarskinn  allgemein  verabscheut  wurde,  weil  er  im  verdacht 
stand,  auch  menschen  zu  opfern.  Dagegen  haben  menschen- 
opfer  in  der  form  von  hinrichtungen  schwerer  Verbrecher  auch 
auf  Island  durchaus  nichts  unnatürliches.  Die  drei  Zeugnisse 
über  menschenopfer,  die  für  Island  überhaupt  vorliegen2), 
weisen  deutlich  auf  diesen  Sachverhalt,  lassen  sich  aber  in 
dieser  form  nicht  fortinterpretieren.  Da  die  hinrichtung  auf 
verschiedene  weise  vollzogen  wurde3),  so  wechselt  die  bezeich- 
nung  der  opf erstatte  je  nach  ihrer  beschaff enheit.  Dass  der 
pörssteinn  sowol  wie  die  blötkelda  und  auch  die  heutigen  funde 
solcher  art  in  der  nähe  von  dingstätten  liegen,  spricht  deut- 
lich für  die  strafrechtliche  natur  des  opfers. 

Die  berichte  von  menschenopfern  am  pörssteinn  neben  dem 
gerichtsring  und  in  der  blötkelda  sind  also  in  jeder  weise  glaub- 
würdig4) und  werden  bestätigt  durch  die  tatsache,  dass  auch 
heute  noch  auf  Island  an  verschiedenen  stellen  eine  'blötkelda' 
oder  ein  'blötsteinn'  traditionell  bezeugt  ist.  Wenn  auch  die 
tradition  nicht  in  jedem  falle  recht  haben  mag,  so  liegt  doch 
zweifellos  eine  echte  Überlieferung  zu  gründe.  Auf  der  andern 
seite  ist  freilich  zu  betonen,  dass  nicht  bei  jeder  tempel-  oder 
dingstätte  ein  opferstein  oder  opfersumpf  gewesen  ist,  in  erster 
linie  wol  nur  bei  haupttempeln,  in  deren  nähe  eine  dingstätte 
lag.  [Nicht  unmöglich  ist  es  auch,  dass  einige  von  den  opfer- 
steinen, welche  in  unmittelbarer  nähe  von  tempelruinen  liegen, 
beim  schlachten  der  tieropfer  eine  rolle  gespielt  haben;  abzu- 
weisen ist  jedoch  die  möglichkeit  einer  solchen  deutung  bei  den 
opfersteinen,  die  in  grösserer  entfernung,  näher  der  dingstätte, 
gelegen  haben.] 


*)  Vgl.  Maurer,  Bek.  II 46,  not.  10;  202  f. 

2)  Eb.  X  8;  Kjaln.s.,  Isl.  S.  II  404  (s.  oben  s.75  bez.  64);  Kristui  s.  c.23. 

3)  Vgl.  Maurer,  Bek.  II  427,  not.;  II 197,  not.  32. 

4)  Das  gleiche  gesammturteil  äussert  Maurer,  Lit.-bl.  1880, 14;  Verliandl. 
d,  Berl.  anthr.  ges.  (Zs.  f.  ethn.)  1894,  322. 


DER   GEBMANISCHE   TEMPEL.  79 

C)  Die  innere  einrichtung. 
Neben  den  früher  verzeichneten  quellenstellen  kommt  hier 
besonders  noch  in  betracht  Snorris  bericht  über  die   opfer- 
gebränche  im  norwegischen  tempel  vonHlaöir  (Hkr.  186, 16  f£ 

lläk.s.  g.  c.  14): 

'pat  var  forn  siör,  pä  er  blot  skyldi  vera,  at  allir  boendr  Bkyldn  j>ar 
koiua,  sein  hof  var,  ok  rlytja  pannug  fQng  sin,  pau  er  peir  Bkyldn  liala. 
rneoan  veizlan  stoö.  At  veizlu  peiri  Bkyldn  allir  menn  q]  eiga;  pu  var  ok 
drepinn  allz  konar  smali  ok  svä  hross,  en  bloS  f>at  alt.  er  pai  kom  af.  )>,l 
var  J»at  kallat  hlaut,  ok  blautbollar  pat,  er  bloö  J>at  stört  i,  ok  hlantteinar, 
J?at  var  svä  gQrt  sein  stoklar,  inert  pvi  skyldi  rjööa  Btallana  odln  saman,  ok 
svä  veggi  hofains  atan  ok  hinan,  ok  svä  stekkva  a  mennina,  en  slätr  skyldi 
sjoöa  til  mannfagnaöar;  eldar  Bkyldn  vera  ä  miSjn  gölfi  i  hofinn  ok  )?ar 
katlar  yfir;  skyldi  füll  um  eld  bera  . . . ! 

Man  darf  wol  voraussetzen,  dass  die  tempel  im  vergleich 
zu  den  gewöhnlichen  häusern  mit  besonderer  Sorgfalt,  mit  einer 
gewissen  pracht  ausgestattet  waren.  Die  jüngeren  quellen  über- 
treiben jedoch  in  dieser  hinsieht  mehr  oder  weniger  und  sind 
daher,  wenn  überhaupt,  so  nur  mit  vorbehält  anzuziehen. '  |  - 
scheinen  die  berichte  der  Kjaln.s.  und  der  ausführlichen  DropLs. 
über  isländische,  sowie  die  angaben  bei  Adam  von  Bremen 
und  seinem  scholiasten  über  den  nordischen  tempel  zu  Dppsala 
stark  mit  mythischen  Vorstellungen  verwoben.2)  Ein  inst  im - 
tives  beispiel  dafür,  wie  ursprüngliche  Verhältnisse  in  jüngeren 
schritten  immer  mehr  ausgeschmückt  werden,  hat  Finnur  Jönsson 
verfolgt,3) 

h)  Der  langraum.  Aus  Snorris  und  den  anderen  Schilde- 
rungen, insbesondere  durch  die  er  wähnung  der  geschnitzten 
ondvegissiilur  (Eb.),  der  feuer  auf  der  mitte  des  golfes,  aber 
die  man  einander  zutrank  (Hkr.),  des  'tjaldat'  und  'gluggat' 
(K'jaln..  Dropl.)  geht  deutlich  hervor,  dass  der  räum,  in  dem 
die  opferschmäuse  stattfanden,  ganz  dieselbe  einrichtung  zeigt, 
wie  wir  sie  von  dem  Wohnraum  kennen,  der  im  Eamilienleben 


')  Vgl.  Finnnr  Jönsson,  \vh.  '98,37  f. 

8)  'Teinplnin  totnm  ex  anro  paratnm'  (Adam  r.  Br.  e.96),  nwie  'arbor 
maiima  Ute  ramoa  axtendenfl  Bemper  viridis  in  biemi  -  unmt 

dem  'fons'  (Ad.  v.  Br.  Scbol.  lo4>  erinnern  stark  an  Walhall  mit  der  on- 
rgnwaiilu.b  hohen,  immergrünen  esche  Yggdraaiki  und  dem  heiligen  Drd« 
brunnen.  »)  Ärb.  '98,86  f. 


80  THÜMMEL 

zur  ablialtimg  von  gelagen  diente.  Das  aber  ist  die  stofa1) 
(bei  den  norwegischen  fürsten  und  häuptlingen  wegen  ihrer 
grosse  auch  holl  genannt),  soweit  nicht  zu  dem  bezeichneten 
zweck  ein  besonderes  gebäude  (norw.  veidushdli,  isl.  dryJckjusJcäli 
oder  auch  eldhüs)  vorhanden  war. 

Das  im  folgenden  gegebene  bild  der  stofa  gilt  also  in 
seinen  hauptzügen  zugleich  für  den  langraum  des  tempels:  die 
wände  sind  nicht  selten  innen  getäfelt  und  sehr  oft,  beson- 
ders bei  festlichen  gelegenheiten,  mit  feilen  oder  teppichen  be- 
hängt (tjaldat),  während  das  balkenwerk  immer  freiliegt.  Bis- 
weilen sind  getäfel  und  inneres  dachwerk  mit  gemalten  und 
geschnitzten  bildern  geschmückt  (motive  alter  sagen  und 
mythen).2)  Durch  die  inneren  pfosten  (innstafir)  wird  der 
räum  in  verschiedene  abteilungen  geteilt:  a)  der  länge  nach 
in  3  schiffe:  1)  den  hauptraum  in  der  mitte,  genannt  gölf  (im 
engeren  sinn);  er  besteht  meist  aus  festgestampftem  lehm  und 
wird  bei  festlichen  gelegenheiten  mit  stroh  oder  schilf  bestreut; 
2)  zwei  etwas  erhöhte  seitenräume;  —  b)  der  quere  nach  in 
mehrere  querf  eider  (stafgölf,  je  3—4  eilen  =  2—2,5  m  lang), 
deren  anzahl  durch  die  länge  des  hauses  bedingt  ist.  Das 
mittelste  heisst  ondvegi;  es  wird  von  vier  Säulen  (sülur)  be- 
grenzt, den  ondvegissülur,  die  weit  schwerer  als  die  andern 
pfosten  und  geschmückt  sind  mit  ausgeschnitzten  bildern  von 
göttern  (namentlich  Thor)  oder  beiden.  —  Längs  der  mitte 
des  golfes  liegt  der  lierd  (arinn),  der  häusliche  altar.  Er  be- 
steht aus  einer  oder  mehreren  (meist  3,  an  einer  stelle  auch  7) 
feuerstätten,  die  in  ihrer  gesammtheit  die  langeldar  ergeben.3) 
Hörn  oder  trinkbecher  werden  geweiht,  indem  man  sie  über 
diese  feuer  reicht.  Der  rauch  steigt  auf  durch  die  rauchlöcher 
oben  unter  dem  dach.  —  Längs  den  beiden  Seitenräumen  ist 
je  ein  (lang-)  pallr  und  oben  darauf  ein  (lang-)  bekkr  errichtet. 
Der  eine  pallr  bez.  bekkr  heisst  oeöri,  der  andere  gegenüber 
uoeöri.  In  der  mitte  jeder  bank  ist  der  von  den  zugehörigen 
hochsitzsäulen  begrenzte  hochsitz.    Der  vornehmere  wird  stets 

])  Nicht  der  skäli ,  der  gewöhnlich  nur  schlafraurn  war.  Ueber  die 
stofa  und  ihre  einrichtung:  Guöin.  171-206;  Tnek253— 62,  fig.  8.  9.  10. 11. 

ä)  Vgl.  Hüsdräpa. 

3)  Ueber  den  trefflich  erhaltenen  einteiligen  arinn  in  der  tempelruine 
von  Lundr  s.  s.  58. 


DEtt   GERMANISCHE   TEMPEt. 

vom  vornehmsten  (in  der  stofa  vom  hausherrn)  eingenommen, 
der  gegenüber  vom  nächstangesehenen  (bez.  vom  vornehmsten 
gast).  Das  ondvegi  ist  für  3—4  personen  berechnet.  -  [rgend 
eine  feste  regel  über  die  läge  der  beiden  hochsitze  lässl  sich 
nicht  nachweisen,  doch  scheint  in  der  stofa,  deren  einjj 
gewöhnlich  in  der  giebelwand  war,  der  vornehmere  in  der 
regel  rechts  vom  eintretenden  gelegen  zu  haben.  Im  Norwegen 
sass  der  könig  auf  dem  hochsitz  der  bank,  die  gegen  die  sonne 
zeigte,  also  der  nördlichen.1) 

Die  einrichtong  des  langraumes  entspricht  durchaus  diesem 
bild  der  stofa,  jedoch  mit  einer  wesentlichen  modification:  im 
tempel  scheint  nur  ein  hochsitz  gewesen  zu  sein.  Die  worte 
der  Eb.  (IV  3):  'pörölfr  kastaöi  pa  fyrir  borö  Qndvegissülum 
sinum,  peim  er  staöit  liQfou  i  hofinu;  J?ar  var  |?6rr  skorinn  ä 
annarri'  deuten  darauf,  dass  nur  zwei  hochsitzsäulen  im 
tempel  gewesen  sind,  also  nur  ein  hochsitz.  Dass  auch  in  der 
stofa  gelegentlich  nur  ein  hochsitz  vorhanden  war,  zeigt 
gleichfalls  die  Eb.'2)  —  Diese  umstände  machen  es  wahrschein- 
lich, dass  das  Vorhandensein  zweier  hochsitze  nicht  das  ur- 
sprüngliche ist,  dass  vielmehr  die  entwicklung  von  einem  hoch- 
sitz ausgegangen  ist,  dem  sich  in  der  stofa  dann  secundär  ein 
zweiter  zugesellt  hat  —  eine  entwicklung,  die  sehr  natürlich 
vorkommt.3)  Für  den  tempel  erscheint  ein  doppelter  hochsitz 
völlig  überflüssig-,  in  der  stofa  dagegen  wol  verständlich.  Auch 
stimmt  der  umstand,  dass  die  tempeleinrichtung  in  diesem 
punkte  die  altertümlichere  ist,  durchaus  zu  dem  relativ  alter- 
tümlich -conservativen  Charakter,  den  wir  allgemein  an  ihn 
tempeln  beobachtet  haben.  —  Man  darf  noch  weiter  gehen 
und  mit  Maurer4)  vermuten,  dass  eine  derartige,  zur  abhaltung 
von  gelageu  benutzte  halle  ursprünglich  überhaupt  nur  dem 
tempel  eigen  gewesen  und  erst  secundär  für  ähnliche  zwecke 
im  privatlehen  erbaut  worden  ist  nicht  umgekehrt,  wie 
Nicolaysen5)  annimmt,  dass  der  tempel  an  den  skaü  anknüpft 

')  Ueber  diesen  noch  aeuisländ.  Sprachgebrauch  b,  Siguröur  \  L 
AiIk  '82,9,  not. 

-j  Mll.  in.  v  die  anmerkung  dea  Hrsg. 

3)  Auch  Manier  (in  Beinen  Beitr.46,not.ö)  deutel  die  mSgliohkeil  einer 
Bolchen  entwicklung  an.  Ebda.  62. 

■-)  Ili-r.  Tideskr.  W9. 

licitruge  nur  ^schichte   .lci  CXV. 


82  THÜMMEL 

Die  ganze  einrichtung,  in  erster  linie  die  mit  götterbildern 
verzierten  hoclisitzsäulen1),  sowie  der  verlauf  der  gastmähler 
im  einzelnen  weisen  deutlich  auf  religiösen  Ursprung  hin.  — 
Die  errichtung  besonderer  veizlu-  oder  drykkjuskälar  erscheint 
somit  älter  als  die  eigentliche  stofa,  sozusagen  die  Zwischen- 
stufe in  der  entwicklung  zu  sein  zwischen  der  tempelhalle 
und  der  nach  diesem  muster  erbauten  stofa  des  Wohnhauses; 
solche  besonderen  veizluskälar  sind  denn  auch  nur  in  der 
älteren  zeit  vorhanden,  auf  Island  nur  im  9.  und  10.  jh. 

Das  obige  bild  des  laiigraums  im  tempel  wird  in  einigen 
punkten  durch  die  Eb.  und  Hkr.  ergänzt:  auf  die  eine  hoch- 
sitzsäule  in  pörölfs  tempel  war  Thors  bild  eingeschnitzt  (Eb. 
a.a.o.;  auf  die  andere  vermutlich  Freyr,  vielleicht  auch  Ööinn).2) 
Ferner  findet  sich  in  der  tempelbeschreibung  der  Eb.  die  an- 
gäbe, dass  in  den  hoclisitzsäulen  nägel  waren,  die  'reginnaglar' 
hiessen.  Nirgends  sonst  sind  solche  'götternägel'3)  erwähnt, 
sie  dienten  vermutlich  nur  zum  schmuck.  —  Bei  den  opfer- 
schmäusen  Mengen  über  den  längsfeuern  kessel,  in  denen  das 
opferfleisch  gesotten  wurde.  Ueber  die  feuer  reichte  man  beim 
zutrinken  die  becher  zur  weihe  (Hkr.) 

i)  Das  afhüs.  Wie  die  angeführten  tempelberichte  lehren, 
kommt  für  die  innere  einrichtung  des  afhüs  im  wesentlichen 
zweierlei  in  betracht4):  et)  der  stallr  (ältere  form5):  stalli)  für 
die  götterbilder0),  in  dessen  mitte  gewöhnlich  der  gott  stand, 
dem  der  tempel  geweiht  war;  ß)  der  stallr  (stalli)  oder  altar, 
auf  dem  feuer,  ring  und  opferblutschale  waren.7) 

I.   Die  angaben  der  sagas. 
Im  gründe  machen  nur  zwei  eine  angäbe  über  die  läge 
dieser  stallar: 

1)  Eb.  (s.S.  63):  '...  stöö  p>ar  stalli  ä  niiöju  gölfinu  sein  altari,  ok 
lä  par  ä  bringr  einn  inötlauss  ...  Ä  stallanum  skjddi  ok  standa  hlaut- 
bolli  . . .  Urnbverfis  stallann  var  goSunum  skipat  1  afhüsinu. ' 


*)  Wahrscheinlich  gehen  diese  auf  die  gleiche  wurzel  zurück  wie  der 
heilige  banm  der  Irminsul,  s.  nuten  4. 

-)  S.  Traek,  abbild.  10. 

3)  Von  Björn  Olsen  ('Om  Euuerne  i  det  oldisl.  lit.'  s.  10,  not.)  als  'reihen- 
nägel'  gedeutet.  4)  Vgl.  S.  Vigfüsson,  Ärb.  '82, 14. 

5)  S.  Isl.  S.  II,  402,  not.  11.  ")  S.  s.  86. 

7)  S.  s.  8G  ff. ;  im  Yngl.-tal  anch  vestallr  genannt. 


i>h:k  <;i:kmanis<  m.    i  i.mif.i.. 

2)  Kjaln.s.  (s.s.64):  'par  stöö  pön  i  miöjuoh  önnurgoöä  tveer  hendr; 

iraiiiiiii  i'yrir  |';ir  (Variante:  ]'öi)  stört  Btallr,  meö  niikliiin   hagleih  gjfln  Ol 
|>ilja<V  ofan  meö  jarni;  par  a  Bkyldi  vera  eldr,  bb  i  r  aldri  Bkyldi  Blokna 

Die  compUierten  angaben  der  jung.  Bfelabök  kommen  ersl 
in  zweiter  linie  in  betracht. 

II.   Die  ergebnisse  der  ruinenfunde. 

Die  für  die  vorliegende  frage  wesentlichen  ergebnisse  der 
s.  59  ff.  ausführlich  erläuterten  funde  sind:  1)  der  querwall  im 
innern,  das  hauptcharakteristikum  der  tempelruinen,  ist  zu- 
gleich ein  integrierender  bestandteil  des  afhüs  und  muss 
zweifellos  bei  der  frage  nach  den  stallar  in  betrachl  kommen. 
2)  Der  fand  von  Hörgsdalr  in  seiner  gesammtheit  wie  in  seinen 
einzelheiten  spricht  deutlich  dafür,  dass  wir  in  dem  steinwaU 
mit  der  feuerstätte  in  seiner  mitte  einen  einstigen  tempelaltar 
vor  uns  haben,  auf  dem  das  heilige  feuer  gebrannt  hat. 
Derselbe  Charakter  kommt  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auch 
dein  l'und  in  Hörgsholt  zu.  3)  Eine  parallele  zu  dem  stein- 
wall in  Hörgsdalr  bildet  der  breite  steinwall,  der  am  fasse 
des  querwalls  im  afhüs  von  pyrill  auftritt.  Beide  stimmen 
auch  darin  überein,  dass  sie,  von  der  einen  längswand  an- 
gehend, nicht  ganz  bis  zur  andern  verlaufen,  sondern  hier 
einen  räum  zwischen  sich  und  der  wand  Ereilassen. 

Combinieren   wir   fliese  ergebnisse   mit  jenen   sagazeug- 

n,   so   ergibt    sich    zunächst   folgende   Interpretation  für 
die  angäbe  der  kjaln.  s. : 

Ein  nach  art  der  aussenwände  aufgeführter,  meist  wo) 
nicht  ganz  so  hoher  querwall  im  innern  dient  als  der  stallr 
(stalli),  auf  dem  die  götterbilder  stehen  (im  Thors-tempel  zu 
Hof  ä  K'.j.:  Thor  in  der  mitte).  An  seinem  fusse  verläuft  ein 
etwas  niedrigerer  wall  aus  stein,  auf  welchem  ring  nnd  o] 
blutschale  liegen;  in  dessen  mitte  Ist  eine  feuerstätte,  deraltar 
für  das  heilige  feuer  (in  Hörgsdalr  60  cm  hoch  und  breit,  an 
der  herdstelle  In  der  mitte  BO  cm  hoch).  Durch  diese  stallar 
wird   zugleich  die   völlige  brennung  von  afhüs  und  langraum 

bewirkt.  '  Betrachten  wir  nun  die  Variante:  -liaiimii  tvrir  [>6r 
Btöö  stallr ... '  Bin  Schreibfehler  O^or'  für  •|,;"'>  'v|  nicht  an- 
zunehmen, weit  eher  lag  Vermutung  im  umgekehrten 
sinne  r|'ar'  für  'J>6r'  verschrieben)  nahe.     Vielmehr  passt  die 


8i  THÜMMEL, 

Variante  vortrefflich  in  den  geschilderten  Zusammenhang',  wenn 
wir  unter  'stallr'  nur  die  feuerstätte  in  der  mitte  verstehen. 
Vielleicht  ist  diese  einengung  des  begriff  es  'stallr'  auf  den 
concreten  Sachverhalt  zurückzuführen,  dass  der  altar  mit  dem 
geweihten  feuer  nicht  immer  eine  derartige  ausdehnung  nach 
beiden  Seiten  hatte  wie  oben  geschildert,  sondern  mitunter  nur 
aus  der  feuerstätte  in  der  mitte  bestand.  —  Dafür,  dass  ein 
solcher  unterschied:  —  a)  altar  im  weiteren  sinne  =  der 
ganze  steinwall,  in  dessen  mitte  die  feuerstätte  liegt,  und 
ß)  altar  im  engeren  sinne  =  nur  die  feuerstätte  in  der  mitte 
—  gelegentlich  gemacht  wurde  bez.  wirklich  bestanden  haben 
mag,  könnte  vielleicht  auch  der  umstand  sprechen,  dass  eine 
von  den  hss.  der  Kjaln.,  welche  die  gegebene  Variante  zeigen, 
schreibt:  'Hjä  (nicht:  ä)  peim  stalli  skyldi  ok  stand a  bolli'; 
stallr  könnte  hier  im  engeren  sinne  gebraucht  sein,  so  dass  die 
opferblutschäle  auf  dem  steinwall  (dem  stallr  oder  stalli  im 
weiteren  sinne)  dann  neben  ihm  stand.  —  Auch  die  angäbe 
der  Eb.  ist  vielleicht  auf  diese  weise  zu  erklären,  wenn  der 
stalli  mit  dem  geweihten  feuer  im  engeren  sinne  gefasst  wird. 
Die  bemerkung  '  Umhverfis  stallann  var  goöunum  skipat  . . . ' 
scheint  freilich  nicht  ganz  treffend,  doch  bildet  sie  keinen 
Widerspruch  zu  dein  dargelegten  Sachverhalt.  Die  meinung 
Guöbrandr  Vigfüssons l),  der  sie  für  offenkundige  interpolation 
erklärt,  wird  man  schwerlich  teilen  dürfen,  da  sonst  in  dem 
tempelbericht  die  erwähnung  des  stalli  mit  den  götterbildern 
völlig  fehlen  würde,  was  kaum  als  ursprünglich  (etwa  als  ver- 
sehen des  Verfassers)  zu  betrachten  ist. 

Die  beiden  stallar  bilden  also  —  wenn  wir  die  oben  ge- 
gebene Interpretation  der  Kjaln.  zu  gründe  legen  —  als  ganzes 
betrachtet  eine  art  bank,  deren  sitz  gleichsam  der  stalli  oder 
stallr  für  feuer,  ring  und  blutschale  und  deren  sehr  dicke  lehne 
der  stalli  für  die  götterbilder  ist.  In  diesem  sinne  ist  viel- 
leicht das  bild  der  jung.  Melabök  aufzufassen:  'die  götter 
standen  auf  einer  erhöhung  oder  hohen  bank  (vorn  davor 
stand  ein  altar)  . . . '  —  Der  compilator  hat  vielleicht  selbst 
die  alte  tempeleinrichtung  noch  gekannt  oder  diesen  passus 
aus   den   in   der   Vatzhyrna   enthaltenen   beschreibungen   er- 


x)  Corp.  poet.  bor.  I  40-i,  not. 


DER   GERMANISCHE   TEMPEL. 

schlössen.  Erst  auf  diese  weise  erhall  auch  die  gewaltige 
breite  des  gesammten  querwalls  (2  m  und  beträchtlich  darüber) 
ihre  natürliche  erklärung:  es  sind  die  reste  der  beiden  an- 
einander gebauten  stallar.  Für  bloss  einen  berechnel  würde 
die  breite  nach  wie  vor  nicht  recht  erklärlich  erscheinen. 

Dass  ein  querwall  von  ähnlicher  beschaffenheil  und  deut- 
lichkeit  wie  in  Pyrill  nicht  häufiger  an  ruinenfunden  beobachtel 
worden  ist.  erklärt  sich  in  erster  linie  aus  dem  verfallenen 
zustand  der  ruinen.  vor  allem  wol  daraus,  dass  der  höhere 
wall  (für  die  götterbilder)  im  laufe  der  zeit  auf  den  niedrigeren 
(für  das  feuer  . . . )  herabgestürzt  ist  und  ihn  so  zum  guten  teil 
bedeckt  hat.  Vielleicht  würden  genaue  Untersuchungen  manche 
parallelen  zu  dem  bau  von  pyrill  liefern,  wo  die  ursprüng- 
lichen Verhältnisse  in  besonders  günstiger  weise  bewahrt  sind. 
Der  mangel  ähnlicher  funde  wie  in  pyrill  und  Hörgsdalr  u.a. 
wiid  ferner  dadurch  verständlich,  dass  vermutlich  in  vielen 
fällen  die  ursprüngliche  anläge  nicht  mehr  erhalten  ist.  Sicher- 
lich haben,  nachdem  die  tempel  für  unheilig  erklärt  waren, 
manche  Christen  ihre  zerstörende  band  an  sie  gelegt,  auch  durch 
spätere  benutzung  zu  wirtschaftlichen  zwecken  (besonders  zu 
Schafställen  und  heustäften)  wird  die  ursprünglichkeit  der  ein- 
stigen Verhältnisse  vielfach  gelitten  haben.  Endlich  ist  auch 
zu  betonen,  dass  es  —  wie  für  den  gesammten  tempelbau 
überhaupt,  so  auch  für  die  anläge  der  stallar  —  vereinzelt 
abweichnngen  auf  Island  gegeben  haben  wird,  die  sich  z.  t. 
wol  als  residua  aus  älterer  zeit  erklären.1)  —  Wenn  sich  im 
afhüs  mancher  ruinen  auch  an  anderen  stellen  als  am  411er- 
wall  rharakteristische  funde  ergeben  haben-),  die  den  schluss 
nahe  legen,  an  den  fundsteilen  hätten  einst  dir  altäre  ge- 
standen, so  gibt  es  für  die  erklärung  dieser  tatsache  neben 
den  beiden  erörterten  möglichkeiten  der  onursprünglichkeil 
oder  abweichung  noch  eine  dritte:  neben   dm  beiden  stallar 

')  Was  im  besonderen  die  min    \  u  Hörgsdalr  ;  1  um.  wo  heute  nur 

einwall  mit  d  vorhanden  i.-t.  bo  i 

bleiben,  oh  die  heutigen  Verhältnisse  wirklich  die  orspi  d  sind  and 

somit  eine  abweichung  vorstellen,  tl i » -  sich  vielleicht  aus  dem  Behr  alter- 
tümlichen Charakter  dieses  heiligtun      •  erklärt,  oderobdei 
fiir  ili<'  götterbildi  r  spät               rt  worden  ist 


86  THÜMMEL 

können  auch  noch  andere  Vorrichtungen  bestanden  haben,  die 
bei  den  Opferhandlungen  in  function  traten,  zumal  sowol  für 
die  Nord-1)  wie  für  die  Südgermanen 2)  das  schlachten  von 
opfern  vor  dem  altar  bezeugt  ist. 

Das  darf  als  sicher  angesehen  werden,  dass  die  anläge 
der  stallar  in  den  tempeln  des  isländischen  typus  im  allgemeinen 
eine  einheitliche  gewesen  sein  wird,  nämlich  die  oben  erschlos- 
sene, zumal  für  sie  alle  der  breite  innere  querwall  so  charak- 
teristisch ist.  Von  gelegentlichen  Verschiedenheiten  kommt  wol 
im  wesentlichen  nur  die  in  betracht,  dass  der  stalli  oder  stallr 
mit  dem  feuer  nicht  immer  ein  von  der  feuerstätte  in  der  mitte 
nach  beiden  Seiten  hin  fortgesetzter  wall  gewesen  sein,  son- 
dern mitunter  lediglich  aus  der  feuerstätte  in  der  mitte  be- 
standen haben  wird  (höchstens  in  bezug  auf  material  und  con- 
struction  sind  allenfalls  noch  vereinzelt  modificationen  als 
möglich  zu  betrachten). 

a)  Der  stalli  (stallr)  für  die  götterbilder. 
Wenn  in  den  sagas  widerholt3)  von  mehreren  stallar  die 
rede  ist,  auf  denen  die  götter  standen,  so  ist  dies  entweder 
leere  phrase  —  es  kommen  fast  nur  jüngere  quellen  in  be- 
tracht —  oder  so  zu  verstehen,  dass  jedes  götterbild  auf  einer 
art  sockel  stand,  der  gleichfalls  stalli  (stallr)  genannt  wurde. 
Der  gott,  dem  das  heiligtum  vornehmlich  geweiht  ist,  steht 
auf  der  mitte  des  stalli  vor  der  feuerstätte  (vom  langraum 
aus  gesehen). 

ß)  Der  stalli  (stallr)  mit  dem  eldr,  hringr  und  hlautbolli. 
Wenn  die  Kjaln.  berichtet,  der  altar  vor  den  göttern  sei 
•mit  grosser  kunst  gefertigt  und  oben  mit  eisen  beschlagen', 
so  ist  das  erste  wahrscheinlich  ein  wenig  übertrieben  (wenn 
man  auch  dem  in  Hörgsdalr  erhaltenen  altar  eine  gewisse 
kunstfertigkeit  nach  damaligen  begriffen  nicht  absprechen 
kann),  das  zweite  vermutlich  unzutreffend,  wenigstens  für  is- 
ländische tempel,  da  dieser  altar  meist  (wie  in  Hörgsdalr  und 
J)yrill)  aus  stein  gewesen  sein  wird. 


')  Vgl.  Maurer,  Bek.  II 199.  2)  Tac.  Ami.  13,  57. 

3)  Hkr.,  Öl.  s.  Tr.  c.76;  Fms.  II  154.  163;  Fiat.  1401;  Harö.  s.,  isl.S. 
II  59;  vgl.  S.  Vigfrisson,  Ärb.  '82, 14. 


I>EK   GERMANISCHE   TEMPEL. 

1)  Das  feiler.  Dass  während  der  opferhandlungen  ein 
oder  gar  mehrere  feuer  im  afhüs  zum  gebrauch  gebrannt  hal 
liegt  aus  verschiedenen  gründen  nahe  and  erhelll  auch  aus 
den  zahlreichen  funden  von  holzkohlenasche  und  feuerfar- 
benen  steinen  im  afhüs  von  tempelruinen. l)  Dass  ferner  die 
nachricht  der  Kjaln.,  eine  solche  feuerstätte  sei  auf  dem  altar 
gewesen,  wo  eidring  and  opferblutschale  Lagen,  oicht  apokryph 
ist,  beweist  vor  allem  deutlich  der  fund  von  Eörgsdalr 
liegt  auch  an  sich  kein  grund  vor,  die  nachrichl  in  zweifei  zu 
ziehen,  obwol  eine  derartige  angäbe  in  der  Eb.  fehlt. 
Zweifellos  isl  aber  der  zusatz,  dass  dieses  feuer  oie  verlöschen 
sollte,  nichts  weiter  als  eine  leere  erfindung2),  die  durchaus 
dem  mythischen  Charakter  der  saga  entspricht.  .Man  darf  mit 
Finnur  Jönsson3)  annehmen,  dass  hier  lediglich  eine  analogie 
vorliegt  zu  der  Überlieferung  von  ewigen  feuern  in  griechischen 
und  römischen  tempeln.  —  Die  notiz  steht  auch  im  Wider- 
spruch zu  der  im  folgenden  (bei  der  Schilderung  der  tempel- 
verbrennung)  gemachten  bemerkung:  'Hann  (Bui)  tök  pä 
eldinn  ]>ann  hinn  vigöa  ok  tendraöi;  siöan  bar  hann  loginn 
um  hofit'4),  wenn  auch  die  bedeutung  dieses  Widerspruches 
dadurch  abgeschwächt  wird,  dass  die  erzählung  von  der  tempel- 
verbrennung  späterer  zusatz  ist.5) 

2)  Der  eidring.  Dieser,  ein  nicht  völlig  geschloss 
(liintlauss)  ring  von  20  ören  =  538  g  gewicht,  war  zweifellos 
aus  gold,  wie  Siguröur  Vigfusson6)  gezeigt  hat  und  auch  je 
eine  hs.  der  Eb.  und  Kjaln.  berichtet,  nicht  aus  silber,  wie 
die  Varianten  beider  texte  angeben.  Wahrscheinlich  hat  ihn 
der  gode  aussen  über  dem  rockärmel  getragen.1) 

8)  Die  opferblutschale.  Der  hlantbolli  auf  dem  altar 
ist  zweifellos  nicht  -ehr  gross  gewesen;  dafür  sprichl  schon 
der  name.  ferner  der  umstand,  dass  jene  in  steine  eingehauenen, 
napfartigen  Vertiefungen,  welche  von  der  Überlieferung  auf 
Island  als  einstige  hlautbollar  bezeichnet  weiden,  sämmtlich 

')  8. 

Falle  nicht  "'1  -u,f  ,lir 

daupr  der  Opferfeierlichkeit  beschräu 

•)  Kjaln. b.,  Lsl  8.  ll  HO 
h)  s.  1.87.  I  '    »    not 

■)  Art..  '82,  IT.  not 


88  THÜMMEL 

nicht  sehr  gross  sind  (10 — 20  cm  weit,  6 — 12  cm  tief).1)  Der 
kleine  'bollasteinn'  im  heidnischen  altar  von  Hörgsdalr  hat  einen 
kreisförmigen  bolli,  der  8  cm  im  dnrchmesser  misst  und  2,6  cm 
tief,  vielleicht  aber  unvollendet  ist,2)  —  Der  hlautbolli  ent- 
hielt sicherlich  nur  so  viel  blut,  als  zu  der  heiligen  handlung 
des  besprengens  erforderlich  war.  Dass  er  alles  blut  der  opfer- 
tiere  enthielt,  wie  die  Kjaln.  abweichend  berichtet,  ist  undenk- 
bar3) und  offenkundige  Übertreibung;  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  beruht  dieser  bericht  auf  einer  falschen  interpretation 
oder  flüchtigen  entlehnung  von  Snorris  bericht4),  wo  die 
gleichen  worte  'blöö  ]>at  alt',  aber  in  etwas  anderem  Zusammen- 
hang vorkommen. 

Aus  früheren  erörterungen 4)  geht  hervor,  dass  der  hlaut- 
bolli vermutlich  aus  stein  gewesen  ist  wie  der  eben  erwähnte 
in  Hörgsdalr.  Die  angäbe  der  Kjaln.  'bolli  af  kopar,  mikill' 
ist  ein  durchaus  irriger  zusatz  des  Verfassers.5)  Dieser  bolli 
lag  auf  dem  altar  (im  weiteren  sinne)  neben  der  feuerstätte 
in  der  mitte  (dem  altar  im  engeren  sinne0)).  Der  'bollasteinn' 
in  Hörgsdalr  fand  sich  jedoch  innerhalb  der  vier  aufrechten 
steine,  die  die  feuerstätte  bildeten.  Es  ist  möglich,  dass  der 
bolli  nur  während  des  opferfestes  zum  gebrauch  auf  dem  altar 
lag,  sonst  aber  unter  dem  herde,  in  dem  altar  im  engeren 
sinne  aufbewahrt  wurde.  Wenn  nun  in  zwei  hss.  der  Kjaln. 
wirklich  die  Variante  'i  J>eim  stalli'  auftritt,  so  liegt  vielleicht 
dieser  Zusammenhang  zu  gründe;  andernfalls  bliebe  die  er- 
klärung  übrig,  dass  der  'bollasteinn'  zugleich  als  baustein  für 
den  altar  (im  weiteren  sinne)  gedacht  ist. 

III.   (xesaimiitl)ild  des  isländischen  tempels.7) 

1)  Territoriale  läge.  Der  isländische  tempel  (hof)  liegt  in 
der  regel  auf  einem  berge  oder  hügel,  der  daher  mitunter  einen 
besonderen  namen  trägt:  Hofhöll,  Goö(a)höll,  Goöaborg,  Goöa- 
fjall.  Je  nach  der  beschaffenheit  des  berges  liegt  der  tempel 
auf  dem  gipfel  oder  am  abhang,  selten  jedoch  am  fusse.    Ganz 


0  S.  s.  57.  2)  S.  s.  61. 

3)  Vgl.  S.  Vigfüsson,  Arb.  '81,  82. 

*)  S.  s.79. 

5)  Vgl.  F.  Jonsson,  Ärb.  '98,  31.  6)  S.  s.  84. 

7)  Vgl.  karte  2. 


DER   GERMANISCHE   TEMPEL.  39 

besonders  beliebt  scheint  die  läge  auf  flachem  gipfel,  so  dass 
die  einhegung,  in  dessen  mitte  der  länglich-viere  opel- 

bau  steht,  den  rand  des  gipfelplateaus  bekränzt.  Bedingt  die 
natnr  der  statte  eine  geneigte  läge  des  tempels,  so  liegt  dieser 
den  abhang  hinauf  und  zwar  der  kleinere  tempelranm,  das 
afhus,  am  oberen  ende. 

Der  tempel  steht  (fast  ohne  ausnähme)  auf  dein  tun  der 
gehöfte,  also  innerhalb  des  vom  tüngarör  umgebenen  engeren 
gutsbezirkes.  Nur  in  ganz  vereinzelten  fällen  befindet  er  sich 
ausserhalb,  vom  gehöft  entfernt  —  offenbar  eine  erinnerung 
aus  weit  älterer  zeit,  in  der  die  freie  naturlage  des  tempels 
noch  allgemein  war.  Die  entfernung  des  tempels  vom  gehöft, 
welches  in  der  regel  etwa  in  der  mitte  des  tüngarör  liegt,  isi 
verschieden. 

Irgendwelche  feste  regel  im  sinne  einer  bestimmten  himmeis- 
richtung  besteht  beim  isländischen  tempel  nicht  (oder  wenigstens 
nicht  mehr)  —  ebensowenig  wie  bei  den  isländischen  gehöften 
der  damaligen  zeit  —  wenn  es  auch  scheint,  als  ob  die  O.-W.- 
lage  als  reminiscenz  an  frühere  zeiten  bevorzugt  wird. 

2)  Baumaterial  und  construction.  Der  isländische  tempel 
ist    in   seiner   gesammten   anläge   —   mit  ausnähme  der  dach- 

itruction  —  ein  reiner  rasenbau  (allenfalls  unter  benutzung 
von  Feldsteinen  im  unteren  teil  der  mauern)  mit  etwa  1,5  m 
hohen  und  ebenso  dicken  wunden,  die  aus  einzelnen  horizontal 
aufeinander  gelegten  rasenschichten  von  5 — 10  cm  dicke  be- 
stehen. Ihr  fundamenl  wird  durch  je  eine  einfache  oder  dop- 
pelte reihe  mächtiger  grundsteine  an  der  innen-  und  am 
scitc  Urbilder.  Holz,  auf  Island  nur  spärlich  vorhanden,  dient 
lediglich  als  hilfsmaterial,  in  erster  linie  zur  construction  des 
dachwerks  (hölzernes  balkendach  mit  der  eigenartigen  'stab- 
constmetion'),  der  pfosten  und  des  paneela 

3)  Aeussere  form  und   bauliche  anläge.    Der  typus 
isländischen  tempels,  wie  er  uns  in  den  itritt, 

ist    ein  einheitlicher,  länglich-viereckiger  bau.      Die  ecken  sind 

mehr  oder  weniger  stark  abgerundet,  je  oachdem  der  l- 
fende  tempel  einem  früheren  "der  späteren  Stadium  innerhalb 
der  allgemeinen  tempelentwicklung  angehört.    I1  Ibau 

in  seiner  äusseren  form  der  völlig  analogen  entwicklung, 
die   an   den   isländischen   wie  nordischen   Däusern  überhaupt 


90  THÜMMEL 

stattfindet.  Die  ältesten  tempel  zeigen  eine  starke  rundimg 
der  ecken.  Sie  tritt  ganz  besonders  am  afhüs  hervor,  das 
mitunter  halbkreisähnliche  form  annimmt.  Im  laufe  der  ent- 
wicklung  nähert  sich  der  bau  immer  mehr  der  reinen  recht- 
eckform. Diese  wird  aber  nie  völlig  erreicht,  wenigstens 
ist  kein  tempel  mit  durchaus  scharfen  ecken  nachweisbar. 
Die  dahin  strebende  entwicklung  wird  durch  den  Untergang 
des  heidentums  abgebrochen.  Die  beiden  tempelruinen  von 
Ljärskögar  und  Rütsstaöir  repräsentieren  den  anfangs-  bez. 
endpunkt  dieser  isländischen  entwicklung.1) 

Der  innere  räum  dieses  länglich- viereckigen  baus  ist  durch 
einen  durchschnittlich  Vj» — 2  m  breiten,  ca.  1  m  (und  darüber) 
hohen  quer  wall,  der  von  der  einen  langwand  hinüber  zur 
andern  verläuft,  in  zwei  ungleich  grosse,  völlig  von  einander 
getrennte  räume  geteilt:  a)  in  den  grösseren  langrauin,  in 
welchem  die  opfergemeinde  sich  versammelt  und  die  opfer- 
schmäuse  (blötveizlur)  stattfinden,  b)  in  das  kleinere  afhüs; 
hier  stehen  die  götterbilder  (in  der  'jüngeren  Melabök'  heisst 
daher  der  räum  'goöastüka')  und  der  altar  (stalli,  stallr)  mit 
dem  geweihten  feuer;  hier  verrichtet  der  tempelpriester  die 
heiligen  Opferhandlungen  vor  den  äugen  der  opferversammlung. 
Dieser  quer  wall  ist  ganz  nach  art  der  aussenwände  aufgeführt, 
meist  wol  etwas  niedriger  als  diese,  ca.  1  m  hoch,  jedoch  breiter 
und  im  Untergrund  mächtiger.  —  Die  gegenseitige  läge  von 
afhüs  und  langraum  ist  wechselnd,  eine  bestimmte  regel  dafür 
lässt  sich  nicht  aufstellen. 

Das  dach2)  ist  an  kleineren  tempeln  wahrscheinlich  ein 
reines  Satteldach  (einfaches  'Aastag'  mit  1  dachfirst)  gewesen, 
an  grösseren  ein  mansarddach  (zusammengesetztes  'Aastag' 
mit  3  dachbalken),  in  diesem  falle  häufig  mit  gewölbtem  dach- 
raum  (hüfa),  speciell  über  dem  afhüs.  In  bezug  auf  die  giebel- 
form ist  das  dach  bei  den  ältesten  tempeln  vermutlich  ein 
Walmdach  gewesen,  das  reine  giebeldach  nur  selten  und  erst 
an  tempeln  allerjüngsten  stils.  Die  dachdeckung  ist  (wie  bei 
den  gewöhnlichen  häusern)  entweder  aus  rasen  oder  aus  holz 
gewesen;  auf  Island  war  vermutlich  das  erste  vorhersehend. 


1)  S.  karte  2,  riss  I  und  III  (II  repräsentiert  ein  Zwischenglied). 

2)  Vgl.  Tr«ek.  fig.  8.  9. 


DER   GERMANISCHE   TEMPEL.  91 

Oben  in  den  beiden  schrägen  Seitenflächen  des  daches,  gleich 
bei  den  seitenbalken,  waren  die  fenster  (ginggar),  ziemlich 
grosse  liclit-  und  luftlöcher,  angebrachl  (glasfenster  hat  es 
sicher  nocli  nicht  gegeben). 

Häufig  ist  der  tempel  von  der  Umgebung  abgeschlossen 
durch  eine  rechteckige  (bez.  quadratische)  oder  kreisförmige 
einhegung  (hofgarör);  sie  ist  von  gleicher  construetion  wie  die 
mauern  und  gleich  den  tiiren  des  tempels  verschliessbar.  Der 
abstand  des  tempelzaunes  vom  tempel  beträgt  etwa  3 — I  m, 
bei  grossen  tempeln  etwas  mehr,  bei  kleinen  etwas  weniger. 

Vereinzelt  begegnet  auch  der  eigenartige  fall,  dass  die 
beiden  tempelräume  zwei  besondere,  völlig  von  einander  ge- 
trennte gebäude  bilden:  ein  von  einer  einhegung  umgebenes 
afhüs  und  dicht  dabei  der  veizluskäli. ')  Offenbar  erklärt 
sich  diese  anläge  durch  ungleichzeitige  entstehung.  Das  afhüs 
ist  zweifellos  das  primäre,  der  drykkjuskäli  vielleicht  ersl 
hinzugefügt  worden,  als  der  tempel  dann  haupttempel  wurde. 

4)  Die  innere  einrichtung.  Die  einrichtung  des  langraumes, 
deren  kenntnis  uns  auf  directem  wege  nicht  näher  vermittelt 
wird,  entspricht  in  allem  wesentlichen  dem  bilde,  das  wir  von 
dem  späteren  veizlu-  oder  drykkjuskäli  und  von  der  noch 
jüngeren  stofa,  dem  hauptraum  der  privathäuser,  kennen/-) 
Doch  hatte  der  tempellangraum  offenbar  nur  einen  hochsitz. 
Erst  in  den  veizhiskälar  und  den  stofur  (höchstwahrscheinlich 
nachbildungen  des  tempellangraumes  für  private,  weltliche 
zwecke)  hat  sieh  diesem  hochsitz  ein  zweiter  zugesellt  —  Die 
Wände  (beider  räume)  werden  wir  uns  innen  getäfelt  und  mit 
feilen  oder  teppichen  behängt  (tjaldat)  zn  denken  haben  — 
während  «las  innere  balkenwerk  immer  freilag  —  getäfel  und 
inneres  dachwerk  mit  gemaltes  und  geschnitzten  bildern  ge- 
schmückt  (motive  alter  mythen).  —  Der  länge  Dach  wird  der 
langraum  durch  die  beiden  inneren  pfostenreihen  geteilt  in 
zwei  Seitenräume  und  einen  hauptraum  in  der  mitte,  den 
eigentlichen  golf.    Längs  den  beiden  amen  i>t  je  eine 

(lang-)bank  ([lang]-pallr)  errichtet;  in  der  mitte  der  einen 
steht  der  von  den  beiden  hochsitzsäulen   begrenzte  hochsitz 


')  8.  karte  2.  riss  IV. 

•)  8.  i.80 ff.;  vgl.  Tmk,  flg.a  '.'.  10.  n. 


92  TIIÜMMEL 

((mdvegi).  Die  hochsitzsäulen  (ondvegissülur)  sind  mit  aus- 
geschnitzten bildern  von  göttern,  gelegentlich  wol  auch  mit 
'götternägeln'  (reginnaglar)  geschmückt,  —  Längs  des  haupt- 
raumes  (gölf)  in  der  mitte,  dessen  meist  strohgedeckter  hoden 
in  der  regel  aus  festgestampftem  lehm  besteht,  liegt  der  ge- 
wöhnlich 1 — Steilige  herd  (arinn).  auf  dem  die  langfeuer 
(langeldar)  brennen.  Ueber  diesen  hängen  während  der  opfer- 
gelage  kessel,  in  denen  das  fleisch  der  opfertiere  gesotten 
wird,  um  dann  zur  Speisung  der  opferversammlung  zu  dienen. 
Ueber  die  feuer  reicht  man  die  trinkbecher,  um  sie  zu  weihen. 

Das  afhüs  zeichnet  sich  mitunter  dadurch  vor  dem  lang- 
raum  aus,  dass  es  gepflastert  ist.  —  Der  breite  querwall  im 
innern,  der  die  Zweiteilung  des  gesammtraumes  bewirkt,  ist 
zugleich  die  erhöhung  (stalli),  auf  der  die  götterbilder  stehen, 
in  der  mitte  das  bild  des  hauptsächlich  verehrten  gottes.  Am 
fusse  dieses  querwalls  (auf  der  dem  afhüs-innern  zugekehrten 
seite)  verläuft  ein  zweiter  (etwas  niedrigerer  und  schmälerer, 
ca.  60  cm  breiter)  wall  (aus  steinen),  in  dessen  mitte  —  also 
vom  afhüs  aus  gesehen  vor  dem  bild  des  tempelhauptgottes  — 
ein  etwas  erhöhter  (ca.  80  cm  hoher,  aus  grossen  steinen  relativ 
kunstvoll  errichteter  herd  steht;  auf  diesem  brennt  das  ge- 
weihte feuer  (vfgör  eldr).  Dieser  zweite  wall  (stalli,  stallr) 
verläuft  wol  auf  einer  oder  auch  auf  beiden  Seiten  der  feuer- 
stätte  nicht  bis  zu  den  laugwänden  wie  jener;  mitunter  wird 
dieser  altar  lediglich  aus  der  feuerstätte  in  der  mitte  bestanden 
haben.  Auf  diesem  altar  liegen  (ausser  dem  feuer)  noch:  2)  der 
stallahringr:  ein  goldener,  nicht  völlig  geschlossener  (mutlauss) 
ring  von  20  ören  =  538  g  gewicht  (tvitogeyringr) ;  auf  ihn 
sollen  alle  eide  geschworen  werden,  ihn  soll  der  tempelpriester 
(hofgoöi)  bei  allen  Versammlungen  tragen  —  (dies  geschah 
wahrscheinlich  aussen  über  dem  rockärmel).  3)  Die  opferblut- 
schale  (hlautbolli) :  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ein  flacher 
stein  mit  einer  napfartigen,  etwa  10-20  cm  weiten  und  6-12  cm 
tiefen  Vertiefung.  Er  enthält  das  opferblut  (Maut,  f.),  welches 
dazu  gebraucht  wird,  die  altäre,  die  tempelwände  und  die 
opfergemeinde  zu  besprengen.  Zu  diesem  zwecke  liegt  im 
hlautbolli  ein  blutzweig  (hlautteinn),  der  als  Sprengwedel  dient. 

5)  Grösse.  Die  grosse  der  tempel  ist  naturgemäss  ver- 
schieden;   im   einzelnen   falle    sind   die  besonderen   örtlichen 


DEB   GERMANISCHE  TEMPEL.  93 

bedürfnisse  massgebend.  In  der  rege!  Bind  die  öffentlichen 
oder  hanpttempel  erheblich  grösser  als  die  privattempeL  Für 
jene  besteht  eine  durchschnittliche  äussere  länge  vmi  ca.  30  m, 
für  diese  eine  solche  von  ca.  1">  in.  Natürlich  hat  es  auch 
fälle  gegeben,  in  denen  ein  umgekehrtes  Verhältnis  auftrat. 
sieht  man  von  dieser  Classification  ab  und  betrachtet  alle 
tempel  insgesammt,  so  ergibt  sich  eine  durchschnittliche  !■ 
von  16—22  in,  bei  einer  breite  von  8  m.  Für  mittlere  Ver- 
hältnisse beträgt  die  äussere  breite  etwa  ein  drittel  der  ge- 
sainmten  äusseren  tempellänge,  in  der  regel  etwas  mehr  (fast 
stets  aber  weniger  als  die  hälfte).  Bei  außergewöhnlichen 
Iängenmassen  wird  diese  regel  mehr  oder  weniger  durch- 
brochen, da  in  der  breite  aus  bautechnischen  gründen  meisl 
eine  gewisse  grenze  innegehalten  wird.  Die  beiden  längsten 
tempelruinen  (Hofteigr,  no.  9;  HofiVäpn.,  no.  11,  zwei  hanpt- 
tempel) weisen  eine  länge  von  42  m  bez.  37,7  m  auf,  bei  einer 
breite  von  je  10,7  m.  —  Die  länge  des  afhüs  beträgt  (gleich 
der  tempelbreite)  in  der  regel  reichlich  ein  drittel  der  ge- 
sammten  tempellänge.  Das  afhüs  selbst  besitzt  daher  meisl 
annähernd  quadratische  form.  Seine  grosse  ist  bei  den  ver- 
schiedenen tempeln  einigermassen  constant,  bei  haupttempeln 
im  allgemeinen  etwas  grösser  als  bei  privattempeln.  —  Die 
länge  des  langraumes  wechselt,  je  nach  der  anzahl  dertempel- 
besucher,  in  ziemlich  freier  weise. 

6)  Eingänge  (dyrr)  und  türen.  Der  tempel  hat  stets  zwei 
eingänge  (nicht  mehr  und  nicht  weniger),  und  zwar  hat  jeder 
der  beiden  räume  seinen  besonderen  eingang.  Die  läge  dieser 
beiden  eingänge  kann  sein.-  a)  beide  in  ein  und  derselben  lang- 
wand, in  diesem  falle  gewöhnlich  an  den  beiden  ecken,  b)  einer 
von  beiden  ist  in  die  mitte  einer  giebelwand  gelegt,  der  andere 
am  entgegengesetzten  ende  der  langwand.  —  Niemals  li< 
die  beiden  eingänge  einander  gegenüber,  d.h.  nie  sind  I 
türen  desselben  tempels  auf  beide  giebelwände  "der  auf  beide 
langwände  verteilt.    Höchst  wahrscheinlich  ist  eine  derai 

vermieden,  am  starkem  luftzug  vorzubeugen.  —  Die  türen 
seilet  Bind  vermutlich  Schiebetüren  gewesen,  die  in  der  i 
mit  einem  metallring  als  handgrifl  versehen  waren.    Wie  bei 
den  Wohnhäusern  wurden  sie  wahrscheinlich  durch  eine  quer- 
stange  ans  holz  verschlossen. 


94  THÜMMEL 

In  allen  diesen  punkten  der  gesammten  äusseren  anläge 
besteht  kein  principieller  unterschied  zwischen  goden-  und 
privattempeln. !)  Der  einzige,  natürlich  gegebene  liegt  in  den 
grossen  verhäl  tnissen. 

Modifikationen  an  diesem  bilde  des  isländischen  tempeltypus 
hat  es  gewiss  im  einzelnen  gegeben,  insbesondere  wird  die  ein- 
richtung  des  altars  oder  stalli  (bez.  der  stallar)  mitunter  eine 
etwas  andere  — ■  altertümlichere  und  primitivere  —  gewesen 
sein  als  die  geschilderte.  —  Zweifellos  kommen  aber  solche 
modificationen  für  haupttempel  wenig  in  betracht,  zumal  auch 
die  beiden  berichte  der  hauptquellen  (Eb.  s.  und  Kjaln.  s.)  zwei 
haupttempel  betreffen,  die  gleich  im  anfang  der  landnämatiö 
nach  dem  muster  der  heimat  Norwegen  errichtet  wurden. 

Auf  der  andern  seite  wird  es  viele  privattempel  gegeben 
haben,  die  primitivere  Verhältnisse  in  anläge  und  einrichtung 
repräsentieren  als  das  eben  gezeichnete  bild  des  isländischen 
typus.  Sie  werden  häufig  sehr  bescheidene  bauten  gewesen 
sein,  mitunter  vielleicht  nur  ein  kleines  afhüs  als  anbau  an 
das  wTohnhaus.2) 

Für  privattempel  in  erster  linie  oder  gar  ausschliesslich 
kommen  wol  auch  jene  runden  tempelruinen  in  betracht,  die 
sich  vereinzelt  neben  der  typischen  tempelform  auf  Island 
finden  und  offenbar  residua  einer  altertümlicheren  stufe  der 
entwicklung  darstellen  —  der  stufe,  aus  welcher  sich  (w7ie 
allgemein  bei  der  hausform)  die  länglich- viereckige  entwickelt 
hat.  Bei  der  durch  diese  form  bedingten  geringen  ausdehnung 
—  das  streben  nach  grösseren  gebäuden  gibt  ja  den  anstoss 
zur  entwicklung  der  länglich -viereckigen  form  —  liegt  die 
Vermutung  nahe,  dass  kreisrunde  tempelhäuser  mit  kuppeldach 
vornehmlich  als  privattempel  gedient  und  sich  als  solche  noch 
lange  erhalten  haben  bis  in  die  zeit,  in  der  für  öffentliche 
zwecke  bereits  die  längliche  form  typisch  war. 

Bei  denjenigen  haupttempeln,  in  deren  nähe  eine  dingstätte 
lag,  scheint  —  bald  näher  dem  tempel,  bald  näher  der  ding- 
stätte —  in  der  regel  ein  opfersumpf  (blötkelda)  [oder  ein  'goöa- 


')  "Vgl.  [karte  2]  riss  I  (haupttempel)  mit  II  und  III  (privattempel). 
2)  Wie  etwa  das  (Vatnsd.  s.  c.  42  erwähnte)  blötliüs  des  Hrolleifr  und 
seiner  mutter  Ljot  in  Ass  (no.38);  vgl.  den  riss  des  gehüfts,  Ärb.  '95,  zeiclm.  I. 


I'i'i;    Ql  km  \\i-  <  iik    i  EMP1  i 

gewesen  zu  sein,  in  welchen  die  vom  dinggerichl  zum 
tode  verurteilten  schweren  Verbrecher  gestürzl  worden, 
ein  opferstein  (blötsteinn,  speciel]  auch   ^örssteinn),  an  dem 
ihnen  das  rückgral  zerschmettert  wurde.    Solche  als  opfer  an 
die  götter  betrachteten  strafrechtlichen  hinrichtui  einen 

die  einzige  arl  der  menschenopfer  zusein,  die  auf  Island  noch 
aitte  waren;  germanische  menschenopfer  im  eigentlichen  sinne 
gehör«  n  einer  früheren  zeil  an. 

Anhang* 

I  >  i  «■  hauptgöl  t  er  auf  [sland. 

I.  Die  Bagas  nennen  (direct  oder  indira  >  Thors- 
tempel, ■_'  (5)  Freystempel.    In  jedem  tempel  wird  ein 

v<t  allen  andern  verehrt;  sein  bild  stehl   auf  der  mitte 
für   die    götterbilder   bestimmten    Btalli    vor1)   der   heiligen 
feuerstfil 

Thor  sind  folgende  tempel  geweiht:  l)  dei  dea  [)6r61fr 
Bfostrarskegg  in  Bofstaöir  auf  ßorsnes  (no.  37)2);  überhaupt  ist 
das  ganze  ßorsnessping  durch  die  Thorverehrung  charakteri- 
siert*); 2)  der  Beines  sohnes  Ballsteinn  ttorskafjaröargodi  in 
Sallsteinsnes  (no.48)4);  8)  der  des Porgrimr gooi  in  Bofa  Ki. 
im».  88) »);  1 1  wahrscheinlich  der  des  Jorundr  in  Svertingsstaöir 
(no.46?).a)  Freystempel  waren:  L)  in  pvera  bez.  Bripl 
Btadir  in".  M))1);  die  statte  isl  bezeichnenderweise  \'\\ 
nannt    2)   der  des  [ngimundr  zu  Bofi  Vd.  (no.23).8)    I 

eiht   sind  natürlich   auch  die  tempel  der  drei  goden,  die 
n:   ßorgrfmr  in  Sseböl  (n  11  in 

Aftalbo]    no.10)9)  und  t)6ror  im  8kap1  Warum 

wo]  ein  entsprechender  beiname  horsgoöi,  der  die  zahl 
erschlieesbaren  Thontempel  vermehren  würde,  nirgends 
kommt,  wird  nachher  t'i"ii«-it  werden. 

II.  Die  I.<in.  nennt  von  allen  gottheiten  nur  |>6i  r 

lieh.    Die  Verehrung  theit   wird   l"  len  fünf 

')  Vuin  l.inu'r.iiiin 

i  \  :;i   QnSbnutdi  \  igl 

■.  Lda    I 


96  THÜMMEli 

personell  mehr  oder  weniger  ausführlich  geschildert:  1)  pörolfr 
Mostrarskegg  (mit  seinem  ganzen  anliang),  152,  28  ff.  — 153; 
2)  Hallsteinn,  165,  23  ff.;  3)  Kräku - Hreiöar,  187,38.  188,12; 
4)  Helgi  enn  magri,  193, 15 — 16,  18  (halb  Christ,  halb  Thors- 
verehrer;  5)  Äsbjorn,  217, 10. 

III.  In  den  von  der  Ldn.  verzeichneten  isländischen  Orts- 
namen findet  sich  Thors  name  4  mal,  Njorös  name  1  mal, 
der  anderer  gottheiten  überhaupt  nicht. 

IV.  In  den  namen  der  fast  4000  personen,  welche  die  Ldn. 
aufzählt,  kommen  porr  980  mal,  Freyr  4  mal,  andere  gott- 
heiten überhaupt  nicht  vor. 

1)  porr:  980  (969  pur-  +  11  -porr)  und  zwar  704  masc.  (693  +  ll)1), 

276  fem.    (276  +    0)'2), 

2)  Freyr:  4;    2  masc.3),    2  fem.4) 

V.  In  heutigen  Ortsnamen5)  kommen  porr  gegen  10  mal, 
Freyr  4  mal.  (im  O.),  Njorör  2  mal,  andere  gottheiten  über- 
haupt nicht  vor. 

Aus  allen  diesen  punkten  geht  mit  deutlichkeit  hervor, 
dass  porr  haupt-  und  nationalgott  der  alten  Isländer  gewesen 
ist.  Neben  ihm  spielt  nur  Freyr  noch  eine  hervorragende 
rolle,  namentlich  im  osten  der  insel  (in  der  Fljötsdalsheiöi) 
tritt  sein  cult  stark  hervor.  Von  allen  andern  gottheiten 
kommt  allenfalls  Njorör  in  frage,  völlig  fehlt  dagegen  der 
Odinscult.  Mit  diesen  ergebnissen  stimmt  überein  die  nach- 
richt  der  jung.  Melabök6):  'porr  eöa  Jüppiter  var  seöstr  ok 
mest   göfgaör,    }?ä   Freyr';    ebenso    stimmt    der    bericht    der 


*)  83  -steinn,  74  -Ör  (darunter  1  HQföa-j?6rör),  58  -ir  (darunter  1  Holta-, 

I  Yxna-p>örir),  56  -kell  (-ketill),  53  -bJQrn,  51  -geirr,  45  -arinn,  40  -grimr, 
28  -gils,  28  -valdr,  27  -61fr,  25  -möör,  23  -leifr,  13  -oddr,  12  -finnr, 

II  -läkr,  9  -brandr,  9  -varör,  8  -hallr,  8  -leikr,  6  -bergr,  5  -haddr, 
5  -ormr,  4  -gestr,  4  -viör,  2  -fiör,  2  -gautr,  1  -älfr,  1  -gnyr,  1  -halli, 
1  -ljotr.  —  6  Berg-,  3  Stein-,  2  Haf-. 

2)  57  -iSr  (puriör),  43  -gerör,  37  -dis,  34  -unn,  27  -a  (darunter 
3  Berg-,  1  Haf-,  1  Langaholtspora),  17  -bJQrg,  15  -katla,  10  -laug, 
8  -hildr,  7  -arna,  5  -ny,  4  -ey,  3  -ljöt,  2  -leif,  2  -vor,  1  -elfr,  1  -finna, 
1  -grima,  1  -odda,  1  -ve.  Vgl.  Jon  Jönsson,  'Um  Islenzk  Mannanöfn' 
Safn  III  4,  680—81. 

3)  1  Freysteinn,     1  -viör. 

4)  2  Freygerör;  vgl.  Jon  Jonsson  ebda.  591. 

5)  Käl.,  register.  a)  S.  s.  65. 


bEH   GERMANISCHE  TEMPETi.  07 

ausführlichen  Dropl.  s.  '),  im  tempel  zu  Bessastaöir  in  der 
Fljötsdalsheiöi  seien  1)  Freyr  und  2)  Dörr  am  meisten  verehrt 
worden'),  sehr  gut  zu  unsern  beobachtungen.  Eine  bestätigung 
des  weitaus  vorhersehenden  Thorscultes  liegt  vielleicht  auch 
darin,  dass  sich  gegenüber  dem  dreimal  bezeugten  beinamen 
Freysgoöi  kein  pörsgoöi  findet.  Wahrscheinlich  bezeichnet  jener 
name  zugleich  etwas  von  der  regel  abweichendes,  wenn  auch 
damit  nicht  geschlossen  werden  soll,  dass  das  Simplex  gofci  stets 
gleichbedeutend  mit  ßörsgoöi  ist. 

Dieses  bild  der  götterverehrung  auf  Island  ist  ein  ziemlich 
getreues  abbild  des  norwegischen  eultes.3)  Es  bildet  somit  die 
bestätigung  der  natürlichen  Voraussetzungen,  die  man  in  dieser 
frage  liegen  durfte,  als  auch  eine  weitere  festigung  der  für 
den  norwegischen  göttercult  bisher  gewonnenen  kenntnis. 

2.    Der  nordgernianische  tempelbau  ausserhalb 
Islands. 

Die  einzigen  reste,  die  wir  von  germanischen  heiligt ümern 
ausserhalb  Islands  kennen,  sind  einige  in  Jütland  gefundene 
steinaltäre  aus  der  älteren  eisenzeit.4)  Tempelruinen  vom 
ausgang  des  heidentums  dagegen  sind  auf  dem  scandinavischen 
festland  aus  naheliegenden  Ursachen  nicht  erhalten.5)  Alles, 
was  über  den  nordgermanischen  tempelbau  erschlossen  werden 
kann,  gründet  sich  daher  in  erster  linie  auf  das  bild  des 
isländischen  tempels  und  auf  die  nachrichten  der  quellen. 
Diese  fliessen  für  Norwegen  relativ  reich,  wenn  auch  nicht  in 
dem  masse  wie  für  Island,  sind  dagegen  für  Schweden  und 
Dänemark  viel  zu  dürftig,  als  dass  sich  aus  ihnen  allein  ein 
irgendwie  klares  bild  zeichnen  Hesse  —  wenn  sich  auch  aus 
den  Ortsnamen  gewiss  noch  mancherlei  finden  lässt 

a)  Der  uorwegische  tempel.  1)  Der  tempelberichl  der  Kl... 
dir  überaus  zuverlässige  und  ausführlichste  beschreibung  über 

')  c.36,  b.   Lrb.  '82,86 

^  Vgl.  die  localsage,   Lrb.  '82,89,  not 

")  Vgl.  E.Mogk,  Germ,  myth.,  Panls  Grandr.'  III  354  319. 

*)  s.  >.  99. 

s.28.  Die  &nf  Gotland  erhaltene  banrnine,  ?on  dei  3ftv<  (Ann.  f. 
n.  0.1852,  L58  ff.)  meintj  >i-'  kOnne  vielleicht  ?on  einem  Bpätheidnischen 
tempel  herrühren,  gehört  schwerlich  in  diesen  Ensammenhang. 

lieiträge  zur  geschichte  Her  deutschen  iprache.     XXXV.  J 


08  THÜMMEL 

einen  isländischen  tempel,  welche  vorhanden  ist,  die  auch  durch 
die  ergebnisse  der  ausgrabungen  in  allem  endgültig  bestätigt 
wurde,  bezieht  sich  auf  einen  tempel,  der  884,  also  in  den 
anfangen  der  landnämatiö  in  Norwegen  abgebrochen  und  nach 
Island  verpflanzt  wurde.  Dieser  ist  zugleich  der  typus  jener 
alten  isländischen  tempelform,  deren  abbild  uns  in  der  ruine 
von  Ljärskögar  vorliegt.  Sicherlich  hat  porölfr  seinen  tempel 
auf  Island  ganz  nach  dem  alten  norwegischen  muster  wider 
aufgebaut.  2)  Aus  zahlreichen  Zeugnissen  der  Ldn.  geht  klar 
hervor,  dass  die  ansiedier  eifrig  beflissen  waren,  ihren  religiösen 
cult  möglichst  rasch  in  der  alten,  heimischen  weise  widerein- 
zurichten. 3)  Alle  nachrichten  der  sagas  über  tempel  in  Nor- 
wegen setzen  die  Übereinstimmung  zwischen  isländischem  und 
norwegischem  tempel  voraus,  kein  zeugnis  spricht  für  irgend 
einen  wesentlichen  unterschied,  der  (abgesehen  vom  baumate- 
rial)  zwischen  beiden  bestanden  hätte.  —  Es  kann  somit 
kein  zweifei  heischen,,  dass  zum  mindesten  die  ältesten 
formen  der  isländischen  heiligtümer  in  voller  reinheit  aus 
Norwegen  übernommen  sind,  dass  sie  also  als  getreue  ab- 
bilder  der  norwegischen  vom  ausgehenden  10.  jahrh.  gelten 
können;  und  angesichts  der  überaus  innigen  bezielmngen 
zwischen  dem  norwegischen  mutterland  und  der  isländischen 
tochtercolonie  darf  man  annehmen,  dass  auch  in  der  folge  bis 
zum  ausgang  des  heidentums  isländische  und  norwegische 
tempel  ein  in  allem  wesentlichen  völlig  gleiches  gepräge 
tragen. 

b)  Das  baumaterial  ist  in  allen  nordischen  reichen  von 
jeher  dasselbe  gewesen1),  ebenso  hat  die  hausform  im  ge- 
sammten  norden  die  gleiche  entwicklung  durchlaufen.2)  Es 
darf  allgemein  als  sicher  gelten,  dass  im  bauwesen  die  gleichen 
hauptprincipien  über  den  gesammten  germanischen  norden  hin 
herschend  waren3),  wenn  auch  geringe  Verschiedenheiten  localer 
art  bestanden  haben4),  die  jedoch  speciell  für  den  tempelbau 
fast  gar  nicht  in  betracht  kommen.  — 

Im  grossen  und  ganzen  darf  also  das  bild  des  norw.-isl. 
tempels  als  das  bild  des  nordgerman.  tempels  überhaupt  gelten. 


i)  Guöm.  7, 99.  2)  Ebda.  91—93. 

3)  Ebda.  10.  <)  Ebda.  11. 


bfiR    ni^HMANIsCHK   TEMPEt.  99 

Der  grundlegende,  zugleich  auch  einzig«  wesentliche  unterschied 
zwischen  dem  isländischen  tempel  und  dem  tempel  auf  dem 
scandinavischen  festlande  liegt  im  baumaterial.  Der  nordische 
tempel  ausserhalb  Islands  ist  wie  alle  andern  gebäude  durch- 
weg aus  holz  erbaut.  —  Ob  es  da  vereinzelt  auch  tempel 
aus  erde  und  feldsteinen,  wie  beim  isländischen  typus,  gegeben 
hat,  ist  fraglich,  zumal  dieses  material  schon  beim  gewöhn- 
lichen häuserbau  selten,  nur  in  einzelnen  gegenden,  auftritt.1) 

:».   Aeltere  formen  des  nordgermanischen 
heiligtums. 

I.   Einige  funde  in  Jütland  und  auf  Island. 

1)  In  den  mooren  Jütlands  wurden  folgende  beiden  funde 
aus  der  älteren  eisenzeit  (bis  500  n.  Chr.)  aufgedeckt2):  a)  bei 
Rosbjerggaard  (n.  von  Hobro)  fand  man  l1/»— 2  m  tief  im  moor 
einen  opferplatz,  der  ernst  im  walde  gelegen  hat  und  lange 
zeit  hindurch  benutzt  worden  ist.  Zwei  grössere  und  mehrere 
kleinere  gewölbte  Steinhaufen  an  diesem  orte  lassen  sich  nur 
als  ehemalige  altäre  erklären.  Charakteristische  funde  hier 
sind  ferner:  ein  feuergeschwärztes  etrurisches  gefäss  aus  der 
bronzezeit,  unter  welchem  kohlenreste  und  halbverkohlte  brande 
lagen,  ein  geschnitztes  trinkhorn  aus  der  römischen  periode 
(bis  400  n.  Chr.),  sowie  gleichzeitige  oder  jüngere  tongefässe, 
ausserdem  zahlreiche  Scherben  rings  verstreut.  —  Oben  auf 
dem  grössten  altar  standen  zwei  dicke  holzstücke,  die  wol 
reste  von  den  fassen  eines  alten  götterbildes  sein  können,  aber 
zu  vermodert  sind,  um  sich  als  solche  sicher  nachweisen  zu 
lassen,  b)  Bei  Viborg  fand  man  einen  Steinhaufen  von  gleicher 
form  und  grosse  wie  der  eben  erwähnte.  Schon  der  Orts- 
name 'die  heiligen  berge'  deutet  auf  alte  cultstätte;  hier  lag 
auch  späterhin  eine  der  vier  hauptopf erstatten  in  Dänemark.3) 
—  Bei  diesem  Steinhaufen  stand  eine  gut  erhaltene,  88  cm 
hohe,  stark  phänische  holzfigur,  die  zweifellos  ein  götterbild 
gewesen  ist.  sie  hat  einen  sorgfältig  geschnitzten  köpf,  aber 
keine  arme  und  endet  unten  in  zwei  zugespitzten  stricken  vnii 

•)  Guftm.  99.  2)  S.  8.  Müller  IT  179—81. 

3)  Vgl.  II.  Petersen  8. 


100  THÜMMEL 

gleicher  art  wie  die  unter  a)   erwähnten.    [Sie  stammt  ver- 
mutlich aus  dem  ersten  teil  der  eisenzeit.J  *) 

2)  Auf  Island  hat  man  ebenfalls  ruinen  zweier  heiligtümer 
gefunden,  die  zeitlich  vor  der  entwicklung  des  eigentlichen 
tempelhauses  liegen:  a)  auf  dem  berge  Hringholt  (no.  71)  eine 
sehr  altertümliche  länglich  -  viereckige  steinhegung,  innerhalb 
deren  ein  auffallend  grosser  stein  steht;  b)  in  Hörgsholt  (no.68) 
einen  dachlosen  steinbau.  Beide  funde  werden  im  folgenden 
noch  zur  spräche  kommen.'2) 

IL    Die  altnordischen  bezeichnungen  für  die  cultstätten 
(insbesondere  das  problem  des  'horgr'). 

Die  allgemeinste  bezeichnung  für  eine  heilige  statte  ist  ve 
(vgl.  vega  vig  i  venm;  vargr  i  veum).  Die  ausdrücke  blöthüs 
(s.  no.  1.  38.  43;  synonym  hierzu  wäre  nach  Axel  Kocks  ety- 
mologie3)  das  wort  disarsalr)  und  gocfahüs  (s.  no.  10.  43)  sind 
zweifellos  sehr  jungen  Ursprungs,  da  sie  auf  eine  ziemlich 
vollendete  bauform  weisen.  [Vielleicht  sind  sie  gar  erst  secun- 
däre  Wortschöpfungen  aus  christlicher  zeit.4)]  Blöthüs  speciell 
wird  ausschliesslich  auf  privattempel  angewant, 

Der  technische  ausdruck  für  den  tempel  der  sagazeit  ist 
hof;  es  bezeichnet  sowol  goden-  wie  privattempel,  vorzugsweise 
jene.  Daneben  erscheint  in  der  alten  literatur  das  wort  liQrgr. 
Es  ist  eine  alte  Streitfrage,  welches  der  unterschied  zwischen 
diesen  beiden  bezeichnungen  gewesen  ist.  Die  älteren  ansichten 
über  den  Charakter  des  hQrgrrj)  schwanken  zwischen  'opfer- 
hügel',  'opferaltar'  (aus  steinen)  an  erhöhter  statte,  unter 
freiem  himmel,  und  'haus'.  Von  neueren  auffassungen  seien 
folgende  widergegeben: 

K.Maurer6):  a)  liof  =  eigentliche  tempel;  b)  hgrgr  = 
blosse  opferstätten,  wie  es  scheint  aus  im  freien  aufgerichteten 
steinen  bestehend.  —  Eine  ganz  ähnliche  deutung  gibt 

Keyser"):  a)  hof  =  eigentliche  tempel;  b)  hgrgr  =  art 
steinaltar  oder  von  steinen  eingehegte  opferstätte  unter  freiem 
himmel;  ältere  einrichtung. 


')  Aarb.  1881,  369  ff.  2)  S.  s.  107  f. 

3)  Arkiv  XX  44.  4)  Maurer,  Bek.  II 190,  not.  1. 

5)  Vgl.  Siguröur  Vigffisson,  Ärb.  '81, 90—91. 

8)  Bek.  II 190.  ")  Samt.  Af  h.  III. 


DBB   QERMANI8CHE   TEMPEL.  Inl 

Siguröur  Vigfusson1)  (beschränkt  Beine  Untersuchungen  auf 
Island):  beides  holzbauten:  a)  hof  Aas  grössere  god 
(afhus)  mit  v€islusJcdli\  b)  hgrgr  das  kleinere  godahüs  ohne 
veislusJcdM,  daher  gewöhnlich  privattempel,  S.  V.  folgert  dies 
aus  der  tatsache,  dass  in  der  stereotypen  alliterationsbindnng 
'hof  ok  horg(a)r'  hof  stets  an  erster  stelle  stehe.  Di< 

argument  kann  jedoch  nicht  Btichhalten,  Mau/-  abgesehen  da- 
von, dass  an  einer  stelle  (Vsp.7)  —  und  das  ist  gerade  der 
älteste  beleg  —  die  umgekehrte  reihenfolge  eintritt.  Wie 
andere  ähnliche  bindungen  hat  auch  «lies*-  in  der  alliterations- 
poesie  ihren  Ursprung;  sie  erscheinl  schon  in  der  ältesten 
dichtung.-)  Die  reihenfolge  ist  lediglich  durch  rhythmisch- 
metrische  gründe  bedingt.  Aus  eben  diesen  gründen  tritt  denn 
auch  Vsp.  7  die  umgekehrte  folge  ein,  wie  ferner  auch  in  der 
Jxekst.  93)  das  hof  dieser  bindung  durch  blöthus  ersetzt  wird. 
Durch  den  gebrauch  in  der  dichtung  ist  dann  diese  bindung 
stereotype  formel  geworden;  dies  wird  deutlich  illustriert  durch 
die  beiden  quellenstellen  aus  der  Stjörn4),  wo  beide  male  für 
hof  oh  horgar  kein  äquivalent  in  der  Vulgata  vorhanden  ist. 

E.H.Meyer5):  haruc,  hea/rg,  hgrgr  =  altarstein  oder  ein 
von  einem  Steinhaufen  umschlossenes  heiligtum;  ursprünglich 
Steinhaufen. 

Kimmr  Jönsson6):  horgr  als  religiöses  eultwort  ist  eine 
uralte  bezeichnung  des  tempels,  im  norden  speciell  des  tempels 
für  die  göttinnen.  wo  die  frauen  den  opferfesten  vorstanden 
(im  ae.  auch  der  götterbilder).  —  So  viel  auch  für  diese  auf- 
fassung  ins  fehl  geführt  wird,  sie  scheitert  doch  an  der  summe 
folgender  tatsachen  (abgesehen  von  der  etwas  gesuchten  Inter- 
pretation verschiedener  quellenstellen,  die  zu  dieser  deutung 
in  Widerspruch  stehen):  1)  Yaf|>r.  und  ('-irinin.  ist  von  einein 
horgr  des  Njorör  die  rede.  —  F.  J.  erklärt  dies  als  eine  alte 
erinneruug  an  die  weibliche  Nerthus.  Ist  diese  erklärung  an 
sieh  schon  wenig  einleuchtend,  so  scheint  auch  aus  den  Worten 
der  \'af)T.  'oh  varö-ai  km  alinn'  deutlich  hervorzugehen, 

dass  den  äsen  gewöhnlich  horgar  eigen  waren.    !  gen- 

Lrb.  '81,9a  '82,44. 
i  Vgl.  Qislason,  Bfterl.  skr.  1  218  ti. 
4)  8.  s.105.  •)  Genu.  mytl.    L98. 

')  Festschrift  für  K.  Weülhold  18    20. 


102  THÜMMEL 

argument  büsst  zwar  durch  den  Charakter  dieser  zeile  als 
interpolierter  stelle  an  gewicht  ein,  doch  spricht  auch  Vsp.  7 
in  demselben  sinne.  2)  An  einigen  stellen  erscheint  horgr 
zweifellos  als  steinhügel,  steinaltar.1)  —  Die  art,  wie  F.  J. 
in  den  einzelnen  fällen  diesen  widersprach  erklärt,  kann  nicht 
überzeugen.  3)  In  Schweden  sind  zwei  alte  bezirksnamen 
Odhinsharg  und  Torsharg  nachgewiesen2),  umgekehrt  aber 
keiner  mit  dem  namen  einer  göttin.  4)  In  Norwegen  finden 
sich  mehrere  alte  gehöftsnamen  Freihov,  die  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  auf  *Freyjuhof  zurückgehen,  da  der  name  Freyr 
in  solchen  Zusammensetzungen  stets  in  der  genetivform  auf- 
tritt.3) In  einigen  fällen  sind  auch  Ortsnamen  mit  Fre{i)- 
noch  in  der  alten  form  Freyju-  (nicht  Freys-)  belegt.4)  In 
einem  falle,  wo  Freishov  und  Freihov  örtlich  nebeneinander 
vorkommen,  ist  das  zweite  sicher  auf  *Freyjuhof  zurückzu- 
führen.5) —  Es  ist  wenig  wahrscheinlich,  dass  ein  solcher  Orts- 
name aufkam,  wenn  hgrgr  wirklieh  typische  bezeichnung  für 
tempel  von  göttinnen  gewesen  wäre. 

Björn  Olsen6):  a)  hof  der  engere  begriff,  stets  haus,  ge- 
wöhnlich eingehegt,  haupt-  oder  privattempel ;  b)  hgrgr  hat  die 
grundbedeutung:  ort,  wo  man  zum  opfer  zusammenkam  (zur 
selben  wurzel  wie  got.  harjis,  an.  herr[?]),  bezeichnet  daher: 
1)  hain,  2)  berg,  3)  altar,  4)  einhegung,  5)  haus,  in  dieser  be- 
deutung  speciell  den  privattempel. 

Während  also  in  bezug  auf  den  Charakter  des  hof  als 
wirklichen  tempelbaus  volle  Übereinstimmung  herscht,  gehen 
die  ansichten  über  die  art  der  hgrgar  umsomehr  auseinander. 

Da  keiner  der  deutungsversuche  völlig  befriedigend  ge- 
nannt werden  kann  (was  zum  teil  in  der  unvollkommenheit 
des  angezogenen  materials  begründet  ist),  so  sei  im  folgenden 
aus  dem  gesammten  nunmehr  verfügbaren  material  heraus  eine 
neue  lösung  des  problems  versucht. 


1)  S.  s.  109. 

2)  Styife,  Skandin.  under  Unicmstiden.  Stockh.  1880;  296.  238. 

3)  Eygk,  Norske  Gaardnavne  II  362. 

4)  Rygh,  Minder  ...  19.  21.  23. 

5)  Ebda.  14.  «)  Arb.  '03,  9—16. 


DEB    GEBMANISCHE   TEMPEL. 


L03 


A)  hgr 


FngL-ta]  28l) 
illkr.  51,    Yngl.s. 
c.26) 

lläk.-dr.tpa') 
(Hkr.  180,  Hak.  B.  g. 

c.  10 
-  Fms.  I  30) 

VqI.7*) 

Yal'|>r.  38 


.">.  (iriinii.  16 

6.  Helgakv.  Bjorv.  4 

7.  Ihndlulj.  103) 

8.  Rekst.  9a4) 

9.  Orv.  Oddss. 

(ed.  Boer  18K8)  B.  IM 

10.  a.  a.  o. 


>j >■  in  der  alten  Literatur, 
a)  In  der  dichtnng. 

Eh)  il;i  ining  |  farra  triönn 
iiituns  eykr     a  Agli  rauß 

ff  aUStl      äuan   hafÖi 

brüna  hory  j  of  borinn  lengi. 

Austrluiidnni  försk  undir 
allvaldr,  Bas  gaf  skqlduin. 
(hann  fekk  gagn  at  gunni) 
gunnhorga,  slqg,  morgum. 

peira  /<■<'>•<•/  oft  hof  |  hntiinbrupu 

\/td/)nn  ok  horgv/m     hann  (Njojrör)  raepr  bnnd- 
ttlQrgum] 

varpat  hann  üsuni  alinn? 

inanna  pengill  j  enn  meinsvaui  ||  hQtimbrupnm 
hgrgi  raepr. 

Hof  nmnk  kiösa,  i  horga  marga. 

(Freyja:) Horgm&i  gerpi  |  (of)  hlapinn  steinum 

Femililr  fylkir  vildi  i  tirna  morg  ok  horga 
blothns  brenna  Lata   baö  hann  heiöin  goö  meifia. 

Bof  svipnopo  I  horgar  brnnno 
(Variante:  giori  hverr  meginn  bettra 

hof  Svipiöflar  horga  brenna. 
Oddr  rauö  eggiar  ok  eyddi  hof.) 

<  Iddr  brendi  hof  \  ok  horga  braut 
ok  tregoponi  |  tyndi  )ünom. 


8.  1^0  (nur  in  der  erweiterten  redaction):    Alla  vega  bü 

borgimri  stoou  hof  ok  hQrgar;  oddr  Lei  ilä  i  eldi  "k 

brenna  all  nmhverna  borgina. 


')  VgL  Jon  DorkelBson,  Arb.  '82,  L6    L& 

*)  Wahncheinlicb  unter  directem  einflua  von  •>.  entstanden. 

■)  Die  dentnng  dieser  atrophe  dnreb   Pinnni  Jönsson  ifl  för 

LL  Weinhold  18/.)  Ist  iweifellos  der  durch  Gering  (Edda-ttbers.  119)  vorzu- 
ziehen, jedoch  mir  dem  vorbehält,  dasa  wix  einen  ateinaltar  (Gering),  nicht 
ein  gebinde  <l  .Jönsson)  vor  uns  haben. 

•)  Vgl.  Gialason,  Efterl.  Skr.  1  318    ib 


104 


THUMMEL 


11.  Brachst,  d.  alt.  Gulap.-l. 

a)  älteste  fassung  NgL. 

IV  s.  7,  150—51 

b)  jüngere  f.    NgL.  II 

s.  496, 2 


12.  Aelt.  Gulap.-l.  c.  29 
(NgL.  1 18, 2  ff.) 


13.  Christenrecht  Sverrirs 
c.  79  (NgL.  1430, 17  ff.) 


14.  Sn.E.  c.13  (ed.A.M.) 

a)  II  260, 10  ff. :  Cod. 
Ups.  (u.  Hypnon.) 

b)  162,  7 ff.:  Cod.  reg. 

und  Worin. 


15.  Ldn.  s.  158,  6—9 


16.  Kristni  s., 

Bisk.  s.  I  s.  20, 18 

17.  Öl.s.h.,Fms.V239,4ff. 


18.  Knytl.s.,Fms.XI305,7 

19.  Öl.s.Tr..  Fms.I285,19f. 


20. 


II  41,  2  ff. 


h)  In  der  prosa: 

a)  ...  ma  cona  henda  syn  til  fra  husum  peim 
er  hun  a  goeng  i,  ok  gange  pa  hvorke  fyrer 
hcergur  nie  haugur,  og  ma  huu  padan  mann 
kenna. 

b)  En  ef  niaör  verör  at  pvi  [kunnr  oc  sannr 
at  hann  leör  hauga  eöa  (fehlt  im  original)  ] 
gerir  lms  oc  kallar  horg  . . . 

Blot  er  oss  oc  kviöiat  at  ver  scolom  eigi  hlota 
heiöit  guö.  ne  hauga.  ne  liorga.  En  ef  niaör 
verör  at  pvi  kunnr  oc  sannr.  pa  hever  hann 
firigort  hverium  penningi  fiar  sins. 

Blott  er  os  kuiöiat  at  ver  skuluni  seigi  blota 
haeiönar  vetter.  oc  seigi  haeiöin  guö  ne  hauga 
ne  horgha.  En  ef  maör  vserör  at  pui  kunnr 
eöa  sannar  at  hau  laBÖr  hauga  eöa  gerer  lms 
oc  kallar  horgh  . . . ,  pa  heefir  han  firergort 
huerium  pseningi  fear  sins. 

a)  . . .  Annan  sal  gerpu  peir  er  horgr  var  i. 

b)  Var  pat  hit  fyrsta  peirra  verk,  at  gera  liof, 
pat  er  sseti  peirra  standa  i,  XII  öimur  en 
hässetiö  pat  er  Allföör  ä.  pat  hiis  er  bezt 
gert  ä  jöröu  ok  niest;  allt  er  pat  utan  ok 
innan  svä  sem  gull  eitt;  i  peim  staö  kalla 
menn  GlaÖsheim.  Annan  sal  geröu  peir,  pat 
var  hörgr  er  gyöjurnar  ättu,  ok  var  hann 
allfagr.  pat  hüs  kalla  menn  Vingölf. 

par  haufdu  frsendr  hennar  sipan  ätrunad  mi- 
kinn  a  holana  var  pa  giaur  haurg  er  blot 
toku  til.  trudu  peir  pvi  at  peir  dsei  i  ho- 
lana. ok  par  var  pordr  Gellir  leiddr  i  adr 
hann  tok  mannvirding  sem  seiger  i  sogu  hans. 

par  (ä  HQrgaej'ri)  vom  aör  blot  ok  hörgar. 

Ölafr  konüngr  . . .  braut  niör  . . .  baeöi  hamra 
ok  hörga,  sköga,  vötn  ok  tre  ... 

Hörg'a  (höröa)  varöist  herr  i  borgum. 

pa  reiddist  Stefnir  ok  tök  at  briota  hof  oJc 
hörga  ok  brenna  skurögoö  . . . 

er  pat  . . .  kunnigt  at  ek  (Ölafr)  hehr  guöin 
i  marga  staöi  svivirdt  ok  minkat  peirra  rett, 
brotit  likneskiur  peirra,  brent  hof  oJc  hörga . . 


1>KK   GERMANI8CHE   TEMPEL. 


105 


21.  Fiat.  1285,  20  f. 

22.  III  246,  26  ff. 

23.  Hery.  b.  c.  2 

24.  Sturl.  s.  I  378,  7  ff. 

25.  Beilagram.  b.  173,1711'. 

(ed.  Unger) 

26.  Karl.  s.  131,35 

(ed.  Dnger  1860) 

27.  137,2211*. 
213,  37  f. 

Stjörn  580,  U  i. 


30. 


582,  L9f. 


...  let  hann  breuna  bof  en  briota  horga  ok 

raeisa  i  stadinn  kirkinr  . . . 

. . .  braut  hann  nidr  . . .  baedi  hamra  ok  horga 
Bkoga  votn  ok  fcre  ok  oll  onnr  blol . ..  (vgl.  17» 

Kitt  haust  \ar  gört  disablöt  mikit  hia  Alti 
konungi,  ok  gckk  Alf hildr  nt  blötinu;  .  .  . 
en  um  nöttina,  er  hön  rauö  hörginn,  aam 
Starkaör  Alndrengr  Älfhildi  a  burt,  ok  hafSi 
hana  keim  meß  Ber. 

Kolbeinn  . . .  nam  staö  undir  hliöinni  a  griöt- 
hörg  mikluin. 

slikar  prettafullar  forsagnir  af  diurlum  fram- 
fluttar  i  hofum  eöa  blothaurgum  truöu 
margir  heiöingiar  . . . 

pau  skurguo,  hof  ok  hörga  er  keisarinn  fann 

in  Hispaniis,  let  kann  breuna  eyöa  ok  niör 
briöta. 

...  leytir  at  niör  briötist  kirkiur  en  hof  med 
hörgwn  upp  reisist. 

...  lätit  siöan  hleypa  eykiunum  am  hveri 
straeti  borgarinnar  ok  griöt  ok  hörga, 

[Vulgata,  Könige  1 12,31:  fecit  fana  in  e> 
Hann  geröi  hof  ok  haurga  a  hseöum  ffiöa 
heiöum  .  . . 

. .  .  setti  kennimenn  moti  gubs  vilia  af  hinuni 
lsegstum  gttum  lyömanna.  oc  BkipaÖi  paeim 
yfii  hof  oc  haurga. 

(Könige  1 13, 32  f.,  ein  äquivalent  für  'hof  oc 
haurga'  fehlt  in  der  Vulg.) 


B)   Das  wort  im  ahd.  und  ae. 

a)  AM.  fiiinnj,  honte,  harvh       lucus,  nemus,  fanum,  ara1),  also:  hei- 
liger lmin.  beiligtom,  altar. 

b)  A-'.  hearg,  hearh  =  1)  Lucas,  aemai  —  'J>  Baoellam,  tanum,  dein- 
brum       8)  idolum*),  also:  \)  bain,  l'i  altar,  tempel,  8)  gOtsenhild. 


Uthochd.  iprachsch.  IV  1015—16. 
■i  Wright-Wolcker,    Angio-Saion  and  Old-Englieb  Vocabulariea' ] 
Ol,  10.   508,  i"    517  ia   510,  i":    Greto,   Spraehichatj  da 

dichter  II  | 


106  THÜMMEL 

C)   Das  wort  im  heutigen  nordgerrnanischen. 

a)  In  dialekten: 

1)  Schwed.  harg,  horg  (in.)  =  a)  ein  von  natürlich  aufgehäuften  steinen 
erfüllter  platz1),  ß)  steinhaufe2) 3),  -hügel  (als  Seezeichen)1),  y)  häufe,  schar, 
menge.2)  Eigentümliche  hedeutung  in  einigen  landschaften:  Jiorge,  horje 
=  6)  dicht  bewachsene  Waldung.1) 

2)  Norw. horg  (f.)  =  a)  häufe,  schar,  menge2)  (besonders  von  tieren)*), 
ß)  fels-,  bergspitze2) a),  meist  als  name  einzelner  grosser  berge4),  hat  gern 
steile  seiten  und  flachen  gipfel,  pl.  einige  bergflächen  mit  vielen  flach- 
gedrückten steilen  bügeln5),  y)  synonym  mit  hang  in  einigen  redensarten.5) 

3)  Isl.  hörgur  sehr  häufig  gebraucht  von  Unebenheiten  im  geläude,  von 

bergspitzen.7) 

b)  In  Ortsnamen: 

1)  Schweden l) :  1  Ojünshargher,  1  Jtorshargher,  1  Östraharg.  1  Yestraharg. 

2)  Norwegen:  ebensowenig  wie  für  die  andern  nordischen  länder  be- 
sitzen wir  für  Norwegen  bisher  eine  umfassende  darstelluug  über  die  Orts- 
namen im  allgemeinen.  Das  noch  unvollendete  werk  von  Rygh8)  berück- 
sichtigt nur  die  gehöftsnamen.  An  der  hand  dieses  werkes  und  früherer  aus- 
fübrnngen  Ryghs  über  spuren  altheidnischen  göttercultes  in  norwegischen 
Ortsnamen9)  ergeben  sich  folgende  hierher  gehörigen  gehöfte:  «)  1  Horg 
«  Hqrgr,  name  eines  gehöfts  und  des  nach  diesem  benannten  kirchspiels  in 
Südthrondheim),  1  Horghagen,  1  -moen,  1  -eien  (in  der  nähe  dieses  gehöfts), 
ß)  8  Horgen  «  HQrgin  <  Horgvin)  und  1  Horgjem  «  Horgheimr),  sämnit- 
lich  südlich  vom  Dovrefjeld.  Nach  Ryghs  angäbe10)  wird  das  wort  in  der 
Volkssprache  des  westlandes  häufig  von  bergspitzen  gebraucht  und  kommt 
dort  in  einer  menge  zusammengesetzter  bergnamen  vor. 

3)  Island11):  hier  sind  9  mit  Hörg-  zusammengesetzte  Ortsnamen  nach- 
weisbar.   Siehe  s.  17. 

Hqrgr  erscheint  also  in  Ortsnamen:  a)  nur  ein  einziges  mal  als  simplex 
(in  Norwegen),  ß)  in  Verbindung  mit  götternamen  nur  in  Schweden. 

D)   Funde  alter  hgrgar  auf  Island. 
aj   In  Hörgsdalr   (Sp.)   (no.  72)  haben  B.  Olsen  und  D.  Bruun  im 
sommer   1901    eine    höchst   interessante    und    wertvolle    ausgrabung   vor- 


J)  Eietz,  Svenskt  Dialektlexikon.  —  S.  oben  s.  102,  not.  2. 

2)  Falk-Torp,  Norsk-dansk  etymologisk  Ordbog. 

3)  Ross,  Norsk  Ordbog.  4)  Aasen,  Norsk  Ordbog. 

5)  Ross,  ebda,  unter  hang,  horg. 

6)  Rygh,  'Norske  Gaardn.'  Forord  og  Indl.  58 — 59. 

')  Ebda.  XT7  260;  Olsen,  Arb.'03, 9;  Cleasby-Vigfusson,  Dictionary  311. 

8)  'Norske  Gaardnavne'  Forord  og  Indl.,  I— P7.  VHI.  XIV— XVI. 

9)  'Minder  om  Guderne  og  deres  Dyrkelse  i  norske  Stedsnavne',  anhang 
P.  A.  Munch,  Norrene  Gude-og  Helte-Sagn2,  Krist.  1880. 

10)  Norske  Gaardnavne  XIV  260. 
n)  Vgl.  Kai.,  register;  Ärb.,  reg. 


DER   GEBMANISCHE  TEMPEL.  107 

genommen. ')  Sie  fanden  nämlich  hier  im  tun  nahe  beim  geböft  die  rniuen 
eines  alten  nord-südlich  gerichteten  länglich-viereckigen  gebändes,  das  eine 
äussere  länge  von  13,1  m  und  eine  äussere  breite  von  10  m  besass,  bei  einer 
manerdicke  von  1,7  m  eine  innere  ausdehnnng  von  9,7  m  bez.  6,3  m.    Der 

Untergrund  der  wände  bestand  aus  je  einer  äusseren  und  inneren  reibe 
grosser  steine;  die  wände  selbst  waren  aus  torf.  (,»ner  über  den  innenraum, 
also  von  W.  nach  0.,  verlief  ein  60  cm  bober  steinwall,  der  «-ine  Zweiteilung 
des  innern  im  genauen  Verhältnis  1  :  2  bewirkte,  bo  dass  der  kleinere  räum 
im  X.  lag.  Diese  ganze  anläge  der  ruine,  die  sofort  an  die  typische  islän- 
dische tempelanlage  erinnert,  die  resultate  bei  der  sorgfältigen  Untersuchung 
des  t'usshodens,  mehrere  sehr  charakteristische  funde  im  innern  *),  endlich 
auch  der  name  des  gehöftes  lassen  keinen  zweifei  übrig,  dass  es  sich  hier 
nur  um  den  fund  eines  alten  beiligtums,  einer  heidnischen  opferstätte 
bandeln  kann. 

b)  In  Hörgsholt  (A.j  (no.68)  war  vorher  eine  ganz  ähnliche  ruine 
in  der  nähe  des  geböfts  unter  einem  alten  aschebügel  gefunden  worden3): 
ein  länglich-viereckiger,  nord-südiich  gerichteter  bau  von  5,3  m  länge  und 
1,6  m  breite.  Die  1,2  in  bis  1,9  m  hohen  wände  waren  aus  stein  errichtet 
und  schienen  in  die  erde  gegraben.  In  der  mitte  der  O.-wand  war  ein 
schmaler  eingang.  Ganz  wie  später  in  Hörgsdalr  hatte  sich  hier  im  X.-ende 
der  charakteristische  längliche  steinwall  gefunden.  Auch  sonst  ergibt  ein 
vergleich  beider  ruinen  eine  vielfache  Übereinstimmung,  besonders  noch  in 
der  art  charakteristischer  funde.4)  An  sich  könnte  zwar  dieser  rund  im 
einzelnen  keine  endgültige  beweiskraft  beanspruchen,  da  der  beriebt  darüber 
—  mit  ausnähme  der  massangaben  —  nachträglich  von  dem  besitzer  des 
gehöfts  aus  dem  gedächtnis  gegeben  wurde  auf  grund  von  Wahrnehmungen, 
die  er  zwölf  jähre  vorher  gemacht  hatte,  und  eine  nachprüfung  der  angaben 
nicht  mehr  möglich  ist.  —  Durch  den  späteren  fund  von  Hörgsdalr  sind 
jedoch  diese  angaben  in  einer  weise  bestätigt,  die  die  enge  Zusammen- 
gehörigkeit der  beiden  ruinen  ausser  allen  zweifei  stellt.  Auch  die  ausgrabung 
von  Hörgsdalr  geschab  auf  den  mündlichen  bericht  eines  bonden  (neun  oder 
zehn  jähre  nach  dem  fund)  und  bestätigte  diesen  fast  bis  in  die  kleinsten 
einzelheiten. 

Aus  den  namen  der  beiden  gehöfte  geht  mit  voller  Sicherheit  hervor, 
dass  die  dort  gefundenen  ruinen  reste  alter  tyrgar  sind,  nach  denen  beide 
gehöfte  genannt  wurden.  —  Während  aber  die  ruinen  von  Hörgsdalr  sicher 
von  einem  wirklichen  banse  herrühren,  ist  die  steinheguug  von  Hergeholt 
offenkundig  einst  ein  dachloser  bau  (unter  freiem  himmel)  gewesen.*) 


')  Arb. '03, 1-!».  zeichn.  VI- VIII. 

2)  S.  s.61.  »)  Arb. '00, 28— 21».  4i  8. 

"i  Vgl.  Arb.  'OH,  16.  —  Bemerkenswert  erscheint,  dass  der  innere  quer- 
wall, dessen  tnrlosigkeit  für  die  tempelruinen  so  charakteristisch  war,  bei 
der  ruine  von  HOrgsdalr  nicht  gans  bis  zur  O.-wand  reicht,  dass  vielmehr 
zwischen  dieser  und  dem  O.-ende  des  walles  ein  etwa  1  m  breiter  Zwischen- 
raum frei  bleibt.    Die  frage  muss  offen  gell  len,  ob  es  sieb  hier 


108  THÜMMEL 

c)  Auf  dem  berge  Hringholt1)  (no.  71).  und  zwar  an  seiner  höchsten 
stelle,  von  der  aus  sich  eine  weite  fernsieht  bietet,  auf  halbem  wege  zwischeu 
Bakki  und  Sellätrar,  liegt  eine  grosse  länglich-viereckige  steinhegung,  sehr 
altertümlich  und  zusammengesunken,  mit  einer  inneren  länge  von  28  m 
und  einer  inneren  breite  von  19  m.  Die  ca.  2,5  m  dicken  wände  sind  aus 
grossen  steinen  errichtet,  die  ein  wenig  aus  der  erde  hervorragen.  Das 
fundament  selbst  ist  ebenfalls  ganz  aus  stein.  In  der  Südwand  dieser  ein- 
hegung befindet  sich  ein  eingang.  In  der  N.-O.-ecke  ist  ein  9,4  m  langer, 
schmaler2)  bau,  so  dass  die  einhegung  die  eine  wand  bildet.  Quer  über 
den  bau,  also  von  N.  nach  S.,  verläuft  ein  sehr  breiter  wall,  der  diesen  in 
zwei  ungleich  grosse  räume  teilt,  so  dass  der  kleinere  im  0.  liegt.  Im 
nördlichen  teil  der  einhegung  steht  ein  auffallend  grosser  stein :  1,8  m  hoch, 
4,4  m  lang,  4,4  m  breit.  Er  scheint  ein  wenig  bearbeitet  und  weckt  um  so 
grössere  aufmerksamkeit,  als  sich  in  der  nähe  kein  gleich  grosser  und  merk- 
würdiger stein  findet. 

Bei  der  besichtigung  ergab  sich  mit  Sicherheit,  dass  hier  keine  vieh- 
pferche, noch  viel  weniger  ein  tüngarör  in  frage  kommen  kann.  Die  einsame 
läge  an  sich,  entfernt  von  den  gehöften,  insbesondere  die  charakteristische 
läge  auf  dem  gipfel  des  hohen  hügels3),  sowie  die  ganze  anläge,  im  beson- 
deren wider  der  tempelähnliche  kleine  bau  und  der  grosse  felsblock  im 
innern,  legen  den  gedanken  zwingend  nahe,  dass  wir  hier  eine  heidnische 
eultstätte  vor  uns  haben.  Von  einem  'hof  im  sinne  der  typischen  tempel- 
bauten aus  der  sagazeit  kann  jedoch  nicht  wol  die  rede  sein;  sie  alle  lagen, 
soweit  sich  etAvas  feststellen  Hess,  fast  ausnahmslos  auf  dem  tun  der  ge- 
höfte,  auch  hat  sich  bei  keinem  eine  anläge  in  der  eigenheit  gefunden  wie 
hier.  Aus  solchen,  besonders  aber  noch  aus  gründen,  die  später  zur  spräche 
kommen  werden,  wird  es  höchst  wahrscheinlich,  dass  wir  hier,  wie  in  Hörgs- 
holt  und  Hörgsdalr,  einen  alten  liQrgr  vor  uns  haben. 

Eine  unbefangene  prüfung  des  vorliegenden  materials  lehrt, 
dass  JiQrgr  unmöglich  ausdruck  für  eine  ganz  specielle  kategorie 
von  heiligtümern  gewesen  sein  kann.  Das  wort  erscheint  viel- 
mehr als  ein  ziemlich  weiter  begriff,  der  in  mehrfacher  be- 
deutung  auftritt: 


um  eine  abweichung  von  der  typischen  tempelanlage  oder  um  nicht  ursprüng- 
liche Verhältnisse  handelt  (vgl.  s.  85,  not.  1).  Auf  keinen  fall  darf  man  aus 
dem  vorliegenden  Sachverhalt  einen  für  die  hprgar  im  gegensatz  zu  den 
hof  charakteristischen  unterschied  folgern.  Abgesehen  davon,  dass  eine 
dadurch  bedingte  klassifizierurig  in  zwei  arten  von  heiligtümern  wenig 
verständlich  wäre,  scheint  auch  diese  abweichung  weder  bei  der  ruine  von 
Hörgsholt  vorzuliegen,  noch  bei  der  ruine  auf  dem  berge  Hringholt  (s.ohen  c). 

x)  S.  S.  Vigfüsson,  Arb.  '92.141 — 42;  der  name  des  berges  ist  neueren 
Ursprungs. 

a)  Ein  mass  für  die  breite  gibt  Vigfüsson  nicht  an. 

3)  Vgl.  s.22. 


DER    GERMANISCHE   TEMPEL.  L09 

a)  Hügel  oder  hänfen  oder  altar  ans  stein,  so  in  7.1) 
12.2)  i3.  i7.  22.  Die  bedentnng  -altar"  liegt  zweifellos  auch 
vor  in  14a.  der  fassung  der  Sn.E.,  wie  Bie  Cod.  Ups.  (und 
llypn.)  bieten,  während  hgrgr  nach  der  fassung  des  Cod.  reg.- 
Worm.  ebenso  zweifellos  'haus1  bedeutet.  Ganz  abgesehen  von 
der  frage,  ob  u  oder  r  den  am  meisten  ursprünglichen  text 
der  Sn.  E.  bieten,  liegt  kein  grund  vor,  die  eine  fassung-  end- 
gültig als  verderbt  zu  verwerfen,  wie  es  Finnur  Jönsson  mit 
a)  tut.3)  Nichts  spricht  gegen  die  andere  möglichkeit.  dass 
beide  hss.  eine  alte  bedentung-  von  hgrgr  bieten.  —  Eine 
dritte  möglichkeit  wäre  die.  dass  in  b)  hgrgr  allgemein  'heilig- 
tum'  bedeutet  und  der  angefügte  relativsatz  diesen  begriff 
specialisiert. l)  Bemerkenswert  ist.  dass  auch  ahd.  haruc  ein- 
mal als  'ara;  belegt  ist  (Ahd.gll.I  636,23).  In  der  bedeutung 
•hügel,  haute"  wird  daher  hgrgr  widerholt  synonym  gebraucht 
mit  haugr  —  wie  noch  heute  gelegentlich  im  norw.5)  —  so  in 
IIa.  12.  24;  der  griöihörgr  der  letzten  stelle  ist  zweifellos 
dem  sinne  nach  völlig  identisch  mit  dem  griöthaugr,  der  einmal 
in  der  St  Jörn  (364,11)  begegnet,'1)  Zu  dieser  art  hgrgar  ge- 
hören aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auch  die  in  den  mooren 
Jütlands  gefundenen  Steinaltäre  aus  der  älteren  eisenzeit.7) 

b)  Steinhegung  bez.   dachloser  steinbau.    Zeugnisse  für 
diese  bedentung  sind  die  hgrgar  von  Hringholt   und  H< 
holt8)     Es   ist   möglich,    dass   hgrgr   in   der  bindung   hof  ok 

l)  Die  zahlen  weisen  auf  B.  103  ff.  —  Wie  Fritzner  (Ordbog)  zu  der 
auffassung  gelangt,  bqrgr  bezeichne  hier  einen  hauten  zusammengelegter 
Bteine  ohne  rücksicht  auf  seinen  zweck,  ist  unverständlich,  zumal  das  cha- 
rakteristische  besprengen  mit  Mut  in  der  Btrophe   erwähnt  ist.  Unver- 

Btändlich  >ind  auch  die  gegenargumente  Finnur  Jönssons  (a.a.O.  15    16). 

-')  Finnur  Jönsson  (a.a.O. 20)  bestreitet,  dass  hgrgr  hier  Bteinhaufen 
bedeutet;  auch  an  dieser  Btelle  erscheint  jedoch  seine  deutung  wenig 
naturlich.  Ibda.  L6  f. 

*)  So  Gering-.  Edda  (übersetz.)  307. 

8)  S.  s.  106.  fl)  Vgl.  Fritzner,  Ordbog.  ')  g    - 

i  Ni.ht  hierher  gehören  jedoch  jene  Bteinsetzungen,  die  aus  grossen, 
nach  oben  etwas  EUgespitzten  und  in  massigen  Bwischenräumen  von  einander 
aufgestellten  steinen  bestehen  und  lange  Jahrhunderte  hindurch  für  alte 
opferstätten  gehalten  wurden,  auch  noch  ron  Keyser  (Saml.  Afh.  HI)  und 
von  Rfnnch  (Nordm.  eldste  Qude-og  Beitee.  169),  die  hgrgar  in  ihnen  ver- 
muteten. —  Diese  denkmäler  >in<l  vielmehr  alte  grabstiit ten  aus  der  Stein- 
lei t;  vgl.  8.  bfullei  1  L24  ff.;  Nicolaysen 


110  THÜMMEL 

hgrgr  mitunter  die  bedeutung 'einhegung'  zukommt,  da  ja  hof- 
gar dar  üblich  gewesen  sind. 

c)  Haus,  ganz  oder  teilweise  aus  holz  errichtet,  je  nachdem 
norwegische  oder  isländische  Verhältnisse  in  betracht  kommen. 
Argumente  für  diese  bedeutung  sind:  1)  an  2  [3]  stellen  (IIb. 
13.  [14b])  wird  hgrgr  deutlich  Ms  genannt,  in  14b  zugleich 
salr.  Die  gleiche  bedeutung  Ms  liegt  auch  vor  in  den  beiden 
kenningar:  brüna  hgrgr  (1)  und  gunnhgrgr  (2).1)  2)  An  zwei 
stellen  (3.  5)  wird  hgrgr  als  lidtimbradr  bezeichnet2),  in  3  in 
dieser  beziehung  den  hof  gleichgesetzt.  3)  An  vier  stellen 
(8.  9.  10.  20)  wird  das  brenna  von  hgrgar  berichtet.  —  Diese 
quellenzeugnisse  zeigen,  dass  hgrgr  mitunter  auch  ein  wirk- 
liches Ms  nach  art  des  hof  bezeichnen  kann.  Dass  hgrgr  ge- 
legentlich ein  dem  hof  sehr  verwanter  begriff  ist,  geht  aus 
folgenden  weiteren  tatsachen  hervor:  4)  Der  in  Hörgsdalr 
ausgegrabene  hgrgr  niuss  ein  dem  hof  durchaus  ähnliches  ge- 
bäude  gewesen  sein.  5)  hof  und  hgrgr  treten  nebeneinander 
als  bezeichuung  für  ein  und  dasselbe  heiligtum  auf:  «)  die 
ruine  in  Fagradalr  (no. 69)  wird  hof  oder  hgrgr  genannt.3) 
ß)  Das  heiligtum  auf  dem  Krosshöll  wird  Ldn.  158  hgrgr, 
Fms.  I  249  hof  genannt.4)  (Es  ist  zwar  möglich,  dass  die 
beiden  Verfasser  sich  verschiedene  concrete  Vorstellungen  ge- 
macht haben,  doch  spricht  der  Sachverhalt  auch  in  diesem 
falle  noch  für  die  enge  verwantschaft  der  beiden  begriffe.) 

Oft  lässt  es  sich  nicht  entscheiden,  in  welcher  concreten 
bedeutung  hgrgr  im  einzelfalle  gebraucht  ist:  a)  in  den  schwe- 
dischen Ortsnamen  —  ß)  im  ahd.  ae.  —  7)  in  stelle  18  — 
6)  in  stelle  29,  30  —  t)  in  der  stereotypen  bindung  hof  oh 
hgrg(a)r;  für  jede  der  drei  bisher  erkannten  hauptbedeu- 
tungen  (a  b  c)  lassen  sich  gründe  anführen;  es  ist  auch  mög- 
lich, dass  man  sich  bei  dieser  formelhaften  anwendung  keine 
genaue  concrete  Vorstellung  gemacht,  sondern  hgrgr  hier  in 
der  allgemeinen  bedeutung  von  'heiligtum,  opf erstatte'  über- 
haupt gebraucht  hat,  ebenso  wie  wahrscheinlich  in  den  fällen 
ß,  7  und  6. 

x)  Vgl.  Jon  porkelsson,  Ärb.  '82, 45—46;  F.  Jonsson,  Festschr.  f. K.  Wein- 
hold  s.  18—19. 

2)  Vgl.  Müllenhoff,  DA.  IV  286;  Gislason,  Efterl.  Skr.  I  214  f. 

3)  Arb.  '82, 45.  ")  S.  s.  104  (15).  111  f. 


DBB  OERM  \m  'in     ii  \ni  i  111 

Während  also  hof  stehende  bezeichnnng  für  den  tempelbau 
in  jener  vollendeten  und  sehr  jungen  form  ist,  die  wir  im   i 
html  und  Norwegen  kennen,  bezeichnel  hprgr  bald  ein  dii 
hof  entsprechendes  gebäude,  bald  aber  auch  dachlose  stein- 
bauten,  steinhegnngen,  Bteinhügel   und  Bteinaltäre,  also  weil 
primitiyere    und    altere    heiligtümer.     horgr    ist    Bomil 
ältere  bezeichnnng  für  heiligtümer  als  hof    Diesem  höheren 
alter  entspricht  anch  der  umstand,  dass  hprgr  in  dei 
und  Literatur  gegenüber  hof  mehr  und  mehr  zurücktritt   l1 
sprechen  folgende  momente: 

ii  hgrgr  begegnet,  wie  die  gegebenen  belege  zeigen,  zum 
ssen  teil  in  quellen  Behr  hohen  alters  oder  doch  altertüm- 
lichen Charakters:  in  erster  lüde  in  der  norwegischen  skalden- 
dichtnng,  in  den  allen  Eddaliedern  und  in  der  alten 
Literatur,  nur  vereinzelt  dagegen  in  jüngeren  quellen,  von  denen 
überdies  fast  alle  auf  ältere  zurückgehen,  relativ  sehr  Belten 
vor  allem  in  der  umfangreichen  sagaliteratur;  hier  erscheint 

ibgesehen  von  der  Ldn.  und  der  mythischen  Herv.s.,  aus- 
schliesslich in  bekehrnngsgeschichten  compilatorischen  Cha- 
rakters. —  Für  das  auftreten  von  hof  dagegen  \x  steht  ein  etwa 
umgekehrtes  Verhältnis.  Wählend  es  in  der  skaldendichtung 
Überhaupi  nicht  belegi  ist,  in  den  Eddaliedern  nur  in  der  bin- 
dung  mit  horgi  (als  hof  ok  hgt  ist  es  in  der 

i-literatur  der  typische  uame  für  den  heidnischen  tem] 

2  Gewiss  nicht  zufällig  ist  es,  dass  in  der  Ldn.  nur  an 
einer  einzigen  stelle  ein  horgr  erwähnt  wird.  Die  erbauung 
von  hof  dagegen  wird  widerholl  berichte!  (wie  die  angaben 
in  der  tabelle  über  die  tempelstätt  n  q). 

S)    Besonders  instruetiv  erscheint   der  berichl   obei 
heiligtum  auf  dem  Krossholl,  der  uns  in  i   • 
liefert  ist:   a)  Ldn.  158:  •...  var  pi  giaur  haut-  er  blöt  toku 
til...'   i    b)    In  der  grossen  Öl.s.Tr.  erscheinl   dei 

')  Dm  hoj  in  Hymakr. 

■  n 
-  oben  1.104(15)       ' >bn  rieht  nur  i 

I  i-t.  nicht  in  dem  betreffenden  capitel  der  «tI 
rifl  ,l",  ii  oam  nreifel  ichon  den  liehen  Ldn  texi  .m.  • 

>\<t  hl    l-i  EU) 

ilun  Ii  >•  .  uiil"  ■ 


112  THÜMMEL 

bericht  (Fms.  I  247—49)  als  eins  jener  einschiebsei,  die  auf 
die  Stb.  zurückgelien  (Ldn.261  ff.):  ' . . .  En  eptir  andiät  hennar 
viltust  frsendr  hennar  af  rettri  trii ;  var  sij?an  gert  hof  ä  Kross- 
hölum,  )'a  er  blöt  töko  til.'  —  Wenn  auch  diese  einschiebsei 
im  allgemeinen  einen  besseren  text  repräsentieren  als  die  er- 
haltene abschritt  der  Stb.,  so  kann  doch  über  die  Priorität 
der  fassung  a)  kaum  ein  zweifei  h ersehen.  Es  sieht  ganz  so 
aus,  als  ob  der  compilator  der  grossen  Öl.  s.  das  wort  hgrgr 
der  alten  fassung  durch  hof  ersetzt  hat,  weil  er  dieses  für 
zutreffender  hielt  oder  sich  über  den  Charakter  von  hgrgr  nicht 
recht  klar  war. 

4)  Auch  eine  statistische  Übersicht  über  die  alten  mit  hgrgr 
und  hof  gebildeten  Ortsnamen  in  Island  und  Norwegen  r)  spricht 
in  jenem  sinne: 

I.  auf  Island:    a)  Ldn. :  a)  —  Hqrgr,     3  HQrg(s)-  | 

ß)    9  Hof,        8  Hof(s)-     \  a-ß  = 
b)  heute2):   «)  -  Hörgr,     9  Hörg(s)-  ^ 

ß)  22  Hof,      46  Hof(s)-     \  a '■  P  ~    y  :    bö 
IT.  in  Norwegen3):            «)    1  Horgr,  12  Ho.rg(s)-  \  _ 

ß)  66  Hof,      62  Hof(s)-     j  "  :  P  ~  lö  :  lda 

Auffallend  erscheint:  1)  dass  Hgrgr  nur  ein  einziges  mal 
(als  gehöftsname)  nachzuweisen  ist  gegenüber  88  Hof  2)  dass 
es  auch  in  zusammengesetzten  Ortsnamen  gegenüber  hof  stark 
zurücktritt  (21  :  108).  Der  altertümliche  Charakter  von  hgrgr 
als  concreter  wie  als  rein  sprachlicher  begriff  lässt  beides 
erklärlich  erscheinen:  die  erste  tatsache  findet  ihre  erklärung 
in  dem  umstände,  dass  der  religiöse  eult  umsomehr  an  die  freie 
natur  geknüpft  ist,  je  älter  er  ist.  Die  hgrgar  werden  daher 
zum  grossen  teil,  zumal  in  den  ältesten  Stadien  ihrer  entwick- 
lung,  fern  von  den  gehöften  gelegen  haben  (wie  der  hgrgr  auf 
dem  berge  Hringholt).  —  Die  hof  dagegen  lagen  fast  aus- 
nahmslos in  nächster  nähe  der  gehöfte,  auf  dem  tun.4)  —  Auch 


17 


den  capiteln  vor  und  nach  dieser  lücke  mit  den  entsprechenden  in  der  Stb. 
zeigt  ausserdem  eine  wörtliche  Übereinstimmung  beider  fassungen,  so  dass 
man  annehmen  darf,  die  noch  erhaltene  stelle  der  Stb.  deckt  sich  mit  der 
lücke  in  der  Hb.,  hat  also  schon  im  ursprünglichen  Ldn.-test  gestanden. 

l)  Für  Dänemark  und  Schweden  liegt  bisher  kein  geeignetes  material  vor. 

J)  S.  oben  s.  15  ff..  3)  K.  Rygk  'Minder  . . . ' 

4)  S.  s.  23  ff. 


DER   GERMANISCHE   TEMPEL.  113 

die  zweite  tatsaclie  erklärt  sicli  z.  t.  hierdurch,  z.  t.  auch  da- 
durch, dass  die  älteren  Ortsnamen  mit  hgrgr  leichter  in  Ver- 
gessenheit geraten  und  von  Hof(s)-namen  verdrängt  werden 
konnten  als  eben  diese  jüngeren  (mit  hof),  zumal  die  dauer 
von  gehöftsnamen  nicht  so  lange  ist,  wie  man  zu  glauben  ge- 
neigt ist.1) 

Die  Untersuchung  über  den  Charakter  von  hgrgr  und  sein 
Verhältnis  zu  hof  führt  also  zu  folgendem  ergebnis:  hgrgr  als 
der  weit  ältere  ausdruck  bezeichnet  die  Heiligtümer  vom  pri- 
mitiven anfangsstadium  ihrer  baulichen  entwicklung  an  (Stein- 
haufen oder  fels  als  altar  [mit  einhegung],  dachloser  steinbau, 
haus),  wird  aber,  als  die  fortschreitende  entwicklung  beim 
eigentlichen  tempelhaus  angelangt  ist,  allmählich  verdrängt 
durch  das  jüngere  wort  hof,  welches  als  typische  bezeichnung 
für  diese  vollendete  form  des  heiligtums  dient,2) 

Dieser  Vorgang,  durch  den  hgrgr  von  hof  abgelöst  wird, 
hat  naturgemäss  nicht  jäh  stattgefunden.  Vielmehr  wird  es 
eine  zeit  des  Übergangs  gegeben  haben,  in  der  ein  gewisses 
schwanken  zwischen  beiden  ausdrücken  besonders  in  der  weise 
stattfand,  dass  hgrgr  mitunter  auch  zur  bezeichnung  der  eigent- 
lichen hof  diente,  während  das  umgekehrte  gewiss  weniger  in 
betracht  kommt.  —  In  diese  Übergangszeit  gehören  wahr- 
scheinlich die  kreisrunden  tempel3),  da  sie  als  die  älteste  und 
primitivste  hausform  in  der  entwicklung  zeitlich  und  technisch 
zwischen  jenen  altertümlichsten,  dachlosen  tempelanlagen  aus 
stein  und  der  länglich -viereckigen  tempelform  der  sagazeil 
stehen.  Man  hat  auf  Island  einige  ruinen  davon  gefunden. 
leider  nicht  eingehend  untersucht,  z.  b.  in  Fagradalr  (no.  69) 
und  Hvammr  (no.  70),  während  sich  bei  einer  dritten  ruine, 
die  man  auf  dem  gipfel  des  Goöhöll  im  Önundarfjörör  gefunden 
hat  (no.  22).  weder  die  kreisform  noch  ihr  hauscharakter  sicher 
nachweisen  lässt.  Während  die  ruine  von  Hvammr  noch  heute 
lwftoft  genannt  wird,  heisst  die  in  Fagradalr  hof  oder  hgrgr. 

Zu  beginn  der  sagazeit  ist  dann  der  Wechsel  im  Sprach- 
gebrauch so  weit  vorgeschritten.  da<s  hof  typische  bezeichnung 


')  Vgl.  ftygh,  Minder  ...  2.".. 

2)  Vgl.  l'hleubeck,  Beitr.  22.  L96:  an.  hof  =  tempel  mit  dach. 

3)  8.  B.33f.  tri. 

Beiträge  zur  geschieht«  der  deutschen  spräche.     XXXV. 


Ü4  THUMMEL 

für  die  jüngste  und  vollendetste  form  der  spätheidnischen 
tempel  ist,  wie  wir  sie  vom  ende  des  9.  und  vom  10.  Jahrhundert 
aus  Norwegen  und  besonders  aus  Island  kennen.  —  hgrgr  er- 
scheint völlig  zurückgedrängt,  Dass  es  nicht  ganz  verschwunden 
ist,  wird  schon  dadurch  erklärt,  dass  bis  zum  ausgange  des 
heidentums  neben  den  Jwf  auch  ältere  und  einfachere  formen 
der  heiligtümer  bestanden  haben,  wofür  ja  die  horgar  von 
Hringholt  und  Hörgsholt  zeugen  sind.  — 

Noch  einen  blick  weiter  zurück  in  die  entwicklung  können 
wir  tun,  in  die  Zeiten,  da  sich  der  göttercult  noch  eng  an  die 
freie  natur  knüpfte.  Wir  sahen,  wie  charakteristisch  für  das 
heidentum  auf  Island  der  bergcult  ist,  der  ganz  besonders  in 
der  hügellage  der  tempel  zu  tage  tritt. r)  Zweifellos  ist  dieser 
in  der  natürlichen  beschaffenheit  der  länder  begründete  berg- 
cult auf  den  gesammten  scandinavischen  norden  auszudehnen. 
Ein  beredtes  zeugnis  dafür  ist,  dass  das  alte  wrort  in  den 
heutigen  nordischen  dialekten  auch  in  der  bedeutung  'hügel, 
fels-  oder  bergspitze'  fortlebt.2)  Besonders  charakteristisch 
ist  der  in  Norwegen  bewahrte  gebrauch;  hier  bezeichnet  Jwrg 
meist  einzelne  grosse  berge  mit  steilen  abhängen  und  flachem 
gipfel  (der  pl.  bergflächen  mit  vielen  flachgedrückten  steilen 
lmgeln).'2)  Sicherlich  hat  hier  die  spräche  eine  uralte  erinne- 
rung  mit  grosser  reinheit  bewahrt:  knüpfte  sich  die  götter- 
verehrung  mit  Vorliebe  an  berge,  so  wird  man  sich  bei  der 
wähl  der  cultstätte  in  erster  linie  für  grosse  steile  berge  mit 
flachem  gipfel  entschieden  haben.3) 

Der  bergcult  ist  also  offenbar  die  seit  uralter  zeit  vor- 
hersehende form  des  nordgermanischen  eultes  gewesen.  Auf 
bergen  und  hügeln  in  erster  linie  hat  man  die  götter  verehrt, 
hier  ihnen  opferstätten  und  heiligtümer  errichtet,  Hgrgr  ist 
die  bezeichnung  sowol  a)  für  den  berg  als  die  cultstätte  im 
weiteren,  als  auch  b)  für  das  auf  ihm  liegende  heiligtum  im 
engeren  sinne. 


>)  S.  s.  22.  2)  S.  s.  106. 

3)  S.  s.  88  f. 


DER   (IKHMAMMIIK    TEMPEL.  1  1  •' 


1.  Der  südgermani8che  tempel. 

Ausserhalb  des  uordens  sind  bisher  Doch  von  keinem  ein- 
zigen heiligtum,  geschweige  denn  einem  tempel  der  Germanen 
sichere  reste  nachgewiesen:  wir  sind  daher  lediglich  auf  schrift- 
liche quellen  beschränkt.  —  Nachrichten  über  tempel  Büd- 
germanischer  stamme  finden  wir  —  wenn  wir  von  dem  taci- 
teischen  templnm,  das  späterhin  erörtert  werden  soll,  absehen 
—  erst  seit  dem  5.  jh.  in  einigen  ;vitae'.  Nirgends  jedoch 
lindet  sich  irgend  eine  beschreibung  ihrer  beschaffenheil  und 
einriebt  ung. 

Der  einzige  gegenständ  heidnisch  -  germanischen  eultes 
jener  zeit,  von  dem  eine  etwas  deutlichere  Überlieferung  vor- 
liegt, ist  die  772  von  Karl  zerstörte  altsächsische  irminsül1), 
bald  fanum.  bald  lucus,  bald  idolum  genannt.  Nach  Rudolf 
von  Fulda  (um  850) 2)  war  sie  ein  unter  freiem  himmel  in  die 
höhe  gerichteter,  in  die  erde  gegrabener  baumstamm  von  be- 
deutender grosse.1)  J.Grimm4)  sieht  in  ihr  'die  grosse,  hohe, 
göttlich  verehrte  bildsäule',  Mannhardt5):  'die  säule  der  volks- 
gesammtheit  bez.  des  gesammtvolkes,  säule,  die  von  allen  ver- 
ehrt wird,  oder  die  für  alle  ein  heiligtum  ist",  wahrscheinlich 
das  nationalheiligtum  des  Engernstammes,  Müllenhoff  (in  dop- 
pelter hinsieht  abweichend):  Eresburg  und  irminsül  ein-  und 
dasselbe  heiligtum,  auf  den  gott  Irmin  (Tiu)  bezogen.'  i 

Es  handelt  sich  offenbar  um  eine  in  heiligein  hain  auf- 
gestellte säule;  über  die  sonstige  beschaffenheit  dieser  eultstätte 
erfahren  wir  nichts.  So  viel  erscheint  jedoch  sicher,  dass  ;m 
einen  tempel,  in  dem  die  bildsäule  stand  —  wie  Richthofen 
will  —  entschieden  nicht  zu  denken  ist:  eine  derartige  Inter- 
pretation liegt  nicht  im  sinne  der  quellen.  Eis  nmss  dahin- 
gestellt bleiben.  <>b  man  sieh  die  irmensänle  als  einen  'künstlich 

')  S.  Grimm,  DM.1  I  96  ff.  (qnellensengniase  ;  vgl.  Mannhardt,  Wald- 
nnd  feldcnlte  s.303ft'.:  Richthofen,  Prii  t&gesch.  II  1,423;  abweichend 

Kttllenhoff,  DA. IV  532;   vgl.  Brenne,  Beitr.  21, 3  oben  ä  hnchhardt, 

All-  Btg.  1898,  bei! 

»)  Transl.  S.  Alex.,  Hon,  Uenn.  II  876. 

8)  Vgl.  Hannhardl  ■!.  dam  not. 3;  Qrimm  a.a.O.  97. 

•    A.a.o.  98.  a.o   804 

")  8.  aneb  Brenne,  Bi  itr  21,  '■'<  oben. 

- 


116  THÜMMEL 

aufgerichteten,  mithin  am  fuss  verstümmelten,  über  der  wurzel 
abgehauenen  bäum,  einen  mastbaum artigen,  hölzernen  schaff 
zu  denken  hat  oder  als  einen  lebenden,  an  ort  und  stelle  ge- 
wachsenen bäum.1)  —  Diese  vielleicht  mit  einem  götterbild  ge- 
schmückte säule  erinnert  deutlich  an  die  für  den  nordischen 
tempel  charakteristischen  Qnävegissulur.  Vermutlich  besteht 
zwischen  beiden  ein  inniger  Zusammenhang.2) 

Die  gesammtsumme  der  aus  den  quellen  erschli essbaren 
kenntnis  über  tempel  bei  den  südlichen  Germanen  beschränkt 
sich  im  wesentlichen  darauf,  dass  vom  5. — 8.  jh.  bei  Burgunden, 
Franken,  Langobarden,  Alamannen,  Angelsachsen,  Sachsen  und 
Friesen  heidnische  heiligtümer  vorkommen,  und  dass  in  ihnen 
gelegentlich  bilder  (idola  oder  simulacra)  aufgestellt  sind.3) 
Je  einmal  werden  templa  bei  den  Burgunden  (anfang  5.  jh.) 
und  Franken  (614)  erwähnt4),  ferner  bei  zwei  verschiedenen 
gelegenheiten  (um  600)  ein  castrum  der  Burgunden5);  in  allen 
andern  fällen  heissen  diese  heiligtümer  fana. 

Durch  diese  bezeichnungen  wäre  das  Vorhandensein  wirk- 
licher tempelhäuser  an  sich  noch  nicht  erwiesen;  denn  ab- 
gesehen davon,  dass  weder  fanum  noch  auch  templum  not- 
wendig einen  wirklichen  tempelbau  bezeichnen,  beziehen  sich 
einige  Zeugnisse  vielleicht  gar  nicht  auf  germanisch-heidnische 
heiligtümer.6)  Der  ausdruck  castrum  (ein  von  mauern  umschlos- 
sener ort),  falls  jenes  heiligtum  wirklich  germanisch  ist,  würde 
eher  für  eine  ähnliche  anläge  sprechen,  wie  sie  auf  Island  in 
der  steinhegung  von  Hringholt  oder  allenfalls  in  dem  dachlosen 
steinbau  von  Hörgsholt  vorliegt;  auch  die  erwähnung  von 
imagines  lapideae  würde  gut  zu  diesem  tatbestand  stimmen. 

Der  beweis  dafür,  dass  auch  die  südlichen  Germanen  schon 
wirkliche  tempelhäuser  (von  holz)  gehabt  haben,  liegt  vor  allem 
in  den  häufig  widerkehrenden  berichten  von  der  Verbrennung 
der  fana ;  namentlich  bei  der  bekehrung  der  Friesen  ist  diese 


')  Vgl.  Mannhardt  a.  a.  o.  305,  not. 

2)  Vgl.  W.  Müller,  Altd.  religion  s.  71.  —  Zugleich  ein  weiteres  argu- 
ment  für  die  annähme,  dass  die  isl.  stofa  eine  spätere  nachbildung  des  ur- 
sprünglich nur  beim  tempel  auftretenden  langraumes  ist,  s.  s.  81  f. 

3)  Vgl.  Grimm  a.  a.  o.  I  64—69. 
•    <)  Ebda.  64—65.  66. 

£)  Ebda.  67-68.  6)  Ebda.  68-69. 


DEB    GERMANISCHE   TEMPEL.  117 

tatsache  regelmässig-  erwähnt.1)  Wirkliche  tempelbauten 
müssen  wir  auch  notwendig  voraussetzen,  wenn  wir  den  in 
der  zweiten  hälfte  des  9.  jh.'s  relativ  weit  entwickelten  nor- 
dischen tempelcult  vor  äugen  haben  und  bedenken,  dass  die 
in  einheitlichen  anlangen  wurzelnden  altgermanischen  Verhält- 
nisse im  Süden  eine  raschere  entwicklung  erfahren  haben  als 
im  abgelegenen  norden.2)  Besonders  bei  den  Friesen  —  dem 
stamme,  der  zuletzt  bekehrt  wurde  —  hat  der  tempeldieiist 
sicherlich  einen  durchaus  ähnlichen  Charakter  getragen  wie 
der  nordische  derselben  bez.  der  nächstfolgenden  zeit,  den  wir 
freilich  nicht  quellenmässig  kennen. 

Die  einfachheit  des  cultes,  wie  sie  sich  noch  mitte  des 
8.  jh.'s  in  der  Verehrung  der  irmensäule  als  des  sächsischen 
nationalheiligtums,  sowie  der  ihr  sachlich  nahe  verwanten  ) 
hessischen  donnereiche  offenbart,  scheint  jedoch  darauf  zu 
deuten,  dass  der  tempelcult  bei  den  südlichen  Germanen  auch 
nicht  annähernd  so  grosse  bedeutung  und  ausdehnung  erlangt 
hat  wie  späterhin  im  norden. 

5.    Das  altgermanische  heiligtum. 

Aus  den  bezeichnungen  der  alten  spräche  für  die  heid- 
nischen heiligtümer.  insbesondere  aus  der  ahd.  glusse  haruc  ist 
[angst  erschlossen  worden,  dass  bei  den  südlichen  Germanen 
der  wähl  der  hauptsächlichste  ort  für  die  götterverehrung 
gewesen  ist.4)  Vollends  bestätigt  wird  dieses  ergebnis  durch 
das  wichtige  zeugnis  des  Tac.  —  Germ.  9:  'ceterum  nee  cohi- 
bere  parietibus  deos  neque  in  ullam  huinani  oris  speciem  ad- 
sinnilare  ex  magnitudine  coelestium  arbitrantur:  lucos  ac 
nemora  consecrant,  deorumque  nominibus  appellanl  secretum 
illud,  quod  sola  reverentia  vident'  —  und  auch  anderwärts  wird 
dieser  waldcult  noch  bezeugt,  i  Die  göttliche  Verehrung  des 
waldes  wird  gelegentlich  auch  auf  einzelne  bäume  übertragen, 
die  gleichsam   gottheiten   darstellen6);   die   bekanntesten   bei- 


M  Vgl.  Bichthofen  II  l.  im    LI. 
n  \"-l.  Mttöenhoff,  r>.\.  IV  96 
3)  Ebdu.  9a 
•)  Grimm,  DM.<  I  53  ff. 

■  i  Ebda.  61,  not 


118  THÜMMEL 

spiele  dafür  sind  die  hessische  donnereiche  und  die  sächsische 
irminsül. 

Umstritten  ist  jedoch  immer  noch  die  frage,  ob  die  alten 
Germanen  zur  zeit  des  Tacitus  neben  diesem  waldcult  auch 
schon  tempelhäuser  gehabt  haben.  Tacitus  selbst  scheint  sich 
in  seinen  berichten  zu  widersprechen:  während  er  a.a.O.  den 
waldcult  der  (südlichen)  Germanen  als  die  einzige  oder  doch 
hauptsächlichste  form  des  göttercultes  hinstellt,  tempelbauten 
dagegen  ausdrücklich  leugnet,  erwähnt  er  an  zwei  andern 
stellen  je  ein  templum: 

Germ.  40  (Nerthusverehrung) :  est  in  insula  oceani  castum  neinus,  clica- 
tuinqne  in  eo  vehicnlnm  veste  contectum ;  . . .  rtonec  idem  sacerclos  satiatam 
conversatione  mortalinm  ileam  templo  reddit. 

Ann.  1,  51  (Germanien*  überrascht  die  Marsen  beim  opfersclimans,  anno 
14):  profana  simnl  et  Sacra  et  eeleberrimnm  illis  gentibus  templum,  qnod 
Tanfanae  vocabant,  solo  aequatnr.  — 

Teils  hat  man  in  diesen  nachrichten  wirklich  einen  Wider- 
spruch gesehen  und  die  angäbe  über  den  völligen  mangel  ger- 
manischer tempel  als  irrtümlich  bezeichnet1),  teils  hat  man 
den  Widerspruch  so  zu  beseitigen  versucht,  dass  man  templum 
als  den  tempelbezirk  mit  einfriedigung,  altar  und  bäumen 
deutete. 2) 

Werfen  wir  zunächst  unabhängig  von  diesen  nachrichten 
des  Tacitus,  lediglich  auf  grund  der  bisher  gewonnenen  ergeb- 
nisse  einen  blick  zurück  in  jene  altgermanische  zeit,  so  stehen 
folgende  grundlagen  fest,  auf  denen  wir  fussen  können:  1)  der 
junge  nordgermanische  tempelbau  seit  dem  (ende  des)  9.  jh.'s 
bis  1000.  2)  Iu  den  letzten  Jahrhunderten  des  südgermanischen 
heidentums  (400—800)  hat  es  zwar  schon  tempelhäuser  ge- 
geben, doch  ist  diese  form  des  cultes  allem  anschein  nach  zu 
jener  zeit  durchaus  noch  nicht  allgemein;  vielmehr  scheint  sich 
die  götterverehrung  vorwiegend  noch  an  einfachere  formen  zu 
knüpfen,  im  letzten  gründe  noch  immer  an  den  wald-  und 
baumcult  in  seinen  verschiedenartigen  ausprägungen.  3)  Im 
norden  (auf  Island)  begegnen  noch  um  900  relativ  einfache 
formen   des   heiligtums:    dachloser   steinbau   (Hörgsholt)   und 

v)  E.  Mogk,  Germ,  myth.,  Pauls  Grundr.2  III  396 ;    E.H.Meyer.  Germ. 
myth.  193;  Golther,  Handbuch  595. 
2)  Müllenhoff,  DA.  IV  220  f.  473. 


DBB    OBttM  LNISCHE   TEMPEL.  1  L9 

steinhegung  mit  einem  grossen  stein  innerhalb,  der  vermutlich 
als  altar  gedient  hat  (Hringholt).  h  In  Dänemark  besitzen 
wir  aus  der  älteren  eisenzeit  primitive  Bteinaltäre  im  walde 
mit  resten  von  hölzernen  götterbildern.  Die  funde  liegen  zeit- 
lich nicht  vor  der  taciteischen  zeit,  da  götterbilder  bei  den 
Germanen  erst  seit  der  römischen  periode  aufgekommen  sein 
werden1)  und  anch  Tacitus  selbst  ausdrücklich  die  bilderlosig- 
keit  ihres  göttercultes  hervorhebt.2) 

unter  dem  gesammteindrack  dieser  argumente  wird  es 
durchaus  unwahrscheinlich,  dass  es  zu  Tacitus'  zeit  schon 
tempelhäuser  gegeben  hat.  Namentlich  sprechen  die  beiden 
letzten  momente  gegen  diese  annähme;  denn  wenn  man  auch 
in  jenen  altertümlichen  heiligtümem  aus  einer  relativ  weit 
hinter  Tacitus  Liegenden  zeit  nicht  die  herschende  form  der 
betreffenden  epoche  sehen  wird,  welcher  sie  angehören,  sondern 
residua  aus  einer  früheren,  so  erscheint  es  doch  unnatürlich, 
die  zeit,  in  der  solche  formen  die  herschenden  waren,  so  weit 
zurück  zu,  datieren,  dass  dann  das  Vorhandensein  von  tempel- 
häusern  schon  zu  Tacitus'  zeit  verständlieh  wäre.  Vor  allem 
müsste  man  dann  am  ende  des  südgermanischen  heidentunis 
eine  viel  grössere  Verbreitung  des  tempelcultes  erwarten,  als 
sich  in  Wirklichkeit  feststellen  lässt. 

Gelangen  wir  somit  schon  auf  diesem  wege  zu  dem  schluss, 
da»  die  entwicklung  des  heiligtums  zu  Tacitus'  zeit  noch  nicht 
beim  eigentlichen  tempelhaus  angelangt  gewesen  sein  könne. 
so  wiid  diese  annähme  zur  gewissheit  erhoben  durch  die 
nachricht  des  Tacitus  über  den  mangel  germanischer  tempel- 
häuser zu  seiner  zeit.-)  'Tacitus'  worte  darf  man  nicht  anders 
nehmen,  als  sie  lauten.'3)  Es  wäre  denn  auch  in  der  tat 
höchst  merkwürdig,  wenn  sich  in  Tacitus'  aussagen  innerhalb 
desselben  werkes  ein  so  diametraler  widersprach  fände. 

Unter  dem  taciteischen  'templum'  isl  daher  kein  gebäude 
zu  verstehen,  sondern  eine  jener  primitiveren  formen  des 
heiligtums.  wir  sie  in  den  'horgar'  des  germanischen  nordens 
gefunden  i>ez.  aus  der  spräche  oben4)  erschlossen  worden  sind: 

')  Vgl.  8.  Müller  II  180;  Richthofen  II  1,448 
*>  Germ.  e. !)  (s.  obeu). 

Ghimm,  DM.4  l  •"■•;.  not.  1. 
•)  S.  B.  lt;:. 


120  THÜMMKT, 

a)  dachloser  steinbau  (etwa  dem  castrum  auf  s.  116  ent- 
sprechend), oder  b)  steinhegung  mit  einem  grossen  stein  (als 
altar)  in  der  mitte  bez.  steinaltäre  (an  gehegter  statte)  im 
walde.1)  Tacitus  würde  sich  vermutlich  nicht  der  wendung 
'solo  aequare'  bedient  haben,  hätte  er  wirklich  —  im  Wider- 
spruch zu  Germ.  9  —  an  ein  hölzernes  gebäude  gedacht;  ein 
solches  hätte  man  wol  durch  brand  zerstört.  Dagegen  stimmen 
die  worte  sehr  gut  zu  dem  dargelegten  Sachverhalt. 

0.   Scliluss:  eiitwickluiigsskizze. 

Die  götterverehrung  knüpft  sich  bei  den  Germanen  ur- 
sprünglich —  wie  bei  allen  naturvölkern  —  eng  an  die  freie 
natur.  Wälder  und  berge,  flüsse  und  quellen,  wiesen,  auen 
und  inseln  sind  seit  alter  zeit  heilige  orte  und  statten  der 
götterverehrung.  Von  allen  cultstätten  treten  jedoch  zwei 
arten  ganz  besonders  hervor:  Wälder  und  berge.  Hier  werden 
die  unsichtbar  anwesend  gedachten  götter  verehrt,  hier  ihnen 
dann  opferstätten  und  heiligtümer,  schliesslich  die  tempelhäuser 
errichtet.  Während  bei  den  südgermanischen  stammen  der 
waldcult  die  weitaus  vorhersehende  form  des  religiösen  eultes 
ist,  findet  die  götterverehrung  im  germanischen  norden  im 
bergcult  ihren  charakteristischen  ausdruck  —  eine  erscheinung, 
die  ihre  natürliche  begründung  in  der  speeifischen  boden- 
beschaffenheit  der  länder  hat. 

Im  süden  tritt  hinter  dem  waldcult  der  bergcult  fast  ganz 
zurück;  je  weiter  wir  nach  norden  kommen,  desto  stärker  tritt 
der  bergcult  gegenüber  dem  waldcult  hervor.  Doch  finden 
sich  sowol  im  süden  spuren  von  bergcult  als  auch  reste  von 
waldcult  im  norden. 

Wälder  und  berge  sind  daher  auch  die  orte,  an  denen  die 
opferstätten  und  heiligtümer  errichtet  werden:  ursprünglich 
ein  von  steinen  eingehegter  platz,  in  dem  ein  grosser  stein 
oder  ein  Steinhaufen  als  opferaltar  steht  (vielleicht  auch  eines 
von  beiden  —   steinhegung  oder  steinaltar  —  allein).     Als 


')  Eine  andere  niöglichkeit  in  der  erklärung  des  scheinbaren  Wider- 
spruchs bei  Tac.  wäre  wol  auch  die:  kam  man  zu  einem  opferschmaus  zu- 
sammen, so  war  sicher  ein  räum  da,  wo  sich  die  teilnehmer  während  des 
festes  aufhielten;  auf  diesen  sei  die  Vernichtung  zu  bezieben  —  doch  scheint 
mir  diese  deutung  weniger  einleuchtend. 


DER   GERMANISCHE   TEMPEL.  121 

nächste  stufe  der  entwicklung  erscheint  dann  innerhalb  der 
einhegung  (ausser  dem  altar)  ein  dachloser  bau  aus  stein- 
wänden1) (etwa  jenem  lat.  castrum  entsprechend,  das  als  be- 
zeichnung  eines  burgundischen  heiligtums  vom  7.  jh.  begegnet  . 
Einige  Sitten  aus  späterer  zeit  erinnern  noch  deutlich  an  die 
ursprüngliche  dachlosigkeit  des  tempels.2) 

Die  letzte  stufe  der  entwicklung-  bildet  dann  das  wirk- 
liche, überdachte  tempelhaus  aus  holz  (auf  Island  rasenbau) 
innerhalb  der  einhegung  (wol  auch  gelegentlich  ohne  eine  solche). 

Zur  bezeichnung  all  der  primitiveren  arten  von  heilig- 
tümern,  die  zeitlich  vor  dem  tempelhaus  liegen,  dient  das 
germ.  *harug  :  ahd.  haruc,  ae.  hearg,  an.  hgrgr,  und  daraus 
erklärt  sich  die  mannigfaltigkeit  seiner  bedeutungen  im  ein- 
zelnen3): 1)  Wald,  hain  im  südgerm.4)  (reste  dieser  bedeutung 
auch  noch  nenschwed.).  2)  Berg,  hügel.  felsen  im  nordgerm. 
(besonders  ihre  gipfel).  3)  Einhegung  (aus  stein)  (ae.  an.). 
4)  Altar  (aus  stein)  (ahd.  an.).  5)  Steinhaufen  allgemein,  wo- 
raus sich  (im  nord.)  secundär  die  bedeutung  'häufe,  menge, 
schar ;  entwickelt. 

Mit  dem  beginn  der  entwicklung  des  wirklichen  tempel- 
liauses  (aus  holz)  erscheint  ein  neues  wort:  an.  hof,  welches 
den  tempel  mit  dach  bezeichnet1)  (in  dieser  bedeutung  ahd. 
nicht  nachweisbar,  vereinzelt  aber  mhd. ''•)). 

Etymologisch  ist  hnrgr  —  auch  aus  den  sachlichen  gründen, 
die  sieh  ergeben  haben  —  am  ehesten  wol  zu  lat.  earcer  'ein- 
friedigung'  zu  stellen,  wie  es  Noreen  tut.*')  In  der  bedeutung 
•fels,  steinhaufe,  stein  altar'  stellt  es  Grimm8)  zu  kelt.  cmreg, 
earraig,  da  bei  den  keltischen  Völkern  der  steincult  besonders 
entwickelt  scheine. 

An.  hof  hat  die  grundbedeutungen:  1)  erhöhung  oderhügel9) 
(in  dieser  bedeutung  noch  neunorw.),  'Ji  kreisförmig  »■inL'vhegter 

')  Vgl.  den  hgrgr  auf  dem  berge  Bringholt  (Island)  b.  L08. 
2)  Vgl.  J.  Grimm,  3DS.  83.  »)  8.  s.  LOS  t 

4)  Vgl.  namentlich  die  charakteristische  ahd.  (flösse:  Alnl.gl.  [816, 59.  80. 
■)  Vgl.  Uhlenbeck,  Beitr.  22, 195. 
fi)  J.  Grimm,  DM.4  Hl  82.  7)  Hg.  lautl.  87. 

~t  QDS.;  ebenso  Falk-Torp,  EBtym.  Ordb.;  Bieti,  Srenskt  Dial.-lex. 
alk-Torp  a.a.O.;  Tamm,  Etym.  Svenak  Ordbok;  Aasen,  NonkOrdb.j 
Boss,  Norsk  Ordb. 


122  THÜMMEL 

platz1) 2),  3)  das  'gewölbte'2).  An.  /^/"bezeichnet  also  —  ähn- 
lich wie  hgrgr  —  ursprünglich  bald  die  tempelstätte  (hügel, 
eingehegter  platz),  bald  den  tempelbau  selbst.  — 

Für  die  Chronologie  in  der  entwicklung  des  tempelheilig- 
tums  lassen  sich  naturgemäss  nur  grosse  umrisse  zeichnen: 

Sicher  ist,  dass  zu  Tacitus'  zeit  noch  der  einfache  wald- 
bez.  bergcult  die  vorhersehende  form  der  götterverehrung  ist. 
Im  wald  und  auf  dem  berg  liegen  die  heiligen  steinhegungen 
und  altäre.  Die  entwicklung  des  tempelhauses  hat  offenbar 
erst  gegen  ende  des  südgermanischen  heidentums  eingesetzt 
und  bei  diesen  stammen  nicht  mejir  starke  wurzeln  geschlagen. 
Die  volle  ausbildung  des  wirklichen  tempelcultes  ist  vermutlich 
eine  speeifisch  nordgermanische  entwicklung.  Zu  diesem  um- 
stand stimmt  auch  die  beobachtung,  das  sich  privattempel  bei 
den  Südgermanen  noch  nicht  nachweisen  lassen.  Erst  im 
norden  entwickelt  sich  neben  dem  tempel  als  ursprünglichem 
Stammesheiligtum3)  der  privattempel  und  schliesslich  der 
privatrechtliche  Charakter  aller  tempel.  Dies  offenbart  sich 
auch  darin,  dass  der  tempel  im  norden  von  der  freien  natur 
hinweg  immer  mehr  in  die  nähe  der  gehöfte  rückt  und  schliess- 
lich auf  Island  regelmässig  innerhalb  des  engeren  gutsbezirks 
liegt;  nur  noch  reste  der  ursprünglich  freien  naturlage  finden 
sich  hier. 

Wie  die  tempelhäuser,  so  sind  auch  die  eigentlichen  götter- 
bilder  (aus  holz)  erst  unter  römischem  einfluss  entstanden. 
Anfangs  besassen  die  Germanen  nur  heilige  Symbole  —  von 
Tac,  Germ.  7,  efflgies  et  signa  genannt  —  die  an  der  cult- 
stätte  aufbewahrt  und  zu  kriegszeiten  dem  heere  vorangetragen 
wurden.  Von  den  Römern  erst  entlehnten  die  Germanen  — 
vermutlich  nach  der  entwicklung  des  tempelhauses  —  die  sitte 
der  eigentlichen  götterbilder  in  menschengestalt,  in  denen 
schliesslich  die  götter  selbst  verehrt  wurden. 


1)  Tamm  a.a.o. 

2)  Uhlenbeck,  Beitr.  22,  idh. 

3)  Vgl.  E.  Mogk,  Germ.  myth.  Pauls  Grundr.2  III  394. 


DEK    GERMANISCHE   TEMPEL.  123 


I  \  HA  LT. 


I.  Der  isländische  teinpelbau 4 

1.  Im  liebte  der  ausgrabungen  und   topographischen  unter- 

surhungen      4 

1.  l'eberbliek  über  die  vorgenommenen  Untersuchungen  .       4 

2.  Das  bild  des  teinpels 9 

A.  Die  territoriale  läge:  a)  auf  der  insel  überhaupt, 
1»;  in  der  umgebenden  natur,  c)  im  Verhältnis  zu 
den  gehöften,  d)  in  bezug  auf  seine  himmelsrichtung 

B.  Die  äussere  bauart  und  anläge:  e)  baumaterial  und 
mauerconstruetion ,  f)  äussere  form,  g)  grossen- 
Verhältnisse,  h)  eingänge,  i)  tempelzaun.  k)  blöt- 
kelda,  blötsteinn,  bollasteinn. 

C.  Charakteristische  beobachtungen  und  funde  im  inuern 
der  tempelruinen:  1)  der  boden,  m)  'stallar'  im  afhus 

11.  Im  lichte  der  sagas 62 

1.  Die  kauptquellen 63 

2.  Das  bild  des  tempels  im  vergleich  und  als  ergänzung 

zu  den  ergebnisseu  der  ruinenforschung     ....      fi<i 

A.  Die  territoriale  läge 

B.  Die  äussere  bauart  und  anläge:  a)  mauerconstruetion. 
b)  das  dach,  c)  äussere  form,  d)  grüssenverhältni- 

e)  eingänge  und  türen.  f)  tempelzaun.  g)  opfersumpf 
und  opfersteiu 

C.  Die  innere  einrichtuug:  h)  langrauni,  i)  afhus:  die 
'stallar' 

III  Gesammtbild 

Anhang:  die  bauptgb'tter  auf  Island 95 

_'    Der  uordgermanische  tempelbau  ausserhalb  Islands      ....      97 

3.  A eitere  formen  des  nordgermanischen  heiligtums OH 

I.  Einige  funde  in  Jütland  und  auf  Island.   II.  Die  altnord. 
bejteichnnngen  für  die  cnltstätten  (das  problem  des 'hq 

4.  Der  südgermanische  tempel 115 

5.  Das  altgermanische  heiligtum l  IT 

6.  Schluss:  entwicklnngsskizze l'_'<i 

LEIPZIG.  LLBERT  THÜMMEL. 


GOTISCHE 
LEHNWORTE  IM  ALTHOCHDEUTSCHEN. 

I.  Innerhalb  unsrer  christlichen  terminologie  hebt  sich 
von  lat.  lehnworten  wie  priester,  probst,  predigen  u.s.  w.  und 
von  Wortübersetzungen  nach  lat.  mustern  wie  gevatter  und 
gewissen  eine  Schicht  von  Worten  ab,  für  die  der  verdacht 
lat.  herkunft  völlig  unbegründet  ist.  So  setzt  Jcirche  allen 
bemühungen  widerstand  entgegen,  die  es  zu  einem  lat.  kirchen- 
wort  machen  möchten.  Und  zu  dieser  Schwierigkeit  tritt  eine 
neue,  wenn  wir  das  gleiche  wort  bei  den  Angelsachsen,  wie 
bei  allen  Deutschen  des  festlandes  treffen.  Lat.  kirchenworte 
können  naturgemäss  dem  ganzen  abendlande  gemeinsam  sein: 
worte  wie  manch  und  nonne  kehren  überall  wider,  weil  der 
gemeinsame  ausgangspunkt  begreiflicherweise  im  latein  beruht, 
das  seine  wortmaterialien  mit  der  römischen  missionierung 
überallhin  empfahl.  Eine  dritte  Schwierigkeit  in  der  beurtei- 
lung  von  deutsch  lärclic  und  engl,  church  liegt  in  dem  umstände, 
dass  die  gemeinsame  grundlage  beider  worte  (Jcirika)  schon 
für  das  5.  jh.  vorauszusetzen  ist,  also  weit  vor  die  zeit  Karls 
des  grossen  fällt,  der  wir  die  hauptmasse  unsrer  christlichen 
terminologie  älterer  zeit  verdanken. 

Die  Vermutung  ist  sehr  alt,  dass  unser  kirche,  das  dem 
latein  nun  einmal  nicht  zugeschrieben  werden  kann,  vielmehr 
aus  dem  griech.  abgeleitet  werden  muss,  und  es  ist  begreif- 
lich, dass  die  theologen  früherer  Jahrhunderte  sich  gern  um 
dies  problem  bemüht  haben.  Aber  es  blieb  der  aufblühenden 
germanistik  vorbehalten,  das  kirchengeschichtliche  problem 
unsres  Wortes  aufzuklären.  Rudolf  v.  Raumer  hat  in  seiner 
schrift  Ueber  die  einwirkung  des  Christentums  auf  die  alt- 
hochdeutsche spräche  (1845)  versucht,  die  gründung  und  aus- 
breitung  einer  christlichen  ausdrucksweise  in  hd.  spräche  dar- 


GOTISCHE   LEHNWORTE   IM   AIID.  125 

zulegen.  Er  hat  sich  darin  streng  auf  das  alid.  beschränkt, 
weil  er  auf  möglichst  sicherem  grund  und  boden  hauen  wollte. 
Aber  wohvollende  freunde  haben  es  schon  damals  gemisbilligt, 
dass  er  nicht  wenigstens  das  got.  noch  in  seinen  bereich  ge- 
zogen hat.  An  diese  Sachlage  und  diesen  Vorwurf  knüpfte 
dann  Räumer  in  einem  aufsatz  an,  den  er  1848  Zs.  fda.  G,  401 
— 412  veröffentlichte:  Ueber  den  geschichtlichen  Zusammenhang 
des*  gotischen  Christentums  mit  dem  althochdeutschen.  Diesem 
titel  gab  er  noch  den  Untertitel:  Anfragen  und  Vermutungen. 
In  den  kreis  dieser  Vermutungen  fällt  nun  auch  das  worl 
Jnrche,  in  dem  er  diejenigen  widerlegt,  die  den  griech.  Ursprung 
für  unmöglich  erklärten.  Allerdings  hatte  der  theologe  Jacobsson 
1846  das  griech.  etymon  gut  geheissen,  aber  eine  got.  Vermitt- 
lung dafür  verworfen,  weil  es  in  unsern  got.  sprachresten  gar 
nicht  vorkomme.  Nun  widerlegt  Raumer  s.  410  diesen  einwand 
mit  dem  hinweis  darauf,  dass  Ulfilas  zur  Verwendung  einer 
entsprechung  von  gr.  xvquxxov  keinen  anlass  hatte.  Denn  die 
texte  des  neuen  testaments  kennen  noch  gar  keine  für  gottes- 
dienstliche  zwecke  errichteten  gebäude.  Eine  hauptschwierig- 
keit  bei  der  herleitung  von  ahd.  Liricha  aus  gr.  xvQtaxöv 
macht  noch  der  unterschied  des  geschlechtes.  Denn  xvquxxov 
ist  bei  den  Griechen  der  Jahrhunderte,  von  denen  hier  allein 
die  rede  sein  kann,  durchweg  neutrum,  und  erst  im  11.  jh. 
findet  sich  ganz  vereinzelt  ein  fem.  xvoiaxtf.  Nun  zeigt 
Raumer  ganz  schlagend,  dass  sich  das  fem.  des  deutschen 
Wortes  aus  einer  got.  Vermittlung  sehr  bequem  erklären  lässt. 
weil  die  spräche  des  Ulfilas  aus  griech.  neutren  auch  sonst 
feminina  bildet. 

Raumers  Vermutung  hat  sich  bewährt:  das  deutsche  wort 
ist  griech.  herkunft,  und  wir  verdanken  es  got.  Vermittlung. 
Zwar  ist  auch  in  den  60  jähren,  die  seit  der  Veröffentlichung 
von  Raumers  aufsatz  verstrichen  sind,  noch  immer  keine  neue 
got.  sprachquelle  mit  der  gesuchten  entsprechung  (kyrikö)  zu 
tage  getreten.  Aber  wir  sind  doch  in  einigen  kleinigkeiten 
jetzt  etwas  weiter  mit  der  beweisfiihrung  gekommen.  Mehrere 
gräcisten  wie  Dieterich,  Thuinb  und  Kretechmer  haben  fest- 
gestellt, dass  griech.  handschrifteD  und  Inschriften  «'ine  ver- 
kürzte lautform  xvQtxöq  an  stelle  von  xvquzxöq  im  adjeetivum 
aufweisen,   und   damit  wäre   in   der  tat   eine  kleine  lautliche 


12(5  KLUGE 

Schwierigkeit  aus  dem  wege  geschafft,  wenn  man  got.  Jcyrikö 
als  dreisilbige  grundform  für  das  urdeutsche  voraussetzen  darf. 
Daneben  hat  Kretschmer  (Kuhns  zs.  39,541)  darauf  hingewiesen, 
dass  jetzt  ein  reiches  belegmaterial  für  gr.  xvgiaxöv  in  der 
bedeutung  'gotteshaus'  für  das  4.  jh.  zur  Verfügung  steht;  die 
belege  beginnen  mit  Origines  (3.  jh.).  Die  entlehnung  ins  got. 
muss  ins  4.  jh.  fallen,  als  unter  Konstantin  der  kirchenbau 
seinen  grossen  aufschwung  genommen  hatte,  und  der  ausdruck 
y.vQiayjjv  gerade  modern  war.  Diese  mode  war  aber  nur  eine 
vorübergehende.  Das  wort  ist  auch  auf  griech.  boden  gänzlich 
ausgestorben,  und  das  ältere  exxXijala  hat  bis  ins  neugriechische 
allein  das  feld  behauptet.  Aus  diesen  ermittelungen  Kretsch- 
mers  ergibt  sich  die  not  wendigkeit  einer  annähme,  dass  sich 
das  griech.  wort  bei  den  Goten  in  der  zweiten  hälfte  des 
4.  jh.'s  hat  festsetzen  müssen:  hätten  die  Goten  erst  im  5.  jh. 
den  begriff  entlehnt,  so  musste  wahrscheinlich  das  schon  vor- 
handene got.  aikklesjö,  das  die  'christliche  gemeinde' bedeutete, 
die  räumliche  bedeutung  mit  übernehmen. 

Der  geschichtliche  Zusammenhang  des  got.  Christentums 
mit  dem  ahd.  tritt  also  in  unserm  hirclie  klar  und  deutlich  zu 
tage.  Das  hatte  schon  Walahfrid  Strabo  in  der  ersten  hälfte 
des  9.  jh.'s  richtig  vermutet,  wenn  er  in  seinem  Libellus  de 
exordiis  et  incrementis  quarundam  in  observationibus  ecclesias- 
ticis  rerum  (Zs.  fda.  25,  99)  die  frage  auf  wirft,  qua  occasione 
ad  nos  vestigia  haec  grecitatis  advenerint?  Diese  frage  gilt 
zwei  deutschen  Worten :  Jcirche  und  pfaffe.  Walahfrid  Strabo 
erörtert  daselbst  die  fremdwörter  seiner  muttersprache  und 
unterscheidet  ganz  richtig  lat.  und  griech.  bestandteile:  ab 
ipsis  Grecis  kyrica  a  kyrios,  et  papo  a  papa  (quod  cuiusdam 
paternitatis  nomen  est  et  clericorum  congruit  dignitati).  Auch 
mit  der  beurteilung  unseres  pfaffe  hat  Walahfrid  Strabo 
durchaus  recht.  Und  Eaumer  vertritt  denselben  Standpunkt. 
Aber  er  ist  hier  weniger  glücklich  als  in  der  beurteilung  von 
Mrche.  Er  erinnert  zwar  daran,  dass  das  deutsche  wort  in 
der  bedeutung  clericus  sich  nicht  mit  lat.  papa  verträgt,  das 
nur  'bischof  bedeutet,  uud  sein  hin  weis  auf  got.  papa  im  got. 
kalender  und  in  den  unterschritten  der  neapolitanischen  Ur- 
kunde war  ein  neues  gewichtiges  moment.  Aber  wir  sind 
heute  entschieden  viel  besser   in  der  läge,   den  got. -griech. 


cutis«  in;    LBHNWORTK    IM    AHD.  127 

Ursprung  unsres  pfaffe  zu  erhärten.     Die  historische  grammatik 

der  deutschen  spräche  hat  seit  der  mitte  des  19.  jhu'a  bedeut- 
same fortschritte  gemacht,  und  der  begriff  der  lautchronologie, 
den  Raumer  nur  erst  unbestimmt  ahnen  konnte,  hal  nichl 
bloss  für  die  allgemeine  Schichtung  des  deutschen  Wortschatzes 
eine  durchschlagende  bedeutung.  Auch  in  nnserm  besonderen 
falle  können  wir  jetzt  viel  entschiedener  feststellen,  dass  pfaffe 
lange  vor  dem  8.  jh.  bestanden  haben  muss,  wo  das  wort  lite- 
rarisch zuerst  in  die  erscheinung  tritt.  Denn  es  tragt  den 
Stempel  der  zweiten  lautverschiebnng,  den  wir  in  lat.  kirchen- 
worten  wie  predigen,  priester,  probst  vermissen.  Eine  entleh- 
nung  aus  lat,  papa  hätte  im  8.  oder  9.  jh.  nie  und  nimmer 
ein  ahd.  pfäffo  ergeben  können.  Ganz  abgesehen  von  der 
völlig  abweichenden  bedeutung  des  lat.  kirchenwortes,  das 
vielmehr  die  grundlage  unsres  papst  (ahd.  mhd.  babes)  geworden 
ist,  wird  jeder  grammatiker  sich  an  der  differenz  der  voeal- 
quantität  von  lat.  papa  :  ahd.  pfäffo  stossen.  Und  wenn  es 
auch  noch  wissenschaftliche  hilfsmittel  geben  sollte,  die  ahd. 
pfäffo  von  lat.  j/üjui  ableiten,  kann  doch  nicht  scharf  genug 
betont  werden,  dass  dies  eine  lautgeschichtliche  Unmöglichkeit 
ist.  Der  gedanke  an  die  russ.  bezeichnung  des  priesters  als 
pope  hilft  uns  in  diesem  falle  mehr  als  lat.  papa  ;bischof. 
So  gelangen  wir  mit  got.  papa  auf  gr.  Jiaxäg,  »las  seit  dem 
3.  bis  4.  jh.  den  'geistlichen'  schlechtweg  bedeutet,  Freilich 
bleiben  zunächst  formelle  differenzen  zu  erledigen.  Es  kann 
keinem  zweifei  unterliegen,  dass  ein  griech.  nominativ  rrern'- 
in  der  spräche  des  Ulfilas  einen  nominativ  pkjkis  ergeben 
mnsste,  so  gut  wie  gr.  ycrci-r^  ein  got.  s<it<uius  oder  Boqq( 
ein  got.  Barrabas.  Indem  aber  solche  nominative  im  griech. 
aecusative  auf  -äv  neben  sich  haben,  erhalten  wir  im  got.  die 
parallelen  acc.  sti/<non>.  Barraban.  Nun  hätten  wir  zwar 
eigentlich  nom.  satanäs,  acc  satanän  als  genaue  lautentepre- 
chungen  für  das  got.  zu  erwarten:  indem  aber  der  germ. 
accent  bei  der  übernähme  die  erste  wortsilbe  trifft,  während 
im  griech.  nltimabetonnng  gegolten  hat.  trat  von  Belber  Ver- 
kürzung des  vocals  in  der  endung  »'in.  und  vom  aecusativ  aus 
erfolgte  dann  die  ueuregulierung  der  declination:  «rt-n.  satanins, 
dat.  8atanin}  und  die  letzte  consequenz  war  ein  nein,  sakma. 
So   mnsste   sich    mit    natnmotwendigkeil    aus   gr.  vaxög   ein 


128  KLUGE 

flexionsscliema  papas,  papins,  papin,  papan  ergeben,  und  ein 
nom.  papa  konnte  nicht  ausbleiben,  d.h.  das  lehnwort  wurde 
ein  normales  schwaches  masculinum,  und  damit  ist  die  schwache 
declination  von  ahd.  pfaffo  endgültig  erklärt. 

Freilich  bleibt  ein  punkt  in  der  beweisführung  zunächst 
fraglich.  Eaumer  gieng  stillschweigend  von  der  annähme  aus, 
dass  got.  papa  wirklich  in  der  bedeutung  'geistlicher'  vor- 
komme. Das  fehlen  des  wortes  bei  Ulfilas  kann  natürlich 
nicht  ins  gewicht  fallen.  Wir  treffen  es  erst  im  got.  kalender, 
der  nach  den  neueren  feststellungen  in  den  schluss  des  4.  jh.'s 
zurückreicht,  als  die  Goten  noch  auf  dem  Balkan  lebten.  Der 
im  got.  kalender  begegnende  Wereka  papa  ist  aber  durch 
griech.  menologien  als  presbyter  erwiesen;  die  beweisführung 
von  H.  Achelis  (Zeitschr.  f.  neutestamentl.  Wissenschaft  1  [1900] 
s.  325)  hat  das  endgültig  festgestellt.  Das  einzig  sichere,  was 
wir  heutzutage  über  got,  papa  wissen,  ist  eben  die  bedeutung 
'geistlicher'.  Dass  aber  got.  papa  nur  allein  'vater,  bischof 
bedeutet  haben  soll,  braucht  man  auch  dem  neuen  Stamm- 
Heyne  (neu  herausgegeben  von  Wrede  1908,  s.  455)  nicht  ohne 
weiteres  zu  glauben.  So  steht  also  die  bedeutungsgleichheit 
von  ahd.  pfaffo  und  got.  papa  völlig  fest  und  Baumers  Ver- 
mutungen erhalten  ihre  volle  bestätigung. 

Indem  ich  Eaumers  anschauungen  aufgegriffen  und  weiter- 
gebildet habe,  erfährt  der  betr.  artikel  meines  Et.  wb.  soeben 
eine  energische  ab  Weisung,  indem  Zimmer  (Sitzungsberichte 
der  kgl.  preuss.  akademie  1909  I  28)  darüber  das  kategorische 
verdict  fällt:  'soviel  Schlüsse,  soviel  fehlschlüsse!'  Er  will  unser 
pfaffe  als  ir.  lehnwort  angesehen  wissen,  das  wir  den  ir.  mis- 
sionaren  des  7.  jh.'s  (Kolumban,  Gallus,  Kilian)  verdanken 
sollen.  Das  altir.  wort,  von  dem  Zimmer  ausgeht,  lautet  popa 
und  dies  war  eine  ehrenvolle  anrede  an  beliebige  respects- 
personen.  Ob  es  im  altir.  auch  die  regelmässige  bezeichnung  für 
den  geistlichen  gewesen  ist,  scheint  nach  Zimmers  darlegungen 
nicht  wahrscheinlich.  Wenn  er  aber  keine  gruppe  von  irischen 
lehnworten  des  7.  jh.'s  für  Deutschland  erweist,  so  muss  noch 
mit  entschiedenheit  hervorgehoben  werden,  dass  ein  ir.  popa 
im  7.  jh.  nicht  mehr  unter  die  gesetze  der  hd.  lautverschiebung 
gefallen  wäre.  Zu  gunsten  der  von  mir  vertretenen  ansieht 
spricht  die  bedeutungsidentität  von  ahd.  pfaffo  =  got.  papa 


G0TI8CHE    LEHNWORTE   IM    AHI>.  1-".' 

und  die  existenz  von  got  papa  'geistlicher1  in  dem  noch  dem 
4.  jh.  angehörigen  got.  kalender.  Dies  alles  gibt  mir  die  ge- 
wissheit,  dass  pfaft'e  mit  hirche  gleich  beurteilt  werden  muss. 
Die  stärke  meiner  beweisführung,  wie  ich  sie  heute  versuche, 
liegt  in  der  feststellung  unserer  ältesten  christlichen  termino- 
logie,  und  in  dieser  kann  ich  keinerlei  irische  züge  erkennen. 
Für  den  christlichen  begriff  heide  stellt  sich  neben  das 
deutsche  wort  noch  ein  einmaliges  got.  haipno  iieidin'.  IN 
ist  schlagend  richtig,  wenn  Baumer  s.  407  erklärt:  "bei  der 
eigentümlichkeit  dieses  ausdrucks  ist  es  kaum  glaublich,  dass 
er  zweimal  für  den  begriff  ethnicus  gewählt  oder  gar  gebildet 
ward;  viel  wahrscheinlicher  ist,  dass  er  von  den  Goten  zu  den 
andern  erst  später  bekehrten  Völkern  sich  verbreitet  hat.' 
Raumers  anschauungen  über  dieses  wort  und  sein  ganzer  auf- 
satz  sind  aber  nach  ihrem  erscheinen  keineswegs  gebilligt 
worden.  Die  behandlung  des  Wortes  heide  im  DWb.  erwähnt 
den  aufsatz  Raumers  ebensowenig  wie  Weigands  Deutsches 
Wörterbuch.  Beide  hilfsmittel  lehren,  dass  heide  eine  nach- 
bildung  von  YaX.  paganus  sei:  'nach  der  einführung  des  Christen- 
tums dem  lat.  paganus  bewohner  des  platten  landes  und 
gegenüber  der  christlichen  lehre  altgläubiger,  nachgebildet1 
(s.  Heyne  1870  DWb.  IV  2,  799).  Heyne  und  Weigand  gegen- 
über habe  ich  mich  schon  1882  in  der  1.  aufl.  meines  Et.  wl>. 
auf  Räumers  seite  gestellt,  wenn  ich  unter  dem  worte  heide 
sagte:  'vielleicht  ist  hier  wie  bei  Jcirche,  pfaffe  ein  einfluss 
der  Goten  und  ihres  Christentums  auf  die  übrigen  Germanen 
zu  erkennen.'  Wenn  mein  Et.  wb.  in  seinen  7  auflagen,  die 
es  bisher  erlebt  hat,  an  dieser  anschauung  immer  festgehalten 
und  damit  Räumers  kriterium  zur  anerkennung  verhelfen  hat, 
so  ist  Räumers  hauptsächlicher  grnnd  heute  noch  so  durch- 
schlagend wie  vor  CO  jähren:  es  ist  kaum  glaublich,  dass  der 
gleiche  ausdruck  heide  als  christlicher  begriff  zweimal  anab- 
hängig voneinander  gewähll  oder  gar  gebildet  wäre.    Denken 

wir    uns    das    nur    einmal    bezeugte    got.  haijmü   'heidiif    aus 

unserer  ulfllanischen  Überlieferung  fort,  bo  wäre  dir  beurteilung 
\nn  deutsch  heide  =  engl  heathen  unendlich  erschwert;  wir 
würden    mit   dem   christlichen   ausdruck   in   unserer  Bprache 

etymologisch  nicht  leicht  in>  reine  kommen.  Penn  mil  lat. 
pagänus  neben  pagus  kommen    wir   nicht    voran.     Der   alte 

Beitrage  rur  [Mchkhtf  Jer  dcuMchen  iprache.    XXXV.  <j 


130  KLUGE 

gedanke,  mit  welchem  Heyne  an  Adelung*  anknüpft,  will  von 
lat.  pagus  aus  an  Jwide  'feld'  anknüpfen.  Das  ist  aber  eine 
geschichtliche  Unmöglichkeit,  denn  heiäe  'unbebautes  feld'  tritt 
in  hd.  quellen  erst  seit  dem  12.  jh.  auf,  dem  gegenüber  ist 
aber  heiäe  'paganus'  schon  als  wort  des  8.  jh.'s  vielfach  bezeugt. 
Das  wort  heide  'unbebautes  feld'  nützt  uns  also  gar  nichts, 
um  das  ahd.  adj.  heidan  'paganus'  aufzuklären.  Nun  liegt 
aber  in  got.  haipnö  'heidin'  ein  um  400  jähre  älteres  wort- 
zeugnis  vor,  das  uns  lehrt,  dass  ahd.  heidan  nicht  erst  von 
den  missionaren  des  8.  jh.'s  geschaffen  sein  kann.  Die  mis- 
sionare  des  8.  jh.'s  fanden  also  in  unserer  spräche  wort  und 
begriff  schon  vor,  und  so  wagten  sie  auch  gar  keinen  versuch, 
lat.  paganus  in  den  deutschen  wortvorrat  hinein  zu  empfehlen, 
wie  sie  es  mit  lat.  terminologie  sonst  gern  machten.  Auch 
zeigen  die  slav.  sprachen  mit  ihrer  entlehnung  von  lat.  paganus, 
dass  eine  derartige  wortentlehnung  nicht  nur  nicht  zu  den 
Unmöglichkeiten  gehörte,  sondern  nahe  genug  lag.  Wenn  also 
ein  ahd.  pagano  (*bagano)  vollständig  fehlt,  so  muss  ahd. 
heidan  mit  seinem  christlichen  wortinhalt  das  hindernis  ge- 
wesen sein,  an  dem  eine  entlehnung  von  paganus  im  8.  jh. 
scheitern  musste. 

So  wahrscheinlich  Raumers  annähme  von  der  entlehnung 
des  deutschen  wortes  aus  dem  got.  auch  ist,  sie  bleibt  immer 
eine  Vermutung,  die  erst  durch  andere  got.  lehnworte  im 
deutschen  (wie  Mrche  und  pfaffe)  zur  Wahrscheinlichkeit  wird. 
Sie  würde  aber  an  Wahrscheinlichkeit  entschieden  gewinnen, 
wenn  eine  neuere  ansieht  recht  hätte,  dass  got.  haijmö  'heidin' 
mittelbar  oder  unmittelbar  auf  gr.  tßT?j  'beiden'  zurückgienge. 
Dieser  annähme  aber  stehen  schwerwiegende  bedenken  ent- 
gegen (Literatur  s.  Zs.  fd.wortf.  11,  21),  und  so  dürfen  wir  uns 
zunächst  mit  dem  verdachtsgrund  beruhigen,  den  Raumer  für 
die  herkunft  von  deutsch  heide  aus  dem  got.  beigebracht  hat. 
Damit  wird  ja  allerdings  die  frage  nach  der  herkunft  des 
deutschen  wortes  verschoben  in  die  frage  nach  der  herkunft 
des  got.  wortes.  Dieses  macht  insofern  erhebliche  Schwierig- 
keiten, als  von  dem  got.  worte  auffälligerweise  nur  ein  ganz 
vereinzeltes  wortzeugnis  vorliegt,  während  Ulfilas  den  christ- 
lichen begriff  von  gr.  e&vr]  sonst  immer  mit  pkidös  widergibt. 
Vielleicht  hat  er  hier  einem  begriff  unsers  altgerm.  heidentums 


GOTISCHE    LEHNWOKTK    IM    AHD.  131 

ein«  ii  neuen,  christlichen  wortinhalt  gegeben.  Denn  überall 
lieferte  unser  heidentum  den  missionaren  heimisches  wort- 
material,  um  den  neuen  ideen  des  Christentums  den  einzng  zn 
erleichtern.  Das  gilt  von  unserm  hölle  (got.  hdljä),  das  gilt 
auch  von  ostern,  das  ursprünglich  die  bezeichnung  eines  heid- 
nischen festes  gewesen  sein  muss.  So  wird  der  Ursprung  des 
wortes  heide  vielleicht  in  altgerm.  anschauungen  zu  suchen 
sein,  und  ich  hege  den  verdacht,  dass  unsere  heidnischen  vor- 
eitern mit  ihrem  adj.  heidnisch  etwa  Völker  einer  niedereren 
culturstufe  oder  eines  längst  überholten  niedereren  götter- 
glaubens  charakterisierten,  wie  die  Griechen  mit  ihrem  ßaQ- 
ßctQOQ  einen  charakteristischen  ethnologischen  inhalt  verbanden. 
Die  umprägung  eines  altgerm.  wortes  zu  einem  christlichen 
begriff  dürfen  wir  Ulfilas  zutrauen,  und  seine  Goten  werden 
sich  ihrem  apostel  schnell  angeschlossen  haben.  Dass  aber 
dieselbe  umprägung  in  Deutschland  unabhängig  von  den  Goten 
vollzogen  wäre,  ist  in  sich  nicht  recht  glaubhaft. 

Auch  für  unser  taufen  nimmt  Eaumer  got.  Vermittlung 
an.  Denn  dass  das  christliche  wort  auf  germ.  Sprachgebiet 
zweimal  voneinander  unabhängig  mit  demselben  wort  (got. 
daupjan  =  ahd.  touffan)  widergegeben  wäre,  ist  unwahrschein- 
lich. Nun  vereinigt  got.  daupjan  eine  ursprünglich  sinnliche 
bedeutung  'eintauchen'  mit  der  christlichen  bedeutung  'taufen', 
aber  das  deutsche  wort  zeigt  schon  in  ahd.  zeit  nicht  mehr 
die  natürliche  bedeutung,  sondern  nur  noch  die  christliche. 
Die  missionare  des  8.  jh.'s  fanden  unser  heutiges  wort  mit 
seinem  christlichen  inhalt  schon  in  Deutschland  vor.  Wären 
sie  von  einer  derartigen  älteren  benennung  unabhängig  ge- 
wesen,  wer  weiss  wie  sie  dann  das  lat.  />a))(i~<irr  auf  deutsch 
wiMergegeben  hätten!  Während  dem  got  missionar  gr.  ßdjctm 
die  widergabe  durch  daupjan  nahelegte,  musste  den  abend- 
ländischen missionaren  des  8.  jh.'s  der  ursprüngliche  wortinhall 
des  kirchlichen  baptiean  verschlossen  bleiben,  und  so  konnte 
man  in  England  für  'taufe1  ein  ags.  fuhriht  eigtl.  'vollweihe' 
bilden  und  in  Niederdeutschland  haben  missionare  hristenm, 
d.h.  'zum  Christen  machen1  für  'taufen1  eingeführt.  An  der- 
artigem verhalten  der  missionare  auf  ag&  und  asächa  boden 
Lässt  sich  erkennen,  <ia>s  unser  tuu/'oi  keineswegs  eine  selbst- 
verständliche Verdeutschung  eines  christlichen  wortes  wai 


132  KLUGE 

werden  wir  unser  deutsches  wort  nicht  leicht  als  eine  von 
got.  daupjan  unabhängige  Spracherscheinung  ansehen.  Besteht 
aber  ein  Zusammenhang,  so  darf  man  ihn  mit  Baumer  so 
deuten,  dass  das  deutsche  wort  als  lehnwort  aus  dem  got,  an- 
zusehen ist. 

Wenn  ich  im  voranstehenden  die  teils  zu  kurze,  teils  zu 
zaghafte  behandlung  der  von  Kauiner  aufgeworfenen  fragen 
mit  eingehenderer  begründung  vom  Standpunkt  einer  fort- 
geschritteneren grammatischen  und  sprachgeschichtlichen  er- 
fahrung  aus  näher  begründet  und  sichergestellt  habe,  so  muss 
ich  nun  ein  paar  punkte  erwähnen,  in  denen  Raumers  Ver- 
mutungen nicht  mehr  bestehen  bleiben  können.  Die  exaktheit 
der  lautgeschichtlichen  begründung  war  in  der  mitte  des 
19.  jh.'s  nicht  so  gross.  Die  anspräche  an  lautgeschichtliche 
beweise  waren  noch  sehr  gering,  und  so  stand  Raumer  auf 
dem  boden  seiner  zeit,  wenn  sein  grammatisches  gewissen  es 
ihm  gestattete,  die  ahd.  bezeichnung  des  hlg.  geistes  als  der 
iviho  ätum  mit  got.  sa  weiha  ahma  in  denselben  Zusammen- 
hang zu  stellen,  in  den  er  mit  fug  und  recht  hirche  und  pfaffe, 
heide  und  taufe  gestellt  hat.  Diese  Vermutung  können  wir 
heute  nicht  mehr  ernst  nehmen,  weil  ahd.  ätum  gar  nicht  aus 
got.  ahma  abgeleitet  werden  kann.  Die  glückliche  combinations- 
gabe  Raumers  scheiterte  hier,  weil  die  Wortbetrachtung  es  mit 
den  lautlichen  Übereinstimmungen  damals  noch  nicht  so  ernst 
nahm.  Wenn  dann  Raumer  seine  'Anfragen  und  Vermutungen' 
mit  dem  verdacht  schliesst,  dass  die  ags.  benennung  des  hei- 
lands  als  neriend  durch  Deutschland  hindurch  auf  got.  nasjands 
'heiland'  hinweise,  so  fehlen  hier  grade  die  lautlichen  beweise, 
und  es  kann  im  günstigsten  falle  von  einer  vagen  möglichkeit 
geredet  werden. 

II.  Von  Raumers  wortzeugnissen,  die  er  alle  nur  als 
anfragen  und  Vermutungen  angesehen  wissen  wollte,  kommen 
also  mit  bestimmtheit  zwei  in  wegfall  und  wir  haben  nur  die 
vier  fälle  Mrche,  pfaffe,  heide  und  taufen  mit  neuen  gründen 
stützen  und  sichern  können.  Nun  habe  ich  aber  selber  schon 
seit  vielen  jähren  in  den  verschiedenen  auflagen  meines  Et.  wb. 
und  in  den  beiden  auflagen  von  Pauls  Grundriss  mehrere  neue 
be weisstücke  vorgelegt,  die  —  im  sinne  Raumers  —  den  zu- 


GOTISCHE   LEHNWORTE    IM   AIII>.  133 

sammenhang  des  got.  Christentums  mit  dem  deutsclien  erhärten, 
und  es  liegt  mir  nunmehr  ob,  hier  über  die  von  mir  neu  ge- 
fundenen beweise  zu  berichten. 

Das  überraschendste  und  schlagendste  Zeugnis,  das  ich 
gefunden  zu  haben  glaube,  sehe  ich  in  der  ahd.  andd.  benen- 
nung  von  Christus  als  Krist  So  heisst  der  heiland  in  allen 
alten  quellen  des  8.  und  9.  jh.'s  wie  überhaupt  durch  das 
ganze  mittelalter.  Die  Helianddichtung  wie  das  Evangelien- 
buch Otfrids  kennen  ebensowenig  die  lautform  Christus  wie 
die  namensform  Jesus;  und  doch  sagt  Otfrid  immer  Petrus  so 
gut  wie  der  Heliand.  Warum  haben  nun  die  christlichen 
missionare  des  abendlandes  das  lat.  Christus  bei  uns  nicht 
ebenso  empfohlen  wie  etwa  Petrus?  Die  lautform,  so  sacro- 
sanet  sie  scheint,  konnte  nicht  eindringen  noch  durchdringen, 
weil  wir  in  der  lautform  Krist  schon  eine  einheimische  wort- 
gestalt  besassen.  Und  diese  einheimische  wortgestalt  beruht 
nicht  auf  lat.  Untergrund.  Wenn  missionare  von  England, 
Irland  oder  Frankreich  aus  im  8.  jh.  oder  auch  früher  das  wort 
zu  uns  gebracht  hätten,  würde  es  sicher  Krist  im  deutschen 
lauten.  Denn  es  ist  nicht  im  geringsten  zu  bezweifeln,  dass 
das  wort  in  England,  Irland  und  Frankreich  mit  i  gesprochen 
wurde,  das  beweist  die  neuengl.  ausspräche  bis  auf  den  heutigen 
tag  und  niemand  bezweifelt,  dass  die  Angelsachsen  immer  ( 
gesprochen  haben.  Und  frz.  christ  deutet  auch  auf  i  und  nicht 
auf  1.  So  läge  denn  für  ahd.  asächs.  krist  die  anknüpfung  an 
got.  Xrlstus  näher.  Darin  kann  uns  das  X  des  got,  wort- 
anlautes  nicht  beirren.  Das  war  eine  literarische  schreibform 
des  sacrosaneten  namens,  von  der  ein  so  hochgebildeter  mann 
wie  Ulfilas  nicht  abweichen  durfte.  Aber  seine  Goten  sprachen 
sicher  viel  mehr  hrtstus,  denn  sin  konnten  gar  kein  griech.  / 
sprechen.  Wo  ein  eigenname  "der  Eremdwort  ein  solches  auf- 
wies, -teilte  sich  von  selber  der  /,-laut  ein.  und  manche  spuren 
in  der  bibelsprache  des  Ulfilas  deuten  darauf  hin.  dass  auch 
der  got.  Übersetzer  kristus  sprach.  Kr  sagt  für  A%ala  vielmehr 
Äkaia,  für  ÖQaxfirj  vielmehr  ärakmi.  War  aber  hristus  die 
normale  ausspräche  des  wortes  im  got.,  bo  haben  wir  nur  noch 
die  westgerm.  auslautsregeln  dafür  verantwortlich  zu  machen, 
dass  »-in  ursprüngliches  Jcristus  (etwa  um  500  herum)  zu  krist 
geworden  ist:  doch  können  wir  ans  in  diesem  zusammenhange 


134  KLUGE 

unmöglich  auf  die  Chronologie  der  westgermanischen  auslauts- 
gesetze  einlassen. 

Von  der  lautgeschichtlichen  beweisführung,  die  ich  soeben 
vorgelegt  habe,  war  das  Zeitalter  Baumers  und  Jacob  Grimms 
noch  weit  entfernt.  Und  so  konnte  man  früher  auch  in  der 
lautgeschichtlichen  beurteilung  des  Wortes  teufel  kein  glück 
haben.  Mehrere  gesichtspunkte  sind  für  die  beurteilung  dieses 
wortes  von  durchschlagender  bedeutung.  Es  zeigt  schon  in 
den  ältesten  hd.  sprachquellen  eine  sehr  weitgehende  lautliche 
entfernung  von  dem  lat.  diabolus,  das  im  munde  römischer 
missionare  zu  erwarten  wäre.  Es  ist  schwer  zu  sagen,  was 
eigentlich  aus  lat,  didbolus  durch  die  vermittelung  der  mis- 
sionare des  8.  und  9.  jh.'s  bei  uns  geworden  wäre.  Sicherlich 
nicht  thifal,  wie  das  wort  im  ahd.  lautet.  Schon  das  an- 
lautende t  unseres  hd.  wortes  setzt  die  existenz  des  wortes 
für  Deutschland  voraus,  ehe  die  römischen  missionare  kamen. 
Die  hd.  lautverschiebung,  die  aus  ä  ein  t  macht,  war  schon 
im  8.  jh.  in  Oberdeutschland  vollzogen.  Vollends  beweist  der 
diphthong  iu  in  der  tonsilbe  von  ahd.  thifal  längeres  bürger- 
recht  vor  dem  8.  jh.  und  die  roman.  sprachen  haben  an  diesem 
iu  nicht  den  anteil,  den  man  erwarten  würde,  wenn  es  sich 
um  ein  wort  der  römischen  missionierung  handelte.  So  weist 
die  erste  silbe  des  wortes  teufel  mit  bestimmtheit  darauf  hin, 
dass  das  wort  einer  früheren  christlichen  schiebt  angehört 
und  wir  können  dies  auch  noch  mit  einem  weiteren  laut- 
kriterium  beweisen. 

Die  deutsche  grammatik  sollte  eigentlich  schon  längst  den 
mundartlichen  lautgestaltungen  des  ahd.  wortes  einen  gesichts- 
punkt  abgewonnen  haben,  den  ich  aber  noch  nirgends  aus- 
gesprochen finde.  Unser  wort  lautet  nämlich  in  den  fränk. 
und  sächs.  dialekten  der  ältesten  zeit  immer  mit  iu  in  der  ton- 
silbe: fränk.  tiufal,  diufal  =  asächs.  diudal.  Nun  gibt  es  ein 
lautgesetz,  wonach  vielmehr  io  zu  erwarten  wäre.  Dieses 
gesetz  lautet:  dem  fränk.-sächs.  io  muss  vor  lippen-  und  kehl- 
lauten  im  oberdeutschen  iu  entsprechen;  aber  dem  oberdeutschen 
iu  vor  lippen-  und  kehllauten  muss  in  den  fränk.-sächs.  dia- 
lekten ein  io  entsprechen,  wenn  in  einer  zweiten  silbe  ein 
a-vocal  steht  oder  gestanden  hat  (Braune,  Ahd.  gr.  §  47).  Wenn 
wir  also  bei  Otfrid  und  im  Heliand  die  lautgestalten  tiufal, 


GOTISCHE    LEHNWORTE    IM    Alll>.  1  ■'■< 

dmhal  linden,  so  müssen  wir  sie  auf  grund  i\q±  eben  charak- 
terisierten lautgesetzes  in  Mittel-  und  Niederdeutschland  für 
fremdlinge  erachten,  die  ans  Oberdeutschland  zugezogen  sind. 
Wer  die  beweiskraft  solcher  lautkriterien  mit  mir  gleich- 
massig  einschätzt,  wird  also  Oberdeutschland  als  den  heimats- 
bereich  für  das  fränk.  und  weiterhin  auch  für  das  Bachs,  worl 
ansehen.  Dann  hätten  wir  hier  einen  sehr  wichtigen  finger- 
zeig  dafür,  dass  die  älteste  terminologie  des  deutschen  Christen- 
tums von  Oberdeutschland  nach  Mittel-  und  Niederdeutschland 
vorgedrungen  wäre.  Unter  allen  umständen  bleibt  sicher,  dass 
die  ahd.  lautgestalt  tiufal  eine  lange  einbürgerung  des  wertes 
vor  dem  8.  jh.  bei  uns  voraussetzt. 

Hat  aber  dieses  wort  vor  der  römischen  missionierung  des 
8.  jli.'s  seine  volkstümliche  lautgestalt  erhalten,  in  der  es  fortan 
haften  geblieben  ist,  so  dürfen  wir  nunmehr  auch  das  gegen  - 
stück  zu  teufel  unter  dem  neuen  gesichtspunkt  betrachten. 
Das  wort  enget  zeigt  jedoch  im  ahd.  keine  charakteristische 
Umgestaltung,  aus  der  wir  überzeugende  Kriterien  für  eine 
frühzeitige  entlehnung  oder  einbürgerung  abnehmen  könnten. 
Auch  die  missionare  des  8.  jh.'s  hätten  vielleicht  ihr  lat.  angehts 
zu  engil  (später  engel)  umgestaltet.  Da  aber  das  wort  im  got 
aggilus  lautet,  so  könnte  ein  got.  lehnwort  im  deutschen  auch 
nur  zu  engil  (später  engel)  geführt  haben.  Die  grammatik 
entscheidet  in  diesem  falle  nicht,  so  viel  ich  sehe.  Aber  sprach- 
geschichtlich wird  man  sich  wol  schwerlich  dazu  entschliessen, 
das  wort  cnyel  (ahd.  asächs.  engil)  von  seinem  gegenstück  teufel 
(ahd.  tiufal,  asächs.  diuhal)  loszureissen.  So  spricht  die  Wahr- 
scheinlichkeit doch  schliesslich  dafür,  dass  engel  mit  teufel  in 
unsere  älteste  christliche  terminologie  gehört,  die  wir  nicht 
aus  dem  latein,  Bondern  aus  dem  got  herleiten. 

und  in  diese  wortgruppe  hinein  stelle  ich  das  wort  ; 
Die  identitüt   der  griech.  und  lat.  benennung  erschwert    hier 
wie  bei   engel  und   teufel  die  beurteilung.    Es  müssen  Bchou 
erhebliche  gründe  Bein,  die  nns  bestimmen,  das  wort  aus  der 
lat.    terminologie   des   christlichen    abendlam  izureissen. 

Dass  es  aber  schon  vor  dem  8.  jh.  mindestens  durch  das  ganze 
hd.  Sprachgebiet  eingebürgert  war,  dafür  ist  auch  hier  widerum 
die  2.  lautyerschiebung  ein  untrüglicher  beweis.  Wii  haben 
vorhin  bei  pfafl*  festgestellt,  dass  das  inner«:  //  nicht  erst  im 


136  KLUGE 

8.  oder  9.  jh.  entstanden  sein  kann.  Wenn  nun  das  p  des 
christlichen  grundwortes  im  ahd.  auslaut  als  f  (für  ff)  erscheint, 
so  kann  die  durchschlagende  beweiskraft  dieses  kriteriums 
nicht  im  mindesten  in  zweifei  gezogen  werden:  wir  müssen 
nur  noch  ausdrücklich  feststellen,  dass  kein  lat.  fremdwort 
der  ahd.  kirchensprache  inneres  ff  für  lat.  p  zeigt.  Und  schliefst 
sich  nicht  bischof  und  pfaffe  zu  einer  guten  gruppe  zusammen, 
gerade  wie  enget  und  teufet?  Und  sind  es  nicht  überhaupt 
die  wichtigsten  begriffe  des  neuen  glaubens,  die  hervorstechend- 
sten grundanschauungen  des  Christentums,  die  wir  in  unserer 
ältesten  schiebt  christlicher  terminologie  feststellen  konnten? 
Da  hebt  sich  Christus  (ahd.  l-rist)  ab.  Der  begriff  des  taufens 
und  sein  gegen  teil,  das  sich  in  dem  wort  heule  ausdrückt, 
gehen  voran;  es  folgen  tcufel  und  engel  als  die  andeutung  der 
mächte  des  bösen  und  des  guten.  Die  Organisation  der  gemeinde 
schliesst  sich  an,  wenn  bischof  und  pfaffe  der  gleichen  gruppe 
angehören.  Aber  wunderbar  genug  gehört  auch  das  gottes- 
haus,  die  hirche  zum  urbestande  unseres  Christentums,  ehe 
römische  missionare  das  lat,  ecelesia  empfehlen  konnten. 

So  sind  wir  heute  entschieden  weiter  gekommen  mit  dem 
problem,  das  Raumer  vor  60  jähren  beschäftigt  hat.  Es  han- 
delt sich  jetzt  nicht  mehr  um  anfragen  und  Vermutungen  wie 
damals,  sondern  um  feststehende  tatsachen.  Der  sprachliche 
beweis  ist  zugleich  ein  culturgeschichtlicher  beweis.  Die  kleinen 
grammatischen  kriterien  der  lautgeschichte  sind  ebenso  sichere 
culturgeschichtliche  quellen  wie  die  schriftliche  Überlieferung 
auf  dem  pergament.  Man  würde  die  ganzen  erfolge  der  mo- 
dernen Sprachwissenschaft  bezweifeln  oder  leugnen,  wenn  man 
die  berechtigung  der  historischen  lautbetrachtung  in  frage 
stellte.  Wer  die  spräche  nach  Schillers  glücklichem  wort  als 
einen  Spiegel  der  nation  ansieht,  der  strebt  naturgemäss  von 
der  lautbetrachtung  zur  eulturgeschichte.  Und  das  problem, 
das  uns  heute  beschäftigt,  ist  ein  culturgeschichtliches  problem 
ersten  ranges,  wenn  wir  festgestellt  haben,  dass  eine  ganze 
reihe  christlicher  begriffe  unsern  vorfahren  geläufig  waren, 
die  aber  von  der  römischen  missionierung  unabhängig  sein 
müssen. 

Diese  älteste  Schicht  unserer  christlichen  terminologie 
habe  ich  aber  immer  noch  nicht  erschöpft.    Denn  es  gehören 


GOTISCHE   LEHNWORTE    IM    AHO.  l-'-T 

noch  zwei  wochentagnamen  hinein,  die  ein  christliches  gep 
haben.  Der  gesichtspunkt  der  2.  lautverschiebung  wird  wider 
bedeutsam,  wenn  wir  die  alid.  lautgestall  von  samstag  als 
s<nithaz-tag  schon  im  '.».  jli.  antreffen.  Darin  füllt  zunächsl 
daz  z  auf.  Denn  wenn  wir  an  lat.  sdbbatum  denken  würden, 
so  steht  fest,  dass  kein  lat.  kirchenwort  unserer  spräche  für 
ursprüngliches  /  ein  z  hat.  Dieser  lautgeschichtliche  Gesichts- 
punkt hat  mich  schon  im  jähre  1889  bestimmt,  unser  samstag 
von  der  lat.  terminologie  abzusondern  und  in  die  von  Raumer 
angebahnte,  von  mir  selber  weiter  fortgeführte  und  ausgebaute 
wortschicht  einzureihen.  Meiner  begründung  war  die  tatsache 
besonders  günstiü'.  dass  das  innere  m  von  ahd.  sambae-tag 
auch  im  osten  unseres  Sprachgebietes  widerkehrt:  aslav.  so- 
Iota,  nngr.  s.vomlxü,  rumän.  sämbätä.  Dieses  innere  »i  aber 
von  ahd.  sambae-tag  sträubt  sich  ebenso  entschieden  gegen 
herleitnng  aus  lat.  sdbbatum  (=  ital.  sabbatö)  wie  das  innere  z. 
Sicherlich  würden  abendländische  quellen  irgendwelche  spuren 
eines  vulgärlat.  sambatwm  aufweisen,  wenn  die  Volkssprache 
es  irgendwo  besessen  hätte:  denn  überall  können  gelegentlmh 
volksübliche  lautvarianten  in  die  Schreibgepflogenheiten  ylv 
handschriften  eindringen.  Fehlt  nun  jede  spur  eines  lat.  sam- 
batum,  so  muss  auch  noch  hervorgehoben  werden,  dass  wir 
damit  unter  keinen  umständen  das  innere  :  von  ahd.  sambat- 
tag  erklären  könnten.  Denn  die  tatsache  bleibt  bestehen,  dass 
kein  lat.  kirchenwort  ein  hd.  b  i::)  für  ein  lat.  /  aufweisl 
Nun  ist  unser  samstag  ein  oberdeutsches  wort  und  seine 
nächsten  verwanten  sind  sicher  im  osten  zu  suchen,  in  diu 
gebieten  der  unteren  Donau,  wo  einstmals  die  Goten  gesessen 
haben.  Da  ist  es  nun  auf  den  ersten  blick  eine  unüberwind- 
liche lautschwierigkeit,  dass  die  got.  entsprechung  das  zu  er- 
wartende innere  „>  nicht  aufweist:  Dlfllas  schreibl  immer 
sabbatö,  sabbatus  und  nie  sambatd,  sambatus,  in  abereinstim- 
mung  mit  dem  ;;  des  griech.  grundwortes.  Da  Bah  ick  mich 
schon  im  jähre  1889  zu  der  annähme  gedrängt,  ein  vulgär- 
griech.  <"',", ;'  zov  vorauszusetzen  und  den  (-inten  einen  anteil 
an  der  mo-aussprache  beizumessen.  Obwol  mir  Theod.  Nöldek< 
alsbald  in  manchen  morgenländischen  sprachen  da-  worl  sabbai 
mit  der  gesuchten  mo-anssprache  nachweisen  konnte.  bli< 
meine   Dachforschungen    nach    einem    gr.   aäftßaroi    erfol 


108  KLUGE 

Aber  ich  hatte  das  glück,  dass  gelehrte  wie  Gustav  Meyer 
und  Wilhelm  Schulze  meine  conjectur  ernst  nahmen.  Auf- 
sätze in  den  IF.  4,  326  und  Kuhns  zs.  33,  318  spürten  meinem 
hypothetischen  adfißarov  erfolgreich  nach  und  heute  wird  seine 
einstmalige  existenz  für  den  Balkan  nicht  mehr  bezweifelt. 
Dann  aber  dürfen  wir  auch  den  Goten  des  Ulfilas  ein  volks- 
sprachliches sambatö  zutrauen,  wo  der  bischof  selber  nach 
literarischer  gepflogenheit  an  sdbbatö  festhielt. 

Wenn  meine  theorie  von  der  herkuhft  des  ahd.  sambaz-tag 
aus  einem  gr.  ödfißatov  schule  gemacht  hat,  so  war  daran  die 
tatsache  schuld,  dass  ich  unser  samstag  noch  mit  einem 
andern  wochentagnamen  zu  einer  charakteristischen  wort- 
gruppe  vereinigen  konnte.  Es  handelt  sich  um  die  bayr. 
benen nung  des  donnerstags  als  pfinztag.  Das  wort  tritt  erst 
im  12.  und  13.  jh.  in  die  erscheinung.  Aber  vom  8.  bis  zum 
12.  jh.  sind  auch  die  übrigen  namen  unserer  Wochentage  nur 
erst  so  spärlich  bezeugt,  dass  man  das  späte  auftreten  von 
mhd.  pfinztac  nicht  auffällig  finden  darf.  Und  dass  es  tat- 
sächlich ein  viel  höheres  alter  beansprucht,  ersieht  man  schnell 
an"  den  charakteristischen  Kennzeichen  der  2.  lautverschiebung; 
denn  jedes  hd.  pf  und  jedes  hd.  z  sind  das  resultat  der  2.  laut- 
verschiebung, die  von  einer  grundform  pint-  ausgegangen  sein 
muss.  Nun  hat  bereits  Schmeller  den  gedanken  verfolgt,  dass 
h&yr.jifinztag  mit  der  spätgriech.  benennungsweise  des  donners- 
tags als  jTt/.L7TTtj,  d.h.  'fünfter  tag'  ein  und  dasselbe  sein  muss. 
Aber  er  hat  die  Verbindung  des  bayr.  wortes  mit  der  griech. 
entsprechung  durch  got.  Vermittlung  nicht  hergestellt  und 
hinterliess  damit  ein  rätsei,  das  auch  im  DWb.  nicht  gelöst 
wird.  So  habe  ich  unser  wort  mit  ahd.  sambaz-tay  combiniert 
und  für  beide  die  gleiche  got,  Vermittlung  angenommen  wie 
für  Christ  und  heide,  bischof  und  pfaffe,  enget  und  teufet,  sowie 
für  Jcirche.  Tn  der  tatsächlichen  got.  Sprachüberlieferung  kommt 
begreiflicherweise  kein  pinte  (paimpte)  vor,  wie  wir  es  für  das 
bayr.  pfinztag  voraussetzen  müssen.  Aber  das  fehlen  eines 
got.  hyriko  hat  uns  doch  auch  nicht  gehindert,  unser  nhd.  Jcirche 
durch  got,  Vermittlung  aus  gr.  xvqiccxöp  abzuleiten. 

Wemi  meine  eigenen  uachforschungen  das  richtige  ergeben 
haben,  bin  ich  in  der  beurteiluug  des  uns  hier  beschäftigenden 
Problems  entschieden  weiter  gekommen  als  Kaumer,  der  an 


GOTISCHE    LEHNWORTE    IM    All  I ».  1  ■'■'•' 

eine  combination  mit  ahd.  A'm7  and  biscof  and  mit  mhd,  sai 
tac  und  pßne-tac  noch  gar  nicht  gedacht  hat;  denn  auch  bei 
samstag  and  pßnztag  handelt  es  sich  augenscheinlich  um  christ- 
liche worte  und  begriffe,  die  vor  dem  Zeitalter  des  Qlfilas  anch 
im  got  undenkbar  wären.  Zudem  trägt  die  ganze  nomen- 
clatnr  der  Wochentage  in  allen  europ.  sprachen  so  manche 
christliche  spuren,  dass  wir  auch  für  samstag  und  pfmztag 
den  einfluss  des  Christentums  nicht  verkennen  dürfen.  Nun 
sind  es  ja  allerdings  nicht  die  bedeutsamsten  tage  der  christ- 
lichen woche,  die  wir  für  die  früheste  christliche  schiebt  im 
deutschen  in  ansprach  nehmen.  Wenn  wir  aber  für  sonntag 
und  für  freitag  nachbildnngen  von  lat.  solis  dies  und  Veneria 
dies  schon  im  ahd.  besitzen,  so  müssen  diese  wochentagnamen 
ebensogut  wie  z.  b.  montog  und  dienstag  und  donnerstag 
schon  früher  bei  uns  volksüblich  gewerden  sein.  Schon  vor 
dem  siege  einer  frühen  Christianisierung  war  die  römische 
woche  bei  uns  eingebürgert  und  wenn  dann  got  missionare 
nur  für  donnerstag  und  samstag  ihre  griech.  lehnworte  mit 
erfolg  deutschen  stammen  aufdrängen,  so  ist  in  dem  einen  falle 
der  grund  des  erfolges  durchsichtig.  Sie  beanstandeten  den 
altheidnischen  götternamen  Donar  in  dem  donnerstag.  Warum 
sie  aber  den  namen  samstag  durchdrückten,  ist  um  deswillen 
weniger  durchsichtig,  weil  wir  nicht  wol  wissen  können,  welche 
ältere  benennung  sie  verdrängen  Avollten.  Zwar  hat  das  west- 
liche Niederdeutschland,  sowie  die  Niederlande  und  England 
an  der  römischen  benennung  Saturni  dies  festgehalten.  Ob 
diese  aber  auch  den  übrigen  german.  stammen  wie  /..  b.  den 
Thüringern  und  den  Bayern  zukam,  das  lasst  sich  mit  keinem 
noch  so  kleinen  anzeichen  erhärten.  Wir  wissen  also  auch 
nicht,  ob  ahd.  sambaa-tag  ein  älteres  synonymon  zur  Voraus- 
setzung hat.  das  den  got.  missionaren  anstössig  war. 
Die  tatsache,  dass  die  namen  des  donnerstags  und  • 
ds  als  mhd.  pfinstac  und  tarn  h.  orsprungs 

Bein  müssen  und  nicht  ans  dem  latein  erklärt  werden  können, 
führt  uns  zur  benrteilung  einer  seltenen  benennungsweise  für 
den  freitag.     ÖraffV360    belegt    ein   selten  ntac  al> 

glosse  für  parasci  oes  und  sein  frühester  beleg  Btammt  aas  den 
hrabanischen  glossen   (Ahd  gl  I  22!  1);-'  belege  <  Mid.gl. 


140  KLUGE 

1815, 37)  *)  führen  uns  alle  nacli  Bayern  und  der  früheste  an 
das  ende  des  8.  jh.'s.  Aber  die  2.  lautverschiebung  beweist  ein 
weit  höheres  alter  des  wortes  und  der  j^-anlaut  lässt  ohne 
weiteres  auf  ein  fremd  wort  schliessen  so  gut  wie  bei  pfinztag. 
Es  kann  kein  anderes  wort  als  grundwort  in  frage  kommen 
ausser  nur  gr.  jiaQadxevtf  'freitag',  denn  an  das  entsprechende 
lat.  parasceve  lässt  sich  nicht  wol  denken ;  ein  lat.  kirchenwort 
hätte  an  der  hd.  lautverschiebung  keinen  anteil.  Nun  wissen 
wir  aus  den  arbeiten  Gundermanns  und  Thumbs  (Zs.  fd.  wortf. 
1,183.  166.  67),  dass  in  der  griech.  spräche  jrciQaoxtv//  als  be- 
zeichnung  des  freitags  seit  dem  3.  jh.  oft  genug  bezeugt  ist, 
wie  denn  das  neugriech.  an  dem  alten  namen  festgehalten  hat. 
Dem  got,  bibel Übersetzer  war  das  griech.  wort  geläufig;  er 
verwendet  es  zweimal  in  seinem  got.  text,  als  paraskaiwc,  acc. 
parasJcaiivein.  Das  abayr.  wort  würde  nach  analogien,  von 
denen  wir  die  eine  schon  behandelt  haben  (pfinztag)  und  eine 
zweite  gleich  behandeln  werden  (crtag),  auf  einen  got,  urtypus 
zurückgeführt  werden  müssen:  parems-dags  oder  vielleicht 
besser:  pare,  acc.  parein.  Nun  kommen  im  bereich  der  fremd- 
worte  überall  volkstümliche  Verstümmelungen  und  Verkürzungen 
vor  (wie  fesch  für  engl,  fashionable,  sarg  aus  lat.  sarcophagus, 
pfropfen  aus  propago,  ahd.  disco  für  discipulus,  ags.  rceps  für 
responsorium),  dass  man  vielleicht  den  verdacht  wagen  darf, 
dem  Ulfilanischen  paraslcakve,  acc,  parasJcaüuein  hätte  ein 
vulgärgot,  pare,  acc  parein  entsprochen.  Trifft  diese  erklärung 
das  richtige,  so  haben  wir  eine  schöne  reihe  pfinstag — plierintag 
—  samstag  festgestellt. 

Hier  ist  nun  auch  der  ort,  die  bayrische  bezeichnung  des 
dienstags  zu  behandeln. 

Unter  unseren  Wochentagen  weist  der  dienstag  eine  kleine 
Synonymik  auf.  In  den  gebieten  von  Augsburg  herscht  das 
etwas  farblose  aftermontag,  das  insofern  ein  rätsei  aufgibt,  als 
man  gern  wissen  möchte,  warum  ein  so  kleines  gebiet  sich  der 
herschaft  eines  synonymons  der  n  achbar  gebiete  entzogen  hat. 
Man  möchte  glauben,  dass  hier  irgend  ein  heidnischer  anklang 
vermieden  werden  sollte.  Spiegelt  doch  schwäb.-aleman.  Zistag 
im   verein   mit   der  bezeichnung  der  Schwaben  als  Cyuuari 

x)  Glosse  zu  Matthäus  27, 62,  wo  auch  Ulfilas  paraälcahce  hat. 


GOTISCHE    LEHNWORTE    IM    AHO.  1  1  1 

(Much.  Himmelsgott  s.  4)  den  götternamen  Zio  wider!  und 
wenn  Augsburg  von  hause  aus  Ziweslmrg  hiess  und  dann  den 
namen  änderte,  so  darf  die  secundäre  Umwandlung  von  Ziwestag 
in  aftermontag  wol  in  Zusammenhang  gebracht  werden  mit 
der  umtaufung  des  stadtnamens,  und  da  liegt  der  verdacht 
doch  nicht  fern,  dass  der  Zusammenhang-  des  Wochentagnamens 
mit  dem  heidnischen  götternamen  aufgehoben  werden  sollte. 

Neben  das  schwäbisch -alemannische  eistag  stellt  sich  als 
weiteres  synonymon  das  schriftsprachliche  dienstag,  das  einst 
auch  nur  einem  engeren  geographischen  bereich  angehört  hat. 
Das  wort  hat  im  16.  und  17.  jh.  seine  Urheimat  im  deutschen 
nordwesten  verlassen  und  die  mittel-  und  oberdeutschen  land- 
schaften  erobert.  Erst  seit  fünfundzwanzig  jähren  ist  es  ety- 
mologisch aufgehellt  und  zwar  auf  grund  einer  einzigen  tat- 
sache,  die  nicht  einmal  auf  deutschem  boden  basiert.  Eine 
lat.  inschrift  auf  dem  boden  Englands,  noch  aus  der  Römerzeit 
stammend,  hat  der  schwankenden  beurteilung  des  Wortes  dienstag 
ein  ende  bereitet.  Die  lat.  inschrift  steht  auf  einem  altar,  den 
fries.  Söldner  im  röm.  beer  ihrem  gotte  Mars-Thingsus  geweiht 
haben.  Das  war  der  germ.  gott,  nach  welchem  der  dienstag, 
der  ursprünglich  ein  Dingstag  war,  seinen  namen  hatte.  Denn 
so  gut  wie  aleman.  zistag  eine  Wortübersetzung  für  lat.  Mortis 
dies  (=  frz.  mardi,  ital.  martedi,  marti)  ist,  so  wahrscheinlich 
ist  von  vornherein,  dass  auch  dienstag  eine  wortübersetzum: 
nach  demselben  original  ist.  Und  nun  bestätigt  jene  inschrift 
der  fries.  legionäre  den  gott  Thingsus,  dem  der  altar  ge- 
widmet ist,  als  einen  Mars.  Im  gründe  sind  also  die  be- 
zeichnungsweisen  dienstag  und  eistag  inhaltlich  im  wesent- 
lichen gleich. 

Denn  man  weiss  schon  lange,  dass  überhaupt  mehrere 
unserer  deutschen  namen  für  Wochentage  nichts  anderes  sind. 
als  eben  wortübersetzungen  nach  den  lat.  entsprechungen 
(Solis  dies,  Lunae  dies,  Joris  dies,  Veneria  dies).  Gegen  eine 
entsprechende  deutung  der  auf  bayr. -Österreich,  gebiel  her- 
Bchenden  bezeichnung  des  dienstags  als  ertag  haben  aber 
bisher  alle  experimente  versagt  (Much,  Bimmelsgotl  B.7).  Und 
doch  glaube  ich  beweisen  zu  können,  dass  dieses  ertag  auch 
den  gleichen  inhalt  hat  wie  das  Bchwäb.-alemaiL  eistag  und 
das   fries.  dienstag.    Ich   bringe   es  aber  nicht   in  zusammen" 


142  KLUGE 

hang  mit  lat.  Mortis  dies,  sondern  möchte  an  die  griecli.  ent- 
sprechung  "Aquoq  fjfttQa  anknüpfen. 

Aber  wie  gelangen  wir  von  der  griech.  benennung  "ÄQEcoq 
tjjitQa  zu  dem  bayr.-österr.  ertag?  Nach  unsern  ermittlungen 
über  die  urdeutsche  terminologie  unseres  Christentums  würden 
wir  auch  hier  got.  Vermittlung  annehmen,  und  dann  müssten 
wir  nunmehr  fragen ,  ob  wir  nach  massgabe  unserer  got.  sprach- 
quellen wol  zu  berechnen  im  stände  sind,  wie  die  Goten  sich 
dem  gr.  "Aqscdq  rjfiega  gegenüber  verhalten  haben  würden. 

Ich  nehme  nun  an,  dass  Ulfilas,  oder  wer  bei  den  Goten 
die  neue  wochenrechnung  einbürgerte,  ausgegangen  ist  von  dem 
nom.  "Aqtjq,  acc.  "ÄQrjv.  Nun  können  wir  an  der  spräche  des 
Ulfilas  sehr  wol  ermessen,  wie  diese  wortformen  damals  im 
got.  munde  lauten  mussten:  zunächst  Ares,  acc.  Aren]  aber 
daneben  müsste  auch  der  acc.  eine  secundärform  Arein  auf- 
weisen. Und  nach  manchen  Indizien  aus  ulfilanischen  texten 
ergäbe  sich  für  die  2.  hälfte  des  4.  jh.'s  für  den  griech.  götter- 
namen  im  got.  sicher  ein  flexionsschema  Ares,  gen.  Areins,  dat. 
Arein,  acc.  Arein,  und  daneben  würde  man  auch  Schreibungen 
erwarten  dürfen  gen.  Arins,  dat.  acc.  Arin.1)  So  hätte  der 
dienstog  bei  den  Goten  Areins-dags  oder  Arins-dags  gelautet. 
Mit  umsomehr  Zuversicht  dürfte  man  das  annehmen,  wenn  man 
wüsste,  dass  bei  den  Goten  der  sonntag  =  sunnins-dags  und 
der  montag  =  menins-dags  gelautet  hätte,  wie  das  wol  wahr- 
scheinlich ist.  Die  conformität  mit  den  beiden  ersten  wochen- 
tagsnamen  sichert  für  das  got.  ein  Areins-dags  als  bezeichnung 
des  dienstags. 

Es  wird  keinem  zweifei  mehr  unterliegen,  dass  diese  hypo- 
thetische form  donauaufwärts  zu  den  bayr.  stammen  dringen 
konnte,  so  gut  wie  ahd.  sanibaztag,  pfmzintag  und  pherintag, 
und  dann  hätte  man  etwa  für  das  9.  und  10.  jh.  ein  altbayr. 
erintag   normalerweise   zu   erwarten.     Wenn   sich   von   einer 


x)  Der  kürze  halber  stelle  ich  hier  vorläufig  die  indizien  für  meine 
beweisführung  zusammen,  will  aber  eingebender  ein  anderes  mal  darauf 
zurückkommen:  evayyeXiar^q  hat  den  gen.  ahvaggeh'stins;  dem  acc.  ÖQayjitjv 
entspricht  drakmein  und  dazu  gehört  ein  dat.  drahnin;  zu  gr.  inioxoXt\v 
got.  aipistaülein  dat.  und  acc;  zum  acc.  dnootohjv  gehört  der  gen.  apaii- 
staüleins  und  der  dat.  apatisiaidein;  vgl.  noch  den  acc.  paraskmwein  und 
paintehiste». 


OOTISCHK    LBHWWOBTE   IM   AHD.  143 

solchen  form  in  alten  sprachguellen  bis  durch  das  12.  jh.  hin- 
durch kein  einziges  zeugnis  beibringen  Lässt,  so  haben  wir 
vorhin  in  der  behandlung  ile*  wortes  pfinetag  darauf  hinweisen 
können,  dass  überhaupt  die  namen  der  Wochentage  in  unseren 
alten  quellen  nur  ganz  spärlich  vertreten  sind.  Wenn  bayr. 
pfinetag  vor  dem  12.  jh.  nicht  vorkam,  darf  man  auch  ertag 
nicht  früher  erwarten.  So  ist  auch  bekanntlich  das  bayr.  enk 
'euch'  erst  seit  dem  13.  jh.  bezeugt,  beansprucht  aber  ein  alter 
von  mehreren  Jahrtausenden,  insofern  es  in  das  abgestorbene 
System  des  idg.  duals  gehört. 

Erst  im  13.  jh.  tritt  erintag  in  quellen  des  österreich.-bayr. 
Sprachgebietes  in  die  erscheinung,  leider  aber  in  mehreren 
lautformen,  die  nicht  ganz  einwandfrei  sind.  Unsere  ahd. 
grundform  printag  musste  nach  den  lautgesetzen,  die  für  die 
Entstehung  des  mhd.  charakteristisch  sind,  für  das  11.  jh.  ein 
erentac  und  für  die  classische  zeit  um  1200  ein  erntac  ergeben; 
dies  aber  führte  mit  notwendigkeit  zu  einem  ertac,  das  im  13. 
und  14.  jh.  oft  belegt  ist.  Dass  diesem  umlauts-e  zukam,  be- 
stätigen nach  mitteilungen  von  Brenner,  Hintner  und  Nagl  die 
neueren  mundarten.  Wenn  daneben  dann  eine  secundäre  laut  - 
gestalt  erintac  auftritt,  so  macht  der  vocal  der  mittelsilbe  wol 
Schwierigkeiten,  aber  man  darf  daran  erinnern,  dass  äerpfin 
nach  Schmeller- Frommann  I  438  in  mhd.  zeit  auch  j>fni.:'nü<u- 
geschrieben  wird.  Man  wird  auf  die  lautform  erintac  nicht 
so  viel  gewicht  legen,  um  von  hier  aus  gegen  meine  bewci>- 
führung  bedenken  zu  erheben.  Schwieriger  ist  schon  die  im 
II  15.  jh.  bestehende  lautform  erichtag.  Dass  dessen  inneres 
eh  nnnrsprflnglich  sein  mnss,  lässt  sich  erhärten  mit  der  von 
Schmeller  1 245  angeführten  lantform  kemich  'kamin',  wofür 
reichliclie  bayr.  belege  beigebracht  werden:  B0  hat  das  bayr. 
auch  eine  lantform  kümich  für  mhd.  kümin  (Schmeller  I  1249). 
Danach  lassl  sich  nicht  bezweifeln,  dass  mhd.  erichtag  irgend 
eine  lautmechanische  Umgestaltung  für  erintag  Bein  mnss.  Wir 
dürfen  also  getrosl  für  die  ahd.  zeil  »'in  bayr.  erintag  als  be- 
seichnung  des  dienstags  voraussetzen,  dem  wir  vorhin  ein  got 
AreinS'dags  als  quelle  zugrunde  gelegt  haben. 

Diese  meine  beweisführung  begründet  zum  ersten  male 
einen  verdacht,  den  Bchon  der  alte  A.ventin  gehegt  hat.  Seiner 
gedenkt  schmeller  l  rj>.  aber  er  fühlt  sich  bei  dem  verdacht 


144  KLUGE 

nicht  recht  behaglich,  weil  er  gr.  "Agscoq  ^fiega  nicht  kannte. 
Und  doch  wird  ihm  I  438  der  gedanke  etwas  vertrauter,  als 
er  sich  mit  dem  worte  pfmzlag  auseinandergesetzt  hatte:  'den 
bayr.  eri-tay  getraue  ich  mir,  wenn  die  herstammung  vom 
gr.  "Aqscoq  (rj/iEQa)  durch  die  hier  supponierte  des  pftnztages 
und  durch  byzantinischen  einfluss  auf  das  Noricum  nach  Zer- 
störung des  ostgotischen  reiches  nicht  einigermassen  begründet 
wird,  nicht  zu  deuten.'  Und  so  bleibt  uns  nur  noch  Schindlers 
bedenken  zu  zerstreuen,  wenn  ihm  eine  griech.  bezeichnung 
"Aqscoq  fjutgu  unbekannt  geblieben  ist.  Wir  wissen  durch 
Thumbs  reichliche  nachweise  (Zs.  fd.  wortf.  1,  171),  dass  die 
dem  umsichtigen  Schindler  unbekannt  gebliebene  bezeichnung 
"AgtcoQ  rjfisQa  in  griech.  sprachquellen  des  3.  und  4.  nachchrist- 
lichen jh.'s  sehr  gut  bezeugt  ist.  Wenn  es  mir  oben  gelungen 
ist,  den  alten  verdacht  Aventins  und  Schindlers  durch  eine 
eingehende  beweisführung  sicherzustellen,  so  ist  das  bayr. 
ertag  wider  ein  wichtiges  glied  in  der  kette  der  beziehungen, 
die  donauabwärts  zu  den  Goten  und  von  diesen  in  die  weit 
der  griech.  spräche  führen. 

Freilich  sticht  bayr.  ertag  (eritag,  erchtag)  —  wenn  unsere 
deutung  richtig  ist  —  von  den  christlichen  benennungen  pfmz- 
tag, pferintag,  sambastag  darin  ab,  dass  gr.  "Agscog  ?)iJtga  und 
sein  got.  gegenstück  nichts  christliches  an  sich  tragen.  Man 
muss  sich  aber  hüten,  in  dem  vorausgesetzten  got.  Areins-dags 
irgend  einen  heidnischen  anklang  zu  suchen.  Denn  das  got. 
wort  ist  nur  ein  herübergenommenes  fremd  wort,  dem  die  Goten 
keinen  inhalt  mehr  beizulegen  brauchten.  Man  denke  nur  an 
die  herübernahme  von  lat.  Saturui  dies  bei  den  Angelsachsen 
und  im  nordwesten  unseres  Sprachgebiets:  ags.  Scetemes-dceg 
enthält  nichts  heidnisches,  mag  auch  im  hintergrunde  ein  lat. 
göttername  anklingen.  So  war  unser  hypothetisches  Areins- 
dags  nichts  anderes  als  eine  einfache  inhaltslose  bezeichnung 
für  den  dienstag,  wenn  auch  der  vermittler  des  gr.  Aqscoq 
fj[i£Qa  von  den  griech.  götternamen  wusste.  Man  darf  auch 
nicht  erwarten,  dass  die  Goten  im  Zeitalter  des  Ulfilas  ein 
einheitliches  princip  für  die  namengebung  der  Wochentage 
besessen  haben  müssten.  Weicht  doch  die  in  \mszvm.  pfinstag 
zutage  tretende  zählende  methode  des  gr.  jitfurrtj  gleich  ab 
von   der   mutmasslichen  benennung   des  freitag   als  pare  = 


i.ol  Im   HE     I.  Kl  I  N  W  OB  I  I      IM      \  HD.  145 

paraskaiwil  Ks  kann  sehr  wo]  zwei  schichten  von  benennungen 
der  Wochentage  im  got  gegeben  haben,  eine  ältere  mil  'Aqscoq 
r)(iioa  und  eine  jüngere  mit  jtdfunn,  xaQaöxevij,  ödfißarov 
wie  denn  auch  in  unseni  deutschen  wochentagnamen  zwei 
Bchichten  übereinander  gelagerl  Bind  eine  vorchristliche 
und  eine  christliche! 

Wenn  wir  so  im  bereich  der  woche  und  der  Wochentage 
so  manche  Bpuren  eines  östlichen  einflusses  bestimmen  können, 
erhebt  sich  uns  schliesslich  noch  die  frage,  ob  nicht  auch  die 
von  uns  bisher  übergangenen  sonntag  und  montag  got-griech. 
Ursprungs  sein  müssen?  Im  bereich  der  griech.  spräche  treten 
die  benennungen  fyioa'HXlov  und  r/fiiga  SsXijvrjg  (Zs.fd.wortf. 
1,171)  auf,  und  diese  können  den  deutschen  benennungen  ebenso 
gul  zugrunde  gelegt  werden,  wie  lat.  Solu  dies  und  Lima* 
dies.  Wir  müssen  uns  aber  hüten,  den  üstliclien  einfluss  im 
bereich  der  Zeitrechnung  zu  überschätzen;  wir  kommen  an  der 
annähme  eines  lat.  einflusses  im  westen  und  besonders  im  nord- 
westen  nicht  vorbei.  Denn  Saturni  dies  gilt  bei  den  Bächs.- 
fries.  stammen  und  einem  teil  der  Franken,  so  dass  hier  von 
Nordgallien  nach  dem  Niederrhein  hin  lat  einwirkungen  sicher 
sind.  Für  die  ursprünglich  fries.  benennung  des  dienstags 
nach  dem  Mars  Thingsus  spricht  der  geographische  ausgangs- 
punkt  im  nordwesten  wider  für  lat.  einfluss.  Bei  dem  minien 
freiiag  kann  man  nicht  bloss  an  die  Venus  |  \'<  neris  dies  .  Min- 
dern auch  an  die  Aphrodite  (fjuioa  'AyQodlrijq,  Zs.fd.wortf. 
1,171»  denken.  Wenn  es  aber  wahrscheinlich  wäre,  dass  die 
altbayr.  benennung  von  hause  aus  pherintag  gewesen  ist,  dann 
wäre  bei  dem  ahd.  fria-tag  doch  wol  eher  an  die  Venus  als  an 
die  Aphrodite  zu  denken. 

Wir  kommen  mithin  zu  dem  resultat:  im  bereich  am 
wochentagnamen  kreuzen  sich  westliche  einflüsse  vom  latein 
und  östliche  einflüsse  vom  griechischen  her.  Aber  aller  griech. 
einfluss  muss  durch  got  Vermittlung  hindurchgegangen  Bein. 
Auch  unser  woche  verträgt  hier  vielleicht  eine  deutung.  Das 
westgerm.  worl  deckt  rieh  mit  dem  einmal  bezeugten  got  wikö 
und  diese  Übereinstimmung  von  got  wikd  mit  ahd.  w&'hhc 
darf  der  erklärung.  heim  es  ist  keine  selbstverständliche 
Wortbildung,  die  überall  hätte  entstehen  können.  Wenn  nun 
die  tatsache   gesichert   ist,   dass   unser  pfinstag  und  samsiag 

ll'-ilragc    »nr  schichte  «lei    lltlllll IlMI  ipracho.    XXW  \[\ 


146  KLUGE 

aus  dem  got.  stammen,  so  darf  an  Übernahme  unseres  woche 
aus  got.  wiko  gedacht  werden,  wobei  freilich  immer  noch  die 
erklärung  des  letzteren  problematisch  bliebe. 

Ist  nun  aber  die  christliche  Zeitrechnung  im  bereich  der 
Wochentage  von  den  Goten  nach  Deutschland  gedrungen,  so 
dürfen  wir  nunmehr  auch  die  frage  erheben,  ob  nicht  etwa 
noch  ostem  und  pfingsten  von  der  lat.  kirche  unabhängig  und 
etwa  vom  got.  Christentum  abhängig  sind.  Denn  für  ostem 
lehrt  der  augenschein  die  Unabhängigkeit  von  der  lat.  fest- 
benennung  und  für  pfingsten  könnte  gr.  jrtvTt/xo6T>}  ebenso 
nahe  liegen  wie  lat.  pentecoste  (=  frz.  pentecöte).  Aber  ganz 
einfach  liegt  die  entscheidung  nicht. 

Denn  ostem  entfernt  sich  von  der  gemeinchristlichen  be- 
nennung  und  ersetzt  dieselbe  durch  einen  einheimischen  begriff. 
Man  weiss  schon  lange,  dass  deutsch  ostem  =  engl,  easter 
nach  der  gerin.  frühlingsgöttin  Ostara  benannt  ist,  die  Beda 
als  Eostre  für  die  Angelsachsen  ausdrücklich  überliefert.  Zu- 
nächst fällt  auf,  dass  England  die  benennung  des  festes  mit 
Deutschland  teilt.  Wenn  beide  Sprachgebiete  gemeinsam  an 
dem  entsprechenden  lat.  kirchenworte  (pascha)  festgehalten 
hätten,  so  wäre  das  gewiss  nicht  auffällig.  Aber  nicht  recht 
glaubhaft  ist,  dass  die  missionare,  die  nach  England  das 
Christentum  verpflanzt  haben,  unabhängig  von  den  missionaren, 
die  das  lat.  Christentum  zu  uns  brachten,  gleichmässig  einen 
rest  des  Heidentums  mit  Schonung  duldeten,  der  in  sich  gewiss 
etwas  anstössiges  enthielt.  Selbst  wenn  das  christliche  pascha 
bei  allen  deutschen  stammen  üblich  wäre,  wie  es  tatsächlich 
im  westl.  Niederdeutschland  lebendig  geblieben  ist,  käme  die 
möglichkeit  got.  Vermittlung  sehr  wol  in  betracht,  denn  auch 
Ulfilas  sagt  pasxa.  Immerhin  lässt  sich  der  verdacht  nicht 
abweisen,  dass  das  bis  nach  England  vorgeschobene  ostem  der 
ältesten  christlichen  schiebt  unseres  Wortschatzes  angehören 
kann.  Wir  vermuten  also  ein  got.  Auströns,  dessen  heidnischen 
urinhalt  möglicherweise  Ulfilas  so  gut  umgeprägt  haben  kann, 
wie  es  bei  got.  haiftno  wahrscheinlich  ist.  Also  die  toleranz, 
die  sich  in  einer  solchen  umprägung  immerhin  äussern  würde, 
wird  sich  nicht  wol  auf  verschiedenen  gebieten  unabhängig 
von  einander  vollzogen  haben. 

Wenn  nun  bei  der  bezeichnung  des  Osterfestes  keinerlei 


GOTISCHE    LBHHWORTE    IM    AHD.  117 

grammatische  Gesichtspunkte  für  die  annähme  einer  entlehnnng 
aus  dem  got,  beizubringen  sind,  sprichl  der  verschobene  anlanl 
von  nhd.  pfingsten  für  eine  frühe  einbürgerung  so  gul  wie  der- 
jenige vini  pfaffe  und  pfinstag.  Gegenüber  dem  frz.  penti 
zeigt  unser  pfingsten  entschieden  stärkere  züge  der  einbil 
rang,  und  wir  sind  verwundert,  diese  züge  auch  schon  in  der 
altsächs.  lautform  pinkoston  (10.  jh.)  widerzuerkennen.  Eine 
solche  lautform  setzt  entschieden  voraus,  dass  das  worl  schon 
durch  viele  generationen  dem  Wortschatz  angehörl  hat,  oder 
es  muss  sonst  irgendwie  eine  compliciertere  Vorgeschichte 
haben,  wie  denn  frz.  pentccote  mit  seiner  lat.  Voraussetzung 
für  unser  deutsch  wahrscheinlich  ausscheidet.  Gehen  wir  aber 
von  got.  paintSkusti  aus,  so  müssen  wir  die  Verkürzung  eines 
viersilbigen  grundwortes  zu  einer  dreisilbigen  lautform  nicht 
nur  für  möglich,  sondern  wol  geradezu  für  notwendig  erklären: 
das  e  der  zweiten  silbe  wäre  zu  i  verkürzt  und  dieses  dann 
ausgestossen ,  aber  paintkusU  hätte  einen  dativ  pluralis  pint- 
Jcustim,  pinhustim  ergeben.  Davon  tritt  uns  in  altsächs.  pin- 
koston eine  lautgerechte  entsprechung  entgegen  und  die  selt- 
same lautgestalt  fimfchusti,  in  der  wir  unserm  wort  auf  hd.  ge- 
biete zuerst  in  der  Bened.-regel  begegnen,  stimmt  im  2.  wort- 
gliede  völlig  damit  überein,  zeigt  aber  in  der  ersten  silbe  eine 
gelehrte  omdeutschung  oder  vielmehr  verschlimmbesserung,  an 
der  die  alem.  Volkssprache  sicher  keinen  anteil  hatte,  und 
warum  sollte  bei  pfingsten  und  bei  ostern  nicht  ebenso  gut 
entlehnnng  aus  dem  got.  zugestanden  werden  wie  bei  samstag 
und  pfinstag,  erintag  und  pferintag? 

80  glaube  ich  mit  einer  gewissen  zuversichtlichkeit,  dass 
auch  anser  ostern  und  pfingsten  vor  der  lat  missionieranj 
8.  and  9.  jh.'s  im  deutschen  Sprachschatz  ganz  lebendig 
sind.  Mit  weniger  zuversichtlichkeil  möchte  ich  Doch  ein  paar 
andere  deutsche  worte  in  den  bereich  der  got  entlehnungen 
hineinziehen,  ohne  aber  in  der  läge  zn  Bein,  meine  verdachte- 
gründe  ausreichend  zu  Btützen. 

Unser  deutsches  hölU  isl  als  christliches  woii  keines 
selbstverständlich  und  tatsächlich  haben  auch  charakteristische 
Synonyma  auf  onserm  sprachgebiel  nicht  gefehlt    Im  Beliand 
treuen  wir  fern  (aus  lat.  infemum)\  im  ahd.  wird  gern  einfach 

für  höü  im  bayr.  des  mittelalters  gilt  ein 


148  KLUGE 

woraus  die  Slaven  ihr  wort  für  hölle  entlehnt  haben.  Wir 
würden  uns  nicht  wundern,  wenn  England  und  Deutschland 
in  irgend  einem  andern  synonymon  übereinstimmten  als  gerade 
in  hölle.  Aber  nun  reicht  die  Übereinstimmung  gar  bis  zu  den 
Goten  hin;  denn  auch  Ulfllas  sagt  hat  ja,  Man  ist  lange  darin 
einig,  dass  hier  ein  heidnischer  begriff  eine  christliche  um- 
prägung erhalten  hat.  Aber  können  wir  glauben,  dass  der 
altheidnische  inhalt  des  wortes  den  christlichen  anschauungen 
so  nahe  stand,  dass  die  missionare  Englands  unabhängig  von 
den  missionaren  Deutschlands,  und  die  deutschen  missionare 
unabhängig  von  dem  apostel  der  Goten  die  gleiche  umprägung 
vorgenommen  haben  sollten,  die  sich  keineswegs  von  selbst 
versteht?  Wenn  ich  eine  continuität  von  England  über  Deutsch- 
land zu  den  Goten  herstellen  möchte,  so  ist  es  die  gleiche  con- 
tinuität, die  engl,  church  mit  dem  deutschen  Jnrche  und  weiterhin 
mit  einem  mutmasslichen  got.  kyrikö  verbindet.  Aber  während 
got.  kyrikö  nur  erschlossen  werden  muss,  liegt  got,  halja  bei 
Ulfllas  gut  bezeugt  vor. 

Fehlen  in  diesem  neuen  falle  die  kleinen  lautlichen  kri- 
terien,  wie  wir  sie  bei  den  got.  lehnworten  pfaffe  und  pfinztag 
und  teu fei  zur  Verfügung  hatten,  so  müssen  wir  uns  für  hölle 
mit  dem  verdacht  an  stelle  eines  beweises  begnügen. 

Mit  mehr  entschiedenheit  kann  ich  unser  wort  barmherzig 
in  unsere  älteste  christliche  terminologie  einreihen.  Die  er- 
reichbar frühste  wortform  der  deutschen  spräche  ahd.  arma- 
herzi  ist  aber  schnell  als  eine  Wortübersetzung  aus  lat,  misericors 
erkannt  und  römische  missionare  könnten  an  und  für  sich  die 
urheber  der  Wortübersetzung  sein.  Aber  diese  auffassung  com- 
pliziert  sich,  wenn  wir  sehen,  dass  Ulfllas  schon  ein  identisches 
armahairts  aufweist.  Wenn  ags.  earmheort  noch  dazu  stimmt, 
wäre  die  möglichkeit  eines  dreifachen  processes  der  wortüber- 
setzung  nahe  gelegt.  So  sehr  das  im  bereich  der  möglich- 
keiten  zu  liegen  scheint,  darf  jedoch  eine  Schwierigkeit  nicht 
unterschätzt  werden.  Während  nämlich  für  das  deutsche 
abendland  der  lat.  urbereich  (misericors)  nahe  genug  liegt,  muss 
das  ulfllanische  armahairts  stutzig  machen.  In  der  kirchlichen 
terminologie  unserer  got.  texte,  stechen  durchaus  griech.  grund- 
züge  hervor.  Aber  von  dem  gr.  elerfficov  aus  wäre  der  got. 
bibelübersetzer   niemals   auf   ein    armahairts   verfallen.     Von 


GOTISCHE    LEHNWORTE    IM    AHD.  1  !'.• 

dieser  Schwierigkeit  aus  fällt  nun  entschieden  neues  licht  auf 
die  Übereinstimmung  von  ahd.  armaherzi  got.  armaha 
so  dass  nunmehr  eine  continnitäl  zwischen  beiden  Worten  als 
möglich  erscheint.  Und  so  kann  auch  unser  barmherzig  im 
letzten  gründe  der  ältesten  christlichen  schichl  angehören,  für 
die  wir  got.  Vermittlung  in  ansprach  nehmen.  —  Was  von 
dem  adjeetivum  barmherzig  gilt,  lässt  sich  auch  an  dem  Zeit- 
wort erbarmen  erhärten.  Das  zugrunde  liegende  ahd.  barmen 
gehört  in  unsere  älteste  christliche  terminologie,  insofern  es 
eine  jüngere  lautform  für  ein  älteres,  nicht  mehr  nachweisbares 
ab-armen  (ags.  of-earmian)  ist.  Das  lässt  sich  nun  nicht  wo! 
trennen  von  dem  gleichbed.  got.  arman.  Eine  continnitäl 
zwischen  dem  deutschen  und  dem  got.  wort  ist  nicht  wol  zu 
bezweifeln,  und  die  Priorität  der  got.  Überlieferung  legt  widerum 
den  verdacht  nahe,  dass  unser  deutsches  wort  got,  herkunft 
ist.  Dabei  ist  es  uns  jetzt  zunächst  gleichgültig,  dass  got. 
arman  eine  nachbildung  von  lat.  misercre  ist. 

Ein  anderes  merkwürdiges  problem  steckt  in  dem  christ- 
lichen wort  demut.  Die  älteste  wortform  ahd.  thiomuoti  ist 
im  zweiten  wortteil  ohne  weiteres  klar:  das  wort  mut  (ahd. 
mhä.muot)  ist  darin  nicht  zu  verkennen.  Die  erste  silbe  von 
ahd.  thio-muoti  enthält  ein  etymologisch  völlig  durchsichtiges 
umt  für  'knecht',  das  aber  in  keiner  einzigen  ahd.  sprach- 
<puelle  mehr  als  selbständiges  wort  bezeugt  ist.  Dann  niuss 
aber  auch  das  feste  wortgefüge  thiomuoti  schon  lange  vor  dem 
8.  jh.  in  Deutschland  geheischt  haben,  wenn  christliche  mis- 
rionare  gar  kein  thio  für  'knecht'  mehr  vorgefunden  haben 
Ich  glaube  nicht.  dass  unser  Sprachgefühl  sich  tauscht,  wenn 
wir  die  begriffe  demut  und  demütig  zugleich  mit  den  deutschen 
Worten  t ii i-  lein  christlich  halten.  Wir  dürfen  als«»  ahd.  thio- 
muoti  mit  ahd.  armaherzi  getrost  verbinden  und  annehmen, 
dass  sie  beide  nicht  eist  durch  die  missionare  des  v.  jh.'- 
schatten  wurden.  Man  darf  nicht  einwenden,  dass  l'ltilas 
keine  spur  eines  piumödei  oder  friteamödei  aufweist;  denn 
wir  führen  die  hier  in  Frage  kommenden  Sprachmaterialien 
und  um.  entlehnungen  nicht  auf  l'ltilas  zurück,  sondern  nur 
auf  die  zum  Christentum  bekehrten  Goten,  und  deren  spräche 
braucht  sich  nicht  in  allen  Fällen  mit  (lern  wortgebrauche  des 
rifilas    gedeckt    zu  haben,    wie   wir  denn    für  die  rieten    nach 


150  KLUGE 

Ulfilas  auch  die  existenz  des  Wortes  heide  behaupten,  während 
wir  bei  Ulfilas,  der  immer  piudös  sagt,  doch  nur  erst  einen 
zaghaften  ansatz  zu  der  sprachlichen  neuerung  wahrnehmen. 
So  mögen  auch  nachulfilanische  Goten  von  der  christlichen 
tilgend  der  piwamödei  geredet  haben,  während  Ulfilas  noch 
ängstlich  nach  einer  nostrification  eines  christlichen  begriffes 
für  seine  spräche  suchte.  Im  got.  aber  war  das  grundwort 
des  ersten  bestandteils  von  ahd.  thio-muoti  gang  und  gäbe:  es 
ist  das  oft  bezeugte  Jmis  'knecht'.  Es  mochte  aber  auch 
noch  im  urdeutschen  lebendig  gewesen  sein,  als  got.  missionare 
ihr  Christentum  bei  uns  verkündigten.  Es  starb  aber  dann 
bei  uns  durch  das  7.  jh.  aus,  so  dass  die  missionare  des  8.  jh.'s 
das  simplex  nicht  mehr  vorfanden. 

Zu  den  Worten  der  christlichen  Sphäre  gehört  unser  heilig, 
von  dem  Ulfilas  noch  nichts  weiss.  Man  kann  kaum  bezweifeln, 
dass  unsere  heidnischen  voreitern  auf  allen  germ.  gebieten  den 
begriff  'heilig'  mit  dem  worte  wih  ausdrückten,  zu  dem  sich 
aus  der  lebenden  spräche  das  zeitwort  weihen  sowie  der  name 
des  weihnachtsfestes  stellen.  Es  war  ebenso  natürlich,  dass 
Ulfilas  zu  seinem  iveihs  griff,  wie  dass  ahd.  missionare  ein 
wih  gebrauchten:  die  umprägung  eines  heidnischen  Wortes  zu 
einem  christlichen  lag  überall  gleichmässig  nahe,  so  gut  wie 
bei  dem  worte  gott,  und  es  wäre  voreilig,  für  beide  worte 
eine  continuität  zwischen  deutsch  und  gotisch  herzustellen.  Die 
Schwierigkeit  besteht  vielmehr  in  der  existenz  des  Wortes 
heilig  und  in  dem  fehlen  dieses  Wortes  bei  Ulfilas.  Man  kann 
wol  kaum  bezweifeln,  dass  die  ahd.  missionare  des  8.  jh.'s  in 
dem  worte  heilig  bereits  den  christlichen  inhalt  vorfanden. 
Dann  würde  heilig  wol  auch  in  die  christliche  urschicht  unserer 
spräche  zu  rücken  sein,  und  die  frage  bliebe  bestehen,  wer 
denn  dem  worte  heilig  seinen  christlichen  inhalt  zuerst  ge- 
geben hätte.  Da  fällt  uns  die  folgende  tatsache  auf:  während 
Ulfilas  von  dem  worte  heilig  noch  nicht  eine  einzige  spur  auf- 
weist, gibt  es  eine  got.  runeninschrift,  in  der  es  vorkommt;  es 
ist  die  inschrift  Gutaniowi  hailag  auf  einem  goldring  von 
Pietroassa.  Die  deutung  der  inschrift  ist  schwierig;  aber  das 
wahrscheinlichste  ist  doch,  dass  sie  eine  widmung  des  ringes 
an  eine  Gotin  beweist,  der  der  ring  zu  eigen  geschenkt  wurde. 
Christlich-religiöser  inhalt  liegt  hier  sicher  in  dem  wort  hailag 


GOTISCHE   LBHNWOKTE   IM    Ain>.  IM 

nicht  vor;  -zu  eigen  gewidmet  oder  geweiht1  wird  das  wort 
hier  bedeutet  haben  und  dann  läge  eher  der  nachklang  eines 
heidnisch-religiösen  Wortes  als  der  vorklang  eines  christlichen 
begriffes  vor.  Der  fall  hätte  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit 
dem  oben  besprochenen  gothaipnö  (heidin).  Haben  wir  nun- 
mehr bewiesen,  dass  den  Goten  eine  entsprechnng  onseree 
heilig  nichl  fehlte,  so  dürfen  wir  wo!  auch  annehmen,  das 
schon  bei  den  Goten  nach  (Jlfilas  christlich  gewant  werden 
konnte.  Und  bo  lässt  sich  der  verdacht  nicht  abweisen,  dass 
unser  heilig,  wenn  es  wirklich  unserer  ältesten  christlichen 
wortschichl  angehört,  durch  got.  missionare  seinen  christlichen 
inhalt  bekommen  hat. 

III.  Aber  des  sicheren  ist  viel  mehr  als  des  ansicheren 
in  unserm  problem.  Was  uns  das  gefühl  der  Sicherheit  im 
einzelnen  falle  verleiht,  ist  die  tatsache,  dass  die  ganze  cultur- 
bewegung  sich  in  kleinen  gruppen  äussert,  die  in  sich  zu- 
sammenhält haben.  I  'ml  dann  sind  es  die  markantesten  begriffe 
i\v^  neuen  glaubens  und  keine  unbedeutenderen  Zufälligkeiten. 
Wenn  die  lautform  Krist  für  Christus  den  wichtigsten  \n 
des  neuen  glaubens  widerspiegelt,  so  schliessl  sich  naturgemäss 
das  zeitwort  taufen  and  das  hauptworl  heide  an;  und  es  kann 
hier  der  verdacht  nicht  unterdrückt  weiden,  dass  die  merk- 
würdig altertümliche  lautform  des  wertes  /wd<  chronoL 
auch  auf  die  urdeutsch-got  wortschichl  hindeuten  mag.  An 
die  bezeichnung  des  gotteshauses  als  kirch*  jchliessen  sich 
bischof  und  pfaffe\  und  wenn  die  worte  mit  y//'-anlaut  in 
unserem  deutsch  fremdlinge  Bind,  so  muss  auch  pfam  anter 
dem  verdacht  einer  frühen  christlichen  entlehnung  Btehen,  wie 
das  pf  der  2.  Lautverschiebung  andeutet    Wh  enzuden 

hohen  feiertagen  pfingsten  und  ostern,  und  wenn  sich  daran 
au-  einer  christlichen  nomenclatur  der  Wochentage  die  worte 
pfinsiag,  phei  amstag  fügen,  bo  Ist  wol  auch  der  verdacht 

begründet,  dass  »■■><■!,,  iv...t.  u  •'->  hierher  gehört  lud  zu  den 
Institutionen  des  neuen  glaubens,  Beinen  organen  und  seiner 
seitrechnung  fügen  Bich  auch  die  innern  anschauungen  der  lehre 
Neben  Krist  treten  enget  und  /<>//</  und  an  da-  letzte  reiht  -ich 
wider  halle  an.  unter  den  christlichen  tagenden  glänzen  >• 
und  barmhtrMigh 


152  KLUGE 

So  stellt  sich  von  sprachlichen  gesichtspunkten  das  älteste 
Christentum  der  Deutschen  dar,  wie  es  sicher  vor  dem  8.  jh. 
bei  uns  gelebt  und  gewirkt  hat.  Halten  wir  aber  sprachliche 
kriterien  in  dieser  richtung  für  beweisend,  so  kommt  ent- 
schieden das  5.  jh.  eher  in  frage  als  das  7.  jh.  Das  innere  ff 
von  pfaffe,  das  einfache  /'  im  auslaut  von  bischof  und  das  an- 
lautende pf  von  pfaffe,  pfingsten,  pfinztag,  pherintag  xm&pfarre 
erweisen  in  gemeinschaft  mit  dem  anlauts-^  von  teufel  den 
dnrchgang  dieser  christlichen  worte  durch  die  2.  lautverschie- 
bung,  die  auch  in  ahd.  sambaz-tag  das  charakteristische  z  für  t 
erzeugt  hat.  Zwar  lehrt  die  historische  grammatik,  dass  die 
hd.  lautverschiebung  ein  sehr  complicierter  process  war,  dessen 
Wirkungen  chronologisch  und  geographisch  sich  abstuften. 
Aber  doch  ist  so  viel  sicher,  dass  die  durchführung  der  dop- 
pelten Spiranten  ff,  zz,  Jih  im  6.  jh.  abgewickelt  war.  Begonnen 
hat  er  wol  schon  am  ende  des  5.  jh.'s. 

Der  name  des  hunnenkönigs  Attila  hat  die  hd.  lautverschie- 
bung mitgemacht  (mhd.  Etzel).  Als  er  453  starb,  war  sein 
name  mit  der  geschiente  germ.  volksstämme  bereits  eng  ver- 
wachsen, insbesondere  seit  der  Burgunder  -  katastrophe  437. 
Im  2. drittel  des  5. jh.'s  ist  der  eigtl.  got.  name  {attila  ' Väterchen') 
allen  Germanen  geläufig  gewesen  —  das  dürfen  wir  getrost 
annehmen.  Wir  würden  somit  als  frühesten  termin  der  2.  laut- 
verschiebung die  zeit  um  440 — 460  annehmen. 

Wir  haben  nun  ein  anderes  got.  lehnwort  in  Oberdeutsch- 
land,  das  gleich  beweiskräftig  in  die  wagschale  fällt:  das  ist 
nhd.  maut  =  ahd.  müta  'wasserzoll'.  Die  identität  mit  got, 
mota  'zoll'  liegt  auf  der  hand,  wenn  sie  auch  das  DWb.  ab- 
lehnt; aber  urverwantschaft  ist  ausgeschlossen;  es  kann  sich 
nur  um  eine  entlehnung  handeln.  Nun  wissen  wir,  dass  got.  6 
in  jüngerer  zeit  nach  ü  hinneigte  (in  derselben  weise  wie  e 
zu  i).  Die  annähme  von  entlehnung  habe  ich  für  maut  seit 
jahren  in  meinem  Et.  wb.  vertreten,  und  es  ergibt  sich  wol 
keine  andere  möglichkeit  für  die  entlehnung  aus  dem  got. 
als  das  Zeitalter  Theodorichs  des  grossen,  dessen  machtsphäre 
sich  nördlich  bis  in  die  Donaulande  erstreckte.  Später  könnte 
man  für  ein  got.  lehnwort  im  deutschen  wol  keine  erklärung 
auffinden. 

In  diesen  Zusammenhang  gehören  nun  die  oben  erörterten 


(iOTISCHK    LRHXWOIUK    IM    AFID.  L53 

Lehnwörter  der  frühesten  christliche!]  terminologie,  die  in  ahd. 
pfaffb,hirihhat  8cmbcustag,pfinetag  sicher  die  .:.  lautverschiebung 
zeigen.  Spuren  des  Christentums  findel  man  im  Donaugebiete 
bei  den  Germanen  schon  hinlänglich  im  5.  jli  Und  so  erklären 
wir  auch  die  tatsache,  dass  pfaffe  im  ndd.  and  kirche  im 
ganz  lautcorrecte  entsprechungen  haben. 

Die  künde  von  dem  got.  Christentum  and  vielleicht  auch 
die  ersten  glaubensboten  desselben  werden  schon  in  der  mitte 
des  5.  jh.'s  nach  Norddeutschland  vorgedrungen  sein  viel- 
leicht in  derselben  zeit,  als  der  aame  Attila  durch  das  west- 
german.  synkopierungsgesetz  im  orsächs.  zn  AÜo  (Engl.  stud. 
21,  117 |  verkürzt  wurde. 

I  »iesc  lehnwörtlichen  tatsachen  scheinen  daraut  hinzudeuten, 
dass  die  2. hälfte  des  5.  jh.'s  und  spätestens  die  zeit  etwa  am 
500  das  Zeitalter  der  •_!.  Lautverschiebung  war.  Man  muss  natür- 
lich skeptisch  sein  in  lautlichen  tragen,  wo  die  möglichkeit  von 
lautsubstitutionen  mit  in  anschlag  zu  bringen  ist  und  die  Ver- 
mutung naheliegt,  dass  nicht  alle  hd.  stamme  den  process  in 
der  gleichen  zeit  durchgemacht  haben.  Wenn  die  got.  lehn- 
worte  zunächst  donauaufwärts  gedrungen  sind  und  damit  nur 
für  das  bajuvarische  gebiet  beweisen,  lassen  sich  nun  auch 
vielleicht  vom  alemann,  her  beweiskräftige  indicien  beibringen. 
Auch  liier  treten  Lehnwörtliche  tatsachen  ans  entgegen,  aal 
die  wir  wert  zu  legen  haben.  Da  ist  in  erster  linie  zu  er- 
innern an  nhd.  gemse  ahd.  gamtw,  das  nach  Wuchs  deutung 
auf  ein  alpines  camoa  zurückgeht.  Der  anlaut  des  grnndwortes 
wird  gewährleistet  durch  frz.  chamois  und  ital.  tonm..,,.  Dat 
Her  und  seine  namen  konnten  die  Alemannen  erst  in  den  Alpen 
kennen  leinen.  Als  sie  durch  das  f..  jli.  die  Schweiz  besetzten, 
hatien  Bie  das  anlautende  ch  Bchon  gehabt,  da-  für  Bie  späterhin 
charakteristisch  werden  sollte.  In  derselben  richtung  be- 
weist da-  bei  Notker  widerholt  bezeugte  ahd.  garminön  (Graff 
[V  268)  als  lehnwort  aus  lat.  cartninare.  Widerum  dürfen  wir 
;iui  das  Eranzös.  hinweisen,  wo  charm  den  alten  anlaut  von 
lat.  earmen  festhält.  Das  lat.  verb  war  nachweisbar  aui  frz. 
boden  geläufig,  und  wir  dürfen  annehmen,  da->  es  im  Zeitalter 
<  lundobads  und  der  Lex  Burgundionum  nach  nordosten  vordrang.1 

M  Zur  geschieht«  ron  1*1  oarmmmt  raf  gell.  bodenrgL  die  folgenden 


154  KLUGE 

Wir  dürfen  auf  grund  dieser  wortzeugnisse  wol  den  schluss 
wagen,  dass  die  Alemannen  bei  ihrer  südwestdeutschen  aus- 
dehnung  durch  das  6.  jh.  ihr  anlautendes  ch  schon  besessen 
haben.  In  diesem  punkte  erblicken  wir  also  eine  gleichmässig- 
keit  der  beweisenden  indicien  für  Alemannen  und  Bajuvaren. 
Meine  annähme,  dass  die  2.  hälfte  des  5.  jh.'s  die  periode 
der  2.  laut  Verschiebung  ist,  steht  in  Widerspruch  zu  den  h  er- 
sehenden anschauungen.  Ich  finde  dieselben  noch  eben  jetzt 
vertreten  in  der  Altbayr.  grammatik  von  J.  Schatz  §  55.  Es 
verlohnt  sich,  seine  worte  hierher  zu  setzen: 

'Die  ganze  bewegung  der  hochdeutschen  lautverschiebung  geht  von 
südeu  nach  norden,  also  im  gegensatz  zu  Änderungen  im  vocalismus,  welche 
im  norden  des  deutschen  Sprachgebietes  am  stärksten  ausgeprägt  sind  und 
nach  süden  zu  immer  schwächer  werden.  Auch  das  langobardische  hat  die 
hochdeutsche  lautverschiebung  und  zwar  sicher  im  zusammenhange  mit  dem 
angrenzenden  alem.  und  bayr.' 

Die  Langobarden  haben  Oberitalien  im  letzten  drittel  des 
6.  jh.'s  besetzt,  und  da  ist  es  nicht  leicht,  an  eine  continuität 
der  lautverschiebung  von  süden  nach  norden  zu  denken.  Ich 
glaube  nicht  mehr  daran,  dass  die  2.  lautverschiebung  von  Ober- 
italien  nach  norden  immer  weiter  vorgedrungen  ist.  Wenn 
hier  eine  continuität  vorliegt,  muss  sie  älteren  datums  sein 
und  für  frühere  sitze  der  Langobarden  angenommen  werden. 

Nun  führt  allerdings  Schatz  in  seiner  grammatik  §  56 
einige  tatsachen  an,  die  auf  einen  weit  jüngeren  Zeitabschnitt 
für  den  Ursprung  der  2. lautverschiebung  hindeuten  könnten: 

"Die  sprachlichen  Veränderungen,  deren  ergebnis  die  hochdeutsche 
lautverschiebung  ist,  können  erst  eingesetzt  haben,  nachdem  die  Lango- 
barden, Bayern  und  Alemannen  sich  in  den  Alpen  und  südlich  davon  nieder- 
gelassen hatten,  d.  i.  zu  ende  des  6.  jh.'s,  weil  die  Langobarden  Oberitalien 
im  j.  568  besetzt  haben.    In  der  1.  hälfte  des  8-  jh.'s  war  die  lautverschiebung 


nachweise  bei  Geyer  in  Wölff lins  Archiv  (1893)  VIII  476 :  '  als  ausschliesslich 
frz.  verbum  wird  von  Dietz  II  c.  544  charmer  'bezaubern'  verzeichnet  (ital. 
rncantare,  span.  encantare).  Das  weist  auf  ein  speciell  dem  gallischen  latein 
angehöriges  wort  carminare  hin,  welches  sich  denn  auch  bei  dem  Gallier 
Sidonius  wirklich  findet  epist.  1,9  und  9,15  nebst  dem  davon  abgeleiteten 
carminabundus  8,11.  In  der  .bedeutung  'bezaubern'  'rncantare,  oder  wie 
Marcellus  sich  sonst  auszudrücken  pflegt,  praecantarc,  findet  es  sich  bei 
unserm  autor  viermal:  8,171  oculo  clauso  qui  carminatus  erit;  14,26  cum 
tu  ipsum  (=  klem)  feceris  et  carmina  veris;  15, 102  glandulas  mane  car- 
minabis)   28,74  si  iumenta  carminabis.    Spätere  beispiele  bei  Du  Cange.' 


GOTISCHE    LEHNWORTE    IM    AH1>.  L55 

in  Bayern  durchgeführt,  die  ältesten  Bprachquellen  zeigen  die  Denen 
Doch  kommen  in  den  Salzburger  guterverzeichnissen  desbisehofe  Arno,  die 
um  7!'<>  abgefasst  sind,  noch  formen  der  altern  Schreibung  vor,  die  auf  «lfm 
lautstand  vor  der  Verschiebung  beruht;  vgl.  ad  Lauppiom  Salzb.  \.  b. 51  = 
ad  Laufom  s.  16  'Laufen"  n.  Salzburg,  ad  Diupstadum  b.12  iuxta  Tiuf- 
rtaduns.271  'Tiefstadt',  Pontenas.  10  Phunziua s.  127  'Pfunzen',  Hult- 
husir  s.  lo  'Holzhausen',  Cuculloa  b.5.  18  'Küchel'  an  der  Salzach,  Malla- 
kinga >.U  'Malcliinif' am  hm.  I »eoilckin^as  s.  1 1  •  Tvrhuliing'  QW.  Salzburg 
zu  einem  norm.  Teorleih).  Teoderic,  Bildolf  B.9  I  Deotrlh,  Eiltolf),  Krla- 
stedi  s.  12  =  Erlasteti  s.  151  'Eristädt'. 

Wir  stehen  liier  vor  auffälligen  rätseln.  Wenn  derartige 
erratische  formen  auf  nördlicheren  gebieten,  nach  Mitteldeutsch- 
land zu,  begegnen  würden,  könnte  man  sich  leichter  damit 
abfinden.  So  weit  südlich  der  Donau  alter,  und  zwar  am  ende 
des  8.  jh.'s  (um  790)  fallen  jene  ausnahmen  der  Salzburger 
güterverzeichnisse  doppelt  schwer  auf.  Traditionelle  Schrei- 
bung, die  aus  einer  zeit  vor  der  2.  lautverschiebung  stammt. 
ist  im  allgemeinen  hier  ausgeschlossen,  wo  es  sich  um  kleine 
unbedeutende  orte  handelt.  Nach  unserer  annähme  müssten 
derartige  archaische  Schreibungen  gut  drei  Jahrhunderte  zu- 
rückgehen. Das  scheint  mir  umsomehr  unmöglich,  als  Schatz 
selber  angibt,  dass  die  lautverschiebung  in  der  l.  hälft e  des 
8.  jh.'s  in  Bayern  vollständig  durchgeführt  war.  Wer  hilft  uns 
aus  dieser  Schwierigkeit?  Das  tut  vielleicht  die  türm  Hulthüsir 
mit  ihrem  auffälligen  vocal  n  im  1.  gliede  der  Zusammensetzung. 
Dieses  hult  scheint  mir  eine  got.  laut  form  zu  sein,  wenn  auch 
das  worl  im  gotischen  nicht  liezeugt  ist.  Auf  das  fehlen  de* 
wortc-  im  gotischen  braucht  man  keinen  wert  zu  legen,  w  i 
auch  got.  kyrikö  nicht  Dachzuweisen  i-t.  So  fehlt  auch  das 
got.  substrat  für  pfxmtag  und  samstag,  und  doch  sind  es  gute 
got  worte.  Ich  glaube,  dass  sich  der  verdachl  nicht  abweisen 
lägst,  dass  gotische  spuren  in  den  von  Schatz  beigebrachten 
ausnahmen  stecken.  In  den  eben  besprochenen  Ortsnamen 
werden   wir  an   das  nur  einmal   bezeugte  got  guähüa  erinnert. 

und  wir  sehen  an  diesem  sporadischen  vorkommen  von  hüs, 
mit  weichen  Zufälligkeiten  wir  innerhalb  der  alten  Überliefe- 
rung rechnen  dürfen.  Neben  das  einmal  bezeugte  ur«'t.  hüs 
tritt  jetzt  ein  keinmal  bezeugtes  got  hult.  So  können  wir  in 
dem  Salzburger  Diupstodum  ein  got  tUnpstqPam  wider- 
erkennen.   Wenn  wir  in  den  zurückgebliebenen  tenues  ienei 


156  KLUGE 

eigennanien  eine  got,  sprachspur  wittern,  so  erinnern  wir  uns 
an  die  auffällige  tatsache,  dass  unsere  gotische  Überlieferung 
uns  einmal  sicher  nach  Salzburg  führt.  Ich  denke  an  das  got. 
runenalphabet  und  die  sonstigen  kleinen  notizen  der  Salzburg- 
Wiener  handschrift.  Das  rätsei  dieser  Überlieferung  gehört  in 
das  9.  jh.  hinein.  Darf  man  etwa  für  das  8.  jh.  noch  nach- 
kommen der  Goten  in  jenen  gegenden  suchen?  Dass  es  got. 
Stationen  im  Donaugebiet  gegeben  hat,  die  doch  wol  aus  dem 
Zeitalter  Theodorichs  des  grossen  stammen  müssten,  dafür  lässt 
sich  vielleicht  ein  sprachlicher  anhält  beibringen.  Wenn  unser 
maut  =  ahd.  müta  als  lehnwort  auf  got.  möta  zurückgeht, 
dann  kann  auch  der  Ortsname  Mautern,  der  in  den  Nibelungen 
als  Miitarn  (St.  Müller,  Topographie  von  Niederösterreich  6,  306 
unter  Mautern)  erscheint,  wol  auf  ein  got.  mötärjam  zurück- 
gehen und  somit  auf  eine  got.  zollstation  hindeuten.  Weniger 
zuversichtlich  möchte  in  dem  von  Schatz  beigebrachten  Lauppiom 
ein  got.  hlaupjan  zu  finden  sein;  ahd.  loupfo  'läufer'  könnte 
auf  eilboten  und  somit  vielleicht  auf  eine  poststation  hinweisen, 
wie  denn  im  Zeitalter  Alfreds  des  grossen  hleaperas  den  de- 
peschendienst  von  England  nach  Rom  besorgten. 

Immerhin  ist  das  runenalphabet  und  das  got.  notizen- 
material  der  Salzburger  handschrift  ein  ernsthaftes  rätsei.1) 
Wenn  es  hier  eine  art  von  auflösung  fände,  so  würde  die 
Chronologie  der  2.  lautverschiebung  in  eine  neue  beleuchtung 
rücken,  die  ihr  Schatz  noch  nicht  geben  konnte.  Die  aus- 
nahmen der  2.  lautverschiebung  bei  Schatz  kommen  also  für 
das  alter  der  grossen  bewegung  nicht  direct  in  frage. 

Wenn  wir  uns  mit  der  2.  lautverschiebung  im  lichte  der 
geschichte  bewegen,  dürfte  man  eigentlich  viel  mehr  positive 
indicien  aus  dem  eigennamenmaterial  historischer  quellen  er- 
warten.   Es  fehlen  solche  spuren  auch  nicht.    Da  ist  auf  den 


')  Wenn  Walahfrid  in  dem  oben  s.  126  citierten  tractat  (Zs.fda.  25,  99) 
von  der  existenz  gotischer  texte  positives  wissen  besitzt,  so  führt  uns  hier 
der  verdacht  widernm  nach  Salzburg.  Und  wir  dürfen  hier  noch  feststellen, 
dass  sein  ansatz  Jcyrica  als  grundform  für  ahd.  chirihha  mit  dem  auffälligen 
y  doch  wol  literarische  Voraussetzungen  haben  muss  (wie  sollte  er  sonst  zu 
unverschobenen  formen  hier  wie  auch  bei  papo  für  pfaff'o  kommen !).  Dann 
hätten  wir  hier  wirklich  ein  literarisches  zeugnis  für  das  von  uns  wider- 
holt vermutete  got.  Jcyrikö. 


Q0TI8CHE    LEHNWORTS    IM    A ! 1 1 > .  157 

geographen  von  Etavenna  zu  verweisen,  bei  welchem  insbeson- 
dere das  elsäss.  Zobern,  dessen  Ursprung  ans  lat  taverna  nicht 
zu  bezweifeln  ist,  in  der  charakteristischen  schreibang  Ziaverna 
vorkommt  l'a  heissl  Zürich  Ziurichi,  Würzburg  Ubtu 
ähnlich  Ascapha  für  Aschaffenburg,  Arnefa  is1  die  Erfl  und 
enthält  wol  das  bekannte  elemenl  apa  'wasser1  in  derselben 
weise  wie  Ascapha.  So  darf  man  auch  werl  Legen  auf  die 
Schreibungen  Anternacha,  Breeecha  'Breis ach';  hierher  auch 
Porta.  Die  Lautliche  ausdeutung  von  Gormetia  'Worms'  bleibt 
unsicher. 

Jedenfalls  ist  der  anonyme  geograph  von  Etavenna,  den 
schon  Wackernage]  in  Bachen  der  2.  lautverschiebung  zugezogen 
hat,  ein  sicheres  zeugnis  für  unsere  chronologische  frage.  Er 
Bcheint  auf  alleren  verloren  gegangenen  quellen  zu  beruhen. 
die  gewiss  noch  ins  6.  jh.  zurückreichen,  wie  er  selber  im 
7.  jh.  geschrieben  haben  boII.  So  ist  es  für  das  alter  seiner 
quellen  charakteristisch,  dass  er  für  England  keine  angel- 
sächsischen, sondern  durchaus  nur  keltische  ortsnamen  ver- 
zeichnet Aber  Leider  nutzen  uns  die  Zeugnisse,  die  der  . 
graph  von  Etavenna  liefert,  nicht  positiv  für  eine  chronologische 
üzierung,  wie  wir  Bie  Buchen  nur  dass  er  Bich  mit  jenen 
annahmen  verträgt,  die  für  das  8.  jh.  die  hd.  lautverschiebung 
als  vollendete  tatsache  für  Oberdeutschland  anerkennen. 

Ich  breche  hier  ab  und  habe  nur  zu  wünschen,  dass  die 
vorstehenden  Beiten  «las  problem  der  hd.  Lautverschiebung  in 
neuer  belenchtung  zeigen.  Was  bisher  unsere  hilfsmittel  über 
das  alter  der  hd.  Lautverschiebung  bieten,  bedarf  einer  gründ- 
lichen re vision,  zu  der  ich  nur  den  anstoss  in  haben 
möchte.  — 

Wir  gelangen  nunmehr  zu  der  wichtigen  frage:  wann  hat 
das  ur"t.  Christentum  bo  mächtig  auf  die  deutschen  Btämme 
einwirken  können,  dass  wir  eine  verhältnismässige  fülle  von 
christlichen  Lehnwortes  im  deutschen  behandeln  konnten,  die 
von  einer  lat.  missionierung  unabhängig  Bind?  Nachdem  ich 
;m  verschiedenen  Btellen  meines  Etwb.  und  auch  in  beiden 
auflagen  von  Pauls  Qrundr.  die  grosse  t.  einflusses 

weit   über  das  bescheidene  mass  hinaus  erhoben   habe. 
Etaumer  nur  vermutungsweise  und  nur  zaghaft  fragesd  vor- 


158  KLUGE 

bringen  konnte,  müssen  wir  nun  auch  das  chronologische 
problem  in  einem  andern  lichte  zeigen  als  Raumer. 

Dieser  erwägt  zunächst  (Zs.  fda.  6,  404)  die  möglichkeit 
rein  literarischer  beziehungen,  wie  sie  der  heilige  Columban 
zwischen  Bobbio  und  St.  Gallen  hergestellt  hatte,  um  diesen 
verdacht  jedoch  alsbald  abzulehnen.  Er  erwähnt  dann,  dass 
Columban  und  Gallus  am  Bodensee  schon  einen  christlichen 
priester  namens  Willimar  mit  missionsarbeit  beschäftigt  trafen, 
und  freut  sich,  in  diesem  zeugnis  eine  spur  von  Christentum 
zu  finden,  die  nicht  zu  weit  von  dem  Zeitalter  Theodorichs 
entfernt  ist.  Denn  in  Theodorichs  zeit  verlegte  Eaumer  den 
von  ihm  angenommenen  einfluss  des  got.  Christentums  auf  das 
deutsche  und .  möchte  die  Alemannen  als  denjenigen  stamm  be- 
zeichnen, unter  dem  das  got.  Christentum  zuerst  wurzel  schlug. 

Darin  habe  ich  Raumer  nicht  folgen  können.  Nach  meiner 
meinung  scheidet  das  Zeitalter  Theodorichs  des  grossen  hier 
völlig  aus;  denn  wir  haben  soeben  erst  festgestellt,  dass 
zwischen  450 — 500  die  fülle  der  christlichen  worte  deutschen 
stammen  schon  vertraut  war. 

Und  nicht  von  Alemannien  her  kann  sich  der  got.  einfluss 
ausgedehnt  haben.  Die  geographische  ausbreitung  der  oben 
von  uns  behandelten  worte  widerlegt  das  ganz  entschieden. 
Die  Alemannen  haben  an  unserer  christlichen  lehnschicht 
gewiss  einen  anteil  in  alter  zeit  gehabt.  Aber  auch  England 
hat  daran  anteil,  wenn  worte  wie  cliurcli,  easter,  heathen  und 
bishop  mit  den  deutschen  entsprechungen  sich  decken.  Nieder- 
deutschland hat  schon  eine  grössere  anzahl  von  Worten,  die 
zu  der  von  uns  behandelten  grossen  Schicht  gehören;  denn 
pfaffe  und  taufen  sind  auch  in  Niederdeutschland  heimisch. 
Ueber  Oberdeutschland  erstreckt  sich  noch  samstag.  Aber  nur 
in  der  bayr.-österreich.  ma.  treffen  wir  die  charakteristischen 
pfmztag  und  pherintag,  sowie  das  auffällige  erintag,  das  man 
in  andern  landschaften  gar  nicht  versteht. 

Im  gebiet  der  Donau  ist  die  Urheimat  des  deutschen 
Christentums,  und  seine  schlagworte  erstrecken  sich  vom 
deutschen  Sprachgebiet  aus  donauabwärts.  Im  osten  finden 
wir  die  lautentsprechung  für  samstag,  wenn  der  name  dieses 
Wochentages,  magyar.  szombat,  rumän.  sambäta,  aslav.  sabota, 
das    charakteristische    m   des   wortinnern   von   gr.   oäftßcaor 


OOTISCHK    LEHHWOBTE    IM    AHI>.  159 

aufweist,  l'nd  abermals  nach  Osten  Führt  uns  das  wort  pfinztag 
in  die  slav.  weit.  Nur  bedeutet  die  entsprechung  dort  nicht 
'donnerstag',  sondern  'freitag':  aslay.  ptfükü  (poln.  piantek, 
darnach  altprenss.  pentinx  und  noch  magyar.  penteh).  Aber 
der  Zwiespalt  der  bedeutung  ist  schnell  erklärt,  wenn  man  an 
die  bedeutnng  des  griech.  Substrate  denkt:  gr.  xiyjnr^  'der 
fünfte  tag'.  Offenbar  begannen  die  christlichen  Germanen  die 
woche  mit  dem  sonntag,  aber  die  Slaven  mit  dem  mon 
AYeniger  charakteristisch  ist  es,  dass  Germanen  und  Slaven 
das  wort  pfaffe  gemeinsam  ist  (aslay.  popü,  ebenso  russisch). 

Von  den  Goten  an  der  antern  Donau  ist  unser  Christentum 
stromaufwärts  gezogen  und  hat  aus  den  alten  sitzen  auf  dem 
Balkan  auch  die  grundfarben  des  Griechentums  übernommen, 
dessen  Stempel  Worte  wie  hirche  und  pfaffe,  samstag  und  pftnetag 
so  unzweifelhaft  tragen.  Freilich  wirkte  auf  Ulfilas  nicht  bloss 
ein  griech.  Christentum  ein.  Er  zeigt  auch  spuren  der  lat. 
kirchensprache,  wenn  er  für  'barmherzig1  armahairts  und  für 
'erbarmen1  armem  sagt,  die  beide  nur  der  lat.  und  nicht  der 
griech.  entsprechung  nachgebildet  sein  können.  Zum  Ver- 
ständnis dieses  lat.  einflusses  auf  das  got.  Christentum  ver- 
weise ich  auf  Harnack.  Mission  und  ausbreitung  iWs  Christen- 
tums 2, 202:  'im  f.  ,jh.  ist  doch  Mösien  die  provinz  gewesen, 
in  der  sich  ein  grosser  teil  des  geistigen  austausches  von  ost 
und  west  in  der  kirche  vollzogen  hat'  So  wäre  man  auch 
versucht,  in  der  got  doppelform  für  evangelium  den  Zwiespalt 
von  west  und  ost  widerzuerkennen.  Denn  ein  lat.  evangelium 
konnte  seine  endung  verlieren   und  durch  die  got.  auslauts- 

tze  zu  aiwaggöli  werden,  während  gr.  evayyiliov  notwendig 
zu  got  aiwaggeljö  werden  musste. 

An  der  unteren  Donau  treten  uns  die  Goten  schon  in  der 
'2.  haltte  des  3.  jh/s  vom  Latein  umgeben  entgegen.  Eines  der 
frühesten  Zeugnisse  für  die  got  Bprache  ist,  wie  zuerst  v.Doma- 
szewski  gesehen  hat,  ein  auf  lat.  Boldateninschriften  in  Serbien 
und  Bulgarien  auftretendes  got  bruHs,  das  nnserm  braut  ent- 
spricht Damals  stand  nach  einer  glücklichen  Vermutung 
Braunes  die  got  spräche  noch  auf  einer  altertümlicheren  laut- 
Btufe,  die  man  erst  im  beginne  des  i.jh.'s  verliesa  Wenn  die 
auslautsgesetze  des  got  erst  im  beginn  des  4.  jh.^  die  altüber- 
kommenen worte  vielfach   kürzen,  so   musste   auch  ein  lat 


1G0  KLUGE,    GOTISCHE    LEHNWORTE   IM   AHD. 

evanyelium,  das  im  3.  jh.  bei  den  Goten  der  römischen  beere 
eingang  fand,  zu  aiwaggeli  verkürzt  werden. 

Wenn  aber  neuerdings  W.  Schulze  (Sitzungsberichte  der 
kgl.  preuss.  akademie  1905,  2  s.  743)  got.  anvaggelista  für  eine 
lat.  entlehnung  angesehen  wissen  will,  so  kann  ich  ihm  darin 
nicht  folgen  und  hoffe  mein  bedenken  den  fachgenossen  an 
anderer  stelle  zu  unterbreiten. 

Es  sind  gewiss  nur  geringe  spuren  der  lat.  kirchensprache, 
die  wir  in  den  Übersetzungen  des  Ulfilas  antreffen.  Es  ist 
nicht  zu  bezweifeln,  dass  der  griech.  einfluss  auf  sein  gotisch 
überwog,  und  so  sind  es  denn  auch  überwiegend  spuren  von 
gräcität,  die  wir  in  unserer  ältesten  christlichen  terminologie 
widererkennen.  Diese  spuren  der  gräcität  in  unserer  mutter- 
sprache  haben  —  wie  wir  sahen  —  schon  den  Reich enauer 
theologen  Walahfrid  Strabo  um  840  beschäftigt,  als  er  sich 
um  die  worte  kirche  und  pfaffe  bemühte.  Er  warf  die  frage 
auf:  qua  occasione  ad  nos  vestigia  haec  graecitatis  advenerint? 
und  beantwortete  diese  frage  mit  einem  hinweis  auf  den  aufent- 
halt  der  Goten  in  Grecorum  provinciis. 

Was  Walahfrid  Strabo  bei  den  Worten  kirche  und  pfaffe 
geahnt  hat,  dafür  hat  Räumer  eine  kulturgeschichtliche  auf- 
fassung  angebahnt,  aber  er  fand  dafür  keine  allgemeine  Zu- 
stimmung. Denn  weder  Schades  Ad.  wb.,  noch  das  DWb.  hat 
an  allen  massgebenden  stellen  Raumers  anschauungen  ver- 
treten. Am  auffälligsten  ist,  dass  Weinhold  in  seinem  schrift- 
chen Die  gotische  spräche  im  dienste  des  Christentums  (1870) 
Raumers  'anfragen  und  Vermutungen'  mit  keinem  worte  er- 
wähnt. Wenn  mein  Et.  wb.  die  got.  spräche  im  dienste  des 
deutschen  Christentums  in  grösserem  umfange  zur  darstellung 
gebracht  hat,  als  Raumer  mit  seinen  'anfragen  und  Vermutungen' 
—  so  hat  mein  aufsatz  die  absieht  gehabt,  das  dort  zerstreute 
einmal  zusammenzufassen.  Aber  das  problem  des  gotischen 
und  deutschen  arianismus,  das  hier  im  hintergrunde  steht,  ist 
nicht  die  sache  des  Sprachforschers  —  hier  hat  der  historiker 
und  insbesondere  der  kirchenhistoriker  einzusetzen. 

FREIBURG  i.  B.  F.  KLUGE. 


ZUB  DEUTSCHEN   ETYMOLOGIE. 

Die  folgenden  Seiten  enthalten  grösstenteils  kritische  be- 
merkungen  zu  anfechtbaren  etymologien  anderer  forscher  und 
meine  ergebnisse  Bind  demgemäss  vorwiegend  negativ.  Nicht 
selten  aber  habe  ich  es  anch  versacht,  eine  verfehlte  etymoli 
durch  eine  bessere  zu  ersetzen.  Dabei  habe  ich  nach  Selbst- 
erkenntnis and  Selbstbeschränkung  gestrebt,  in  der  festen  Über- 
zeugung, dass  ohne  diese  eigenschaften  nichts  dauerndes  erziell 
werden  kann.  Meringer  macht  mir  freilich  zum  vorwarf,  meine 
eigene   pi  i   nicht    mil   meinen  strengen  grundsätzen  in 

einklang.  Darauf  kann  ich  nur  erwidern,  dass  meine  grund- 
Bätze  allmählich  Btrenger  geworden  Bind,  indem  ich  mich  immer 
mehr  von  der  uichtigkeil  der  meisten  etymologischen  ver- 
mutungen  überzeugte.  Gern  gesteheich,  dass  es  anter  meinen 
frühem   versuchen   auch   Bolche   gibt,   welche   ich    nichl    für 

er  halte  als  die  von  mir  bestrittenen.  Jedenfalls  haben 
viele  meiner  etymologien  bei  Bachkundigen  leuten  eine  gün 
aufnähme  gefunden  und  Meringer  boU  mit  Beinern  eigene] 
wissen  zu  rate  gehen,  ob  er  die  allgemeine  aussage,  dass  ich 
der  originalitäl  entbehre,  aufrechl  erhalten  kann.  Habe  ich 
denn  niemals  etwas  geleistet,  was  zugleich  neu  und  richtig 
wäre?     Hat   Meringer  denn  auch  all«  en,  was  ich  über 

indogermanische  und  andere  sprachen  geschrieben  habe?  ich 
halte  seine  etymi  •   methode  in  scharfen  Worten 

ohne  ihn  aber  beleidigen  zu  wollen.  Wo  er,  nach  meiner  an- 
sieht, das  richtige  trifft,  habe  ich  das  gern  anerkannt.    Nicht 

kritiker,  der  nach   innerer  üben  lt.   was  ihm 

elnsweii   erscheint,    macht   sich  der   beleidigung   schu 
wol   aber  der  kritisierte,  der  Bolchen  tadel  mit  angerechter 
heftigkeil    beantwortet     Auch   jetzt    werde   ich  itlich 

Ifei .  ...  glaube  mir 

-  -  ■ 


162  UHLENBECK 

dass  ich  das  nur  darum  tue,  weil  mir  die  Wissenschaft  lieb 
ist.  Jeder  handelt,  wie  ihn  sein  inneres  Schicksal  treibt: 
tenänugishtah  pravanäd  ivämbho  |  yathä  niyukto '  smi  tathü 
bhavämi  (Mbh.  2, 64,  8).  Das  gilt  auch  von  Meringer  und 
mir  selbst.  Annäherung  zwischen  uns  beiden  ist  übrigens 
nicht  ausgeschlossen,  denn  ich  will  mich  gern  über  die  ' Sachen' 
belehren  lassen  und  hege  anderseits  doch  immer  eine  gewisse 
hoffnung,  dass  auch  Meringer  von  mir  etwas  lernen  will. 

1.  Aal.  Nach  Hirt  (IF.  22,  65  ff.)  stünde  ahd.  äl,  ags.  cel, 
an.  all  'anguüla'  mit  -ein-  in  gr.  syxeZvc,  das  er  als  eine  ur- 
alte Zusammensetzung  auffasst,  in  einem  ablautsverhältnis. 
Mit  tyyiXvg  sucht  er  zunächst  lat.  anguüla  zu  vermitteln, 
indem  er  dieses  auf  *anguilü-,  *anguiluä-  zurückführt  und 
jenes  als  analogischen  ersatz  eines  älteren  *dyxsXvg  betrachtet 
(aus  *äyytZvog  hätte  lautgesetzlich  tyyJZvog  entstehen  können). 
Mit  der  Verschiedenheit  der  gutturale  (gu  :  y)  sucht  er  sich 
irgendwie  abzufinden.  Ich  halte  das  alles  für  unwahrscheinlich. 
Obwol  ich  mir  gewisse  Schwierigkeiten  nicht  verhehle,  bleibe 
ich  doch  dazu  geneigt,  in  lyytlvc  und  anguüla  Z-suffixe  zu 
vermuten,  und  was  das  germanische  wort  betrifft,  scheinen 
ganz  andere  combinationen  viel  näher  zu  liegen  als  die  mit 
dem  aus  lyytXvq  zu  kühn  herausgeschälten  *elu-.  Wir  sollen 
nämlich  nicht  vergessen,  dass  an.  all  ausser  'anguüla'  auch 
'schmale  Vertiefung'  bedeutet,  dass  ein  femininum  dl  für 
'riemen'  und  'zügel'  gebraucht  wird  und  dass  man  aus  den 
adjectiva  auf  -dlöttr  eine  allgemeine  bedeutung  'streifen'  ent- 
nehmen kann.  Zwar  hat  Liden  (Stud.  zur  aind.  und  vergl. 
sprachgesch.  s.  82  f.)  all  'schmale  Vertiefung'  von  all  'anguüla' 
trennen  wollen,  aber  ich  kann  das  nicht  gutheissen,  denn  die 
rinnenförmige  einsenkung,  der  riemen,  der  zügel,  der  streifen, 
der  aal  machen  einen  ähnlichen  gesichtseindruck  und  es  ist 
nichts  dagegen,  anzunehmen,  dass  ein  wort  für  'streifen'  oder 
'riemen'  auf  schmale  Vertiefungen  und  den  aal  übertragen 
wurde.  Bei  meiner  auffassung  der  Verhältnisse  ist  die  in  die 
zeit  der  germanischen  einheit  zurückreichende  bedeutung  'aal' 
jünger  als  die  nur  im  norden  daneben  erhalten  gebliebene 
bedeutung  'riemen'  oder  'streifen',  welche  ausserhalb  des 
germanischen  in  aind.  äVt-  'streifen,  linie'  eine  stütze  findet. 
Köhlers  Vermutung  (Die  altengi.  fischnamen  s.  17  f.),  dass  der 


BÜB    im  i  raCHBB    i  i  i  H01 

aal  n.K'li  Beiner  Bchleimigkeil  oder  nach  Beinen  aufenthall  in 
BÜmpfen  benannt  wart-.  Bcheiterl  an  den  bedeutungen  von  du, 
dl,  -dlöttr  and  dasselbe  gilt  von  der  in  jeder  hinsieht  ans 
liehen  dentnng  des  wortea  als  eine  -Zo-ableitung  von  • 
(E.  Schröder,  Za.  f da.  42, 63 1).  Schon  in  meiner  beaprechung 
der  Denbearbeitnng  des  Weigandachen  wörterbuchea  (Museum, 
juli  1908)  habe  ich  kurz  meine  meinung  aber  aal  angedeutet 

_'     \  bend.    Wie  da  erhältnis  der  formen 

mit  und  ohne  /  nach  dem  labial  auch  zu  beurteilen  sei  (vgl. 
Brugmann,  \V.  5,  376  ff.;  Wiedemann,  BB.  28,  ~~  Et;  Weyhe, 
Bei tr.  30,  60  f.;  Möller,  Semitisch  und  indogermanisch  1,2 
jedenfalls  werden  wir  es  mit  einem  einstmaligen  ablautenden 
consonantstamm  zu  tun  haben  und  von  einem  durch  den  accent- 
wechsel  im  paradigma  bedingten  lautwechsel  >  \  >  ausgehen 
müssen.  And.  dband,  as.  tiband  und  ags.  <6fen  enthalten  die 
vollstufe  zum  a  in  an.  apiann,  das  demnach  auf  >  zurück- 
gehen muss.  Das  worl  gehört  also  der  treibe  an  und  lässl 
sich  wein-  mir  ab,  got.  af}  aind.  dpa,  noch  mit  >l»i>.  ur"t.  xbna 
(ib-dalja),  aoeh  auch  mit  gr.  6ip£  vermitteln,  ins  demselben 
gründe  und  zugleich  aus  semantischen  erwagungen  sind  die 
vorschlage   Johanssons   (IF.  t,  145  f.)   und   te  Winkels  (Taal- 

biedenis  als  geschiedenia  van  den  geest,  Gent  1906,  &  20) 
abzulehnen. 

3.  Alp.  Ifikkola  (BB.  22,241)  hat  mhd.  atp,  ags.  a&f, 
an.  dlfr  ala  (atem  seele1  gedeutet  und  es  mit  lett  rfp< 
•atciii,  luftschöpfen'  verbunden,  was  zu  dem  ursprünglich 
Beelischen Charakter  der  elfen  gut  stimmen  wind.'.  Wir  hatten 
zwischen  dem  germanischen  und  dem  baltischen  worte  ein 
ablautsverhältnis  anzunehmen.  Dennoch  Bcheiterl  die  an  sich 
ansprechende  etymologie  an  dem  von  den  meisten  forschern 
angenommenen  Zusammenhang  von  aip  mit  aind.  fbku-,  daa 
eine  bezeichnung  kunstfertiger  elflscher  wesen  ist  Daa  rieh- 
aber  aip  ■.  ri'lm-  hat  wol  Wadstein,  Qppsalastudiei  b.  I 

lett.  tlpi    betrifft,  konnte   man   an  vei\vants<  halt   mit  luft, 

Utfhu  denken,  d  lp-tu-  entstanden  sein  kann.    An. 

lopt  in  der  bedeutung  'ober  ist  wol  \  luft' 

/u  t ivanen 

i    Ambosa     Unter  ambos*  wird  bei  Weigand1  die  - 
fon  ahd.  böfan,  i  an,  an.  I 


164  UHLENBECK 

verwante  ausserhalb  des  germanischen  ist  wol  lit.  baudziü, 
baüsti  'strafen,  züchtigen'  (Wood,  Mod.  lang,  notes  15,  237). 
Es  wundert  mich,  dass  diese  gleich ung  bei  Weigand5  keine 
aufnähme  gefunden  hat.  Haben  die  bearbeiter  baudziü  nicht 
von  der  wurzel  *bheudh-  trennen  wollen?  Oder  haben  sie 
anstoss  genommen  an  dem  umstand,  dass  baudziü  auch  von 
bestraf  ung  mit  blossen  worten  gebraucht  wird?  Dann  aber 
sollen  sie  bedenken,  dass  auch  lit.  bariü,  bdrti  'schelten'  nach 
ausweis  von  an.  berja  und  lat.  ferio  ursprünglich  'schlagen' 
bedeutet  hat  (vgl.  Walde,  Lat.  etym.  wb.  s.  217)  und  dass  baudziü 
eine  ähnliche  bedeutungsentwicklung  durchgemacht  haben  kann. 
Andere,  aber  sehr  zweifelhafte  combinationen  bietet  Gärtchen 
(Die  primären  praesentia  mit  o-vocalismus,  Breslau  1905,  s.  22), 
der  ebenfalls  bei  Weigand5  keine  berücksichtigung  gefunden  hat. 

5.  Ameise.  Die  verschiedenen  formen  weisen  teils  auf 
*ämaitjön-,  teils  auf  *aimaäjün-.  Ist  nun  *ämaitjön-  etwa  durch 
dissimilation  der  beiden  ai  aus  *aimaitjön-  entstanden  oder  ist 
letzteres  vielmehr  durch  angleichung  der  anfangssilbe  an  die 
zweite  silbe  zu  erklären?  Das  eine  ist  ebenso  gut  möglich 
wie  das  andere,  auch  können  bei  den  Umänderungen  des  schon 
früh  verdunkelten  wortes  volksetymologische  einflüsse  mit 
hineingespielt  haben.  Wenn  Binz  (Zs.  fdph.  38,  372)  sich  auf 
grund  von  ags.  cemette  (cemette?)  für  *aimait/jöii-  als  einzige 
urgermanische  grundform  entscheidet,  so  glaube  ich  nicht, 
dass  die  tatsachen  ihn  dazu  berechtigen.  Seine  mit  lobens- 
werter Zurückhaltung  vorgetragene  deutung  des  wortes  als 
'raschheitskornig'  —  ich  construiere  das  wort  nach  seinen  aus- 
führungen  —  oder  ähnliches  verdient  auch  sonst  keine  empfeh- 
lung.  Andere  erklärungsversuche  findet  man  bei  Kluge6  s.  12; 
Weigand5  s.  49;  van  Zandt  Cortelyou,  Die  altengl.  namen  der 
insecten  etc.  s.  44  f. 

6.  Art.  Nach  Meringer  (IF.  17, 123  f.)  ist  arl  'indoles' 
von  art  'aratio'  nicht  verschieden.  Gerade  so  urteilten  schon 
im  jähre  1866  die  Verfasser  des  niederländischen  Wörterbuches, 
deren  ausführliche  begründung  noch  heute  ihren  wert  behält 
(s.  Wdb.  d.  ned.  taal  1,  sp.  534  ff.).  Ueber  die  versuche  Meringers, 
noch  andere  Wörter  in  die  sippe  von  arjan  hineinzuziehen  (IF. 
17, 121  f.  128  f.  18, 246  ff.),  ist  Tijdschr.  v.  ned.  taal-  en  letterk. 
25, 251  ff.  zu  vergleichen.  Jedenfalls  verfehlt  ist  seine  erklärung 


zi'K   Dl  D  re<  ni:.\    BTTMOLOGH  165 

von  as.  "/".  agß.  .  ■■  an.  grr,  deren  bedeutungen  Bich  nach 
ihm  vi'ii  'ackernd1  zu  'dienstfertig,  bereit,  zu  brauchen,  schnell' 
d.  dgl.  entwickell  hätten,  während  wir  doch  aufgrund  von 
aind.  drvan(ty  u.s.w.  vielmehr  von  'schnell1  ausgehen  müssen. 
Gewiss,  wir  sollen  die  bedeutungen  in  den  verschiedenen 
sprachen  mit  einander  vergleichen  und  wo  möglich  zugleich 
mii  dem  grundsprachlichen  worte  auch  seine  bedeutung  oder 
bedeutungen  reconstruieren.  Wenn  nun  aber  ein  worl  im 
germanischen  und  im  arischen  'schnell1  bedeutel  und  dir  sonst 
belegten  bedeutungen  sich  aus  'schnell1  herleiten  lassen,  so 
haben  wir  nicht  den  geringsten  grund,  für  die  Ursprache  eine 
andere  bedeutung  anzusetzen.  Culturhistorische  einwände  sind 
in  diesem  lalle  ausgeschlossen,  denn  Wörter  für  'schnell1  sind 
wol  immer  vorhanden  gewesen,  so  lange  der  mensch  »du 
denkendes  und  redendes  geschöpf  i-t.  Weiter  als  die  indo- 
germanische urzeit  in  die  vergangenheil  vorzudringen,  könnten 
wir  nur  durch  vergleichung  mit  etwaigen  verwanten  sprachen, 
als  welche  zunächst  die  finnisch-ugrischen  in  betrachl  kommen 
dürften.  A.uch  Bollen  wir  nicht  vergessen,  dass  die  semantischen 
möglichkeiten,  obwol  durch  psychische  gesetze  beschränkt,  doch 
überaus  zahlreich  sind  und  dass  wir  bei  der  reconstruetion 
;  fichichtlicher  bedeutungen  der  hilfe  regelmässig  wider- 
kehrender entsprechungen  entbehren.  Darum  wird  die  prä- 
historische Semantik  niemals  den  strengen  Charakter  der  ver- 
gleichenden Lautlehre  erreichen  können.  Nur  wenn  bedeutung 
im  !  lautgestall  beide  stimmen  oder  wenn  wir  es  mit  verschie- 

d  sprösslingen  eine]'  Beiben  würze]  zu  tun  haben,  deren  bil- 
dung  oaefa  form  und  bedeutung  durchsichtig  i-t.  dürfen  wir 
eine  gleichun  inz  sicher  betrachten.    Nicht  d.i.--  ich  es 

unstatthafl  nenne,  etwas  zu  vermuten,  was  man  nicht  beweisen 
kann.  Nur  boII  man  ansicheres  nicht  für  sichei  ausgeben  und 
Überhaupi  '  wie  möglich  an  den  überlieferten  tatsachen 

festhalten. 

7.   Back-     Marstrander  (IF.  20, 351  t)  identiflei 
'rücken1  mit  aind.  bhaga-  'weibliche  schäm1     Ich  glaube 
aber  nicht,  dass  wii  bin  Cham1  von  bhaga-   in 

andern  bedeutungen  nennen  dürfen,  denn  die  Bpäl  auftrete 

minus1    woneben  vereinzelt  auch  'perinaeum1  an- 
eben wird)  beruht  offenbai  am  euphemistischer  anwendung 


166  UHLENBECK 

von  bhdga-  'reichtum,  glück,  herrlichkeit,  Schönheit,  lust'.  Auch 
bhaj-,  das  stammverbum  von  bhdga-,  wird  in  erotischem  sinne 
gebraucht.  Auch  sonst  gibt  es  für  baka-  keine  wahrscheinliche 
anknüpf ung  ausserhalb  des  germanischen.  Vgl.  Bugge,  Beitr. 
13, 185  ff.:  Persson,  Wurzelerweiterung  s.  190;  Stokes,  IF.2,169 
(wozu  Zupitza,  KZ.  36, 234). 

8.  Bald.  Meringer  (IF.  18,  285)  meint,  *bal])a-  könne 
ursprünglich  'klobig,  fest  wie  ein  balken,  eine  bohle'  bedeutet 
haben.  Bei  einer  solchen  grundbedeutung  müsste  das  wort 
wol  denominativ  sein,  was  jedoch  offenbar  nicht  der  fall  ist, 
denn  es  entbehrt  eines  secundären  Suffixes.  Oder  denkt  Meringer 
sich,  dass  *balpa-  erst  'balken,  bohle'  bedeutet  hätte  und  dann, 
im  prädicativen  gebrauch,  als  adjectiv  empfunden  wäre  ('er 
ist  ein  balken  =  'er  ist  fest  wie  ein  balken')?  Er  könnte 
sich  auf  die  bedeutungsentwicklimg  von  ags.  trum  'stark'  = 
aind.  ärumd-  'bäum'  berufen  (vgl.  Osthoff,  Etym.  parerga  1, 
109  ff.).  Nun  wissen  wir  aber  ganz  bestimmt,  dass  ärumd- 
ein  wort  für  'bäum'  ist,  aber  im  falle  von  *bal]m-  gibt  es 
keine  anhaltspunkte  für  eine  ähnliche  annähme.  Freilich  gibt 
es  anklingende  Wörter  mit  bedeutungen  wie  'bohle'  und  der- 
gleichen, aber  es  fehlen  auch  nicht  anklänge,  welche  in  ganz 
andere  begriffskreise  hineinführen,  und  in  der  geschiente  von 
*balfia-  ist  nichts,  was  auf  eine  grundbedeutung  'balken'  hin- 
weisen könnte.  Dagegen  liegt  es  nahe,  *balj)a-  mit  dem  schon 
von  Grimm  herangezogenen  lit.  bdltas  'weiss'  gleichzusetzen, 
denn  die  begriffe  'glänz'  und  'kraft'  finden  wir  auch  in  aind. 
tejas  zusammen  und  ags.  ca/' schnell,  kühn'  wird  mit  lit.  zatbas 
'blitz',  zibh  'glänze,  schimmere,  leuchte',  zibinh  'leuchte',  ziburys 
'licht,  fackel'  verwant  sein.  Und  was  den  namen  des  gottes 
Balder  betrifft,  der  nach  Meringer  eigentlich  einen  behauenen 
baumstamm  bedeutet  hätte,  möchte  ich  fragen,  ob  ihm  noch 
andere  fälle  bekannt  sind,  dass  der  eigenname  eines  bestimmten 
gottes  aus  einem  wort  für  shurägoä  oder  tremaetr  hervor- 
gegangen ist?  *Ansu-,  das  nach  Meringer  mit  got.  ans,  an. 
dss  'balken'  zusammenhängen  könnte,  ist  ja  ein  gattungsname, 
nicht  der  eigenname  eines  bestimmten  gottes  —  obwol  sich 
unter  umständen  solch  ein  gattungsname  zu  einem  eigennamen 
entwickeln  konnte,  wie  z.  b.  Tyr,  Zlo  =  aind.  devd-  —  und 
lässt  jedenfalls  auch  ganz  andere  erklärungen  zu  (vgl.  unten 


zu;    DE1  i  K  im/,    ii  \  MOLOOIE  167 

aber  gönnen).  Das  Verhältnis  von  an.  Baldr  and  &g&.beaidor 
'herr'  ist  gewiss  wo!  bo  aufzufassen,  dass  man  den  gotl  als 
den  'herrn1  par  excellence  bezeichnet)  le  wir  man  dem 

söhn  des  Njor&r  den  Damen  Freyr  (got.  frauja)  beilegte.  Nun 
meinl  Geringer,  bealdor  'herr'  bedeutete  arsprfinglicfa  eben- 
falls 'behauener  baumstamm',  and  um  dieses  glaubhaft  zu 
machen,  beruft  er  Bich  auf  ags.  eodor  'fürst'.  Aber  eodor  ist 
doch  eigentlich  "zäun'  und  der  eodor  Ingwina  (Scyldinga)  im 
Beowulf  findet,   wir  Meringer  Belbsl  zugibt,  eine  parallele  in 

i'n/.nc     '.t/<:n~i)\         IHl     halt»'     Imihlnr     für     eine     h)i))i)l<J,     drivii 

eigentliche  bedentnng  die  von  *bal})a-  gewesen  ist  oder  ihr 
wenigstens  sehr  nahe  gestanden  ha1  (vgL  Tijdschr.  v.  ned.  taal- 
en  letterk.  25,257). 

9.  Bank.  Germ.  im,t/,l-  wird  einerseits  mit  an.  baklci, 
engl.  /"////■  'ufer,  bodenerhebung,  uebelwand'  d.  dgL  verbanden 
(so  z.  l».  Eüuge-Lutz  >.  lli.  anderseits  zu  air.  bongaim,  aind. 
bhanäjmi  'breche'  gestellt  (Wood,  Mod.  lang,  notes  15,95). 
Das  eine  ist  mit  dem  andern  nichl  in  widersprach,  denn  dir 
ursprüngliche  bedentnng  von  banki-  und  *bankan-  kann  'ab- 
gebrochenes holzstück'  gewesen  Bein,  woraus  sich  dann  die 
specialisierang  'sitzbank'  und  weiter  bei  bankan-  durch  &ber- 
tragung  dir  andren  bedeutungen  entwickeil  hätten,  (»der  aber 
dir  bedeutungen  von  "bankan-  sind  unmittelbar  auf  'abbrechung1 
zurückzuführen.  Auch  niiit  es  aoch  andere  möglichkeiten,  zu- 
mal weil  dir  bedeutung8entwicklnng  viel  complicierter  gewi 
Beiu  kann,  als  man  oberflächlich  vermuten  würde.  In  der 
Bemantik  wir  äberhanpl  in  der  Wissenschaft  ist  das  ein- 
fache gewiss  nichl  das  kennzeichen  des  wahren.  Das  lehrt  ans 
dir  bedeutungsgeschichte  historischer  zeiten.  Nur  glaube  ich 
oicht,  dass  wir  complicierte  semantische  Vorgänge  reconsti  uieren 
können,  wenn  Bie  Bich  ganz  vor  der  Überlieferang  abgespiell 
halten.  Gerade  hier  Bteckt  dergegensatz  zwischen  meinen  und 
Iferingers  anschauungen,  nicht  wir  er  zu  glauben  Bcheinl 
—  in  irgendwelcher  abneigung  meinerseil  ben\ 

Wir  Bchöne  ergebnisse  man  durch  die  Verbindung  sachlicher 
und   sprachlicher  kenntnisse  erreichen   kann,  haben  a.b.   bei 
im-  in  Holland  die  Untersuchungen  Kluyvers  gezeigt 
bewegen  Bich  in  mittelalter  und  oeuzeit,  also  in  perioden,  \\" 


1G8  UHLENBECK 

man  den  bedeutungsveränderungen  schritt  für  schritt  nachzu- 
gehen vermag. 

10.  Bauen.  Meringer  (IF.  18, 263  ff.)  spricht  über  'die 
unterirdischen  häuser,  wo  der  eigentliche  Wohnraum  unter 
und  nur  das  dach  über  der  erde  ist'  und  meint,  eine  würze], 
die  eine  solche  wohnstätte  bezeichnete,  wäre  *bhöu-.  Dann 
zählt  er  eklektisch  einige  Wörter  auf,  die  gewiss  zusammen- 
gehören, aber  vielmehr  auf  einer  wurzel  *b}icuä-  beruhen. 
Meringer  soll  mir  doch  mal  sagen,  wie  sich  z.  b.  aind.  bhävitum 
aus  *bhöu-  herleiten  lässt.  Nach  der  aufzählung  behauptet  er 
ohne  irgendwelche  Skepsis  kundzugeben:  'das  genügt,  um  fol- 
gende entwicklung  zu  erkennen:  *bhöu  bedeutet  »das  leben  in 
einem  erdloch«.  Dann  bedeutet  es  »eine  grübe  zu  einer  hätte 
ausnehmen«.  Dann  »wohnen^.  Alsdann  aber  auch  »ackern«, 
»den  boden  aufreissen«,  um  samen  hineinzulegen.'  Und  weiter 
kommen  die  '  Sachen':  'von  solchen  im  boden  steckenden  häusern 
bieten  uns  die  ausgrabungen  ein  recht  gutes  bild'  u.s.w.  Ich 
meine,  das  genügt,  um  uns  ein  recht  gutes  bild  von  Meringers 
verfahren  zu  geben.  Statt  seine  Vermutung  mit  Zurückhaltung 
zu  äussern,  stellt  er  sie  als  etwas  sicheres  hin.  Statt  das 
material  vollständig  vorzuführen,  gibt  er  eine  willkürliche  aus- 
wahl  aus  der  von  ihm  behandelten  sippe.  Statt  die  meinungen 
anderer  forscher  —  ich  denke  hier  insbesondere  an  Osthoff, 
Suppletivwesen  s.  66  ff.  —  zu  berücksichtigen  und  zu  prüfen, 
tut  er,  als  ob  sie  nicht  da  wären.  Statt  die  'sachen'  mit  vor- 
sieht zu  benutzen,  bringt  er  sie  gleich  mit  'Wörtern'  in  Zu- 
sammenhang, bei  denen  nicht  der  geringste  grund  vorliegt,  an 
jene  'sachen'  zu  denken.  Behauptungen  ohne  gründliche  be- 
weisführung  können  die  gähnende  kluf t,  welche  die  prähistorische 
archäologie  von  der  prähistorischen  Sprachwissenschaft  trennt, 
nicht  überbrücken. 

11.  Beichte.  Dieses  wort  geht  bekanntlich  auf  ahd.  bi-jiht 
zurück,  dessen  zweites  glied  mit  kelt.  *jekti-  'spräche'  identisch 
ist  (Stokes,  Urkelt.  Sprachschatz  s.  223)  und  zu  ahd.  jehan  'aus- 
sagen' gehört.  Van  Blankenstein  (IF.  23,  131  ff.)  versucht  noch 
aussergermanische  anknüpf ung  an  die  folgenden  Wörter:  umbr. 
iuka,  hiku  'preces',  aind.  yäc-  'flehen,  fordern',  lat,  jocus  :  lit. 
jükas  'scherz'.  Er  nimmt  einen  besonders  engen  Zusammen- 
hang an  zwischen  umbr.  hika,  iuku  und  lat,  jocus,  was  aber 


ZUR   DEUTSCHEM    ETYMOLOGIE,  I    9 

•  ii  der  bedeutungsverwantschaft  von  ja  u  und  jtikcu  ab- 
gelelmt  werden  mnss.  Die  grundbedeutung  7011  jfika  .  das  bei 
Kurschat  mit  'das  Lachen,  gelacht  er,  scherz,  spott1  erklärt 
wird,  geht  klar  aus  dem  primären  verbum  jükiü'8,jüklis  'lachen* 
hervor,  Bodass  auch  bei  jocus  diebedentnng  'scherz1  ani 
"achter'  zurückzuführen  ist  Mit  rechl  hat  Walde  (Lat  etym. 
wb.  s.807)  sich  nicht  entschliessen  können,  das  ambrische  wort 
mit  jocus  gleichzusetzen.    I « - 1 1  glaube,  «las-  idj  'lachen1 

gar  nichts  mit  den  von  meinem  landsmann  herangezogenen 
Wörtern  zu  tun  hat.  Eaben  wir  also  nicht  den  geringsten 
grund,  jocus  \  jükas  mit  yoc-  und  jehan  zu  verbinden,  auch 
die  Letztgenannten  Wörter  werden  nicht  mit  einander  verwant 
sein,  denn  —  abgesehen  von  dem  bedeutungsunterschied  — 
yOc-  macht  bestimmt  den  eindruck,  eine  schwere  würze!  zu  sein. 
Darum  ist  auch  meine  an  yac-  anknüpf ende  etymologie  von  an. 
jöl  aufzugeben.  Nebenbei  Bei  bemerkt,  dass  van  Blankenstein, 
was  die  unstatthafte  Verbindung  van  jehan  mit  yac-  betrifft, 
in  Wood  (Mod.  philology  2,  173)  einen  Vorgänger  hat  und  dass 
inch  Sfttterlin  II'.  1.  lOOf.)  hätte  berücksichtigen  müssen, 
Bei  es  denn  auch  nur.  um  dessen  wenig  ansprechende  com- 
binationen  zu  verwerfen.  Ech  will  diesen  erörterungen  auch 
noch  etwas  positives  hinzufugen.  Denken  wir  daran, 
Wörter  für  'rühm1  Bich  nicht  Balten  an  verba  mit  bedeutungen 
wie  'tönen,  reden,  erwähnen*  anschliessen,  -  iahe, 

Bind,  ydcas  'rühm'  mit  jehan  zu  verbinden.  Auf  grund  von 
wäre  das  h  von  jehan  auf  die  palatale  tenuis 
zurückzufuhren.  Der  artikel  ydcas  in  meinem  Etym.  wb.  der 
.und.  Bprache  enthäH  kaum  etwas  richtiges  und  nur  Pogodins 
gleichung  ydcas  :  aksL  ji  [F.  Anz.  5, 260)  dürfte  noch 

erwägung  verdienen.    Bei  der  mehrdeutigkeil   des  alavis« 
Wortes  ziehe  ich  es  aber  vor,  ydcas  zu  jehan  zu  Btellen. 
12,   Dotter     Eb  acheinl  mir,  dass  Geldner  (Ved,  Btudien 
i.i  mit   recht   der  würz-:  die  grundbedeutung  der 

dickheil  und  steifheil  beigelegt  bat  und  1  1  ine  annähme 

r    (ZDMG.  52, 7  3,   fussnote  2)    nicht    hatte    widerrufen 
sollen.    \  <T  allem   ist   der  ausdruck   tan  'xm   beweis- 

kraftig.   Zu  dudh-  stellt   Bich  die   bei  Kluge1  und  Weigand5 
unter  1  dottei  bebandelte  germanische  sippe     Mit  ahd. 

totoro,  ;iv  dodro  als  dessen  ursprüngliche  bedeutung  'verdickung' 


170  UHLENBECK 

oder  ähnliches  zu  gelten  hat,  ist  zunächst  das  vedische  adjectiv 
äadhrd-  'steif,  stark'  zu  vergleichen.  Spuren  der  wurzel  *dheudh- 
in  andern  sprachen  sind  mir  nicht  bekannt. 

13.  Epheu.  Hoops  (IF.  14,484)  stellt  ahd.  ebah  mit  seinen 
verwanten  zu  lat.  ibex  'Steinbock',  indem  er  in  beiden  fällen 
von  einer  Grundbedeutung  'kletterer'  ausgeht.  Die  bedeutungs- 
entwicklung  würde  keine  Schwierigkeiten  machen,  aber  ich 
habe  mich  vergebens  nach  einer  wurzel  *eibh-  oder  Hebh- 
'  klettern'  umgesehen.  So  lange  eine  solche  wurzel  nicht 
nachgewiesen  ist,  entbehrt  Hoops'  geistreiche  Vermutung  eines 
festen  bodens.  Wol  gibt  es  gr.  otg>to  (ohpuo)  und  aind.  ydbliati, 
slav.  jebati,  aber  das  sind  Wörter  für  'futuere',  welche  bedeu- 
tung  sich  freilich  aus  'springen'  oder  ähnlichem  entwickelt 
haben  könnte.  Wenn  das  reflexivum  des  slavischen  Wortes 
auch  von  der  frau  gebraucht  wird  (Pedersen,  IF.  22,  361  f.), 
so  halte  ich  das  nicht  für  ursprünglich.  Hoops'  etymologie 
würde  etwa  voraussetzen,  dass  zur  zeit  der  indogermanischen 
Sprachgemeinschaft  neben  'futuere'  auch  noch  die  eigentliche 
bedeutung  'springen'  in  gebrauch  gewesen  wäre  und  dass  diese 
sich  weiter  zu  'steigen,  klettern'  entwickelt  hätte.  Ein  zu 
luftiges  hypothesengebäude.  Zudem  kann  ibex  auch  unmittelbar 
mit  *eibh-,  Hebh-  'futuere'  verbunden  werden,  wenn  wir  mü- 
den begriff  'Steinbock'  mit  Walde  (Lat,  etym.  wb.  s.  293)  als 
eine  Spezialisierung  von  'bespringer'  betrachten  wollen.  Auch 
aind.  iblia-  'elefant'  könnte  einen  ähnlichen  Ursprung  haben, 
aber  bei  diesem  worte  werden  wir  kaum  zu  irgendwelcher 
Sicherheit  gelangen  (vgl.  zuletzt  Tijdschr.  v.  ned.  taal-  en  letterk. 
25,  246  f.).  Es  sei  noch  bemerkt,  dass  gegenseitige  verwant- 
schaft  von  ol<pm  und  ydbhati,  jebati  nicht  für  unbedingt  sicher 
gelten  darf.  Zu  ydbhati,  jebati  gehört  vielleicht  gr.  C,t<fVQog 
(Beitr.  24.  243)  und  über  gr.  C  =  aind.  y  ist  das  letzte  wort 
noch  nicht  gesagt.  Mögen  wir  auch  dazu  geneigt  sein,  mit 
Sommer  anzunehmen,  dass  solche  C  alle  auf  idg.  i  zurückgehen, 
wir  können  doch  nicht  behaupten,  dass  die  bedingungen  dieses 
lautwandels  endgültig  festgestellt  sind.  Kehren  wir  nun  zu 
unserem  ausgangspunkte,  epheu,  zurück.  Ahd.  ebah  und  ags. 
ifeyn  (ifiy)  setzen  nicht  notwendig  eine  wurzel  mit  bh  voraus, 
sondern  ihr  labial  kann  ebenso  gut  aus  p  entstanden  sein. 
Gelangen  wir  auf  diesem  wege  zu  einer  wahrscheinlichen  an- 


zi'K  !>KrTscni:\   i  i  v\ioi.«x.ii  171 

knupfung  und  ist  der  Dame  des  Bteil-klettemden  epheus  etwa 
mit  gr.  ii  ir.  verwant? 

11.  Falke.  Wird  der  Falke  Beinen  Damen  Dicht  von  dem 
glänze  seiner  äugen  erhalten  haben?  Die  russischen  Volks- 
lieder legen  ihm  das  epitheton  jdsnyj  'hell'  bei  and  oeben 
idstiiii  sökol  'heller  falke'  ist  auch  von  sökol  jasnoökij  'hell- 
äugiger falke"  die  rede.  Formell  passt  falke,  ahd.  faicho  am 
besten  zu  aind.  phalgu-,  phdlguna-  'rötlich,  schimmernd',  lett 
spulffüt  'glänzen,  funkeln',  spulgans,  spilgans  'glänzend,  schil- 
lernd'. Slav.  sokolü,  lit.  säkalas  ist  vielleicht  eine  ähnliche 
dchnung,  denn  es  kann  mit  h  aus  idg.  ht  zu  sehen,  got. 
saiban  gehören,  als  dessen  grundbedeutung  'glänzen1  vermutet 
werden  dürfte  (vgl.  Beitr.  29, 336  f.).  Das  baltoslavische  wort 
kann  Bich  aber  auch  bei  sehen  in  der  historisch  beglaubigten 
bedeutung  'videre'  anschliessen.  Ob  lit.  säkalas  einheimisch 
oder  aus  dem  Blavischen  entlehnt  ist,  bleibt  gleichgültig.  Eine 
andere  Vermutung  über  sokolü  findet  man  Etym.  wb.  der  aind. 
spräche  b.  301  b.  v.  gakunäs.  Was  falke  betrifft,  sind  Kluge1 
-.li»:;  und  Wähle.  Lat  etym.  wb.  s.  204  zu  vergleichen. 

l.'i.  Gaffen.  Kluge1  b.  180  wirft  die  frage  auf.  ob  gaffen, 
nl.  gapen,  engl  gape,  an.  gapa  zu  aind.  jdbh-  'schnappen'  gfe- 
höre.  Diese  frage  muss  entschieden  verneint  werden,  denn 
j'ihh-  hat  a  aus  //'.  wie  die  Btärkere  tonn  jambh-  uns  lehrt. 
Zudem  ist  das  ,  auf  die  palatale  media  zurückzuführen,  denn 
jdmbha-  entspricht  genan  aksl.  nqbü,  trr.  fSutpog,  ahd.  ckamb. 
Nun  stehen  neben  idg.  ¥gtmbh-  auch  formen,  welche  des  nasals 
entbehren,  aber  wegen  des  abweichenden  anlauts  sind  auch 
diese  nicht  mit  gaffen  zu  vermitteln.  Man  vergleiche  mein 
Ktym.  wb.  der  aind.  Bprache  s.  97  und  zu  den  nasallosen  form«  n 
van  Blankenstein,  Tijdschr.  v.  ned.  taal-  en  letterk.  26,  i 
Lieber  gaffen  weiss  ich  nichts  positives  ra  sagen  (vgl  noch 
Zupitza,  I  •»•im.  gutt  b.  l  - 

16.  Gönnen.  Kluge*  s.  149  (Beitr.  9, 155;  Za.fi  wortt 
9,817)  will  mn  in  immmm  auf  n*  aus  tu  lurückftthren,  weil 
rieh  bo  das  s  tu  gunst1  als  wurzelhaft  aurfassen  li< 

Km  weetgermanischer  Lautwandel   kann   hier  nicht  vorliegen, 
denn  auch  das  nordische  hat  unma  und  an  DTgermanische 
Dilation   von   m   zu   nn  zu   denken, 
dativs  (»/;-i  'balken'   und  wegen  in.  ■■>    aus    mm    (Noreen, 


172  UHLENBECK 

Pauls  Grundr.  I2,  619)  ausgeschlossen.  Man  wird  sich  daran 
gewöhnen  müssen,  das  s  in  anstl-  und  auch  dasjenige  in  *ansu- 
'gott',  falls  dieses  wort  wirklich  als  'der  gnädige'  hierher  zu 
stellen  ist,  als  suffixal  zu  betrachten.  Für  Kluges  auffassung 
von  *ansu-  könnte  man  sich  auf  ausdrücke  wie  holt  regln,  nyt 
regln  berufen.  Man  kann  für  *ansu-  aber  auch  eine  bedeutungs- 
entwicklung  'atem'  >  'geist'  >  'gott'  vermuten  und  an  got. 
-anan,  aind.  dnlti  u.s.w.  anknüpfen.  So  wie  so  wäre  -su-  ein 
formans.  Will  man  aber  das  s  in  *ansu-  lieber  zur  wurzel 
ziehen,  so  kann  man  aind.  dsu-  'lebenshauch,  lebensgeist,  leben' 
vergleichen,  das  dann  ursprünglich  oxytonon  gewesen  sein 
müsste  und  a  aus  n  enthalten  würde.  Von  dsu-  kann  das  oft 
mit  *ansu-  verglichene  dsura-,  avest.  ahiira-  abgeleitet  sein. 
Indessen  ist  auch  Meringers  auffassung  von  *ansu-  (IF.  17, 159  f.) 
nicht  unmöglich. 

17.  Hager.  Das  nur  auf  deutschem  boden  und  spät  be- 
legte wort  ist  meines  Wissens  noch  nicht  befriedigend  erklärt 
worden.  Zupitza  (Germ.  gutt*.  s.  104)  hat  es  zu  aind.  Jcrgd- 
gestellt,  bei  welcher  annähme  hager  durch  dissimilation  oder 
einwirknng  von  mager  ein  r  verloren  haben  müsste.  Sicher 
verwant  mit  hrcd-  ist  an.  liorr  'starvation'  aus  *hurha-,  dem 
ein  aind.  *Jcrga-  entsprechen  würde  (Th.  V.  Jensen,  s.  IF.  Anz. 
13,  222).  Zwischen  hager  und  horr  wäre  demnach  gramma- 
tischer Wechsel  anzunehmen.  Diese  auffassung  ist  zwar  mög- 
lich, muss  aber  als  recht  unsicher  bezeichnet  werden.  Ich 
selbst  habe  (Beitr.  26,  298  f.)  an  verwantschaft  von  hager  mit 
slav.  cemati  'schwinden'  gedacht,  bin  aber  seitdem  zu  andern 
gedanken  gekommen  (vgl.  über  cemati  KZ.  39,  258  f.  40,  553  f.). 
Denken  wir  nun  an  slav.  chudü,  das  die  bedeutungen  'schlecht', 
'gering'  und  'mager'  in  sich  vereinigt,  so  werden  wir  gewiss 
nicht  anstehen,  hager  als  idg.  *kdkrö-  mit  gr.  xaxöc  'schlecht, 
feig'  und  avest.  Itasu-  'klein,  gering'  zu  verbinden.  Anders 
über  xaxog  z.  b.  Mansion,  Les  gutturales  grecques  s.  169. 

18.  Hirse.  Ueber  ahd.  hirsi  (hirso)  ist  noch  keine  ein- 
stimmigkeit  erreicht  worden,  wie  man  aus  Osthoff  (Etym. 
parerga  1,  27.  63  ff.)  und  Walde  (Lat.  etym.  wb.  s.  114  f.  122) 
ersehen  kann.  Mir  scheint  es,  dass  die  bedeutung  'hirse'  sich 
aus  'acker'  entwickelt  hat  und  dass  wir  an  aind.  Izarsh-  (krskdü) 
'pflügen'    anzuknüpfen    haben.     Ein    entgegengesetzter    ent- 


ZUB   i>F.c  m  BEB    n  \  HOLOOII 

wicklungsgang  Bcheint  bei  ri\.tana  'weizen' :  Lit  ttovä 'acker, 
Saatfeld'  stattgefunden  zu  haben  (vgL  aind.  dürva  'panicum 
dactylon').  Wo  und  wann  die  specialisierung  von  'acker'  zu 
'hirsenacker',  woraus  sich  dann  die  bedentnng  'hirse'  leichl 
ergeben  konnte,  möglich  war,  entzieht  sich  unserer  oder  jeden- 
falls meiner  erkenntnia  Gewiss  bat  man  das  alter  und  die 
les  hirsenbanes   oft    überschätzt  s,  Wald- 

b&nme  and  cnltnrpflanzen,  register  b.v.  hirse),  abei  d 
treide  hat   in  den  germanischen  landen  doch   wo!   - 
Verbreitung  gehabt,  dass  die  entwicklang  eines  hirsennamens 
aas  einem  worte  für  'acker1  an  sich  nichts  unwahrscheinliches 
hat.    Kher  könnte  man  einen  andern  einwand  gelten  1.— 
Neben  'pflügen'  bedeutet  die  wurzel  karsh-  auch  'ziehen'  (kdr- 
shati)  and  offenbar  bat  Bich  die  bedeutung  'pflügen'  <i >t  aas 
'ziehen'  entwickelt  (vgl.  ags.  sulh  'pflog'  and  li  I  'furche' 

zur  würze]  syelk-  'ziehen').  Jedenfalls  aber  muss  man  das 
alter  von  karsh-  'pflügen'  bis  in  die  indo- iranische  periode 
zurückverlegen,  denn  auch  av<   '  sehen  vom  gleich- 

lautenden, aber  uichl  verwanten  wort  für  'ausschütten',  'aus- 
säen' -  -  bedeutel  bowo]  'einfurchen'  und  'pflügen'  als  'zie 
(Bartholomae,  Altiran.  wb.  e.  456  ff.).  Und  es  gibt  keine  cultur- 
historische  gründe,  aus  welchen  man  eine  Bchon  ursprachliche 
itwicklung  -ziehen"  'pflügen'  für  unwahrschein- 
lich halt,  n  sollte  (vgL  Hirt.  I F.  5,395  ff.  and  Boops  a.a.O.  a.347). 
Aher  ist  die  gleichung  hirsi  :  karsh-  lautlich  wo!  angäi 
denn  zu  karsh-  (karshA-,  avest  kariü-,  karäa-)  stellt  man  seit 
langem   gr.  riXaov  'grenzfurche'?    Darauf  ist   zu  antworten, 

es  doch  viel  oäher  liegt,  in  mit  Prellwitz  (Etym 

wb.  iterbildong  von   tiXoq  •ende'  zu  suchen. 

das  nicht  zu  ka\  reu  kann  (Meringer,  II-'.  16,187  I 

der  identitäl  von  karsh  'pflügen'  und  karsh-  'ziehen'  keine  rech- 
oong),  bo  dass  nichts  im  wege  Bteht,  um  karsh-  auf  id( 
zurückzuführen.  nicht    erlaubt, 

'aussaat'   zu  avest  kari-   'ausschütteu,  aussäen',   pe  a. 

.'  zustellen,  denn  dieses  ist  eine  wo!  erst  arisch«-  weiter- 
bild  leichbedeutenden  wuj  rden 

eher  bei  aind.Aors4*,  avest  kari-  'pflügen'  belassen  müi 
Vielleicht  gehört   zu  derselben  warsei,  aher  dann  wo!  in  der 
ursprünglichen  bedeatung    /  •    ■        luch  an.  hert  her 


174  UHLENBECK 

districtsliäuptling '  aus  *körsiio-,  denn  herzog  und  lat.  dux  zu 
ziehen,  lat.  dücere  lehren  uns,  dass  man  den  häuptling  als  den 
'zieher'  ('führer')  bezeichnen  konnte.  Ein  ähnlicher  fall  ist 
aind.  gräma-ni-  (vgl.  Zimmer,  Altind.  leben  s.  171).  In  vocalismus 
und  suffix  würde  hersir  sich  zu  activischen  bildungen  wie  lat. 
socins  zu  scquor  oder  lit.  gaidys  zu  gedöti  gesellen.  Man  könnte 
sich  freilich  die  bedeutungsentwicklung  von  hersir  auch  so 
denken,  dass  man  es  als  denominativum  zu  einer  ableitung 
von  *Jcers-  in  der  speci eilen  bedeutung  'furchen  ziehen'  auf- 
fasste.  Bei  avest.  karsa-,  karsu-  hat  sich  aus  'grenzfurche'  die 
bedeutung  'bezirk,  gau'  entwickelt  und  auch  karsvar-  'erdteil' 
wird  eine  ähnliche  geschiente  gehabt  haben  (mit  den  pdnea 
krshldyah  des  Rigveda  hat  es  eine  ganz  andere  bewantnis). 
Demnach  könnte  hersir  von  einem  verlorenen  worte  für  'district' 
(etwa  idg.  *körso-  =  avest.  karsa-)  abgeleitet  sein.  Die  auf- 
fassung  von  hersir  als  'dux'  wird  aber  den  Vorzug  verdienen. 

19.  Hof.  Schon  vor  vielen  jähren  habe  ich  dieses  wort 
in  die  verwantschaft  von  aind.  küpa-  'grübe,  höhle,  brunnen' 
hineingezogen,  ohne  jedoch  in  semantischer  hinsieht  etwas 
treffendes  bieten  zu  können  (Beitr.  22, 195  f.).  Meringer  (IF. 
18,  267),  dem  mein  erklärungsversuch  entgangen  war,  stellt 
hof  jetzt  ebenfalls  zu  küpa-,  indem  er  die  verschiedenen  be- 
deutungen  von  hof  alle  auf  '(wohn) grübe'  zurückführt.  Es 
freut  mich,  mit  Meringer  zusammengehen  zu  können.  Ich 
glaube  jetzt  auch,  dass  diese  durch  culturhistorische  data  ge- 
stützte auffassung  meiner  früheren  Vermutung  entschieden 
vorzuziehen  ist.  Auch  hoben,  mhd.  kobe,  ags.  cofa,  an.  kofi 
wird  einmal  '(wohn) grübe'  bedeutet  haben  (Schrader,  Sprach - 
vergl.  und  urgesch.2  s.  493,  wozu  ferner  auch  Johansson,  IF. 
2,50  f.;  Zupitza,  Germ,  glitt,  s.  148;  Brugmann,  IF.  11,  111  f.; 
Janko,  Vestnik  Ceske  Akademie  17, 185  f.  zu  vergleichen  sind). 
Noch  andere  parallelen  findet  man  bei  Schrader,  Reallex.  s.  876  ff. 

20.  Hummel.  Mit  ahd.  humbal,  ags.  *humbol,  dessen  b 
sich  aus  den  casus  obliqui  zwischen  m  und  l  erklären  lässt, 
habe  ich  (Ark.  f.  nord.  fil.  15,  156)  slav.  *cimeli  'hummel'  und 
weiter  auch  aksl.  koman  ' Stechmücke'  verbunden,  was  ich  jetzt 
noch  für  richtig  halte  (vgl.  auch  van  Zandt  Cortelyou,  Die 
altengl.  namen  der  insecten  etc.  s.  37).  Ich  hätte  aber  damals 
noch  lit.  kamäne,  kämme  'erdbiene'  und  apr.  camus  'hummel', 


ZUR    DEUTHCHKN    BTTMOLOOIE,  11 

welche  Zubatj  (Arch.  I  Blav.  phil.  16,387)  als  mit      Xmel\  und 
kommt  verwanl  bezeichnet,  hinzufügen  sollen. 

21.  Leister.  DiaL  Ulster,  ahd.  listara,  ril.lijster  'drossel' 
kann,  wie  ahd.  lastar  (vgl.  ags.  leahtor),  vor  dem  s  ein  A  v»  r- 
loren  haben,  aber  gegen  die  von  Lehmann  (KZ.  LI,  392)  \<i- 
Bnchte  anknüpfung  an  die  würze]  *leuk-  'glänzen'  muss  wegen 
der  vocalverhältnisse  einsprach  erhoben  werden.  Warum  aber 
dürfen  wir  diesen  alten  drosselnamen  nicht  als  eine  ableitung 
von  der  in  got  laikan  u.s.w.  |  Etym.  wb.  der  got  spräche-  - 
enthaltenen  würze!  betrachten?  Dass  laikan  zur  »-reihe  ge- 
hört, ersehen  wir  deutlieh  aus  air.  heg  'kalb',  und  'hüpferin' 
ist  eine  wenigstens  ebenso  geeignete  benennung  Vax  die  drossel 
wie  das  allerdings  auf  den  amselhahn  passende  'glänzerin' 
(vgL  Lehmann  a.a.O.).  Setzt  man  aber  für  listara  eine  ältere 
bedeutungsschattierung  'amsel'  voraus  und  bevorzugt  man  auf 
grund  von  air.  Ion  "amsel'  :  loch  'schwarz'  :  *leuh-  'glänzen' 
Lehmanns  semantischen  ausgangspnnkt,  dann  kann  man  mit 
rncksicht  auf  die  lautverhältnisse  von  got.  haifsts  :  an.  heipt 
:  ahd.  heist(t)  in  listara  Schwund  eines  /'  annehmen  und  das 
-wort  mit  an.  leiptr  'glänz,  schein,  blitz',  leiptra  'glänzen, 
leuchten,  blitzen'  verbinden  (ablaul  t%  :  oj).  Diesen  weg  möchte 
ich  Ereilich  nicht  liehen,  denn  verwantschafl  von  listara  mit 
laikan  ist  mir  wegen  der  bedeutung  'drossel'  wahrscheinlicher. 
Schliesslich  bemerke  ich.  dass  lat.  merula  wol  nicht,  wie  Leh- 
mann vermutet,  zu  gr.  uaQfialoco,  sondern  mit  raus  s  zu  kelt 
■iuris, tlL-n-  (Stokes.  Lrkelt.  Sprachschatz  s.  :205)  und  dein  in  der 
bedeutung  abweichenden  meise,  ahd.  meisa,  ags.  mdse  gehören 
wird  (vgl.  Sommer,  Eandb.  der  lat.  laut-  und  formenlehre  b.  7v 
und  Wald.'.  Lat  etym.  wb.  8. 381).  Diese  auffassung  ist  auch  der 
gleichung  amsel  :  lat.  merula,  welche  Kluge8  s.  13  mit  rechl 
als  unsicher  bezeichnet,  vorzuziehen. 

22.  Müssen  Ueber  Meringers  hypothesen  (IF.  18,211  tri 
habe  ich  schon  das  meinige  gesagl  (Tijdschr.  \.  ned.  taal-  en 
letterk  25, 268  ff.).  Besonders  will  ich  noch  den  nachdruck 
darauf  legen,  dass  muss,  got  gamdi  formell  kaum  zu  messen, 
got  mitan  gehören  kann,  denn  ein  langer  vocal  im  perfectum 
passl  gar  zu  Bchlecht  in  die  '-reih.-.  Wir  könnten  freilich 
eine  entgleisung  vermuten,  wie  sie  bei  faran  :  flfr  (zur  würze! 

k   groban  :  gröf  (IUI  wiuzel    ' ghrtbk» 1    Stattgefunden    hat. 


176  UHLENBECK 

aber  für  die  annähme  eines  *matan  'messen',  dessen  a  sich  aus 
irgendeinem  tiefstufigen  vocale  erklären  Hesse  und  das  den 
anstoss  zu  einem  analogischen  *möt  'ich  habe  gemessen'  hätte 
geben  können,  gibt  es  nicht  die  geringsten  anhaltspunkte. 
In  fällen  wie  gröf  und  für  dagegen  lautet  das  praesens  graban, 
faran,  während  die  normalen  vollstufigen  formen  auf  germa- 
nischem boden  fehlen.  Die  einzige  primäre  praesensbildung 
der  wurzel  *med-  hat  germ.  e  und  demnach  wäre  ein  anderer 
perfectvocal  als  germ.  a  etwas  ganz  unbegreifliches.  Zu  messen, 
mitan  gehört  mass,  mat.  Wo  aber  muss,  möt  unterzubringen? 
Vielleicht  denkt  man,  im  anschluss  an  Delbrück  (Vergl.  syntax 
2,  331),  an  die  möglichkeit  eines  zunächst  von  messen,  mitan 
zu  trennenden  verbums  der  e-reihe,  das  aus  idg.  *me-  'messen' 
erweitert  oder  durch  mischung  von  *me-  und  *med-  (vgl.  gr. 
fiijöofiai)  entstanden  wäre,  aber  auch  dieses  scheint  mir  un- 
statthaft, weil  solche  verba  im  germanischen  den  reduplicie- 
renden  typus  zeigen  {letan  :  lailöt;  slepan  :  saizlcp). 

23.  Pflegen.  Meringer  (IF.  16, 184  ff.  17, 100  ff.)  hat  ver- 
sucht, alle  bedeutungen  von  pflegen  aus  'ackern'  herzuleiten, 
wodurch  sich  verwantschaft  mit  pflüg  ergeben  würde.  Weder 
principiell  noch  im  einzelnen  habe  ich  etwas  dagegen  einzu- 
wenden, denn  hier  liegen  die  tatsachen  ganz  anders  als  bei 
der  wurzel  *uen-,  wo  jeder  anhaltspunkt  für  eine  grundbedeu- 
tung  'ackern'  fehlt.  Die  grundbedeutung  von  *uen-  —  falls 
wir  es  wirklich  nur  mit  einer  wurzel  zu  tun  haben  —  ist 
nicht  zu  erraten  und  wenn  ich  eine  ganze  reihe  von  bedeu- 
tungen aufzähle,  so  will  ich  eben  nichts  anderes  ausdrücken, 
als  dass  ich  auf  eine  reconstruetion  der  Urbedeutung  verzichte. 
Was  Meringer  (KZ.  40,  232)  daran  'köstlich'  findet,  ist  mir  nicht 
recht  klar  geworden  (das  kommt  aber  gewiss  dadurch,  dass  ich 
nicht  einmal  ein  'halbwegs  williger  leser'  bin!).  Mit  unrecht 
zeiht  er  mich  auch  einer  art  'moralischer  entrüstung'.  Die 
auffassung  der  frau  als  'Saatfeld'  war  mir  schon  längst  aus 
dem  sanskrit  (kshe'tra-)  ganz  geläufig.  Aber  das  alles  ändert 
nichts  daran,  dass  ich  mein  urteil  über  die  von  Meringer  (IF. 
16, 179  ff.)  befolgte  methode  aufrecht  erhalte.  Was  mm  pflegen 
betrifft,  ist  er  aber  über  Franck  (KZ.  37, 132  ff.)  und  Siebs 
(KZ.  37, 301  f.)  in  semantischer  hinsieht  hinausgekommen. 
Anders  als  Meringer  halte  ich  Kluges  versuch  (Zs.  f d.  wortf. 


ZÜB    IUI   ist  im  \    i.i  |  KOLOOIE.  177 

8,  29  n.i.  westgerm,  pl  in  pflegen  auf  //  zurückzuführen  and 
das  wort  einem  got  (a)t-ligan  gleichzusetzen,  für  durchaus 
anstatthaft.  Am  ags.  mapuldor  :  ahd.  majfaltra  darf  er  rieh 
nicht  berufen,  denn  hier  weichen  die  westgermanischen  round- 
arten  anders  als  bei  pflegen  anter  einander  ab.  Und 
wo  sonst  wäre  //  zu  pl  geworden?  Mit  /'/-  aus  />l-  dürfen 
wir  den  von  Kluge  vorausgesetzten  Übergang  von  ti  zu  j>i 
darum  nicht  parallelisieren,  weil  es  gar  nichl  notwendig  ist. 
<l:ivs  das  /  eine  ähnliche  Wirkung  .tut  den  vorhergehenden 
dentalen  verschlusslauf  wir  auf  den  correspondierenden  reibe- 
laut  gehabl  hätte.  Auch  Btehl  dem  got  ligan  in  allen  andern 
dialecten  eine  j-bildung  gegenüber,  ein  umstand,  der  Kli 
auffassung  von  pflegen  jedenfalls  nicht  günstig  ist 

24.  Bock,  sicher  verwanl  mit  rock,  gevm.  *rukka-  ist 
]\\w  das  angefähr  gleichbedeutende  kelt *ruktu-  'tunica'  (Stokes, 
[Jrkelt  Sprachschatz  s.  235).  Dass  man  ferner  vermutungs- 
weise <•  esponnenes'  mi1  rocken  zu  einer  würze!  \terg- 
'drehen'  stellen  darf,  wie  Rfarstrander  (IF.  22, 332  ff.)  vor- 
schlägt, gebe  ich  gerne  zu  (in  *ruktu-  hätte  man  ein  verbal- 
abstractum  zu  derselben  würze!  zu  sehen i.  Es  gibl  jedoch 
noch  eine  andere  erklärungsmöglichkeit,  welche  neben  Ifar- 
Btranders  etymologie  ernsthaft  in  betracht  kommt  Dass  rock 
und  rocken  verwant  sein  können,  ist  nicht  zu  leugnen,  wo! 
aber  dass  sie  verwant  Bein  müssen,  and  somit  ist  .-n  erlaubt, 
eine  erklärung  von  rock  zu  versuchen,  wobei  trennung  von 
rocken  vorausgesetzt  wird.  8o  hatte  Marstrander  seihst  nicht 
lange  vorher  (IF.  20, 346  ff.),  indem  er  rocken  etymologisch  zu 
deuten  versuchte,  rocJI  beiseite  gelassen  [ch  meine  dann,  dass 
rock,  germ.  *rukka-  mit  aind.  rugnd-  'gebrochen'  gleichgesetzt 
werden  kann.  Dass  tue  altindische  würze!  r*j-  idg.r  ha;. 
aufgrund  der  von  Lewy  (Beitr.  32, 146)  verglichenen  Wörter 
recht  wahrscheinlich  and  der  artikel  rujdti  in  meinem  Etym. 
wb  der  aind.  spräche  ist  demgemfiss  umzugestalten  (neben  idg. 
ib  es  jedoch  ein.'  gleichbedeutende  würze!  mit  /  und 
palataler  media),    hie  bedeutung  ?on  *rukka-  hatte  sich  aus 

erissenes  Btück  zeug1  entwickelt  :  vgl  'M.  ahd. 

n/t,  an.  ripi  ("/'/'.   ripti  "stink  zeug'  zu   an    rifa  •  • 
i-.  Lilly  Stroebe,   Die  altengL  kleidernamen  §.54)  und  akal. 
•  Im pi>»n '.   czech.  '";'  'kleid',  M  'weiberherad', 


178  UHLENBECK 

pol  11.  rqbek  'schleierzeug-',  nsorb.  rub  'gewand',  klruss.  rub 
'grobes  kleid',  russ.  rübisce  'grobe  kleidung,  lumpen',  rubächa 
'liemd'  zu  slav.  *rqbiti,  *rqbati  'hauen'  (Miklosich,  Etym.  wb. 
s.  281).  Wer  nun  die  entstehung  der  geminierten  verschluss- 
laute  durch  assimilation  eines  vortonigen  n  an  einen  vorher- 
gehenden verschlusslaut  unwahrscheinlich  findet  (vgl.  R.  Traut- 
mann,  Germ,  lautgesetze  s.  62  ff.),  der  muss  zwar  die  gleich- 
setzung von  *rukka-  mit  rugnä-,  nicht  aber  die  anknüpfung 
von  *ruhha-  an  aind.  ruj-  aufgeben.  Kelt.  *ruktu-,  das  keines- 
falls von  *rukka-  getrennt  werden  darf,  passt  ebenso  gut  zu 
aind.  ruj-  wie  zu  lat.  vergo,  denn  ruj-  hat  nach  ausweis  seiner 
bei  Lewy  (a,  a.  o.)  verzeichneten  verwanten  eine  idg.  rein-velare 
(nicht  labiovelare)  media.  Dennoch  ist  Marstranders  erklärung 
von  rock  nicht  weniger  wahrscheinlich  als  die  hier  vorgetragene 
und  vielleicht  sind  noch  andere  gleichberechtigte  erklärungen 
denkbar.  Die  meisten  Wörter  sind  ja  vieldeutig  und  selten 
wird  der  vorurteilsfreie  eine  eigene  oder  fremde  etymologie 
als  sicher  betrachten. 

25.  Spiess.  Ahd.  spiog,  an.  spjöt,  germ.  *speota-  ist  gleich- 
bedeutend mit  nl.  spriet,  ags.  sprcot,  germ.  *spreota-  'schaff, 
stange,  spiess',  das  wie  an.  sprotl  'rufe'  ursprünglich  ein  wort 
für  'spross'  gewesen  ist  und  zu  spriessen  gehört.  Ist  *speota- 
etwa  in  der  Zusammensetzung  mit  Wörtern,  welche  ein  r  ent- 
hielten (vgl.  ags.  eoforspreot)  durch  dissimilation  aus  *spreota- 
entstanden?  Oder  ist  es  etymologisch  von  *spreota-  verschieden? 
Dann  dürfen  wir  vielleicht  an  lit.  spdudMu,  spdusti  'drücken' 
anknüpfen,  indem  wir  *speota-  als  'hervordringender  spross' 
auffassen.  Franck  (Etym.  wb.  935.  948  f.),  der  die  sippe  von 
nl.  spulten  zur  erklärung  heranzieht,  denkt  bei  *speota-  eben- 
falls an  eine  grundbedeutung  'spross'.  Ein  ähnliches  seman- 
tisches Verhältnis  wie  bei  *speota-  :  lit.  spdiidfiu  liegt  vor  bei 
*spreota-  (*spreotanan)  :  lit.  sprducUm  'dränge  etwas  hinein, 
klemme',  sprüstu  'dringe  heraus,  fahre  heraus,  entschlüpfe' 
(Brugmann,  IF.  1,  177).  Auch  Wood  (Indo-Europ.  qx  :  axi  :  axu) 
s.  127)  hat  *speota-  zu  lit.  spdudziu  gestellt,  aber  er  scheint 
sich  die  bedeutungsentwicklimg  ganz  anders  zu  denken. 

26.  Taumeln.  Nach  Kluge0  s.  391  weisen  taumeln,  tum- 
meln, mhd.  turnen,  tumeln,  ahd.  tümün,  tümalön  auf  germ.  *du-, 
vorgerm.  *J/w-,  und  wenn  die  sippe  wirklich  dem  hochdeutschen 


ZUB    M'i  i.si  ihn    i  i  \  MOLOOIB. 

angehört,  werden  wir  Beine  annähme  als  richtig  anerkennen 
müssen.  Wie  erklärt  er  aber  das  i  \mi  mnl.  nnd.  tarnen,  mnl. 
tümelen,  nnl.  tuimelen,  das  auch  in  franz.  tamber  and  Beinen 
verwanten  (die  spät  auftretenden  an.  lum&a,  ags.  tumbian,  engL 
tioithtr  sind  wol  zunächst  romanischen  Ursprungs)  widerkehrt? 
Schon  Franck  (Etym.wb.sp.  L038)  meint,  das  dem  hoch-  und 
niederdeutschen  gemeinsame  /  Bpräche  für  entlehnung.  Obwol 
die  tatsachen  kein  sicheres  urteil  gestatten,  dürfte  es  bei  der 
weiten  Verbreitung  der  mit  t  anlautenden  formen  doch  näher 

11,  ahd.  iitmön,  tümalön  aus  dem  niederdeutschen  herzu- 
leiten als  das  umgekehrte.  Der  von  Kluge  vermutete  Zusammen- 
hang mit  sind,  dhünöti  ist  deshalb,  wenn  auch  oichl  unbedingt 
abzulehnen,  doch  wenigstens  äusserst  problematisch. 

27.  YVat.  Kluge*  b.  ilti  Btelll  ahd.  wät,  ags.  wdsd,  an. 
rnil  'kleid'  unbedenklich  zu  sind,  vä  'weben',  indem  er  es, 
wie  es  Bcheint,  als  ein  verbalabstractum  m-ti-  betrachtet, 
was  allerdings  möglich  ist  Man  kann  aber  auch  mit  Hirt 
(Beitr.  23, 295  f.  A.blau1  B.  101)  zunächst  an  lit.  äudäiu  'webe' 
anknüpfen,  so  da>>  wir  eine  zweisilbige  würze!  *<in,,lli-  oder 
ähnliches  anzusetzen  hätten.    Bei  Hirts  auffassung  wäre  d 

Ih-  Ereilich  eine  erweiterung  der  von  Kluge  herangezogenen 
würze]  und  somit  winde  es  nichl  möglich  sein  zn  entscheiden, 
id)  das  wort  auf  \iedh-i-  oder  %e~-U-  zurückgienge.  Kalls  wir, 
anders  als  Hin.  die  form  >"  <■>■  bevorzugen,  so  kehren  wir  zu 
Kluges  auffassung  zurück.  Eine  andere  erklärung,  welche  be- 
stimmt eine  grundform  ^edh-i-  voraussetzt,  sieht  in  wäi  eine 
ableitung  dei  in  der  letzten  zeit  mehrfach  behandelten  würze! 
m,ih-  'binden'  (vgl.  Noreen,  Uppsalastudier  b.197;  Fick,  BB. 

06;  Meringör,  [F.  16,  177  tt.  17.1  I2f.;  verf.,  Beitr 

wo  das  Bternchen   vor  dem  als  parallele  zu 
angeführten,  häufig  belegten  aind.  samyuga-  dmckfehler  i-t 
Tijdschr.  v.  n**\.  taal-  en  letterk.  _•'>. 'J7"i.  Bei  es,  dass   mau 
unmittelbar  an  die  bedeutung  'binden'  anknüpft  (1  oder 

man  'weben'  als  mittelbegrifl  ansetzt   (Me  Um 

deutlich  zn  zeigen,  wie  verzweifelt  schwierig  es  bisweilen  ist. 
irgendwelche  Sicherheit   zn  erringen,  füge  ich  den  bishei 
Vermutungen  Doch  eine  neue  hm/u.    Wäi  kann  nämlich  als 
::  ilie  sippe  \"ii  lat.  '  vuo    ziehe  aus',  mduo  'ziehe  an', 
lit.  artti,  :iiv-liekleidur.  '.-1.  <>l>  uti 


180  UHLENBECK,    ZUR   DEUTSCHEN    ETYMOLOGIE. 

(fussbekleidung)  anziehen',  avest.  aopra-  'Schuhwerk,  schuh- 
zeug-'  gehören.  Das  lateinische  beweist,  dass  die  wurzel  *aue- 
' bekleiden'  nicht  ausschliesslich  von  den  fassen  gebraucht  wurde. 
Unter  den  neueren  etymologien  gibt  es  nur  wenige  schlagende 
wie  z.  b.  got.  hröt  :  apers.  *sräda-  (Liden,  Nord,  studier  s.  432  ff.) 
oder  germ.  *rauma-  'rahm'  :  avest.  raoyna-  'butter'  (Schwyzer, 
IF.  21, 180  ff.)  und  in  den  meisten  fällen  müssen  wir  uns  mit 
der  ermittelung  einiger  möglichkeiten  zufriedenstellen. 

Nachschrift.  Lange  nachdem  die  vorhergehenden  bemer- 
kungen  eingesant  waren,  erschien  Kluges  aufsatz  Beitr.  34,  552  ff. 
Ich  finde  mich  selbst  zu  gut  dazu,  seine  grobheiten  mit  grob- 
heiten  zu  erwidern.  Dass  er  mir  einzelne  flüchtigkeiten  nach- 
weist, erkenne  ich  gern  an.  Seine  eigene  akribie  ist  leider 
sehr  zweifelhaft.  Er  wird  sich  davon  überzeugen  können,  wenn 
er  die  von  ihm  verwerteten  artikel  des  neuen  Weigand  etwas 
aufmerksamer  studiert.  Auch  noch  eins  möchte  ich  Kluge 
fragen.  Weiss  er  denn  gar  nicht,  dass  versehen  und  flüchtig- 
keiten nicht  immer  auf  Unwissenheit  beruhen  müssen?  Wenn 
jeder  fehler  durch  dummheit  erklärt  werden  sollte,  so  würde 
das  an  fehlem  aller  art  keineswegs  arme  Etymologische  Wörter- 
buch der  deutschen  spräche  für  Kluges  eigene  kenntnisse  ein 
nicht  gerade  glänzendes  zeugnis  ablegen.  Aber  solche  fehler 
beweisen  nichts  gegen  die  allgemeine  tüchtigkeit  eines  forschers 
und  darum  beurteile  ich  Kluge  ganz  anders  als  er  mich  l). 


x)  Beitr.  22, 188  ist  natürlich  *brüdi-  zu  lesen,  Beitr.  26, 300  'ein  germ. 
labial'  oder  'hd.  f  statt  'germ.  f\  Beitr.  33, 185  *etesi-  statt  *etesi-  (aber 
das  über  brüps  und  id/'s  gesagte  nehme  ich  überhaupt  zurück). 

LEIDEN.  C.  C.  UHLENBECK. 


ZUR  DIMINUTIVBILDUNG  IM  SCHWÄBISCHEN. 

.Mit  grosser  Ereude  ist  es  zu  begrüssen,  dass  Danmehr 
Ferdinand  Wrede,  unter  dem  titel  Deutsche  dialektgeographie, 
bericlite  und  Stadien  aber  < r.  Wenkers  Sprachatlas  des  deutschen 
reicha  herauszugeben  beginnt  I>as  soeben  erschienene  l.  lieft l) 
enthält  gleich  zwei  höchst  interessante  and  wichtige  Unter- 
suchungen, die  uns  den  weiteren  pablicationen  mit  Spannung 
entgegensehen  lassen. 

Aus  dem  die  ganze  Sammlung  einleitenden  vorwort,  das 
in  die  form  einer  hegeisterten  apostrophe  Wredes  an  Wenker 
gekleidet  ist,  wird  mancher  mir  äusserstem  erstaunen  ersehen, 
dass  ein  so  "hm-  alle  frage  nützliches  und  zeitgemässes  unter- 
nehmen wie  der  Wenkersche  Sprachatlas  rings  von  feinden 
und  aeidern  amlauert  scheint;  ja,  "er  der  atlas]  weckte  eine 
zeternde  polemik  und  führte  schliesslich  sogar  zu  einem  Preis- 
ausschreiben, welches  tausend  mark  dem  erfinder  des  besten 
mittels  zusicherte,  mit  dem  der  Störenfried  unschädlich  gemacht 
werden  könnte.'  Man  möchte  doch  gar  zu  gerne  wissen,  welch1 
böser  'dogmatiker'  dergestalt  einen  preis  aal  den  köpf  des 
'undogmatischen'  atlas'  gesetzt  hat:  der  betreffende  verdient 
die  Bchonnng,  mit  der  uns  Wrede  seinen  mimen  verschweigt, 
wahrhaftig  oicht ! 

Uns  Schwaben  muss  es  zur  lebhaftesten  genngtuang 
reichen,  jetzt  als  ergebnis  des  Wenkerschen  Sprachatlas'  be- 

•t  za  lesen,  was  wir  Bchon  -fit  einem  Jahrzehnt  und  länger 
ans  Hermann  Frischei  hwäbischen  mnndart 

und    Carl    Haags    auf   eigene    aufnahmen    basierten    onter- 
Bochnngen3)  wissen:  so  z.b.  dass  es  öfter  zweifelhaft  bleibt, 

')  M  hhandlao 

•')  Zu  Bauten  i«t  liit-r  m  erster  In. 
uiuii'l.irt' ii 


182  VEIT 

ob  die  heutigen  grenzen  zwischen  zwei  dialektformen  'noch 
irgendwo  die  ursprünglichen,  durch  Wirkung  der  lautgesetze 
bedingten  sind,  oder  ob  sie  sich  im  laufe  der  Jahrhunderte 
durch  politische  grenzverschiebung  mit  verschoben  haben' 
(Wrede  s.  xi).  Wenn  indes  Wrede  im  anschluss  daran  auf 
'die  lautgesetze,  die  linguistischen  formein'  im  allgemeinen 
losschlagen  zu  sollen  glaubt,  so  trifft  dieser  hieb  doch  ziem- 
lich vorbei.  Denn  mögen  manche  formen  auf  dem  wege  der 
wortverdrängung1)  noch  so  weit  gewandert  sein:  irgendwo 
müssen  sie  sich  doch  streng  lautgesetzlich  entwickelt  haben.2) 
Wo  aber  einerseits  ein  bestimmtes  lautgesetz  bodenständig 
ist  und  als  solches  ursprünglich  ausnahmslos  gewirkt  hat, 
was  andererseits  an  einem  bestimmten  ort  auf  einheimischer 
lautentwicklung  beruht,  was  durch  wortverdrängung  von 
draussen  eingeschleppt  ist  —  das  kann  meist  nur  eben  die 
von  Wrede  allzu  geringschätzig  behandelte  localforschung  ent- 
scheiden. Denn  nur  sie  kann  für  gewöhnlich  sämmtliche  fälle 
überblicken,  die  in  einer  bestimmten  mundart  für  ein  bestimmtes 
lautgesetz  in  betracht  kommen.  Gar  oft  aber  zeugt  nur  eine 
vereinzelte  form3),  die  vielleicht  bloss  im  munde  der  älteren 
generation  noch  lebendig  ist,  manchmal  sogar  lediglich  noch 
ein  flurname4)  von  dem,  was  an  einem  orte  einst  die  regel  war. 


grenzgebiet:  Baarmundarten).  Mit  karte.  Reutlingen  1898.  [Im  folgenden 
citiert  als  'Baarmaa.'].  Ferner  aber  noch  ein  paar  kürzere,  leider  in  Zeit- 
schriften verzettelte  abhandlungen,  darunter  namentlich  diejenige  über 
mundartgrenzen  im  Archiv  für  das  Studium  der  neueren  sprachen  und  lite- 
raturen  bd. 115. 

*)  Dies  ist  der  treffende  ausdruck ,  den  Haag  (Baarmaa.  s.  88  ff.)  für 
dieses  phäuomen  geprägt  hat. 

2)  Finde  ich  z.  b.  in  einer  ortsmundart  ahd.  iu  durch  ui  vertreten,  so 
bin  ich  durchaus  berechtigt,  zu  sagen :  dieses  ui  hat  sich  (durch  metathese) 
aus  ahd.  iu  entwickelt,  ehe  letzteres  der  anderwärts  üblichen  monophthon- 
gierung zu  ü  verfallen  war.  Ich  darf  so  sagen,  auch  wenn  ich  daneben 
genau  weiss,  dass  an  dem  betreffenden  orte  die  lautgesetzliche  ent- 
wicklung  von  ahd.  in  über  iu  zu  u  und  ü  geführt  hat. 

3)  Für  Oberdigisheim  OA.  Balingen  erweist  nur  noch  der  sing.  iud. 
praes.  lug,  lughl,  lugd  <  liugu  u.  s.  f.  die  einstige  Zugehörigkeit  des  orts 
zum  gebiet  der  u  <C  ahd.  iu;  für  Ostdorf  nur  noch  die  Wörter  ufradr» 
(Fischer,  Schwab,  wb.  1,  408)  und  graerig  (ebda,  b,  404)  ursprüngliches  -aer- 
<  ahd.  -er-  :  solche  Wörter  bringt  kein  fragebogen  zu  tage! 

4)  Widerum  in  Ostdorf  lassen  nur  noch  die  flurnamen  düfadäl,  brönd- 


ZUR    DIMINUTIVBILDÜNG    IM    BCI1WÄBI8CHRN.  183 

I>as  sind,  um  mii  Johann  Willibald  Nagl1)  zn  reden,  die  Spar- 
pfennige der  mundart,  deren  man  durch  Fragebogen  niemals 
habhaft  wird.    Mittelst  solcher 'münzfunde'  al  sich  das 

ursprüngliche  gebiel  der  einzelnen  sprachlichen  erscheinnngen 
häufig  weit  sicherer  bestimmen,  als  durch  «las  meisl  etwas 
willkürliche  operieren  mit  den  alten  territorialgrenzen. 

Indem  er  den  französischen  Atlas  Linguistique  mit  Wenkera 
Sprachatlas  vergleicht,  legt  Wrede  gerade  aui  das  doch  allzu 
wenig  gewicht,  was  ni.  e.  den  hanptvorzug  des  erstgenannten 
Werkes  ansmacht.  Denn  dieser  liegt  sicherlich  nichl  sowol  in 
dem  umfange  des  materials,  das  dem  herausgeber  Gilli6ron 
aus  den  von  ihm  ausgewählten  orten  zur  Verfügung  stand 
(das  wird  nicht  einmal  so  viel  mehr  sein,  als  was  Wenkers 
10  sätzchen  zusammen  ergeben),  sondern  darin,  dass  Grillieron 
dieses  sein  material  aus  dem  munde  wirklich  naiver  laien 
durch  Vermittlung  eines  erfahrenen  dialektforachers  von  fach 
(Edmont)  erhielt.-)  Wohingegen  die  Übersetzer  von  Wenkera 
sätzchen,  die  lehrer.  in  sprachlichen  dingen  zwar  meistens  Laien, 
aber  keineswegs  unbefangene  laien  sind,  sondern  solche. 
denen  schon  durch  ihren  beruf  die  neigung  innewohnen  muss, 
wie  so  vieles  andere,  so  auch  die  mundart  zu  corrigieren. 
Diese  tendenz,  den  dialekl  zu  schulmeistern,  bildet,  wie  ich 
aus  erfahrung  weiss,  eine  weit  bedenklichere  fehlerquelle,  als 
etwa  die  in  der  schule  gelernte  schreibgewohnheit 

Daher  macht  es  auf  den  Sachkenner  einen  etwas  sonder- 
baren eindruck,  wenn  für  Wrede  der  Wenkersche  atlas  als 
'der  noch  unverbildete  naiurbursche*  gilt,  wählend  er  —  da 
nun  einmal  ein  derartiges  bild  gebrauchl  weiden  soll  doch 
eher  dem  eingefleischten  bürokraten  vergleichbar  scheint,  für 
den  nur  vorhanden  ist,  was  er  am  grünen  tisch  in  seinen  acten 
(den  Fragebogen)  findet. 

füxfo  erkennen,  dass  'li>'  echte  ortsmundarl  bei  Huf,  fiuhta  ursprünglich  den 
nngebroehenen  lanl  durchgeführt  hatte:  vgl  Veit,  Ostdorf  er  stud.  2,7,  anm.l. 

•i  l Putsche  nrandarten  l.  218. 

ir  einen  weiteren  roraug  des  atlas  linguistique  li:tl t »•  ich,  dass 
er  nichl  an  den  grenzen  Prankreichs  ball  macht,  Bondern  au- 

Baaunenhängende  fransflmsche  Sprachgebiet  amfaast  Wihrend  Wenkers 
Sprachatlas,  Bchon  für  SüddeuUchland  nichl  mehr  rechl  genügend,  die 
deutsche  Schweif  und  Deutsch  i  b  Oberhaupt  nicht 


181  VEIT 

Nachdem  ich  mir  diese  bedenken  gegen  Wredes  vorwort 
vom  herzen  geschrieben,  kann  ich  jetzt,  mit  übergehung  der 
in  dem  vorliegenden  hefte  an  erster  stelle  stehenden  Studien 
von  Jacob  Eamisch  zur  niederrheinischen  dialektgeographie, 
für  die  ich  nicht  competent  bin1),  um  so  uneingeschränkter 
das  lob  der  von  Wrede  selbst  herrührenden  zweiten  abhand- 
lung  über  'die  diminutiva  im  deutschen'  singen.  Dieselbe 
scheint  mir  nach  der  descriptiven  wie  nach  der  analytischen 
seite  hin  ausserordentlich  wertvoll,  ja  ich  möchte  sie  geradezu 
als  vorbildlich  für  die  bearbeitung  derartiger  fragen  bezeichnen. 

Da  Wrede  (s.  75)  selbst  zur  nachprüf ung  seiner  resultate 
auffordert  und  anhaltspunkte  für  weitere  localforschung  geben 
will,  so  erlaube  ich  mir,  hier  vorzubringen,  was  ich  von 
meinem,  dem  südwestschwäbischen  Standpunkt  aus  dazu  zu 
sagen  habe. 

Wrede  meint  §  7  (s.  79):  'so  ist  z.  b.  die  bewahrung  des 
sogenannten  zwischenvocals  in  den  süddeutschen  mundarten 
zumeist  von  dem  grade  kosender  Zärtlichkeit  abhängig  (bisslc 
—  bissele).'1  Das  ist  nur  sehr  teilweise  richtig,  und  verhält 
sich  vielmehr  folgendermassen.  Kurze,  offene,  unbetonte  paen- 
ultima  vor  nebentoniger  ultima  wird  im  schwäbischen  aus- 
nahmslos synkopiert;  erhalten  bleibt  kurzer  vocal  in  un- 
betonter paenultima  nur  in  gewissen  fällen  vor  mehrfacher 
consonanz.  Demgemäss  lautet  zwar  —  was  Wrede  entgangen 
zu  sein  scheint  —  das  diminutiv  zu  vogel,  äpfcl,  ofen,  ivaycn  in 
ganz  Schwaben  stets  vögele,  äpfele,  öfele,  wägcle2),  niemals 
etwa  *  vögle,  *äpfle,  *öfle,  *wägle,  da  hier  ein  mhd.  vögel-lin, 
epfel-lin,  öfellin,  ivägcllin  (in  den  beiden  letzten  fällen  mit  assi- 
milation:  -nl-  >  -ZP))  zu  gründe  liegt.  Andererseits  aber  kann 

*)  Nur  einen  schlusssatz  daraus  sei  mir  gestattet  hierherzusetzen, 
weil  er  leider  auch  bei  uns  zu  lande  noch  nicht  immer  beherzigt  wird: 
'Wer  . . .  nicht  mit  hypothesen,  sondern  mit  beglaubigter  geschichte  arbeiten 
will,  der  wird  darauf  verzichten  <  müssen  >>,  in  unsern  dialektgrenzen 
uralte  gau-  und  stammesgrenzen  widerzuerkennen'  (s.  67).  Ungefähr  das- 
selbe steht  schon  in  Hermann  Fischers  Geographie  d.  schwcäb.  ma.  (Tübingen 
1895)  s.  88. 

2)  Der  vocal  der  paenultima  ist  teils  -d-  (-ah),  teils,  mit  regressiver 
vocal-assimilation,  -f-  (-ffc).  Auch  zwischen  diesen  beiden  formen  lassen 
sich  grenzen  ziehen;  doch  will  ich  hier  nicht  weiter  darauf  eingehen. 

3)  Also  wie  im  lateinischen  aselhis,  scabellum  u.  s.  f. 


ZUR    DIMINUTIVBILDUNG    IM    SCHWÄBISCHEN.  1    5 

zu  köpf,  hand,  magd  das  einfache  diminutiv  nur  köpfte,  handle, 
mä(g)dle  lauten;   wenn  wir  also  daneben  —   hauptsächlich  in 

der  kindersprache  —  doch  auch  gelegentlich  formen  wie  LopfeU, 
handele1),  mä(g)dele  treffen,  so  muss  eben  auch  da  eine  doppel- 
consonanz  dahinterstecken:  also  Tcopfellin,  handellin,  mägdellin. 
Das  soll  besagen:  neben  den  gewöhnlichen,  einfachen  diminu- 
tiven auf  -lin  gibt  es  auch  solche,  bei  denen  das  eigentliche 
diminutiv -suffix  (-Un)  erst  an  eine  koseform  auf  -el  gefügt 
wird2):  also  eine  bildung,  die  genau  der  mitteldeutschen  auf 
-eichen  entspricht.3)  Doch  ist  diese  doppelendung,  die  aller- 
dings sehr  kosend  und  zärtlich  klingt,  in  der  gewöhnlichen 
Umgangssprache  erwachsener  Schwaben,  wie  gesagt,  sehr 
selten. l) 

In  parenthese  möchte  ich  hier  eine  eigentümlichkeit 
unserer  Büdwestschwäbischen  mundarten  erwähnen,  die  bei 
fremden  wol  gelegentlich  zu  misverständnissen  anlass  gibt. 
Die  feminina  auf  -/  bilden  auch  bei  uns  ihren  regelmässigen 
plural  auf  -te\  also  nüdl  :  nudte,  lihüsl  (mutterschwein)  :  TchösU 
n.s.f.  Eine  anzahl  dieser  substantiva  jedoch,  wie  d&bl  (zwiebel), 
d/siU  u.a.m.  haben  im  plural  auffälligerweise  -9ls\  also  dsibdla, 
d/sd.ih,  welche  formen  von  Schwaben  aus  andern  gegenden 
gerne  für  diminutiva  gehalten  werden  —  sehr  mit  unrecht, 
da  das  diminutiv  zu  swiebel,  distel  in  unserer  gegend  (im  sing. 
und  plur.)  dsibele,  dudele  lautet,  sich  also  durch  die  qualität 
der  beiden  endsilbeu  scharf  von  dem  plural  des  grundworts 
abhebt.  Wie  ist  nun  aber  dieser  plural  auf  ->'<  zu  erklären? 
Bekanntlich  geht  dsibl  auf  ein  romanisches  cepulla  zurück 

')  In  solchen  fällen  onterblelbl  gern  der  sonst  beim  diminutiv  i 
massig  eintretende  nmlaut  der  Stammsilbe 

-,  80  schon,  liir  die  ma.  von  Goldbach,  Bedwig  Ealdimann  (Zsf.hd. 
maa,  5,  230  f.). 

1   Lehnlich  /.  b.  im  italienischen  im  pochettino  a.  dgl. 

•i  Nur  bei  penonennamen,   wo  j.i  die  koseibrmen  ani  -el  auch 

mmen,  ist  ->i<  etwai  häufiger;  man  sagl  /..  Wobeie,    \ 

Bei  bisseh  wird  wo!  nicht  bis»,  sondern  bissen   als  grund- 

»'•n   ansunehmen  sein:   daher  dai  etwas  hänfigere  vork nun;  wie  om- 

gekehrl  /..  \>  böglein  nicht  von  bogen,  sondern  von  einem  schwachen  nom. 
sing    bog{e)  abiuleiten  ist    Wredea  ansieht  s  in  Oberdentacbland 

'die  naive  alttagsspracke  [sie]  ...   in  Verkleinerungsformen  zu  Bchw 
scheine,  i-t  im  <ii.'  schwäbische  Volkssprache  gani  unsutreffend. 


186  VEIT 

wird  also  fürs  ahd.  zibulla,  mit  -11-,  anzusetzen  sein,  und  ein 
davon  gebildeter  plural  zibulla  oder  zibullün  muss  im  süd- 
westschwäbischen notwendig-  äsibdld  ergeben.  Es  liegt  dann 
nahe,  auch  für  die  übrigen  fälle  ein  -11-  im  suffix  anzunehmen ; 
so  könnte  z.  b.  disdl  auf  ahd.  *distüla  <  pistiljö  zurückgehen. l) 
Im  §  57  (s.  111)  rät  Wrede:  zur  begrenzung  des  -Z/-gebietes 
folge  man  von  der  gegend  von  Achern  an  'ganz  ungefähr  der 
badischen  landesgrenze  nach  S.  bis  an  den  Boden see:  das  so 
abgeteilte  badische  land  hat  -li  (seltener  -le),  aber  die  grenze 
ist  unsicher  und  schwankend  und  schickt  versprengte  -li  noch 
oder  schon  östlicher  bis  ins  Hohenzollernsche  vor'.  Zunächst 
muss  man  sich  hier  fragen,  ob  denn  Wrede  hinsichtlich  der 
bestimmung  der  -li  /  -Ze-grenze  auf  dem  für  die  Geographie  der 
schwäbischen  mundart  in  betracht  kommenden  gebiete  wesent- 
lich besser  daran  ist  als  Hermann  Fischer,  von  dem  uns  Wrede 
in  einer  anmerkung  wissen  lässt,  dass  er  [Fischer]  diese  grenze 
'nicht  bestimmen  konnte'.  Wrede  hätte  aber  weiter  kommen 
können,  wenn  er  nur  Carl  Haags  Baarmaa.  (erschienen  1898; 
vgl.  oben  s.  181,  anm.  2)  hätte  beachten  wollen,  wo  es  s.  86  von 
den  tief  ton  vocalen  heisst:  'der  palatale  vocal  ist  auslautend  e, 
etwa  nördlich  29  W.  und6ß0.2),  südlich  davon  offenes  i;  doch 
ist  e  geschlossener,  dem  i  näher,  zwischen  2  £  und  17  /."-) 
Die  von  Haag  hier  gegebene  abgrenzung  des  reinen  -li  und 
-le  stimmt  auch  mit  meinen  eigenen  aufzeichnungen  so  ziem- 
lich überein:  es  ergibt  sich  daraus,  dass  einerseits  der  grösste 
teil  des  badischen  oberamts  Messkirch  reines  -le,  dagegen  auch 
teile  der  württembergischen  oberämter  Rottweil  und  Tuttlingen 
reines  -li  haben.  In  der  von  Haag  umschriebenen  Übergangs- 
zone  ist  von  SW  gegen  NO  eine  ganz  allmähliche  Senkung  von 
-li  über  -li  zu  -le  zu  beobachten,  mit  starken  localen  und 
individuellen  Schwankungen.    Bemerkenswert  scheint,  dass  in 


1)  Aehnlich  widerum  schon  Hedwig-  Haldimann  a.  a.  o.  s.  229.  Denkbar 
wäre  übrigens  auch  eine  von  dsibdU  ausgehende  sufnxübertragung;  denn 
wenigstens  in  der  mir  am  besten  bekannten  ma.  von  Ostdorf  betreffen 
sämmtliche  fälle  von  femininen  pluralen  auf  -dld  namen  von  pflanzen  bez. 
pflanzenproducten:  brömdh  (brombeersträucher),  bwph  (Fischer,  Schwab,  wb. 
1, 1500),  rpxdh  (eichein),  häsd-babdld  (Oxalis  Acetosella),  häMdh  (himbeeren), 
mikhte,  wn&äste  (Ononis  spiuosa).  Daneben  jedoch  dödMh  (Fischer  a.a.O. 
2,  283),  möadh  (Daucus  Carota),  nesfo  u.  a.  m. 

2)  Diese  siglen  beziehen  sich  auf  Haags  karte. 


ZI  U    DIM1NÜTIVBILDÜNG    IM    B<  HW 

gewissen  altwürttembergischen  orten  amts  Tuttlingen 

die  annaherung  an  -le  wesentlich  mehr  hervortritt,  als  z.b.  in 
den  neuwürttembergischen,  obgleich  dem  geschlossenen 
näher  gelegenen  orten  des  oberamts  Rottweil. 

Ich  komme  nun  zu  den  plnralen  auf  -len,  die  WV 
(a  121)  behandelt    Hierbei  scheint  ihm  aber  eine,  nichl  ein- 
mal so  ganz  kleine,  -Zen-enclave  ganz  entgangen  zn  Bein,  die 
schon    Fischers  karte  21    wenigstens   teilweise1)   verzeichnet 
Dieselbe  liegt  im  oberamI   Rottenburg,  ebenfalls  hart  an  der 
grenze  des  gebiets,  das  den  diminntivplural  anf  -U  vom  Bingnlar 
auf -/i  unterscheidet    Die  lautliche  erklärung  überläset  v 
in  diesem  falle  ausdrücklich  der  localforschung,  Für  welch« 
in  der  tat   auch   ziemlich  nahe  liegt    Postvocalisches  •/'   im 
auslaut    ist    in   ganz   Schwaben    nur   erhalten,   wenn   es  auf 
Becundärer*)  geminata  beruht;  also  z.b.  in  der  ma.  von  i 
dort':   '",  -ein",  aber  &n  •einen':  >■>>■  'jener',  abei  uen' 

u.8.f. 3)  Demnach  muss  auch  unser  Ifn bez. -Wh zunächst  auf 
ein  Becundär  entstandenes  -linn  zurückgehen.  Nun  verdanken, 
wie  auch  Wrede  I.e.  mil  recht  vermutet,  diese  auffallenden 
formen  ihre  entstehung  offenbar  dem  bestreben,  den  plural 
der  diminutiva  lautlich  vom  Bingnlar  zu  differenzieren;  zu 
diesem  zweck  hat  man  in  jenen  enclaven  die  diminutiva  zur 
schwachen  declination  übergeführt:  dann  ergab  Bich  als  plural- 
form -Unen,  das  weiter  über  -Unn  -li>t>i  regelrecht  zu  -Un 
bez.  -i[n  geworden  ist. 

Im    zweiten    teile    Beiner    arbeit    handelt    Wrede    voll    der 

herkunft   der  diminutiva  im  deutschen,  und  legi   zun 
§  76  ff.  descriptiv,  im  anschluss  an  Polzin,  dar.  wie  die  dimi- 
nuüvbildnng  erst  in  mhd.  zeit  der  Bprache  geläa  rden 

ist    Wollte  Wrede  .seine  lebhafte  abneigung  gegen  ' 
lektische  localchronologie'  (s.  xi)   überwinden,    bo  könnt 
eine  weitere  Btütze  für  sein.-  these  aus  dem  verhalten  una 
oberdeutschen  mundarten   gewinnen.    Hier  weist   aamlich  ein 
ursprüngliches  a  der  Stammsilbe  vor  der  diminutivendtu 

: .  Dia  booIat«  oafa 

•un.  Wendelshein  und  die  itedi  i.'  ti 

•l      X  1 1  «  I,     I  I  11  j  I     N.T.'llll'.t.  |    • 

li wunden:   mrt  'mann',  '/;■   'kinn'  D 


188  VEIT 

der  regel  den  secuiidäreii  späteren1)  umlaut  ä  auf.  Da  der 
vocal  der  mittelsilbe  wol  von  jeher  -i-  gewesen  ist,  also 
nicht  bloss  das  -l-  der  dritten  silbe  den  umlaut  bewirkt  haben 
wird2),  so  lässt  sich  das  verhalten  der  mundarten  überhaupt 
nur  so  erklären,  dass  die  diminutiva  ihrer  überwiegenden 
mehrzahl  nach  erst  zur  zeit  jenes  späteren  umlauts  gebildet 
worden  sind,  so  dass  sie  auch  etwa  aus  älterer  zeit  vorhandene 
diminutiva  mit  primärem  umlaut  -e-  durch  formale  ausgleichung 
zu  sich  herüberziehen  konnten.*) 

Im  gegensatz  zu  Polzin  erklärt  sodann  Wrede  die  dimi- 
nutiva auf  -lin  für  eine  genuin  deutsche  bildung.  Er  kommt 
dabei  etwa  zu  folgendem  ergebnis  (§  87):  'die  appellativa  dimi- 
nutiva des  deutschen  haben  ihren  Ursprung  bei  den  eigen- 
namen,  den  personennamen;  sie  sind  von  hause  aus  koseformen, 
von  appellativen  gebildet  nach  dem  muster  der  kosenamen.' 
Dass  die  formantien  der  diminutiva  und  der  kosenamen  ur- 
sprünglich identisch  seien,  hat  schon  vor  fünf  jähren  Brug- 
mann1)  ausgesprochen.  Neu  ist  also  an  Wredes  these  nur, 
dass  hierbei  die  kosenamen  das  prius  seien,  den  ausgangspimkt 
für  die  diminutiva  bilden.  Und  was  er  zu  gunsten  dieses  seines 
satzes  anführt,  scheint  mir  wenigstens  recht  einleuchtend,  ja 
überzeugend.  Demnach  sind,  was  gleichfalls  schon  Brugmann 
(1.  c.)  gesehen  hat,  diminutiva  wie  hypocoristica  im  gründe 
nichts  anderes  als  denominative  bildungen  mit  der  allgemeinen 
bedeutung  der  Zugehörigkeit:  ihr  formans  -l-  ist  durchaus  das- 
selbe wie  etwa  im  ahd.  stcngil,  eichila;  wortal,  lutzil. 

Die  grundbedeutung  der  Zugehörigkeit  schimmert  vielleicht 
sogar  bei  den  diminutiven  der  modernen  mundart  gelegentlich 
noch  durch.  So  ist  beispielsweise  in  den  protestantischen 
dörfern  Schwabens  der  pfarrerle  keineswegs  etwa  'der  kleine 
pfarrer',  sondern  die  zur  familie  des  pfarrers  gehörige  manns- 


*)  Vgl.  Braune,  Ahd.  gramm.2  §  27,  anm.  2c;  Heusler,  Germania  34,  118. 

-)  Vgl.  Braune,  1.  c.  §  27,  anm.  4. 

3)  Im  unterschied  von  den  schweizerischen  mundarten,  wo  das  princip 
der  formalen  ausgleichung  hier  durch  gewisse  etymologische  gruppen  durch- 
brochen wird  (Basel:  Heusler  1.  c. ;  Goldbach:  Hedwig  Haldimann,  Zs.  f.  d. 
niaa.  4, 304),  erscheint  z.  b.  in  Ostdorf  der  secundäre  a-umlaut  bei  der 
diminutivbildung  ausnahmslos  durchgeführt:  wir  finden  da  also  z.  b.  neMle. 
segle,  gif  sie  neben  den  pluralen  nesd  (äste),  scg  (sacke),  glesdi: 

A)  Kurzgef.  vergl.  gramm.  d.  indogerm.  spr.  §  417. 


BUB    DIMINUTIVBILDUNG    IM    SCHWÄBISCHEN. 

persoB,  also  in  der  rege]  wo]  des  pfarrers  söhn,  unter  umständen 
aber  auch  des  pfarrers  neffe,  oder  des  pfarrers  knechl  u.  dgl. 
Aehnlich  ist  in  Ostdorf  s  graesle  (  das;  grce^elin)  der  eben- 
falls grossgewachsene  söhn  des  banern  X..  welch*  letzterer  von 
seiner  Statur  den  Übernamen  ddr  graos  (  der  grötfe)  be- 
kommen hat.1) 

Zum  Schlüsse  (§  99)  wirft  Wrede  noch  die  frage  au!,  ob 
seine  'these  von  der  herkunft  der  diminutiva  im  germanischen 
auf  den  gebieten  der  übrigen  indogermanischen  sprachen 
parallelen  oder  für  die  lehre  dieser  consequenzen'  habe,  und 
führt,  die  nähere  Untersuchung  den  betreffenden  specialisten 
überlassend,  in  aller  kürze  eine  anzahl  in  betracht  kommender 
fälle  an,  die  sich  wol  unschwer  werden  vermehren  lassen. 

Ich  möchte  mir  nun  erlauben,  dem  auch  noch  einiges  aus 
dem  gebiete  der  semitischen  sprachen  hinzuzufügen. 

In  erster  linie  möchte  ich  darauf  hinweisen,  dass  die  ge- 
wöhnliche arabische  diminutivfonn  vom  typns  fuail  von 
einem  so  guten  kenner  wie  Franz  Praetorius  auf  eine  ver- 
mischung  zweier  altsemitischer  caritativformen,  f<i  ül  und  fdlai, 
zurückgeführt  wird.*2) 

(■"einer  besitzl  das  semitische  zwei  formantien  zur  bildung 
denominativer  nomina,  -an  und  -üj.  Von  diesen  dient  -an  I 
zunächst  in  den  meisten  semitischen  sprachen  zur  bildung  die 
Zugehörigkeit  bezeichnender  adjectiva  (hebr.  qa&m-$n  'östlich1 
zu  qedem  ' Osten',  syr.  nUr-än  •feurig'  zu  nur  -feiur'  u. s. t); 
sodann  bilden  aber  verschiedene  arabische  dialekte  damit  kose- 
formen  (wie  z.b.  'Äbd-än  zu  irgend  einem  mit  'abd  'diener' 
zusammengesetzten  Personennamen ).  und  endlich  dient  -an  in 
mehreren  semitischen  sprachen  zur  diminutivbildung  (z.b.  arab. 
'aqrab-än  'ohrwurm',  eigentL  'skorpiönchen',  hebr.  tf-pn  'pupille', 
eigentl.  'männchen').4)  Das  andere  formans  -aj  dient  eben- 
falls wiiler  in  verschiedenen  semitischen  dialekten  zur  bildung 
von  Zugehörigkeitsnomina  (z.b.  syr.jad-qj  'Jude*.  &asyr.qür-äj 


')  VgL  dasu  noch  Z-.  t  d.  bim  L908,  i  isT.  anm.  l. 
i  \  iheres  -.  /.-.  >\  dteeh.  morgen)  ■'_.'!  n 

•)  Bei   detten  Lautgesetaliche  Weiterentwicklungen* 
'i  Brockelmann   (Qrundr.  d.  vergl.  gramm.  d.  -•■mit.  sprachen  l.  >-t7> 
iprii  iit  bereita  die  rermutnng  aus,  <lu-s  diese  diminutiv-  and  caritativ-endnng 
•an  rielleichl  mit  den  gleichlautenden  adjectiv  Edentiscb 


190  VEIT,   ZUR   DIMINUTIVBILDUNG    IM   SCHWÄBISCHEN. 

Tyrier);  dann  im  Tigrina,  einer  abessynisch-semitischen  spräche, 
und  besonders  dem  ihm  näehstverwanten  Tigre  zur  bildung  von 
koseformen *)  und  als  diminutivendung  (z.  b.  te.  c  äsetäj  'fisch- 
artig', dann  'fischchen'  zu  c äsä  'fisch',  lallebäj  'hündchen'  zu 
kaleb  'hund'  u.  s.f.). 

Auch  bei  noch  viel  weiter  abliegenden  sprachen,  soweit 
sie  überhaupt  eine  diminutivbildung  kennen,  wird  sich,  wie 
ich  glaube,  bei  näherem  zusehen  der  enge  Zusammenhang  von 
Zugehörigkeitsnomen,  koseform  und  diminutivum  herausstellen. 
So  sieht  z.  b.,  um  nur  noch  einen  fall  anzuführen,  das  türkische 
diminutivsuffix  -dsilc  ganz  wie  eine  Weiterbildung  des  zur 
bildung  von  Zugehörigkeitsnomina  dienenden  formans  -dsi  aus 
(z.  b.  zu  balyq  'fisch'  :  balyq-tsy  'fischer',  balyq-tsyq  'fischchen'). 

Möchte  uns  Wrede  recht  bald  weitere  ergebnisse  seiner 
beschäftigung  mit  Wenkers  Sprachatlas  zugänglich  machen! 
Wenn,  wie  zu  erwarten,  auch  die  folgenden  hefte  der  Deutschen 
dialektgeographie  sich  auf  der  höhe  des  vorliegenden  halten, 
so  haben  wir  allen  grund,  die  deutsche  mundartforschung  zu 
beglückwünschen.  Nicht  vergessen  darf  man  freilich,  dass 
gerade  die  deutsche  diminutivbildung  auch  für  den  laien  laut- 
lich und  formell  besonders  leicht  zu  fassen  ist,  so  dass  die 
Schattenseiten  des  fragebogensystems  diesmal  vielleicht  weniger 
hervorgetreten  sind.  Seine  feuerprobe  wird  der  Sprachatlas 
erst  zu  bestehen  haben,  wenn  er  uns  etwa  über  die  erhaltung 
des  dativus  pluralis,  die  entwicklung  der  e -laute  oder  eine 
ähnliche  schwierigere  frage  auskunft  geben  soll.  Unterdes 
wollen  wir  uns  der  diesmal  gebotenen  gaben  dankbar  erfreuen. 


x)  Wahrscheinlich  gehen  die  besonders  im  aramäischen  häufigen  cari- 
tativendungen  -ai,  -öj,  für  die  Brockelmann  (1.  c.  §  223  a)  persischen  Ur- 
sprung annimmt,  ebenfalls  wenigstens  teilweise  auf  dieses  semitische  -äj 
zurück. 

TÜBINGEN,  18.  jan.  1909.  FRIEDRICH  VEIT. 


ZI1  WALTHER  VON  DER  VOGELWEIDE. 

18, 1  L  (70  b,  15  P).  Den  namen  wicman  in  A  ersetzt  C 
durch  volcnant.  Wilmanns  erwägt,  ob  der  sprach  einmal  gegen 
einen  mann  dieses  namens  benutzt  wurde  oder  ob  lediglich 
eine  der  auf  mündliche  Überlieferung  deutenden  entstellungen 
der  hs.  C  vorliege.  Diesmal  beruht  das  auseinandergehen  wol 
nur  auf  einem  verlesen.  Wenigstens  hat  auch  die  hs.  D  der 
Klage  gegenüber  der  gemeinen  lesart  wicnant  einmal  (v.  1555) 
volchnant  und  der  lesefehler  ist  graphisch  leicht  begreiflich. 
Welcher  hs.  er  bei  Walther  zur  last  fällt,  lässt  sich  natürlich 
nicht  ermitteln,  doch  spricht  zu  Ungunsten  von  A  ihre  gräuliche 
Überlieferung  des  Spruches:  Her  wicman  iß  ä"  ere  de.  man  die 
meißer  irten  fol  fo  meinftlichen  fpreche  u.s.w.  Es  wäre  aber 
auch  möglich,  dass  beide  hss,  den  namen  entstellten  und  — 
wie  in  der  Klage  —  ein  Wicnant  zu  gründe  lüge. 

Die  echtheit  des  Spruches  wurde  neuerdings  —  von  Sarai), 
I  teitr.  ^7, 199  ff.  —  angezweifelt  Kr  sieht  darin  «las  liet  (C18,15), 
das  der  .Meissner  dem  dichter  überbringt.  I  >er  absender  Ludewig 
liättr  damit  ein  Spottgedicht l)  auf  Walther  zurückgewiesen  oder 
zurückweisen  Lassen.  Bedenken  gegen  Walthers  autorschaft 
Liegen  aber  nicht  yor,  denn  lata  iu  in  18,  i  findet  »du  seiten- 
sti'ick  in  länts  iueh  S6, 33,  das  'her  Walther1  will  offenbar  ein 
spöttisches  her  Walther  der  Deckstrophe  Volcnants  aachäffen 
und  der  derbe  vergleich  in  18,  l"  klingt  ja  im  munde  des 
Fürsten  nicht  feiner  als  im  munde  des  Bpielmanns  (man  Lese 
übrigens  die  derbheiten  i"-i  Deutschen  und  Romanen  nach,  die 
Nickel,  Sirrentes  und  spruchdichtung  s.  68  Bammeil      Ä.uch  ist 

'i  Laehmann  . .'iij ici.it  in  ▼.  2  irren.    Wahrscheinlicher  i.-t  mir  I 
'necken,  reizen'  (C  tretten)'.    <la>s  ihr  die  m<  meisterliche]  spi 

hänseln  wollt.'  Vgl.  Snchenwirt  20, 18  so  gtit  gen  mir  h  tratet  unchunst 


192  WALLNER 

zu  beachten,  dass  der  'ton'  dieser  Strophe  —  den  zweiten 
Philippston  nannte  ihn  Simrock  —  nicht  nur,  wie  zu  erwarten, 
in  der  dankstrophe  widerkehrt,  sondern  noch  in  drei  andern 
Sprüchen.  Schliesslich  vermisst  man  in  dieser  dankstrophe  jede 
beziehung  auf  kern  Volcnant.  Eine  Verteidigung  seiner  künstler- 
ehre hätte  der  Sänger  dem  fürsten  gewiss  anders  gedankt  als 
durch  ein  ' Weidmannsheil!' 

Sarans  athetese  geht  von  seiner  deutung  der  kerze  in 
84,  30  aus,  die  freilich  durch  die  lesart  lieht  in  18, 15  hinfällig 
würde.  Uebrigens  steht  das  citat  aus  Gregor  von  Tours  über 
die  freilassung  von  knechten  cum  cercis  et  tabidis  schon  in 
den  Rechtsaltertümern  (I  462)  J.  Grimms,  der  mit  recht  auf 
dessen  Verwertung  verzichtete:  'das  kerzensenden  bei  Walther 
18,15.  84,33  gehört  kaum  hierher.'  Weit  brauchbarer  scheint 
mir  der  von  Dieterich  (Litbl.  1903,  sp.  274)  erwähnte  schwä- 
bische brauch  der  lichtmesskerze,  mit  welcher  hausvater  oder 
hausmutter  die  hausgenossen  beschenken,  und  das  ebenda  bei- 
gebrachte citat  Birlingers  aus  Lorichius,  1593,  s.  59:  Aber- 
yläubig  ist  an  der  h.  lichtmess  einem  jeden  im  haus  mit  der 
geiveihtcn  kerne  das  haar  besenyen.  welches  haar  dann  nit  ivöll 
anbrennen,  der  mufs  dasselb  jähr  sterben.  Hat  der  kaiser 
nach  landesbrauch  die  lichtmesskerzen  für  das  hofgesinde 
(überliefert  ist  der  plural)  Walthern  in  die  hände  spielen 
lassen:  ir  hänt  iuwer  herzen  hündeclichen  mir  gesendet? 
Oder  hat  er  ihn  durch  einen  scherz  mit  der  vornähme  des 
lichtmessbrauchs  betraut?  Das  versengen  des  Stirnhaars  (an 
den  brän)  und  das  dabei  unvermeidliche  blenden  der  äugen 
fände  durch  diesen  brauch  die  einfachste  erklärung. 

Das  lieht  im  Spruche  an  den  Meissner  wäre  dann  gleich- 
falls eine  lichtmesskerze  und  sollte  dem  sänger  verkünden, 
dass  der  Spender  ihn  zu  seinem  ingesinde  zähle.  Walthers 
dank  aber  gilt  dem  Überbringer  und  erwirker  (18, 19)  dieser 
symbolischen  einladung.  Vor  ihm  verneigt  er  sich  beim  Vor- 
trag der  strophe,  denn  in  die  ferne  kann  das  wan  das  ich  tiefe 
nige  unmöglich  gesprochen  sein.  Das  müsste  man  aber  bei 
Sarans  liet  annehmen!1) 


J)  Bei  Niederschrift  dieser  notiz  wurden  leider  H.  Fischers  Waltheriana, 
Zs.  fda.  49,  154.  mit  E.  Schröders  hinweis  auf  Klage  778  (1555)  übersehen 
(corr.-note). 


ZU   WALTHBR   VON    DBB    VOGELWEIDE.  1 

19,15  (08,25).  die  Däringe  und  die  Sahsen  dienten  also 
da,  daz  ez  den  wisen  muoste  wöl  gevallen.  Der  sprach  über 
das  Magdeburger  weihnachtsfesl  hat  eineu  für  Walther  unerhört 

matten  abschluss.  'Die  worte  klingen  wie  das  urteil  eines 
ceremonienmeisters',  sagt  Wilmanns.  Und  dabei  wächst  diese 
trivialität  heraus  aus  einer  beinahe  mystischen  darstellung  des 
kirchenfestes,  bei  der  dem  verzückten  Sänger  einst  und  jetzt, 
Bethlehem  und  Magdeburg,  himmlisches  und  irdisches  wunderbar 
ineinander  fliessen!  Ich  kann  weder  an  diesen  riss  der  Stim- 
mung glauben,  noch  an  eine  taube  schlusszeile  überhaupt. 
Walther  concipiert  seine  Spruchstrophen  durchwegs  von  der 
schlusszeile  aus.  Sie  ist  die  trägerin  der  pointe,  ihr  verleiht 
die  altüberkommene  Vorliebe  für  enigmatischen  ausdruck  nach- 
haltige resonanz.  Daher  bedarf  sie  auch  so  oft  der  glosse  (vgl. 
20, 1  f.  28,  30.  29, 14.  84,  20  f.  84,  28  f.  84,  30.  104,  30  f.).  Auch 
19, 15  f.  gehört  hierher. 

Der  name  Magdeburgs  erinnerte  an  die  maget,  die  Weih- 
nachtsfeier an  die  scene  in  Bethlehem.  Wie  dort  der  himmels- 
lierr  in  mystischer  dreieinigkeit  gegenwärtig  war,  so  ist  es 
hier  der  herr  der  erde  —  ir  habt  die  erde,  er  hat  daz  himel- 
riche!  (12,8)  —  als  könig,  kaisersbruder  und  kaisersohn  in 
einer  wat,  swic  doch  die  namen  drige  sint.  Der  himmelskönigin 
aber  gleicht  die  rose  ohne  dorn,  die  taube  sonder  galle,  die 
irdische  königin  der  Christenheit  Irene-Maria.  Und  die  forsten 
aus  Thüringen  und  Sachsen  neigen  sich  dienend  und  ver- 
ehrend, wie  einst  die  fürstlichen  magier  aus  morgenland: 

die  Dflringe  und  die  Sahsen  dienten  also  da, 
daz  ez  den  wisen  raüeste  wo]  gevallen. 

Nicht  erst  Luther  hat  die  magos  (Matth.  2,7)  mit  'weisen' 
widergegeben,  schon  das  Spec.  eccl.  I  17, 11  überträgt  die  Btelle 
so:  ei  imo  er  ladöta  thie  uuisun  man  (dam  voeavit  magos)  und 
die  altdeutsche  predigt  betont  wenigstens:  du  hünige  du  waren 
n-isf  Sch("m bach  III  20,  39  (I  187,2-1);  man  dar!  also  das  wori 
auch  bei  Walther  bo  verstehen.  Freilich  ist  auch  hier  der 
schillernde  doppelsinn  nicht  ausser  achl  zu  lassen:  'den  i 
ab  Oriente  hätl  es  gefallen  und  den  wisen  den  kennen)  (vgl. 
dazu  Etoethes  Eteinmar  s.  330)  beim  Magdeburger  fest'.  Die 
leaarl  mvfie  wird  vun  der  hs.  C  il't'ait  Btr.  310,  Bp.  185) 
geboten. 

Heilrägc  *ur  geschieht«   i!er  deutsche»  spraJie.     XXXV.  |fl 


194  WALLNER 

20,  4  (68, 49).  Auch  dieser  sprach  wird  erst  klar  durch 
die  richtige  betonung  der  schlusszeile.  Gross  ist  der  gastliche 
lärm  auf  der  Wartburg,  meint  Walther,  doch  wird  mit  un- 
gleichem mass  gemessen.  Ihm  ist  es  bisher  nicht  gelungen, 
hier  fuss  zu  fassen:  ich  hän  gedrungen  unz  ich  niht  nie  dringen 
mac.  Andern  gasten  —  den  hof gerechten  raufbolden  —  ist 
der  landgraf  ein  freigebiger  wirt  und  darein  setzt  er  seinen 
stolz.  'Und  kostete  ein  fuder  wein  auch  tausend  pfund,  da 
stiiende  doch  niemcr  ritters  becher  IcereP  Es  ist  ein  scheinlob 
mit  herbem  kern,  ein  seitenstück  zu  84, 14.  Der  Sänger  wills 
mit  dem  wirt  nicht  verderben  und  sieht  mit  belustigter  miene 
dem  bösen  spiele  zu;  dann  fliegt  der  pfeil.  Der  verdeckte 
Vorwurf  ist  zugleich  ein  zeugnis  mehr  für  Walthers  stand.  — 
Die  unverkennbaren  anklänge  der  Parzivalstelle  297, 16  ff.  an 
diesen  sprach.  Hessen  mich  zweifeln,  ob  Wolframs  citat  auf  ein 
verlorenes  gedieht  Walthers  ziele  (Beitr.  33,  7).  Es  war  mir 
die  vielsagende  anspielung  verborgen  geblieben,  die  in  dem 
knappen  worte  steckt  und  die  sich  nur  auf  eine  verschollene 
Strophe  beziehen  kann.  Diese  hatte  ein  biblisches  motiv  als 
spitze  verwertet  und  gehörte  in  eine  reihe  mit  11, 18  (Luc. 
20, 20  ff.),  23, 11  (Daniel  2),  23, 26  (Proverb.  13,  24).  Die  bunt- 
gemischte gesellschaft  in  der  landgrafenhalle  (vgl.  P.  297,  22) 
gemahnt  den  spottlustigen  Sänger,  der  im  gedränge  nicht  zur 
geltung  kommt,  an  die  hochzeit  im  evangelium,  wo  der  könig 
zu  seinen  knechten  sagt:  lte  ergo  ad  exitus  viarum,  et  quos- 
cumque  inveneritis,  vocate  ad  nuptias.  Et  egressi  servi  ejus  in 
vias,  congregaverunt  omnes  quos  invenerunt,  malos  et  bonos: 
et  impletae  sunt  nuptiae  discumbentium  Matth.  22,  9  ff.  Die 
pointe  dieses  Spruchs  hat  Wolfram  citiert:  'guoten  tac,  bees 
unde  guot';  dabei  mochte  ihm  aber  auch  die  gleichgestimmte, 
vielleicht  mit  ihm  verbundene  Strophe  20,  4  im  obre  klingen. 

31,  29  (75,  77).  'sit  hinaht  hie,  sit  morgen  dort',  waz 
gougelfuore  ist  daz.  Die  klangverwanten  Wörter  gougelvuore 
und  gogelvuore,  die  das  Mhd.  wb.  noch  nicht  auseinander  hält, 
werden  bei  Lexer  schon  streng  geschieden.  Das  erste  bedeutet 
'treiben  von  Zauberei  oder  blendwerk'  (vgl.  Gl.  I  768  fascinauü 
pegoukelote,  bigougolota),  das  andere  'treiben  von  possen'.  Im 
nhd.  ist  nur  eine  nebenform  des  zweiten  wortes  lebendig  ge- 
blieben: guglfiüir  Schmeller-Frommann  1 881;  gugelfuahr  Mörike, 


zi     WALTHEB    V<».\    DEB    FOGELWEIDE,  l!»."> 

Stuttgarter  hutzelmännchen;  Jcugelfuhr  .tust.  Kerner,  Dicht.  2,  826. 
Sie  komml  schon  beim  Teichner  vor.  In  der  rede  Von  den  hurten 
rokchen  (Pfeiffers  übungsb.  s.  162  ff.)  lässt  er  die  Dünne  gegen 
eine  neue  tracht  eifern:  Wie  such  man  die  narren  gan  EUeswan 
ze  vaschangJich,  Also  ist  nu  der  myner  ('minner')  gankch  In 
dem  lasterleichen  gewant.  Nu  ist  aber  >  in  ander  tant  Vmb  die 
gugelfuer  gehangen:  Als  ein  dewp  vor  der  schrangen  Mit  ver- 
bunden äugen  stat  (hier  ein  man,  der  veintschaft  hat,  Verceeucht 
auch  die  gugelfur  (1.  gugel  fwr\  dieser  beleg-  bei  Lexer  ist  daher 
zu  tilgen).  Die  erklärnng  von  gogelvuore  aus  gugel  rar  ist 
bemerkenswert,  denn  aus  solcher  Volksetymologie  ist  die  noch 
lebende  nebenform  offenbar  entsprungen. 

Die  beiden  gruppen  gougel,  goukel  und  gogel,  gugel  und 
ihre  ableitungen  werden  im  mhd.  allerdings  nicht  selten  ver- 
wechselt: auch  für  gougelvuore  in  der  bedeutung  von  gogelvuore 
verzeichnet  Lexer  drei  belege,  darunter  Walth.  31, 29.  Dieser 
beleg  ist  indes  zu  streichen,  denn  die  wortform,  die  alle  aus- 
gaben bringen,  ist  nur  die  lesart  von  C  {gogel  jure),  während 
A  und  B  das  richtige  gogel fuore  bieten. 

I  las  wort  wird  in  der  ^'altherstelle  entweder  als  'gaukler- 
leben' (Pfeiffer,  Bechstein)  erklärt,  oder  als  Lebensart,  die  ewig 
wechseil  wie  die  künste  eines  gauklers'  (Paul,  Wümanns,  auch 
Simrock).  Brauchbarem  sinn  gewährt  die  erste  erklärnng,  der 
allgemeinen  bedeutung  von  gougelvuore  wird  nur  die  zweite 
gerecht:  auf  die  richtige  lesart  gogelvuore  aber  passt  kein«-. 

Herman  der  Damen  klagt  einmal  (Jen.  Ldhs.  XXIX  23): 
Mi/n  mvnt  der  hat  sie  uu  gelogen  Myt  lobe  <in  manigen  stunden 
...  Ich  ne  habt  sie  vürdieheyne  (Ldeheine)  vrivnt  Dievryvnt 
rar  mynen  ougen  syni  Vnde  mich  myt  schaden  hynden  vntevndet 
]),  ,■  gougelvüre  (h  gogelvuore)  vntgelte  ich  vil  Die  sie  sus  myt 
myr  triben,  Der  fahrende  Ist  auf  gnade  und  Ungnade  fremder 
gastlichkeil  überliefert  Auch  Walther  erhebt  immer  wider 
kl, Ho-  aber  demutigungen,  mit  denen  er  sein  bleiben  erkaufen 
ums-,  her  wehrlose  Bänger  ist  dem  herrn  und  dem  gesinde 
das  zielblatt  ungefüger  ueckerei:  nä  bin  ich  ali  und  hast  mit 
mir  din  gampelspil,  wirft  er  (67,14)  der  gesellschaft  ?or. 
Schurr  gereizt,  will  er  überhaupt  die  höfe  und  die  gehoßen 
meiden:  ich  WaUher  bi  den  ungehoften  i><tl<ir  beWx  dm 
gumpelspil  1 160,  B9> 


196  WALLNER 

Da  ist  die  Sehnsucht  nach  eignem  herd,  die  Walther  — 
wie  der  alte  Kerling  —  widerholen tlich  ausspricht,  wol  be- 
greiflich. Glücklicher  als  dieser,  darf  er  endlich  dem  könig 
für  eine  heimstätte  danken:  der  edel  Jcünec,  der  mute  künec 
hat  mich  beraten,  das  ich  den  sumer  luft  und  in  dem  winter 
hitze  hän  (28,  34).  Hat  Walther  ein  haus  zum  geschenk  er- 
halten? Der  gewundene  ausdruck  scheint  bloss  anzudeuten, 
er  sei  durch  des  königs  freigebigkeit  in  den  stand  gesetzt 
worden,  sich  ein  heim  zu  gründen.  Diese  hoffnung  erwies 
sich  jedoch  als  trügerisch,  wenn  man  auf  dies  Wien  den  Spruch 
27, 7  (der  Jcünec  min  herrc  lech  mir  gelt  ze  drizec  marken) 
mit  recht  bezieht.  Die  pfründe,  der  gültbrief,  der  so  ansehn- 
liches verhiess  (der  nam  ist  gröz  27, 10),  ist  trotz  der  juristisch- 
gelehrten  anpreisung  durch  des  kaisers  kanzlei  (?  der  pf äffen 
disputieren)  wertlos,  da  die  einkünfte  nicht  einzutreiben  sind. 
Immerhin  ist  durch  die  Schenkung  der  sänger  unter  dem  hof- 
schwarm  des  kaisers  zu  flüchtigem  ansehen  gelangt:  min  näch- 
gebüren  dunJce  ich  verre  baz  getan:  si  sehent  mich  niht  mer 
an  in  butzen  wis,  also  si  täten  (28,36).  Butzen  heissen  die 
zu  jedem  unfug  und  Schabernack  bereiten  fastnachtsnarren: 

Ich  weiss  noch  etlich  fassnachtnarren, 

die  in  der  dorenkappen  bkarren. 

wan  man  heilig  zit  sol  vohen  an, 

so  hindern  sie  erst  iederman: 

ein  teil,  die  dünt  sich  vast  berutzen, 

antlit  und  üb  sie  gantz  ver blitzen 

und  loufen  so  in  böukenwis; 

ir  anscblag  stat  uf  hälem  is.  (Narrenscbiff  110  b). 

Böukenwis  =  butzenwis  'verlarvt';  bögk  'personatus  der  ein 
butzenantlit  tregt'  (Maaler  73  b),  'larva,  terriculamentum' 
(Stalder  1, 202)  DWb.  II 221.  Walther  meint  mit  den  butzen 
wider  seine  quäler *),  die  ihm  so  oft  die  Gumpoltes  gigen  (Helbl. 
9, 142)  anzuhängen  suchten. 

Die  gogelvuore  in  31,  29  ist  der  gampel-  oder  gumpelvuore, 
dem  treiben  der  butzen  gleichzustellen.  'Schabernack  und  possen, 
denen  man  ausgesetzt  ist',  dürfte  den  sinn  des  Wortes  in  der 
Waltherstelle  treffen:  Waz  gogelvuore  ist  dazl  'wie  possenhaft 


')  In  butzen  wis  auf  Walther  zu  beziehen,  wie  durchwegs  geschieht, 
gebt  sprachlich  und  sachlich  nicht  an. 


Zu    WALTHBB    von    DBB    VOGELWEIDE.  197 

wiid  einem  mitgespielt!'  Es  ist  die  kargheit  der  herren,  die 
mit  ihm  gogelvuore  treibt,  wenn  sie  ihn  wie  einen  BpielbaU 
nmlierschleudert  in  der  weit,  ihn  heute  hierhin,  morgen  dort- 
hin wirft 

35,  18  (75,  151).  wünsche  mir  ze  weide,  und  niht  ee 
walcU .-  ich  enkan  niht  nuten.  Zu  den  gesammelten  parallileii 
(Beitr.  33, 26)  ist  noch  eine  von  Simrock-  Wackernage]  Ml  L68) 

beigebrachte  stelle  aus  dem  Welschen  gast  (v.349  it.)  nachzu- 
tragen, in  der  'nur  hofleute  nnd  bauern  nnterschiedeii  werden': 

Bwer  niht  merket  daz  er  siht, 
erne  bezzert  sieb  dfi  von  niht: 
im  mülite  siu  also  msere 
daz  er  da  ze  holze  wsere, 
so  da  ze  hove. 

Mit  recht  sieht  Wackernagel  darin  eine  formel,  die  auch  Kaiser- 
chron.  L2185  durchblicke:  M  soffest  pültcher  da  :<■  holze  vorn, 
danne  di  mägede  hie  (in  sinem  ftove  12180)  bewarn.  Mit  dem 
weäldgenge  (?),  skoggangr  (EA  U334)  hat  aber  Walthers  Ver- 
wünschung nichts  zu  schaffen.  Auch  liegt  dem  Spruche  nicht 
—  wie  die  beiden  herausgeber  annahmen  —  eine  harmlose. 
einladnng  Liupolds  zu  gründe,  der  sänger  möge  mit  ihm  nach 
den  holzfalleni  im  wähle  sehen,  während  dieser  lieber  bei  der 
Hofgesellschaft  auf  dem  nahen  fehle  bliebe.  Daher  gehl  auch 
die  Bchlussfolgerung  fehl;  'die  alliterierende  Zusammenstellung 
vmi  höh  and  hof  musste  Walther  aufgeben,  da  -    und 

ze  höre  diesmal  einerlei  war.'  Die  forme]  wird  nicht  auf- 
gegeben, sondern  umgeprägt  in  ee  walde  ee  weide,  als  der 
zurechtgewiesene  Bpielmann  mit  erzwungenem  Bcherz  von  der 
bösen  anspielung1)  ablenkt  und  dem  herzog  erwidert:  •wenn  es 
dir  in  der  gesellschaft,  die  ich  unterhalte,  nicht  benagt,  so  geh 
du  in  den  wähl       jagen!' 

5C»,  14  (52).  Tr  snff  sprechen  wiUekomen.  Die  Bchluss- 
Strophe  des  liedes  in  der  ha  C  fehlt  A  and  E.  Lachmann 
setzte  Bie  in  folgender  gestall  in  den  text: 

;(7.  LS    Dei  ii  ii  vil  gedienet  bin 

und  iemer  gerne  dienen  «ril, 

i  Vgl.  n. ..  h  Beinrichfl  Trist  1976  nnd  Hngdietricha  worte  Bber  den, 
frit  et  wlhnt,  nnehrlicfa  o  Wolfdietrich 

bometn,  ivn  "  rehi  Wolfd    \ 


108  WALLNER 

diust  von  mir  vil  unerlän: 
iedoch  so  tuot  si  leides  mir  so  vil. 
si  kan  mir  verseren 
20    herze  und  den  muot. 

nü  vergebez  ir  got  dazs  an  mir  missetuot. 
her  nach  mac  si  sichs  bekeren. 

Die  humoristische  schlusspointe  ist  waltherisch:  'was  sie  mir 
zu  leide  tut,  das  möge  gott  ihr  jetzt  verzeihen;  in  Zukunft 
aber  soll  sie  sich  bekehren!'  Die  Strophe  trägt  auch  phraseo- 
logisch Walthers  gepräge:  vgl.  98,  28  der  ich  diene  und  alles 
her  gedienet  hän\  119,3  wol  mac  si  min  herze  seren1):  ivaz 
danne,  ob  si  mir  leide  tuot?  si  mac  ez  wol  verkeren.  Es  bleibt 
also  nur  zu  erwägen,  ob  diese  Waltherstrophe  —  ihre  echtheit 
hat  auch  Lachmann  nicht  bezweifelt  —  an  dem  richtigen 
platze  überliefert  oder  bloss  hierher  verirrt  ist,  da  sie  in  zwei 
hss.  fehlt.  Auch  dieser  zweifei  ist  abzuweisen,  denn  die  Strophe 
ist  an  ihrer  stelle  unentbehrlich.  Einem  minnelied  darf  die 
persönliche  note  nicht  fehlen;  ihm  dient  das  lob  der  frauen 
insgesamt  —  hier  der  deutschen  —  nur  als  folie:  'wenn  ich 
auch  alle  frauen  preise,  die  eine  der  ich  diene,  diust  von  mir 
vil  unerlän!'  So  trägt  Walther  in  91, 17  einem  jungen  man 
lehren  vor  über  den  wert  der  minne  und  der  frauen,  um  in 
der  letzten  Strophe  auf  seinen  eigenen  liebeskummer  anzu- 
spielen. So  wendet  er  sich  in  dem  liede  42, 15  (in  Wacker- 
nagels anordnung)  und  in  92, 17  vom  lobe  aller  frauen  zu 
seiner  dame.  Die  Strophe  53, 15  mit  ihrer  bitte  um  entschul- 
digung',  dass  er  in  fremden  landen  edeln  und  schönen  frauen 
nachfrage,  da  doch  nur  die  sprödigkeit  der  einen  ihm  nahe- 
gehe, wäre  auch  kein  übler  abschluss  für  unser  lied,  an  das 
—  in  117, 15  —  wider  die  verquickung  vaterländischer  sorgen 
mit  dem  liebeskummer  gemahnt:  tverdent  Husche  Hute  ivider 
guot,  unde  trapstet  si  mich  diu  mir  leide  tuot,  so  ivirde  ich  aber 
wider  frö. 

Als  abschluss  des  liedes  56, 14  lässt  sich  also  gegen  die 
plusstrophe  in  C  nichts  einwenden.  Anderseits  ist  leicht  zu 
begreifen,  warum  die  Strophe  in  A  und  E  fehlt.  Das  lied  ist 
viel  gesungen  worden.  Walther  selbst  beruft  sich  einmal 
darauf    (  [wä   nü]    swer    Huschen    wiben    ie    gesprceche    bazl 

l)  57,19  ist  überliefert:  si  kan  seren  mir  herze  und  den  muot. 


ZU  WALTHEB    VON    DBB    VOGELWEIDE.  199 

58,34)  und  weiss,  dass  die  anspielung  verstanden  wird.  Es 
brauchte  nicht  erst  das  zeugnis  im  Franendienst,  wo       b.240 

—  die  erste  Strophe  als  geflügeltes  wort,  als  gemeinplatz  Ver- 
wendung findet,  um  die  weite  Verbreitung  des  liedes  zu  er- 
weisen. Wie  nicht  bald  ein  zweites,  eignet  sich  dieses  lied 
wegen  seiner  allgemeinen  haltung  zum  nachsingen  and  der 
vaterländisch  stolze  ton  musste  allenthalben  freudigen  Wider- 
hall wecken.  Die  letzte  Strophe  aber,  die  diese  allgemeinheit 
zerstört  und  den  prachtvoll  nationalen  ton  am  ausklii 
hindert,  die  hat  sicher  niemand  nachgesungen:  sie  ist  Privat- 
sache des  dichters,  nur  auf  seinen  eigenen  Vortrag  berechnet. 
und  darf  da  allerdings  nicht  fehlen. 

Der  Verlust  einer  Strophe  ist  nicht  die  einzige  entstellung, 
mit  der  das  lied  seine  Popularität  bezahlte.  Es  ergieng  ihm 
ähnlich  wie  dein  berühmten  Spruch  vom  welschen  schrein, 
dessen  Überlieferung  in  A  und  C  ganz  auseinander  geht  und 
der  in  der  einen  hs.  obendrein  eine  derbe  erweiterung  um  fünf 
zeilen  aufweist.  Zersungen  wie  ein  Volkslied  tritt  uns  das 
lied  in  der  Würzburger  hs.  entgegen;  aber  auch  die  texte  von 
A  und  C  spiegeln  keineswegs  dasselbe  gesicht, 

Wie  das  lied,  vielleicht  noch  zu  Walthers  zeit,  im  v<dks- 
mund  umlief,  das  verrät  wenigstens  für  eine  Strophe,  und 
damit  für  die  metrische  gestalt  des  ganzen  liedes.  der  Frauen- 
dienst  [Jnd  darin  kommen  A  und  E  mit  ihm  über  ein,  und 
Lachmann  hat  nach  dieser  gruppe  seinen  text  hergestellt 
hie.  authentische  fassung  ist  das  aber  nicht,  sondern  die  vul- 
gata,  wie  die  schlussstrophe  inC  beweist  Wilmanns,  der  ihre 
echtheil  bezweifelt,  macht  ausser  der  isolierten  Überlieferung 

den     voll     den     Übrige]]     slrnphell     abweichenden     hall     geltend: 

auftakt  in  der  zweiten  und  vierten  zeile.  Er  hätte  Doch 
hinzufügen  können:  Verkürzung  der  fünften  zeih-.  Lachmann, 
der  diese  /.eile  reckte,  vermochte  die  andern  Ungleichheiten 
nicht  zu  ebnen  und  deutele  dies  durch  abrückung  der  Strophe 
an.  Hielt  er  aber  die  Strophe  an  diesem  platze  für  echt  — 
und  sie  Nt  es  ohne  zweifei   -     dann  musste  er  Beinern  texte 

die  hs.  ('    zu  gründe    legen,    die    das    lied    in    einem    andern 

ton  als  A.  !•'..  L  bringt,  eben  in  dem  tone  dieser  Strophe: 


200  WALLNER 

Ir  sult  sprechen  willekomen: 
der  msere  bringet,  daz  bin  ich. 
allez  daz  ir  habt  vernomen, 
dast  gar  ein  wint:  nü  fraget  mich. 
5    ich  wil  miete: 

wirt  min  Ion  iht  guot, 

ich  sage  in  vil  lihte  daz  in  sanfte  tuot. 

seht  waz  man  mir  eren  biete. 

Ich  wil  tiutschen  frowen  sagen 
10    solh  msere  daz  si  deste  baz 

al  der  werlte  snln  behagen. 

an  groze  miete  tuon  ich  daz. 

ze  richeme  löne 

sint  si  mir  ze  her, 
15    so  bin  ich  gefüege  und  bite  si  nihtes  mer 

wan  daz  si  mich  grüezen  schone. 

Tintsche  man  sint  wol  gezogen, 
Als  engel  sint  diu  wip  getan, 
swer  si  schildet,  derst  betrogen, 
20    ich  enkan  sin  anders  niht  verstau, 
reine  minne, 
swer  die  suochen  wil, 

der  sol  komen  in  uuser  laut,  da  ist  wünne  vil: 
lange  müeze  ich  leben  dar  inne. 

25    Ich  hau  laude  vil  gesehen 

und  nam  der  besten  gerne  war: 
übel  müeze  mir  geschehen, 
kuude  ich  min  herze  ie  bringen  dar 
daz  gevallen 


1  sült  alle  E.  2  iu  L,  vch  A,  ü  nüwe  E.  3  habent  C.  4  dest  A, 
daz  ist  E,  allez  für  gar  E,  ir  für  nu  L.  5  aber  AEL.  6  vn  ivirt  0, 
ze  ihte  E.  7  iu  vil]  ü  EL,  vil  A,  fehlt  C.  8  fehlt  L,  sehet  C,  mir 
(lebe  zuo  mite  E. 

10  solichb  A(E),  solhu  C.  12  ane  ACE  (vgl.  70,  2).  13  ivaz  wolde 
ich  zelone  A,  ivirt  mir  E.  14  si  sint  mir  zeher  A,  Sit  si  mir  sint  ze 
her  E.        15  unde  enbite  sie  E. 

17 — 20  Falsches  volk  ist  gar  betrogen  sie  enkünnen  eren  niht  began 
tusche  man  sint  ivol  gezogen  reht  als  engel  sint  die  wip  getan  E. 
18  rehte  A.  19  schüfet  derst  gar  A.  21  tvgent  vn  reine  minne  AC, 
fraude  und  E.        24  wonen  E. 

26  vn  nam  der  beste  A.  28  hvnde  A,  künde  E,  min  hertze  ie  E, 
bringe  A.  29  daz  ime  ivolde  wol  gevallen  AC,  daz  mir  gevallen  wolle 
tobende  säe  E. 


ZD    WALTHEB   VuN    DER    VOGELWEIDE.  201 

30    wolde  im  frümder  site. 

nü  waz  hülfe  mich,  oh  ich  onrehte  strite? 
tiutschiu  znht  gat  vor  in  allen. 

Von  der  Elbe  unz  an  den  Rin 

und  wider  nnz  au  Fngerlant 
35    BÖ  mögen  wo]  die  besten  sin 

die  ich  in  der  werfte  hau  bekant. 

kan  ich  schouwen 

guot  geläz  und  Up, 

sein  mir  gut,  BÖ  Bwtiere  ich  wol  daz  da  diu  wlp 
■40    bezzer  sint  danne  ander  frowen. 

Der  ich  vil  gedienet  hau 
und  iemer  gerne  dienen  wil. 
diu  ist  von  mir  vil  unerlän: 
so  tuot  si  Leides  mir  sO  vil. 
45    si  kau  seren 

herze  mir  und  den  muot. 

nfi  vergebez  ir  got  daz  si  an  mir  missetuot; 

her  nach  —  mac  si  sichs  bekeren! 

Der  abweichende  ton  ist  in  der  lis.  C  nicht  durchaus  fest- 
gehalten worden,  denn  ihr  lag-  ja  das  lied  auch  in  der  fassung* 
der  A-quelle  vor.  wie  die  Strophe  Ich  hän  lande  vil  gesehen 
zeigt,  die  mit  allen  fehlem  von  daher  übernommen  wurde: 
htmde  ich  ie  min  herze  bringen  dar  (E  Jcönde  ich  min  hertze 
ie  b.  rf.i  da£  im  woldewol  gevallen  \  frömder  site  (E  da*  mir 
gev allen  wölte  tobende  site).  waz  huJfe  mich  etc.  (K  nu  was. 
//.  »>.).  Von  dieser  verderbten  stellt-  abgesehen,  ist  die  zwei- 
hebig  klingende  fünfte  zeile  nur  ein  einziges  mal  geschwellt 
(tugent  und  reine  minne)  und  so  darf  man  wol  auch  das  für 
eine  'aufbesserung'  aus  A.C  halten. 

Wir  stehen  nun  vor  der  frage:  welcher  ton  isl  der  ur- 
sprüngliche?   Da  entscheidet  dietatsache,  dass  die  änderungen 


;:i  m  K.  fehlt  Ä.C,    vil  rehte  A  tUei  wtir  vor  m  B 

:;i   her  wider  A.      wider  her  E  tu   der  mgerlanl   \. 

ngeüatü  B.     :>."»  da   v  \.    - rkm  I  A l". 

.'(7    rehte  sehowen   \.    kenU  ich  rehter  frawoen  B.       38  guete  E, 

/•//  den  C,    top  A.       B9  lomer  goi  E,  Fehlt  a.    hie  AK.       40  sehoener  B, 

andei  dort  dit   E 

41     18  fehlt   in  AK.        u    iedoch   C.  l»i   mir  i/u>  herze  vH  den 

muul  i 


202  WALLNER 

in  C  sich  nirgends  als  nachträgliche  kürzungen  verraten.  Es 
handelt  sich  durchwegs  um  den  ausfall  von  flickwörtern,  wie 
sie  das  streben  nach  trivialer  deutlichkeit  mit  sich  bringt: 
der  in  —  nüive  setzt  E  noch  hinzu  —  mcere  bringet,  daz  bin 
ich;  vgl.  Dietrichs  flucht  2762   der  mcere   bringet  das  bin  ich. 

—  ich  ivil  aber  miete;  den  sinn  'ich  verlange  natürlich  lohn' 
kann  mündlicher  Vortrag  auch  ohne  dies  aber  deutlich  machen. 

—  waz  wolde  ich  ze  löne?  si  sint  mir  ze  her;  das  ist.  mit  der 
lesart  von  C  verglichen,  eine  noch  dazu  schlecht  bezeugte 
vulgarisierung.1)  —  daz  gefallen  \  ivolde  in  frömeder  site;  die 
ungewöhnliche  Wortfolge  konnte  im  volksmund  natürlich  nicht 
erhalten  bleiben.  —  Jean  icli  scliomven  'verstehe  ich  zu  prüfen' 
entbehrt  das  flickwort  rehte  ebenso  leicht,  wie  die  zeile  als 
engel  sint  diu  wip  getan.  So  verstärkt  A  in  der  nächsten 
zeile  auch  das  betrogen  durch  ein  gar. 

Durchwegs  dienen  also  die  pluswörter  nur  zur  verflachung 
und  Verdeutlichung  lakonischer  oder  ungewöhnlicher  Wendungen 
und  zu  volkstümlicher  Unterstreichung  des  sinnes,  und  es  ist 
nicht  nötig,  anpassung  des  textes  an  eine  andere,  bekanntere 
melodie  zu  vermuten.  Wie  die  sichtlich  aus  mündlicher  tra- 
dition  stammende  fassung  in  E  zeigt,  muss  die  musikalische 
ausgleichung  dieser  und  ähnlicher  metrischer  Schwankungen 
nicht  unmöglich  gewesen  sein. 

Ich  kann  diese  erörterung  nicht  schliessen,  ohne  der  jüngst 
von  Nickel  (Sirvehtes  u.  Spruchdichtung  s.  21)  vorgebrachten 
hypothese  über  die  veranlassung  des  liedes  zu  gedenken. 
Nickel  sieht  darin  eine  entgegnung  auf  Peire  Vidals  schmäh- 
verse  gegen  die  Deutschen  (41,2.  4,8).  Der  verrückte  troubadour 
weilte  1196/97  in  Ungarn,  wo  die  eine  seiner  schmähstrophen 
entstand,  und  Walthers  verse,  die  ja  an  Ungarns  grenze  zuerst 
gesungen  wurden  (56,  39),  seien  die  antwort:  tiusclie  man  sint 
wol  gezogen,  relit  als  enget  sint  diu  wip  getan,  swer  si  scJiildet, 


J)  Ein  iudirectes  zeugnis  für  die  eebtbeit  der  lesart  von  C  ze  richeme 
löne  bietet  die  von  Wilmanns  angezogene  reminiscenz  an  56,  26  ff.  bei  Waltber 
von  Klingen  (MSH.  1,  73b):  nu  gere  ich  anders  niht  von  in  ze  dienest- 
Hchem  löne  wan  sivä  ich  bi  guoten  vrouwen  bin,  daz  si  mich  grüezen 
schöne.  Vgl.  aueb  Waltb.  49,  12:  Ich  sanc  hie  vor  den  frowen  umbe  ir 
blözen  gruoz:  den  natu  ich  wider  minem  lobe  ze  löne.  Swä  ich  des  geltes 
nü  vergebene  warten  muoz,  da  lobe  ein  ander,  den  si  grüezen  schöne. 


Zu    WALTHEB    VON    DER    VOGELWEIDE. 

derst  betrogen.  Gegen  diese  bezielmng  spricht  so  ziemlich  alles. 
Walther  preist  die  deutschen  frauen  und  das  hebt  er  seihst 
hervor,  wo  ersieh  auf  dies  lied  beruft  (58,34.  19,12),  und 
gegen  die  heimischen  Verächter  des  frauendiensts,  gegen  das 
'scheiden  wip'  ist  die  zeile  s/nr  si  schildet,  derst  betrogen  ge- 
richtet. Der  Romane  aber  greift  nur  die  männer  an,  die  er 
als  tölpelhaft,  schurkisch,  schlecht  und  undankbar  beschimpft. 
Aul  solche  anwürfe  hätte  Walther  nicht  mit  gelassenem  lächeln 
in  einem  minnelied  erwidert,  sondern  durch  einen  scharfen 
sprach.  Die  Strophen  Vidals  (lim  — 1197  entstanden,  vgl. 
Schultz-Gora,  Lithl.  1908,8.322)  und  Walthers  antwort  würden 
auch  weit  auseinander  liegen,  denn  das  lied  zeigt  Walthers 
reifste  arl  und  man  wird  von  dem  terminus  ad  quem,  den  der 
Frauendienst  gewährt,  nicht  zu  weit  nach  vorne  gehen  dürfen. 
Mass  das  lied  in  Wien  entstanden  sei,  ist  eine  recht  luftige 
Vermutung,  denn  die  lesarl  her  wider  würde  —  auch  wenn  sie 
gesichert  wäre  -  -  nur  verraten,  das  das  lied  nicht  am  Rhein 
entstand.  Nickels  schwächste  stütze  ist  aber  die  lesart  in  E 
Falsches  volk  ist  gar  betrogen,  wofür  Haupt  vorschlug,  rValschee 
voUc  zu  lesen.  Wäre  die  conjeetur  richtig,  dann  hätte  diese 
fassung  gewiss  nicht  frömecL  site  in  tobende  site  geändert  und 
vngerUmt  in  engellant 

101,)J0  (84,8).  ich  hure  din  ungefüege  in  friundes  s\ 
her  metaphorische  ausdruck  wird  erst  verständlich,  wenn  man 
an  das  alte  symbol  der  adoption  und  Vormundschaft  denkt,  an 
das  schosssetzen  und  beschlagen  mit  dem  mantel:  RA  I  6 
und  DWb.  IV  2552  (gehrhab),  2548.  Natürlich  ist  hier  nicht 
an  wirkliche  Vormundschaft  zu  denken:  'wie  ein  Vormund  für 
Beinen  mündel,  trat  ich  für  deine  zuchtlosigkeit  ein.'  Ein 
grund,  den  ausdruck  ichuole  in  v.  33  bloss  bildlich  zu  nehmen 
und  Walther  zum  politischen  ratgeber  könig  Heinrichs  zu 
machen,  liegl  nicht  vor.  I>ie  Prophezeiung  für  den nachfolger 
in  der  schuoli  hat,  da  stii  sin  Jcunst 

sunder  obedach  kann  wol  nur  aui  einen  zuchtmeister  gehen. 
Walther  tritt  ans  hier  in  dem  Bpielmannsaml  des  erziehen  eines 
vornehmen  knaben  entgegen  (Wackernagel,  I  inn    17 

GB  \X.  I5.dec  I  \\T<>\  WALLNER 


WALTHER  66,15. 

Dass  von  der  nur  in  C  überlieferten  Waltherstrophe  66, 13-20 
Swie  liep  si  mir  von  herzen  si, 
so  mac  ich  doch  vil  wol  erliden 
15    daz  ich  ir  si  zem  besten  bl: 
ich  darf  ir  werben  da  niht  niden 

u.s.w.  die  zeile  15  verderbt  ist,  dürfte  feststehen,  ebenso  aber 
auch,  dass  eine  völlig  befriedigende  heilung  der  stelle  noch 
nicht  gefunden  ist.  Von  älteren  Vermutungen  führt  Wilmanns, 
Walther2  (1883)  s.  467  an:  daz  ich  ir  sihe  ze  manegen  bi  Lach- 
mann,  daz  ich  ir  si  zem  lesten  bi  Wackernagel,  daz  ich  ir  si 
zen  besten  bi  Simrock.  Von  diesen  hat  keine  in  die  neueren 
ausgaben  eingang  gefunden,  und  mit  recht,  denn  keine  gibt 
einen  brauchbaren  gedanken  (die  von  Simrock  dürfte  übrigens 
den  meisten  lesern  wol  ebenso  unverständlich  sein,  wie  mir; 
vgl.  s.  205,  anm.).  Sonst  ist  mir  nur  noch  der  zweifelnde  Vor- 
schlag von  Scherer,  Anz.  fda.  10,  310:  daz  ich  ir  sihe  geste  bi 
bekannt  geworden,  der  Lachmanns  sihe  (das  als  indicativ  hier 
an  sich  schon  etwas  befremdlich  ist)  aufnimmt,  mit  geste  aber 
näher  an  dem  besten  der  hs.  bleibt.  Deswegen  mag  wol  Wil- 
manns diese  lesung  in  die  zweite  aufläge  seiner  kleinen  text- 
ausgabe  (Halle  1905,  no.  63, 19)  aufgenommen  haben.  Paul 
lehnt  sie  dagegen  stilisch weigends  mit  ab  (Walther3,  Halle 
1905,  no.  32, 19) ,  und  ich  kann  das  nur  billigen.  Denn  ich 
sehe  nicht,  was  die  geste  hier  sollen.  Zumal  bei  Walthers 
ganz  prägnanter  gebrauchsweise  des  wortes  gast  (s.  die  stellen 
bei  Horning  s.  102)  könnte  der  satz  ja  nur  heissen  '  dass  ihr 
fremde  ins  haus  gekommen  sind',  und  das  steht  wenigstens 
für  mich  nicht  in  einem  greifbaren  bezug  zu  den  getrogenen 
und  dem  rüemic  man  von  66, 19  f.,  zu  denen  doch  irgend  eine 
brücke  hinüberführen  muss  (weiteres  dazu  unten  s.  205  f.).  So 
mag  es  denn  gestattet  sein,  einem  fünften  emendationsversuch 


WALTHER  66,  15.  205 

räum  zu  geben,  der  mir  vor  jähren  einmal  eingefallen  ist,  und 
für  den  änsserlich  vielleicht  mit  spricht,  dass  er  Bich  (wie  ich 
erst  jetzt  beim  niederschreiben  dieser  zeilen  bemerke)  der  all- 
gemeinen gedankenrichtung  aach  mit  einer  anffassnng  berührt, 
der  Simrock  in  den  späteren  ausgaben  seiner  Übersetzung  aus- 
druck  verliehen  hat 

Der  grundgedanke  der  Btrophe  ist  ja  klärlicli  in  66,  17  f. 
ausgesprochen:  Walt  her  fürchtet  keine  concurrenz,  die  ihm 
bei  der  geliebten  schaden  könnte,  und  brauchl  sie  nicht  zu 
fürchten,  wie  er  uns  selbstbewusst  versichert.  Lieg!  es  da 
nicht  nahe  zu  vermuten,  in  der  verderbten  zeile  habe  ursprüng- 
lich etwas  gestanden,  was  den  begriff  jener  concurrenz  näher 
definierte,  und  zwar  nach  der  steigernden  seite  hin:  "keine 
concurrenz,  wenn  sie  auch  noch  so  gefährlich  aussieht',  oder 
'keine  concurrenz,  und  wenn  ich  auch  mit  den  besten  wett- 
eifern muss'?  Etwas  ähnliches  hat.  wie  angedeutet,  offenbar 
schon  Simrock  herausgefühlt,  wenn  er  (no.  137  der  6.  ausgäbe) 
übersetzt:  'So  mag  ich  doch  nun  wol  erleiden.  Steht  auch  dem 
besten  zutritt  frei.'1)  Das  wäre  denn  mhd.  vermutlich 
du  ich  ie  si  den  besten  bl, 

d.  h.  'ich  bin  ganz  damit  zufrieden,  mich  immer  nur  den  besten 
bewerben!  zuzugesellen:  auch  von  diesen  wird  ja  keiner  mir 
eintrag  tun  können.1  Damit  gewinnt  auch  das  ir  von  z.  IG 
{ich  darf  ir  werben  da  niht  nideri)  eine  feste  beziehung,  and 
der  gedanke  wie  der  vorgeschlagene  ausdruck  hat  eine  stütze 

an  ^0.  _  Frouwe,  enl&t  Luch  niht  venlriezen 

iniinT  rede,  ob  ri  gevnege  si. 
86,  1     mShte  ii-ha  wider  iueh  geniesen, 

b6  \v;ir  ich  den  besten  gerne  bt 

heim  auch  da  Bagl  ja  Walther,  dass  er  nur  mit  den  besten 
wetteifern  wolle,  wenn  die  dame  ihm  das  zum  guten  anzurechnen 
bereit  Bei  |  aber  rerwante  gedanken  &  Wilma  im-,  Leben  Walthers 
s.  188  nebst  den  zugehörigen  anmerkungen).  — 

Hart  bleibt  freilich  auch  bei  dieser  auffassung  der  Über- 
gang auf  66,  19  i..  denn  man  wird  schwerlich  annehmen  dürfen, 
dass  die  getrogenen   und   i  iemigen  den  besten  gleichzusetzen 

')  Etwas  ähnliche!  mag  ftimroob  wo]  aneh  mit  -  ;>  w  H 

ut  haben:  aber  die*'  geben  dai  nicht  her. 


206  SIEVKRS 

seien,  von  denen  Walther  eben  gesprochen  hat.  Die  rüemigen 
speciell  sind  ja  offenbar  die  eitlen  prahler  (vgl.  namentlich 
41, 16.  25),  dann  aber  die  getrogenen  auch  gewiss  diejenigen, 
die  sich  leerer  hoffnung  hingegeben  haben,  ohne  die  grundlage 
inneren  wertes,  der  sie  zu  einer  hoffnung  berechtigt  (zum  aus- 
druck  vgl.  mich  entriege  ein  wän  120,37,  auch  116,7;  auch  an 
Hartmanns  kreuzlied  MF.  218,  21  f.  mag  man  mutatis  mutandis 
erinnern):  beide  aber  hätte  Walther,  der  so  oft  den  gegensatz 
zwischen  dem  edlen  und  unedlen  werber  betont,  gewiss  nicht 
den  besten  zugerechnet,  deren  mitwerben  er  sich  siegesgewiss 
gefallen  lassen  will.  Innerhalb  unserer  Strophe  finden  also 
die  beiden  Schlusszeilen  wol  keine  ausreichende  erklärung. 
Aber  die  ganze  Strophe  steht  ja  so  wie  so  ohne  äussern  an- 
schluss  da  (das  hat  Scherer  a.a.O.  ganz  richtig  betont,  und 
auch  Wilmanns  hat  die  Strophe  danach  in  der  textausgabe  von 
1905  wider  von  den  beiden  vorhergehenden  abgetrennt),  und 
ihr  inhalt  ist  wol  auch  nicht  so  geschlossen  und  abgerundet, 
dass  man  sie  sich  gerne  von  vornherein  so  isoliert  entstanden 
dächte,  wie  sie  in  der  Überlieferung  dasteht.  Ich  möchte  also 
vermuten,  dass  ihr  ursprünglich  noch  mindestens  eine  andere 
Strophe  vorausgegangen  sei,  auf  deren  inhalt  Walther  mit  den 
Schlusszeilen  66, 19  f.  zurückgegriffen  habe.  Was  im  einzelnen 
darin  gestanden  haben  möge,  lässt  sich  natürlich  nicht  sagen, 
aber  man  möchte  fast  meinen,  eine  energische  absage  an  alle 
unedlen  werber,  aus  dem  munde  der  dame  (eventuell  durch 
den  mund  Walthers)  sei  doch  dabei  gewesen.  Waren  dadurch 
die  unedlen  von  weiterem  werben  ausgeschlossen,  so  konnte 
Walther  recht  wol  fortfahren,  dass  er  auch  den  mitbewerb 
der  besten  nicht  fürchte:  denn  niemand  werde  seine  dame 
wankend  machen  können:  'das  <  aber  >  freut  mich,  dass  jene 
betrogenen  [die  sich  eitler  hoffnung  hingegeben  haben]  nun 
erfahren,  was  sie  getäuscht  hat  [nämlich  ihr  eigner  unwert], 
und  [formell  parataktisch  anknüpfend,  dem  sinne  nach  aber 
begründend,  =  'denn']  schon  lange  hat  mich's  verdrossen 
{mir st  . . .  alze  lanc),  dass  prahler  zu  ihr  zutritt  fanden'.  *)  — 


J)  Die  Übersetzung  der  letzten  zeile  ist  natürlich  ungenau,  aber  sie 
muss  es  sein,  weil  sieb  bei  Walther  offenbar  zwei  gedanken  gekreuzt  haben, 
nämlich  'mich  hat  verdrossen,  dass  prahler  zu  ihr  zutritt  gefunden 
haben'  und  'mich  verdriesst's,  wenn  ein  prahler  je  (iemer,  auf  die  zu- 


WALT HUR  66,  15. 

Wenn  die  üben  empfohlene  conjectur  das  richtige  trifft, 
so  hat  sie,  um  auch  das  nicht  zu  übergehen,  zugleich  noch  den 
vorteil,  dass  sie  sich  auch  formell  dem  sprachmelodischen  typus 
des  gedichts  gut  einfügt,  was  man  weder  von  dem  überlieferten 
text,  noch  von  den  andern  erwähnten  vorschlagen  sagen 
kann.  In  den  vierhebigen  versen1)  der  drei  dem  tone  nach 
zusammengehörigen  Strophen  bilden  nämlich  die  hebungen  nach 
niederdeutscher  Intonation  eine  (übrigens  bei  Walther  ausser- 
ordentlich beliebte)  gleichmässig  aufsteigende,  nach  hoch- 
deutscher gleichmässig  absteigende  tonreihe  (also  niederdeutsch 

.  '  *  ,  hochdeutsch  "  •  .  ,  beidemal  mit  nur  kleinen 
tonschritten),  und  so  auch  bei  der  lesung  acut  ich  ic  si  den 
besten  M.  Bei  den  andern  leseweisen  aber  wird,  wie  die  probe 
leicht  zeigen  kann,  die  sonst  glatte  reihe  irgendwie  gebrochen, 
am  auffälligsten  bei  der  von  Scherer  vorgeschlagenen  dag  ich 
ir  sihe  </cste  Vi.  Bei  ihr  springt  das  wort  geste  nach  nieder- 
deutscher intonation  übermässig  in  die  höhe,  und  bi  fällt  dann 
wider  nach  unten  ab,  und  umgekehrt  bei  hochdeutscher  intona- 
tion (also  niederdeutsch  .  •  .  ,  hochdeutsch  •  ,  ; 
ausserdem  verschiebt  sich  bei  ihr  das  niveau  der  ganzen  zeile 
gegen  das  der  übrigen  (nach  oben  bei  niederdeutscher,  nach 
unten  bei  hochdeutscher  intonation). 

Man  wird  allerdings  dieser  auffassung  der  sprachmelo- 
dischen form  unserer  Strophen  und  überhaupt  der  fordernis 
melodischer  constanz  vielleicht  die  eingangszeilen  65, 33 

In  einem  zwivellichen  wän 
was  ich  gesezzeu,  uud  gedähte 

u.s.w.  entgegenzuhalten  geneigt  sein,  denn  hier  hat  die  erste 

zeile  ja  unzweifelhaft  auch  einen  brach  (niederdeutsches  Schema 

•    *    #,   hochdeutsches  '    •    .    *  ),  nicht  eine  glatte  ton- 


kunft  deutend;  bei  ilir  zutritt  findet'  (sc.  wie  das  nach  den  gesellschaft- 
liehen  Verhältnissen  nicht  zu  umgehen  ist).  Wilmanns1  omschreibnng: 
'ea  freut  mich,  wenn  die  betrogenen  liebhabet  .-ir  rechl  kennen  lernen,  und 
doch  dauert  es  allzu  lang,  dass  rie  mit  ihnen  verkehrt'  kann  ich  mit  den 
textworten  nicht  recht  in  einklang  bringen  Audi  bei  dieser  auffassung 
bleibt  übrigens  das  ienter  ein  stein  des  anstosses,  Heber  die  annähme  einer 
gedankenkreusung  wird  man  also  wol  auf  keinen  fall  hinwegkommen. 

')  Gleichviel  oh  mit  stumpfem  oder  klingendem  ausgaug:  auf  •  1  i <l- 
Iftngeren  verse  brauchl  hier  oichl  eingegangen  zu  werden. 


208  SIEVERS,   WALTHER   66,  15.    —    LITERATUR. 

reihe.  Dem  gegenüber  wird  es  aber  wol  genügen,  auf  Lach- 
manns anmerkung  zu  verweisen:  'der  dativus  ivän  ist  unrichtig: 
soll  man  lesen  Uf  einen  zivivellichen  wänV  (vgl.  auch  Wilmanns 
zur  stelle  und  s.  29  f.).  Der  melodische  anstoss  trifft  also  auch 
hier  wider  mit  einem  anstoss  anderer  art  zusammen,  und  so 
wird  man  nun  nicht  mehr  zweifeln  dürfen,  dass  der  dativ  hier 
wirklich  'falsch'  ist  und  durch  einen  acc.  ersetzt  werden  muss 
(einerlei  wie  man  über  die  frage  des  eventuellen  uf  denkt). 
Stellt  man  diesen  acc.  ein,  so  erscheint  sofort  auch  die  un- 
gebrochene tonreihe  wider,  die  ich  als  für  unsere  Strophen 
charakteristisch  und  verbindlich  ansehe. 

Im  vorbeigehen  sei  dann  noch  angemerkt,  dass  auch  in 
66, 14  so  mac  ich  doch  <  vil  >  wol  erliden  die  melodischen 
Verhältnisse  gebieterisch  die  von  Lachmann  vorgeschlagene 
ergänzung  (vil)  fordern.  Ohne  sie  fällt  die  zeile  (um  von  son- 
stigem abzusehen)  wider  aus  dem  niveau  des  übrigen  heraus. 

LEIPZIG,  19.  november  1908.  E.  SIEVERS. 


LITERATUR. 

(Verzeichnis  bei  der  redaction  eingegangener  Schriften). 

Brandstetter,  Joseph  Leopold,  Die  Rigi  und  der  Pilatus,  zwei  grenz- 
steine  zwischen  Helvetien  und  Rhätien  (Sep.-abdr.  aus  dem  Geschichtsfreund 
hd.  LX1II).  Staus  [1909].  —  42  s. 

Brockstedt,  Gustav,  Das  altfranzösische  Siegfriedslied.  Eine  recon- 
struction.  Mit  einem  schlusswort:  zur  geschichte  der  Siegfriedssage.  Kiel, 
R.  Cordes,  1908.  —  XII,  178  s. 

v.  Grienberger,  Theodor,  Das  Hildebrandslied  (Sitzungsber.  d.  Wiener 
Akad.  phil.-hist.  cl.  158.  band,  6.  abh.).    Wien,  Holder  1908.  —  109  s. 

Hugo  von  Trimberg,  Der  Renner,  hg.  von  Gustav  Ehrismann. 
Band  II  (Bibliothek  des  Literar.  Vereins  in  Stuttgart  248).   Tübingen  1909. 

-  315  s. 

Kauflfmann,  Friedrich,  Zur  textgeschichte  des  opus  imperfectum  in 
Matthaeuin  (Festschrift  d.  univ.  Kiel).  Kiel,  Lipsius  &  Tischer,  1909.  —  49  s. 

Kluge,  Friedrieh,  Etymologisches  Wörterbuch  der  deutschen  spräche. 
7.  verbesserte  und  vermehrte  aufläge.  1.  lieferung  A — Fohlen.  Strasshurg, 
Trübner,  1909.  —  144  s. 

Meier,  John,  Werden  und  leben  des  volksepos.  Rede,  geh.  d.  15.  nov. 
1907  am  jahresfeste  der  univ.  Basel.    Halle,  Max  Niemeyer,  1909.  —  54  s. 

Paul,  Hermann,  Prinzipien  der  Sprachgeschichte.  4.  aufläge.  Halle, 
Max  Niemeyer,  1909.  —  XV,  428  s. 

Vogt,  Friedrich,  Der  bedeutungswandel  des  Wortes  edel.   Rede  beim 
antritt  des  rectorats  gehalten  am  18.  october  1908.   Marburg,  Elwert,  1908. 

—  36  s. 


RELIGIONSGESCHICIITLICHE  BEITRÄGE 
ZUM  GERMANISCHEN  FRÜHCHRISTENTUM. 

I.    Der  jenseitsgedanke  in  der  angelsächsischen 
dichtung. 

Das  frülichristentuin  der  Germanen  ist  beherscht  von  der 
zweckidee.  Ein  naiver  und  massiver  eudaimonismus,  die  aus- 
siclit  auf  belohnung  im  himmelreich,  bildet  den  kern  des 
religiösen  bewusstseins.  'Man  wird  mitglied  der  kirclie,  um 
teil  zu  haben  an  ihren  Segnungen,  zunächst  am  ewigen  Seelen- 
heil' (Haase,  Kirchengesch.  2,47).  Augustinus,  der  apostel  der 
Angelsachsen,  gewann  für  seine  neue  lehre  dadurch  zutritt  zu 
dem  kentisehen  könig  Aethelbert,  dass  er  ihm  verkündigte:  se 
nuntium  ferre  Optimum,  qui  sibi  obtemperantibus  aeterna  in 
caelis  gaudia  et  regnum  sine  fine  cum  deo  vivo  et  vero  futurum 
sine  ulla  dubietate  promitteret  (Beda,  Hist.  Eccl.  I  25).  Die 
bange  ungewissheit  über  den  zustand  nach  dem  tode  machte 
die  gemüter  empfänglich  für  die  aufnähme  der  christlichen 
lehre.  Als  könig  Edwin  von  Northumberland  seine  rate  wegen 
einführung  des  Christentums  befragte,  antwortete  einer  der  vor- 
nehmen, indem  er  das  leben  des  menschen  mit  einem  durch 
den  künigssaal  fliegenden  sperling  verglich1): 

talis  mihi  videtnr  Tita,  rex,  bominnm  praesens  in  terris  ad  compara- 
tiouem  ejus,  ijuod  nobü  incertam  est,  temporis,  quäle  cum  fce  residente  ad 
eenam  mm  dncibna  ac  ministris  tnia  tempore  brumali,  accenso  qnidem  foco 
in  medio  ei  calido  effecto  cenacnlo,  farentibua  antem  foria  per  omnia  tur- 
binibna  biemalinm  plnviarum  vti  oivinm,  adveniensqne  onus  passernm 
doinuin  oitissime  pervolaverit;  qui  cum  pez  annm  osüam  Ingrediens  mox 
i"i  aliud  exierit  ipso  qnidem  tempore,  quo  intua  est,  biemia  tempei 
non  tangitnr,  aed  tarnen  paryissimo  Bpatio  serenitatia  ad  momentnm  ex- 
cursc»,  mos  de  bieme  in  biemem  regredieni  tnia  oonlii  elabitnr.    Ita  baec 


»)  Beda  II  L8, 

Beitrage  zur  geichichtc  der  deutschet!  Ipamch«,     XXXV.  14 


210  EHRTSMANN 

vita  liominum  ad  modicum  apparet;  quid  autem  sequatur 
quidve  praecesserit,  prorsus  ignoramus.  Unde  si  liaec  nova 
doctrina  certius  aliquid  attulit,  merito  esse  sequenda  videtur. 

Das  heidentum  gab  darüber  keine  auskunft,  der  christ- 
liche priester  aber  wusste  antworte  er  wusste,  wie  es  um  die 
zukunft  der  seele  bestellt  war  und  schilderte  der  heilsbegierigen 
menge  die  wonnen  der  himmlischen  herrlichkeit  oder  auch  die 
schrecken  des  gerichtes  und  der  hölle.  Das  hatte  erfolg.  Quid 
mora?  Crediderunt  nonnulli  et  baptizabantur,  mirantes  sim- 
plicitatem  innocentis  vitae  ac  dulcedinem  doctrinae  eorum 
caelestis  (I  26). 

Einer  von  denjenigen,  welche  dem  angelsächsischen  volke 
die  dinge  vor  und  nach  dem  leben  eröffnete,  war  auch  Caedmon, 
denn  ihm  war  im  träum  die  stimme  geworden :  Canta  principium 
creaturarum  (Beda  IV  24  [22]),  und  sein  erstes  lied  galt  dem 
urheber  des  himmlischen  reichs,  dem  schöpfer  himmels  und  der 
erde  und  des  menschen.    Und  später,  berichtet  Beda  weiter, 

canebat  autem  de  creatione  muudi  et  origine  humaui  ge- 
il er  is  et  tota  genesis  historia,  de  egressu  Israel  ex  Aegypto  et  ingressu 
iu  terram  repromissionis,  de  aliis  plurimis  sacrae  scripturae  historiis,  de 
incarnatione  dominica,  passione,  resurrectione  et  ascensione  in  caelum,  de 
spiritus  sancti  adventu  et  apostolorum  doctrina.  Item  de  terrore  futuri 
iudicii  et  horrore  poenae  gehennalis  ac  dulcedine  regni  cae- 
lestis multa  carmina  faciebat. 

Also  die  ganze  heilsgeschichte,  und  damit  den  Ursprung 
der  menschheit  und  ihren  ausgang,  jene  dunkeln  gebiete,  über 
welche  die  heidnischen  priester  keine  auskunft  wussten,  er- 
klärte Caedmon. 

Und  so  enthalten  auch  die  ersten  worte,  die  Jesus  als 
lehrer  im  Heliand  spricht,  die  frohe  botschaft  vom  himmel- 
reich:  nu  is  it  al  gefullot  so,  so  Mr  aide  man  er  himanna 
spräcim,  gelietun  eu  te  helpu  JiedenriJd:  nu  is  it  giu  ginähiä 
thurh  thes  neriandan  craft:  thes  motun  gi  neotan  fönt,  so  huue 
so  gerno  uuili  gode  theonogean,  uuirkean  aftar  is  uuilleon 
1141  ff.  Das  ist  gleich  das  thema  des  ganzen  gedientes: 
Christus  ist  der  lehrer,  der  das  himmlische  heil  verkündigt, 
und  erlangen  werden  es  die  zum  lohn,  welche  an  seine  lehre 
glauben  (vgl.  Engl.  Studien  37, 281). 

Auch  in  den  glaubensanschauungen  steht  das  altsächsische 
gedieht  näher  zu  den  verwanten  Angelsachsen   als  zu  dem 


ZUM    CKUMAN'ISCIIKX    IKM  Hl  I  Kl  -  ITA' H  M.  211 

fremderen  hochdeutschen  Christentum.  A.ber  die  grundstimmung 
isl  bei  Otfrid  dieselbe,  dass  das  Christentum  heilslehre  ist 
iini]  der  glaube  das  heil  bringt,  denn  gleich  am  abschluss  der 
ersten  Widmung,  an  könig  Ludwig,  stellt  er  als  /weck  seines 
dichtens  auf  (v.  87 — 91):  Themo  dihton  ih  thie  buah;  oba  >  r 
habet  iro  ruäh,  odo  < >■  thcu  giweieit,  ihn:  er  sa  lescm  heiait: 
Kr  hiar  in  thesen  redion  mag  h>>mi  evangelion,  was  krist  in 
flu  u  gibieie  Frankono  thiete.  Regula  therero  buaehi  uns  zeigot 
himilrichi  (vgl.  C.  Pfeiffer,  Otfrid,  der  dichter  der  evangelien- 
harmonie  im  gewande  seiner  zeit  s.  107), 

Im  angelsächsischen  nun  ist  die  Vorstellung-  vom  jenseits 
in  eine  ganz  bestimmte  form  gekleidet:  das  himmelreich  isl 
die  wohnung,  das  erbgut,  die  heimat  In  den  freieren,  nichl 
unmittelbar  an  einen  biblischen  text  gebundenen  dichtungen 
ist  dies  ein  beliebtes  motiy.    Es  begegnet: 

miil  sin  gescefta  [ordfroman]  ceosan  us  eard  in  wuldre,  mid  ealra 
cyninga  i>niii-i-.  <<■  is  Criat  genemned  Satan  204;  paar  is  brade  lond, 
byhtlicra  harn  in  heofonrice  Criate  gecwemra.  Dton  acerran  j>i«ler,  da?r  he 
Bylfa  Bit,  Bi^ora  weidend,  drillten  hauend  in  dsam  deoran  ham  216;  Nn  u 
jesem-  pml  wf  geaynjodon  appe  on  earde  230;  pset  vre  woldon  awa  dryhten 
adrifan  of  pam  deoran  ham  256;  tsBced  ns  se  torhta  tromlicne  ham  2'M: 
Leeded  to  lihte,  pasr  hie  lif  a^on,  upliene  ham  361;  wolde  manne  rim  fela 
Amanda  ford  gelmdan  ap  to  edle  401;  p»t  wi(  Msed  ulitun.  hakgne  ham, 
beofon  to  gewealde  114;  l»nt.  La,  wies  fsejer,  J?aet  se  feda  com  Dp  to 
earde  457;  forde  to  foldan  porh  fsemnan  had  ofan  front  edle  495;  |v- 
de  ic  of  bjBftnm  ham  gelsdde  up  tu  earde  505;  paaa  de  In-  ns  of  hseftnm 
ham  gelaxlde  ap  tu  edle  ",.",:::  and  eoröan  tndor  ...  to  piasnm  eadijan 
ham  659.  Sancta   Hierusalem,  cynestola  cyat,  <  ristt-s  bnrjlond,   enjla 

epelatol  I  hriat  50;    t"  heofonhame  in  pam  ecan  ham  905;    pumidfsBder 

pinne  gefyrn  wsare  efenwesende  in  pam  BBpelan  ham  B49;    wile  ap  h tan 

eard  geatisan  mpelinja  ord  mid  paa  enjla  gedryht,  ealra  foloa  troma 
epelatol  514;    enjla  eard   ...   pone  maran  ham  646;    on  ej>el  faxen  enjla 
die im.--    1343;    aeorxnawongee  wlite  i  Idee  agiefan  geomox  mod, 

edel  1406:  pal  pn  motte  gemli;  minot  epelrlcee eadi; aeotaa  1461; 
•  .im  i.-  vram  im  edle  piuuiii  w.u.  dal  ii  m  epel,  pe  oo  jeendad  weorped 
1640;    eat t  im  Lidfara  to  pam  bälgen  ham  1674  | 

blteda  beorhtoat,  boldwela  fsejroet,  bama  byhtlicoet  balejam  mibtom  torhl 
ontyned  Andreai  ;  ■<  tum  pa  -••  halga  heim  aslwihia  engla 

pend  to  pam  apliean  edelriee   118;    openjla   frnma  i  '  226;    on 

apwi  ;  edl  irenede  to  iraldn  areored  annuate  to  pam  bälgen 

ham  beofonarkea  L68B  balijra  mod,  da  pe  hin  to  heofonnm  hyge  acap- 
eliad,  vriton  paet  m  edel  •  •   bided  an  menjn,  pe  geond  middangeard 

dryhtne  peowiad  and  | ■•-  deoran  ham  vrilniad  U  gewyrhtum  < int  hl 


212  EHRISMANN 

upp  jemuiide  hain  in  lieofonum  68;  breostum  inbryrded  to  pam  betran 
ham  . . .  pser  is  epellond  freier  and  ^efealic  in  fseder  wuMre  626 ;  hames 
in  heahjm  768;  wica  neosan,  eardes  upwej  1339.  —  He  us  onlysde  and 
ns  lif  forjeaf  heofonlicne  ham  Kreuz  147;  wunedon  on  wuldre,  f>a  heora 
wealdend  cwom  selmihti^  jod,  ]?8er  his  edel  wses  155.  —  and  him  heanne 
bleed  in  pam  uplican  edle  jestruna]?  Phoenix  391;  in  f>am  jladan  ham  593; 
in  J?am  blipan  ham  599;    ajan  eardinja  almae  laetitiae  673. 

Was  die  prosa  betrifft,  so  sei  nur  auf  Wulfstans  predigt- 
sammlung  hingewiesen,  die  mit  dem  thema  von  der  herkunft 
des  menschen  aus  dem  paradies,  seinem  trostlosen  erdenleben 
und  seinem  hingang  zum  ewigen  erbe  eingeleitet  wird. 

Den  gläubigen  die  zukunft  nach  dem  leben,  das  himmel- 
reich,  und  dieses  als  die  heimat,  zu  verkündigen,  ist  der  innere 
zweck  mehrerer  dieser  gediente.  Es  ist  die  grosse  wonne,  die 
der  himmelskönig  den  auserwählten  bereit  hält.  In  dem  ge- 
diente vom  Satan  sind  die  zwei  reiche  der  zukunft  einander 
gegenübergestellt:  fieostre  ham,  in  cteossum  wobeie,  atolan  edles, 
hyhtlicra  ham,  in  ämm  deoran  ham,  to  oTissum  eadigan  ham 
(Satan  38.  108.  216.  219.  257.  327.  660).  Und  derselbe  gegen- 
satz  bildet  die  grundlage  der  gedanken  im  Christ:  Christus 
befreit  die  Völker  aus  der  hölle  und  verleiht  den  erkorenen 
den  erbsitz  im  himmel,  das  ist  der  gegenständ  dieses  gedientes. 
Im  Phoenix  ist  ein  symbol  gegeben  für  die  rückkehr  des 
menschen  zur  seligen  heimat;  das  einzige  streben,  das  den 
anachoreten  beseelt,  den  frommen  Guthlac,  ist  das  nach  oben, 
zur  heimat  in  den  himmeln;  und  dasselbe  ziel  verfolgt  die 
lehre  des  apostels  Andreas  (Andr.  595  ff.  1684  ff.). 

Das  angelsächsische  volksgemüt  hat  die  christliche  idee 
vom  himmelreich  sich  angeeignet  unter  dem  altepischen  bilde 
des  erbguts,  des  adlichen  heimsitzes.  Die  beiden  grossen 
deutschen  religiösen  dichtungen  dagegen  haben  die  Vor- 
stellung vom  jenseits  nicht  nationalisiert.  Dem  dichter  des 
Heliand  ist  es  eine  lichtweit,  die  er  sich  im  einzelnen  nicht 
auszumalen  vermag,  und  Otfrid  hat  in  einem  langen  capitel 
(V  23)  die  Schönheit  besungen,  wie  wonnesam  es  dort  ist,  aber 
in  bildern,  die  längst  gemeingut  der  Christenheit  waren.  Nur 
die  Angelsachsen  haben  ein  religiöses  volksepos  geschaffen, 
eine  christliche  dichtung  in  angelsächsischem  geiste. 


ZUM   GBBMANI8CHEN    FKl"  IICHIUSTENTUM.  213 

II.   Das  gedieht  vom  Seefahrer. 

Zu  einem  ergreifenden  Stimmungsbild  ausgeführt  ist  das 
motiv  des  aus  der  well  nach  der  himmlischen  heimat  streben- 
den menschen  in  dem  angelsächsischen  gedichte  70m  Seefahrer. 

Das  gedieht  bestellt  aus  drei  gedankenkr eisen,  die  nicht 
in  sich  abgeschlossen  sind,  sondern,  einer  e*igeritümlichkeit  des 
angelsächsischen  stils  entsprechend,  sich  dürchschlingen. 

A)  Das  leben  der  mtihsal  auf  dem  nieere:  Act  die  un- 
erwünschte  winterfahrt,  v.  1— 12a  14— 21a.  22a.  23—26.  29b 
— 43.  46.  56b  —  64b;   A/3  die  ersehnte  sommerfahrt,  v.  47 — 55  a. 

B)  Das  leben  der  freude:  B«  das  leben  der  freude  auf 
dem  edelsitz,  v.  12b  und  13.  21b.  22  b.  27— 29a.  44  und  45.  55  a 
und  56a;  Bj  Vergänglichkeit  des  Ereudenlebens,  v.  65b — 71. 
80b— 102. 

C)  Paränetisch,  die  aus  der  Vergänglichkeit  des  freuden- 
lebens zu  ziehenden  lehren  mit  deren  ziel,  das  ist  das  unver- 
gängliche leben,  die  ewige  Seligkeit,  unsere  heimat:  64b  und 
65a.  72— 80a.  103  —  schluss. 

Diese  grundgedanken  sind  so  fest  eingehalten,  so  scharf 
einander  gegenübergestellt  als  positive  und  negative  werte  im 
sinne  des  Verfassers,  der  sich  mit  dem  Seefahrer  gleichstellt, 
wie  es  nur  bei  einem  von  vornherein  einheitlich  coneipierten 
plan  denkbar  ist.  Es  sind  zwei  entgegengesetzte  lebens- 
anschauungen,  hier  die  materialistische,  auf  den  genuss  ge- 
lichtete weit  mit  ihrer  Vergänglichkeit,  dort  die  durch  mühsale 
zu  einem  aberirdischen  ideal  sich  durchringende  spiritualistische 
mit  dem  lohne  der  ewigen  freude  im  himmel,  hier  der  rein 
materialistische,  dort  der  transcendentale  eudaimonismus.  Ver- 
körpert sind  sie  in  den  zwei  typen:  der  mensch  der  weit.  /w 
86  mon  ne  wat,  /<<  htm  on  foldan  fmgrosi  Umped  12b,  dessen 
ziel  ist  io  worulde  hyht  15,  dem  gegenüber  der  gläubige,  der 
heilige,  hu  ic  earmceari&  iscealdm  sa  urinier  icunade  wrcBcean 
lastum  II  mit  dem  ziele  forjton  me  hatran  sind  dryhtnes 
dreamas  Ponne  Pis  >i<<nl>  \%f  64.  In  den  beiden  letzten 
versen,  «'>i  t'.  ist  der  gegensatz  concentriert,  sie  bilden  den  kern 
der  religiösen  seite  des  them 

Geschildert  wird  der  weltmensch  in  seinen  frenden  als 
stolz  and  weinüppig,  wlonc  <nt<i  wingai  29,  als  einer  der  sein- 


214  EHRISMANN 

freude  hat  am  männerscherzen  und  mettrinken  21b.  22  b,  und 
dessen  sinn  steht  auf  harfenspiel,  ringspende,  auf  das  weib, 
auf  die  freude  der  weit,  44.  Das  ist  klärlich  das  bild  des 
angelsächsischen  edelings.  Er  also  gilt  als  typus  des  welt- 
menschen, er  ist  der  Vertreter  der  negativen  werte.  Sein  wandel 
ist  das  tote  leben,  ])is  deade  lif,  vita  morientium.  Die  Schilde- 
rung dieses  negativen  teiles  wird  dann  fortgeführt  ißj)  und 
erweitert  zu  dem  Schicksal,  das  dem  erdenreichtum,  eoräwclan 
67,  dem  Übermut  des  erdreiches,  ealle  onmedlan  eorfian  riees  81 
bestimmt  ist,  das  ist  das  vergehen. 

Diesem  Vertreter  des  vergänglichen  weltlebens  gegenüber 
steht  der  Seefahrer  als  Vertreter  der  weltflucht.  Sein  leben 
ist  entsagung,  und  trotzdem  er  in  den  stürmen  des  meeres 
nur  leiden  erduldet,  so  treibt  es  ihn  doch  auf  diese  fahrt, 
hweteä  on  hivcelweg  Jireper  unwearnum  ofer  Jwlma  gelagu  63, 
denn  sie  wird  ihn  zum  herrn  führen  64  f.  Das  christliche  mönchs- 
ideal wird  dem  nationalen  aristokratenideal  entgegengehalten. 

Den  irdischen  freuden  sind  die  irdischen  mühsale  gegen- 
übergestellt. Den  zu  gott  strebenden,  den  gläubigen,  heiligen 
ist  die  weit  das  tal  der  tränen,  vallis  lacrymarum,  sie  freuen 
sich  mehr  an  den  Widerwärtigkeiten  der  weit  als  an  ihren 
glücksgütern;  wenn  sie  die  wogen  der  weit  durchmessen  haben, 
erlangen  sie  wohnung  im  himmlischen  Vaterland  (Smaragdus, 
s.  unten  abschnitt  III).  Der  die  stürme  suchende  Seefahrer 
spricht  dieselben  gedanken  aus  wie  der  die  weit  verachtende 
mönch,  und  zwar  kommen  diese  den  christlichen  Vorstellungen 
noch  deshalb  besonders  nahe,  weil  sich  die  mühsale  dem  angel- 
sächsischen dichter  unter  derselben  form  darstellen  wie  dem 
mönche  das  leben  in  der  weit,  nämlich  unter  dem  bilde  des 
meeres.  Wie  dem  Angelsachsen  die  gefahren  des  meeres  der 
inbegriff  einer  leidvollen  Wanderschaft  waren,  so  dachte  sich 
der  Christ  die  verhasste  weit  als  ein  sturmbewegtes  meer. 
Mare  bedeutet  in  der  allegorischen  spräche  der  kirche  so  viel 
wie  mundus:  statt  einzelner  beispiele  verweise  ich  auf  Hra- 
banus  Maurus,  Allegoriae  in  Sacram  Scripturam  'Mare-mundus', 
'Mare-saecularis  occupatio',  'Mare-voluptas  saecularium'  (Migne 
112,  995  CD. i) 


x)  Eine  der  angelsächsischen  besonders  nah  verwante  seelenstimnmiig 


EUlfl    «RUMÄNISCHEN    FKÜHCHUISTEXTUM.  215 

Das  leben  des  Seefahrers  ist  geteilt  in  die  winterfahrt  und 
die  sommerfahrt.  Das  beruht  auf  epischer  tradition.  Gefürchtet 
sind  die  wintersttirme,  erst  wenn  die  Hur  bunt  wird  und  der 
kuckuck  den  frühling  verkündigt,  erwacht  die  Behnsncht  zum 
meer  im  lierzen  des  helden,  vgl.  Beow.  1130 — 33a  gegen  1133b 
—1138.  515  f.  und  546    548;  Botschaft  20-28. 

Der  paränetische  teil  schliesst  sich  folgerichtig  an  B,1  an. 
an  die  Vergänglichkeit  des  irdischen.  Da  Siechtum  oder  das  alter 
oder  das  Schwert  (vgl.  Beow.  1762  ff.)  dem  leben  ein  ziel  setzen,  so 
soll  der  edeling  sich  um  nachruhm  bemühen  durch  kühne  taten. 
Hier  stehen  nationalepische  und  christliche  ethik  nebeneinander. 
Die  sorge  um  den  rühm  ist  ganz  unchristlich,  aber  sie  wird 
hier  in  naiver  weise  dadurch  der  christlichen  auffassung  an- 
gepasst,  dass  nicht  nur  die  kinder  der  menschen  den  helden 
künftig  preisen,  sondern  dass  auch  bei  den  engein  sein  lob 
ewig  lebe  in  der  himmelsfreude;  und  die  krafttaten  gegen  den 
feind  werden  gleich  näher  bestimmt  als  gegen  den  teu fei  ge- 
richtet. Ganz  christlich  sind  dann  die  lehren  am  Bchluss 
(\.  LOS  bis  ende).  Im  mittelpunkt  dieser  geistlichen  ermahnung 
steht  die  deinut  (v.  107).  Sie  ist  dem  Übermut  gegenüber- 
gestellt (v.  81):  ausser  vor  diesem  wird  vor  der  habsucht  ge- 
warnt iv.  100— 102);  somit  werden  die  superbia  und  die  avaritia. 
die  wurzeln  der  todsünden,  als  hauptlaster  der  weltleute  ge- 
geisselt  Demut  vor  gott  briugt  dem  menschen  die  gnade,  die 
ihn  stark  macht  sein  ziel  zu  erringen,  das  ist  die  heimat  {hwoer 
ir,  harn  agen  117).  die  ewige  Seligkeit. 

Betrachtet  man  das  gedieht  vom  Seefahrer  vom  Standpunkt 
dei-  ethischen  idee  aus,  dann  findet  man  einen  fortschreitenden 
Zusammenhang  und  zielbewnssten  aufbau.  Eine  bestimmte 
eigenaii  spricht  sich  darin  ans  und  diese  s.tzt  auch  eine  be- 
stimmte persönlichkeit  als  verfasse]  voraus.  Die  form  freilich. 
die  äussere  sowol  wie  die  innere,  i-t.  wie  Kluge,  Engl.  Studien 
i«.  122  ■".27  und  8,472  17''.  nachgewiesen  hat.  nicht  einheitlich, 
es  wechselt  sehr  Btark  *  1 1  *  -  poetische  Stimmung.  Aber  d 
iwiespali   ergibt  Bich  oaturgi  is  der  art,  wie  der  > t < •  1 1 

sieh  dem  dichter  darbot,  also  ans  der  coneeption  im  bewusstsein 

trifft   man  in  vielen  elegien  de«  Gregor  \    Kasians,  m  /. '>   in  no,  XI. II. 
XI. III.  I.!.  Higne,  Patrol.  Qn  7,  L844    1846.  I 


216  EHRISMANN 

dieses  mannes.  Er  arbeitet,  wie  jeder  germanische  durch- 
schnitts-scop,  durchaus  gebunden.  Aus  überlieferten  anschau- 
ungen  und  mit  überlieferten  formalen  mittein  setzt  er  sein 
lied  zusammen.  In  seinem  Vortragsrepertoire  besitzt  er  das 
motiv  von  der  gefahrvollen  seefahrt  als  bild  für  die  mensch- 
lichen mühsale,  das  motiv  von  der  ausfahrt  im  früh  jähr  mit 
der  seelenstimmung  der  Sehnsucht,  er  findet  dort  vorgebildet 
das  leben  des  edelings  als  höchsten  ausdruck  für  die  freude 
am  dasein,  und  findet  ebenso  die  Vergänglichkeit  des  irdischen 
wie  den  Übermut  des  reichen  vor.  Daraus  setzt  er  die  verse 
1 — 102  seines  gedientes  zusammen  und  zwar  in  der  ihm  eben- 
falls überlieferten,  angelernten  epischen  spräche.  Für  den 
schluss  aber,  für  die  geistlichen  lehren,  hat  er  keinen  anhält 
in  der  volksepik,  hierfür  nimmt  er  die  ausdrücke,  womöglich 
noch  sclavischer,  aus  der  gnomik  (Rieger,  Zs.  fdph.  1, 332)  und 
aus  der  predigt  (Kluge  a.a.O.). 

Die  einzelnen  gedanken  der  ganzen  zweiten  hälfte  von 
v.  66  b  bis  zum  schluss  finden  sich  fast  sämmtlich  auch  in  der 
mahnrede  Hrodgars  an  Beowulf,  Beow.  1722 — 1778,  nur  in 
anderer  anordnung  und  anderer  bewertung  und  nicht  so  stark 
geistlich  gefärbt.  Die  summe  der  lebenserfahrung  ist  auch 
hier  das  bewusstsein  von  der  Vergänglichkeit  alles  irdischen, 
nichtig  ist  der  reichtum  dieser  weit  1728  ff.  =  Seef.  66  ff.,  das 
ende  ist  doch  immer  krankheit,  schwert  oder  alter  (dazu  noch 
feuer  und  wasser)  1763  — 1768  =  Seef.  70  f.;  auch  hier  die 
freude  am  rühm  und  dem  gegenüber  die  warnung  vor  dem 
Übermut  1740—1760  =  Seef.  81  ff.,  vor  der  habsucht  1749  f. 
=  Seef.  100 — 102;  der  leichnam  liegt  da  des  lebens  verlustig 
1754  f.  =  Seef.  94—96;  gott  hat  gewalt  über  alles  1727  == 
Seef.  116;  greife  zum  ewigen  heil  1759  f.  =  Seef.  117—120. 

Nach  den  angeführten  gesichtspunkten  scheint  mir  das 
gedieht  also  eine  einheitliche,  nicht  interpolierte  oder  wenig- 
stens nicht  stark  überarbeitete  Schöpfung  zu  sein,  und  gegen- 
über der  gegenteiligen  annähme  von  mehreren  Verfassern,  die 
mit  der  theorie  von  der  dialogischen  form  des  gedientes  ver- 
bunden ist  (Rieger,  Kluge,  Boer),  schliesse  ich  mich  den  aus- 
führungen  von  Lawrence,  Journal  of  Germ.  Philol.  4,  460 — 80 
an.  Aber  auch  wer  nur  an  einen  Verfasser  glaubt,  wird 
nicht  von  einem  einheitlichen  gediente  reden  können.     Der 


ZUM   GERMANISCHEN   FRÜHCHRISTENTUM.  217 

Verfasser  des  gedichtes,  wie  es  im  Cod.  Ex.  vorliegt,  ist  eben 
kein  frei  schaffender  geist,  sondern  ein  compilator.  "Weder 
inhaltlich  noch  in  der  form  ist  der  text  wirklich  sein  eigentum. 
Er  hat  nur  gegebenes  unter  einen  bestimmten  gesiebt  spunkt 
gebracht.  Wenn  uns  doch  grosse  Schönheiten  an  dem  gedichte 
fesseln,  so  ist  das  nicht  das  verdienst  seines  Verfassers,  son- 
dern es  liegt  in  der  Sprachgewalt  und  der  starken  phantasie 
der  hoch  ausgebildeten  epischen  kunst,  die  ihm  überliefert  war. 

Versuchen  wir  nun  der  entstehung  des  gedichtes  in  dem 
gedankenleben  des  dichters  nachzugehen.  Er  will  das  thema 
darstellen,  dass  das  erdenleben  mühselig  und  vergänglich  ist 
und  der  blick  auf  das  jenseits,  die  heimat  im  himmel,  zu  richten 
sei.  Die  irdischen  kämpfe  verkörpern  sich  ihm  in  dem  bilde 
der  winterleiden  auf  dem  meere,  die  Vergänglichkeit  schildert 
er  in  einem  ebenfalls  überkommenen  epischen  stile,  in  der  lehre 
vom  jenseits  folgt  er  der  geistlichen  beredsamkeit.  Nationale 
und  christliche  Vorstellungen  stehen  nebeneinander,  sie  rühren 
aber  nicht  von  verschiedenen  Verfassern  her,  sondern  sie  sind 
die  dem  angelsächsischen  frühchristentum  eigene  anschauungs- 
weise,  in  welcher  beide  demente  mit  einander  vermischt  waren. 

Hai  das  gedieht  vom  Seefahrer  jene  tiefere  idee,  dann  ist 
die  darstellung  mystisch.  Und  in  der  tat  ist  der  inhalt  der 
gleiche  wie  in  Otfrids  zweitem  Mystice  zu  der  rückkehr  der 
magier  (l  18):  die  mlihsale  der  weit,  das  suchen  der  himm- 
lischen heimat.  Auch  der  deutsche  dichter  malt  jene  aus  in 
bitteren  klagen,  die  sich  zu  warmer  empfindung  steigern,  wo 
er  in  rieh  das  elend  des  heimatlosen,  des  aus  der  herrlichkeil 
des  paradieses  verstossenen  durchlebt.  Der  unterschied  gegen- 
über dem  angelsächsischen  dichter  bestehl  niehl  im  inhalt. 
gegenständ  und  emptindung  sind  bei  beiden  gleich,  sondern  in 
der  form:  er  vermag  die  gedanken  nichl  in  jene  ergreifenden 
bilder  zu  fassen  (oder  er  will  es  nicht),  sondern  er  bleibt  bei 
allgemeinen  ausdrücken  stehen.  Auch  in  der  geistlichen  be- 
lehrung,  die  hier  wie  im  Seefahrer  auf  den  elegischen  teil 
folgt,  linden  sich  anklänge  an  das  angelsächsische  gedieht. 
Aueh  hier  wird  die  demut  empfohlen  als  die  tagend,  die  zur 
heiligung  führt,  ^.  37,  und  die  beherschung  des  eigenen  willens: 
m  Ui'Vi  themo  muate  Otfr.  1"         Stierem  mod  ttrongum 

modi  Seet  L09;  und  vor  allem  die  warum  fne  dein  hen 


218  EHRISMANN 

nicht  der  weltlust',  hinan  thines  herzen  hist  ni  laz  thir  thesa 
uuoroltlust  Otfr.  41  =  Ne  bift  him  to  hearpan  hy&e  ...  ne  to 
worulde  hyht  Seef.  44— 46  a. 

III.   Das  himmlische  heimweh. 

Aus  dem  paradies,  seiner  heimat,  ist  der  mensch  Verstössen 
worden,  das  irdische  leben  ist  nur  ein  Übergang,  eine  Wanderung 
durch  mühsale  und  leiden  wider  hin  zur  heimat,  Paradies, 
irdisches  exil,  himmlisches  Vaterland,  in  diesen  drei  stufen 
erfüllt  sich  die  Menschheitsgeschichte.  Dies  ist  der  inhalt  von 
Otfrids  Mystice. 

Die  drei  acte  des  grossen  dramas  sind  nicht  von  anfang 
an  im  bewusstsein  des  Christen  so  fest  bestimmt  gewesen.  Die 
evangelien  kennen  sie  nicht.  Die  lehre  Christi  ist  nicht  nur 
aufs  jenseits  gerichtet,  sondern  schon  hier  auf  erden  kommt 
das  reich  gottes,  das  heil  ist  schon  den  lebenden  verkündet. 
Wenn  man  verwante  beziehungen  in  der  frohen  botschaft  des 
heilandes  sehen  will,  so  entsprechen  dem  anfang  und  dem  ende 
der  reihe  sünde  und  Vergebung,  die  sünde  insofern  sie  den 
Verlust  des  ursprünglichen  paradieses  bedeutet,  die  Vergebung 
als  gerechtmachung  zum  himmelreich.  Im  gleichnis  vom  ver- 
lornen söhn  ist  ein  menschenschicksal  beschrieben,  das  ähnlich 
verläuft  wie  das  leben  der  sündigen  menschheit,  auch  hier 
verlassen  der  heimat,  eine  traurige  Wanderschaft,  ersehnte 
rückkehr;  aber  die  deutung  geht  nicht  auf  sündenfall  und 
himmelreich,  sondern  auf  die  Sündenvergebung  durch  gottes 
barmherzigkeit  und  liebe. 

Erst  bei  Paulus  sind  sünde  und  erlösung,  Adam  und 
Christus,  tod  und  leben  in  den  scharfen  gegensatz  gebracht 
und  die  festen  pole  geworden,  zwischen  denen  sich  das  leben 
der  menschen  bewegt.  Mit  Adam  ist  unmittelbar  an  den  alt- 
testamentlichen  mythus  vom  paradies  angeknüpft  und  andrer- 
seits haben  auch  die  Vorstellungen  vom  zukünftigen  reiche 
gottes  bestimmtere  umrisse  gewonnen  durch  die  stark  auf- 
getragene jüdische  färbung.  In  den  mittleren  abschnitt  der 
reihe  aber,  den  irdischen  lebensgang,  ist  schon  ein  asketischer 
zug  gebracht  worden.  Die  menschheit  lebt  im  elend  der  sünde, 
des  fleisches,  der  knechtschaft,  durch  die  worte  des  apostels 
hindurch  zieht  ein  klagen  über  die  trübsale,  die  er  in  der  weit 


ZUM   GERMANISCHEM   PBÜHCHBISTENTUM.  219 

erdulden  muss,  alter  er  hat  freude  an  dem  leiden  (die  göttliche 
traurigkeit,  2. Kor. 7, 9 — 11,  Kolosser  1, 24,  vgl.  u.a.  Stenbing, 
Der  panlinische  begriff  des  Christusleidens,  Heidelbg.  div^.  L905; 
aber  auch  2.  Petri  t.  13—19).  So  ist  schon  in  Paulus  vor- 
gebildet das  lebensideal  des  mönchs:  leben  ist  leiden,  aber  das 
Leiden  führt  zur  Seligkeit,  darum  freue  dich  des  leidens;  und 
hier  schon  ist  der  Schwerpunkt  auf  das  ende  gelegt,  auf  die 
befreiung  vom  dasein  (2.  Kor.  4, 17 1. 

In  der  Widerspräche  des  apostels  ist  auch  schon  das  erden- 
leben als  ein  wandeln  in  der  fremde,  das  jenseits  als  die  heimat, 
die  ewige  wohnung  gegeben: 

2.  Kor.  5,1 — 9:  l.Ötda/jiev  yaQ,  ort  iav  >)  inlyetoq  fjfuiöv  olxla  tov 
oxtjvovq  yi.i'/.rH^.  olxoSo/jtijv  h>  Seov  i'/outv,  olxiav  üxhqotcoItjxov, 
alwviov  iv  totq  ovQavolq.  '_'.  Kai  yaQ  iv  rovzqt  arevd^oftev,  vb  oIxttjqiov 
tjfitov  to  £$  ovQavov  insvövoao&ai  inatod'oCvxeq  ...  8.  ßccQQOv/tev  dl 
xal  evdoxovfiev  fxSXXov  ixötj/irjoai  ix  tov  otö/iaxoq,  xal  irÖTj/irjcrai  tiqoq 
tbv  Kvqiov.  D.  dio  xal  <i i/.oriiiin'-tif-ih:,  it'n-  ivöijfiovvzeq  etxt  ixdrj/ioi 
evageazot  avxip  tlvat. 

Die  ganze  stelle  ist  eingegeben  von  leidenschaftlicher 
Sehnsucht  nach  dem  himmelreich. 

Den  begriff  einer  pilgerschaft  im  fremden  lande,  aber  in 
hstäblichem  und  nicht  religiösen  sinne,  hat  schon  das  alte 
testament.  Ins  spirituelle  umgedeutet  ist  die  Vorstellung  im 
ersten  Petrnsbrief  1,  1  und  2,  11.  vgl.  B.  Weiss,  Lehrbuch  d. 
bibl.  theo].9  s.  17  t.  Weiter  ausgeführt  zu  dem  bilde  der  jetzigen 
und  künftigen  weit,  wie  die  gläubigen  als  gaste  und  fremd- 
linge hier  auf  erden  das  Taterland  suchen,  ist  sie  in  dem,  schon 
hellenistisch  beeinflussten  Hebräerbrief  11,18 — 16.  18f...  <>n 
_.'/•',/  /{)  jraQsxlötjfiot  iimr  ijt)  rfjg  y,--  14  Ol  yaQ 
roiavra    Ztyovtsc,    iftg>avl^ovotv    ort    ytazQlöa  ovöi. 

15   A  ■-  /r/(-  tfivrjfiövEvor  dq  '  /,.-  IgijZfrov,   ■'/'"'  '  '' 

XatQOV  *  '■     16    .^ri-'iA:     y  Q ;  i  r  to  r  0  -    '.'■,'"  V  l  ''  '•    tOVT- 

icriv,  IxovQttvlov;  daselbst  anch  die  bezeichnnng  'himm- 
lisches Jerusalem'  13,22,  'stadt  von  gott  gegründet1  11,10, 
'bleibende  Btadl  derznknnft1  LS,  1 1.  'das  bessere  und  bleibende 
besitztnm  im  himmel1  10,84,  vgl.  I'..  Weiss  a.a.O. 

1-t  die  Vorstellung  vom  menschlichen  leben  als  einer  Wan- 
derung in  der  fremde  im  neuen  testament  doch  nur  vereinzelt, 
N  gehört   die  vom  gottesreich   als  dem  den   kindern   g 
rechtmässig  gebührenden  erb«  zu  den  grundlagen  der  lehre 


220  EHRISMANN 

des  Paulus,  vgl.  B.  Weiss  a.a.O.  s.  392—396  und  Die  religion 
des  neuen  testaments  s.  248 — 252.  Vorangegangen  ist  auch 
hierin  das  alte  testament,  wo  das  land  Canaan  das  verheissene 
erbland,  die  terra  promissionis  des  israelitischen  Volkes  ist. 

Für  die  christliche  lehre  des  neuen  testaments  haben  nur 
zwei  abschnitte  jener  dreistufigen  menschheitsgeschichte  bedeu- 
tung,  nur  das  leben  in  der  sündenbelasteten  gegen  wart  und 
das  endziel,  die  selige  ruhe  der  ewigkeit,  dagegen  die  erste 
stufe,  das  verlassen  einer  paradiesischen  Urheimat,  kommt  nur 
insofern  in  frage,  als  damit  der  Ursprung  der  sünde  durch  Adam 
(die  paulinische  parallele  Adam  —  Christus)  verknüpft  ist.  Das 
symbol  selbst,  die  erzählung  der  Genesis  vom  paradies,  sünden- 
fall  und  ausstossung,  tritt  ganz  zurück.  Das  thema  ist  geistig 
aufgefasst:  die  begierde  ist  der  urgrund  des  sündigens,  die 
ejvi&v [il a,  concupiscentia,  nach  Jac.  1, 14,  der  geiz,  qpiZaQyvQia 
(in  dervulgata  durch  cupiditas  widergegeben)  nach  l.Tim.6, 10, 
der  hochmut  nach  2.  Thessal.  2,  4  (0  vjcEQaiQÖfievog  Iju  jidvra 
teyöfisvov  Oeov  /j  öeßaüfta),  vgl.  B.  Weiss,  Die  religion  des 
N.T.  s.  94— 96. 

So  wenig  die  lehre  Jesu  und  des  apostels  Paulus  ein  ge- 
schlossenes System  bilden,  ebensowenig  sind  die  daseinsstufen 
der  sünde  und  der  erlösung  als  einzelne  acte  zu  einem  drama 
der  menschheitsentwicklung  vereinigt  worden.  Der  dramatische 
verlauf  war  erst  damit  gegeben,  dass  die  sünde  concret  zum 
sündenfall  wurde.  Als  exposition  war  damit  der  erschütternde 
tragische  einsatz  von  der  verstossung  aus  der  heimat  gegeben, 
als  zweiter  teil  folgte  die  bange  Spannung  im  läuterungsgange 
des  exils,  und  die  lösung  bildete  der  jubelnde  schluss  mit  der 
befreiung  und  heimkehr:  mit  dieser  auffassung  der  einzelnen 
bestandteile  und  in  solcher  ins  bildliche  gezogenen  umdichtung 
ist  erst  das  weltgeschichtliche  drama  von  sündenfall  und  er- 
lösung geschaffen.  Diese  Wendung  ist  durch  den  hellenismus 
in  die  christliche  Vorstellung  gekommen.  Es  ist  Pia  tos  auf 
die  orphischen  mysterien  gegründete  Unsterblichkeitslehre  von 
der  seele,  die  einst  das  reich  des  göttlichen  geschaut  hat,  durch 
den  leib  ans  leben  gebannt  ist  und  durch  tugend  und  einsieht 
gereinigt  wider  zu  gott  und  ihrer  heimat  sich  erhebt.  Im 
orphischen  mythus  von  der  menschenseele  liegt  der  Ursprung 
der  dramatischen  ausbilduüg  des  erlösungsgedankens. 


ZUM   GERMANISCHEN    FBÜHCHBlBTESTüM.  221 

In  der  ältesten  christliches  religionsphilosophie,  der 
gnosis,  isl  'die  idee  von  der  herabkunft  der  oberen  weit  in 
die  ontere  and  die  rückkehr  in  die  obere'  (F.  Ch.  Banr,  Kirchen- 
gesch.  der  ersten  drei  Jahrhunderte  l  •  L95)  eine  der  Grundfragen 
geworden.  Abfall  und  rückkehr  bilden  hier  die  beiden  end- 
pnnkte  wie  bei  Plato.  Was  im  neuen  testament  fehlt.  <u-v 
fall,  ist  hier  in  einigen  Bystemen  ergänzt,  teils  nach  Plato 
(Karpokrates),  teils  oach  der  alttestamentlichen  tradition,  und 
/war  indem  entweder  an  den  stürz  Lucifers  |  Basilides, ( Iphiten, 
Karpokrates,  8atnrninus)  oder  an  die  Verführung  der  ersten 
menschen  durch  die  schlänge  (Onhiten)  angeknüpft  wurde 
Nicht  ausser  acht  gelassen  soll  werden,  dass  sich  auch  im 
Johanneischen  evangelium  eine  dreifache  entwicklung  vollzieht. 
hier  aber  nicht  als  weltprincip,  sondern  als  heilsprincip  in 
Christus  dem  Logos:  seine  präexistenz,  seine  Sendung  auf  die 
erde,  seine  rückkehr  zum  vater.  Aber  am  wundersamsten 
hat  Plotinus  die  heisse  Sehnsucht  der  seele,  sich  nach  ihrem 
fall  aus  diesem  Scheindasein  wider  zu  erheben,  beschrieben,  er 
selbst  ein  gottes-  und  achönheitstrunkener  seher. 

Nur  in  der  griechischen  kirche  ist  der  dreistufige  ent- 
wicklnng8gang  der  seele,  also  die  idatonische  erlösungslehre, 
zum  system  geworden,  und  zwar  in  des  Origenes  vier  büchern 
.uni  '■{>■/<',)■;  hier  herschl  noch  ganz  hellenisches  empfinden. 
Das  lateinische  Christentum  hat  auch  in  diesem  punkte  viel 
Btärker  mit  dem  classischen  altertum  gebrochen.  Wie  sehr 
Augustinus  gerade  in  diesem  teil  der  anthropologie  von  den 
neuplatonikem,  von  Plotinus  und  besonders  von  Porphyrius, 
beeinflussl  war,  die  platonische  lehre  von  der  Urheimat  der 
Beele  bei  gott,  also  die  erste  jener  drei  Btufen,  hat  er  nicht 
aufgenommen,  und  er  konnte  rie  auch  nicht  annehmen,  da 
jene,  die  präexistenz  der  se.de  voraussetzte,  während  er  aufs 
eifrigst.-  die  Bchöpfungslehre  der  « tenesis  verfocht  (vgl. ( langauf, 
Ifetaphya  psychol.  des  heil.  Augustinus  a  229  ff.;  Nourrisson, 
La  Philosophie  de  S.  Augustin  l  205),  vgl.  hierzu  besonders  De 

i'ivitate   l»ei   XI  -■'<  (gegen   inigeueM:    Snl  mmnas  dieuni 
quidem   parte»  /'■      ed  facku  ■•   D  a  Condit 

(liU'i 

usgue  ad  terms  diversa  corpora guasi vincula  meruisee    Im  bo 
stärker  aber  ward.-  er  von  dem  ergriffen,  was  die  platoniker 


222  EHKISMANN 

über  die  gegenwart  und  über  die  zukunft  der  seele,  also  über 
die  zweite  und  dritte  stufe  der  menschheitsgeschichte,  lehrten, 
über  die  rückkehr  der  seele  zum  guten,  zur  anscliauung  gottes. 
Diese  Vorstellung  war  ihm  selbst  seelenverwant.  Hier  fand  er 
für  seine  Weltanschauung,  den  irdischen  pessimismus  und  jen- 
seitigen Optimismus,  den  tiefsten  ausdruck.  Dem  schmerz  des 
daseins  zu  entfliehen,  zum  Vaterland  zu  eilen,  zum  vater,  das 
ist  nicht  nur  plotinisch,  sondern  ebenso  augustinisch. 

Diese  strenge  form  der  askese  ist  nicht  urchristlich  und 
nicht  paulmisch,  sie  ist  erst  durch  Augustinus  zu  einem  grund- 
satz  des  katholizismus  geworden.  Und  sie  ist  für  den  glauben 
sowie  für  die  sociale  gestaltung  der  kirche  von  der  grössten 
bedeutung  geworden,  denn  sie  ist  das  ideal  der  irdischen  Voll- 
kommenheit für  das  mönchtum  (vgl.  bes.  H.  Reuter,  August- 
mische Studien  s.  359 — 478).  Gerade  das  bild,  in  welches  diese 
idee  gekleidet  ist,  die  pilgerschaft  der  seele  auf  dem  pfade 
des  leidens  zur  heimat,  ist  zum  symbolischen  ausdruck  für  das 
mönchsieben  geworden  und  so  auch  in  die  volkssprachlichen 
literaturen  übergegangen. 

Dass  Augustinus  in  der  tat  unter  dem  einfluss  des  Plotinus 
und  des  Porphyrius  stand,  als  er  das  menschliche  leben  als 
einen  weg  nach  der  heimat  auffasste,  das  beweisen  mehrere 
stellen  in  denjenigen  werken,  in  welchen  er  seine  innern  er- 
lebnisse  am  rückhaltlosesten  offenbart,  in  den  Bekenntnissen 
und  im  Gottesstaat.  Sie  sind  unmittelbar  in  beziehung  auf 
jene  neuplatoniker  geschrieben: 

Ubi  est  illud  Plotini,  ubi  ait:  'Fugienduin  est  igitur  ad  cla- 
rissiinam  patriam  et  ibi  pater  et  ibi  omiiia?  Quae  igitur  classis,  inquit, 
aut  fuga?  Similem  Deo  fieri'  (zu  Plotins  Euneade  I  6,  8)  De  Civ.  Dei  IX  17; 
Si  eniin  de  istis  circumitibus  et  sine  cessatione  altemantibus  itiouibus  et 
reditionibus  animarum  Porphyrius  Platonicus  suorum  opinionem  sequi 
noluit  ...  et  ...  dicere  nialuit,  animam  propter  eoguoscenda  mala  traditam 
mundo,  ut  ab  eis  liberata  atque  purgata  cum  ad  Patrem  redierit,  nihil 
ulterius  tale  patiatur  ebda.  XII  20,  3 ;  Itaque  videtis  (i.  e.  Porphyrius  und 
seine  anhänger)  utcunqne,  etsi  de  longinquo,  etsi  acie  caligante,  patriam, 
in  qua  mauendum  est,  sed  viam  qua  eundum  est  non  tenetis,  ebda. 
X29;  zuerst  las  er  die  bücher  der  platoniker,  ehe  er  die  heilige  schrift 
kennen  lernte,  ut . . .  distinguerem  interesset . . .  inter  videntes  quo  eundum 
sit  nee  videntes  qua  et  viam  ducentem  ad  beatificam  patriam  non 
tantum  cernendam  sed  et  habitandam,  Confess.  VII  20,  dazu  21. 

Immer  wider  dringen  bei  ihm  solche  sehnsuchtsvollen  ge- 


ZUM   GERMANlBCtiEN    FRÜHCfiSISTENTUlff.  223 

danken  durch  und  sehr  häufig  sind  sie  in  dieses  büd  gekleidet. 
Eine  der  breitesl  ausgemalten  stellen   ftndel  sich   im  einj 
zu  der  ahhandlung  l>e  Cantico  novo: 

Vetera  tranaiernnt,  transiil  regio  retnstatis;  nova  acceasernnt,  raccedit 
Jerusalem  ciyitaa  coeleatia  Dovitatis.  A4  haue  civitatem  Qoyam 
provenire  capitis,  qni  nomina  restra  conscribenda  dediatia  Cap.  I.  Elia, 
fratres  mei,  ardenter  deaideremua  propriam  patriam,  peregrina- 
tionem  iatam,  qnae  noa  ah  ea  adhac  detinet,  toleremna,  non  amemus: 
featinemua  tarnen.  Non  est  qtiare  hicBtare;  nee  invenia  in  Baeculo,  qnod 
jaiii  posaia  amare  (vgL  Otfrid  1 18, 28  ni  fand  ih  liebes  auiht  in  dir),  [pse 
cniiii  amor  parentnm,  eonjngam,  filiornm,  £acaltatam  ant  magnnm  qni- 
buadam  incnsaeranl  laborem  ant  magnum  parinnt  timorem:  non  est  qnare 
hie  stari'.  Melius  enim  est  festinando  appetimus  aempiterna,  qnam  hie 
remanendo  saeculi  nos  apprehendat  rnina  . . .  Celeuma  nostrum  dulce  can- 
tamna  Alltluia,  ut  laeti  ae  seenri  ingrediamnr  Bempiternam  ac  felicis- 
siiuaiu  patriam.  Non  metnal  anima  mare  hoc  magnum,  aaecnlnm 
Bcilicet,  cujtta  flnctna  ac  tnrbines  sentimna  inimicaa  saecnli  potestati  a  . 
ebda. Cap.  X  I  tarnte  velociter  reetam  viam:  ipaa enim  nos  perdneil  ad 
patriam,  ad  illam  patriam,  cujus  civea  Angeli  sunt,  cujus  templom 
Deus  ...  Ferner:  De  doctrina  Christ.  I,  Cap. 4.  9.  10.  11;  Ennarratio  in 
Psalm.  119, 6 n. 7,  in  Ps.  19,4  (mit  anklängen  an  Plotin),  Pa.62,14,  Ps.85,24, 

.11  q.24,  Ps.87,9;  De  Genesi  ad  Litt.  IV30;  Tract.  in  Joh.  Kv. 
XXVIII  .").  XXXV  9.  KLI9;  De  Sermone  Dom.  in  monte  I  12;  Sermonea 
75,2.  91,9.  104,5.  159,  l.  169,5.  362,4. 

Die  einleitnng  des  menschheitsdramas,  der  Verlust  der 
Seligkeit,  den  Augustinus  in  diesen  bildern  nicht  mit  einbezog, 
findet  sich  doch  auch,  allerdings  viel  seltener,  in  der  christlich- 
Lateinischen  literatur.  Dem  platonischen  himmlischen  ideen- 
reich, in  dem  die  seele  ursprünglich  bei  gott  weilte,  entspricht 
jetzt  das  irdische  paradies.  So  stellt  Caesarius  von  Arles 
lloniil.  XIII  das  paradies  als  einen  ort  in  der  höhe  dar  (Su- 
pernum  ergo  est  paradisus),  aus  dem  Adam,  weil  er  die  geböte 

gottes   verachtete,  in  die  untere  gebend,  das  ist   die   well    lin- 

lcriuiin  est  hie  mnndus)  Verstössen  wurde,  und  fährt  fort: 

Adam  patrem  Doetrnm  de  altitndine,  paradiri  jnato  jndido  rao  in  in- 
fernnm  mnndi  i-tiu>  depoenit,  pro  ineffabili  pietate  ad  inferiorem  infernnra 
II--  rnina  i   rvenire  oolnit,  nd  . ..  ut  ri  poenitentiam  vellemufl  i 
al  t  i t  ml i ii im  prineipalia  patriae  mereremm  aseendi 

Boethius  hat    in  seine  trostschrifl   die  präexistenzlehre 

ganz  rein  aufgenommen,  Bogar  mit  derrückerinnerung  der  seele: 

in  proeal  i  patria  non  qnidem  pnli  i.    At 

ii  te  ankam  exiatimari  matia,  te  potiu  Ipae  pepnliati.    Kam  id  qnidem 

de  te  nnnquam  cniqnani  fai  (niaael     8i  enim  onina  orinndm  aia  pa- 


224  EHRISMANN 

triae  reininiscare ,  non  uti  Atheniensiuni  quondam  multitudinis  imperio 
regitur.  Sed  ejus  unus  dominus  est  et  unus  rex,  unus  et  princeps  qui 
regit  eam1)  De  Consol.  philos.  I  Prosa  IV  (in  Notkers  Übersetzung  125, 
Piper  s.  40  ff.);  ferner  IV  Prosa  I  (Notker  IV  2,  Piper  s.228f.)  viam  tibi 
quae  te  domum  revehat  ostendam.  Pennas  etiam  tuae  menti  quibus 
se  in  altum  tollere  possit  affigam,  ut  perturbatione  depulsa  sospes  in  pa- 
triara  meo  ductu,  mea  seniita,  meis  etiam  vehiculis  revertaris;  und  in 
dem  darauffolgenden  metrum,  IV  Metr.  I  (Notker  I  3,  Piper  s.  231,  Alfreds 
Metra  XXIV  44 — 54)  huc  te  si  reducens  referat  via  quam  nunc  re- 
quiris  immemor;  haec,  dices,  memini  patria  est  mibi,  hinc  ortus, 
liic  sistam  gradum;  vgl.  auch  V  Prosa  I  (Notker  V2,  Piper  s.  304), 
III  Metr.  II  (Notker  IU  25,  Pipers.  139,  Älfr.  Metra  XIII  68— 80),  III 
Metr.  IX  (Notker  III  71,  Piper  s.  178,  Älfr.  Metra  XX  238—240.  279—281). 

Der  völlige  Untergang  der  alten  weit  liegt  in  der  zeit 
zwischen  Boethius  und  Isidor.  Dieser  stellt  den  process  vom 
mensclienelend  und  seiner  Überwindung  folgendermassen  dar: 

Quaest.  in  Genesin  Cap.  V  11.  12  (Migne  83,  222  AB)  Ratio  nostra  . . . 
quae  et  super  peccati  concupiscentia  seducta  et  a  paradiso  beatitudinis 
remota  habet  maledictiones  terrenae  operationis,  habet  et  dolores  tempo- 
ralium  curarum,  quasi  spinas  et  tribulos.  Sic  tarnen  dimittitur  de  pa- 
radiso beatitudinis,  ut  operetur  terram,  id  est,  ut  in  corpore  isto  laboret 
et  collocet  sibi  meritum  redeundi  ad  vitam  beatam,  quae  paradisi 
nomine  significatur,  possitque  aliquando  manum  porrigere  ad  arborem  vitae 
et  vivere  in  aeternum. 

Das  paradies  ist  also  als  land  der  glückseligkeit  aufgefasst, 
terra  beatitudinis.  Als  solches  erkennt  es  auch  Augustinus  an. 
Er  spricht  mehrfach  davon,  dass  das  paradies  neben  seinem 
buchstäblichen  sinn  auch  einen  geistigen  habe: 

spiritualis  quasi  regio,  ubi  anima  bene  est,  merito  paradisus  dici  potest 
De  Genesi  ad  Litt.  XII  G5;  spiritualis  deliciae,  quas  habet  beata  vita,  figu- 
rate  explicatus  De  Gen.  contra  Manich.  II  9 ;  nam  beatam  vitam  paradisi 
nomine  significatam  existimo  ebda.  II  22;  auch  De  Civ.  Dei  III  21. 

Die  feste  form  aber  gab  diesem  thema  der  erste  lehrer 
des  mittelalterlichen  vulgären  katholicismus,  Gregor  der 
grosse,  in  seiner  allegorischen  deutung  von  der  rückkehr  der 
magier  in  ihre  heimat,  Matth.  2, 12,  Homil.  in  Evang.  1 10,  Migne 
76, 1113C  (vgl.  Schönbach,  Zs.  fda.  38,  352): 


l)  Richtig  hat  den  Boethius  verstanden  Bruno  v.  Corvey,  falsch  aber 
August  Hildebrand,  wenn  er  Brunos  ansieht  zurückweist  (Boethius  und 
seine  Stellung  zum  Christentum  s.  115 ;  vgl.  auch  Friedr.  Nitzsch,  Das  System 
des  Boethius  s.  70). 


ZUM   GERMANISCHEN   FRÜHCHRISTENTUM.  225 

Magnum  vero  nobü  aliqnid  Magi  innnnt,  qnod  in  regionem  suam 
per  aliam  viam  revertnntnr.  In  eo  namgne qnod admoniti facinnt,  nobis 
profecto  insinnaut  quid  faciamos.  Regio  quippe  uostra  paradisus 
est,  ad  quam,  Jesu  coguito,  redire  per  viam  qua  veniinus  probibemur. 
A  regioue  etenim  nostra  superbiendo,  inobiendo,  visibilia  se- 
quendo,  cibuni  vestitum  gustando,  disceasiinus.  sed  ad  eam 
necesse  est  ut  flendo,  obediendo,  visibilia  contemnendu  atque 
appetitum  caruis  refrenando  redeamus.  Per  aliam  ergo  viam 
ad  regionem  nostram  regredimnr,  quoniam  qui  a  paradisi 
gandiis  per  delectamenta  discessinius,  ad  haec  per  lamenta 
revocamur.  Unde  necesse  est,  ut  senipcr  pavidi  semperque  suspecti  po- 
namus  ante  oculos  cordis  binc  culpas  operis,  illinc  Judicium  extremae 
districtionis. 

Diese  stelle  ist  dann  aufgenommen  worden  von  Beda, 
Expos,  in  Matth.  Ev.  Cap.  II  (Migne  92, 13C),  Alcuin,  Com- 
ment.  in  Joann.  Cap.  II  vers  28  (Migne  100,  755C),  Smaragdus, 
Collectiones  (In  die  Theophaniae,  Migne  102,  74  D),  Hrabanns, 
Comment.  in  Matth.  I  2  (Migne  107,  761 B),  den  wider  Otfrid 
für  die  allegorische  erklärung  von  I  18  benutzt  hat,  Haimo 
v.  Halberstadt,  Homil.  de  tempore  XV  (Migne  118,  115  A), 
Walahfrid  Strabo,  Expos,  in  Matth.  (Migne  114, 866  D), 
Glossa  ord.  zu  Matth.  2, 12  i  Migne  114,  75  C),  Paschasius 
Radbertus,  Expos,  in  Matth.  II  Cap.  2  (Migne  120,  137  D — 
138  C).  In  dieser  mystischen  auslegung  von  dem  rückweg  der 
magier  Matth.  2, 12  ist  der  dreistufige  verlauf  der  menschheits- 
geschichte,  anhebend  mit  dem  Verlust  des  paradieses,  in  kurzen 
zügen  dargelegt.  Mehrmals  noch  berührt  Gregor  gerade  auch 
den  ersten  act,  die  verstossung: 

I  >i.il.  IV,  Cap.  l:  Koralia  VII  Cap.  2  (Migne  75, 768  C)  El  gnisqnifl 
gratiain  Etedemptoru  agnusi  it.  qnuqnifl  reditnm  ad  patriam  diligit,  ernditua 
■ab  pondere  peregrinationu  gemit  (die  'rflckkehr'  setzt  die  Vertreibung 
voraus);    XII  Cap.  7   (M  HA)    Patriam  volens  (bomo)  perdidit,  a 

peregrinatione  vero  ma  quam  diligit  invitos  expellitnr;   Snper  Cent  ein- 

(Migne  79, 471 A)  Postqnani  a  paradiii  gandiii  expnbram  eel  genus 
liiuiiaiiuiii  in  utam  peregrinationem  vi: 

Den  grnndriss  dieses  dreiactigen  dramas  vom  Call,  der 
leidenswanderung  und  erlosung  hat  im-  das  lateinische  mittel- 
alter  Gregor  »Irr  gr«  ihaffen.    Es  blieb  verknüpft   mit 

der  geschiente  der  drei  weisen  ans  dem  morgenlande  und  be- 
hielt dämm  nur  beschränkte  Verbreitung.  Aber  «las  bildvom 
himmlischen  Vaterland  und  dem  weg  daliin  ohne  «1»  mgs- 

punkt,  die  verotossung  ans  dem  paradies,  ist  Beit  A.ngnstin  zu 

Beitrage  zur  geichichtc  der  deutschen  spräche.     XXXV.  j  ^ 


226  EHRISMANN 

einem  stehenden  rhetorischen  motiv  in  den  anpreisungen  der 
weltflucht  geworden.  Vor  ihm  ist  es  noch  nicht  so  sehr  gemein- 
gut  gewesen.  Ambrosius  z.  b.  gebraucht  es,  ganz  kurz,  im  Liber 
de  fuga  saeculi  Cap.  IX  (Migne  14, 622)  Fugiamus  ergo  hinc 
sicut  fugit  de  patria  sanctus  Jacob.  Sehr  geliebt  aber  hat  es 
Gregor  der  grosse.  In  den  Moralia  sind  peregrinatio,  coelestis 
patria,  aeterna  patria  u.  s.  w.  Schlagwörter,  die  sehr  häufig 
begegnen, 

z.  b.  I  25.  26  (Migne  75,  543  AB.  543  D),  IV  28  (Migne  75,  644 D),  IV  33 
(Migne  75,  673  D.  674  A),  VIII  48  (Migne  75,  852  C),  XII 1  (Migne  75,  985  C), 
XV  56  (Migne  75,  1115  D),  XVI 19  (Migne  75,  1132  D),  XXIII  24  (Migne  76, 
279  CD),  XXVII 13. 14. 15  (Migne  76,  412—418),  XXIX  2  (Migne  76,  479  D); 
ferner  Homil.  in  Evang.  1 11  (Migne  76,  1115A),  Homil.  in  Ezech.  I  8 
(Migne  76,  855 B),  II 1  (Migne  76,  938 C),  II 10  (Migne  76, 1070 C),  vgl.  I  9 
(Migne  76,  878  C),  Expos,  in  primum  Reg.  I  37  (Migne  79,  40  A). 

Hier  schliessen  sich  an  die  Iren  und  Angelsachsen,  vgl. 
Columbanus,  Instructio  V  (Migne  80, 240 A),  VIII  (ebda.  244 
—246),  Aldhelm,  Epistolae  I  (Migne  89,  91 B).  In  nationalem 
vorstellungskreise  bewegt  sich  Beda,  indem  er  an  die  erzäh- 
lung  von  dem  stürm  auf  dem  see  Genezaret  (Matth.  14, 24; 
Marcus  6,  48;  Luc.  8,  23;  Joh.  6, 16)  anknüpfend,  die  weit  als 
ein  wogendes  meer  schildert,  aus  dem  sich  die  menschen  an 
den  heimatlichen  Strand,  das  himmlische  Vaterland,  retten: 
Expos,  in  Marcum  II  eingang  (Migne  92, 173  C),  Expos,  in  Lu- 
cam  III  8  (Migne  92, 434 CD,  danach  Smaragdus,  Collectiones, 
Dominica  IV  post  Theoph.  (Migne  102,  98  BC),  auch  Expos,  in 
Matth.  II  8  (Migne  92, 42  C.  43  C),  Expos,  in  Joan.  VI  16  (Migne 
92,  710C),  und  Expos,  in  Cantica  Cant.  IV  20  (Migne  91, 1160 D). 
Die  etymologie  von  Galiläa  —  Galilaea  namque  transmigratio 
facta  dicitur  —  wird  zu  der  allegorie  von  der  Wanderung  aus 
dem  tal  der  tränen  in  die  bürg  der  himmlischen  freude  aus- 
gesponnen  Expos,  in  Joan.  zu  I  43  (Migne  92, 653  C),  Homil.  17 
(Migne  94,  90  B,  danach  Smaragdus,  Collectiones,  Dominica  II 
post  Theoph.,  Migne  102,  85  AB). 

Und  nun  Alcuin.1)  Sein  ganzes  wesen  ist  durchdrungen 
von  der  gewissheit,  dass  das  erdenleben  nur  eine  Verbannung, 
nur  eine  pilgerschaft  zum  wahren  leben,  zur  heimat  im  himm- 


2)  Zu  Alcuin,  Hrabanus,  Smaragdus  s.  besonders  die  entsprechenden 
abschnitte  in  Hancks  Kirchengeschichte  Deutschlands  bd.  2. 


ZUM   GERMANISCHEN    FRÜHCHRI8TKNTÜM. 


227 


tischen  reiche  ist.  Aus  diesem  empfinden  heraus  entfaltet  sich 
seine  lehre  und  hierin  Liegi  ihr  ziel.  Damil  zieht  durch  viele 
Seiten  seiner  werke  eine  weiche  Stimmung,  sehnsuchtsvoll  und 
hoffnungsreich  zugleich.  In  seinen  briefen  gewährt  er  mit 
diesem  gedanken  trosl  oder  mahnung:  Epist.6  |  Migne  100, 1  t6< '). 
104(318C).  L05  (320A).  107  (323CD).  111  (336BC).  L15  (345B). 
L88(377BC).  L47  (393C).  154  (404C).  179  (449 CD)  182(4531  |. 
Das  streben  nach  dem  höchsten  gute  ist  ihm  der  /.weck  der 
theologie,  dieses  thema  stellt  er  an  die  s[iitze  seines  dogmatischen 
haupt  Werkes  he  Fide  S.  Trinitatis.  Auf  erden  ist  jenes  nicht 
zu  finden:  darum  ermahnt  uns  die  heil,  schritt,  vom  irdischen 
uns  zum  ewigen  aufzurichten,  nos  a  terrenis  ad  coelestia  erigi 
(Migne  1<>1,  1M>C).  Diu  erklärung  der  busspsalmen  und  meh- 
rerer capitel  der  stufenpsalmen  beruht  auf  dem  gegensatz 
zwistdien  dem  irdischen  und  dem  himmlischen  (s.  lies,  die  ein- 
leitungen  Migne  100, 573B  —  574 A.  019 ßC),  und  eben  damit 
beginnt  der  commentar  zum  Ecclesiastes  (Migne  100, 667.  668). 
Das  compendium  in  Cantica  Cant  gibt  lehren  des  unvergäng- 
lichen lebens,  vitae  preeepta  perennis  (Migne  100, 642 A),  auf 
dieses  zielt  der  ganze  sinn,  ad  consortium  coelestis  Jerusalem 
festinemus  ...  in  gaudia  coelestis  patriae  (643BC),  derschluss 
lautet  'revertere  in  sinum  l'atris'  (664C).  l>as  eiste  capitel 
seines  Johannes -commentars  beginnt  er  damit,  dass  er  dieses 
sein  lieblingsevangelium  emporhebt  über  die  drei  andern  mit 
der  Charakterisierung:  caeteri  evangelistae  quasi  in  terra  am- 
bulant cum  Domino  ...  Hie,  autem  quasi  ad  caelum  volat  cum 
Domino  (Migne  100,  744D).  In  dem  Liber  de  E>salmorum  nsu 
ist  der  quintus  usus  der  contemplation  des  himmlischen  Vater- 
landes gewidmet  (Migne  101, 467 AB.  474C      175B). 

lud  in  dieser  Stimmung,  die  seiner  hervorragenden  geistes- 
bildung  ein  besonders  feines  ooloril  verleiht,  beruht  Beine  eigen- 
ari.  die  ihn  von  Beda  unterscheidet  und  ihn  weit  hinaushebt 
aber  den  ehrlichen  aber  nüchternen  Erabanns  Maurus.  In 
der  gelehrsamkeit  der  weit  ausgesponnenen  werke  Ar*  lha- 
banus  tritt  denn  auch  jenes  motiv  mit  seiner  starken  empfin- 
dungweiter zurück.  Bezeichnend  für  Beine  pedantisch  gründ- 
liche art  ist  die  erklärung  jener  Btelle  des  Bebraerbriefs 
119)  in  der  Epist  ad  Bebr.  XI  (Migne  L12,  794  D 
798A> 

iy 


228  EHRISMANN 

Die  Stimmung  der  entsagung,  die  bei  Alcuin  als  wehmütige 
Sehnsucht  zum  ausdruck  kommt,  ist  zu  strenger  askese  gesteigert 
bei  Smaragdus.  Der  geist  Benedicts  von  Aniane  spricht  aus 
seinen  mönchslehrbüchern,  dem  Diadem a  Monachorum  und  dem 
commentar  zur  Benedictinerregel.  Nicht  nur  weltflucht,  son- 
dern welthass,  abtötung  alles  menschlichen  ist  zweck  und  ziel 
des  irdischen  daseins.  Von  der  Verdammung  des  irdischen 
hebt  sich  der  preis  der  himmlischen  Seligkeit  um  so  stärker 
ab,  der  contrast  zwischen  der  terra  morientium  und  der  terra 
viventium  ist  aufs  schärfste  ausgeprägt,  die  transmigratio  nach 
dem  himmlischen  Vaterland  ist  der  alles  beherschende  gedanke 
im  leben  des  mönchs  (Diadema,  Migne  102,  593—690  bes.  der 
Prolog  S.  593 CD,  Cap.  XIV  S.  610 D  — 61  IC,  der  schluss  Cap. 
XCVIII  u.  XCIX  S.  687B  —  689 A;  Com.  in  Begulam  S.  Bened., 
Migne  102,689—932  bes.  die  gereimte  vorrede1),  auch  778  D 
— 779 B).  Und  wie  sehr  diese  Vorstellung  sein  inneres  leben 
beherscht,  sehen  wir  darin,  dass  er  mit  ihm  auch  die  Via  Regia, 
sein  erbauungsbuch  für  Ludwig  den  frommen  (Hauck,  Kirchen- 
gesch.  Deutschlands  II  642)  einleitet  (Migne  102,933B  —  936  A). 

Die  beliebtheit  des  motivs  zeigt  auch  der  titel  von  Haimos 
von  Halberstadt  blumeniese  De  Varietate  librorum,  die  auch 
De  amore  coelestis  patriae  genannt  ist  nach  ihrem  im  Prolog 
dargelegten  zwecke:  ex  tibi  flosculos  perpetuos  ad  animae  tuae 
salutem  proficuos  tarn  de  amore  coelestis  patriae  . . .  quam  etiam 
de  timore  et  qualitate  supplicii  perquirerem  (Migne  118,  875  A). 

Am  ende  des  bisher  besprochenen  Zeitraums  hat  Scotus 
Eriugena  sein  pantheistisches  System  von  der  einheit  alles 
seins  mit  dem  egressus  und  dem  regressus,  dem  ausgang  der 
dinge  aus  gott  und  der  rückkehr  derselben  zu  gott  aufgestellt. 
Er  steht  in  seinen  gedanken  auf  einsamer  höhe.  Und  doch 
wird  er  historisch  begreiflicher,  wenn  man  berücksichtigt,  dass 
die  grundlage  dieser  metaphysischen  entwicklung,  die  begriffe 
vom  egressus  und  regressus,  in  der  theologie  seiner  zeit  ent- 
sprechung  haben,   eben  in  der  oben  dargelegten  menschheits- 


:)  In  dieser  Praefatio  finden  wir  auch  dieselbe  rührende  stelle  von  der 
das  kind  linde  strafenden  nmtterliebe,  welche  Otfrid  in  der  Praefatio  zum 
dritten  buche  bringt:  lindo,  liobo  druhtin  min  laz  thia  kestiga  sin  u.s.w. 
Otfrid  III 1,  31—38,  Smaragdus,  Praef.  (Migne  102,  689  C)  Haec  bene  materno 
natos  castigat  amore  u.s.w. 


ZUM   GERMANISCHEN   FBÜHCHBI8TBNTUM.  229 

geschickte  mit  ilirem  egressus  aus  dem  paradies  und  dem 
regressus  zur  göttlichen  heimat1) 

Die  grundlage  in  der  geistlichen  dichtung  der  Angel- 
sachsen bildet,  und  mnsste  der  christlichen*lehre  entsprechend 
bilden,  der  zweck  des  menschlichen  daseins.  Noch  heute 
lautet  die  erste  frage  des  katholischen  katechismns:  wozu  Ednd 
wir  auf  erden?  mit  der  antwort:  wir  sind  auf  erden,  um  gott 
zu  erkennen,  ihn  zu  lieben,  ihm  zu  dienen  und  dadurch  in  den 
hinnnel  zu  kommen.  Das  gilt  für  alle  gläubigen.  Aber  es 
gibt  eine  höhere  Ordnung,  die  die  Verwirklichung  des  gottes- 
staates  schon  auf  erden  erstrebt,  das  mönchtum.  Das  leben, 
welches  dieses  hohe  ziel  sich  steckt,  ist  die  askese,  im  bilde 
dargestellt  als  eine  mühsalbeladene  und  durch  freiwillige  auf- 
ladung  von  mühsalen  noch  beschwerte  Wanderschaft  durch 
ein  tränenreiches  tal,  oder  durch  ein  land  der  Verbannung, 
oder  durch  ein  wildes  meer.  In  diesem  bilde  zeichnet  der 
münch  sein  eigenes  leben  und  die  hier  entwickelte  anschauungs- 
form  ist  insbesondere  und  vor  allem  ein  ausdruck  des  mönch- 
tums.  Darum  sind  auch  die  tilgenden,  die  Otfrid  in  seinem 
Mystice  denjenigen  vorschreibt,  die  den  weg  zur  heimat  gehen 
wollen,  eben  solche,  welche  die  Benedictinerregel  fordert  (im 
( lapitel  1  ><■  moribus  perfectionis):  guati  Otfr.  1 19, 37-42  =  man- 
Buetudo,  dispensatio  (vgl.  sit  mitissimus  atque  benignus  in  des 
Smaragdus  Commentar  zur  Benedict. -regel,  Migne  102, 690D), 
ottnuati  Otfr.  37  humilitas,  hxritati  Otfr.  38  =  Caritas  (der 
schlussstein  in  den  forderungen  der  Benedict.-regel:  tunc  per- 
fectus  est  homo,  guando  plenus  est  caritate),  furümrti  Otfr.  39 
abstinentia,  wis  horsam  Otfr.  tO  =  oboedientia;  die  ab- 
schliessenden yerse  II  t.  von  der  weltfluchl  sind  dasthema  des 
klosterlebens  überhaupt 

Die  angelsächsische  geistliche  literatur  ist,  wie  ja  eigent- 
lich auch  fast  die  gesammte  lateinische  geistliche  literatur 
der  zeit,  im  sinne  des  mönchtums  geschrieben.    Damit  tragl 

1 1  in  den  späten  n  dogmencompendien,  den  theologischen  rammen,  bildet 
die  dreistufige  menschheitsgeschichte  den  grundplan,  /..  l>.  im  Essolied:  der 
mensch  trard  eilend*   V  l.    et  wandelt   in  der  aebelfinstern  Dacht  VI  •_■  n  . 
Christus  rerleihl   i li in  widerfahrl   in  das  erbland  B52  (himelriche  ist   ■ 
heitnuot    \ß  stolische  and   das   nieftnieche  glanbensbekenntnis 

haben  nichts  von  dii  -•  m  weltd 


230  EHRISMANN 

sie  ein  ganz  bestimmtes  gepräge,  das  in  der  weltentsagung 
den  mittelpunkt  findet  Im  mönchsieben  des  asketen  Gntlilac 
hat  diese  richtung  den  reinsten  ausdrnck  gefunden  (die  eigen- 
schaften  des  möncns  bes.  s.  769 — 790).  Bei  Otfrid  tritt  diese 
seite  viel  weniger  stark  hervor  (hierher  gehören  I  18.  V  23, 
vgl.  C.  Pfeiffer  a.a.O.  s.  59—64.  100—105),  der  Heliand  ist  fast 
frei  davon. 

Wir  können  Otfrid  mit  der  gleichzeitigen  deutschen  theo- 
logie  in  beziehung  setzen  und  haben  sofort  sein  vorbild.  Mit 
seinem  lehrer  Hrabanus  Maurus  hat  er  mehr  gemein,  als  was 
er  in  der  Wissenschaft  von  ihm  gelernt  hat:  er  hat  auch 
denselben  braven  fleiss  und  denselben  mangel  an  belebender 
Phantasie.  Und  in  ebenfalls  nahem  Verhältnis  steht  die  ags. 
geistliche  dichtung  zu  dem  grossen  angelsächsischen  lehrer 
ihrer  zeit,  zu  Alcuin:  überall  treffen  wir  eine  milde,  ent- 
sagungsvolle frömmigkeit,  bewahrt  in  warmem,  begeisterungs- 
fähigen gemüte. 

Es  ist  also  begreiflich,  weshalb  der  gedanke  an  die  himm- 
lische heimat  so  oft  in  der  angelsächsischen  dichtung  wider- 
kehrt. Es  ist  bei  Alcuin  ebenso,  er  ist  mit  der  herschenden 
Stimmung  des  volkes  verbunden.  Ausserdem  aber,  die  Sehn- 
sucht nach  einer  gewissheit  über  die  zukunft  lag  schon,  wie 
oben  erwähnt,  im  letzten  angelsächsischen  heidentum.  Das 
bild  vom  Sperling,  in  welches  der  angelsächsische  edeling  seine 
frage  nach  dem  menschendasein  kleidete,  zerfällt  in  dieselben 
drei  stufen  wie  die  christliche  Vorstellung:  'der  mensch  wandelt 
einige  wenige  jähre  auf  erden;  was  aber  seiner  geburt  vorher- 
gieng  oder  was  nach  seinem  tode  folgen  wird,  können  wir  nicht 
sagen'  (Beda  a.a.O.).  Als  heiden  fragten  die  Angelsachsen: 
woher  kommen  wir?  und  wohin  gehen  wir?  Das  Christentum 
hat  die  antwort  darauf  gegeben:  unser  Ursprung  liegt  im 
paradies,  in  die  heimat  werden  wir  zurückkehren. 

IV.  Die  elegischen  motive  in  der  angelsächsischen 
dichtung. 

In  dem  sperlingsgleichnis  des  angelsächsischen  optimaten 
ist  das  menschenloos  ebenfalls  in  drei  stufen  dargestellt. 
Zwischen  zwei  unbekannten  reichen  liegt  das  kurze  leben, 
quid  autem  sequatur  quidve  praecesserit  prorsus  ignoramus. 


ZUM  GERMANISCHEN   PBÜHCHBI8TENTUM.  231 

Und  so  ist  es  auch  im  Beowulf.  Das  leben  ist  wie  in  jenem 
bild  —  sed  tarnen  parvissimo  spatio  serenitatis  ad  momentum 
excurso  ...  Ita  haec  vita  hominuiu  ad  niodicum  apparet  — 
flüchtig,  fliehend  wie  der  Sperling'  im  königssaal,  und  was 
darauf  folgt,  ist  von  schweigen  umhüllt:  Men  ne  cunnon  secgan 
to  socte  selercedende,  hceleä  under  heofenum,  hwa  pcem  Klceste 
onfeng  Beow.  50—  52;  ac  gesccan  sceal  saidbercndra  nide  genydi  d 
nip&a  bearna,  grundbuendra  gearwe  stowe  Peer  his  lichoma 
legerbedde  feest  swefep  cefter  symle  1004 — 8;  sceolde  ofer  willan 
wie  eardian  dies  liwergen,  swa  sceal  ceghivylc  mon,  alcetan 
lamdagas  2589— 91;  in  seinem  gebet  vor  dem  tode  redet  Beo- 
wulf nicht  von  einer  Zukunft,  es  heisst  nur:  Ne  meng  ic  h  r 
leng  wesan  2801,  ealle  wyrd  forsiveop  mine  magas  to  metod- 
sceafte,  eorlas  on  eine:  ic  him  cefter  sceal  2814 — 16.  Oder  es 
besteht  nur  eine  vage  Vorstellung  von  der  Zukunft:  es  ist  ein 
hinuntersteigen  ins  nebelreich,  under  sceadu  bregdan  707,  oder 
ein  erkiesen  des  göttlichen  lichts,  godes  leoht  geceas  2469. 
Christlich  dagegen  sind  die  stellen  Him  da  Scyld  gewat  ... 
feran  on  frean  woere  2t>  f.:  od  domes  deeg  3069. 

Resignation  ist  die  lehre  jenes  gleichnisses  und  der  ertrag 
aller  lebenserfahrung,  und  so  also  auch  in  der  angelsächsischen 
dichtung,  wo  das  nationale  empfinden  hervortritt.  Aber  die 
menschen  gehen  nicht  auf  in  tatlosem  verzichten.  Sie  wissen 
doch  das  leben  kräftig  zu  fassen  und  bei  dem  bewusstsein  der 
Vergänglichkeit  verstehen  sie  den  augenblick  froh  zu  gemessen. 

In  solche  Stimmung  ist  die  angelsächsische  poesie  getaucht 
und  die  Stimmung  ist  es,  welche  ihr  den  eigentümlichen  in- 
timen reiz  verleiht  Wie  in  einer  von  wölken  überzogenen 
abendlandschaft,  durch  die  doch  ein  verlorener  Sonnenstrahl 
bricht,  liegen  hier  die  gegenstände.  Dunkel  und  licht,  leid 
und  Ereude,  der  gegensatz  dieser  seelenstimmung  zieht  sich 
durch  and  ist  schalt'  ausgeprägt  Er  ist  charakteristisch  für 
diese  dichter,  er  ist  ein  wesenhafter  bestandteil  ihrer  lebens- 
auffassung,  die  immanente  denkweise,  in  welcher  sich  alles 
menschliche  ihnen  darbietet  Aber  länger  verweilen  sie  doch 
bei  den  Schmerzempfindungen,  und  damit  überwiegt  die  pes- 
simistische betrachtung  des  Lebens. 

Hier  bestehl  nun  ein  tiefgehender  unterschied  zwischen 
altepischer  und  geistlicher  auffassung,  der  in  letzter  hinsieht 


232  EHRISMANN 

auf  der  Verschiedenheit  der  lebensanschauung  beruht.  Im 
germanischen  heldentum  ist  trotz  des  in  der  dichtung  stark 
vortretenden  pessimismus  eine  fülle  positiver  lebensarbeit  in- 
begriffen, die  das  leben  lebenswert  macht,  eine  moralische 
kraft,  die  nicht  von  Sentimentalität  angekränkelt  ist.  Kurz 
ausgesprochen  ist  diese  practische  lebensaufgabe  des  helden 
Beow.  1384 — 89  Ne  sorga,  snotor  guma!  Selre  biet  eeghweem, 
])cet  he  his  freond  wrece  ])onne  he  fela  murne;  ure  oeghwyle 
sceal  ende  gebidan  worolde  lifes;  wyree,  se  ])e  mote,  domes  cer 
deafie,  Jjcet  bid  drihtguman  unlifgendum  cefter  seiest.  Aber 
gerade  diese  worte  zeigen  doch  wider,  wie  tief  die  Weichheit 
der  empflndung  in  das  bewusstsein  des  heldentums  hineinragte. 
Es  ist  eine  abwehr  nötig  gegen  das  zu  stark  andrängende 
gefühl  und  hinter  allem  steht  der  gedanke  an  den  tod.  So 
wechseln  hier  im  ersten  teile  des  Beowulfliedes  jäh  die  gegen- 
sätze  zwischen  freud  und  leid,  zwischen  tapfern  taten  und 
klagerufen,  zwischen  der  hallenfreude  am  tag  und  dem  dämonen- 
graus  in  der  nacht.  Ueber  dem  zweiten  teil  aber,  dem  drachen- 
kampf  des  alten  Beowulf,  liegt  von  vornherein  die  bange  ahnung 
des  unheilvollen  endes:  him  wees  geomor  sefa,  weefre  ond  wcel- 
fus,  wyrd  ungemete  neah,  seo  (tone  gomelan  gretan  sceolde,  secean 
sawle  hord,  sundur  gedcelan  lif  wiä  lice  2419 — 23.  Aber  im 
tode  noch  ist  er  sieger  und  durch  den  tod  befreit  er  sein  land: 
so  ist  hier  im  abschluss  des  gedientes  glück  und  leid  in  einen 
gewaltigen  moment  vereinigt  und  die  leichenklage  schliesst 
mit  der  höchsten  glückpreisung,  die  einem  germanischen 
fürsten  zu  teil  werden  konnte,  dass  er  der  mildeste  könig  war 
und  der  ruhmfreudigste.  Das  ergebnis  der  erfahrung  über  das 
wesen  des  menschengeschicks  ist  aber  doch  ausgesprochen  in 
den  versen  1060 — 62  Fela  sceal  gebidan  leofes  ond  laftes, 
se  ])e  longe  her  on  dyssum  ivindagiim  worolde  bruceä,  mühsal 
ist  es  und  schwankend  zwischen  lieb  und  leid. 

Die  christliche  lehre  hingegen  legt  den  ganzen  Schwer- 
punkt auf  das  jenseits.  Ins  christliche  übertragen  würde  jener 
satz  von  der  aufgäbe  eines  heldenlebens  (Beow.  1384 — 89) 
fast  in  allem  umgekehrt  lauten:  würdig  ist  es  für  den  heiligen, 
den  feind  zu  lieben  und  keine  räche  zu  üben;  dieses  leben  ist 
überhaupt  nur  ein  schein,  das  eigentliche  leben  folgt  erst  nach 
dessen  ende,  darum  leiste  ein  jeder,  so  lange  er  kann,  entsagung 


ZUM  GERMANISCHEN  FRÜHCHKISTENTUM.        233 

in  denmt,  dass  ihm  die  himmlische  glorie  werde.  Das  dasein 
steht  bei  beiden  in  nahezu  umgekehrter  Schätzung.  Der  Christ 
klagt,  dass  er  das  leben  überhaupt  leben  muss,  der  angel- 
sächsische scop  nur,  dass  er  es  s  o  leben  muss,  jener  preist  das 
ende  glücklich,  dieser  verwünscht  das  leben  nur,  weil  es  so 
mühselig  und  so  vergänglich  ist. 

Diese  grundsätzliche  Verschiedenheit  der  gesammtanschau- 
ung  kommt  nun  natürlich  auch  in  den  einzelnen  bestandteilen 
der  darstellung  zum  ausdruck. 

Die  hier  in  betracht  kommenden  motive,  die  symbolischen 
auffassungen  von  freud  und  leid,  glück  und  unglück  sind  anders 
gestaltet  im  altepischen  stil  als  im  geistlichen,  doch  sind  jene 
nicht  selten  auf  das  religiöse  gebiet  übertragen,  zur  widergabe 
religiöser  Stimmung  verwendet. 

Die  volkstümlichen  elegischen  motive1)  zerfallen  in  zwei 
gruppen:  A  das  leid  des  lebens  äussert  sich  im  allgemeinen 
oder  in  bestimmten  Schicksalen,  B  es  besteht  in  der  Vergäng- 
lichkeit. 

A.  Das  leben  wird  genannt  on  Öyssum  wmdagum,  tage  der  mühsale, 
Beow.  1002,  on  gemnwondd,  die  weit  der  mühen,  Guthl.  829,  call  is  ear- 
fodlic  eorjxtn  rice,  all  voll  mühsal  ist  das  erdeureieh,  Wand.  106,  on  pas 
Peostran  weortdde,  /»in-  fyu  polades  sißpan  mcegenearfepu  micle  stunde,  sar 
<t>ttl  Bwar  gewin  (ual  swcartne  dead  Christ  1410  ff.  Die  schwersten  übel, 
die  den  tod  bringen,  sind  krankheit,  aller  und  schwert  des  feindes,  Beow. 
1736.  1848.  1886,  Seefahrer  70;  ein  ganzes  register  von  lebensgefahren  gibt 
das  gedieht  von  den  Schicksalen  des  menschen,  das  eben  auf  jener  gegen- 
aberstellung  von  glück  und  unglück  beruht,  wobei  zu  beobachten  ist,  dasa 
die  leidensschicksale  mit  viel  stärkerer  dichterischer  kraft  herausgearbeitet 
sind  als  die  günstigen  Lebensbedingungen.  Das  schlimmste  geschick  für 
den  yermanisrhen  edeling  ist  die  verbannnng,  frenndlos,  macht-  und  hilflos 
iu  der  fremde,  im  elend,  auf  dem  ineer  zn  wandern.  Dal  sind  die  tragischen 
gestalten  des  (ränderen,  des  Beefahrers,  des  geliebten  in  der  botschafl  des 
mannes  und  in  der  klage  der  ti-au,  vgl.  anch  Cynewnlfa  Christ  264  ■"■,;". 
Schicksale  des  menschen  27.  Au-  dieser  Seelenverfassung  heraus  gehen  auch 
die  klagen  des  einsamen  \\  ie  im  Wanderer  1.  K),  Beow.  2287.  2268.  2461. 
2815,  Gnomen  174. 

|{.  Die  Vergänglichkeit  des  daseins:  leendayu,  die  geliehenen,  ver- 
gänglichen ta<je,  lieow.  2591  (2341),  l"  nun  gesceafi  L622,  ende  Utnan  Vfu 
2844.  Die  traner  über  die  heimatlosigkeit  (A)  und  die  ttber  die  Dichtig- 
keit des  irdische»  (B)  sind  die  elegischen  hanptmotive  der  ai  rischen 

l)  Vgl.  dazu  L.  L.  Schücking,  Dai  oklagelied,   Engl.  Studien 

13. 


234  EHRISMANN 

dichtung.  Ergreifend  sind  die  klagen  über  den  Wechsel  des  geschicks, 
über  das  entschwundene  glück  Beow.  1722—1778.  2236—2266.  2455—2459, 
Wand.  6-110,  Seefahrer  66—71.  81—105,  Guthl.  1322  ff.,  in  der  Ruine,  in 
Deors  klage. 

In  diesen  elegischen  betrachtungen  offenbart  sich  das 
poetische  gemüt  des  angelsächsischen  Volkes  in  seinem  innersten 
wesen.  Dieses  stille,  wehmütige  nachsinnen  über  die  Vergangen- 
heit spricht  von  einer  Zartheit  der  empfindung,  von  einer  wärme 
des  herzens,  einer  treue  des  gemüts,  die  nur  in  einem  fein- 
fühligen Seelenleben  zur  ausbildung  gelangen  konnten. 

Dieselben  elegischen  züge  enthält  die  christliche  dichtung, 
aber  sie  haben  hier  eine  andere  bedeutung.  Auch  hier  ist 
das  leben  voll  von  mühsalen  und  gefahren,  aber  es  sind  nicht 
solche,  die  den  tod  des  leibes  bringen,  sondern  den  der  seele, 
es  sind  die  lockungen  der  weit;  auch  hier  ist  das  leben  ein 
exil,  eine  Wanderschaft,  aber  nicht  eine  Verbannung  vom  königs- 
hofe  und  von  den  freunden,  sondern  eine  verstossung  aus  dem 
paradies  und  eine  Wanderung  im  sündenelend;  auch  hier  wird 
die  Vergänglichkeit  des  irdischen  gelehrt,  aber  nicht  mit  Weh- 
mut, sondern  mit  Verachtung  seiner  nichtigkeit,  und  auch  hier 
liegt  über  allem  die  Sehnsucht,  aber  nicht  die  Sehnsucht  nach 
verlorenem  glück,  sondern  nach  den  unvergänglichen  freuden 
des  himmels.  In  der  art  des  empfindens,  wenn  auch  nicht  in 
den  zielen  desselben,  stehen  sich  also  angelsächsisches  und 
christliches  Seelenleben  sehr  nahe,  beiderseits  geht  ein  weicher 
zug  der  entsagung  durch,  das  irdische  leben  ist  hier  wie  dort 
pessimistisch  aufgefasst,  und  darum  konnte  auch  die  epische 
dichtung  mit  den  christlichen  gedanken  zu  einer  neuen  einheit 
verschmelzen,  einer  national  -  christlichen  dichtungsweise  mit 
populär- christlichem  anstrich,  wie  sie  im  Seefahrer  und  im 
Wanderer  vorliegt  und  wozu  auch  die  christliche  färbung  des 
Beowulf  gehört. 

Aber  eine  ausschlaggebende  Wendung  hat  der  christliche 
glaube  hinzugefügt,  nämlich  den  hinblick  auf  das  jenseits: 
auf  die  mühen  und  entsagungen  des  menschenlebens,  bei  denen 
das  nationale  denken  stehen  blieb,  folgt  hier  in  holdem  Opti- 
mismus der  trost  der  himmelswonne,  auf  das  heimatlose  umher- 
schweifen die  sichere  heimat  bei  gott.  Der  geistliche  abschluss 
im  Seefahrer  und  im  Wanderer  ist  das  stärkste  merkmal  für 


ZUM  OEKMANISCIIKX    PEÜHCHRIBTENTUM.  235 

diese  christliche  epik  und  auch  in  der  grossen  stelle  vom 
Umschwung  des  glucks  im  Beowulf  v.  1724—1781  bildet  der 
gedanke  an  das  ewige  heil  (1750)  den  Eesten  pnnkt  im  wandel 
der  geschicke.  Ks  ist  die  frohe  botschafl  vom  himmelreich, 
durch  welche  schon  die  ersten  glaubensboten  das  heiz  der 
Angelsachsen  rasch  für  ihre  neue  lehre  gewannen.  Ebenso 
Bchliessen  die  epiloge  Cynewulfs  zur  Biene  und  zur  Juliane, 
deren  stil  geistlich  mit  altepischem  einschlag  ist.  Und  von 
hier  ist  dann  die  brücke  geschlagen  zu  Alcuin.  der  in  seiner 
elegie  von  der  Zerstörung-  des  klosters  Lindisfarne  (Migne  L01, 
805—810)  die  endlichkeit  des  irdischen  glucks  dem  beharren 
des  jenseits  mit  verwantem  empfinden  entgegenstellt. 

V.   Der  Ursprung  der  elegischen  Stimmung  bei  den 

Angelsachsen. 

Von  wehnmt  durchzogen  sind  die  gedanken.  die  die  angel- 
pächsischen  dichter  vom  leben  haben,  mühselig  ist  es  und  ver- 
gänglich und  aber  ihm  waltet  ein  düsteres  Schicksal  In  diese 
national -christliche  epik  ragt  noch  viel  heidentum  herein 
Neben  dem  christeugotl  bestehl  noch  eine  macht,  eine  heid- 
nische, das  Schicksal,  die  Wyrd.  Mag  auch,  was  die  dichter 
von  ihr  sagen,  grossenteils  auf  rechnung  der  poetischen  tradition 
zu  setzen  sein  und  mag  der  angelsächsische  edeling  in  seinem 
doch  meist  nur  äusserlich  werktätigen  glauben  sich  als  Christ 
und  getreuen  anhänger  der  kirche  bekennen,  bezeichnend  ist 
es  dich  für  das  zähe  festhalten  an  den  alten  begriffen,  für 
die  freiheit  und  selbständigkeil  des  angelsächsischen  Bcop,  dass 
reste  des  heidnischen  wesens  in  der  dichtungso  ungestört  neben 
der  christlichen  leine  beibehalten  werden  konnten. 

Die  Wyrd  ist  das  heidnische  tat  um.  Eis  isl  das  verderb- 
liche, unheilvolle,  feindliche  geschick,  das  geheimnisvoll,  on- 
barmherzig  und  anerbittlich  über  dem  menschen  waltet.  Im 
Beowuli  ist  is  speciel]  das  Verhängnis  des  todes,  die  todes- 
gottheir  (ebenso  im  lleiiaud  inini  das  lodesverhängnis,  vgi 
auch  im  Hildebrandslied  wSumrt),    Beispiele  aus  Beowulf: 

i  wyrd,  Bwa  bio  scel  156;    bie  wyrd  fonweop  on  Grendles  gryre 

477;  wyrd  oft  nered  anfsejn rl.  bonne  bü  eilen  deab  'ü--.    newasepeet 

wyrd  |'.i  gen  (•;•  t  be  ma  moste  manne  cynnei  diogean  ofer  pa  oihl  784; 
Deine  bim  \wti,s  god  wyrd  fontode  ond  <!.•■<  mannesm  nyne  wyrd 


236  EHRISMANN 

fornam  1205;  him  waes  jeomor  sefa,  waefre  ond  waelfus,  wyrd  on^emete 
neah,  seo  done  jomelan  ^retan  sceolde,  secean  sawle  hord,  sundur  jedaelan 
lif  wid  lice  2419;  swa  unc  wyrd  ^eteod  2526;  Daer  he  py  fyrste  forraan 
dolore  wealdan  ne  moste,  swa  him  wyrd  ne  jescraf,  hred  aet  hilcle  2573; 
ealle  Avyrd  forsweop  2814.  Ferner  wyrd  bid  f ul  araed !  swa  cwaed  eardstapa 
earfepa  semyndij,  wrapra  waelsleahta,  wineiTiseja  hryre  Wand.  5;  Wyrd 
ne  mealite  in  fae;$um  lenj  feorj  jehealdan,  deore  fraetwe,  ponne  him  jedemed 
wses  (das  amt  der  Wyrd  als  todesgöttin  schimmert  hier  noch  durch)  Guth- 
lac  1030;  bip>  his  lif  scaecen  and  feleleas  feores  orwena  blac  on  heame 
bided  wyrde  bewegen  waelmiste  Schicksale  d.  menschen  39.  —  Wyrd  ist 
die  stifterin  des  Unheils:  Eall  is  earfodlic  eorpan  rice,  onwended  wyrda 
jesceaft  weoruld  under  heofonum  Wand.  106;  ne  daer  aeni;$  becwom  herbes 
to  harne,  ac  hie  hindan  beleac  wyrd  mid  wse^e  Exod.  455 ;  hie  seo  wyrd 
beswac,  forleolc  and  forlserde:  nu  hie  lungre  sceolon  werije  mid  werijum 
wraece  proAvian  Andreas  613;  Oirjan  pa  hreorcearij,  sidfaet  seofian,  sar 
cwanian,  wyrd  wanian  Jul.  536;  Feala  ic  on  pam  beor^e  ^ebiden  haebbe 
wradra  wyrda  Kreuz  50;  donne  mon  him  sylf  ne  mae^  wyrd  onwendan 
Hymnen  IV  116;  paet  ic  jewse^an  ne  mae;$  wyrd  under  heofonum  Das  jüngste 
gericht  115;  daet  eal  fornam  yp[a  geblond]  wrape  wyrde  in  woruldrice 
Pharao  8;  beorht  waeron  burgraeced  ...  op  paet  paet  onwende  wyrd  seo 
swipe  Kuine  22 — 25;  wyrd  byd  swiclost  Gnom.  Cott.  5;  earm  bid,  se  pe 
sceal  äna  lifjan,  wineleas  wuuian,  hafad  him  wyrd  jeteod  Gnom.  Exon.173; 
besonders  aber  Sal.  u.  Sat.  426 — 439:  hwaeder  waere  twegra  butan  tweon 
streirgra,  wyrd  de  Warnung,  donne  hie  winnad  oft  mid  hira  dreamedlan, 
hwaederne  adreoted  aer  . . .  Wyrd  bid  wended  hearde,  wealled  wide  geneahhe, 
heo  wop  weced,  heo  wean  hladed,  heo  gast  scyd,  heo  gar  byred,  and  hwaedre 
him  ma?g  wissefa  wyrda  gehwylce  gemetigian,  jif  he  bid  modes  gleaw  and 
to  his  freondum  wile  fultum  secan,  deh  hwaedre  godcundes  gaestes  brucan. 
Ac  hwaet  wited  us  wyrd  seo  swide,  ealra  fyrena  fruma,  faehdo  modor,  weana 
wyrtwela,  wopes  heafod,  frumscylda  geh  waes  faeder  and  modor,  deaöes  dohtor? 
. . .  ned  bid  wyrda  heardost  ebda.  310.  —  Wyrd  als  das  geheimnisvolle,  ver- 
borgene geschieh:  paette  hie  saedon  swefn  cyninge,  wyrda  gerynu  Daniel 
148,  vgl.  132.  653;  and  him  witgode  wyrda  gepingu  ebda.  546;  He  pe  maeg 
sod  gecydan,  onwrean  wyrda  geryno  Elene  588;  nu  is  leoht  cymen,  on- 
wrigan  wyrda  bigang  ebda.  1122;  swa  ic  on  bocum  fand  wyrda  gangum 
on  gewritum  cydan  ebda.  1254. 

In  den  religiösen  gedienten  wird  wyrd  auch  einige  male 
mit  gott  in  beziehung  gebracht,  und  dann  ist  ausdrücklich  die 
macht  gottes  als  die  stärkere  hervorgehoben:  Genesis  2353 
gott  spricht  zu  Abraham:  Sarah  wird  einen  söhn  bekommen, 
pe  sceal  tvintrum  frod  on  ivoruld  bringan  Sarra  sunu,  soft 
forft  gan  wyrd  cefter  pissam  ivordgemcarcum;  Ne  wile  Sarran 
sod  gelyfan  ivordum  minum,  sceal  seo  wyrd  swa  J)eah  foret 
steallian,  siva  iefie  03t  frymfte  gehet  ebda.  2388;  gott  ist  der  herr 
des  geschicks,  wyrda  ivaldend,  Exod.  432,  Andr.  1058,  Elene  80; 


ZUM    GERMANISCHEN    FUi'lICHRISTENTUM.  237 

Hymnen  IV  43;  das  geschick  verändert  ihn  nicht  («Jens  innnu- 
tabilis),  Goü  us  ece  biS,  ne  wendaä  hine  wyrda  Gnom.  Exon.8. 

Das  Verhältnis  gottes  zu  den  menschen  ist  das  entgegen- 
gesetzte von  drin  der  ll'///v/  gegen  die  menschen.  Im  Beowulf 
ist  er  der  Schöpfer  11U.  2520.  2741,  der  lebensspender  17,  der 
allgewaltige  314.  055,  der  ewige,  weise,  heilige  walter  der 
menschen  1611.  2741.  2850,  der  ewige  lenker  des  alls  928, 
der  könig  und  lichter  180,  sein  wille  isl  unbeugsam  2858,  er 
ist  der  Schätzer  der  menschen  26,  im  kämpfe  1057,  auf  der 
reise  314,  in  der  nacht  1057,  der  leiter  der  verlassenen  1057, 
der  trost  070,  er  sorgt  für  die  menschen  706,  gibt  seinen  segen 
bei  der  geburt  944,  er  verleiht  gaben  72,  stärke  1710,  rühm  80, 
kampfglück  und  sieg  097.  1553.  2874.  3054,  hilft  zu  gross- 
taten  939,  spendet  Weisheit,  adel,  erbsitz  und  ehre  1724  ff., 
verleiht  wolredenheit  1841,  ist  der  feind  des  bösen  1083  (Gren- 
dels), 1092  (der  giganten),  bricht  bösen  zauber  3054,  zu  ihm 
betet   man  227  u.  <">.,  ruft  ihn  zu  zeugen  an  2650. 

Gotl  und  Wyrd  sind  also  ethische  gegensätze,  was  von 
übel  den  menschen  betrifft,  isl  fügung  der  Wyrd,  von  gott 
kommt  alles  gute  und  nur  gutes.  Zwei  weitmächte  bestimmen 
in  diesen  dichtungen  das  leben.  Ein  blindes,  ein  unberechen- 
bares und  unerbittliches,  dem  menschen  fremd  und  kalt 
gegenüberstehendes  fast  wesenloses  wesen  und  ein  gerechter, 
barmherziger,  nur  gutes  bringender  vater;  dort  heischt  ein 
heidnischer  pessimistischer  fatalismus,  hier  der  idealistische 
teleologische  Optimismus  des  Christentums. 

Der  germanische  schicksalsglaube  (J.  Grimm,  1).  mythol. 
810.  817  IT.,  nachtr.  257  ff. |  hatte  im  angelsächsischen  Volks- 
glauben noch  starke  wurzeln.  Er  isl  ebenso  noch  Lebendig 
im  früheren  deutschen  Christentum,  s.  bes.  Ilauck  II  395.  7;.'.'. 
759.  777  i  im  obd.  aberglauben,  im  Heliand;  <  lottschalks  strenge 
prädestinationslehre  aus  dem  ihm  innehaftenden  fatalismus 
hervorgegangen,  der  fatalistische  gottesglaube  im  Ludwigslied) 
und  auch  im  Bpäteren  mittelalter  sind  Bpuren  noch  in  der 
deutschen  literatur  zu  treffen  (J.  Grimm  a.a.O.;  die  wih 
Etöhrscheidt,  Studien  zur  kaiserchronik,  Göttinger  diss.  1907, 
s.  ii  it.;  im  Nibelungenlied,  Kettner,  Die  baterreich,  Nibelungen- 
dichtung  s.  217    219,  s.  auch  Beitr.  82,26 

l>er  Bchicksalsglaube  isl  ein  charakteristisches  merkmal 


238  EHRISMANN 

des  germanischen  frühchristentums  und  bildet  eine  notwendige 
Übergangsstufe.  Er  war  ein  so  wesentlicher  bestandteil  des 
religiösen  bewusstseins  im  heidentum,  dass  er  nicht  einfach 
bei  seite  geschoben  werden  konnte.  Der  germanische  regnator 
omnium  deus  (Tacitus  Germ.  cap.  49),  der  beschützer  in  ge- 
fahren, der  Verleiher  von  macht,  Weisheit  und  kriegsglück, 
konnte  ersetzt  werden  durch  den  christengott,  die  nebengötter 
durch  die  erzengel  und  heiligen,  aber  die  Wyrd,  die  ausser  dem 
bereich  der  götter,  ja  über  diesen  steht,  fügte  sich  nicht  in 
das  christliche  dogma  von  der  allmacht  gottes.  Es  musste  also 
in  diesem  punkte  eine  Vermittlung  zwischen  heidentum  und 
Christentum  stattfinden  und  sie  geschah  auf  einfache  weise 
dadurch,  dass  die  verderbliche  Wyrd  dem  guten  gotte  unter- 
geordnet und  ihr  die  Wirkung  dessen  zugeschrieben  wurde, 
was  man  als  ein  übel  empfand.  In  dieser  beziehung  musste 
sie  ihre  macht  mit  dem  teufel  teilen. 

Die  Vermittlung  zwischen  fatalismus  und  theismus  ist  über- 
haupt eine  Übergangserscheinung  vom  heidentum  zum  Christen- 
tum. Die  stoische  ävdyxr],  Ei/iagfisvi]  stand  dem  glauben  an 
die  alimacht  gottes  ebenso  hindernd  gegenüber  wie  die  ger-_ 
manische  Wyrd  und  einer  der  versuche  des  Boethius  in  der 
annäherung  von  heidentum  und  Christentum  bestand  darin,  die 
stoische  notwendigkeit  mit  der  herschaft  des  guten,  d.  i.  gottes, 
in  einklang  zu  bringen.  Er  tat  es  in  der  weise  der  neuplato- 
niker,  indem  er  das  fatum  der  Providentia  oder  prima  divinitas 
als  niederere  stufe  beigesellt  (vgl.  Nitzsch,  System  des  Boethius 
s.  60  f.  64).  Augustin  dagegen  setzt  das  stoische  fatum  und 
den  willen  gottes  als  gleich  an  (De  Civ.  Dei  V  8),  bei  Procop 
von  Caesarea  stehen  beide  unvermittelt  neben  einander  (Dann, 
Prokopius  von  Cäsarea  s.  217 — 247),  Gottschalk  endlich,  der 
sächsische  mönch,  konnte  deshalb  ein  so  fanatischer  anhänger 
der  augustinischen  prädestinationslehre  werden,  weil  das  be- 
wusstsein  völliger  abhängigkeit  von  der  vorausbestimmung 
einer  höheren  macht  ihm  von  dem  sächsischen  Volksglauben 
aus  angestammt  war  (Hauck  II  628.  641.  649-654.  765). 

Die  elegische  Stimmung  der  Angelsachsen  ist  eine  erbschaft 
des  heidentums.  Sie  ist  über  das  leben  verbreitet  in  einem 
weichen  empfinden  für  die  Schmerzgefühle,  welche  dieses  bietet, 
und  in  dem  gedanken  an  die  Vergänglichkeit  und  an  den  tod, 


Zl'M    CKKMANISCIIKN    II;  i"  IK  II  KIS  IT.\  KM.  239 

die  auch  der  freude  überall  drohen.  Sie  Lsl  aasgesprochen  in 
der  weltanschauuug,  die  7on  dem  pessimistischen  glauben  an 
ein  starres  tat  um  noch  nicht  ganz  Losgekommen  ist.  Wenn 
wir  darum  nach  dem  Ursprung  dieser  Stimmung  fragen,  so 
werden  wir  ihn  in  den  tiefen  des  innenlebens  Belbsi  zu  suchen 
haben  und  werden  nicht  weiter  kommen  als  zu  sagen,  es  ist 
jene  weiche  und  schwermütige  gemütslage  ein  wesenhafter 
bestandteil  der  Volksseele.  Nur  in  einem  feinen  gefiihlslel.en 
konnte  jene  weit-  und  lebensanschauung  so  zarte  formen  an- 
nehmen. Und  weshalb  gerade  das  angelsächsische  volk  so 
gestimmt  war.  wer  wollte  dies  ganz  erklären?  Sie  ist  im 
germanischen  Charakter  begründet,  diese  gemütsyeranlagung, 
wir  kennen  sie  selbst  an  uns  bis  auf  den  heutigen  tag  und 
fühlen  sie  anklingen,  wenn  wir  Theodor  Storni  lesen,  aber 
bei  keinem  germanischen  vclke  der  frühzeit  ist  sie  so  aus- 
gepi  ägt  wie  bei  den  Angelsachsen.  I  >arum  konnte  das  Christen- 
tum mit  seiner  lehre  von  der  weltentsagUDg  und  Beinem  sehnen 
nach  den  himmlischen  Wohnungen  so  leicht  bei  ihnen  eingang 
linden  (ten  Brinb  L.  G.  buch  I  abschn.  i\)  und  es  hat  gewiss 
dann  seinerseits  durch  sinne  sanftmütige  Innerlichkeit  auf  die 
ausbildung  jener  empfindsamkeit  verstärkend  mitgewirkt  Denn 

SO   berichtet    llcda   70n  Caedinon   llist.   Eccl.  Uli  24:    ejus  car- 

minibus  multorum  Baepe  animi  ad  eontemtum  saeculi  et  appe- 
titum  sunt   vitae  caelestis  accensi. 

BEIDELBERÖ.  G.  EHRISMANN. 


DIE  HEIMAT  DER  ALTNORDISCHEN  LIEDER 

VON  DEN  WELSUNOEN  UND  DEN 

NIBELUNGEN. 

II  i) 

1.  Berührungen  zwischen  den  Eddaliedern  und  der 
angelsächsischen  dichiuug.2) 

üuör.  119    Jutt  skyli  hjarta 
hrafnar  slita 
'vi)?  lond'  yfir, 
'eN  ]?u  vitir  manna'. 

Die  ausgaben  schreiben:  viö  Ipnd.  Auch  ein  compositum 
vidlgnd  yfir  ist  möglich.  Der  ausdruck  stimmt  mit  dem  ags. 
überein:  ofer  ividlond  oder  ofer  wid  lond  oft  in  den  gedienten, 
ofer  widlonda  gehivylc  Crist  1385. 

Die  letzte  zeile  ist  wol  aus  ertjjv  verftr  manna,  älter  est 
verstr  manna,  entstellt. 


J)  Vorbemerkung.  Unter  dem  nacMass  meines  verstorbenen  vaters 
finden  sich  eine  reihe  von  abkandlungen  über  die  sage  von  den  Weisungen 
und  Nibelungen,  die  sich  nahe  an  seine  abbandlung  'Die  heimat  der  alt- 
nordischen lieder  von  den  Weisungen  und  Nibelungen'  I  (Beitr.  22, 115 — 135) 
schliessen.  Er  hatte  ein  grösseres  werk  über  diese  frage  geplant  und  hat 
daran  jahrelang,  aber  abgebrochen,  gearbeitet.  Die  verschiedenen  abschnitte 
bilden  daher,  wie  sie  jetzt  vorliegen,  kein  zusammenhängendes  ganze. 
Einige  sind  mehr,  andere  weniger  ausgearbeitet.  Die  meisten  abschnitte 
liegen  in  deutscher  spräche,  andere  dagegen  nur  in  einem  norwegischen 
entwürfe  vor.  Die  reihenfolge  der  verschiedenen  abschnitte  gehört  nicht 
meinem  vater,  sondern  dem  herausgeber.  Herr  professor  Moltke  Moe  und 
herr  professor  Magnus  Olsen,  der  nachfolger  meines  vaters,  haben  mir  dabei 
freundlichst  geholfen.  —  Kristiania,  juni  1908.    Alesander  Bugge. 

2)  Vgl.  S.  Bugge,  The  Home  of  the  Eddie  Poems,  London  1899,  s.  XXII  f. 
XXVI  f. 


HKIMAT    DER    AI/IN'.    WELSt  X<  |  ES-    V.    XI  M.-I.IKDKR.  L!  I  1 

ItuiV.  II  ::::  sagt  (irimhild  zu  ihrer  tochter  Gudrun: 

LqikI  gef  ek  enii  p6r, 
l\'i\i  siiiiii, 
'uinbiorg  aalbiorg'. 

.Man  hat  eine  wahrscheinliche  erklärnng  der  Ortsnamen 
Vinbjorg  oder  Vinbjorg  und  FaUtjgrg  bisher  nicht  gegeben. 
Mit  grnnd  nennt  jedoch  Ettmüller  dieselben  'dichterische  Orts- 
namen, und  daher  auf  keiner  Landkarte  zu  Buchen'. 

In  dem  ags.  gediente  Widsiö  77  f.  wird  Cäsere,  d.  i.  ('aesar. 
der  römische  kaiser,  als  derjenige  bezeichnet 

se  f>e  wlnbaiga  geweald  ähte, 
wiolena  and  wüna  and  Wala  rices 

'welcher  über  bürge,  reichtümer,  herrliche  Sachen  und  das  reich 
der  Walen  gewalt  hatte'. 

Ich  meine,  dass  diese  stelle  des  Widsiö-gedichts  das  Vor- 
bild des  in  Gtaör. II  angewendeten  ansdrnckes  ist  Au'>.  tetn- 
bunj  ist  rin  in  den  gedienten  oft  vorkommender  ausdruck,  der 
eigentlich  "bürg,  in  welcher  man  wein  trinkt'  bezeichnet,  der 
aber  ein  poetischer  ausdruck  für  'bürg'  überhaupt  gewurden 
i>t .  Nach  winburga  hat  der  norwegische  dichter  den  Orts- 
namen Vinbjgrg  gebildet  Die  ändernng  ist  natürlich,  denn 
(hin.  Wüborg  wechselt  mit  Wibicergh,  Fäburgh  mit  Fabyergh; 
der  norwegische  Verfasser  von  Belg.  Hund.  II  J7  gibl  «hin. 
Leeburgh  durch  Hlibjgrg  wider  und  norw.  IngibJQrg  entspricht 
dem  da  11.  Tngiburg.1) 

In  Übereinstimmung  mit  \'ini>jn>-<j  hat  der  norwegische 
dichter  den  darnach  folgenden  Ortsnamen  Valbjprg  nach  Wala 
rices  gebildet 

Mi''-  wird  dadurch  bestätigt,  dass  auch  die  Atlakviöa,  wie 
ich  im  folgenden  nachweisen  werde,  mit  Widsiö'  bertthrnngen 
zeigt  — 

Wenn  der  Verfasser  der  öußr.  II  Bomil  Widsiö  gekannl 
hat.  isl  bei  Langban  I  dar  Guör.  II  19,7  Longbtardum  Wids. 

1  zn  vergleichen. 

(iriuihild  verheissl  ihrer  tochter  Vaibjgrg  also  besiti  in 
Wälschland.     Damil    Btimml    es   aberein,  dass   Qrimhild   ihr 


')  \  !     Imb   im  BUndinger  I  _'•_"' i"     meine  ichrifl  i 

197. 

B«itr*ic   ui   k-  »clucUtt  Jer  ticuUchcn  spräche.    XXXV. 


242  BUGGE 

Hlgdves  sali  (Guör.  II  25)  geben  will,  d.h.  säle  welche  dem 
fränkischen  Ludwig  gehört  haben,  und  dass  vifvalnesk  (Guör. 
II  35)  der  Gudrun  zu  Atli  folgen. 

Atlakv.  4, 5  serJci  'val  \  ro])a'.  Dies  adjectiv  hat  man 
meistens  und,  wie  ich  jetzt  glaube,  mit  recht  als  valrauöa 
verstanden.  Die  Schreibung  val  ropa  erkläre  ich  als  eine 
dänische  form,  die  aus  dem  dänischen  vorbilde  der  Atlakvifta 
beibehalten  ist.  valröör  bedeutet  'blutrot'.  Das  wort  ist  eine 
logische  Verkürzung,  statt  *valbl6d-raudr,  das  nie  gesagt  wurde; 
wie  dän.  kornblä  s.  v.  a.  ein  nie  angewendetes  komblomstblä. 

Akv.  9  rynendr  ne  rdöendr  ist  ein  formelhafter  ausdruck, 
der  mit  ags.  min  rünwita  and  min  rdtdbora  Beowulf  1325  nahe 
verwant  ist. 

Akv.  9  mjgörann  'methaus',  'metsaal'.  Dies  wort  kommt  im 
nordischen  sonst  nicht  vor.  Damit  identisch  ist  ags.  medocem 
Beow.  29.  Dass  hier  entlehnung  aus  der  ags.  dichtersprache 
anzuerkennen  ist,  wird  dadurch  wahrscheinlich,  dass  keine 
andere  mit  mjgd-  zusammengesetzte  bezeichnung  des  hauses 
oder  der  halle  im  altnorw.  vorkommt,  während  das  ags.  zu- 
gleich medoburg,  medoheal,  meduseld,  medosetl  hat.  Die  ags. 
Wörter  sind  vielleicht  wider  dem  ir.  midchuairt  nachgebildet, 
wenn  man  dies  als  'metsal'  und  nicht  als  'niidcourt'  ver- 
standen hat. 

Akv.  10    Ristu  nü,  Fjqrnir! 
lattu  ä  flet  vaöa 
greppa  gullskälir 
meö  gumna  hQndum! 

Es  verdient  beachtung,  dass  der  dem  anorw.  d  flet  ent- 
sprechende ags.  ausdruck  on  flet  Beow.  1647  vorkommt,  wo 
uns  in  der  folgenden  zeile  J)c%r  guman  druncon  begegnet,  wie 
in  Akv.  gumna,  und  wo  davon  die  rede  ist,  dass  die  mannen 
des  königs  in  der  halle  trinken;  vgl.  Eätsel  562.  5712. 

Der  ausdruck  med  gumna  hondum  findet  sich  zugleich  in 
der  von  Sighvat  1031  verfassten  erfidräpa  Olafs  v.  18  (Corp. 
poet.  bor.  II 141). 

Fjornir  ist  ein  dienstmann  Gunnars,  der  für  die  bewirtung 
mit  trank,  wol  auch  mit  speise,  zu  sorgen  hat.  Der  name 
wird  eine  poetische  erfindung  sein.  Allein  weder  durch  die 
vergleichung  des  poetischen  fjornir  'heim',  noch  durch  die  er- 


HKIMAT    DHU    AI/IN.    \\  i:i>l   N  < .  I  X-    C.    NlH.-MEDKK.  24S 

klärung  'lebhaft1  von  ßyr  (Gering,  Die  Eddas. 258)  gewinnen 
wir  für  diesen  aarnen  einen  passenden  sinn.  Das  stammworl 
scheint  mir  vielmehr  ags.  feorm  'gastmahl,  bewirtnng'.  I'avon 
*FJQrmnir.  mn  gehl  regelrecht  in  fn  ober;  also  '  Fjgrfnir. 
Bndlich  wurde  /*  zwischen  r  und  n  ausgedrängl  wie  in  parnast 
=  parfnast. 

A  kv.   1 1     -Vlfr  nivn'  rä<Vi 
arli  Nif  longa 

unlar  granverjrir', 
ef  I hinnara  missir; 
bimir  blakkfjallir 
•liita  prcf  ta'iinom', 
ganina  gTeystöÖi, 
ef  Guunarr  ne  'kqmrap'. 

Diese  strophe  erweckt  zweifei  sowol  in  betreff  des  sinnes 
als  mit  rücksicht  auf  die  sprachlichen  formen.  Auch  der 
Bchreiber  des  cod.  reg.  war  hier  unsicher.  Er  Bchrieb  zuerst 
miffi,  änderte  aber  das  zweite  i,  wie  es  scheint,  in  ir.  Ferner 
schrieb  er  zuerst  blacßallar,  änderte  aber  das  -ar  in  er.  Der 
Verfasser  der  Vuls.  s.  hat  die  strophe  an  derselben  stelle  ge- 
lesen  und  hat  darin  die  worte  Gunnars  gefunden.  Anch  er  hat 
Vlfr  mvn  und  bita  gelesen. 

Vlfr  mun  verträgt  sich  nicht  mit  ganilar  granverjrir.  Der 
sinn  scheint  Ülfar  munu  ...  gamlir,  grdnvaröir,  wie  Grnndtvig 
gelesen  hat.  zu  fordern.  Vielleicht  ist  jedoch  Vlfr  mtm  nicht 
entstellt.    Die  verszeilen 

t'li'r  mun  r&6a 
arfi  Niflunga 

in  fornyröislag  kennten  die  orsprünglichsten  und  die  übrigen 
in  malahattr  verfassten  Zeilen  spätere  zndichtung  sein.  Dann 
müsste  man  annehmen,  dass  die  ursprüngliche  form  der  v.  l — 2 
in  einer  anderen  behandlang  der  dichtang  erhalten  und  daraus 
später  in  A.tlakviöa,  wo  dieselbe  nicht  i>a»t.  eingeführt  wäre. 
Matt  granver]fir  habe  ich  grdnvarÖW  'grau  gekleidet'  ver- 
mutet (Aarbogei  1869,  &  263).  grdnver/Hr  Iftsat  sich  nicht 
durch  agutn.  '('•/'/■.   aschwed  werter  von   vwria   verteidigen. 

l-irwiss    anch    nicht    durch    die    von    WadMein.    l'.eitr.   7.117l". 

unmelten    iaL-anorw.    beiSpiele    amgelanteter    formen,   zu 

welchen    man    Kock,    l'.eitr.  18,  132  ff.    und    F.  JonSSOn,    Arkiv 


244  öugge 

13,  262  vergleiche.1)    Dagegen  scheint  es  möglich,  dass  -verdir 
aus  dem  ags.  wered  beibehalten  worden  ist. 

'Wölfe'  bezeichnen  bildlich  die  hunnischen  feinde  der 
Niflungar,  besonders  Atli.  Welche  menschen  sind  denn  durch 
bimir  blaMfjallir  bildlich  bezeichnet?  Um  dies  zu  finden, 
betrachte  ich  zuerst  bimir  blaMfjallir  (sc.  munu)  . . .  gamna 
greystödi,  ohne  hier  bita  ]>reftgnnum  zu  berücksichtigen. 

greystöÖ  'schar  der  hunde'  bezeichnet  offenbar  verächtliche 
feinde  der  Niflungar.  greystöö  wird  im  gegensatz  zu  bimir 
'die  baren'  genannt.  Daher  müssen  bimir  blakJcfjallir  die 
Niflungar  bezeichnen.  Dies  wird  dadurch  bestätigt,  dass  die 
brüder  der  Gudrun  v.  38  berhardir  'bärenhart',  'bärenkühn' 
heissen. 

In  blaMfjallir  nehme  ich  blaMr  nicht  in  der  norwegischen 
bedeutung  'bleichfarbig'.  Da  die  Niflungar  schwarzes  haar 
hatten,  verstehe  ich  blahh-  als  'schwarz-'  und  erkläre  dies  aus 
dem  einfluss  des  ags.  blcec. 

Vgl.  Speculum  regale,  Christiania  ausg.  s.  43  Bjgrn  er  ])ar 

oh  d  ])vi  landi  [d  Grcenlandi],  oh  er  hvitr,  hann  heftr  alt 

aöra  ndtiüru  en  svartir  bimir,  er  i  shögum  ganga. 

bimir  (munu)  gamna  greystödi  'die  baren  werden  die  schar 
der  hunde  erfreuen',  d.h.  verächtliche  feinde  werden  ihre  freude 
daran  haben,  die  Niflungar  zu  verhöhnen  und  zu  verspotten. 
gaman  ist  ja  oft  s.  v.  a.  spott. 

Wenn  bimir  blahhfjallir  (munu)  gamna  greystödi  somit  ein 
(in  einem  gewissen  falle  eintretendes)  leiden  der  Niflungar  be- 
zeichnet, muss  das  coordinierte  bimir  blaMfjallir  (munu)  bita 
preftgnnum  ebenfalls  ein  leiden  der  baren,  der  Niflungar  ur- 
sprünglich bezeichnet  haben.  Allein  dies  kann  in  den  Wörtern, 
wie  dieselben  in  der  handschrift  geschrieben  sind,  nicht  liegen. 
Die  Wörter  sind  also  entstellt.  Wenn  wir  beachten,  dass  hier 
ein  leiden  ausgedrückt  sein  muss,  und  bedenken,  dass  eine  Zu- 
sammensetzung ]>reftgnnum  sonderbar  ist,  werden  wir  das  rich- 
tige finden. 

Ich  meine  jetzt,  dass  bita  firef  taonnom  aus  bita])  ref  tarn- 
nom  entstellt  ist  und   dass  dies  s.  v.  a.  bitash  ref-tgnnum  ist: 


x)  Von  Wadsteins  beispielen  sind  noch  andere  zu  streichen;   so  ist 
kiseft  von  kcefa,  nicht  von  kefja. 


HEIMAT    DER   ALTN.   WELSUNOEN-    ü.    NIB.-LIEDER.  245 

:die  schwarzzottigen  baren  werden  von  fuchszöhnen  gebissen 
werden'. 

Für  h/t<tji  bitask  vergleiche  man,  dass  die  handschrift 
des  Agrip7>  für  e  anwendet,  z.  b.  gerdp\  siehe  die  ausgäbe  Dahle- 
rups  s.  xxi  f. 

her  dativ  ist  hier  wie  z.  b.  in  hann  virdisk  mannwn  vel 
zu  verstellen.  Durch  'fuchse'  werden  hinterlistige  feinde  bild- 
lich bezeichnet. 

Diu  strophe  warnt  Gunnar  vor  der  fahrt  und  deutet  das 
unglück  an,  welches  stattfinden  wird,  wenn  Gunnar  auf  der 
reise  nach  dem  lande  der  Hunnen  umkommt.  Daher  lese  ich 
Jcemskat  statt  kommt.  Die  Strophe  wird  wahrscheinlich  von 
Hogni  ausgesprochen  und  ist  unmittelbar  nach  8  (ylfskr  er 
vegr  okkarr  at  rida  erendi)  einzusetzen. 

Akv.  14    veröii  sätu  titi 

at  varÖa  peim  Gunnari, 
ef  hans  vitja  kva^mi 
meö  geiri  gjallanda 
at  vekja  gramhildi. 

ha/ns  (l/f)  habe  ich  in  Aarböger  1860  für  her  (//)  vermutet. 

Mit  den  angeführten  verszeilen  vergleiche  man  Widsiö  12* 
(hwinende  fleäg)  giellende  gär  on  grome  Jteode. 

Das  aus.  (jirllende  gar  entspricht  dem  geiri  gjallanda  der 
Akv.  Der  ausdruck  <jro)»v  im  Widsiö  zeigt,  dass  gram  in  Akv. 
nicht  dat.  von  gramr  'könig'  ist.  Wir  müssen  vielmehr  gram- 
hildi lesen,  70m  adj.  gramr  'erbittert,  feindselig';  vgl.  ags.  gram' 
word  In  dem  aus.  wie  in  dem  norwegischen  gediente  ist  davon 
die  rede,  dass  Goten  gegen  das  volk  des  Attila  Speere  werfen. 

Daher  muss  die  Akv.  hier  von  einem  englischen  gedichte 
beeinflnssl  sein:  entweder  vom  Widsiögedichte  oder  von  einem 
verlorenen  gedichte,  das  ausführlicher  vom  kriege  der  Goten 
und  der  Hunnen  gehandelt  hat  und  von  welchem  \\  idsit!  aus- 
drücke entlehnt  hat  Für  das  letztere  alternativ  spricht  der 
umstand,  dass  die  Akv.  ja  auch  sonst  die  Goten  als  die  feinde 
der  Sannen  kennt. 

Auch  in  Akv.  5  heisst  es: 

.  .  lrzk  ykkr  "k  linimlu  gefa 


::  gjallanda. 


246  BüGGE 

Hier  scheint  die  singularform  sinnlos  und  das  epitheton 
gjallanda  weniger  passend,  denn  der  speer  klirrt  (gellr),  wenn 
derselbe  geworfen  wird.  Daher  ist  der  ausdruck  ursprünglich 
bei  der  in  Akv.  14  vorkommenden  Situation  angewendet  und 
davon  zu  Akv.  5  übertragen  worden. 

Auch  in  Egils  s.  v.  14  (der  nach  F.  Jönsson  916  gedichtet 
ist)  findet  sich  gjallanda  geiri  (vom  kämpfe). 

Akv.  21  hjarta  . . .  ör  brjösti  slcorit  'balldripa':  'dem  kühnen 
reiter',  d.h.  Hogni.    Dasselbe  wort  findet  sich 

Lok.  37  Freyr  er  beztr 
allra  'ballripa' 
äsa  gQrÖum  i. 

Ich  kann,  trotz  F.  Jönsson,  Lit.  Hist.  I  306,  nicht  einsehen, 
warum  dieser  ausdruck  ursprünglich  nicht  sowol  von  mensch- 
lichen helden,  als  von  göttern  angewendet  werden  könnte. 
ballridi  ist  die  echte  altnorwegische  form.  Das  d  der  in  Akv. 
angewendeten  form  haldridi  ist  wol  aus  ags.  einfluss  zu  er- 
klären, denn  ags.  beald,  bald  ist  =  anorw.  ballr.  Jedoch  kann 
balldripa  auch  altdänische  form  sein. 

Akv.  24  wird  Hogni  'kvmbla  fmip'  (accus.)  genannt. 
F.  Jönsson  ändert  dies  in  kumla  meift  'den  bäum  der  kriegs- 
insignien'  und  bemerkt:  ' Kumlasmipr  kann  durchaus  nicht  das 
richtige  sein,  da  eine  solche  Umschreibung  ziemlich  niedrig  und 
unwürdig  wäre.'  F.  J.  überträgt  hier,  wie  sonst  nicht  selten, 
mit  unrecht  einen  künstlichen  skaldischen  ausdruck  auf  die 
Eddadichtung.  Der  ausdruck  Jcumbla  smiÖ  ist  m.  e.  richtig 
und  aus  einer  fremden  dichtung  beibehalten.  Denn  in  ags. 
dichtung  werden  die  krieger  wigsmidas  genannt,  ein  tapferer 
kämpf  er  mhd.  ein  smit  mit  siverten  Parzival  112,  28,  kämpf  es 
smitV&vz.  210,4.  Ich  fasse  mit  Gering  Jcumbla  smidr  als  'der 
im  kämpfe  auf  die  helme  hämmert'.  Dabei  ist  zugleich  zu 
bemerken,  dass  der  kämpf  in  dem  gediente  vom  siege  bei 
Brunanburh  (937),  wo  das  wort  wigsmidas  vorkommt,  cumbol- 
gehnäst  'conflictus  signorum'  genannt  wird.  Vgl.  ftonne  cumbol 
hneotan  Andr.  4;  on  ivige,  ponne  cumbolgebrec  weordan  sculdun 
Psalm  C  11. 

Anders  über  himblasmid  Egilsson  und  Fritzner. 

Akv.  29, 1—4  habe  ich  in  meiner  ausgäbe  s.  432a  unglück- 
lich behandelt.    Ich  lese  jetzt  ohne  änderung: 


HEIMAT   DER   ALTN.    WELSUNGEN-    U.    NIB.-LIEDER.  247 

Atli  inn  riki 
reiö  glanmmQmxm 
sle<rinn  rö^pormun 
äifjungr  i'ciru. 

Aus  den  zeilen  Atli  inn  riki  reiö  'gl&m  maönom'  (so  die 
handschrift)  hat  der  Verfasser  der  Kaifsvisa,  wie  ich  jetzl 
glaube,  Atli  [reiö\  Glaumi  geschöpft,  indem  er  das  für  sich 
geschriebene  glaum  fehlerhaft  als  einen  namen  verstand. 
Während  ein  adjectiv  *manr  von  mon  sich  nicht  stützen  lässt, 
ist  ein  zusammengesetztes  adjectiv  *glaummanr  dat.  glaum- 
monum  wie  laushdsr  gebildet,  glaummonum  ist  substantivisch 
angewendet,  =  glaummgnum  jö\  vgl.  stjornbitluÖum  Oddr.  2. 
Allein  in  der  Zusammensetzung  glaummanr  scheint  altn.  glaumr 
'strepitus,  lärm,  Lärmender  jubel'  nur  schlecht  zu  passen.  Ich 
möchte  das  wort  nicht  als  'das  ross  mit  der  rauschenden  mahne' 
deuten.  Vielmehr  vermute  ich  in  glaum-  eine  umdeutung  des 
ags.  tßii in  'glänz'.  Vgl.  Skinfaxi,  Gullfaxi.  Ein  dänisches  gläm- 
bildete  vielleicht  das  mittelglied  zwischen  gldm-  und  glaum-. 

Gudrun  kann  nicht  wo!  v.  30  (Svd  gängiger,  Atli!  cls.w.) 
aussprechen,   nachdem  Atli  weggeritten  ist.     Daher  stelle  ich 

Jetzt  Atli  iun  riki 

reiö  glaommQnnm 
slegänn  rögpornuin 
sifjungr  peira 

nach  str.  30  (Svd  gangi  per,  Atli!).    T>ie  zweite  Strophenhälfte. 

welche  nach  sifjfungr  Petra  unmittelbar  folgen  soll,  finde  ich 

jetzt  in  den  vier  zeilen.  welche  in  der  handschrift  anmittelbar 

nach  str.  30  folgen:      ■       .   _, 
°  oi  mau  paSan 

maronü  bittüa 

dölgrqgnj  «In» 

til  'd»p     faokr'. 

(durch     beseichne  ich  den  anfang  <  in-r  neuen  teile). 

M.in  liest  gewöhnlich  tu  dauöi  stökr  und  verbindet  sköhr 

buttern1  mit  bituls.    Allein  ein  Domen  agentis  skökr  findet 

sich  Bonst  nicht  und  hat  in  der  altnordischen  Wortbildung  nicht 

hinreichend.'  Mutze. 

Ich  vermute  hier  ein  dänisches  vorbild  und  dass  in  okr 
von  fcohr  altdan.  ehr  altschwed.  eher,  gntn.  oykr,  anorw. 
•  ijkr  steckt.    i>as  wort  bedeutet  im  altschwed  und  ginn,  'ge- 


248  BUGGE 

spann,  zugvieh',  s.  meine  bemerkungen  in  Nord,  tidskr.  f.  filol. 
n.  r.  III  274  f.  bituls  eJtr  also  'das  gespann  der  pferde'.  In 
alten  handscliriften  bezeichnet  o  oft  denselben  laut  wie  0. 

Vor  okr  steht  in  der  handschrif t  dwj)  \  fc.  Dies  ist  s.  v.  a. 
dauds.  Ebenso  ist  in  der  Pläcitüsdräpa  bor]>fc  =  bords,  lixfc 
=  linnz  (linns)  geschrieben;  siehe  Gislason,  Um  frumparta  s.  85. 

Aus  dem  vorhergehenden  folgt  ein  wichtiges  resultat: 
diese  verszeilen  der  Atlakviöa  setzen  dänische  vers- 
zeilen  voraus,  ja  sie  sind  sogar  nach  dänischen  vers- 
zeilen geschrieben.  Und  der  norwegische  abschreibe!'  hat 
die  dänische  vorläge  hier  nicht  verstanden. 

Alle  Wahrscheinlichkeit  spricht  dafür,  dass  diese  verszeilen 
zuerst  in  Britannien  von  einem  Norweger  abgeschrieben  worden 
sind.  Denn  dort  lebten  die  Norweger  vielfach  mit  den  Dänen 
zusammen  und  dort  lernte,  wie  aus  andern  tatsachen  zu  folgern 
ist,  der  westnordische  stamm  die  dichtung  von  den  Weisungen 
und  den  Nibelungen  kennen.  Ausserdem  lässt  der  einfluss 
angelsächsischer  dichtung  sich  sonst  in  der  Atlakviöa  nach- 
weisen. 

Wenn  die  hier  behandelten  zeilen  dänische  vorläge  haben, 
hat  das  gedieht  Atlakviöa  gewiss  ein  dänisches  vorbild  gehabt. 
Hiermit  behaupte  ich  jedoch  nicht,  dass  die  Atlakviöa  in  der 
uns  vorliegenden  gestalt  ein  dänisches  gedieht  sei.  Denn  in 
keinem  Eddagedicht  liegen  deutlicher  mehrere  verschiedene 
schichten,  ältere  und  jüngere,  neben  einander.  In  keinem  ge- 
diente tritt  diese  Verschiedenheit  in  dem  poetischen  ausdrucke 
und  in  dem  versmasse  unzweideutiger  hervor.  Daher  scheint 
es  mir  unstatthaft,  z.  b  str.  23  (Her  hefilc  hjarta)  zu  einer 
mälahätt-strophe  zu  machen.  In  keinem  Eddagedichte  ist  die 
umdichtung  mancher  Strophen  fühlbarer;  z.  b.  31,  1 — 8  aus 
verszeilen,  die  etwa  so  lauteten: 

Lifanda  gram 
lQgöu  i  ormgarö, 
heiptmöör  Gunnarr 
hQrpu  kniöi. 

Aus  dem  vorhergehenden  ist  noch  mehr  zu  folgern.  Das 
dänische  vorbild  hatte  die  form  ehr,  aus  älterem  eykr.  Da- 
durch wird  die  zeit,  zu  welcher  der  vers  aus  dem  dänischen 
ins    norwegische    übertragen    wurde,    annnähernd    bestimmt. 


HEIMAT   DER   AT/TN.   WEISUNGEN-   U.   NIB.-LIEDER.  249 

Mehrere  mittelengl.  Wörter,  welche  aus  dem  altnord.  entlehnt 
sind,  zeigen  ai  für  an.  ey  (ey)  und  bezeugen  dadurch  die  von 
Engländern  gehörte  diphthongische  ausspräche  in  den  nor- 
dischen Stammwörtern  (Kluge  in  Pauls  Grundriss  I  792).  I>ie 
monophthongische  ausspräche  des  ey  entstand  w<>1  im  dänischen 
c  1000-  L050.  Früher  ist  also  der  vers  der  Atlakviöa  nicht 
ins  norwegische  übertragen  worden. 

Endlich  finde  ich  in  dsöjtfcohr  Akv.  28,  G  eine  kräftige 
stiitze  für  die  von  mir  (Helge-Digtene  s.  341)  ausgesprochene 
meinung,  dass  die  ältesten  Eddalieder  nichl  zuerst  auf  Island, 
sondern  bereits  in  Britannien  aufgezeichnet  worden  sind.  Dabei 
sehen  wir,  dass  die  in  den  ältesten  isl.  handschriften  vorkom- 
mende anwendung  des  c  für  einen  Zischlaut  sich  bereits  in  der 
altdän.  schritt  in  England  fand. 

Akv.  34    pä  er  i  hqll  saman 
Hünar  t^löusk, 
gumar  granslöii 
gengu  inu  hvatir 

(Itr/ir/r  die  handschr.). 

Diese  Zeilen  zeigen  eine  ähnlichkeit,  die  kaum  zufällig 
ist,  mit  Beow.  1640  ff.: 

6Öf>8Bl  semninga  tö  sele  cömou 
frome  fyrdhwate  feöwertyne 
Geata  gongan. 

Hierdurch  wird  die  änderung  hvatir  in  Akv.  gestützt  (ags. 
semninga  und  altn.  saman  sind  dem  sinne  nach  verschieden). 
drttkku  dröttmegir  Akv.  2.1;  vgl.  druncne  dryhtguman  Beow. 
1231.  gullrodinn  Akv.  1.  ags.  goldhroden;  siehe  zur  Siguröar- 
kviöa.  seggr  inn  suÖrami  Akv.  '2.  aueh  Siir.  1:  aus.  stit),nu  ><<■/. 

Das  gedieht  Guörünar  hvoj  zeigl  auch  bei  mehreren 
ausdrücken,  deren  grammatische  tonn  entlehnung  aus  dem 
englischen  nicht  beweist,  eine  beachtenswerte  Übereinstimmung 
mit  dem  poetischen  stile  der  ags.  dichtung. 

8o  vergleiche  man  tdrughlyra,  das  rieh  nur  Ghv.  9  findet, 
mit  ags.  ieärighleör  Genesis  2274.  Das  ags.  wort  wie  das 
anorweg.  wird  von  einem  weibe,  das  einsam  und  sorgvoll  Bitzt, 
angewendet  'Svara  so  die  handschr.)  Ghv.  11;  vgl 

sar  (un(  swdr  I  risl  112,  siöar  brynjur  Ghv.  7  (allein  auch  tal 


250  BUGGE 

dr.  10,  brynjur  sidar  Sigvat  Magn.  s.  g.  9, 1  und  zugleich  pro- 
saischer ausdruck),  ags.  side  byrnan  Judith  338,  erfivgrdr  Ghv.14; 
siehe  zu  Sig.  hit  eh  mir  at  runum  Ghv.  12;  siehe  zu  Sig.  gidli 
oh  guöveßum  Ghv.  16,  ags.  gold  and  godweb  Exod.  587,  Juit  er 
mir  hardast  liarma  minna  Ghv.  16,  ags.  fiä  ])e  heardra  mcest 
liearma  gefremedon  Andr.  447. 

Diese  Übereinstimmungen  zeigen  jedenfalls,  wie  leicht  bei 
vielen  versen  eine  Übertragung  aus  angelsächsischer  spräche 
ins  norwegische  wäre. 

Guör.  hv.  17,  9 — 12 !)  sagt  Gudrun,  als  sie  ihre  sorgen 
autzahlt:  en  g^  hvassastr, 

er  til  hjarta  'flö' 
konung  oblauöan 
kvikvan  skäru. 

In  meiner  ausgäbe  habe  ich  nachgewiesen,  dass  flö  hier 
nicht  'flog'  sein  kann  und  dass  die  erklärung  von  flö  =  flögu 
unstatthaft  ist.  Allein  das  richtige  ist  bisher  weder  von  mir 
selbst  noch  von  anderen  gefunden.2) 

Ich  glaube  jetzt,  dass  flö  richtig  ist.  Im  angelsächs.  be- 
deutet flä  f.  (dat.  flän)  'sagitta,  telum,  jaculum'.  Dies  ist  nach 
meiner  meinung  vom  norwegischen  dichter  im  dativ  als  flo 
(mit  M-umlaut)  aufgenommen  worden.  Ags.  flä  hat  die  neben- 
form  flän,  gen.  flaues,  dem  das  echt  nordische  fleinn  entspricht. 
Dies  fleinn  kann  'ein  mit  einem  Widerhaken  versehenes  ge- 
schoss'  bezeichnen. 

In  dem  gedichte  Guör.  hv.  passt  für  flö  die  bedeutung 
'wurfgeschoss',  'pfeil'  des  verbums  sJcaru  'schnitten'  wegen 
nicht.  Allein  anorw.  fleinn  kann  auch  in  einer  andern  weise 
angewendet  werden.  In  der  Grettis  s.  153  heisst  es:  greip 
(jotimninn)  flein  einn  oh  hjö  til  fiess,  er  Jcominn  var,  pvi  at 
bmdi  mdtti  hoggva  oh   leggja  med  honum,  trishapt  var  i,  pat 


[')  Vgl.  S.Bugge,  The  home  of  the  Eddie  poems  s.  XXII.  Der  heransg.] 
2)  Björn  Olsen  (Arkiv  IX  234  f.)  schlägt,  nachdem  er  zuerst  flön  an- 
gedeutet hat,  föl  'toren'  als  subjeet  vor.  Ich  kann  fol  nicht  für  das  rich- 
tige halten.  Das  wort  ist  aus  dem  franz.  entlehnt  (altfranz.  fol)  und  kommt 
weder  in  den  Eddagedichten  noch  in  den  älteren  skaldengedichten  vor. 
Ausserdem  zeigt  der  entsprechende  ausdruck  Akv.  24  er  til  hjarta  skäru 
kvikvan,  dass  bei  skärti  ein  Substantiv  als  subjeet  nicht  gestanden  haben 
kann.  — 


HEIMAT    DER    ALTN.    WELSUNGEN-    U.    NIB.-LIEDKK.  251 

Jcglludu  l"i  menn  heptisax,  er  l><uni  veg  rar  gert.  Hier  wird 
also  (und  ebenso  in  Orms  )>.  Störölfsson  Klat.  I  530)  fleinn  von 
riiicr  waffe  angewendet,  mit  welcher  man  stechen  kann.  Diese 
waffe  ist  anch  heptisax  genannt  worden.  Nun  wird  die  waffe, 
mit  welcher  das  herz  aus  dem  leihe  des  llogni  geschnitten  wird, 
in  Atlakv.  21  als  sax  bezeichnet.  So  ist  nach  meiner  Vermutung1 
flö  (dat.)  Guör.  hv.  17  =  ags.  flu  (dat.  flän)  die  bezeichnung 
einer  waffe,  welche  in  Akv.  21  sax  genannt  ist. 

In  der  bereits  genannten  erzählung  von  Orm  Störölfsson 
wird  die  waffe  fleinn  vom  riesen  Bmse,  mit  dem  Orm  kämpft, 
getragen.  Der  unhold  hat  früher  Asbjörn  pruöi  besiegt,  seinen 
bauch  geöffnet  und  die  enden  der  därme  herausgezogen.  Man 
hat  wahrscheinlich  die  Vorstellung  gehabt,  Bruse  habe  mit 
seinem  fleinn  den  bauch  Asbjörns  geöffnet.  In  Guör.  hv.  wird 
die  flö  zu  einer  ähnlichen  Verrichtung  benutzt,  nämlich  dazu, 
das  her/  aus  dem  leibe  Hognes  zu  schneiden. 

Dies  Substantiv  flö,  das  im  altnord.  sonsl  nie  vorkommt, 
seh»  int  den  ausdruck  flän  (dat.)  eines  englischen  gedichts 
vorauszusetzen.  Vigfusson  hat  nachgewiesen,  dass  die  erzäh- 
lung  von  dem  kämpfe  Grettirs  mit  dem  unholde,  in  welcher 
das  woii  fleinn  als  mit  heptisax  synonym  angewendet  wird, 
mit  der  altenglischen  dichtung  von  dem  kämpfe  Beowulfs  mit 
Grendel  in  Verbindung  steht.  Ich  habe  Heitr.  12,  360— 366 
die  auffassung  begründet,  dass  sowol  die  genannte  sage  von 
Gretter  als  die  nahe  verwante  sage  von  Orm  Störölfsson  aus 
einer  nordenglischen  sage  stammt.  Nun  will  ich  freilich  nicht 
behaupten,  dass  bereits  »'ine  entsprechende  in  englischer  spräche 
abgefasste  sagenform  dem  unholde  die  waffe  flän  gegeben 
habe.  Allein  wir  sehen  jedenfalls,  dass  die  mit  //o  in  Guör. 
hv.  analoge  anwendung  von  fleinn  auf  England  hinweist 

Ein  instrumentaler dativ  ohne  präposition  wird,  nach  einer 
bemerkung  Nygaards,  auch  da  angewendet,  wo  die  form 
des  dativs  von  der  des  nominativs  und  des  aecusativs  nicht 

frieden   Ist    Wie  hier  flö  skäru,    so   rilki  vejja  Ki. 
/.;/«)/  iü  y^<i   Big.  t."..    iHKtui  ■  -•'     \i!am.  17,  u.s.w. 

t;  a6r.  li  v.  21    Jqriiun  Qlhun 

"l'.il'  ti.itni, 
- ii. -t n in  ■'Umii 
sorg  tu  uiüini. 


252  BUGGE 

at  J>etta  'tregrof' 
um  talit  vseri. 

Der  poetische  Charakter  dieser  schlussstrophe  mit  ihren 
guten  wünschen  weicht  deutlich  von  dem  gewöhnlichen  Charakter 
der  norrönen  heroischen  gediente  ab.  Es  ist  daher  leicht  be- 
greiflich, dass  man  die  Strophe  als  'unecht'  bezeichnet  hat. 
Allein  diese  bezeichnung  gibt  keine  positive  erklärung  und 
erläutert  nicht  die  Verhältnisse,  unter  welchen  die  Strophe 
entstanden  ist. 

Für  fietta  tregrof  ist  tregrof  Jmt  nach  Sievers  das  ursprüng- 
liche, tregrof  bedeutet  nach  meiner  Vermutung  'reihe  von  leiden', 
'auf Zählung  von  leiden'.  Das  letzte  glied  ist  hier  dasselbe 
wie  in  stafrof  n.  'aiphabet',  das  aus  dem  gleichbedeutenden 
ags.  steefräw  (fem.)  entlehnt  ist.1)  Norwegen  und  Island  be- 
kamen die  lateinische  schrift  aus  England;  es  war  daher  natür- 
lich, dass  auch  der  englische  name  des  alphabets  in  die  alte 
norwegisch -isländische  spräche  aufgenommen  wurde.  Die  Is- 
länder schreiben  stafrof  mit  kurzem  o.  Der  vocal  ist  hier  in 
der  zweiten  silbe,  welche  den  nebenton  hatte,  verkürzt;  vgl. 
z.  b.  Ölafr  =  Öldfr,  Öluf  aus  *Öl$f. 

Auch  tregrof  ist  wahrscheinlich  aus  dem  englischen  ent- 
lehnt, allein  dies  poetische  wort  kann  nie  im  altnorw.  allgemein 
gebräuchlich  gewesen  sein.  Das  wort  scheint  vielmehr  darauf 
zu  deuten,  dass  der  Verfasser  der  Strophe  vom  angelsächsischen 
in  England  beeinflusst  wurde. 

In  Guör.  hv.  21  wird  jorlum  in  der  bedeutung  'den  män- 
nern'  augewendet  und  dem  snötam  'den  weibern'  entgegen- 
gesetzt ganz  wie  in  ags.  eorla  and  idesa  Eätsel  47,  7. 

jorlum  ollum  odal  batni  kann  nichts  anderes  bedeuten  als 
'allen  männern  werde  das  erbgut  besser'.  Dies  ist  ja  höchst 
sonderbar.  Daher  habe  ich  früher  eine  änderung  vorgeschlagen, 
allein  diese  ist  zu  gewaltsam.  Wisen  (Emendationer  och  exe- 
geser s.  122 — 124)  meint,  dass  der  ursprüngliche  ausdruck  (statt 
ojial)  öluÖ  (=  vdlud)  sei,  von  vdlaö  'Jammer,  elend'.  Gering 
nimmt  oluö  auf  und  versteht  es  als  accus.  Allein  die  bezeich- 
nung des  Übels  muss  bei  batna  im  genetiv,  nicht  im  nomin. 
oder  accus.,  ausgedrückt  werden. 


J)  Eine  ags.  glosse  Elimenium,  sttefrof  Wright  - Wülcker  397,14  in 
einer  handschrift  ans  dem  11.  jh.  hat  die  norwegische  form  aufgenommen. 


HEIMAT    I>KIi   ALTN.    WELSÜttGEK-    U.    NIH.-UKDEU.  253 

Nach  meiner  Vermutung  i-t  die  schlussstrophe  der  Guör. 
hvoj  die  nachbildung  einer  ags.  Strophe.  Diese  hatte,  vermute 
ich,  für  offäl  ags.  ädl  'krankheit'  (fem.).  Ags.  adl  (ädeT)  wurde 
am  öftesten  mit  silbenbildendem  l  ausgesprochen;  siehe  Sievers, 
Beitr.  L0,225,  anm.  and  LO,  180  f. 

Der  norwegische  dichter  hielt,  indem  er  ädl  in  6öal  änderte, 
den  ungefähren  laut  fest,  änderte  aber  gänzlich  den  Binn  des 
Wortes.  Dass  er  6Öal  als  'erbgut'  gemeint  hat,  zeigt  der  no- 
minativ  neben  batni;  vgl.  eign  batnar.  Allein  dies  'erbgut' 
ist  ja  hier  unpassend,  während  der  sinn  'es  bessere  sich  mit 
allen  kranken  männern'  hier  passt.  Dass  das  ä  des  ags.  äett 
zu  der  zeit,  als  die  Strophe  der  Guör.  hvQl  entstand,  niclit  weil 
vom  6  des  altn.  ööal  ablag,  darf  man  aus  trefrof,  stafrof  neben 
ags.  räw  folgern. 

A cimlich  habe  ich  in  lifir  'lebt'  Sig.  t>l  entstellung  aus  ags. 
Ufeö  •glaubt'  vermutet.1) 

2.  Gunnarr.2) 

Die  deutsche  heldendichtung  berichtet,  dass  die  Burguuden 
unter  ihrem  könige  Günther  im  Eünenlande  am  hofe  Etzels 
vernichtet  wurden.  Ebenso  erzählen  die  nordischen  lieder, 
dass  Gunnar  mit  seinen  mannen  bei  Atle,  dem  könige  der 
Hunar,  getötet  wurde.  Es  ist  allgemein  anerkannt,  dass  dies 
die  erinnerung  an  ein  geschichtliches  ereignis  bewahrt.  Im 
jähre  437  wurden  die  Burgunden  unter  ihrem  könige  Gundi- 
chari  vollständig  von  den  Hunnen  überwunden. 

Auch  mehrere  andere  Personennamen  dieser  heldendichtung 
sind  Bis  geschichtliche  namen  der  burgundischen  könige  nach- 
gewiesen, namentlich  Oibich,  altn.  Gjüki,  der  vater  Günthers 
(Gunnars)  und  Gtselher,  der  bruder  desselben. 

Allein  die  dichtung  zeigl  viele  abweichungen  von  der 
geschichtlichen  Wirklichkeit,  welche  in  ihrer  entstehung  zum 
grossen  teil  bisher  nicht  erklärt  werden  sind. 

Sowol  nach  der  deutschen  wie  nach  der  nordischen  dich- 

Li  meine  Vermutung  sprichl  vielleicht  Quol  1084  Nu  /»-  >'<\i  v' 
r  im  »org,  wo  Qrein  fxöt  üdel  fui  renntet 

[■)  Dieser  abschnitt  i-t  aus  praktischen  gründen  den  abschnitten  'Mundo 
and  Sigmund'  and  'Wolfdietrieb      Thecdorik'  vorangestellt    Derben 


254  BUGGE 

tung  wurde  Günther  (Gunnar)  gefangen  genommen,  während  der 
Burgundenkönig  Gundichari,  wie  es  scheint,  im  kämpfe  fiel. 

In  dem  grönländischen  gediente  Atlamäl  wird  erzählt, 
dass  Gunnar  an  einen  galgen  gehängt  wurde,  und  dass  die 
schlangen,  während  er  noch  lebte,  seinen  körper  verzehrten.1) 

Wie  ist  diese  sage,  die  durch  das  Schicksal  des  Burgunden- 
königs  Gundichari  nicht  erklärt  wird,  entstanden?  Ich  meine, 
dass  die  dichtung  hier  verschiedene  geschichtliche  ereignisse 
vereinigt  hat.  Prokop  erzählt  (Bell.  Vand.  I  3),  dass  er  von 
den  Vandalen  den  bericht  gehört  hat,  dass  der  Vandalenkönig 
Guntharic  in  Spanien  in  einer  Schlacht  von  'Germanen'  ge- 
fangen genommen  und  dann  gekreuzigt  wurde.2)  Dies  geschah 
427  oder  im  vorhergehenden  oder  im  nachfolgenden  jähre.3) 
Die  dichtung  hat  daher  nach  meiner  ansieht  den  tod  des 
Burgundenkönigs  Gunthachari  im  j.  437  mit  dem  tode  des 
Vandalenkönigs  Guntharic  im  j.  427  zusammengeworfen.  Die 
in  den  Atlamäl  erzählte  sage,  dass  Gunnar  an  den  galgen 
gehängt  wurde,  geht  auf  das  Schicksal  des  Vandalenkönigs 
zurück.  Dieser  wird  von  Prokop  ForOagig  accus,  rov&agiv 
genannt.  Denselben  namen  gibt  er  dem  kaiserlichen  befehls- 
haber  in  Numidien  (in  der  mitte  des  6.  jh.'s),  welcher  bei  Co- 
rippus  Guntharith,  bei  Jordanes  Guntharic  heisst.  Allein  von 
dem  continuator  Marcellini  zum  j.  547  wird  dieser  letztere 
Guntharium  (accus.),  Gunthario  (abl.)  genannt.  In  der  Historia 
miscella  ist  der  vandalische  name  Gontharius  geschrieben. 
Hierdurch  wird  es  bewiesen,   dass  man   die  namen,   welche 


*)  Die  frau  Gunnars  erzählt  v.  22  ihren  träum: 
GQrvan  hugöak  per  galga, 
gengir  at  hanga, 
seti  pik  ormar, 
yröak  pik  kvikvan. 

V.  59  befiehlt  Atle: 

Gunnar  grimmüögan 
ä  galga  festiö, 
belliö  pvi  bragöi, 
bjööiö  til  ormum! 

2)  BavSiXoi   6h    ...    röv&UQlv    cpaaiv   iv  'ionavlco   tiqoq   r^Qf/avwv 
§vX?.7j(pd-svra  iv  iid%%  cn'aoxokomo&ijvai. 

3)  Wietersheim-Dahn,  Völkerwanderung  II 188. 


II  KIM  AT    DER   ALTN.   WEISUNGEN-    Ü.   NIH.-LIEDER.  255 

Ulfila  (hoijxtltarjis  und  Gunpareiks  schreiben  würde,  leicht 
verwechseln  konnte;  vgl.  Wrede,  Ueber  die  spräche  der  V\ ran- 
dalen  s.  55.  Der  Burgundenkönig  konnte  um  so  leichter  mit 
dem  Vandalenkönige  verwechselt  werden,  als  Gunthachari  in 
Germania  prima  residierte,  über  welche  gegend  sich  die  Van- 
dalen  auf  ihrem  zuge  westwärts  nach  Salvian  ergossen  Latten.1) 
Und  früher  waren  an  der  Donau  die  Burgunden  in  Verbindung 
mit  den  Vandalen  aufgetreten.  Von  dem  tode  Guntharics 
sind  mehrere  sich  gegenseitig  widersprechende  berichte  er- 
halten. Da  Prokop  den  bericht,  wonach  er  im  kämpfe  gefangen 
und  dann  gekreuzigt  wurde,  von  Vandalen  gehört  hat,  war 
dieser  bericht  volkstümlich,  und  es  ist  daher  natürlich,  dass 
die  sagenform  der  heldendichtung  mit  demselben  in  Verbin- 
dung steht. 

Auch  andere  züge  in  den  nordischen  gedienten  werden 
durch  die  genannte  Verschmelzung  erklärt. 

Gunnar  wird  der  könig  der  Goten  genannt.2)  Dies  kann 
sich  auf  den  Vandalenkönig  beziehen,  denn  Prokop  (Bell.  VancL 
I  2)  nennt  die  Vandalen  unter  den  gotischen  Völkern,  und  die 
spräche  beweist  den  nahen  Zusammenhang  der  Vandalen  mit 
den  Goten;  vgl.  Wrede,  Ueber  die  spräche  der  Wandalen. 
Johannes  Antiochenus3)  bezeichnet  die  Vandalen  geradezu  als 
Goten.  Als  die  Vandalen  in  Afrika  landeten,  waren  Goten- 
haufen ihnen  beigemischt. 

Statt  der  offenen  feldschlacht  auf  burgundischem  gebiet 
finden  wir  sowol  in  der  deutschen  als  in  der  nordischen  Xibe- 
lungendichtung  die  hinterlistige  einladung  an  den  hünischen  hof. 

In  der  Atlakvioa  wird  erzählt,  dass  Atle,  der  könig  der 
Hünen,  einen  dienstboten  nach  Gunnar  sendet,  um  Ihn  und 
seinen  bruder  Eogne  einzuladen.  Er  verheissl  ihnen,  wenn 
sie    kommen    wollen,    reiche    gaben    und    grosse    landstrecken. 

Ihre  Bchwester  Gudrun,  die  brau  Atles,  -endet  warnende  zeichen 

mit.    Dennoch  reiten  Gunnar  und  Eogne  über  den  wald  der 


')  Zeuss,  Die  Deutschen  s.  4">1. 

-    Qotna Pjööann  Atlakv.  20;    Ooina  dröttinn  Qrip.86.    Kr  b 
üIi.t  Qota  mengt  Brot. 9.  Bein  rosa  beissl  <•        -    ■    mutterwird  gotnesk 
kona  genannl  Qnftr.  II  1 7. 

»)  Bei  C.Müller,   Fragmente  Histor.  Gfraec,   Paria  1861,   H?  p. 618: 
i«.  BovHpäxtoc)  nji   dißvtn   iit/ii'.im   Pvt&otc.. 


256  BUGGE 

Hünen  zu  Atle  und  finden  bei  ihm  ihren  tod.  In  dem  ge- 
diente Atlamäl  sendet  Gudrun,  um  ihre  brüder  zu  warnen, 
einen  mit  runen  geschriebenen  brief,  allein  der  böte  Atles 
entstellt  denselben.  Hier  zieht  der  böte  zu  den  brüdern  über 
den  LimafJQrdr  (in  Jütland)  und  über  diesen  rudern  gleichfalls 
die  brüder. 

Nach  dem  Nibelungenliede  ladet  Etzel  auf  bitten  seiner 
gemahlin  Kriemhild  ihre  brüder  zu  sich  ein.  Die  drei  könige 
mit  Hagen  und  einer  menge  bewaffneter  ritter  machen  sich 
auf  den  weg  zu  Etzel.  Sie  fahren  über  den  Ehein  und 
ziehen  ostwärts.  Als  sie  in  das  land  Etzels  kommen,  reitet 
Dietrich  von  Bern  ihnen  entgegen  und  warnt  sie  vor 
Kriemhild. 

Nach  der  piöriks  saga  wird  mit  den  boten  Attilas  ein 
brief  seiner  frau  gesendet,  worin  G-unnar  und  seine  brüder 
aufgefordert  werden,  zu  Attila  zu  kommen,  um  an  der  re- 
gierung,  während  sein  söhn  noch  unmündig  ist,  teilzunehmen. 

Auch  in  dieser  hinterlistigen  einladung  der  heldendichtung 
finde  ich  züge  aus  der  geschiente  der  Vandalen. 

Nach  der  erzählung  Prokops  (Bell.  Vand.  I  3)  verleumdete 
Aetius  den  Bonifatius,  der  in  Afrika  befehlshaber  war,  bei  der 
kaiserin  Placidia,  die  für  ihren  unmündigen  söhn  regierte,  und 
gab  vor,  Bonifatius  wolle  sich  eine  unabhängige  herschaft  in 
Afrika  gründen.  Zur  probe  schlug  er  vor,  den  Bonifatius  an 
den  hof  zu  berufen.  Placidia  schenkte  dem  Aetius  glauben 
und  beschied  den  Bonifatius  sofort  zu  sich.  Zuvor  aber  hatte 
Aetius  diesen  unter  dem  scheine  der  freundschaft  durch  einen 
heimlichen  brief  davon  benachrichtigt,  dass  die  kaiserin  mutter 
ihm  nachstelle  und  ihn  aus  dem  wege  räumen  wolle;  ein  be- 
weis der  Wahrheit  für  diese  nachricht  solle  ihm  sein,  dass  er 
in  kurzem  ohne  erheblichen  grund  an  den  hof  berufen  werde. 
Da  letzteres  nun  wirklich  bald  geschah,  so:  zweifelte  Bonifatius 
njeht  an  der  Wahrheit  der  ganzen  aussage  und  rüstete  sich 
(427)  zur  Selbstverteidigung.  So  wurde  er  denn  für  einen  feind 
des  reichs  erklärt  und  ein  heer  gegen  ihn  nach  Afrika  ge- 
schickt.   Dann  suchte  Bonifatius  bei  den  Vandalen  hilfe. 

Er  sante  einige  seiner  vertrautesten  freunde  nach  Spanien 
und  lud  den  Vandalenkönig  Guntharic  und  den  unechten  brüder 
desselben  Gaiseric  nach  Afrika  ein. 


II  i  i M  AT   DER  AI.TN.  WEL8UNGEN-   ü.   NIB.-LIEDEB,         257 

Bald  darauf  wurde  Guntharic  im  kämpfe  gefangen  ge- 
nommen und  dann  gekreuzigt.  Andere  erzählten,  dasa  Gaiseric 
seinen  tod  verursachl  hätte.  Gaiseric  folgte  nun  der  einladung 
des  Bonifatiua  und  zog  nach  Afrika. 

Kaum  waren  die  Vandaleo  hier  gelandet,  als  Bonifatius 
sich  wider  mil  Placidia  versöhnte,  wonach  er  Afrika  gegen  die 
Vandalen  verteidigte.  Im  jähre  1:32  kehrte  er  nach  [tauen 
zurück  und  wurde  v<m  Placidia  zum  magister  militum  ernannt. 
Als  solcher  kämpfte  er  mit  A.etius,  der  mit  einem  grossen 
beere  gegen  ihn  zog.  In  der  blutigen  schlacht  siegte  Bonifatius 
erhielt  aber  eine  so  gefährliche  wunde,  dass  er  bald  darauf 
Starb.     Aetius  floh  zu  den  Hunnen. 

Zwischen  der  dichtung  und  der  geschichtlichen  erzählung 
sind  Übereinstimmungen  vorhanden,  die  ich  nicht  für  zufällig 
halten  kann,  während  der  wahre  geschichtliche  Zusammenhang 
andererseits  in  der  dichtung  gänzlich  entstellt  worden  ist.  in- 
dem personen  und  ereignisse,  die  weit  verschieden  waren,  zu- 
sammengeworfen sind. 

Sowol  in  der  dichtung  als  in  der  geschiente  ist  von  einer 
hinterlistigen  einladung  die  rede.  In  der  deutschen  sagenform 
wird  die  einladung,  wie  in  der  geschichte,  von  einer  fürst  in 
gesendet  Placidia  regiert  für  ihren  unmündigen  söhn.  Nach 
der  Thidriks  saga  werden  Gunnar  und  seine  brüder  aufgefor- 
dere,  an  der  regier ung,  während  der  söhn  Attilas  unmündig 
ist.  teilzunehmen, 

Sowol  in  der  dichtung  als  in  der  geschichte  wird  vor  der 
einladung  durch  einen  brief  heimlich  gewarnt. 

In  der  geschichtlichen  erzählung  finden  wir  zwei  ein- 
Iadnngen.  Züge  aus  beiden  sind  in  der  einen  der  dichtung 
vereinigt 

Die  dichtung  erwähnl  wie  die  geschichte  eine  einladung, 
welche  an  zwei  brüder  durch  boten  gebracht  wird.    Nach  der 

tüchtlichen  erzählung  isl  derjenige  brüder,  der  eigentlich 
konig  ist,  Guntharic;  in  der  dichtung  Günther,  Gunnar.  Wir 
haben  bereits  gesehen,  dass  der  könig  der  dichtung  Günther 
zum  teil  dem  geschichtlichen  Vandalenkönige  Guntharic  ent- 
spricht I  des  linden  wir  hier  bestätigt  Bei  der  einladung 
entspricht  also  der  Sagene,  Hggni  der  dichtung  zum  teil  dem 


258  BUGGE 

geschichtlichen  Gaiseric.1)  Die  ganze  reiche  sage  von  Hagen 
ist  nicht  aus  erzählungen  von  Gaiseric  entstanden.  Nur  ein- 
zelne züge  sind  nach  meiner  Vermutung  von  Gaiseric  auf  Hagen 
übergegangen.  Gaiseric  war  der  Stiefbruder  Guntharics  von 
einer  magd  erzeugt.  Hagen  ist  in  deutschen  dichtungen  der 
Stiefbruder  Günthers,  von  der  königin  mit  einem  elfen  erzeugt. 
'Die  finstere  und  wilde  bösartigkeit  des  Charakters  Hagens  in 
dem  Nibelungenlied'  erinnert  an  Gaiseric.  Dieser  war  nach 
Jordanes  'tiefen  geistes,  schweigsam,  Verächter  des  woilebens, 
von  wilder  zornwut,  die  Völker  aufzuwiegeln  von  grösster  Ver- 
schlagenheit, den  samen  der  Zwietracht  auszustreuen  und  hass 
zu  erregen  stets  bereit'. 

AVenn  Attila  nach  der  Thidriks  saga  mit  Grimhild  den 
plan  zur  hinterlistigen  einladung  verabredet,  ist  er  an  die 
stelle  des  Aetius  getreten.  Wenn  sich  somit  der  Attila  der 
dichtung  mit  dem  Aetius  der  geschiente  berührt,  ist  daran  zu 
erinnern,  dass  man  denselben  mann  Badva  und  Badvila,  Puigas 
und  liugila,  Sarus  nnd  Sarulo  nannte.  Daher  wirkt  bei  der 
Übertragung  von  zügen,  die  dem  Aetius  gehört  haben,  auf 
Attila  die  ähnlichkeit  der  namen  gewiss  mit.  Hernach  ver- 
mute ich2),  dass  die  heldensage  ebenfalls  die  niederlage  der 
Burgunden  durch  Aetius  mit  der  niederlage  der  Burgunden 
durch  die  Hunnen,  als  deren  anführer  Attila  bald  genannt 
wurde,  zusammenwarf.3)  Zur  Verwechselung  des  Burgunden- 
königs  Gunthachari  mit  dem  Vandalenkönige  Guntharic  wirkte 
der  umstand  mit,  dass  Aetius  auf  das  Schicksal  beider  könige 
einfluss  hatte. 

Die  hier  von  mir  begründete  combination  wirft  auf  das  Ver- 
hältnis der  deutschen  sagenform  zur  nordischen  neues  licht. 

Der  hinterlistige  plan  geht  in  der  geschichte  von  Aetius, 
in  der  nordischen  sagenform  von  Atle  aus.  Insoweit  hat  die 
nordische  sagenform  das  ursprünglichere  erhalten.  Atle  ist 
wie  Aetius  falsch.    Aetius  verbirgt  seinen  hass  unter  einem 


1)  Daher  kann  Hagen  nach  meiner  ansieht  nicht,  wie  Heinzel  meint, 
auf  Aetius  zurückweisen. 

2)  Auch  dies  spricht  gegen  die  auffassung  Heinzeis,  wonach  Hagen  auf 
Aetius  zurückgeht. 

3)  Müllenboff  bemerkt  (Zs.  fda.  10, 150):   'die  sage  fasst  offenbar  den 
kämpf  gegen  Aetius  und  die  Hunnen  in  eins  zusammen.' 


Heimat  der  altn.  welsüngeet-  u.  ntb.-liedeb.       2r><> 

freundliclicii  äussern.1)  Dies  wird  in  dem  auftreten  der  Send- 
boten Alles  in  der  nordischen  dichtung  reflectiert: 

fagrt  baOk  ykkr  komo, 
iLitt  v;is  \<n  ander 

Ail;iin;'il  39:  'freundlich  lud  ich  euch  ein,  doch  falschheit  steckte 
dahinter',  dyljendr  Pggffo  Atlakv.  2:  sie  schwiegen  und  hehlten 
den  trug. 

Allein  die  Thidriks  saga  hat  das  ursprüngliche  darin  er- 
halten, dass  die  einladung  von  Grimhild  kommt.  Dies  müssen 
wir  daraus  folgern,  dass  die  einladung  an  Bonifatius  von  Pla- 
cidia  kommt.  Und  wie  Placidia  und  Aetius  mit  einander  die 
hinterlistige  einladung  verabreden,  so  in  der  Thidriks  saga 
Grimhild  und  Atle. 

Auch  hat  die  deutscjhe  sagenform  einen  ursprünglichen 
ZUg  darin  erhalten,  dass  die  eingeladenen  vor  den  nachstel- 
lungen  Grimhilds,  wie  Bonfatius  vor  den  der  Placidia  gewarnt 
werden. 

Wenn  AileiKt/el).  der  die  Nibelungen  einladet,  zum  teil 
dem  Aetius  entspricht,  nach  dessen  anstii'tung  Bonifatius  von 
Placidia  eingeladen  wird,  haben  wir  das  recht,  diese  com- 
bination  weiter  zu  verfolgen.  Bonifatius  kommt  nach  Italien 
mit  einem  beer,  wird  von  Placidia  zum  magister  militum  er- 
nannt und.  wie  es  scheint,  von  ihr  gegen  Aetius  unterstützt. 

Bonifatius  und  Aetius  kämpfen  in  einer  blutigen  schlacht 
gegen  einander.  I  '.uiiit'at ins  Biegt,  wird  a  her  so  gefähl  lieh  ver- 
wundet, dass  er  nach  wenigen  tagen  stirbt. 

Die  sage  von  dem  tode  der  Nibelungen  hat  von  diesen 
ereignissen  züge  in  sich  aufgenommen.  Als  die  Niflungar  zu 
Atle  gekommen  sind,  entspinnt  sich  ein  kämpf  und  Gudrun 
kämpft  nach  den  Atlanta!  mit  ihnen  gegen  Atle.  wie  Placidia 
den   Bonifatius  gegen  Aetius  unterstützt 

Nach  der  ßiöriks  Baga  (cap. 393)  lebt  Hogne  mir  einige 
tage  nach  dem  kämpfe  gegen  die  Sunen,  wie  Bonifatiui  nur 
einige  tage  nach  dem  kämpfe  geg<  d  Aetius. 

l>ie  Verschmelzung  VOH   Attila    und   Aetius    in    den  Atlila 


■)  Prokop  i  Bell.  Vtati.  l  8)  eralblt,  daai  Letini  leinen  Unwillen  darüber, 
dan  Placidia  den   Bonifatini  nun  befeblibaber  der  ganaen  afrikanii 
protina  gemacht  bat,  verbirgt    Die  feindaehait  der  beiden  minner  war  noeb 
nicht  anagebrochen :  aXX'  ünb  r<~>  i  tvtto 

IT* 


260  BUGGE 

der  heldensage  erkenne  ich  endlich  bei  der  aus  einer  nieder- 
deutschen quelle  geschöpften  erzählung  in  der  I)iöriks  saga 
von  dem  tode  Attilas. 

Hogne  erzeugt  vor  seinem  tode  einen  söhn  Aldrian.  Dieser 
wird  bei  Attila  erzogen.  Um  seinen  vater  und  seine  schmach 
an  Attila  zu  rächen,  lockte  er,  zwölf  jähre  alt,  den  goldgierigen 
könig  in  den  berg,  wo  der  Mflunge  schätz  war,  verschluss  die 
türen  und  Hess  Attila  dort  verhungern. 

Den  namen  Aldrian  erkläre  ich  aus  Valentianns,  der  mit 
Valerianus  verwechselt  worden  ist;  vgl.  waldriän,  haldriän  aus 
Valeriana.  In  betreff  des  anlauts  vgl.  Andalusia  vom  namen 
der  Yandalen. 

Als  Aetius  im  jähre  454  zum  kaiser  kam,  um  reclmung 
abzulegen  und  geld  abzuliefern,  sprang  dieser  schreiend  auf 
und  überhäufte  ihn  mit  vorwürfen.  Aetius  wurde  mit  dolchen 
von  Heraclius  und  vom  kaiser  Valentinian  III.  selbst  getötet. 

Bonifatius  verheisst  den  vandalischen  brüdern  die  abtretung 
eines  teiles  seiner  provinz:  sie  sollen  alle  drei  das  land  zu 
gleichen  teilen,  jeder  selbständig  in  seinem  gebiet,  beherschen. 
Damit  ist  zu  vergleichen,  dass  Atle  in  der  Atlakviöa  den 
brüdern  landstrecken  verheisst.  Von  diesen  wird  Gnitalwidr 
zuerst  genannt.  Im  vorhergehenden  habe  ich  die  Vermutung 
ausgesprochen,  dass  Gnitaheidr  in  der  ältesten  sage  in  Afrika 
gedacht  wurde. 

Die  annähme,  dass  die  der  dichtung  angehörige  einladung 
der  Nibelungen  mit  der  geschichtlichen  einladung  der  Yandalen 
in  Verbindung  steht,  löst  eine  andere  Schwierigkeit. 

Nach  den  Atlamäl  zieht  der  sendbote  Atles  nach  Gunnar 
über  den  Limafjgrör.  Dies  erkläre  ich  mir  folgendermassen. 
Eine  angelsächsische  heldensage  Hess,  wie  ich  vermute,  die 
einladung  an  Günther  über  die  meerenge  des  Wendelsde  (des 
Mittelmeeres)  gebracht  werden,  was  auf  die  einladung  des 
Vandalenkönigs  zurückgieng.  Nordleute,  vielleicht  zunächst 
dänische  männer,  welche  diese  angelsächsische  heldensage 
hörten,  dachten  bei  Wendelsde  an  Vendill,  den  nördlichsten  teil 
Jütlands,  und  fassten  daher  Wendelsde  als  den  Limf jord  auf. 

Nach  dem  gedichte  Oddrünargrätr  30  hört  Oddrun  aus 
HUsey,  dass  Gunnar  die  harfe  schlägt.  Dies  setzt  voraus, 
dass  Atle  in  Vendill  wohnt. 


HEIMAT    DBB   AMV.   WELSUNGEN-    ö,   RTB.-LIBDEB.  261 

Durch  die  annähme,  dass  die  einladnng  der  Gibichungen 
zu  Etzel  auf  die  einladnng  der  Vandalen  nach  Airika  zurück- 
geht, werden  noch  andere  Bagenzüge  in  der  nordischen  dich- 
tnng  erklärt 

Gunnar   wird   gebunden    anter   die  schlangen    in   einen 
'wurmgarten'  (prmgardr)  geworfen  und  Bchlägt  dort  die  harte, 
wie  ea  in  mehreren  berichten  heisst,  mit  den  zehen.    In  der 
Snorra  Edda   wird  gesagt,  dass  die  harfe  ihm   heimlich 
geben  war. 

Warum  lässt  nun  die  heldensage  Günther  (Gunnar)  in 
einem  'wurmgarten'  sterben?  Nach  meiner  vennntung  isi 
dies  ein  sagenzug,  der  ursprünglich  an  einen  vandalischen 
könig  in  der  maurischen  wüste,  in  Afrika  geknüpft  worden  ist 

Man  hat  sich  noch  in  unserer  zeit  solche  gräuel  in  Afrika 

:  i.   Von  dem  tunesischen  bey  Mohammed-es-Saddok  wurde 
1881  das  folgende  berichtel  •>:  'er  war  der  erflnder  einer  beson- 

ä  ausgesuchten  tortur,  welche    der  schlangengraben 
naiint  wird.    Schon  der  anblick  di  tbens,  in  dem  allerlei 

widerwärtiges  Ungeziefer  unten  wimmelt",  konnte  ani  den 
tippen  der  widerspenstigen  versprechen  und  geständnisse  her- 
vorrufen Wenn  Bie  nichts  zu  gestehen  hatten,  wurden  sie 
ganz  •  in  den  graben  herabgeworfen,  allein  der  anblick 

ihrer   leichname,    welche   mit    schlangen,   scorpionen,   kröten 
ii.  dgl.  bedeckt  wurden,  waren  am  so  geeigneter,  geständnisse 
den  nächsten  hervorzurufen-' 

Nach  A.tlakvioa  liegt  der  wurmgarten  ausserhalb  des  be- 
bauten tandea  in  der  wilden  einöde  (heidi  str. 

Auch  nach  der  Tbidrii  i   wurde  dei 

oe  Gunnar   in  einen   wurmgarten  geworfen     Die   - 
fügl  aber  hinzu:  'dieser  türm  Bteht  mitten  in  Susat',  und  nach 
der  handschrift  B  war  dieser  türm  mit  giftwürmern  angefüllt 

Die  vermntung,  dass  die  m  wurmgarten  zuerst  an 

einen  vandaliachen  könig  in  Afrika  geknüpft  worden  i>t.  wird 

durch  die  erzählung  ProV  I.  v~and.  II  7i  von  dem  letzten 

vandalischen  Könige  '  Gelimer  befand  sich  im  winter 

;.  von  dem  oströmischen  beere  umrin.irt.  in  jsten 

')  Aft(  meiu. 

Zeitu 


262  BUGGE 

not  auf  einem  maurischen  berge.  Mehreren  mit  ihm  ver- 
wanten  Jünglingen  in  seinem  gefolge  verfaulten  des  Schmutzes 
wegen  die  körper,  so  dass  sich  würmer  entwickelten.1)  Dies 
konnte  in  der  sage  leicht  in  die  erzählung  übergehen,  dass 
der  könig  sich  in  einem  mit  schlangen  und  würmern  an- 
gefüllten graben  befand. 

Der  zug,  dass  dem  gefangenen  könige  Gunnar,  wo  er  in 
der  wildnis  liegt,  eine  harfe  gegeben  wird  und  dass  er  sodann 
diese  schlägt,  weist  deutlich  auf  Gelimer. 

Der  römische  heerführer  schickte  ihm  in  der  not  nach 
seinem  verlangen  eine  cither,  zu  welcher  er  ein  lied  sang,  das 
er  auf  sein  unglückliches  Schicksal  dichtete  (Prokop,  Bell. 
Vand.  II  6). 

Jacob  Grimm  hat  bereits  geäussert  (Gesch. d.d. spr. s. 479): 
'kaum  darf  man  zweifeln,  dass  die  Schicksale  Gelimers  auch  im 
lied  gesungen  wurden.'  Dies  finden  wir  jetzt  bestätigt.  Aus 
dem  lied  von  Gelimer  sind  züge  auf  die  lieder  von  dem  tode 
der  Nibelunge  übergegangen. 

Die  Vermutung,  dass  sagenzüge,  welche  in  der  helden- 
dichtung  an  Gunnar  geknüpft  sind,  ursprünglich  von  Geilamir 
erzählt  wurden,  wird  dadurch  gestützt,  dass  eine  alte  schritt, 
welche  der  eigentlichen  geschiente  näher  liegt,  Gundar  statt 
Geilamir  nennt. 

Nach  der  Vita  Vigilii  bei  Muratori  Script.  III,  tom.  I 
p.  130  besiegt  nämlich  Belisar  zuerst  den  Vitiges,  geht  dann 
nach  Afrika,  nimmt  den  vandalischen  könig  Gundar 
gefangen,  geht  dann  nach  Eom  zurück  und  bringt  von  der 
gemachten  beute  dem  heiligen  Petrus  ein  goldenes,  hundert 
pfund  schweres  kreuz  mit  den  inschriften  seiner  taten  dar. 
Hier  ist  Geilamir  mit  dem  Usurpator  Guntharith  {Tov&aQtq), 
zu  dem  die  übrigen  Vandalen  übergiengen  und  der  im  jähre 
545  getötet  wurde,  verwechselt  worden. 

3.   Mundo  und  Sigmund. 

Die  nordischen  sagenhelden  Sigmund)-  und  SinfjQÜi  waren 
bei  den  Angelsachsen  als  Sigemund  und  Fitela,  bei  den  ober- 


:)    Z(5v    oi    §vyyevwv    ncadliov    zu    nkelaxu    aw/xara    ax(uh]xac,    ev 

TCCVX1J    Öl)    T%    XcO.UlTlUtQla    Ijfplei. 


HEIMAT   DBB  A.LTN.   WBL8UKGEN-    U.   NIB.-UEDEU. 

deutschen  stammen  als  Sigemunt  und  Sintorviatilo  bekannt 
Die  westfränkische  sage  \"<>n  diesen  beiden  kam  nach  England, 
wo  die  nordlente  gewiss  im  9.  jh.  dieselbe  aus  dein  munde  der 
Angelsachsen  hörten.  Den  Ursprung  und  die  historischen 
Voraussetzungen  dieser  sage  hat  man  bisher  nichl  erkannt 

Sigmund,  Bein  vater  and  grossyater  waren  könige  von 
Hünaland  (Vo,ls.  s.  cap.  1,2,  11).  Die  sage  von  Sigmund  gehl 
nach  meiner  Vermutung  /um  teil  auf  den  heim  jähre  505  ge- 
nannten  Mundo  zurück.  Dieser  stammte  nach  Jordanes  von 
Atlila.  was  durch  seinen  n.niieii  bestätigl  wird;  allein  Mar- 
cellinus nennt  ihn  einen  Goten  Kr  war  der  anführer  eines 
bunten  räuberhaufens,  der  ihn  als  seinen  könig  anerkannte. 
Kr  beunruhigte  in  Pannonien  die  grenzen  des  oströmischen 
reiche-..  Jordanes  erzählt  G-etica  cap.  88  (ed.  Mommsen  p.  I 
vom  ostgotischen  Theoderik: 

•  l'it/.aiiiiun  (var.  Pitaam  quoqne  ranm  comitem  et  intei  jiriiio.s  elee- 
tiini  ad  obtinendam  Sirmiensem  dirigil  civitatem.  quam  ille  expnlft 
eins  Trasarico,  filio  Trapstilae,  retenta  eins  matre  obtinuit.  vnde  contra 
Saviniannm  Qlyricum  marr.  mil,  qni  tunc  cnm  Mnndone  parareral  conflietnm, 
ad  civitatem  cognomine  Mai-"  plannm,  quae  inter  Dannbinm  Hargnmqne 
flnminibns  adiacebat,  cnm  dnobns  milibns  ergo  peditnm,  eqnitibns  qnin- 
gentis  in  Mnndonis  solacia  renieni  Qlyriciannm  exercitnm  demolivit  oam 
hie  Mundo  de  Attilanis  qnondam  origine  descendens  Qepidarnm  gentem 
fagiens  ultra  Dannbinm  in  incnltis  locia  Bine  allis  terrae  cnltoribna  dira- 
gattu  .-t  plerisqne  abactoribns  Bcamarisqne  et  latronibns  onde  cnmqne  col- 
lectü  turrini  qnae  Eerta  «licitur  Bnper  Dannbii  ripam  podtam  ocenpans 
tbiqne  agresti  um  praedaaqne innectena  ricinis  regem  lern  ribna 

-v  hnnc  ergo  pene  deeperatnm  ei  iam  de  traditione  sua  deliberantem 
i'.t/i  {var   l'n/ai  rabyeniena   ••   manibns  Saviniani  eripnit,   snoqne 
'I'h lorico  cnm  gratiarnm  actione  f» - < - i t  BnbiectnmJ 

Diese  er<  finde  ich  in  der  nmdichtung  der  helden- 

sage  Voteunga  saga  cap.  5  ii.  wider.    Sigmund  isl  von  - 
dem  könige  von  Gautland,  gefangen  genommen,  kommt  aber 
durch  die  hüte  Beiner  Schwester  der  ehefran  5 

lo>.  Er  hielt  sich  sodann  einsam  im  walde  auf  und  machte 
sich  hierauf  'ein  er.ih.-Mi>".  d.h.  eine  unterirdische  wohnung, 
im   «raldi     5  ab  ihm  dort, 

Schwester  gebar  ihm  später  den  söhn  Sinfjotle,  damit  di< 
ihm  bei  der  räche  hilfe  leistete.    Als  werwölfe  Btreiften  \ 
und  soim  lange  durch  die  waldmarken,  töteten  viele  manner 

beute  wegen  und  vollbrachten  manche  heidental  in  k 


264  BUGGE 

Siggeirs  reich.  Als  es  ihnen  beschieden  war,  die  wolfsbälge 
wider  abzulegen  und  als  Sinfjotle  erwachsen  war,  töteten  sie 
könig  Siggeir  mit  allen  seinen  männern.  Vater  und  söhn  ver- 
schafften sich  heervolk  und  schiffe,  und  Sigmund  wurde  ein 
mächtiger  könig  in  seinem  erblande  Hunaland.  Die  sage, 
dass  Sigmund  und  Sinfjotle  wolfsbälge  anlegen,  ist  durch 
mythische  umdichtuug  des  wilden  räuberlebens  in  der  wald- 
mark entstanden.  Der  zug,  dass  Sigmund  sich  in  einem  'erd- 
haus'  (jardlius)  verbarg,  weist  auf  den  bericht,  dass  Mundo 
sich  mit  den  seinigen  in  einen  festen  türm,  Herta  genannt, 
verbarg.  Herta  ist  in  einer  Zusammensetzung  zu  dem  got. 
er])a  'erde'  ^erjmkelihi  oder  *er]?ahus)  geworden. 

Die  vergleichung  der  bei  Jordanes  vorkommenden  erzäh- 
lung  von  dem  hunnischen  Mundo  zeigt,  dass  der  name  Hüna- 
land in  der  sage  ursprünglich  und  in  eigentlichem  sinne  zu 
verstellen  ist.1) 

Aus  der  vergleichung  mit  Jordanes  folgt  weiter,  dass  die 
sage  nicht  ursprünglich  eine  fränkische,  sondern  vielmehr  eine 
ostgotische  war. 

Die  Gautar  waren  nicht  die  nachbarn  der  Hunnen.  Daher 
ist  Gautland  als  name  des  reichs  Siggeirs  unursprünglich  und 
von  den  nordleuten  statt  eines  südländischen  namens  eingeführt. 
Müllenhoff  (Zs.  fda.  23, 121)  sagt  mit  recht:  'versetzt  die  nor- 
dische sage  Siggeir  als  könig  von  Gautland  nach  dem  süd- 
lichen Schweden,  so  beweist  sie  damit  abermals  nur,  dass  ihr 
der  alte  boden  und  der  ursprüngliche  sinn  und  Zusammenhang 
der  dichtung  verloren  gegangen  war.'  Allein  die  positiven 
Vermutungen  Müllenhoffs  über  das  reich  Siggeirs  werden  durch 
Jordanes  widerlegt. 

Nachdem  die  handlung  nach  Gautland  verlegt  war,  ent- 
stand die  Vorstellung,  dass  man  aus  Hunaland  nach  Gautland 
schiffte.  Die  Gautar  sind  hier,  wie  aus  der  erzählung  des 
Jordanes  erhellt,  an  die  stelle  der  Gepiden  getreten.    Dieser 


x)  Dagegen  sagt  Symons  (Beitr.  3,  293) :  '  Das  Hunaland  der  saga  ist 
gewiss  correctur,  da  Sigurd  in  den  liedern  vielfach  danach  bezeichnet  wird.' 
Müllenhoff  (Zs.  fda.  23, 136)  erklärt  'Hunaland.  d.  i.  dem  Sprachgebrauch  meh- 
rerer eddischer  lieder  zufolge  ein  grosses  land  im  Süden'  und  meint,  dass  die 
fränkische  sage  nicht  Hunaland,  sondern  etwa  Sigiland  oder  das  reich  der 
Siggen  genannt  habe. 


HEIMAT   DEB   A.LTN.    WEL8UNGEN-   ü.   BTCB.-LIBDEB, 

volksname,  der  im  ags.  im  dat  Gifdum,  Gefdum  lautet,  isl  im 
norden  nirgends  bewahrt. 

Sigmund  flüchtet  vor  dem  könige  der  Gautar  in  den  \v;iM. 
Dies  gehl  darauf  zurück,  dass  Mundo  vor  dem  volke  der 
piden  in  die  einöde  flüchtet 

Der  gehilfe  Sigmunds  Sinfiptli,  ags.  Fitela,  gehl  hier  auf 
den  helfer  des   Mundo   ViUa  zurück.    Es  komml   öfters  vor, 
dass  ein  germanischer  mann   bald  mit  einem  namen,  der  das 
deminutivsufnx  -(t)la  enthält,  bald  mit  dem  Stammworte  di 
deminutivs  benannt  wird.    So  ist  Hugos,  Roas,  der  vaterbruder 

\ttila.   von    Eugila   nicht    verschieden.     Vgl.  Sortis  und 
Sgrli]  Badva  und  Badvila]  Bleda  und  Blcedeltn.    üeber 
das  erste  glied  von  SinfJQÜi,  Sintarweeilo  werde  ich   im  fol- 
genden handeln.') 

Dadurch  dass  Sigmund  als  identisch  mit  Mundo,  dem  nach- 
kommen Attilas.  nachgewiesen  worden  ist.  wird  ein  anderer 

ozug  in  ein  neues  licht  gestellt  Nach  Vols.  s.  cap.8  erhält 
der  junge  Sigmund  von  Odin  ein  Bchweii  als  geschenk,  und 
dasselbe  wird  in  ByndL  2  gesagt  Dies  geht  nach  meiner  Ver- 
mutung zum  teil  auf  die  von  Priscus  (Fragm.  8,  p. 91  MuH.) 
uul  nach  ihm  von  Jordanes  (cap.  35,  p.  105  Momms.)  erzählte 
zurück,  dass  das  heilige  schwerl  mythischen  kr 

bs,  als  Anila  könig  geworden  war.  nach  dein  willen  •_ 
entdeckt  und  dem  Attila  als  geschenk  gebracht  wurde. 

Allein  die  specielle  ausführung  in  der  Sigmund- sage  isl 
aus  dem  einfluss  einer  anderen  sage  zu  erklären. 


')  Jordanea  tagt    ?on  Theoderik:    PiUam  q 

mter  prim  ■■■   ad   obUnendam    Sirmiensem   dirigit  Bei 

I'ltil.i   wir  I  |  1 '  M 

• 

kann  mau  daher  im  den  ansdrock  benutzt  haben  (Tgl. 

gadiliggs  bei  Ulfila  and  wandal.  .1  n  aasdruck  hat 

ili.'  fränkische  h  vielleicht   uns  dem  halten  nnd 

hat  deshalb  d<  cnannt,  jedoch  in  di  d  der 

fränkischen  bi  I  •  n  w  nrde. 

den  grande  data    werde  ich   im  folgeuden 

ni  nur  im  . 
daher  stützt  der  name  'li'1  an»i<  bl 

ron  den  beiden,  die  diesen  uaiuen  l  im  teil  a 

quelle 

')  [VgL  Arkii 


266  BUGGE 

Dass  die  sage  von  Sigmund  ursprünglich  eine  ostgotische 
sage  war,  finde  ich  durch  die  piöriks  saga  bestätigt. 

Nach  cap.  155  ist  die  Schwester  Sigmunds  mit  könig  Dra- 
solf  verheiratet.  Wenn  die  handschrift  A  sie  Signy  nennt, 
ist  dieser  name  gewiss  aus  der  nordischen,  nicht  aus  einer 
niederdeutschen  sagenform  eingesetzt. 

In  der  Volsunga  saga  ist  die  Schwester  Sigmunds  mit 
Siggeir,  könig  von  Gautland  verheiratet.  Nun  habe  ich  ge- 
zeigt, dass  der  name  der  Gautar  hier  für  den  der  Gepiden 
eingesetzt  worden  ist  und  dass  Sigmund  hier  sein  historisches 
Vorbild  in  dem  bei  Jordanes  erwähnten  Mundo  hat.  Daher 
erkenne  ich  in  Drasolf,  dem  Schwager  des  Sigmund,  den  mit 
Mundo  gleichzeitigen  gepidischen  könig  Thrafstila. 

Dies  wird  dadurch  bestätigt,  dass  Thrafstila  nach  meiner 
auseinandersetzung  auch  im  mhd.  Wolfdietrich  auftritt,  nämlich 
als  der  alte  Drasian. 

Dieser  Drasian  ist  also  im  gründe  dieselbe  sagenfigur  wie 
Siggeir,  der  könig  von  Gautland.  Drasian  hat  Sigminne  ge- 
raubt. Siggeir  ist  mit  Signy,  die  ihm  unwillig  folgt,  ver- 
heiratet. Auch  hierin  dürfen  wir  ein  Verbindungsglied  zwischen 
Drasian  und  Siggeir  vermuten.  Dass  Signy  als  die  gemahlin 
Siggeirs  und  Sigminne  als  die  von  Drasian  geraubte  frau  ein 
historisches  vorbild  gehabt  haben,  folgere  ich  aus  Jordanes 
p.  135  (Momms.):  Püzamum  quoque  suum  comitem  et  inter 
primos  electum  ad  obtinendam  ßirmiensem  dirigit  civitatem. 
quam  ille  expulso  rege  eins  Trasarico,  filio  Trapstilae,  retenta 
eins  matre  obtinuit.  Pitza,  der  helfer  Mundos,  ist  das  historische 
vorbild  Sinfjotles,  des  gehilf en  Sigmunds.  Wenn  Thrafstila 
dem  Siggeir  und  dem  Drasian  oder  Drasolf  der  heldensage 
entspricht,  finden  wir  die  mutter  des  Thrafstila  in  der  Signy 
und  der  Sigminne  der  heldensage  wider.  Es  liegt  nahe,  die 
sagen  mit  dem  bericht  des  Jordanis  und  des  Paulus  folgender- 
massen  zu  verbinden:  der  könig  der  Gepiden  Thrafstila  hatte 
eine  Schwester  Mundos,  die,  wie  es  scheint,  auch  ostgotische 
ver wanten  hatte,  ohne  die  einwilligung  ihres  geschlechts  und 
wider  ihren  eigenen  willen  geheiratet  und  erzeugte  mit  ihr 


saminenhang  zwischen  dieser  sage  und  der  Arthursage  nachgewiesen  worden 
ist.    Der  herausg.] 


HEIMAT   DBB  AI/IN.   WBLSUNGEB-    U.   RTB.-LTBDBB,         2C7 

den  sonn  Thrasaric.  Thrafstila  wurde  im  anfang  des  Jahres 
189  von  Theoderik  getötet  Als  der  ostgotische,  mit  Mundo 
verbundene  heerführer  I'itza  am  505  Thrasaric  aus  8irmium 
verjagte,  blieb  die  mutter  Thrasarics  zurück  and  kam,  wie  wir 
vermuten  dürfen,  wider  zu  ihren  ostgotischen  verwanten. 

Nach  der  Thidriks  saga  ist  Sigmund  mitDrasolf  auf  einer 
heerfahii  östlich  in  Pulinalcmd,  d.h.  Polen.  Auch  dies  ver- 
trägl  sich  kaum  mit  einer  ursprünglich  fränkischen  Sigmund- 

.  sondern  Btimml  besser  zn  der  auffassung  von  Bigmund 
und  Drasolf  als  mit  Mundo  und  Thrafetila  identisch. 

4.   Wolfdietrich- Theoderik. 

Daas  Wolfdietrich  Bein  ursprüngliches  historisches  Vorbild 

im  ustpfotisflu'ii  Tli lerik,  der  [talien  Doch  uicht  erobert  hatte, 

wird  durch  die  sage  von  dem  kämpfe  Wolfdietrichs  mit  Dra- 
Bian  bestätigt 

In  Wolfd.  B  388—455  wird  erzählt:  als  Wolfdietrich 
einmal  mit  Beinen  mannen  auf  der  jagd  war.  rauht  ein  alter 
ritter  Draaian  ihm  Sigminne  und  behält  sie  in  Beinern  lande 
ein  halbes  jähr.  Wolfdietrich  sucht  Bie  verkleidet  als  pilger. 
Er  'gieng  holz  und  beide',  an  trinken  u><  l  an  tpise,  ernährte 
sich  von  den  Kräutern,  welche  er  im  wählt?  fand.  Er  legi 
sich  bei  einer  hohen  steinwand  müde  zum  Bchlaf.  Sigminne 
siehl  ihn  aus  der  bürg  Drasians  und  bittet  diesen,  den  pilger 
einzulassen.  In  der  borg  sitzt  er  beim  teuer;  Draaian  ciht 
ihm  wein  und  brot  Bald  erkennt  er  Sigminne,  und  als  Dra- 
aian mit  ihr  schlafen  gehen  will,  zieht  ff  sein  Bchwert,  das 
er  bei  sich  verborgen  hat.  und  tötet  Draaian,  Er  verbrennt 
die  bürg  mit  diu  zweigen,  welche  die  gehilfen  Drasians  waren, 
und  nel  einer  trau  \ lannen  durch  den  wähl. 

In  dieser  erzählung  Snde  ich  «-in»'  erinnerung  daran, 
der  « ■  - 1  lt " t  i - ■  ■  1 1 . ■  Theoderik  den  gepidischen  könig  Thrafetila 
überwindet  und  I 

Paulus  bist  Rom.  15,  15  und  eine  handschrift  des  Jordanes 
iM  mma  i>.  135)   haben    Tropstila.    andere   handschriften 
Jordanes   trafstila,   trastila,   ikrastiia 

tischen  reiches  &  t7".  führt  aus  Jordanes  und  Hist 

Cella  Paulus    p.  1"""  'n  an». 

I  tfesen  oamen  Snde  ich  in  d<  lichte 


268  BUGGE 

wider.  Andere  handschriften  haben  dresian,  tresyan,  trisian, 
trision,  B  einmal  traisiän. 

Das  suffix  -an  wird  in  mhd.  quellen  oft  den  Personen- 
namen der  heldensage  angefügt,  z.  b.  Albrian  neben  Eiberich. 

Paulus  berichtet,  dass  Theoderik  vor  seinem  einmarsch  in 
Italien  den  Thrafstila,  der  gegen  ihn  feindlich  auftrat,  besiegte 
und  tötete.1) 

Dieser  kämpf  mit  den  Gepiden  fand  auf  dem  marsch  Theo- 
deriks  nach  Italien  im  winter  488 — 489  nordwestlich  von  Sir- 
mium  statt,  wo  die  Gepiden  in  einer  gedeckten  Stellung  standen, 
um  den  durchzug  der  Goten  zu  verhindern. 

Die  Goten  marschierten  mit  weibern  und  kindern  in  der 
strengsten  zeit  des  winters.  An  lebensmitteln  trat  mangel  ein; 
'die  jagd  gewährte  für  die  masse  der  nach  speise  verlangenden 
nur  einen  geringen  ertrag.'  Dunkle  erinnerungen  hiervon  sind 
in  dem  gedichte  erhalten,  wo  Drasian  die  Sigminne  raubt, 
während  Wolfdietrich  im  walde  jagt.  Er  ernährt  sich,  als  er 
seine  frau  sucht,  nur  von  kräutern.  Dass  er  im  kalten  winter 
zu  der  bürg  Drasians  kommt,  wird  durch  die  worte  B  450 
angedeutet:  er  saz  zc  einem  fiure  das  vil  schone  bran. 

In  der  bürg  Drasians  bekommt  Wolfdietrich  wein  und  brot, 
wie  die  Ostgoten  im  gepidischen  lager  Vorräte  vorfanden,  so 
dass  übern1  uss  statt  des  mangels  eintrat.  —  Dass  Drasian  'der 
alte',  'ein  alter  ritter'  genannt  wird,  hat  darin  seinen  histori- 
schen grund,  dass  der  söhn  Thrafstilas,  Thrasaric,  später  als 
könig  der  Gepiden  dem  Theoderik  gegenüber  auftritt. 

Die  hohe  steinwand  im  walde,  bei  welcher  Wolfdietrich 
mit  Drasian  kämpft,  vergleiche  ich  mit  der  Stellung  der  Ge- 
piden, welche  von  Ennodius  (Paneg.  c,  VII,  1)  so  geschildert 
wird:  Ulca  fluvius  est  tutela  Gepidarum,  quae  vice  aggerum 
munit  audaces,  et  in  jugorum  morem  latus  provinciae  quibusdam 
muris  amplectitur,  nullo  ariete  frustrandis. 

Auch  im  Drasolf  der  Thidriks  saga  erkenne  ich  den  Thraf- 
stila wider,  wie  ich  dies  bei  der  Sigmund- sage  begründet 
habe.  Dort  habe  ich  zugleich  die  frage  besprochen,  ob  der 
raub  der  Sigminne  historische  Voraussetzungen  hat. 


])  Paul.  hist.  Rom.  15, 15 :  Tkeodericus  . . .  prius  quam  Italiam  adven- 
taret,  Trapstilam  Gepidarum  regem  insidias  sibi  molientem  bello  superaus 
extinsit. 


Hi.iMAT   i>ki:   ai:i\.   WSLSUNQEN-   r.   KIB.-LIEDER.         26S 

Nach  Wolfd.  A3  ist  die  gemahlin  Buge  Dietrichs  Bote- 
hunges  swesU  len  Hiuneit]  vgl  A  193,230.     Vom  reiche 

Hugo  Dietrichs  heissl  es  A  2: 

Im  dienten  durch  Kriechen  der  Bulgarle  walt: 
vnii  hinnuchem  gemerkt  es  Bin  gewalt. 

Dass  die  Verbindung  zwischen  Wolfdietrich  und  Botelung 
der  altfränkischen  sage  angehörte,  habe  ich  (Helge-Digtene 
8.81)   daraus   gefolgert,   dass    Belgi    Eundingsbani,   auf   den 

ozüge  von  Wolfdietrich  übertragen  wurden,  als  1 
bezeichnet  wird. 

Die  genannten  angaben  vom  reiche  Enge  Dietrichs  und 
vniii  geschlecht  seiner  frau  beweisen,  dass  Enge  Dietrich  und 
Wolfdietrich  ihrem  Ursprung  nach  nichl  merowingische  könige 
Bind,  und  sprechen  vielmehr  dafür,  dass  Wolfdietrich  der  ost- 
gotische Theoderik  ist 

Der  vater  dieses  Theoderiks  und  die  oheime  desselben 
wann  mit  den  Bunnen  verbunden  und  von  Attila  abhäu 
Na. -h  dem  tode  desselben  reissen  sie  sich  los.  Walamer  schlägt 
die  söhne  Attilas  zurück  und  an  dem  tage,  da  die  botschaft 
dieses  sieges  zu  Therdemer  kommt,  wird  diesem  der  Bohn 
Theoderic  geboren.  Auch  Bpäter  bekriegten  die  Ostgoten 
reich  die  hunnischen  nachbarstämme.1)  Der  junge  Theoderic 
kämpfte  Biegreich  gegen  die  Bulgaren;  Biene  hierüber  Eeinzel, 
Ueber  die  ostgotische  heldensage  b. 37  f.  Im  späteren  mittel- 
alter  findet  Bich  Theoderic  als  hunnischer  könig  bezeichnet; 
siehe  Eeinzel  s.  35. 

In  den  mhd.  Wolfdietrich-gedichten  wird  bowo!  Buge  Diet- 
rich als  Bein  sonn  Wolfdietrich  als  Ks  cJte,  von  (den)  wilden 
bezeichnet  Und  in  der  isländischen  inschrift  wird 
der  dem  Wolfdietrich  entsprechende  Bchlangentöter  'könig  der 
Griechen1  genannt  Nach  Wolfd.  ist  Konstantinopel  die 
Btadt  Buge  Dietrichs;  dorthin  kommt  Wolfdietrich  mit  einem 

zurück. 

-  die  beimat    Buge   Dietrichs   und   Wolfdietrichs   im 
byzantinischen  reich«  Wolfdiet 

.  nicht  als  der  fränkische  Theoderik  aufzufassen  ist. 

Unter  Walamer  und  Beinen  brüdera   bekamen   die  Ost- 


270  BUGGE 

goten  in  Pannonien  land.  Sie  überschwemmten  bald  die  west- 
lichen provinzen  des  byzantinischen  reichs.  Dabei  haben  sich, 
wie  es  scheint,  Hunnenscharen  den  Ostgoten  angeschlossen. 
Kaiser  Leo  bequemte  sich  zum  frieden.  Als  geisel  kam  der 
achtjährige  Theoderik  nach  Konstantin opel,  wo  er  zehn 
jähre  blieb. 

Nach  Wolfd.  B  ist  die  mutter  Wolfdietrichs  aus  der  Stadt 
Bainecke.  Auch  nach  A  532,  DVIII  119  ist  Wolfdietrich  in 
Salnecke  geboren. 

Thessalonika  wird  in  der  nächsten  zeit  vor  Theoderik 
öfter  in  Verbindung  mit  den  Goten  genannt,  und  479  setzt 
der  söhn  Theodemers  Thessalonika  durch  das  gerücht  seines 
anzuges  in  schrecken. 

5.   Hjordis  und  Älfr. 

Die  Volsunga  saga  erzählt:  vor  derjenigen  Schlacht,  in 
welcher  Sigmund  und  sein  Schwiegervater  könig  Eylimi  fiel, 
wurde  die  frau  Sigmunds,  Hiordis,  mit  einer  dienstmagd  in 
den  wald  gefahren  und  grosses  gut  mit  ihnen;  dort  war  sie 
während  des  kämpf  es.  Hiordis  sah  nach  der  schlacht,  dass 
viele  schiffe  ans  land  gekommen  waren,  und  sprach  zu  der 
dienstmagd:  'wir  wollen  unsere  kleider  tauschen,  und  du  sollst 
dich  mit  meinem  namen  nennen  und  dich  für  eine  königstochter 
ausgeben.'    Und  so  taten  sie. 

Ich  kann  in  dieser  erzählung  nichts  mythologisches  finden. 
Der  name  Alfr  kann  nicht  beweisen,  dass  der  Stiefvater  Sigurds 
ursprünglich  als  ein  elbe  gedacht  wäre1),  denn  Alfr  ist  im 
norden  ein  ganz  gewöhnlicher  menschlicher  name. 

In  dem  namen  Alfr,  der  in  alten  handschriften  auch  olfr 
geschrieben  wird,  sind,  wie  es  scheint,  mehrere  verschiedene 
namen  zusammengeflossen. 

Nach  Noreen,  Altisl.  gramm.2  §  179  ist  \Ölfr,  Alfr  (ags. 
JEöwulf)  Adolf.  Wenn  dies  richtig  ist,  muss  ein  urgerm. 
*Apawulfaz  zu  Alfr  geworden  sein. 

Die  erzählung  von  Älfr  in  der  Volsunga  saga  hat  mit 
der  geschiente  Athaulfs  Übereinstimmungen,  die  ich  für  nicht 
zufällig  halte. 


J)  Rieger  (Germania  III 184  f.)  und  Steiger  (Die  verschiedenen  gestal- 
tungen  der  Siegfriedsage  s.  71)  sprechen  diese  meinung  aus. 


Seihat  des  ai,t\.  Welsunoe#-  ü.  btib.-liedeb.       271 

Im  jähre  409  kam  Athaulf  in  [talien  an,  am  sich  mit 
Alarik  zu  vereinigen.  Der  römische  senal  bestellte  ihn  in 
demselben  jähre,  als  Bonorius  auf  Alariks  geheiss  abgesetzi 
und  Attalus  znm  kaiser  erwählt  war,  zum  befehlshaber  der 
leibwache  zu  pferde. 

Die  Schwester  des  Honorius,  Placidia,  befand  sich  bei 
Roms  erster  belagerung  durch  Alarik  im  jährt-  408  in  dieser 
stadt  und  ist  gewiss  schon  bei  deren  einnähme  durch  capitula- 
tion  in  die  hände  der  Goten  gefallen.  Alarik  hatte  sie  bei 
sich  als  gefangene,  gewissermassen  als  geisel,  jedoch  in  Eurst- 
Lichen  ehren.  Nach  dem  tode  Alariks  410  wurde  Athaulf, 
welcher  der  bruder  seiner  Erau  war,  von  den  Westgoten  zum 
könig  erwählt.  412  führte  er  sein  beer  aus  Italien  nach 
Gallien.  Er  wollte  Placidia  nicht  von  sich  lassen,  und  HO 
wurde  die  Vermählung  Athaulfs  mit  Placidia  zu  Narbonne 
gefeiert. 

Auch  ein  anderes  geschichtliches  ereignis  hat  wahrschein* 
lieh  die  Bagenform  beeinflusst. 

Valentinian  III.  wurde  märz  155  getötet  Rfaximus,  der 
den  mord  angestiftet  hatte,  wurde  auf  den  thron  erhoben  und 
zwang  Valentinian^  witwe,  Eudoxia,  sich  ihm  zu  vermählen. 
Im  anfang  juni  landete  der  vandalische  könig  Gaiserich,  viel- 
leichl  von  Eudoxia  aufgefordert,  an  der  römischen  küste  und 
zog  gegen  Koni.  .Maximus.  der  entfliehen  wollte,  wurde  vnin 
pöbel  getötet  Die  Vandalen  rückten  in  die  stadt  ein  und 
plünderten  dieselbe,  ünermessliche  schätze  wurden  nach 
Afrika  geschleppt  Die  kaiserin  Eudoxia  mit  ihren  töchtern 
Eudokia  und  Placidia  und  viele  andere  gefangene  wurden 
auf  den  schiffen  weggeführt  Gaiserich  vermählte  Eudokia 
später  Beinern  sühne  Bunerich,  während  er  Eudoxia  und  Pla- 
cidia ureuvn  ,in  hohes  lösegeld  entliesa 

her  zug  Belisars  aaefa  Afrika  wurde  vorgenommen,  weil 
Hildeiich.  der  sonn  Elunerichs  und  der  Eudokia,  abgesetzi  and 

tötel    WUI'de. 

»PH1  -  Bl  GGE  l  i  -.juli  L907). 


272 


AS.  GENESIS  22. 

Seltsamerweise  hat  meine  Übersetzung  von  scatt  mit  'geld' 
viel  Widerspruch  gefunden.  Kugel  will  es  als  'vieh'  fassen,  Siebs 
(Zs.  fdph.  28,139)  allgemeiner  als  'besitz,  Vorrat'  und  Behaghel 
(Hei.  u.  as.  Gen.  s.  16)  sagt:  'wie  man  auch  scat  au  dieser  stelle 
deuten  mag,  jedenfalls  bedeutet  es  etwas,  was  gegessen  werden 
kann'.  Trautmanns  unmögliche  umdeutung  zu  sceates  (Bonner 
beitr.  17, 139)  und  Holthausens  ebenso  unmögliche  conjectur  scaf- 
tas  (Anglia,  Beibl.  13, 266)  seien  wenigstens  erwähnt.  All  dem 
ist  erstens  entgegenzuhalten,  dass  im  got.  wie  in  allen  alten 
germ.  dialekten  das  wort  nur  'geldstück,  geld'  bedeutet  (für 
das  ags.  vgl.  Rieger,  Zs.  fdph.  3, 415):  jedenfalls  ist  die  vereinzelt 
anzunehmende  allgemeine  bedeutung  'vermögen'  überall  noch 
klar  aus  'geld'  abzuleiten,  nirgends  ist  der  schritt  getan,  das 
geldvermögen  in  'viehbesitz'  oder  gar  'einzelnes  stück  vieh' 
umzudeuten;  ebensowenig  aber  darf  man  mit  Siebs  für 'besitz' 
den  begriff  'besitz  an  essvorräten'  unterschieben.  Nur  in  dem 
jungen  afries.  hat  sket  neben  der  germ.  bedeutung  'geld'  auch 
die  daraus  abgeleitete  'vieh',  ebenso  wie  das  entlehnte  slawische 
wort  in  den  neuslaw.  sprachen  'vieh'  bedeutet,  während  alt- 
slaw.  die  Stammbedeutung  'geld'  noch  daneben  steht  (vgl.  Feist, 
Got.  etym.  wb.  s.  235).  Das  etymologisch  dunkle  wort  muss  doch 
altgerm.  ursprünglich  so  etwas  wie  'metallstück'  bedeutet  haben. 
Jedenfalls  kommen  wir  für  das  as.  vollständig  mit  der  allgemein- 
germ.  bedeutung  'geldstück'  und  der  daraus  abgeleiteten  Jüngern 
'geld'  aus.  Zweitens  aber  ist  der  anstoss,  welchen  die  erklärer 
an  unserer  stelle  genommen  haben,  hinfällig.  Der  naive  ana- 
chronismus,  mit  dem  Adam  sagt,  dass  sie  kein  geld  haben,  um 
sich  speise  gegen  den  hunger  zu  kaufen,  ist  doch  ebenso  vor- 
handen, wenn  er  vorher  gegen  unwetter  und  hitze  den  mangel 
von  giwädi  beklagt.  Das  alles  ist  über  die  quelle  hinaus  vom 
dichter  im  sinne  seiner  zeit  erfunden.  Und  dass  dieser  das 
kaufen  von  speise  für  geld  nicht  fremd  war,  geht  aus  der  Heliand- 
stelle  2831  ff.  hervor,  wo  bei  der  Speisung  der  fünftausend  Phi- 
lippus  bereit  ist,  te  meti  für  das  volk  sihiderscatto  tue  hund 
samacl  auszugeben.  Anders  ist  natürlich  unser  unk  nis  hier 
scattas  uuiht  te  meti  yimarcot  auch  nicht  zu  verstehen.  Und 
wenn  der  dichter  Ags.  Gen.  B  503  den  teufel  dem  Adam  ver- 
sprechen lässt,  es  würde  ihm  niemals  an  geld  mangeln  (]:>cet 
pe  ceniges  sceattcs  fiearf  ne  wurde),  so  haben  wir  die  gleiche 
anachronistische  darstellung,  die  selbst  nicht  gemindert  würde, 
wenn  sccatt  hier  'viehbesitz'  sein  könnte. 

W.  BRAUNE. 


GRAMMATISCHES. 

L.WII. 
Zu  got.  -e  des  xeu.  pl. 

Der  Beitr.  17,570  IT.  gemachte  versuch,  der  got  oeubildung 
--  (oder-e"?)  des  gen.pL  beizukommen,  bedarf  in  einigen  punkten 
einer  revision. 

Die  a.a.O.  für  die  endnng  des  gen  pl.  masc.  utr.  der 
-o-stämme  vorgelscftfagene  dentnng  möchte  ich  auch  jetzt  noch 
vertreten:  qualitative  Umbildung  von  -ö  oder  -ö  des  gen.  pl. 
durch  anlas!  von  vorgot.  -<■:  oder  dafür  eingetretenem  es  des 
gen.  sg.  masc.  ntr.  (aus  -aw;  wegen  des  :  vgl.  die  pronominal- 
formen pUfüh,  !'>:,,,  hrieüh  etc.),  dessen  -c-  als  charakteristikon 
dieser  singularcasus  empfunden  wind.':  dagegen  erhaltung  von 
-<•  oder  -<<  in  der  -ff^eclination,  worin  dem  gen.  pL  kein  gen. 
mit  -e-  gegenüberstand. 

Für  die  -<  (oder  -6?)  der  andern  declinationsclassen  wurde 
Beitr.  a.a.O.  folgender  entwicklungsgang  möglieb  erachtet: 
->  (-'"»  der  masc  fem  consonantstamme  durch  anlass  von  altem 

oder -es)  des  gen.  sing,  dieser  oomina;  bildung  von  -• 
im   gen.  pl.  der  masc  fem.  -i-  und  -ti- stamme  neben  uom  pL 
auf  oach  dem  mustervon-i  (-£)  der  consonantst&mme; 

entsienüng  von    -  (-£)  im  gen.  pl.  der  masc  fem.  -n-stamme 
auf  gleichem  «rege  oder  Bchon  (auch  bei  den  ntr.)  durch  anlass 

herstellung  von  -o  i  - 1  im  gen.  des 
schwachen  femininums  durch  anscnluss  an  das  starke  femini- 
num:  entwicklung  von  ansh  (-0)  etc.  für  a\  •  etc. 

durch  antelinung  an  nahu  {-€)  etc  der  fem.  consonantst&mme, 
deren  durch  •%»  oder  -ü  (ftti  |  des  uom.  (acc)  pL 

entstandener  dat.  pl.  auf  -im  bereits   mit   -  m  di  tnme 

Busammengefallen  war:  zuletzt   gasU  (-£)  etc  für  ga 
etc.  nach  dem  muster  der  fem.  an  etc 

EMtrig«    tUI    |M  I«  IM   i(>ra<:hf 


274  VAN   HELTEN 

Dieser  schon  durch  seine  verwickeltheit  sich  eben  nicht 
empfehlende  deutungsversuch  scheitert,  noch  andere  bedenken 
ungerechnet,  an  dem  umstand,  dass  beeinflussung  der  endung 
des  gen.  pl.  der  masc.  ntr.  -o-stämme  durch  das  suffix  des  gen. 
sg.  nur  für  die  periode  denkbar  ist,  in  der  dieser  singular- 
casus  sich  durch  sein  endungs-e  von  den  andern  casus  des  sg. 
abhob.  Solches  aber  war  nicht  der  fall  zur  zeit,  wo  vorgot.  -c 
(d.  h.  -ea)  des  dat.  (urspr.  instrum.)  in  schwang  war.  Charak- 
teristisch konnte  -e-  ,des  gen.  sg.  erst  dann  werden,  als  -e  des 
dat.  sich  zu  -a  entwickelt  hatte,  d.  h.  nachdem  nicht  nur  kür- 
zung  von  absolut  auslautender  länge,  sondern  auch  der  kürzung 
(s.  IF.  14,68)  vorangegangene  vocalapokope  stattgefunden  hatte: 
alte  stainez,  lileez  (oder  -es)  neben  stainz  (oder  stains),  staina, 
stain,  lik,  likaA)  Demnach  wird  die  annähme  hinfällig  von  in 
der  consonantischen  und  der  -w-declination  durch  -ez  (oder  -es) 
des  gen.  sg.,  von  in  der  -i-,  -u-  und  -n-flexion  durch  -ez  (-es) 
des  nom.  pl.  hervorgerufenem  -e  (oder  -£),  sowie  folglich  von 
aus  solcher  entwicklung  gezogenen  consequenzen. 

Zum  glück  bietet  sich  hier  indessen  eine  einfache  lösung 
der  frage.  Durch  das  -e  (oder  -e)  des  gen.  pl.  der  -o-substan- 
tiva  wurde  -e  (-6)  charakteristisch  für  das  masc.  und  ntr.;  es 
fand  als  endung  aufnähme  in  den  gen.  pl.  masc.  ntr.  der  pro- 
nominalen declination  (got.  pize,  blinäaize  oder  -£  gegenüber 
Jrizö,  blindaizü  oder  -o),  in  den  gen.  pl.  der  schwachen  substan- 
tiva  und  adjectiva  (got.  -am  oder  -ane'  gegenüber  -önö  oder 
-Uno)  und,  wie  folglich  zu  vermuten,  in  den  gen.  pl.  m.  der 
-%-,  -u-  und  consonantischen  stamme.  In  den  drei  letztgenannten 
flexionen  aber  standen  sich  von  nun  an  zwei  gründlich  ver- 
schiedene principien  gegenüber:  die  auf  oben  beschriebenem 
wege  entstandene  Scheidung  zwischen  -e  (-8)  als  masc.  und  ntr. 
und  -ö  (-ö)  als  fem.  suffix  und  die  im  got.  bekanntlich  sehr 
ausgeprägte  ausgleichungstendenz ,  die  in  den  nur  im  gen. 
auseinandergehenden  pluralia  besagter  masc.  und  fem.  nomina 
(frijünäam  und  baurgim  stehen  ja  für  alte  formen  mit  -um) 
ein  geeignetes  feld  für  die  entfaltung  ihrer  tätigkeit  fand;  es 
siegte  in  dem  so  entbrannten  kämpf  letzteres  princip,  so  dass 


J)  Angesichts  der  hier  hervorgehobenen  Vorgänge  ist  erhaltung  von 
altem  e  (nichterhöhung  desselben  zu  i)  für  die  periode  der  vorgot.  vocal- 
apokope (und  vocalkürzung)  anzusetzen. 


ED  GOT.  E  DKs  GEN.  PL.  ZUM  GERM.  STABKEH  PBABT.        275 

tili-  alte  mis/in  (oder -ff),  handqtö  (-ff)  bez.  -tgff  (-ff),  &attr^ff(-ff) 
als  neubildungen  otwta  (-£)  (woraus  ansti  bez.  -  |  etc.  eintraten. 

Specielle  beachtnng  erfordern  sodann  -  (-£)  der  --  and  -'"'<■ 
(-tu??)  der  -u-flexion.  In  Letzterer  endnng  ist  natürlich  die  folge 
zu  erblicken  von  anlehnnng  an  das  Buffiz  des  nom.  pl.:  altes 
-t  itr  Dach  altem  -<■"»■:.  Dass  dagegen  bei  den  /-stammen  ein 
gleichartiger  anschlnss  nich.1  stattgefunden,  rührt  offenbar  daher, 
dass  xiii-  zeil   der  nenbildung  von  -e|M-  des  gen  der  nom.  pl. 

rter  nomina  kein  zweisilbiges  suffiz  mehr  hatte,  sondern 
aus  -i>!:-  (für  -^(fter)  contrahiertes  -10  (*  für  e  durch  frühzeitige, 
gemeingermanische  einwirknng  von  anmittelbar  folgendem  bez. 
vorangehendem  /').  d.h.  infolge  einer  der  speciell  vorgotischen 
erhöhnng  von  e  zu  1  vorangegangenen  afficierung).  Zn  -"  (-«£) 
als  vorstnfe  von  -£(-£)  isl  als  parallele  zn  stellen  vorgot  -0|t** 
(aus-fftte*),  vorstnfe  von  überliefertem  -ff» (oder -ff»)  der  Ldnalis 
praes.  ind.:  wie  in  -ffju-  minderschwachtoi  schlössen« 

das  folgende  schwachtonige,  qualitativ  nahestehende  u  absor- 
bierte, konnte  vorangehendes,  schwachtoniges  i  in  minder- 
schwachtoniges,  geschlossenes  <  (oder  8)  aufgehen. 

Zusammenfall  von  •<  (-£)  des  gen.  femininer  consonant- 
stämme  mit  -<■  (-£)  der  fem.  -i-stämme  führte  zu  Übersiedlung 
von  -mm  des  dat  pL  dieser  classe  in  die  consonantische  declina- 
tinn.  Nach  <■€ (-6),  -am der  masc  -o-stämme  richteten  Bich  (mi1 
ausnähme  von  menu]nm)  die  masc.  consonantstamme,  indem  sie 
für  ihr  regelrechtes  -um  die  aberlieferte  endung  einsetzten  . 

I..WIII. 

/um  germ.  starken  praeteritum  Ind.  plur.  (dual.) 

und  <»pt.  nach  i.  .").  n  11  ii  (;.  classe. 

Dem  versuch,  unter  berufung  auf  aid.  (meist  ?ed.)  jägära, 
dädhära,  väväna  etc.,  das  <  bez.  </  des  plur.  (dual)  ind.  und 
des  opt  praet  nach  1.  und  5.  Btarker  classe  auf  alte  <  '  der 
reduplicationssilbe  zurückzuführen  ist,  andere  bedenken  noch 
ungerechm  t,  zw»  iei  lei  1  atg<  genzuhalten. 

ESrstens  weisen,  wie  schon  Beitr.  34, 184,  anm.  im  vorbei- 
gehen bemerkl  wurde,  zu  goi  ai 


'1   Vgl   dl«  i" 
tarn  Branei  (inZi  Ua  :;7.rji  .int  _• 


276  VAN  HELTEN 

und  got.  as.  ahd.  shal  (Gen.  auch  sali  2.  sg.  ind.,  alid.  säl  Tat. 
etc.),  ags.  sceal  stehende  got.  gamunup,  -muneis,  skidum,  as. 
muni,  skulun,  -i,  ahd.  scidun,  -i  (sulut  Tat.  etc.),  ags.  munon, 
myne,  mune,  sculon,  segle,  scule  auf  ursprünglich  der  4.  classe 
zukommendes  u  der  Wurzelsilbe  hin  [zunächst  aus  fiefiafisv,  -ts 
zu  erschliessende  memnm-,  memnte,  memunm-,  memunte  bez.  -])e, 
dann,  durch  einführung  von  -u-  der  endung  für  die  3.  pl.  me- 
munum-,  memunute  bez.  -])e  (bei  der  annähme  von  alten  suffixen 
-dm-,  -die,  woraus  -um-,  -ute,  wären  memnum-,  memnute  anzu- 
setzen, womit  die  überlieferten  formen  sich  nicht  vereinbaren 
Hessen);  in  der  3.  pl.  ind.  memnnt,  memnunt  bez.  -un]),  woraus 
durch  substituierung  von  -un-  der  1.  2.  pl.  für  -n-  mcmununt 
bez.  -un])',  im  opt.  memniem  etc.,  memuniem  etc.  und  memmm- 
etc,  woraus  durch  einwirkung  der  singularformen  memunlm- 
etc;  ebenso  shestym-,  -te,  slcesJculm-,  -te  bez.  -pe,  dann  skeskulum-, 
-te  bez.  -]>e\  sJees(k)lnt,  -unt  bez.  -un]),  woraus,  über  sheslunt  bez. 
-un]),  skesulunt  bez.  -un])\  im  opt.  shesMiem  etc.,  skeskulißm  etc. 
und  skes(k)Um-  etc.,  woraus  skesullm-  etc.1)]. 

Zweitens  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  nach  in  der  1.  2. 
3.  classe  und,  wie  zuvor  betont  wurde,  auch  in  der  4.  zu  beob- 
achtender völlig  gleicher  entwicklung  des  urspr.  schwach  be- 
tonten wurzelsilbenlauts  im  praet.  und  im  part.  perf.  auch 
für  die  flexion  der  5.  classe  die  nämliche  behandluug  zu  er- 
warten, m.  a.  w.  dass  nach  e  des  part.  perf.  als  repräsentanten 
der  schwachtonigen  stufe  des  vor  muta  stehendem  alten  e 
auch  ein  praet.  ind.  pl.  (dual.)  und  opt.  mit  e  in  der  Wurzel- 
silbe zu  gewärtigen;  also  leles{u)m-,  memed(u)m-  etc. 

Solche  praeterita  aber  ermöglichen  es,  den  überlieferten 
(7-bildungen  beizukommen:  neben  zu  eäö  'ich  esse',  edomes  (-ez) 
'wir  essen'  etc.  stehenden  e\ed(u)m-  etc.  konnten  durch  con- 
traction  ed(u)m-  etc.  aufkommen,  die  zunächst  entwicklung 
veranlassten  von  neben  sesed(u)m-  etc.,  memed(u)m-  etc.,  ghe- 
ghed(ti)m-  etc.  (vgl.  got.  bigitan,  an.  geta,  ahd.  firgeszan  etc.), 
2)eped{u)m-  etc.  (vgl.  got.  fitan  'gebären')  verwanten  sed(u)m- 
etc,  med(u)m-  etc.;  nach  diesen  neubildungen  kamen  darauf 
legh(u)m-  etc.,  gnedh(u)m-  etc.  oder  ley(u)m-,  gnecl{u)m-  etc.  in 


x)  Wegen  des  überlieferte  wgerin.  sal,  sulun  etc.  vorbereitenden  aus- 
falls  von  1e  in  sld  vgl.  von  Fierlinger  in  Kuhns  Zs.  27, 190  ff. ;  in  der  recon- 
struction  der  vorgerm.  formen  weiche  ich  aber  von  der  Fierliugerschen  ab. 


ZUM    GERM.   STABKEN    PRAETEBITUM.  27*3 

schwang  neben  lelegh(u)m-  etc.,  gegnedh(u)m-  etc.  oder  leleyiytyn-, 
gegneä(u)m-  etc. ') -) 

Auf  dem  wege  entstandene  (e)oda  etc.,  (le)loya  etc.  mit 
gtf(w)m-  etc.,  ?öy(tt)m-  etc.  gaben  das  mnster  ab  für  die  Ver- 
wendung von  zu  singularia  ind.  (ste)stoU,  (de)dora  consnmpsi, 
\<i  )doma  (vgl.  ahd.  seman,  mm  etc.)  et<\  neugebildeten  steZ(n)m-, 
ii<,(n)tn-,  (lcm(n))n-  etc.,  die  zuersl  als  doppelformen  zu  alten 
isf,)stu!(u)m-  etc.  gangbar  wurden,  zuletzt  (mit  ausnähme  der 
praeterito-praesentia)  zur  alleinherschafl  gelangten,  i 

Die  vorgeschlagene  fassung  ebnet  auch  den  wen-  zur  er- 
hellung  von  grödun,  h&bun,  förun,  drögun,  fuorun,  skuofun  etc., 
in  deren  3  schwerlich  der  mitunter  vertretenen  ansieht  gemäss 
entlehnung  aus  dem  sing-,  ind.  zu  erblicken  (solche  ausgleichung 
stände  in  der  yorgerm.  periode  ohne  parallele  da,  80  dass  ihre 
annähme  für  reine  Willkür  zu  gelten  hätte).  Nach  wurzel- 
silbigem a  im  pari  perf.  der  tj.  classe  ist  für  das  praet.  ind.  pl. 
(dual.)  und  opt.  der  nämliche  yocal  als  repräsentant  schwacher 
stufe  anzusetzen.  .Mit  rücksichl  hierauf  lässt  sich  die  Propor- 
tion aufstellen,  h  yomes  (oder  -ee)  etc.,  stelomt  s  <  -<  n  etc.:  V  y\ 

stel(u)m-  etc.  =  malomes  (oder  -ei)  etc.:  mäl(u)m-  etc.  (für 
\mal(u)m-  etc.).  Dass  die  genesis  dieser  mäl(u)m-  etc.  älteren 
datums  als  die  entstehung  von  stei(u)m-  etc..  ist  aus  dem  Beitr. 
34, 134,  anm.  zu  »mos«,  gamösta  bemerkten  zu  ersehen. 

')  Diese  annähme  ermöglicht   auch  eine  einfache  erklärnng  der  viel 
nmstrittenen  i  bez.  ä  and  y  von  -dedum  etc.,  tötotn  etc.,  ags.  dyde,  -ow,  -»■ 
etc.    infolge  von  durch  ausgleichungstrieb  veranlasstem  Schwund  der  redu- 
plication  Btanden  vor  dem  endgültigen  sieg  der  i  »-  (a*-)  bildnngen  i< , 
etc.  and  /',(")/<'-  etc.  als  doppelformen  uebeneinander,  was  analogische  ent- 
stehung von  ded(u)m-  etc.  neben  alten   ded(u)tn-  etc.   veranlasste.    Dnrch 
^entliehe  beachtnng  von   neben  >Mi»/iw-  etc.  verwanten  rtn 
iter  anten  im  text)  entstanden  später  in  gleicherweise  neber 
I  ntt  ii)i>i-  etc.,  deren  m  im  opt    in  der  t'"Lr''  zu  y  wurde,  das  von  hier 
tuch  in  den  ind.  eingeführt  werden  konnte. 
I   Das   vereinzelt«  tliche,  os 

entstandene  neubildung    tu  fassen;   man  beachte  «li>-  ; 
■  i  ■ 
jhts  des  oben   betonten   dürfte  den  gleichungen   sttum 
/-•,  lih  finn       ■ .  n  icht  beiznl 

Ausserdem  Lsl  ra  beachten,  <l.i>s  die  lat  rallelen  zu 

<li  n  germ.  bildnn  h  zu  pra<  • 

mit   <<:    frlgimut 


278  VAN   IIELTEN 

LXXIV. 
Zu  den  sogen,  verba  pura. 

1.  Die  bald  ausnalimslos  schwache  praeteritalbildung  der 
sogen,  verba  pura  im  alid.  (ausnähme  bekanntlich  nur  ziplahan, 
ziplän)  nötigt  zur  annähme  von  im  praes.  mehrerer  dieser  Zeit- 
wörter gangbaren  vorhd.  -i-  oder  -j-suf  fixen,  die  Verdrängung 
der  alten  starken  praeterita  und  participia  veranlassten.  [Die 
Vermutung,  dass  altes  -«-loses  -fo-partic.  eintritt  von  -fo-praeter. 
für  die  starke  verbalform  hervorgerufen  hätte,  dürfte  sich  nicht 
empfehlen:  erstens  wäre  es  mit  rücksicht  auf  die  äusserst  ge- 
ringe zahl  solcher  urspr.  hybridisch  flectierten  verba  (got. 
brigga,  *brähts,  urgerm.  werMö,  warhtö-,  vgl.  Beitr.  34,  133) 
kaum  denkbar,  dass  gerade  bei  den  verba  pura  urspr.  -to- 
partic.  neben  starkem  praeter,  geherscht  hätte;  sodann  auch 
würde  weder  das  vorwiegen  von  gisäit  etc.  (neben  seltenen 
gisat  etc.),  noch  das  gänzliche  fehlen  von  schwachem  part.  im 
ags.  zu  gunsten  besagter  hypothese  sprechen].  Für  die  ent- 
stehung  aber  gedachter  -/-suffixe  ist  schwerlich  ein  zwischen 
ä  oder  äe  bez.  ü  und  -is,  -ut  (-id)  der  2.  3.  sg.  praes.  ind.  ent- 
wickelter gleitlaut  j1)  verantwortlich  zu  machen,  der  von  hier 
aus  in  andere  flexionsbildungen  des  praesens  eingedrungen 
wäre:  sükis,  -id  (-id),  dailis,  -iä  (-id)  etc.  neben  sokju,  dailju 
etc.  hätten  nicht  die  muster  abgeben  können,  wonach  neben 
näjis  (näejis),  -ict  (-id)  als  neubildungen  näju  (näeju)  etc.  ent- 
standen wären.  Vielmehr  haben  wir  hier  den  umstand  ins 
äuge  zu  fassen,  dass  nach  aksl.  vejeti  'weht',  sejeti  'sät',  lett. 
deju  'sauge',  aksl.  majeti  'erkennt',  aid.  jnäyate  noscitur,  aksl. 
grajeti  'krächzt',  aksl.  spejeü  'hat  erfolg'  die  möglichkeit  an- 
zunehmen von  agerm.  -io-stämmen  (-io-  nach  vocal,  nicht  -io-) 
iväeio-,  säeio-,  däHo-,  hnäHo-,  kräHo-  (die  germ.  formen  beider 
verba  mit  äe  aus  alten  ea  gegenüber  aksl.  auf  üa  hinweisen- 
dem a),  spöio-  (mit  öa  gegenüber  aksl.  e  =  idg.  ea):  zu  solchen 
stammen  stehende  verbalformen  konnten  zu  reinem  stamm 
stehende    (vgl.   zu   ahd.  bad,   lat.  fläre,   ahd.  drät,   got.  nepla, 


J)  D.  h.  der  spirantische  laut,  der  entsteht,  indem  beim  einsetzen  des 
für  i  erforderlichen  exspirationsdrucks  die  Stimmbänder  sich  einander  nähern, 
aber  noch  nicht  gespannt  sind. 


ZU  DEN  BOGEN,  VBBBA  PUBA.  279 

gr,  äfitfroq  'ernte',  ahd.  bUtt,  as.  gräni,  lat  mi&  •.  gr.  (ic5Xoq 
'arbeit1  zu  stellende  ahd,  toon,  &taa«  mit  alten  i  '  im  ablaul 
zu  lat.  <i,  dräan,  näan,  mäan,  bluoan,  gruoan,  muoan)  gelegent- 
lich in  ihre  Kategorie  hinüberziehen,  während  umgekehrt  anch 
zur  3'0-kategorie  gehörende  verba  ohne  -'-  oder  daraus  bervor- 

Qgenes  (spirantisches)  ■/■  gesprochen  wurden:  es  berührten 
sich  ja  beide  Kategorien  in  der  _'.  and  ">.  sg.  praes.  ind.,  deren 
snffize  als  schwachstnfige  endungen  bez.  als  ans  esi,-edi  ent- 
standene -is,  -tö (-id)  lauteten.  Solche  Beimischung,  und  zwar 
eine  zu  gunsten  der  formen  mit  ■$-  bez. -j-losem  Btamm 
erfolgte,  tritt  uns  in  der  tat  vor  äugen  bei  einer musterung 
der  in  dankenkenswerter  weise  von  Bremer  (Beitr.  LI,  61  tu 
Busammengestellten,  einschlägigen  belege:  aeben  regelrechl 
entwickelten  bildungen,  wie  arplähant,  arplähandi,  plü 
dräenti,  -ir,  näant,  pluoentiu,  gruanti,  gröentem,  uixo/,,- 
hendo  etc..  finden  sich  als  norm  durch  analogie  ihres  -'-  oder 
-')-  verlustig  gewordene,  wir  wä(h)ente,  firwü(h)e,  -<i</,  saun, 
säentin,  täant,  irknähet,  -ruf,  pichnänt,  erde,  krähe,  *)>ti<>i>  etc.; 
ausnahmsweise  im  alteren  ahd.  a>-,  irpläen,  cröent,  /■' 
(Beitr.  11,61)  mit  alten,  auf  -jan,  -jnnt  hinweisenden  endungen, 
8äiin  int',  (der  beleg  könnte  aber  auch  aus  einer  jüngeren  hs. 
Btammen,  vgl.  Beitr.  11,66),  plügentiu,  pluogentiu  (Beitr.  11, 
64.66;  man  beachte  indessen  noch  unten  über  diese  belege  zu 
bemerkendes). 

In  den  alten,  noch  nicht  in  den  uintergrund  ge- 
drängten praesentia  mit  orspr.  -/'-  oder  -/-stamm  sind  natür- 
lich die  factoren  zu  erblicken  der  ueubildung  von  schwachen 
praeteri talformen:    sä*\u   bez.  der  8ä*ju  b<  etc., 

'•-!.    Bieraus  zu- 
nächst  durch   die  Wirkung  von  Sievers'  Bynkopegesetz 
oder  säju  etc.,   säda  etc,  gisäiä,    flect  g  oder 

da  etc.);   dann,   als  die        i  li  r  ?-losen 
praesentia  sich  vordrängten,  säu  (neben  seltenem  säju) 
säda  etc..  gisäid,  gisäd-,  die  in  der  folge  die  Verwendung 
anlassten  von  zu  analogisch  entwickelten  näda  etc., 

.Man  beachte  in  Bren  ichnis:  inehnäta, 

inenähm,  bichnädi,  biknäti,   säta, 

H  etc.   und  dräta,  muoto,  -un  als 
gasäii  mit  giwäUu,   Jcaph 


280  VAN  HELTEN 

anapläit,  cibläit,  kidräit,  gimäit,  ginäit,  gimuoit,  Jcamuait  mit 
ki-,  capäte,  kidräte,  girierten,  -es,  armüte,  armoade  etc.  als  parti- 
cipia,  woneben  durch  -it  des  part.  beeinflusstes  praeteritum 
bicnäitun  und  partieipia  ar-,  irmöite,  zipläitun  sowie  durch  die 
flectierten  formen  des  partieips  beeinflusste,  unflectierte  bil- 
dungen  biknät,  gimät,  kimöt,  gimuot  etc. 

Die  in  den  älteren  ahd.  denkmälern  sehr  seltenen  -j-  (-g-) 
praesentia  erscheinen  in  aus  dem  11.  jahrh.  stammenden  häufiger 
(näio,  neiu,  drcio  1.  sg.,  bluoient  3.  pl.,  wäie,  wäge  opt.  etc.,  s. 
Beitr.  11,68  f.);  im  mhd.  sind  formen  mit  -j-  (-g-)  und  ae  (e), 
üe  gäng  und  gäbe,  allenfalls  mit  noch  daneben  stehenden  bil- 
dungen  ohne  -j-  (ivaejen,  waegen,  weien,  ivegen,  saejen,  saegen, 
segen,  naejen,  naegen,  negen,  müejen,  milegen  etc.  und  wän, 
muon  etc.).  An  ein  vordringen  von  bildungen  mit  auf  altes 
-i-  zurückgehenden  -j-  ist  hier  angesichts  des  ahd.  beleg- 
materials  nicht  zu  denken;  wol  aber  an  einen  durch  die  häufig 
verwanten  formen  für  die  2.  3.  sg.  praes.  ind.  (irknäist,  wäit, 
sähit,  chräit,  pläit,  nähit,  pluQi)it,  gimüist,  gröit,  möid,  muoit, 
müit  etc.)  hervorgerufenen  Vorgang:  in  diesen  verbalformen 
früh  oder  spät  durch  nicht  gleichzeitige  einsetzung  des  ex- 
spirationsdrucks  und  der  stimmbänderspannung  (vgl.  die  anm. 
auf  s.  278)  zwischen  ä  bez.  o  oder  einer  fortsetzung  desselben 
und  i  der  endung  als  gleitlaut  entstandene  Spirans  -j-  wurde 
auch  in  andere  praesensbildungen  eingeführt  (vgl.  auch  Bremer 
in  Beitr.  11,  71);  durch  -j-  entwickelten  sich  dann  zurzeit  der 
umlautung  von  langem  vocal  und  diphthong  ae  (c)  und  üe 
(auch  in  den  oben  citierten  salin,  ,pluo-,pMgentm  könnte  solches 
schon  früh  entstandenes  -j-,  nicht  auf  -i-  zurückgehender  cons. 
vorliegen;  entscheidend  für  bereits  von  Otfrid  mit  -j-  ge- 
sprochenen irknäist,  *irknäit  ist  der  neben  irknähet  2.  pl.,  ir- 
knäent,  firwähent,  firwä(h)e  etc.  bei  ihm  begegnende  imper. 
sg.  irknäi,  dessen  -i  sich  nur  als  Schreibung  für  durch  an- 
lehnung  an  -knäjist,  -jit  entstandenes  -j  begreift).  Aus  den 
-j-formen  entlehnter  umlautsvoc.  begegnet  in  mhd.  waen,  wen, 
naen,  nen  etc.  (wehen,  saehen,  sehen,  seen,  mühen,  müen  etc. 
können  formen  mit  oder  ohne  -j-  repräsentieren),  denen  sich  die 
praeteritalbildungen  waete,  gewaet,  saete,  gesaet,  grüete,  gegrüet, 
müete,  gemüet  etc.  neben  regelrecht  entwickelten  wate,  geivät, 
säte,  gesät,  gruote,  gegnwt  etc.  vergleichen. 


ZU  DEN  OGEN.  VEBB4  PÜBA.  J~  1 

In  mehreren  verben  mit  fl  geht  dieser  laut  zurück  auf 
alten  langdiphthong  0t*;  trotzdem  erscheinen  hier  die  Dämlichen 
flexionsformen,  die  reine  ö-verba  gewähren:  gluontero,  cluontes, 
gluant,  {ar)gluoit,  cluoientes,  luon  mngire,  luonta,  luantemu, 
h/o//,  löhit,  thruoen  pati,  tröen,  trüen,  druoanti,  ihrtte  etc.  (vgL 
Dach    Beitr.  30,245   ahd.  glouwer,    as.  ,'//'""   etc.,    gr.  xj 

vöo/iat,  ags.  Öroman  'dulden'):  die  Lsg.  uml  pl.  praes. 
ind.,  mit  vor  u  der  endung  durch  absorption  von  u  aus  ff|w- 
entstandenem  -"-  vermittelten  den  abertritl  der  Pu-stämme  in 
die  kategorie  der  p-verba.  ßesidua  mit  aus  altem  -"-  ent- 
standenem ■"■-  (/.  b.  gluowant  u.dgl.)  Bowie  hiernach  enstandene 
Deubüdungen  mit  -uow-,  -äw-  für  -uo-,  -<>-  wären  mit  hin  als 
eventuell  in  onserer  dberlieferung  begegnende  belege  für  mög- 
lich zu  halten.  Mit  einer  auch  anders  zu  deutenden  ausnähme, 
löwu  l .  sl:  ..  finden  Bich  indessen  in  den  quellen  keine  gluowant 
o.dgl.;  uml  hierdurch  wird  es  an  wahrscheinlich,  dass  wir  es 
in  ahd.  cräum  l.sg.,  säwiu  Lsg.  (wo!  Bchreibfehler für säwu), 
sniiit,  -toent,  -wenti,  -wenne,  gesätoit,  wewet,  -we,  bluoicent, 
•wen,  -''■'■  uml  demnach  ebenfalls  in  Iswu  (belege  Beitr.  11, 63 ff.), 
mhd.  en,  //'  nai  u  ■ '.  blü\  w<  n.  blüwi  >*. 

müwen,  grüewen  etc.  (die  omlautsvocale  durch  analogie)  mit 
Deubüdungen  zu  tun  haben,  die  midi  alten.  -w-  aus  -u-  ent- 
haltenden Formen  entstanden  wären.  Eher  empfähle  es  Bich 
darum,  für  Mir  aberlieferten  -to-bildungen  die  von  Bremer 
(Beitr.  11,72)  vorgeschlagene  deutung  gelten  zu  lassen,  d.h. 
in  ■/'-  die  parallele  zu  erblicken  von  vor  endungs-t-  entstan- 
denem -./-,  also  einen  gleit  laut,  der  vor  endungs-u(-)  der  i 
1 1.  praes.  ind.  Bich  (als  Bpirans  durch  nicht  gleichzeitige  ein- 
setzung  irationsdrucks  and  der  Btimmbänderspannung) 

iltete   uml   von  da   aus  tlich  in  andere  pnu  - 

bildungen  bez.  BOgar  In  das  part  prt  eingeführt  wurde 
/nun  für  altes  hlou  aus  prototyp  !</>••< 

2,  in  den  as.  denkmälern  sind  die  belege  mit  j-(-g-)  vor- 
hersehend: 9äiu  Hei.  2 

gll  i  \\  adst  50, 7 1  mn  'kennen  lernen'  B 

-     issb. gll  (W.  1 1 1.  >:   I  140  and  W    tC.4 

'säen1   M.  2389   kann   Schreibung   sein    in    tda& 
compromissbildnng  aus   tähan   and   seian\   h  14), 

thriuunlmn  (W.  94  ■  Den   in  den  W-i.l.  l'rud.-^ll.  uml  sind 


282  VAN    HELTEN 

vielleicht  nicht  sächs.  Es  wäre  demnach  die  möglichkeit  ins 
äuge  zu  fassen,  dass  im  vorsächs.  der  kategorie  säip-  zukom- 
mendes -i-  oder  dafür  eingetretenes  -j-  in  die  verba  der  andern 
kategorien  eingedrungen  und  daselbst  zur  vorherschaft  gelangt 
wäre  (vermittelnde  f actoren  -is  und  -iä  oder  -id,  die  allen  ein- 
schlägigen verba  gemein  waren,  auch  denen  mit  altem  öu,  die 
durch  Vermittlung  der  auf  lautgesetzlichem  wege  des  u  ver- 
lustig gewordenen  flexionsformen  mit  den  reines  ö  enthaltenden 
verba  zusammengefallen  waren).  Doch  ist  andererseits  auch 
die  möglichkeit  denkbar,  dass  das  vorsächs.  den  für  das  vor- 
hd.  und  ahd.  mhd.  beobachteten  entwicklungsgang  durchmachte, 
dass  m.  a.  w.  in  der  sächs.  dialektgruppe,  nach  fast  vollständigem 
sieg  der  den  -i- losen  stammen  zukommenden  formen,  durch 
anlass  von  nach  entfaltung  eines  gleitlautes  entstandenen  -jis, 
-jiä  (-jid)  der  2.  3.  sg.  praes.  ind.  die  andern  praesensformen  ein 
-j-  erhielten,  diese  -j- Verallgemeinerung  mithin  im  sächs.  nur 
intensiver  und  früher  stattfand  als  im  ahd. 

Mnd.  begegnen  fast  nur  -j-  (-#-)  aufweisende  praesentia 
und  zwar,  wie  aus  den  Schreibungen  creygen,  meygen,  tveigen, 
bloygen,  vloygende  etc.  zu  erschliessen ,  mit  ei,  öi,  d.  h.  ea  bez. 
ö  +  durch  folgendes  -j-  hervorgerufenem  parasitischen  i  (vgl. 
die  Beitr.  16,  306  ff.  hervorgehobenen  sächs.  aus  ä,  ö  etc.  vor 
w  entstandenen  äu,  öu  etc.):  seien,  segen,  iveien.  neien,  negen, 
meyen,  dreien,  dregen,  Jcreien,  Jcregen,  blöyen,  Mögen,  gröien, 
grögen  'wachsen',  möien,  mögen,  glöien,  glögen,  löten,  loeyen 
mugire,  vlöien,  röien  'rudern'  (die  beiden  letzteren  verba  als 
alte  öu- verba,  s.  unten  4)  etc.,  woneben  seltene  blöen,  gröen, 
röen  (mit  ö  oder  an  alogischem  ö?).  Daneben  als  3.  sg.  zeget 
'sät',  weyet,  gröyet,  möyet  (auch  meit),  vlöyet  etc.  und  als 
praeteritalbildungen  geseyet,  glieseget,  weiden,  gheneyet,  neiden, 
dreyede  (part.),  dreiden,  Jcregeden,  kreyede,  bJöyede  (auch  bleide), 
gröyede,  möyede,  möyden,  gemöyet,  ghemöghet,  glöieden,  glöide, 
glöyden  (part,),  löyde,  vlöyede,  vlöide  etc.  (beachte  auch  seiget 
'sät',  iveiget,  meyget,  möyget  3.  sg.  und  geseyget  'gesät', 
neygede,  weygede,  dreiged  'gedreht',  blöygede{n),  möygede  etc.) 
mit  durch  analogiebildung  entstandenen  eai-j,  eai  und  öi-j,  öi; 
selten  als  rest  regelrechter  entwicklung  möde  praet.  (s.  Sch.- 
Lübb.  3,  111).  As.  belege  sind:  säiä  (säit)  3.  sg.  H.  2586, 
säidos,  -da,  -di  H.  2550.  2541.  2555  (woneben  noch  nach  starker 


/('    DEN   BOGEN.    VBBBi    l'lTRA. 

dexion  -seu,  vgl.  Beitr.  21,558  f.  und  IF.  2:5.  L07),  güUHt  (gebjtid) 
H.  1076  (mit  u-i,  ff-i  oder  a-ji,  Jh§\  oder  - •'-/,  ö-i  bez. <'-./',  ö-^»?). 

Belege  von  praesensformen  mit  w  fehlen  m.  w,  im  as.  und 
miid.  durchaus. 

:{.  Zweideutig,  wie  die  as.  bildungen,  Bind  mnl.  saeyen, 
waeyen,  naeyen,  maeyen,  draeyen,  craeien,  bloeien,  gro 
moeien,  gloeyen,  loeyen,  roeien,  vloeyen,  für  die  Dach  onl.  aus- 
spräche langdiphthong  mit  vor  -j-  entfaltetem  i  anzusetzen 
(vgl.  in  2  hervorgehobene  mnd.  bH,  öi\  mnl.  aber,  d.h.  west- 
nfrk.,  der  nichtumlautung  von  langem  voc.  gemäss,  ";  and  öi 
bez.  ">':  in  den  östl.  dialekten  (s.  z.b.  Teuthonista)  dagi 
aus  meien,  crByen  u.dgl.  sich  ergebender  unilaut  des  ersten 
.liphtliongeleinentes).  Dazu  als  2.  3.  sg.  praes.  ind.  und  als 
praeteritalbildungen   in  der  regel  saeis,  waeit,  maeyet,  bloeit, 

blocyct    t't<\.     sm'nlr,     i/rsticlf,    bloeyedß,    hjnfidi',   geblodt    etc..     Wn- 

neben  äusserst  selten  und  meist  nur  im  reim  hi  roei  'rudert' 
und  bloede  'blühte',  gebloet  'geblüht',  vloede  'floss',  groede 
'wuchs'  (wegen  belege  b.  meine  Mnl.gr.  §200  mit  opm.1)  als 
reflexe  von  alten  röit  (d.h.  m-ii).  blöda,  giblöd,  ftöda,  grüda\ 
als  indirecter  resl  der  -j- losen  formen  ist  aber  der  oeben 
(durch  den  reim  gesicherten)  «/-laut  gangbare,  nach  nnl.  laa- 
bung  als  ui  gesprochene  diphthong  hervorzuheben  (normale 
Bchreibungen  des  einen  sowie  des  anderen  lautes  oei,  oey):  aus 
5<  altem  öa)  war  mnl.  (durch  oe  oder  o  dargestelltes)  ua  ent- 
standen, als  element  des  iangdiphthongs  Mich  dagegen  ö  laut- 
gesetzlich erhalten;  '"  für  ui  kann  demnach  nur  auf  anlehnung 
beruhen  an  in  -j-losen  flexionsformen  regelrechl  entstandenes 
'-  i  -.  auch  Tijdschr.  van  Nederl.  taalkunde  14, 29  f.).  Beachte 
noch  mnl.  (sehr  seltenes,  nur  im  reim  belegtes  i  'rudern' 
als  reflei  von  altem  rö-an. 

Belege  von  praesensformen  mil  w  fehlen  auch  mnl.   W< 
der  reste  alter  Btarker  Sexion,  etc..  s,  w.  23,  107. 

4.   Für  die  entstehung   von  alleinherschendem   w  in  der 
praesentialen    und  der  praeteritalen  flexion  von  wan, 

mdwan,  grötcan,  ■  tc  Bind  viererlei  factoren  geltend  in 

machen: 

. -ist. 'iis  das   "   i  woraus  in  d  •     den  oben 

in  1.  &  281  erwähnten  beachte  noch  die  m  ah  'ich 

Bchwimme',  aid  planati   'er  Bchwimmt',  g 


284  VAN    HELTEN 

etc.  und  gr.  tQcoftj  'schwung'  zu  stellenden  flöivan,  rowan\ 
zunächst  einführung  von  -u-  der  alten  öw-verba  in  die  ö-verba 
durch  vermittelung  von  sich  mit  rö-u(-)  etc.  der  1.  sg.  und  pl. 
praes.  ind.  aus  röuu{-)  etc.  berührenden  grö-u(-)  etc.;  dann 
einführung  von  -u-  in  ä-verba  mit  -o-stamm  durch  vermittelung 
einerseits  von  sich  mit  grö-u{-)  etc.  und  rö-u(-)  berührenden 
mä-u{-)  etc.,  andererseits  der  übrigen  zu  mä-  etc.  gebildeten 
praesensformen,  die  sich  mit  alten  (neben  -w-haltigen  neu- 
bildungen  gangbaren),  zu  grö-  etc.  gebildeten  praesensformen 
berührten;  ebenso  einführung  von  -u-  in  ä-verba  mit  -/-stamm 
durch  vermittelung  von  sich  mit  mä-is,  -ip  etc.,  grö-is,  -ij>  etc. 
berührenden  sä-is,  -ip  etc.] ; 

zweitens  ein  vor  -w(-)  der  1.  sg.  und  pl.  praes.  ind.  ent- 
falteter gleitlaut  -iv-\ 

drittens  der  gleitlaut  -tu-  vor  -u-  der  pluralendungen  des 
starken  praeteritums,  das  infolge  des  durch  die  zunähme  von 
formen  mit  -u-  erwirkten  zurücktretens  von  alten  -/-haltigen 
praesensformen  vor  Verdrängung  durch  schwache  praeterital- 
bildungen  geschützt  wurde; 

viertens  der  labial  von  zu  alten  öw-verba  stehenden  formen 
des  ind.  sg.  und  opt.  praet.  mit  eow{-)  für  eo-u  bez.  co-u-  (reo-u, 
reo-u-  etc.  aus  reröua,  -c,  -7(-)  etc.;  dies  zur  ergänzung  von  IF. 
23, 106  bemerktem^ 

5.  Für  das  afries.  ergibt  sich  aus  dem  spärlichen  material 
folgendes: 

auf  alten  -/o-stamm  lässt  sich  zurückführen  aus  aofries. 
praet.  weide  (Gramm.  §  274,  anm.  3)  zu  erschliessendes  iveia; 

auf  formen  ohne  -;'-  weisen  (nach  Zur  altostfries.  lexic. 
s.  154  f.)  nofries.  miähnen  bez.  miö  'mähen',  ziähn  'säen',  Jcriö 
'krähen'  hin  (aus  anzusetzenden  aofries.  miä(ri),  sia(n),  hiä(n) 
für  mean,  sean,  Jcrean)  sowie  aofries.  meth  'er  mäht'  und  ble 
'blies'  (IF.  23, 105); 

die  einstige  existenz  von  -ep-formen,  flöiva(n),  gröwa(n), 
blöwa(n),  iväwa(n),  geht  nach  Beitr.  19,  395  ff.  und  Zur  aofries. 
lexic.  s.  155  hervor  aus  awfries.  fliueswerp  'wurf  in  untiefes 
wasser'  (flhtes-  aus  flöivisa-),  aofries.  gröivinge,  awfries.  gröy(e)t, 
blöy(e)t,  gröye,  wäy(e)t,  wäyen,  -ane,  icäyde  (wegen  aofries.  greth 
crescit,  awfries.  gre  crescat,  aofries.  awfries.  gliände  s.  Beitr. 
und  Zur  aofries.  lexic.  a.  a.  o.). 


ZU   DEN   VEBBBN    GAN,  STÄN  UND  DON.  285 

6.  T >ie  nur  zum  teil  in  den  an.  dialekten  erhaltenen  verba 
gehen  wn.  nach  Btarker  bez.  schwacher  flexion,  on.  meist  nach 
schwacher  (übertritt  in  die  L  oder  die  L.  conjugation,  indem 
aus  der  mehrzahl  der  praesensformen  stammendes  ä  bez.  <• 
Übersiedlung  nach  der  8.  durch  nmgelauteten  tonsilbenvocal 
ausgezeichneten  classe  verhinderte): 

wn.  sd  (mit  altem  3-losen  stamm,  wie  got.  aus  süan  her- 
vorgegangenes saian),  gröa,  röa  (ohne  reflex  von  altem  -h-, 
zunächst  durch  schwund  von  -"-  vor  -u,  -um  der  l.  sg.  und  pL 
iiul..  dann  auch,  wenn  nicht  etwa  bereits  analogischer  au.- fall 
von  -><-  in  den  anderen  praesensbildungen  erfolgt  war,  durch 
lautgesetzliche  Bynkope  von  für  -"-  eingetretenem  -w-  nach  0), 
mit  sera,  grera  (analogiebildung),  rera,  sdenn  etc.; 

wn,  flöa  nach  l.  schwacher  classe,  glöa  (beide  verba  ohne 
reflez  von  altem  -//-,  wie  röa)  nach  1.  und  1.  <•]..  mit  floaife 
und  flöäe,  glöaäe  und  glöäe  (Noreens  AItnord.gr.  I  §  199,  anm.); 

uii.  8ä\  grö(a),  ro\a)  (vgl.  Nor.  Altnord.gr.  II  §544,  anm.  5. 
545.553)  nach  Lei.,  mit  s&äe,  große,  rüde  (nur im  part  neben 
schwacher  form  auch  säin,  grüin). 

IAW. 
Zu  den  verheil  gräft,  stau  und  </ö;/. 

1.   Für  die  beurteilung  der  germ.  zu  xlxw1  U11,l  'al-  •s'1'"''. 
•  r,  v  stehenden  verha  ist  folgendes  zu  beachten. 

Die  zur  wurzel  stä  gehörenden,  ausnahmslos  nicht 
zu  idg.  '/  stimmenden  wurzelvocal  aufweisenden  flexionsformen 
sind  keineswegs  als  ueubildungen  zu  fassen  Dach  den  alten, 
zu  gh(  '  Btehenden  verbalbildungen:  es  wäre  (dien  nicht  einzu- 
sehen, weshalb  das  verb  für  'stehen'  consequent  vondemverb 
für  'gehen'  beeinflusst  sein  Bollte  und  nie  das  umgekehrte 
stattgefunden  hätte,  m.  a.  w.  es  fehlt  der  uachweis  eines  fac- 
tors,  der  einen  vollständigen  Bieg  des  den  s-<  '-bildungen  zu- 
kommenden vocalismua  herbeigefühii  hatte. 

,/.    Auf  grund   der  etc.   von  für  'tun'  verwanten 

formen  ist  consequenterweise  zu  vermuten,  dass  auch  in  den 
eben  genannten  •mi-verben  der  eig.  nur  dem  >Lr.  praes,  ind. 
und  imper..  etwa  auch  dem  int.  und  dem  pari  praes.  zu- 
kommende vocal  in  das  ganze  paradigma  eindrao 


286  VAN   HELTEN 

y.  Aus  nach  der  schwachen  -ai-  bez.  -e°-classe  flectierten, 
zu  substantivischem  -ä-stamm  bez.  mit  -nä-  gebildeten  verben 
ergibt  sich  urgermanische  erhaltung  von  idg.  in  der  endung 
stehendem  ä  vor  unmittelbar  folgendem  i  und  *:  -ä\i-  des  Op- 
tativs, woraus  -at(-),  das  in  den  anderen  modi  analogisch  ge- 
bildete endungen  mit  -ai(-)  hervorrief.  Vgl.  IF.  14,  85  ff.,  wo 
auch  aus  -ö\i-  entstandenes  -t»(-)  im  opt.  der  schwachen  verba 
2.  classe  hervorgehoben  wurde.  Aus  den  Optativen  ahd.  tuo, 
üwt,  tuon,  aonfrk.  duos,  duo,  duon,  aws.  dö,  dön,  etc.  geht 
hervor,  dass  hochtoniges  ü  +  ?(-)  in  gleicher  weise  behandelt 
wurde  wie  endungsilbiges.  Hiernach  ist  auch  für  hochtoniges 
ä  -f  %{-)  entwicklung  zu  ul{-)  zu  vermuten.  Für  die  richtig- 
keit  aber  dieser  folgerung  spricht  die  tatsache,  dass  der  opt. 
des  stfä-verbs  des  öfteren  in  der  Überlieferung  einen  laut  bietet, 
der  auf  älteres  ai  (d.  h.  a%)  hinweist  (ahd.  sie  etc.,  ags.  std  etc.). 

6.  Im  opt.  praes.  der  praet.  -  praesentia  und  des  verbum 
substantivum  durch  das  modussuffix  ■%-  hervorgerufene  formen, 
die  so  in  betreff  des  tonsilbenlauts  sich  formell  von  den  flexions- 
bildungen  des  ind.  entfernt  hatten,  beeinflussten  manchmal  die 
alten  formen  der  anderen  modi;  durch  anlass  des  in  den  andern 
flexionsclassen  dem  opt.  und  ind.  praes.  zukommenden,  gleichen 
tonsilbenlauts  fand  ausgleichung  statt,  indem  der  tonsilbenlaut 
des  opt.  in  den  ind.  und  von  hier  aus  auch  in  die  andern  modi 
eindrang.  Man  beachte  die  Beitr.  15,  212.  17,  559  aufgeführten 
mhd.  mügen,  süln,  günnen,  Wirren  etc.  im  ind.,  mnl.  stillen, 
gunnen,  hunnen,  dürren  (u  mit  lautwert  öü),  mnegen,  duegen  (ue 
zur  darstellung  von  o)  als  inf.,  mhd.  sin,  sit  im  pl.  ind.  etc.  und 
füge  zu  den  daselbst  hervorgehobenen  belegen  noch  afries.  sJcü, 
skel  1.  3.  sg.,  sJcilun,  skelen  etc.  pl.  ind.  (Aofries.  gr.  §  307  Ö). 

Berücksichtigung  von  ß  und  y  macht  formellen  zusammen- 
fall des  stö-  und  des  <jea-verbs  verständlich: 

vorwestgerm.  zunächst  gäe\i(-)  im  opt.  (auf  die  1.  sg.  be- 
schränktes gäe\iea-  kann  ausser  betracht  bleiben),  säe{-)  im  ind. 
imper.  etc.  (äe  aus  idg.  ea),  doch  stä\l(-)  im  opt.  und  durch 
einwirkung  von  in  diesem  modus  regelrechtem  ä,  das  ursprüng- 
liches a  der  andern  modi  vor  entwicklung  zu  oa  schützen 
konnte,  stä(-)  im  ind.  imper.  etc.; 

dann,  als  «c  zu  «  geworden,  zusammenfall  des  tonsilben- 
vocals    der   beiden   verba,    wodurch   entstehung   von   6«|«(-), 


ZU    DEN   7ERBKN    GÄN,  STÄN  ÜHD    DON.  '    I 

sta  /(-),  die  nach  y  die   überlieferten  Optative  mit  <  '  bez.  << 
ergaben. 

•2.  1  »t-n  prototypen  mit  a  entsprechen  im  alem.  durch- 
stehende  praesentia  gän,  gäs{t\  gätnes  etc.,  stän,  siäs(t)  etc.  Den 
prototypen  mit  af  die  Erftnk.-ahd.  and  bair.  optative  g 
etc.,  ■>/'  etc.  (die  alem.  quellen  gewähren  nach  Braunes  Gr. 
§383,  anm.  1  nur  hange,  steinte  etc.);  »loch  ist  hier  zn  beachten, 
dass  neben  </r,  ste  der  L.  3.  sg.  die  formen  y< s ■■/»  der  2 
gen,  gent  des  pL  regelwidrig  contrahierten  voc  aufweisen, 
dessen  eintritt  für  ei  sich  aber  leicht  begreift  als  die  folge 
eines  durch  ge,  sti  veranlassten  ausgleichs  (dass  auch  die  für 
eine  vorhistorische  periode  anzusetzenden  optativendungen  der 
starken  verba  und  der  schwachen  1.  und  3.  classe,  nämlich  -e, 
woraus  überliefertes  -e,  und  -es,  -im,  -et,  -en,  besagte  aus- 
gleicliung  fördern  konnten,  wurde  bereits  Beitr.  17.  '»\\  be- 
merkt). I>ie  bair.  und  fränk.  quellen  bieten  neben  noch 
seltenen  (in  der  Überlieferung  meist  durch  gange,  stanU 
verdrängten)  Optativen  ge,  st<-  etc.  im  ind.  imper.  intger.  und 
pari  praes.  ^-formen,  gen,  sien,  gest,  <j<t,  gerne*,  <j>».  genti, 
stenti  etc..  deren  voc.  auf  entlelmung  aus  den  offenbar  ehemals 
üblicheren,  kurzen  optativbildungen  beruht;  hierneben  als  reste 
der  alten  3- formen  im  bair.  selten  erhaltene  gäm,  haut,  etat 
(Braunes  Gr.  §383,  anm. 2)  und  im  fränk.  gän,  gänne,  stau 
für  die  Lsg.  ind..  den  inf.  und  das  ger.,  seltner.-  gäi,  siät  für 
dir  3.sg.  Bowie  stänte  und  gämes  adh.;  sonst  auch  für  die 
2.3.  sg.  ind.  (Br.  L  a.  §,  anm.  3)  geist,  {gtyteist,  geit,  (gtyteit 
bei  (i  bez.  Will.  II  mit  zur  zeit,  in  der  im  1.1,1.  noch  regel- 
rechtes, anteconsonantisches  ei  herschte,  entlehntem  diphthong, 
der  rieh  in  diesen  personsformen  behauptete  infolge  des  an- 
klingens  des  auslauts  derselben  au  -/>•.  -it  der  normalen  con- 
jugation. 

:{.    Die  as.  denkmäler  haben  -gän,  Harn  inf..  -gändi 
städ,  siäi  :;.  pL  ind.  imnd.  gän,  stän,  ic  gä,  sta  ■».  gände 

etc.);  für  dir  2.3.8g.  ind.  neben  städ  auch  ■-'■ 

ge  Beitr.  17,562  und  Dieters  Laut-  und  formen!,  d.  altgerm. 

dial.  :  .  gl.  auch   nmd.  du  gät,  etat  und  - 

ans  (nicht  überliefertem)  opt.  entlehntes  <  '  (ftr  a»)  beschränkte 

sich  hier  auf  die  2  ind  zwar  durch  anla»  \<>n  umlatr- 

dieseo  personsformen  ii  sata  zum   </  der  an 


288  VAN  HELTEN 

flexionsbilduugen  zukam  (vgl.  letid  neben  lätid).  Einmal  (M.4349) 
für  sted  erscheinendes  steid  kann  selbstverständlich  nur  als 
ste-id  gefasst  werden  (vgl.  äöit  M.  5188,  C.  4899  neben  normalen 
död,  döt,  duod,  duot;  der  neubildung  entsprechen  mnd.  nnd. 
geht,  geit,  steist,  steif).  [Betreffs  der  von  Brugmann  in  IF. 
15, 127  für  die  deutung  von  e  und  ei  der  2.  3.  sg.  in  rede 
stehender  verba  vorgeschlagenen  berufung  von  äytig,  äyei  ist 
zu  erwägen,  dass  eine  flexionsbildung,  wie  sie  besagter  forscher 
für  die  griech.  formen  annehmen  und  auch  für  das  germ.  wahr- 
scheinlich erachten  möchte,  sich  auf  letzterem  Sprachgebiet 
wol  kaum  ausschliesslich  bei  den  -mi-verben  geltend  ge- 
macht hätte]. 

4.  In  den  aonfrk.  quellen  begegnen  gän,  -gänni,  -stän, 
-stä  (imper.).  Den  mittelostnfrk.  und  mnl.  denkmälern  zufolge 
(vgl.  Beitr.  17,  562)  waren  ä-formen  überall,  auch  im  opt.  und 
der  2.  3.  sg.  ind.  in  schwang  (im  opt.  natürlich  durch  ausgleich 
für  alte  formen  mit  auf  ai  zurückgehendem  laut);  hierneben 
aber  in  der  2. 3.  sg.,  den  as.  und  mnd.  ea-bildungen  entsprechend, 
steest,  steet,  gees,  geet  bez.  steit,  gelt  mit  einigen  ostnfrk.  mund- 
arten  zukommendem  diphthong  (die  mnl.  ea-  und  ez'-formen  als 
dialektische,  eig.  nur  den  östlichen  mundarten  zukommende 
bildungen,  denn  im  westnfrk.,  wo  jedes  nicht  vor  j  oder  i  der 
folgesilbe  stehendes  ai  coutraction  erlitt  und  wo  langer  vocal 
nicht,  wie  im  ostnfrk.,  umgelautet  wurde,  fehlte  der  etwaige 
entlehnung  von  ea  des  opt.  in  die  2.  3.  sg.  ind.  begünstigende 
factor,  d.  h.  Verwendung  von  durch  umlaut  von  ä  entstandenen 
letis,  -it,  slepis,  -it  etc.). 

5.  Im  merc.  und  north,  begegnet  mit  ausnähme  des  Ps. 
ein  wildes  durcheinander.  Nach  Sievers  (Gr.  §  430,  anm.  3.  5): 
R1  ind.  sg.  1.  gd,  2.  gms(t),  3.  gdep,  -et  (ein  gdet),  pl.  geep  (zwei 
gdp),  opt.  sg.  gd,  pl.  seien  (ein  gdn),  imp.  sg.  gd  (ein  gae,  d.  h. 
gm),  pl.  gmp,  -et,  seltener  gdp,  -ä,  inf.  gd,  gm  —  R2  ind.  sg. 
1.  gm  (ein  gaa),  2.  gmst,  3.  gckcT,  -s  und  gd(a)cT,  -s,  pl.  gdet,  -s, 
opt.  gaa,  g&,  imp.  sg.  gaa,  pl.  gd(a)ct,  -s,  inf.  gda  —  L  ind.  sg. 

1.  gm,  gae  {gdi  oder  gde?  vgl.  Sievers  i.  a.  paragr.  anm.  1),  gdee, 

2.  gast  (gdd),  gdoes,  gaes,  3.  gaact,  gmd,  gaect  (geeä  oder  gdeä?), 
-s,  (gaied),  pl.  gaati,  gdeä,  gaeä,  -s,  opt.  gee,  gae,  imp.  sg.  gd(a), 
gdee,  gae,  pl.  ga{a)ti,  gaeä,  -s,  inf.  gaa,  gm,  gae  —  Rit.  ind.  sg. 
1.  gm,  2.  gmst,  3.  gmd,  pl.  gd(a)ct,  -s  (ein  gemet),  opt.  gm  (gae), 


7.V    DKN    VF.KKF.X    GAN,   STÄN   FN'I)    DON  Ö89 

iinp.  pl.  gd(a)d,  inf.  gaa.  Die  andern  ags.  mundarten  und  die 
spräche  des  Ps.  haben  dagegen  als  rege!  o-formen  (im  Ps.  auch 
das  pari  gdnde)  mit  ausnähme  der  2.  3.  sg.  ind.  mit  con- 
Btantem  ce. 

Der  omstand,  dass  znr  zeil  der  primären  vocalapo-  und 
-synkope  (vgl.  Beitr.  28, 522  ff.)  die  drei-  und  mehrsilbigen 
formen  t\v>  praesens  ind.  ihr  -«und-c(-)  der  ultima  einbüssten, 
legi  die  Vermutung  nahe,  dass  zu  der  zeit  die  geringe  zahl  der 
athematischen  (zweisilbigen)  praesentia  ind.,  deren  kurzer  end- 
vocal,  mit  ausnahmt'  der  2.  j>L  regelrechl  hätte  erhalten  bleiben 
müssen,  ihr  -i  und  -e-  ebenfalls  verklingen  Hessen  (die  1.  sg. 
mit  -m  für  -mi  nach  dem  muster  von  -s,  -]>  für  -si,  -/"•  Bowie 
durch  anschluss  an  -öm  schwacher  2.  classe,  vgl.  unten  s.  290, 
aiim.  2).  Durch  aus.  entwicklung  von  wgerm.  a  zu  &  und  (vor 
nasal)  zu  öa  hätten  demnach  als  indicativische,  imperativische 
und  infinitivische  bildungen  entstehen  müssen:  ind.  sg.  1.  gce 
(aus  dm  cii  analogische  apokope  von  ->»  für  fäm  eingetretenem 
c<m.  2.  gßs,  3.  ;<>/>.  pl.  1.  göm,  2.  f&p,  3.  rflfr  imp.  Bg.  r«,  pL 
s'//',  inf.  jffi»,  part.  s'inili  (püer  gßndi?).  Indem  sich  nun 
hierzu  aus  dem  opt.  eingedrungen»'  formen  mit  a  aus  ai  ge- 
sellten, konnten  die  aberwiegenden  a  und  </■  Verdrängung  von 
o  und  ä  veranlassen  Die  hierdurch  entstandene  doppelformig- 
keil  (so  z.  b.  im  pL  ind.  gd'd  und  auf  anlehnung  beruhendes 
gdd,  im  inf.  s&  und  ä«'  beides  mit  onurspr.  laut)  bieten  die 
north,  und,  mit  ausnähme  des  i's..  die  merc.  quellen.  Daneben 
merc  north,  im  opt  ausser  norm,  ä  auch  gelegentlich  aus  dem 
ind.  entlehntes  </■.  In  den  andern  dialekten  und  im  merc  P& 
dagegen  durch  uormalisierende  Verteilung  c</ ■>/.  gdsd  der  2.3.  sg. 

ind..  den-n  </•  als  nmlaiit   empfunden  wurde  /n  in  der  übrigen 
üexion  herschend  gewordenem  d  (im  Ps.  erscheinender  opt 
isi   demnach   wo]   als  s<L   zu  fassen;  beachte  auch  einmal  im 
Pa   begegnendes    fdn    l.  Bg.    aus   für   regelrechtes   rftii   ein- 
getretenem 5 

0.  Altes  "  musste  in  der  mehriah]  unserer  verbalformen 
afriea.  regelrechl  -  ergeben;  so  begreifen  sich  j  h,8tet(h), 

tteei  der  2  sg.  ind.  (belege  für  diese  und  für  unten  citierte 
formen  s.  Altostfries.  gr.  §  811  und  Beitr.  17,560);  doch  ist  nicht 
zu  übersehen,  dass  Bich  die  bildungen  auch  mit  durch  einwirkung 
des  optativlautes  entstandenen  Vorstufen  gifs,  garth  etc. 

lleitrAgc  iur  grschichte  der  <ieuUchen  iprach«      N\\\ 


290  VAH   HELTEN 

einbaren  Hessen  (wegen  e  aus  äe  für  ai  s.  IF.  19, 190  ff.).  Der 
voc.  des  part.  gende  ist  ebenfalls  zweideutig:  er  kann  fort- 
setzung  sein  von  ä  (wegen  des  vor  nasalverbindung  -f-  %-  oder 
j-haltiger  folgesilbe  vor  Übergang  in  ö  geschützten  ä,  das  in 
der  folge  zu  e  umgelautet  wurde,  s.  IF.  19,  200  f.)  oder  auf 
durch  entlehnung  entstandenes  äe  zurückgehen.  Auf  eine  dem 
oben  unter  5  hervorgehobenen  ags.  Vorgang  zu  vergleichende 
Verdrängung  von  regelrechtem  ö  weist  der  inf.  steen  hin  mit 
e  aus  ä  oder  aus  äe  (für  ai).  In  nach  der  analogiebildung 
untfeen  accipio  anzusetzenden  afries.  ic  gen,  sten  liegt  aus  der 
2.  3.  sg.  entlehnter  voc.  vor  (man  beachte  die  nach  §  267  ff. 
der  Altostfries,  gr.  im  überlieferten  sg.  ind.  der  starken  verba 
entschieden  hervortretenden  folgen  von  ausgleichung  des  wurzel- 
silbenlautes): alte  $äm,  statu  bez.  gäem,  stäem  hätten  gön,  stön 
bez.  gän,  stän  ergeben  (äe  aus  ai  vor  tautosyll.  m  zu  ä  nach 
IF.  19,  190). 

Als  auffällige  bildungen  begegnen  den  erwähnten  gende, 
steen  gegenüber  das  part.  gände,  die  inf.  und  ger.  gän,  gäne, 
stän  sowie  die  pluralia  ind.  gaet(Ji),  gaed,  staed  (ae  als  Schrei- 
bung für  ä)1):  sowol  die  auf  einwirkung  der  alten  2.  pl.  gep 
(aus  gäp)  beruhende  als  die  ohne  weiteres  durch  entlehnung 
des  optativvocals  entstandene  pluralform  hätte  als  geth  etc. 
erscheinen  müssen.  Berufung  von  in  der  entwicklung  des  'tun'- 
verbs  zu  beobachtender  formerweiterung  durch  anhängung  von 
in  der  normalen  flexion  verwanten  endungen  (dnän  inf.,  duäth 
pl.  ind.  etc.  aus  döan,  döaj)  etc.,  vgl.  Aofries.  gr.  §  310  und  für 
das  wfries.  Eichth.  i.  v.)  macht  indessen  die  überlieferten  formen 
verständlich:  aus  für  säen,  gäendi,  gäeJj  eingetretenen  gäean, 
gäeandi,  gäeap  mussten  (nach  IF.  19, 190)  gäan  etc.  hervor- 
gehen, woraus  in  der  folge  gän  etc. 

7.  Nach  oben  unter  5  über  frühzeitigen  Schwund  von  -i 
und  -e-  im  ind.  praes.  der  -mi-verba  bemerktem  sind  ags.  dest, 
däs(t)  und  de%  ddeä  neben  dö{m) 2),  döct,  döacl  der  1.  sg.  und  des 


1)  Aofries.  gr.  §  311  als  3.  sg.  ind.  aufgeführtes  stät  beruht  auf  irrtüm- 
licher fassung  von  F  116;  es  ist  daselbst  nach  Zur  altostfries.  lexic.  s.  26 
(i.  v.  be)  scat  zu  lesen. 

2)  Beachtenswert  ist  die  1.  sg.  angl.  dorn  (woneben  sehr  seltenes  dö) 
gegenüber  den  auf  analogischem  Schwund  von  -m  beruhenden  formen,  aws. 
dö  und  in  allen  mundarten  durchstehenden  &Ü,  gab,  stä,  stck  (wegen  der 


Zl'M    VKUIU'M    BÜB81  \M  IVIM.  L".'l 

pl  iiid..  afries.  dest,  deth  neben  duath  pL  als  Qeabüdnngen  zu 
fassen  mit  Dach  dem  muster  des  in  der  J.  3. sg.  Lnd.  des  Marken 
Zeitworts  eingeführten  fl  bez.  hieraus  entstandenem  ff. 

Wegen  ff,  im  des  'tun'-verbs  s.  oben  l/J.  ;-.  Wegen  ff,  fl 
und  //  in  den  praeteritalformen  des  Zeitworts  vgl.  oben  &  277, 
anm.  1. 

s.  Das  particip  ahd.  gitän,  as.  gruftta  (woneben  umgebildete 
gidön,  >döen, -düan),  aonfrk.  gi-}  gedBn  weisl  rieh  als  alte  form 
aus  durch  ihr  zn  alten  ffa  im  ablaut  stehendes  <  '.  woraus  " 
North,  nit'iv.  dotn,  awa  (nicht  in  der  prosa  begegnendes)  •»//« 
und  afries.  (-)den  gehen  zurück  auf  neugebildete  -dff|tn-  mit 
aus  der  normalen  starken  dexion  entlehntem  suffix  (vgLBeitr. 
34,  115,  anm.  1);  hierneben  aws.  kent  -dön  \  as,  gidän  oder 
«prfffn  oder  gidöen). 

Von  den  amlem  -mt-verben  begegnen  nur  die  paiücipia 
aws.  fegän,  afries.  geen,  stffn,  steen  mit  vieldeutigem,  jedenfalls 
nicht  auf  ursprünglichem  wurzelsübenlaul  beruhenden  vocaL 

LX.WI. 
Zum   verbum  substantlvum. 

1.  II  w.  ist  bis  jetzt  die  wichtige  tatsache  nicht  hervor- 
gehoben, da—  bei  oeubildung  der  l.  'J.  sg.  und  pl.  im  praea  iml. 
des  verb.  subst  die  3.  nahezu  ausnahmslos  eine  solche  Umgestal- 
tung Dicht  erlitten  hat.    Man  brachte:  ahd.0tftJ  neben  \ 

birut  (für  die  vorsachs.  voraga.  l.  2.  pL  Bind  ähnlich.'  formen 
mit  bez.  ohne  h  vorauszusetzen,  vgL  outen  4  und  <>;  für  das 
aonfrk.,  wo  die  der  i.  und  •_'.  pl.  von  hau-  aus  zukommenden 
flexionsbildungen  Dicht  durch  die  ;:.  verdrangt  wurden,  l. 
uns  die  quellen  im  stich,  doch  ist  hier  nach  4  ans  bist  eine 
2.  pl.  birut  für  birud  i -<h  zu  erschliessen  und  wegen  birut 
eine  i.  ]d.  birun  für  wahrscheinlich  zu  halten;  das  mnl  hat 
für  die  i.  2.  pl.  aus  dem  opt  eingedrun  i,  doch  weisl 

Bein  bist  ebenfalls  auf  awnfrk.  birud  (-<)  "der  -»</<  und  birum 
bin);  hierzu  vgl.  att.  tlol,  dor.  lvx\  neben  elpkp,  der. 


vi-n in/.. -lim    .ui-h.ti.:  I  II  ■•     BMI    Ar 

die  erhaltong  diese*  </"»i  an  beeinflonong  <l»i r.  h  einsti 

aeben  rontufen  i  alnl 

u*.  in'iitrk    ■<*><)  IQ  'l-nk-n 


292  VAN   HELTEN 

aus  lö-),  töte  (nur  ion.  tadi  aus  eöavri),  aksl.  sq,ti  neben  jesmü, 
jeste,  lat.  sunt  neben  estis  (sum-  in  sumus  durch  anleimung  an 
sunt);  nur  das  an.  bietet  zu  erom,  -od  bez.  cerum,  -in  für  die 
3.  pl.  ero  (wn.),  rem  (aschw.;  wegen  agutn.  iru  s.  unten  2); 

got.  sind  neben  syww,  -wj>  (wegen  -ij-  s.  Beitr.  20,524); 

ahd.  ist  neben  bim,  bis(t),  as.  is(t)  neben  bium  (biun),  bist 
(bisthu  C.  3062  is  nicht  als  beleg  für  bis  geltend  zu  machen), 
aonfrk.  ist  neben  bim  (bin),  bis(t),  nml.  is  (es)  neben  bem  (ben, 
selten  bim,  bin),  best  (bist)  und  bes  (bis),  afries.  is(t)  neben  bim 
(bem,  bin-,  die  2.  nicht  belegt). 

Vgl.  auch  ags.  neben  is  der  3.  sg.  erscheinende,  aus  einem 
praeterito  -  praesens  stammende  eom,  eart  (aws.),  eam,  eard 
(merc),  am,  ard  (north.)  (weiteres  hierüber  und  über  arun  etc. 
unten  6). 

Das  eine  und  das  andere  weisen  darauf  hin,  dass  in  den 
Perioden,  worin  die  unursprünglichen  bildimgen  in  schwang 
kamen,  die  3.  sg.  und  pl.  nicht  oder  doch  nur  ausnahmsweise 
als  copula  fungierten  und  diese  nur  oder  bald  nur  für  'exi- 
stiert, -ten',  mithin  verhältnismässig  selten  verwanten  persons- 
formen  dermassen  im  hintergrund  standen,  dass  sie  von  der 
die  1.  und  2.  pers.  beeinflussenden  evolution  unberührt  blieben. 

Es  sind  demnach  an.  ero,  ceru  schwerlich  als  fortsetzungen 
zu  fassen  eines  prototyps  ezund  oder  izund,  sondern  als  relativ 
junge,  durch  anschluss  an  erom,  -od,  cerum,  -in  bez.  deren 
Vorstufen  entstandene  neubildungen  geltend  zu  machen. 

2.  Für  die  entwicklung  von  ezumes,  ezupe  bez.  (durch 
analogische  änderung  des  personalsuffixes  entstandenen)  ezumez, 
ezucte,  den  Vorstufen  von  überlieferten  erom,  -oct  etc.,  birum(es), 
bind,  vorags.  (durch  die  formen  eines  praeterito-praesens,  vgl. 
unten  0,  verdrängten)  erum,  -up  oder  irum,  -up,  und  (nach  den 
singularformen  mit  b-)  vorauszusetzenden  vorsächs.  vornfrk. 
vorfries.  bizum,  -ud  bez.  -up  (vgl.  unten  3),  war  das  ez-  von 
enklitischen  ezmi,  ezi  massgebend.  Also  entstehung  von  ez- 
der  pluralbildungen  noch  vor  der  bekanntlich  alten  assimi- 
lierung  von  z  mit  folgendem  m.  Wegen  des  durch  analogie- 
bildung  entwickelten  u  von  alten  sumes  (-ez),  supe  (-cte)  vgl. 
Beitr.  20,  523. 

Im  i  von  birum(es),  birut  ist  demnach  die  folge  zu  erblicken 
der  einwirkung  von  u  der  folgesilbe  auf  altes  tonsilbiges  e. 


ZUM    VEIiltUM    SUBSTANTIVUM. 

Dagegen  Bind  e  and  a  von  \vn.  erom,  -öS,  on.  wrwn,  -in  zurück- 
zuführen  auf  altes  e,  das  von  hier  ans  in  den  Bg.  als  Bubstitnl 
für  fegelrecht  (durch  j  der  folgesilbe)  entstandenes  i  eindrang. 
Dalier  wn.  em,  es(t)  (nnd  er,  vgl.  unten  anm.  l  zu  4),  on.  cern, 

cest  als  1.  2.  sg.  und  wn.  es  als  3.  sg. 

1  >ie  für  die  :'>.  pl.  geltenden,  relativ  jungen  neubildungen 
(vgl.  oben  1)  bieten  neben  e  bez.  ce  auch  i:  wn.  ero,  aschw. 
cbtu  (wie  die  1.  2.  pl.),  doch  agntn.  iru,  rschw.  iBtu  (s.  Noreens 
Altschw.  gr.  §  562,  anm.  2),  dessen  tonsilbenvocal,  indem  er  nichl 
lautgesetzlich  entstanden  sein  kann,  auf  analogiebildung  be- 
ruhen inuss.  Offenbar  haben  wir  es  hier  zu  tun  mit  einem 
laut,  der  durch  anschluss  an  altes  is  der  3.  sg.  (=  urn.  rschw. 
is)  für  c  eintrat.  Durch  einfluss  yuii  iru,  iSu  oder  einer  be- 
reits i  •Mithaltenden  Vorstufe  desselben  entwickelte  sich  dann 
die  agntn.  3.  sg.  ir,  rschw.  is,  eine  parallele  von  durch  ero  bez. 
imi  oder  ein«'  Vorstufe  desselben  hervorgerufenen  wn.  er  (für 
älteres  es),  aschw.  übt  (ev.  er)  der  3.  sg. 

B.  Die  these,  dass  in  bim,  bis  etc.  die  folgen  vorlägen  von 
compromissbildung  aus  zu  lat  fio,  air.  biu  stehenden  (im  aga 
beo,  bist,  biä  etc.  erhaltenen)  praesensformen  und  im,  is  etc., 
hat  ihren  haken.  Biu  bez.  durch  contraction  und  kürzung  in 
enklitischer  Stellung  entwickeltes  hin  und  im,  bmm  bez.  bium 
und  essum  (er  um)  oder  ieum  (irum),  bte&(-d)  oder  -sfr  bez.  bied 
(-d)  oder  -e]>  und  eau&(-d),  -c]>  (eruä  etc.)  oder  o/o/ etc.  (trt«f 
etc.)  Btehen  formell  zu  weit  auseinander,  dass  hier  Vermischung 

für  glaubhaft  zu  halten  wäre.  Dasselbe  gilt  für  biis  und  is 
(wegen  des  für  regelrechtes  -~  eingetretenen  -s  vgl.  Beitr.  34, 
111  it.:  altes  ia  aus  ,.-•/  wie  him  aus  himi,  vgl.  11"'.::."..  180). 
Nur  bis,  das  durch  contraction  und  kürzung  entstand,  be- 
rührte sieh  formell  mit  is,  >><  dass  beim  sprechenden,  insofern 
die  formen  zur  Umschreibung  des  praesens  passivi  verwarn 
wurden,  der  gedanke  aufkommen  konnte  an  zwei  gleichwertige 
bildungen,  die  formell  allein  durch  anlautendes  b  und  das  fehlen 
desselben  auseinander  giengen.  Von  Bolchen  bis  und  is  nahm 
die  entwicklung  der  neubildungen  ihren  ausgang:  es  kam  neben 
copula  is  die  b-form  auch  in  dieser  funetion  in  Bchwang  und 
e>  entstanden  als  völlig  gleichwertige  formen  neben  im,  irum 
(oder erum\  irud{-d)  bez.  -»/'  (oder  erud  etc.)  analogisch  gebil- 

bes.  -«/-  ("der  berud  < 


294  VAN   HELTEN 

Dass  von  den  so  entwickelten  doppelformen  die  fr-losen  in 
der  folge  ihrem  Untergang  entgegengehen  konnten,  ist  begreif- 
lich: bim  etc.  verdrängten  im  etc.,  indem  sie  eine  stütze  fanden 
an  biu  etc.  Ebenso  verständlich  aber  dürfte  nachfolgender 
Schwund  von  biu  etc.  erscheinen  (die  nur  in  .der  as.  Überliefe- 
rung eine  indirecte  spur  hinterliessen,  näml.  für  bim  eingetretenes 
bium):  mit  biu  etc.  im  praes.  des  ind.  und  der  anderen  modi 
concurrierende  werjm  etc.  machten  die  Verwendung  von  in 
inchoativer  function  den  bim  etc.  gegenüberstehenden  biu  etc. 
überflüssig. 

4.  Für  das  -t  von  wn.  est  (statt  des  in  den  älteren  lit. 
quellen  überlieferten  -es1)),  on.  cest,  as.  bist,  ahd.  und  aonfrk. 
bist  (neben  bis),  mnl.  bist,  best  (neben  bis,  bes)  der  2.  sg.2)  gilt 
nahezu  allgemein  die  annähme  von  entlehnung  des  Suffixes  aus 
der  flexion  der  praeterito-praesentia.  Also  gemäss  der  proportion, 
-ud  bez.  -up  der  2.  pl.:  -t  der  2.  sg.  der  praeterito-praesentia 
=  -ud  bez.  -uj)  der  2.  pl.:  -t  der  2.  sg.  beim  verb.  substantivum, 
neben  erod  (-uä),  bind  {-ud  oder  -up,  vgl.  oben  2)  im  sg.  est, 
bist.  Hieraus  ergibt  sich,  dass  bei  der  einführung  von  -t  nur 
auf  die  endung  rücksicht  genommen  wurde:  nicht  ert  (erst  in 
der  jüngeren  spräche  nach  Noreens  Aisl.  gr.  §  522,  anm.  1  auf- 
tretendes ert  entstand,  wie  die  jüngere,  für  es  eingetretene  3.  sg. 
er,  durch  anlehnung  an  er-  der  pluralformen),  birt  (gegen  even- 
tuelle annähme  von  -zud  bez.  -zup:  -st  spricht  wn.  eroct  neben 
es).  So  aber  verstehen  sich,  bei  berücksichtigung  von  -um  (-om) 
der  1.  pl.:  endungsloser  form  der  1.  sg.  bei  den  praeterito-prae- 
sentia, em  etc.,  bim  etc.  neben  erom  etc.,  birum  etc. 

5.  Die  -Miosen  formen  der  3.  sg.,  urn.  rschw.  is,  wn.  es, 
as.  afries.  is,  ags.  is,  mnl.  is,  es  (woneben  got.  ahd.  aonfrk.  ist 
=  sötl,  sowie  as.  ist,  afries.  ist)  sind  verschiedentlich  gedeutet 
worden.    Nach  Johannes  Schmidt  (Kuhns  Zs.  25,  596)  soll  das 


*)  Dieses  es  und  ebenfalls  in  den  älteren  quellen  begegnendes  er  (No- 
reens Aisl.  gr.  §  522,  anm.  1)  beides  aus  vorauszusetzendem  izi:  erhaltung 
von  auf  z  zurückgebendem  s  in  der  Verbindung  ispu,  entstebung  von  B, 
woraus  r,  ausserbalb  dieser  Verbindung. 

2)  Nicbt  belegtes,  aber  nach  nfries.  bist(e)  zu  vermutendes  afries.  bist 
bleibt  ausser  betracbt,  weil  hier  das  -t  ev.  auf  anschluss  von  altem  (übrigens 
ebenfalls  nicht  belegtem)  bis  an  alleinherschendes  -st  der  2.  sg.  normaler 
conjugatiou  beruhen  könnte. 


ZUM    VERBUM    SUBSTANTIVUM.  205 

mangelnde  -t  die  einwirkung  bekunden  einer  alten  gemein- 
germanischen  perfectflexion;  man  beachte  indessen  das  oben 
sub  1  über  die  •">.  sg.  und  pl.  hervorgehobene;  (as.  ags.  als 
doppelform  zu  sind  stehendes  sindun,  d.  h.  altes  sind  mit  durch 
anlass  yon  -um,  -ad  bez.  -u/>  der  1.  2.  pl.  suffigiertem  -un,  hätte 
schwerlich  substituiernng  yon  is  für  ist  veranlassen  können). 
Von  Fierlingers  lantgesetz  (Kuhns  Zs.  27.  i  W,  anm.2),  rf  wird 
in  tonloser  silbe  zu  SS,  soll  noch  erwiesen  werden.  Nureens 
Vermutung  (Grdr.  fgph.  la,638),  dass,  nachdem  die  2.  sg.  -t  an- 
genommen hatte  und  diese  -£-form  so  gewissermassen  als  eine 
für  die  2.  sg.  verwante.  ursi>r.  form  der  3.  sg.  aufgefasst  werden 
konnte,  die  alte  -Mose  form  der  2.  die  function  der  3.  über- 
nahm, könnte  nur  für  das  nord.  gelten  (nicht  für  as.  mnl.  is 
gegenüber  bist,  afries.  is  gegenüber  bist  oder  bis,  ags.  is  gegen- 
über unt):  sie  scheitert  aber  auch  für  diese  dialektgruppe  an 
dem  umstand,  dass  wn.  est  der  2.  jüngeren  datnms  ist  als  ur- 
nordischem is  entsprechendes  wn.  es  der  3.  Auch  Brugmanns 
fassung  von  is  als  Fortsetzung  von  injnnctiv  ist  (Grdr.  2,908) 
dürfte  nicht  einleuchten,  weil  sich  BOnstige  Verwendung  von 
seeundärsufnx  im  vorgerm.  praesens  nicht  nachweisen  I 
Ich  möchte  darauf  hinweisen,  dass  -/  von  auf  tsti  zurück- 
gehendem ist  (wegen  des  noch  vor  der  Wirkung  von  seeundärer 
apokope  verklungenen  -?'  vgl.  oben  s.  289)  im  Satzgefüge  vor 
anlautenden  ]>,  s,  t  des  folgeworte>  der  gefahr  des  verklingens 
ausgesetzl  war1»  und  hierdurch  entstehung  von  is  als  doi»pel- 
form  von  ist  zur  möglichkeit  wurde. 

(i.  Nachdem  bereits  Jon.  Schmidt  (Kuhns  Zs.  25,  595  f.) 
für  die  deutung  von  on.  ar,  arun  und  north.  arä\  o/mm  etc. 
ÖQpevoq  berufen,  hat  Brugmann  (IF.  1,81)  engeren  Zusammen- 
hang betont  zwischen  den  germ.  bildnngen  und  oqcoqcl,  das  in 
sp&terer  zeit  auch  für  'ich  bin1  verwant  wurde.  Bezüglich 
der  in  Brugmanns  Grdr.  2, 909  geäusserten  meinung,  dass  aber 

gtes  ar-  wahrscheinlich  nicht  perfectstamm  war.  statt 
dessen  vielmehr  "/■  zu  erwarten  Bei,  möchte  ich  folgendes  be- 
merken: 

nach  mW/.t.  i<,r.  sind  für  die  i.2.  pL  *\^<  vorgerm.  praet 


')  Wegen  sinei  fthnlichen  gedankena  vgl.  Holthatueos   \- 

.iiiin 


296  VAN   HELTEN 

ind.  alte  bindevocallose  suffixe  vorauszusetzen  (vgl.  auch  das 
oben  s.  276  über  die  entsteliung  von  muniim  etc.  erörterte); 

aus  zu  öq-coqcc  (vgl.  ol-coXa,  ox-coxa)  zu  haltenden  vorgerm. 
örtha  2.  sg.,  örm-,  -orte  1.  2.  pl.  mussten  durch  lautverschiebung, 
vocalkürzung  vor  r  -f-  cons.  und  entwicklung  von  tonsilbigem 
o  zu  a  sowie  durch  einführung  von  -u-  der  3.  pl.  in  die  1.  2.  pl. 
die  formen  arpa,  arum-,  arupe  entstehen; 

nach  dem  muster  der  bildungen  mit  regelrecht  gekürztem 
voc.  konnten  sich  die  andern  flexioiisformen  richten  (ör-  über  or- 
zu  ar-),  so  dass  zunächst  ara,  arpa,  are,  arum-,  aru]>e,  arun(Jj), 
dann  nach  Wirkung  primärer  vocalapokope  ar,  arp,  ar,  amm(z), 
arup,  arun  in  schwang  kamen. 

Als  nun  von  diesem  functionell  mit  im  etc.  concurrierenden 
praeterito  -  praesens  die  1.  2.  sg.  und  pl.  sich  vordrängten  und 
allmählich  vorhersehend  wurden  (wegen  der  isolierten  Stellung 
der  3.  sg.  und  pl.  vgl.  oben  oben  1),  entwickelte  sich  im  vorags. 
eine  basis,  die  intact  erhaltene  formen  bez.  eine  analogiebildung 
aufwies  und  worauf  sich  die  angelsächs.  belege  als  regelrechte 
oder  als  durch  analogiebildung  entstandene  formen  zurück- 
führen lassen:  north,  am,  aret  (nie  earä  und  zwar  durch  ein- 
wirkung  des  a  von  am,  aron,  -un)  und  arst  (mit  -st  für  -et 
nach  normaler  flexion;  seltenes  is  der  2.  sg.  ist  nicht  als  resi- 
duum  aus  altem  praesens  zu  fassen,  sondern  nach  Sievers' 
Ags.  gr.  §  427,  anm.  4  und  §  356,  anm.  2  als  die  gelegentlich  aus 
der  3.  sg.  eingeführte  form  zu  fassen);  merc.  earä,  earun  und 
eam  (mit  aus  earä,  earun  entlehntem  ea;  vgl.  jedoch  nach 
Sievers'  Gr.  §  427,  anm.  4  je  einmal  in  R1  nam,  ncem),  eart  (mit 
nach  dem  -t  der  praeterito -praesentia  für  -et  eingeführter  en- 
dung);  aws.  eart,  vereinzeltes  eam  (Sievers'  Gr.  §  427,  anm.  1), 
woneben  normales,  durch  einwirkung  von  beo  entstandenes 
eom  (kein  pl.  earun,  sondern  sind,  sint  und  sindon,  -un,  die 
auch  north,  merc.  begegnen  als  doppelformen  zu  aron,  -un 
etc.);  kent.  eart,  sint,  sindon.  Die  aus  am  (eam,  eom)  hervor- 
gehende berührung  zwischen  alten  im  und  ar  weist  indirect 
auf  ehemalige  existenz  hin  von  mit  wn.  er  (s.  oben  s.  294,  anm.  1) 
zu  vergleichendem  ir  der  2.  sg.;  man  beachte  die  proportion, 
ir  :  ard  =  im  :  am.1)    Aus  dem  nämlichen,  vorausgesetzten  ir 


')  Durch  einfluss  dieses  am  entstand  der  unursprüngliche  auslaut  von 


ZUM   VERBUM    WOLLEN.  297 

aber  begreift  sieh  die  tatsache,  dass,  im  gegensatz  zum  vor- 
sächs.  vornfrk.  und  vorfries.,  im  yorags.  keine  6mm  etc.  ent- 
standen: es  fehlte  hier  eben  der  oben  Bub  3  für  solche  nenbildang 
hervorgehobene  factor,  d.  li.  neben  bis  stellendes  is  der  2.  sg. 

Dass  auch  die  andern  wgerm.  dialekte  das  praeterito- 
praesens  gekannt  haben,  lässl  sich  nicht  beweisen,  ist  jedoch 
Cur  sehr  wahrscheinlich  zu  halten;  die  formen  wären  dann 
etwa  verdrängt  durch  dieselben  factoren,  die  im  vorsächs. 
vornfrk.  und  vorfries.  beseitigxmg  von  im  etc.  veranlasst  hatten. 

Als  ii< »id.  reste  der  or-formen  finden  sich  noch  aschw.  ar, 
aru  der  3.  sg.  pl.  (Noreens  Aschw.  gr.  §  562,  anm.  1):  durch  for- 
melle ähnlichkeil  blieben  zunächst  neben  aschw.  übt  der  3.  sg. 
(bez.  dessen  vorstnt'e  er),  verum,  -in,  -u  (bez.  deren  Vorstufen 
erum,  -in  oder  -m),  -h  oder  -wn),  alte  ar,  arum  etc.  haften  (da- 
gegen bereits  erfolgter  schwand  von  ar,  an?  der  1.  -.^.,  denen 
ii ,n,  tisf  oder  deren  Vorstufen  em,  es  bez.  est  gegenüberstanden): 
die  •'-.  Bg.  ar  and  3.  pL  aru(n)  schützten  sich  gegenseitig  vor 
gänzlichem  Untergang,  als  in  der  folge  den  or-bildongen  der 
dienst  gekündigt  wurde. 

LXXV1I. 
Zum  verbuni   trollen. 

1.  Brngmanns  Zusammenstellung  von  aksL  veljq  'ich  will' 
mit  got.  wiljan,  -ands  (IF.  1,81)  ist  trotz  Solmsens  und  Streit- 
bergs widersprach  (Studien  zur  lat  laatgesch  b.7;  DG.  §  221 1, 

en  des  für  u  Btehenden,  auf  e  beruhenden  j  von  ictljau, 
wileis  etc.  schwerlich  abzuweisen:  wir  haben  es  hier  mit  sup- 
pletiv verwanten  flexionsbildungen  zu  tun.  »I.  h.  mit  neben  altem 
athematischen  praes.  opt  Btehenden,  zu  -/«-stamm  gebildeten 
int.  und  part  praes.,  deren  tonsilbenvocal  regelrechtes  u 
praes.  opt  verdräng.  Dass  dies  got  nebeneinander  einen  ur- 
germ.  flexionsstand  reflectiert,  ergibl  sich  aus  den  wgerm. 
und   an.  directen  oder  indirecten  entsprechongen  von  n-rfjau, 

■>  und  wiljan,  -a\ 

ahd.  (s.  Braunes  Gr.  §  385,  anm.  I)  wiüe,  -a  l.  Bg.  praes.  ind. 
regelrechl  ans  -ja  i\\i    <"  aas  -jpn,   -a  für  -./"  mil  durch 

taigl.biom,  i'i>m  (wegen  des  laorgenlechen  ohenkten  ron  ->»  dieeez  t  ig, 
\J.  oben  :i 


298  VAN   HELTEN 

anlehnung  an  altes  -a  des  optativs  der  -o-stämme  erhaltenem  -a, 
s.  Beitr.  28, 548)  bez.  willu  (mit  aus  dem  praes.  ind.  der  -io-stämme 
entlehnter  endung)  und  will,  -e  (aus  für  altes  wilja  oder  einer 
Vorstufe  desselben  nach  dem  muster  des  normalen  -7-optativs 
eingetretenem  alten  will);  ivili  2.  3.  sg.  ind.; 

as.  (Schlüter  in  Laut-  und  formenlehre  der  altgerm.  dialekte 
§  283,  anm.  2)  williii,  -io,  -eo  1.  sg.1),  will  2.  3.  sg.; 

mnl.  (Francks  Mnl.  gr.  §  170,  meine  Mnl.  gr.  §  233«)  ic  iville, 
hi  ivele  (mit  wnfrk.  in  offener,  hochtoniger  silbe,  auch  vor  i 
der  folgesilbe,  aus  i  entstandenem  e); 

aws.  kent.  (Sievers'  Gramm.  §  428  mit  den  anmerkungen) 
iville  1.  sg.  (das  -e  kann  auf  altem  -ja  des  opt.  beruhen,  indem 
ags.  -e  dem  ahd.  as.  aus  -ö  entstandenen  -a  entspricht;  es  könnte 
aber  auch  neben  willja  eine  den  ahd.  willu,  as.  williu  entspre- 
chende Vorstufe  zu  gründe  liegen,  weil  eben  im  südengl.  nach 
Beitr.  28,  504,  anm.  3  aus  -iu  hervorgegangenes  -e  für  die  1.  sg. 
ind.  erscheint;  kent.  auch  willa  mit  -a  als  Schreibung  für  aus 
-a  entstandenes  -ae?),  merc  iville  (mit  -e  aus  -a),  north,  wille 
und  willo  (=  as.  williu);  aws.  kent.  merc.  wile  3.  sg.; 

afries.  wilile)  1.  sg.,  ivili  3.  sg.  (auch  ivele,  Aofries.  gr.  §  309, 
mit  e  durch  anschluss  an  wellath); 

as.  ivillian,  -ien,  -(e)andi,  -(i)endi\  mnl.  willen,  -ende;  ags. 
ivillan,  -ende  (afries.  belege  für  inf.  und  part.  fehlen);  an. 
vilia,  -lande. 

2  a.  Die  indicativische  Verwendung  des  alten  optativs 
musste  allmählich  den  wünsch  aufkommen  lassen,  für  den  opt. 
über  eine  eigene  form  zu  verfügen.  Diesem  bedürfnis  aber 
wurde  wgerm.  und  nord.  in  zweierlei  weise  abgeholfen:  es 
wurde  zum  inf.  und  part.  nach  dem  muster  der  -^o-flexion  ein 
neuer  opt.  geschaffen  oder  man  bediente  sich  für  den  zweck 
einer  entlehnung,  d.  h.  des  optativs  eines  formell  und  seman- 
tisch nahestehenden,  akslavischen  voljq,  volisi  'ich  will,  du  willst' 
etc.  entsprechenden  (zur  bezeichnung  von  'eligere'  noch  in  got. 
zvaljan,  ahd.  wellen  erhaltenen)  verbs  ivalliu,  ivalis  (bez.  ivalizi) 
etc.:  aws.  kent.  merc.  iville,  -en  (Sievers'  Gr.  §  428  mit  anm.  3. 4); 
an.  vilia,  viler,  -e  etc.  —  ahd.  welle,  -es(t)  etc.  (bekanntlich  mit 


*)  Für  tvilli  ik,  willik  der  Gen.  ist  synkope  von  ti  bez.  o  zwischen  j 
und  i  anzunehmen ;  iville  Gen.  210  kann  nur  Schreibfehler  sein  für  ivilleo 
oder  -eu. 


ZUM   VERBUM    WOLLEN.  299 

umlautsvoc);  north,  welle  (auch  in  imperativischer  Verwendung 
nette,  north,  merc.  netto]»,  ne  wettaj),  Sievers1  Gr.  $  428,  anm.  t) 
—  as.  «•////'■.  -us,  -ean,  -tan  und  weU(i)e,  -ies  etc.  (Schlüter 
§  283  mit  anm.  1.  .6);  mnl.  wille,  -es,  -et,  -en  und  seltnere  welle 
etc.  (s.  meine  Gr.  §  233  c);  aofries.  icillc  und  wette  (Aofries.  Gr. 
§309),  awfries.  wille  und  welle  (passim  als  1.3.  sg.  in  den 
quellen,  doch  ist  es  manchmal  fraglich,  ob  die  formen  als  opt. 
oder  als  ind.  stehen). 

Durch  den  opt  wurde  dann  der  plur.  ind.  beeinflusst,  d.  h. 
die  formelle  gleichheit  der  Stammsilbe  im  praes.  ind.  pl.  und 
praes.  opt.  der  1.  schwachen  flexion  (lange  auslautende,  durch 
i  hervorgerufene  consonanz,  im  Gegensatz  zur  2.  3.  sg.  ind.  mit 
kurzem  conson.)  veranlasste  anschluss  des  ind.  pl.  an  den  opt.; 
für  die  reflexe  von  got.  wileima,  -<i/>.  -ihm  traten  ein:  aws. 
merc.  willad  (kent.  belege  fehlen);  an.  viliom,  -tum,  -e]>  bez. 
-in,  -m  -  ahd.  wellemSs,  -tu  -et,  -< nl  (north,  jedoch  keine  formen 
mit  e,  sondern  mit  a,  worüber  unten  sub  3)  —  as.  williad,  -ead, 
-int,  -c<d  und  welliad,  -ead,  -int,  -(<')"<>  mnl.  willen,  -(e)t  und 
seltnes  gi  weit  (s.  meine  .Mnl.  Cr.  §  -J:!3c);  aofries.  wittat(h)  und 
irrüni(h)  (Gramm.  §309),  awt'iies.  uillat,  -et(h)  und  wellat  (Pauls 
( i i'd r.  1-,  1332).  Nach  dem  muster  des  opt.  und  des  pl.  ind. 
aber  entstanden  im  inf.  und  part.  ahd.  wetten,  -enti  (kein  beleg 
der  alten  türm  mit  /),  as.  weUian  neben  wiUian  etc.  (für  das 
part.  begegnen  nur  formen  mit  i,  s.  oben). ') 

k2 ,/.  In  der  2.  3.  sg.  ind.  behauptete  sich  in  der  regel  in- 
folge ihres  kurzen  /  die  aus  dem  alten  opt.  stammende  form, 
und  durch  anlehnung  hieran  blieb  auch  in  der  für  die  1.  Bg. 
verwanteii  bildung  trotz  ihres  II  meist  j  erhalten  (&  oben  1  I. 
Als  neubildungen  linden  --ich  indessen: 

für  die  Lsg.  neben  williu  etc.  auch  as.  wett(t)u, -eo  (Schlüter 
§  •_!-■'-.  anm.  1.  6)  durch  aualogiebildung  nach  den  andern  formen 
mit  j  und  t  (wellia  C.  3829  ist  Bchreibfehler  für  welUu  oder 
mnl.  neben  normalem  ic  will  mitunter  erscheinendes  ie  wette 
(meine  lfnl.gr.  §  233  c);  afriea  neben  wil(le)  auch  wel{le)  (für 
viele  belege  wäre  aber  auch  an  einen  opt  zu  denken);  north. 
(Sievers' Gr.  §  128,  anm  ti  neben  ritte, -o  auch  in  L)  wodllebex. 
•o  (wegen  des  n   s.  unten  I); 


niiKil  im  merc  l'-  \e  ( !'••  itr.  9,  565)  hat 

derson-t  in  dieser  quelle  begegntu«U-n  t-fonnen  «"1  fQr  Schreibfehlern  geltes. 


300  VAN  HELTEN 

für  die  2.  3.  ahd.  as.  neben  wili  begegnende  wilis,  -it 
(Braunes  Gr.  §  385,  anm.  2;  Schlüter  §  283,  anm.  3.  4)  mit  aus 
der  normalen  flexion  entlehnten  -s,  -t;  desgleichen  durch  Um- 
bildung der  alten  formen  nach  der  normalen  conjugation 
awfries.  ivilt  3.  sg.,  mnl.  du  wil(le)s,  hi  ivil(le)t  und  (nach  meiner 
Mnl.  gr.  §  233  c  mit  e  durch  anlehnung)  du  weis,  hi  weit,  wn. 
vill  (selten  vil,  vilr,  s.  Noreens  Altisl.  gr.  §  522, 7),  on.  vilQ)  als 

2.  3.  sg.; 

für  die  2.  neben  wili  erscheinendes  ahd.  as.  wilt  (Braunes 
Gr.  §  385,  anm.  2;  Schlüter  §  283,  anm.  3),  ags.  wilt  (nie  die  alte 
form  wile),  awfries.  wilt,  aofries.  weit  (e  für  i  durch  anschluss 
an  die  praesensbildungen  mit  eil;  kein  afries.  beleg  für  wili 
bez.  -e  oder  ivele),  mnl.  wilt  und  (mit  durch  anlehnung  hervor- 
gerufenem e)  weit  (Mnl.  gr.  §  233  c),  an.  ivilt  (neben  oben  be- 
regten vill,  vil,  vilr);  dass  dies  -t  aus  der  flexion  der  praeterito- 
praesentia  stammt,  ist  längst  erkannt,  doch  blieb  bis  jetzt  der 
factor  der  neubildung  unauf gehellt:  von  formeller  beeinflussung 
kann  hier  natürlich  nicht  die  rede  sein,  weil  die  andern  persons- 
formen  des  verbs  nicht  zu  scal,  sculum  etc.  stimmen;  denkbar 
ist  nur  (vgl.  Holthausens  Altsächs.  gr.  §  479,4)  directer  anschluss 
an  semantisch  und  durch  seinen  auslaut  auch  formell  nahe- 
stehendes scalt  (vgl.  auch  in  Francks  und  in  meiner  Mnl.  gr. 
§  170  bez.  233  &  hervorgehobenes  mnl.  nach  du  scout  gebildetes 
du  wout); 

nach  dem  muster  von  scalt,  scal  neben  wilt  der  2.  für  die 

3.  in  schwang  gekommene  endungslose  form,  as.  wil  (Schlüter 
§  283,  anm.  4),  north,  wil  (Sievers'  Gr.  §  428,  anm.  4),  afries.  wil 
(Aofries.  gr.  §  309  und  v.  Richth.  zu  ivilla),  mnl.  wil  (insofern 
es  nicht  durch  in  der  jüngeren  spräche  erfolgte  apokope  für 
wille  steht);  ebenso  aofries.  wel  nach  weit;  in  an.  vil  könnte 
ausser  der  aus  vill  gekürzten  form  auch  durch  vilt  hervor- 
gerufene stecken  (ahd.  junges  wil  Notk.  ist  aus  wile,  vgl.  oben  1, 
apokopiert). 

3.  Ausserdem  sind  noch  als  durch  anlehnung  entstandene 
bildungen  zu  verzeichnen: 

für  die  3.  sg.  ind.  verwante  as.  north,  will  (neben  wil,  s. 
Schlüter  §  283,  anm.  4;  Sievers  §  428,  anm.  4),  ahd.  ivilli  (für 
normales  wili,  Braunes  Gr.  §  385,  anm.  2),  mnl.  wille  (neben  auf 
Vorstufe  wili  hinweisendem  ivele,  vgl.  oben  1),  aws.  kent.  merc. 


ZUM   VERBUM    WOLLEN.  301 

wille  (neben  wile,  Sievers  §  428,  anm.  1.  3.  4)  mit  //  durch  an- 
lehnung  an  die  flexionsformen  mit  regelrecht  cm  W;  umgekehrt 
aonfrk.  zweimal  belegtes  wilunt  (Gramm.  §  126),  aws.  rnerc, 
wile  opt.  (neben  tville,  Sievers  §  428,  anm.  1.  4); 

north,  walktft,  -as,  -on  pl.  ind.  und  iinper.,  deren  a  durch 
anschluss  an  das  praet.  wähl-  oder  ivald-  (woraus  historisches 
walde,  s.  nuten  4)  für  das  c  eintrat  von  nach  dem  opt.  welle 
(s.  oben  2)  anzusetzendem  welhut  (vgl.  Sievers  in  Beitr.  9,  565), 
also  gewissermassen  eine  parallele  bildet  mit  dem  voc.  von  an 
icolta,  wolde  oder  deren  Vorstufe  angelehnten  ahd.  wollemes, 
-rn,  -et,  -cnt,  wolle,  wollen,  -cnti  (Braune  §  385,  anm.  4),  aofries. 
ivol(le)  opt.  (Gramm.  §  309),  awfries.  wol(le)  opt.  bez.  ind.  (was 
die  1.  3.  sg.  betrifft)  HO  32.  33.  40.  43.  50.  53.  87.  92.  102. 
115.  130.  161.  192  etc.,  SchO  462.  706.  751,  wollet,  -ith  ind. 
pl.  H  67,  Seh  341.  343.  617.  653.  657.  659.  726.  736.  771.  772, 
wollawy  Seh  469,  wolla  laja  Seh  724;  nur  ist  für  das  north,  zu 
beachten,  dass  hier  das  a  auf  den  ind.  und  imper.  beschränkt 
blieb  infolge  des  umstandes,  dass  ehemals  neben  praet.  ind. 
walde  oder  -a  ein  praet.  opt.  mit  ce  stand  (ein  residuum  dieses 
umgelauteten  modus  wcelde  wurde  Beitr.  9,  566  hervorgehoben); 
durch  einwirkung  von  alten  wcelde  oder  -i,  -en  oder  -in  ent- 
standen im  opt,  (und  imper.)  von  Sievers  in  seiner  Gr.  §  428, 
anm.  4  neben  welle,  nelle,  -a]>,  -ad  verzeichnete  north,  wcelle, 
nasUe,  -ad,  -as  opt.  und  imper.  (hiernach  in  L  wcelle,  -o  als  1.  sg. 
ind.,  vgl.  oben  20); 

aws.  neben  ic  nylle,  da  nylt,  he  nyle,  nylle,  pl.  nyllaS,  opt. 
nylle,  nyle  (aus  n(e)wiUe  etc.)  begegnende  nelle,  neU,  nele, 
villmi,  nele,  die  mehrerer  gründe  wegen  nicht  nach  Beitr. 9, 565 
auf  iKicnij-,  n6wbl\  etc.  zurückzuführen  sind,  Bich  aber  einfach 
begreifen  als  durch  die  negation  ne  beeinflnsste  bildungen 
(neben  aus  n{e)witan,  n(e)wi8ia  etc.  hervorgegangenen  nytan, 
nyste  etc.  kein  netan,  neste  etc.  durch  launenhaftes  spiel  der 
anlehnung);  eine  gleichartige  bildung  repräsentiert  aofries. 
(rfistr.)  aeben  wili  8.  Bg.  ind.  Btehendes  neli  (Vorstufe  nyli 
aus  n(e)wili,  Beitr.  ,'J2.  r>;ü),  dosen  e  durch  n<  vor  der  in 
Beitr.  ;;-j,  524  erörterten  la ut gesetzlichen  entwicklung  zu 
schützt  wurde  (aus  neli  entstand  daneben  auch  in  B  belej 


'i  Wegen  dieser  siglen  B.  Beitr.  L9, 845,  fOMO. 


302  VAN  HELTEN 

nelc  durch  den  in  Beitr.  32,  522  sub  y  hervorgehobenen  laut- 
process). 

4.  Wegen  der  ältesten  der  überlieferten  praeteritalformen, 
ahd.  ivolta,  as.  aonfrk.  woläa,  aws.  kent.  merc.  afries.  ivoläe, 
nolde  s.  Beitr.  34, 133.    Daneben: 

as.  walda  C.  301.  714,  north,  merc.  walde  durch  entlehnung 
eines  zu  alten  ualliu  etc.  stehenden,  mit  salda,  talda  etc.  (s. 
Beitr.  a.a.O.)  in  eine  Knie  zu  stellenden  praeteritums; 

mit  aus  dem  praes.  entlehntem  i  oder  e  got.  wilda,  mnl. 
wilde  (neben  woude  aus  altem  tvolda),  awfries.  (neben  normalem 
wolde  überliefertes)  wilde  W  425,  4.  431, 19,  H  75.  106.  157. 
169.  170.  177,  an.  wilda,  -e,  as.  ivelda,  ahd.  welta,  aofries.  weide 
(neben  ivolde,  s.  Gramm.  §  309),  awfries.  weide  H  157  (im  druck 
falsches  wolde)  und  180. 

LXXVIII. 

Zu  -st{-)  und  -ft  von  got.  -brunsts,  ahd.  brunst  etc., 

ahd.  cumft  etc.  und  verwantes. 

Die  existenz  von  altem  german.  formans  -sti-  ist  nicht  zu 
leugnen  mit  rücksicht  auf  ahd.  quist  l Verderbnis'  zu  lit.  gendü, 
gesti  intr.  'verderben',  got.haifst  'streit',  ags.  hcest  'heftigkeit' 
neben  aisl.  heipt  'hass',  ahd.  giswulst  zu  swellan  (vgl.  Brug- 
manns  Grdr.  22,  437;  daselbst  auf  h  zurückgeführtes  11  von 
swellan  däucht  mich  aber  unwahrscheinlich:  ahd.  swilo,  swil 
1  schwiele'  weisen  auf  eine  wurzel  mit  l  hin  und  die  an- 
setzung  einer  wurzel  sivelz  entbehrt  ohnehin  einer  stütze). x)  Ob 
aber  das  -st{-)  und  -ft  von  got.  -brunsts,  ahd.  brunst,  as.  ahd. 
Jcunst,  afries.  kenst,  mhd.  munst  'freude',  ahd.  runst  'wasser- 
sturz',  got.  ansts,  aisl.  ost,  ags.  est,  as.  ahd.  anst,  abunst  etc.2), 


1)  Von  Br.  a.a.O.  erwähnte  aisl.  Must  (as.  lüust  'gehör,  ohr',  ags.  Jilyst, 
awfries.  hlest  'gehör'  etc.)  und  mhd.  bhwst  'Wüte'  lasse  ich  hier  beiseite: 
ersteres,  dem  aid.  Srustiß  'Willfährigkeit'  entsprechendes  nomen  kann  auf 
eine  wurzel  Mus  zurückgehen,  für  bluost  wäre  denominative  bildung  aus 
bhlös  =  lat.  flos  denkbar.  Nicht  hierher  gehört  auch  a.  a.  o.  als  ahd.  auf- 
geführtes und  aus  *truht  =  aisl.  droit  'schar,  gefolge'  abgeleitetes  trust: 
das  wort  =  'schütz'  bez.  'schützende  gef olgschaft '  etc.  ist  salfr.  und  gehört 
als  -ti-stamm  zu  aisl.  traustr  'sicher,  fest',  ahd.  tröst  'schütz,  Zuversicht', 
aisl.  traust  'Zuversicht'. 

2)  Ahd.  (ca)spanst  'Verlockung'  ist  wegen  afries.  sponst  als  ursprüngl. 
-stfw-stamm  zu  fassen. 


-ST(-)   UND   -FT  VON   GOT.   -BRÜNSTS  ETC.  303 

und  ahd.  vHHtfl.  numft  assumtio,  vernumß,  mmfi  •Geschicklich- 
keit', brumfl  'brunfl ',  giswumft  'das schwimmen'  nach  Zs.fda. 
40, 333  ff.  ebenfalls  ohne  weiteres  als  die  repräsentantefl  bez. 
fortsetznngen  von  altem  sti-  zu  galten  liaben,  dürfte  zweifel- 
haft sein:  es  musste  bei  der  Bonstigen  Seltenheit  von  -s&-formans 
zu  sonderbar  erscheinen,  dass  diese  endung  grade  bei  der  bil- 
dnng  von  derivaten  aus  auf  nasal  auslautenden  wurzeln  so 
auffallend  bevorzugt  wäre.  Brugmanns  annähme,  n]>  zu  nsfr, 
woraus  nst,  und  mfr  zu  mffr,  woraus  mft,  ist  nicht  plausibel 
wegen  anfror,  finfran,  nanfrjan,  tunfrus  etc.  und  hiermit  corre- 
spondierender  wgerm.  und  an.  bildungen  sowie  wegen  rand  aus 
romt'  (vgl.  Michels  in  IF.  14,227;  Franck  in  Zs. f da. 46, 334). 
.Michels  denkt  für  die  entstehung  von  -nst-  an  zwei  factoren 
(IF.  14,228):  entwicklung  (bei  raschem  sprechen)  einer  »gelegen- 
heitsform  brunsfrie  mit  parasitischem  s  und  durchführung  solcher 
-s-formen  durch  anlass  von  dursjrie,  lispiz,  vielleicht  auch  von 
runsfria,  on*friß\  aber  solche  gelegenheitsformen  stimmen  gar 
wenig  zu  den  intact  gebliebenen  anfror,  finfran  etc.  und  bevor- 
zngung  von  brunsfriz  etc.  durch  anlass  von  lisfria  etc.  isl  auch 
eben  nicht  evident.  M.  e.  liegt  die  Sache  ganz  einfach  bei 
der  annähme,  dass  in  einer  oder  etwa  zwei  der  aberlieferten 
-ftfff-bildungen  altes  sti-  vorliegt;  so  vorhandenes  -itsti-  konnte 
das  mnster  abgeben  für  die  anderen  derivata  mit  -ndi-  bez. 
-nfri-,  von  denen  sich  noch  einige  sporadische  reste  finden  in 
got.  gahunds  xt  tOfiovij  ('Überzeugung')  und  gakunfrs  "das  bekannt 
werden  (ufgakunfrai  •beim  ersten  auftreten  Jesu'  dQx6(isvoc, 
Luk.3, 23),  gamunds  'Gedächtnis',  ev.  auch  aisl.  gfund  (wenn 
hier  -ft-stamm  vorliegt ).  | 

Nach  dem  mnster  gedachter,  ehemals  vor  dem  vordringen 

von  -nst-  mit  -//</-  he/.  -)iji-  limi  -nst-  gesprochener  bildungen 
konnten  rieh  oeben  derivata  mit  -nnti-  bez.  -mfri-  oeubildungen 
mit  -msti-  entwickeln;  daher  neben  %ot.*gagum}  nmlung', 

aisl.  8amkund  •Zusammenkunft '  (wenn  hier  nämlich  -/'/-stamm 
vorliegt),  ahd.  gummt  conventio,  ungunmt  dissenuo  (Graff 
•"»,  666  f. ).  ahd.  pinum8t  distractio,  vernunut,  wir-, /ir-,  vernunst 
(Graff  _.  1076),  aonfrk.  vamunst,  mncL  vomumst,  monfrk.  mnl. 


'i  Kur  nM. b§gtm$t 'ani  ptmtt 'ggtpimitt1  Istwol  entttehug 

Mob  dem  mnitei  von  nmst,  bnmst  zu  nimm,  brmntn  Minnehmn. 


304  VAN  HELTEN 

getunst,  getonst  pactum  (Berner  gloss.,  Teuth.,  Mnl.  wb.),  mncl. 
kumpst,  Jcomst,  mnl.  monfrk.  comst.  Solche  -mst- formen  aber 
liegen  offenbar  den  belegen  mit  -mft-  bez.  -nft-  zu  gründe, 
näml.  ahd.  binumft,  vernumft  (beachte  auch  die  mischform  ver- 
numfst),  mnd.  vomunft,  monfrk.  Vernunft  (Teuth.),  ahd.  zumft, 
as.  mistumft  'Zwietracht',  aonfrk.  gehtnft  pactum  (wenn  dieser 
einzige  beleg  nicht  Schreibfehler  repräsentiert  für  getunst,  vgl. 
monfrk.  getonst,  getunst),  ahd.  brumft  'brunft',  giswumft  'das 
schwimmen':  entstehung  von  mft  über  mfst  aus  mst  (vgl.  Franck 
in  Zs.  fda.  46, 334  f.;  nur  ist  zu  beachten,  dass  ft  aus  fst  in 
mnl.  herft  'herbst',  proeft  'probst'  nicht  in  eine  linie  zu  stellen 
ist  mit  der  entstehung  von  mft  aus  mfst,  wo  das  m  dem  f  zum 
sieg  über  s  verhalf1)). 

Neben  oben  beregtem  *gaqumps  (flect.  -pim)  begegnet  got. 
andanumts  'annähme'  (flect.  andanumtais);  die  vielgedeutete 
form  erklärt  sich  ohne  mühe  bei  berücksichtigung  der  aus  -ts 
der  2.  dualis  (=  aid.  -tlias)  hervorgehenden  vorgot.  entwicklung 
von  -ts  über  -J)s  aus  -p  -f  vocal  -f-  s  oder  z\  andanumts  mit  aus 
dem  nom.  sg.  stammendem  -ts  (für  -piz)  gegenüber  bajöps,  dulps, 
Jcunps,  munps,  bleips  etc.,  die  durch  ein  Wirkung  der  flectierten 
formen  ihr  -ps  behaupteten. 

Dass  für  -st  der  2.  sg.  ahd.  haust,  as.  banst,  farmanst  und 
für  -sta  der  praeterita,  ahd.  (bei  0)  Jwnsta,  gionsta,  as.  Jconsta, 
-onsta,  formonsta,  die  annähme  von  analogiebildung  auf  der 
hand  liegt,  wurde  bereits  von  Kluge,  Collitz  und  Franck  be- 
tont (Zs.fda.  46,332  f.;  vgl.  auch  Beitr.  28,234  und  34, 1352)). 
Franck  hebt  (Zs.  fda.  a,  a.  o.)  neben  leonsta  etc.  auch  zu  biginnan 
ibiienna)  stehendes  praet.  mit  -st-  hervor,  ahd.  bigunsta  Is., 
aonfrk.  begunsta,  as.  bigonsta  Beichte  und  Greg,  gll.,  aofries. 
bigonste  R1,  woneben  ahd.  pigunda,  bigonda  (selten  neugebil- 
detes pigunta,  begonta),    aofries.  bigunde;    er  beanstandet  mit 

x)  Franck  erblickt  (Zs.  fda.  46,  33G)  unter  berufung-  von  mnl.  heilster, 
dorste  (prt.  zu  clorven),  bedorste  '  bedürf nis '  neben  Jialfter,  dorfte,  bedorfte, 
in  mnl.  comst  etc.  neubildungen  mit  st  aus  ft. 

2)  Zu  daselbst  über  Tcunpa  bemerktem  sei  nachgetragen,  dass  mit  rück- 
siebt auf  das  Beitr.  34, 137  hinsichtlich  der  accentuierung  des  periphrastischen 
praeteritums  erörterten  die  berechtigung  der  ansetzung  von  durch  wechselnde 
betonung  der  Wurzelsilbe  hervorgerufenen  doppelformen  mit  p  und  d  frag- 
lich ist. 


-57-   DND   -FT  VON   GOT.   -SRUNSTS  ETC. 

recht  die  deutung  der  formen  als  analogiebildungen  aacb  onsta 
(unsta),  onda  etc.,  fasst  aber  die  möglichkeil  ins  ange,  dass 
bigonda  etc.  als  aus  altem  -fo-part.  stammendes  praet  wie 
worhta,  brühta  zu  beurteilen  sei.  Doch  ist  hier  die  tatsache 
nicht  zu  übersehen,  dass  neben  bigtmsta  etc  aus  den  alten 
Bprachperioden  kein  schwaches  pari  belegt  ist  (aofries.  m(fy 
gunst  incisus,  A.ofries.gr.  §270,  anm.2,  entstamml  einem  jungen 
denknial.  kann  demnach  für  analogiebildung  gelten).  Ich  möchte 
endes  vermuten:  zu  biginnan  stehendes  starkes  praet.  bigan 
'ich  halte  angefangen'  eignete  sieh  zu  Verwendung  in  der  be- 
deutung  'ich  bin  beschäftigt';  zu  solchem  praeterito- praesens 
ki mute  schwaches  praet.  nach  art  von  hwnpa  bez.  -sta  etc. 
gebildet  werden;  in  der  bedeutung  'ich  war  beschäftigt1  fiel 
dies  praet  semantisch  zusammen  mit  als  plusquamperf.  ver- 
wantem  bigan  'ich  haue  angefangen';  so  aber  lag  die  mög- 
lichkeil vor,  das  schwache  praet  auch  sonst  für  bigan  (als 
imperf.  oder  perf.)  zu  verwenden;  als  in  der  folge  das  prae- 
terito-praes.  ausser  gebrauch  kam.  blieb  das  schwache  praet 
als  doppelform  neben  bigan  erhalten. 

.Ms  anhang  ein  paar  werte  über  got  saisösi  Die  an- 
nähme von  analogiebildung  ist  hier  ausgeschlossen:  quap,  bigat 
etc.:  quast,  bigast  etc.  =  saisö  \  saisösi  repräsentiert  keine 
als  giltig  anzuerkennende  proportion.  Der  gedanke,  dass  bei 
der  Verallgemeinerung  von  -t  als  personalendung  in  saisöp  die 
regelrecht  entwickelte  endung  erhalten  wäre,  woraus  später 
durch  anhängung  von  /  saisöst,  dürfte  ebenfalls  nicht  ein- 
leuchtend erscheinen,  leb  möchte  den  umstand  hervorheben, 
dass  saisösi,  dem  kein  anderer  beleg  für  die  2.  Bg.  praet  gleich- 
artiger verba  zur  seite  steht,  nur  einmal  (Luk.  19,21)  über- 
liefert ist  Es  erhebt  Bich  demnach  die  frage,  ob  die  Über- 
lieferung wo!  unverdächtig  ist  und  das  s  In  st  nicht  etwa 
eine  durch  voran..  -  .-■  veranlasste  dittographie  reprfl 

tiert  (wegen  Bolcher  copistenfehler  v-1.  Beitr.  25,233d).] 


Mtrig*  zur  geschieht«  Jcr  JeuUchen 


306  VAN    HELTEN 


ZUR  ETYMOLOGIE  VON  BRAUT. 

Von  Braune  in  diesen  Beitr.  32,  30  ff.  semantisch  beleuch- 
tetes gerui.  brü])s,  brüd  etc.1)  ist  zweifelsohne  zum  ital.  bei- 
namen  der  Venus,  Frütis  oder  Frutis,  zu  stellen  (s.  Beitr.  32, 
58  f.  und  34,562;  wegen  nicht  zu  fixierender  quantität  des  u 
vgl.  von  Kluge  an  letzter  stelle  bemerktes).  Dagegen  ist  in 
Corssens  Aussprache  22,  206  mit  Frutis  verknüpftes  lat,  frutex 
fernzuhalten,  folglich  dieses  wort  auch  nicht  zu  bmps  etc. 
zu  stellen:  ' Strauch,  staude'  lässt  sich  schwerlich  weder  mit 
der  von  Braune  dem  germ.  subst.  zuerkannten  grundbedeutung 
'beischläferin'  noch  mit  der  von  Kluge  (Beitr.  34, 565)  für 
das  nomen  als  denkbar  erachteten  semantischen  basis  'brot- 
kneterin'  noch  auch  mit  einer  grundbedeutung  'die  sich  ver- 
mählende' (s.  unten)  vereinbaren.  Ich  möchte  aksl.  bra-ki 
'nuptiae'  beiziehen,  dessen  auf  o  zurückzuführendes  a  auf  altem 
langdiphthong  öu  beruhen  kann,  zu  dem  der  stamm vocal  von 
Frütis  und  brups  etc.  im  ablau  t  stand.  So  hätten  das  ital. 
und  das  germ.  wort  zu  gelten  als  -fr'-derivatuin  mit  ursprüng- 
licher bedeutung  'ehe';  daher  Frutis  als  bezeichnung  für 
'göttin  der  ehe'  (vgl.  Venus  'göttin  der  wonne'  =  aid.  vanas 
'wonne')   und  vorgerm.  bhrütis  =  'diejenige,  an  der  die  ver- 


J)  Den  gedachten  erörterungen  gemäss  sind  auch  für  in  den  afries. 
quellen  begegnendes  breid  die  bedeutungen  'braut  am  hochzeitstage'  und 
'neuvermählte'  geltend  zu  machen: 

als  hy  syn(e)  breid  hallet  bez.  holet,  und  htvSrso  een  man  syn  breyd 
haleth  (belege  in  v.  R.'s  Wb.)  —  sä  fulgat  thio  breyde  tha  lyke  (des  im 
brautzuge  erschlagenen  bräutigams)  (bei.  Zur  alt  o  st  Mos.  lexic.  27); 

thiu  breid  ...  biräivat  ...  Iure  stiürcgonges  (des  kirebganges),  und 
hwsrsa  ma  ene  breid  biräivat  ande  hire  kereJcgonge  (belege  in  v.  R.'s  Wb.), 
sowie  Thiu  breid  ...  biräivat  hire  fiuurgonges  iefta  stiürcgonges  v.  R.  E1 
232, 1  ff.;  vgl.  hiermit  Zur  altostfries.  lexic.  38  aus  F  citiertes:  and  hio 
breydelike  (als  neuvermählte)  sinne  (des  ehemannes)  bethselma  (bettstelle) 
urstöp  (beschritt)  and  on  tha  bedde  hire  llives  nette  (genoss)  mitha-monne 
and  a  morna  (am  morgen  darauf)  uystöd,  to  tzürTca  geng  etc.;  in  bezug 
auf  hire  fiuurgonges  gilt  breid  für  'braut  am  hochzeitstage'  (vgl.  obigem 
citat  aus  F  vorangehendes  Thet  thio  frie  Fresinne  hörne  on  thes  freia  Fresa 

were  (besitz) müh  bekana  brande,   d.h.  'beim  leuchten  der  hochzeits- 

feuer'). 


ZUB    ETYMOLOGIE  von   BRAl  307 

ehelichung  zutage  tritt',  d.h.  'die sich  vermählende,  die  braut 
am  hochzeitstage'.  Aus  solcher  hedeutung  aber  Lassen  Bich 
alle  die  von  Br.  für  brups  etc.  hervorgehobenen  anstandslos 
herleiten: 

einerseits  durch  Übertragung'  von  antecedens  auf  das 
Beqnena  'neuvermählte'1),  woraus  durch  beziehung  der  jungen 
ehefran  auf  die  eltein  des  sohnes  'Schwiegertochter'  bez.  durch 
begriffserweiterung  'gattin'  (aus  'gattin'  auch  gelegentlich 
durch  begriffserweiterung  'weib',  7gl.  Hein-.  32, 52); 

andererseits  durch  begriffserweiterung  "die  sich  über  kurz 
oder  lang-  vermählende',  also 'verlobte',  woraus  ebenfalls  durch 
erweiterung  'heiratsfähige  Jungfrau';  [man  beachte  in  Beitr. 
32,  49  angeführtes  mengl.  brud,  bruid  etc.  "junges  weib, 
mädchen1  sowie  in  Zs.  f .  d.  wortf .  L,246  nach  Delbrück  hervor- 
gehobenes neuslav.  nevjesto  -verlobte'  und  'erwachs 
mädchen'  und  vgl.  auch  ndl.  vrijster  ■■  =  'verlobtes  mädchen' 
und  'heiratsfähiges  mädchen'  (in  beiden  bedeutungen  nur  ver- 
wanl  für  mädchen  onteren Standes)  und  •unverheiratete-  frauen- 
zimmer'  (in  dem  ausdruck  oude  vrijster  'alte  Jungfer1 

Wegen  entstehung  einer  gelegentlichen  mnl.  mhd.  bedeu- 
tung  'illegitime  beischläferin'  und  wegen  Verwendung  von 
mhd.  briuten,  mnd.  mnl.  bruden  in  als  Schreibung  für  u)  'be- 
Bchlafen'  vgL  Beitr.  34, 562  l  Eine  parallele  zur  oben  erörterten 
begrifflichen  entwicklung  bieten  zu  krimgot.  mareus  'nnptiae 
zu  stellendes  lit.  martt  •braut  am  hochzeitstage',  'junge  ehe- 
trau'.  'Schwiegertochter',  kret  fid^rtq 'Jungfrau' (  'die  heirats- 
fähige'). 

Eine  wesentliche  stütze  erhält  die  vorgeschlagene  deutung 
durch  in  Beitr.  32,  LI,  Eussn.  aus  den  Ahd.  glL  citierte,  zu  nurus, 
bruta  stehende  proatun,  ->>>i  EU  und  K'.  bröl  Clm.  LS002,  wofür 
Braune,  offenbar  als  ootbehelf,  die  Vermutung  aufstellt,  dasa 
hier  eigentlich  prui  als  Übersetzung  von  nurus,  bruia  gemeint 
war  bez.  brbt  als  Bchreibfehler  für  brui  zu  gelten  hatte.  Kluge 
erhebt  Beitr.  34,565    Lii  h  ige,  ob  in  proatun, -on  nicht  od  als 

'»  Als  genaue  entaprechangen  begegnen   >i'"-i  ..  'braut, 

brantigam  am  bochaeitstage'  and  'jnngi  ehemann'. 

Eine  ähnlich«  i    t Dachtet  man  in  ahd.  gemakeio,  -</.   mhd. 

iirinuhth.  i  'verlobte^)'  und  'verheirateteOr)',  mint,  tponsus, -«  '▼erlol 
and  'nenrennlhlte(r)'. 


308  VAN   HELTEN 

Schreibung  für  aus  altem  au  contraliiertes  ö~a  vorliegen  dürfte 
und  das  wort  demnach  auf  bröt  zu  beziehen  wäre,  so  dass  die 
parallele  desselben  mit  ags.  Mäßige  in  ihr  recht  träte  und 
ein  bei  fassung  von  proatun,  -on  als  obliquem  casus  anzusetzen- 
des schwaches  femininum  brota  sowie  damit  zu  verbindendes 
brät  als  koseformen  zu  einem  volltypus  wie  hlcefdige  zu  ver- 
stehen wären.  Nun  könnte  man  allerdings  das  oa  der  Ra- 
und  der  K-glosse  als  die  nach  Kögel  (Zum  Ker.  glossar  23.  24) 
neben  normalem  o-zeichen  mitunter  für  öa  verwante  Schreibung 
gelten  lassen.  Was  aber  dann  mit  bröt  in  Clm.  13002  anzu- 
fangen, das  nur  bruot  repräsentieren  kann,  indem  broat  (die 
bröt  überliefernde  hs.  hat  bekanntlich  o  zur  darstellung  sowol 
von  ou  als  von  uö)  aus  lautgesetzlichem  grund  auszuschliessen? 
Ausserdem  aber  ist  nicht  zu  übersehen:  erstens  dass  gemäss 
Kögels  bemerkung  (Zum  Ker.  gloss.  151  f.)  Übersetzung  eines 
nom.  nurus,  bruta  durch  acc.  proaton,  -un  nicht  glaubhaft  er- 
scheinen kann;  zweitens  dass  wir  es  der  Überlieferung  zufolge 
in  proaton,  -un  und  bröt  mit  ausdrücken  zu  tun  haben  für 
'Schwiegertochter'  (nicht  für  'neuvermählte'  oder  'ehefrau'). 
Alle  Schwierigkeiten  schwinden  indessen,  wenn  man  in  oa  der 
normalen  Verwendung  dieses  Zeichens  gemäss  eine  Schreibung 
erblickt  für  aus  altem  o  entstandenen  diphthong  und,  dem  von 
Kluge  (Beitr.  34, 565)  gegebenen  fingerzeig  folgend,  -un,  -on 
(vgl.  Kögel  s.  151)  auf  alte  femin.  endung  -uni  (aus  -um)  zurück- 
führt, dem  diphthong  der  beiden  nominalbildungen  zu  gründe 
liegendes  u  aber  mit  dem  a  von  aksl.  bra-M  in  eine  linie  stellt, 
d.  h.  ebenfalls  auf  altes  öu  zurückführt.  So  erhalten  wir  ein 
mit  -ti-  gebildetes,  altes  verbalabstractum  bhrö(u)ti-,  das  durch 
Übertragung  der  alten  bedeutung  'ehe'  zur  bezeichnung  'einer 
durch  die  ehe  (des  sohnes)  erworbenen  tochter'  verwant  werden 
konnte;  hieraus  vorhd.  bröd,  das  direct  bröt  ergab1)?  indirect 
dem  proatun,  -on  zu  gründe  liegt,  das  durch  erweiterung  nach 
art  von  zu  brüt  gebildetem  nihd.  brütinne  entstand. 

Als  nebensächliches  betreffend  seien  ferner  an  Braunes 
dankenswerte  Untersuchung  noch  folgende  bemerkungen  an- 
geknüpft. 


*)  Ahd.  gll.  4, 89,  21  bald  nach  brbt  begegnendes  brbtigoum  braucht 
kein  Schreibfehler  zu  sein:  es  kann  eine  gelegentlich  durch  einwirkung  von 
brbt  für  brütigoum  eingetretene  neubildung  repräsentieren. 


ZUU   ETYMOLOGIE   VON   BRAUT,  309 

Statt  an  ehti  (d.h.  «fl  ehti)  'in  ehelichem  besitz'  in  Hei. 
507.2707  (slthor  sin  mannes  warth,  erlas  an  ehti  —  (hin  err 
sines  bruother  was  idis  an  ehti)  bietet  M  ant(h)ehtit  offenbar, 
wie  Br.  (Beitr.  32,32,  Eussn.  1)  bemerkt,  als  die  folge  des  um- 
standes,  dass  dem  Schreiber  von  M  besagte  wendung  unbekannt 
war.1)  Dass  indessen  dieser  copisl  in  der  nichl  verstandenen 
wendung  beide  male  gerade  an  zu  ant-  verderbt  hätte,  müsste 
auffallen.  Vielmehr  berechtigt  ant-  zur  Vermutung,  dass  wir 
es  hier  mit  einer  dem  Schreiber  d^s  M  geläutigen  und  von  ihm 
für  an  ehti  seiner  vorläge  eingesetzten  form  ant(h)ehii  (d.  h. 
antehtt)  zu  tun  haben,  d.h.  mit  einer  neubildung,  die,  nachdem 
die  alle,  nicht  mehr  als  präpositioneile  Verbindung  empfundene 
Windung  dem  in  den  unflectierten  casus  auf  -i  ausgehenden 
adjeetivischen  -io-stämmen  gleichgestellt  war,  sich  durch  ent- 
lehnung  des  ant-  von  antheti  •verlobt'  entwickelt  hatte. 

Die  tatsache,  dass  aus  westgerm.  dialekten  herrührende 
franz.  bru(t)  und  rhätoroman.  brit,  breit  als  benennungen  für 
'Schwiegertochter'  gelten,  während  in  den  westgerm.  quellen 
kein  bind,  brät  etc.  =  'nurus'  begegnet,  möchte  Br.  (Beitr. 
32,  1 1 )  so  erklären,  dass  das  wort  in  seiner  eigentlichen  be- 
deutung  "neuvermählte'  entlehnt  sei,  die  entlehnungen  aber, 
nachdem  sie  auch  für  •Schwiegertochter'  in  schwang  gekommen 
waren,  die  eigentliche  bedeutung  gänzlich  oder  etwa,  mit  nur 
vereinzelter  erhaltung  derselben,  aufgegeben  hätten  (in  ge- 
wissen nordfranz.  mundarten  gilt  lau  nach  Tappolet,  Die  roman. 
verwantschaftsnamen  b.  l  "'1  auch  für  'nouvelle  mariee';  doch 
ist  hieraus,  im  hinblick  ant  nun/s  \<rhwiegertuchter'  und  "junge 
ehefrau',  nicht  notwendig  auf  franz.  erhaltung  der  alten  be- 
deutung zu  Bchliessen).  In  gleicher  weise  wäre  nach  Br.  aus 
dem  ostgerm.  i  utlehntes  bt  utis  für  'Schwiegertochter1  in  schwang 
gekommen   {ßoovttg,  ,:»<■■  iheinen  als  benennungen  für 

'junge  trau*,   vgl.  Zs.f.d.wortf.l,240ff.);  got  in  Matth.  10,35 
belegtes  brüjts  sei  nur  gelegentlich  für 'nurus'  verwanl  (Beitr. 
->.  denn  ans  brüpfajts  gehe  die  eigentliche  bedeutung  <\<'< 
femin.   personennamens   hei  vor.     Doch   ist    nicht    einzusehen, 

')  Wegen  einen  der  u.  wendung  entsprechenden  salfrk.  an  Ehti  =  'in 
(dnreb  rerlobnng  erwirktem)  L  Beitr.  25, 829  f.  — 

ii  des  ndl.  auf  <ht  -ehr'  ('ehelicher  besitz1)  / u  iden  eehi  s. 

Tijdschr.  voor  nederl.  taalkttndi   - 


310  VAN   HEIZTEN 

warum  die  geltung  von  got.  brüps  für  'nurus'  nur  eine  occa- 
sionelle  sein  sollte  und  bmtis  'Schwiegertochter'  der  aus  dem 
Unterdonauland  herrührenden  inschriften  nicht  auf  directer 
entlehnung  aus  brüpis  'nurus'  beruhen  könnte.  Was  aber  die 
franz.  und  rhätoroman.  lehnwörter  betrifft,  so  möchte  man 
fragen,  ob  sich  nicht  eher  die  annähme  empfähle,  dass  in  den 
gebenden  (nfrk.  und  alem.)  dialekten,  wie  im  got.,  neben  'neu- 
vermählte' auch  die  hieraus  abgeleitete  bedeutung  galt  und 
die  entlehnenden  Franco-Gallier  bez.  KMtoromanen,  dem  be- 
dürfnis  nach  einem  ausdruck  für  'des  sohnes  frau'  genügend, 
ein  in  dem  sinne  verwantes  fränk.  bez.  alem.  wort  aufgenommen 
hätten;  begreiflicher  wäre  eben  solcher  Vorgang  als  der  oben 
erwähnte,  d.  h.  nicht  zielbewusste  entlehnung  von  brtid,  brüt 
'neuvermählte',  die  erst  indirect  zu  Verfügung  über  den  er- 
wünschten terminus  führen  konnte. 

Wegen  bruta  der  glossen  vgl.  Braune  s.  42. 


GAB  ES  EINEN 
GOT.  NOMIN ATIVUS  ABSOLUTUS? 

Die  heikle  frage,  ob  bez.  inwiefern  der  got.  sog.  absolute 
clativ  auf  einen  vom  finalen  verbum  des  satzes  abhängenden 
dativ  und  ein  diesen  casus  begleitendes  partic.  zurückgeht 
(vgl.  Streitbergs  Got.  gr.  §  260  und  die  daselbst  angeführte 
literatur)  oder  als  alte,  mit  aid.  absol.  locativ,  gr.  absol.  genetiv, 
lat.  absol.  ablativ  in  eine  linie  zu  stellende,  eigentl.  temporale 
construction  zu  gelten  hat,  lasse  ich  unerörtert.  Mich  auf 
feststehendes  beschränkend,  erinnere  ich  an  die  bekannte  tat- 
sache,  dass  der  gr.  gen.  absol.  von  Wulfila  nicht  selten  durch 
einen  mit  mippanei,  bipe  eingeleiteten  hypotaktischen  satz, 
einmal  auch,  in  Matth.  27,  57,  durch  einen  satz  mit  Jxm  über- 
setzt wird  (IJ)  J)an  seipu  icarp  =  'Otyiag  öl  ysvo(i£V7jg).  Durch 
beiziehung  letztgenannter  Version  wäre  m.  e.  dem  in  Mark. 
6,  21  überlieferten  jäh  ivaurpans  Hags  gatils  =  xal  ysvofiawrjQ 
?)fitQag  svxalgov  beizukommen.    Die  these  eines  nomin.  absol. 


GOT.    NOMINA TIVl'S    AB80LUTUS.  311 

liesse  sich  weder  mit  dem  syntaktischen  Charakter  des  nomina- 
tivs  vereinbaren  noch  als  die  folge  historischer,  durch  analogie 
beeinflusster  entwicklung  plausibel  machen;  und  an  waurjtans 
dags  gatils  als  analogiebildung  nach  der  von  Dietrich  in  Skei- 

reins  IAIII  t'i'..  von  Jellinek  in  An/,  fda.  29,  2*~>,  von  Streit- 
berg in  seiner  Got.  gr.  §  326  hervorgehobenen,  in  i!.  Cor.  und 
den  Skeir.  begegnenden,  auf  einer  neutestanient  liehen  eigen- 
tümlichen Verwendung  des  partic.  praes.  pro  verbo  finito  ist 
hier  ebenso  wenig  zu  denken.  Begreiflich  wäre  dagegen  ans 
der  feder  des  got.  Übersetzers  geflossenes  jäh  fian  warjt  dags 
gatils,  das  ein  copist,  der  neben  der  got.  vorläge  auch  einen 
gr.  oder  lat.  text  vor  äugen  hatte,  durch  anlass  von  yevofiivrjq 
i'i!tt''j('-  evxalQOv  bez.  facto  die  opportune»  in  waurjfrans  dags 
gatils  quasi  corrigierte. 

Für  die  andere  als  beleg  für  einen  got.  nomin.  absol.  an- 
geführte stelle,  urrann  sa  daupa  gabundans  ...  jah  wlits  is 
auralja  bibundans  (Joh.  11>44)  xal  /  oipig  avrov  ni,r<\ 
xsQuöiöero,  liegt  der  gedanke  an  ausgefallene-  was  auf  der 
band:  auch  demjenigen,  der  an  die  Möglichkeit  von  got.  nomin. 
absol.  glauben  möchte,  müsste  die  annähme,  dass  Wulfila,  der 
Bonsl  bekanntlich  der  absoluten  construetion  nicht  hold  war, 
hier  für  ein  verbum  tinituni  des  gr.  textes  ein  absolutes  partic. 
eingesetzt  hätte,  unstatthaft  erscheinen. 

GRONINGEN.  W.  VAN  SELTEN. 


ZUR  ERKLÄRUNG  DES  ERSTEN  MERSEBURGER 
ZAUBERSPRUCHES. 

lieber  den  gedankengang  des  ersten  Merseburger  Zauber- 
spruches schien,  ungeachtet  einiger  sich  an  verschiedene  worte 
noch  anknüpfender  fragen,  im  ganzen  eine  einheitliche  auf- 
fassung zu  herschen.  Namentlich  wurde  als  sicher  allgemein 
angenommen,  dass  die  dritte  zeile  von  einem  versuche  spricht, 
fesseln  eines  gefangenen  zu  lösen.  Dieser  auffassung  wider- 
spricht neuerdings  A.  Wallner  (Zs.  fda.  50, 214  ff.)  und  führt, 
teilweise  mit  E.  Wilken  (Germania  21,  218  ff.)  sich  berührend, 
aus,  die  handlung  von  vers  3  setze  die  von  v.  2  fort,  es  sei 
hier  nun  erst  recht  von  wirklicher  fesselung  die  rede,  und 
zeile  4  enthalte  den  dagegen  wirksamen  gegenzauber. 

Den  anlass  zu  dieser  abweichenden  erklärung  gaben  ihm 
bedenken  gegen  die  richtigkeit  der  Übersetzung  des  verbums 
clübön,  das  er  wegen  seiner  Verbindung  mit  cuonio  widi  im 
gegensatz  zu  der  bisherigen  auffassung  mit  ' fesseln,  binden' 
übersetzen  will.  Für  diese  bedeutung  scheinen  mir  jedoch  die 
nötigen  anhaltspunkte  zu  fehlen.  Die  entfernte  verwantschaft 
des  wortes  mit  'klaue'  kann  zugestanden  werden,  auch  dass 
in  der  Wortsippe  der  bedeutungswandel  'klaue  >  fessel'  bez. 
beim  verbum:  'mit  klauen  anfassen  >  fesseln'  denkbar  ist. 
Die  belege  für  einen  solchen  Übergang  aber  sind  spärlich  und, 
wie  es  scheint,  jung.  Für  mhd.  Jdouber  stf.  lässt  sich  an  den 
in  den  Wörterbüchern  verzeichneten  stellen  fast  ausnahmslos 
mit  der  bedeutung  'klaue,  krallen,  fest  zugreifende  hände'  aus- 
kommen, und  wo  übertragene  bedeutung  anzunehmen  ist,  wie 
Part.  684, 9  und  Wolfdietrich  533,  2  (ed.  Holtzmann),  steht  diese 
der  ursprünglichen  noch  recht  nahe.  Zu  beachten  ist  übrigens 
bei  den  mhd.  belegen,  dass  das  wort  stets  im  reim  steht  und 
zwar  bei  Rosenplüt  (Keller,  Fastnachtsspiele  1146)  im  reim  auf 


BUB  BBKLÄRUNG  D.  EB8TEM  MEB8EBÜRGEB  ZAUBERSPRUCHES.     31  I 

säubern  (swv.),  sonst  im   reim  auf  zouber;   es  verdankt   also 
seine  Verwendung  deutlichst  nur  der  reimnot 

Für  das  verbum  clübön  ist  ein  abergang  zur  bedeutung 
'fesseln'  weder  in  älterer  noch  neuerer  zeil  tatsächlich  belegt. 
Im  mini,  und  nlul.  uerschl  durchaus  der  begriff  'einzeln  auf- 
lesen, auslesen,  mit  den  fingern  loslösen1  oft  mit  dem  uebensinn 
dvs  mühsamen,  wie  es  im  Grimmschen  Wörterbuch  V  L029  ii. 
im  einzelnen  dargelegt  ist.1)  Ä.uch  die  mundarten  haben  das 
wort  in  derselben  bedeutung.  Jn  Hessen  (Crecelius,  Oberhess. 
Wörterbuch  >.~>" 1 1  Bagl  mau  geradezu  gerne  auseinander  Hauken. 
In  Thüringen  |  Bertel,  Thüringischer  Sprachschatz  s.  136)  wird 
leluwe  im  sinne  'mühsam  losspalten'  gebraucht  Im  Schwä- 
bischen heissl  es  'auslesen';  vgl.  bei  Birlinger,  Schwäbisch- 
^.ugsburgisches  Wörterbuch  s.  280  den  vers  der  Taubenkobler: 

Tanba  'rousz '. 

die  besta  chlaub  i  'rousz, 

die  koinza  lasz  i  liegen. 

Zu  dem  kind,  das  mit  den  fingern  etwas  aus  der  nase  bohrt, 
sagt  man  in  Colmar:  Mups"  vetjr  <>i  tr  nhs?  (vgl.  Henry,  Le 
dialecte  alamau  de  Colmar  s.  L73).  In  der  Schweiz  herschl 
dieselbe  bedeutung  (Schweiz,  idioticon  III  621):  man  vgl.  beson- 
ders 'Ii'1  Wendung:  an  etwas  ummen  chlübe  'von  einem  ding 
etwas  abzuklauben  suchen',  eigentlich:  an  etwas  mii  den  fingern 
herumarbeiten,  um  zu  versuchen,  etwas  davon  loszulösen.  Nicht 
anders  steht  es  im  bayrischen  Sprachgebiet;  man  vgl.  Schöpf- 
Bofer,  Tirolisches  idioticon  b.  321;  A..  Zaupser,  Versuch  eines 
bairischen  and  oberpfälzischen  Idiotikons  b.  12;  Unger-Khull, 
Steirischer  Wortschatz  b.  391;  Lexer,  Kärntisches  Wörterbuch 
b.  159;  Schmeller-Frommann,  Bayrisches  Wörterbuch1  I  1320  ff. 
her  abereinstimmende  gebrauch  in  älteren  und  jüngeren 
quellen  and  den  lebenden  mundarten  dürfte  für  ein  alles 
'fesseln'  kaum  räum  übrig  lassen.  Die  eigentliche  bedeutung 
des  Wortes  -"II  aber  nach  Wallner  nicht  zu  cuonio  uridt  passen, 
da  dies  aach  dem  Zeugnis  der  glossen  (Ahd.gL  I  204,32 
'kette1  bedeute.    Ich  glaube,  der  glossierung  wird  hier  doch 

i  Die  bedent  inj  pflücken',  darin  hal  \\ .  recht,  i>.»»m  allerdings  nicht 
in  den  Banbenprach;  sie  ist  aber  anch  nicht  ursprünglich  and  lütt<-  im 
Grimmschen  WOrterbach  Dicht  an  erste  stall«        eti  Uen. 


314  HELM 

zu  viel  gewicht  beigelegt,  zum  mindesten  hat  sich  Wallner  zu 
sehr  an  die  bedeutung  des  glossierten  lateinischen  Wortes  ge- 
klammert, die  für  die  ursprüngliche  bedeutung  des  deutschen 
Wortes  nicht  allein  ausschlaggebend  sein  kann.  Um  die  glosse 
richtig  zu  würdigen,  müssen  wir  fragen,  welche  deutschen 
worte  denn  dem  glossator  überhaupt  zu  Übersetzung  von  lat. 
catena  zur  Verfügung  standen.  Ein  genau  den  begriff  'eiserne 
kette'  widergebendes  germanisches  wort  gab  es  nicht.  Für 
das  gotische  zeigt  dies  das  schwanken  bei  Wulflla,  der  griech. 
aXvöiq  auf  verschiedene  weise  widergibt:  Luc,  8, 29  durch 
eisamabandi;  2.  Tim.  1, 16  durch  naudibandi;  Marc,  5,  3.  4  durch 
naudibandi  eisameina,  Ephes.  6, 20  durch  das  unserem  ahd. 
wort  entsprechende *)  Icunaivida.  Hätte  letzteres  dem  griech. 
genau  entsprochen,  so  wären  die  anderen  versuche,  das  wort 
zu  verdeutschen,  nicht  nötig  gewesen.  Das  deutsche  (hd.,  ncL, 
ndl.)  lässt  die  lücke  in  seinem  ursprünglichen  Wortschatz  schon 
daran  erkennen,  dass  es  das  lateinische  wort  entlehnt  hat,  die 
nordischen  sprachen  daran,  dass  sie  dieses  lehnwort  wider  aus 
dem  mittelniederdeutschen  übernahmen.-)  Die  ererbten  ger- 
manischen worte  hatten  eben  die  specielle  bedeutung  '(eiserne) 
kette'  nicht.  Hätten  die  glossator en  der  Rhabanisch-Keronischen 
sippe  nun  das  lateinische  catena  genau  sinngetreu  verdolmetschen 
wollen,  so  hätten  sie  das  lehnwort  verwenden  müssen.  Wenn 
sie  das  nicht  getan  haben,  so  können  wir  vermuten,  dass  sie3) 
es  noch  als  fremd  empfanden.4) 


1)  An  der  Zusammengehörigkeit  unseres  Wortes  mit  dem  Jchunaivithi 
der  glossen,  dem  got.  und  ags.  wort  halte  ich  trotz  Grienberger,  Zs.  fdph. 
27,  444  ff.  fest.  Man  kann  aus  der  schreibuug  eines  absterbenden  Wortes, 
wie  es  c.  für  den  Schreiber  des  Merseburger  Spruches  ist,  kaum  einen 
solchen  schluss  ziehen,  wie  es  Gr.  tut. 

2)  S.  Falk-Torp,  Etymologisk  Ordbog  s.  368. 

3)  Verfasser  bez.  Schreiber  der  schon  dem  12.  jb.  angehörenden  glossen 
Cod.  Vind.  804  und  Würzburg  M.  th.  4°.  60  haben  natürlich  kein  bedenken 
mehr  gehabt.  Sie  glossieren  ruhig  catena  :  chetinne  (Wien),  bez.  ketena 
(Würzburg);  vgl.  Ahd.  gl.  IV  213,  36. 

4)  Ob  die  entlehnung  wirklich  bereits  vor  der  hd.  lautverschiebung 
erfolgte,  scheint  mir  deshalb  doch  noch  zweifelhaft.  Lautliche  gründe 
zwingen  nicht  zu  dieser  annähme.  Der  Übergang  des  e  zu  i  und  die 
accentzurückziehung  finden  sich  in  den  ebenfalls  erst  in  ahd.zeit  entlehnten 
worten  _pm  bez.  abbat. 


ZUR  ERKLÄRUNG  D.  ERSTEN  MERBEBÜRGEB  ZAUBERSPRUCHES,     315 

Bei  der  suche  nach  einem  wort,  das  zur  Verdeutschung 
von  catena  brauchbar  war,  bot  sich  cuoniowidi  vielleicht  des- 
halb dar,  weil  es  der  Lebendigen  spräche  damals  gewiss  schon 
entfremdet  war  und  seine  ursprüngliche  bedeutung  nicht  mehr 
klar  empfunden  wurde,  so  dass  die  incongruenz  zwischen  dem 
deutschen  und  lateinischen  worl  nicht  zum  bewusstsein  Kam 
—  vielleicht  aber  auch,  weil  es  möglicherweise  eine  besonders 
starke  fessel  bedeutete.1)  Jedenfalls  darf  aber  aus  seiner  Ver- 
wendung in  der  glosse  nicht  geschlossen  werden,  dass  es  ur- 
sprünglich eine  eiserne  oder  überhaupt  metallene  kette  be- 
deutete; dagegen  spricht  ausser  der  tatsache,  dass  Wulfila  eine 
Umschreibung  mit  eisamein  u.  ä.  für  nötig  hielt,  deutlich  der 
zweite  bestandteil  des  Wortes,  dessen  etymologie  zeigt,  dass 
damit  von  hause  aus  eine  aus  zweigen  geflochtene  fessel  ge- 
meint ist.  Die  stelle  im  Zauberspruch  ist  nun  sicher  ein  gutes 
stück  älter  als  die  glossen,  wir  müssen  damit  rechnen,  dass 
der  ursprüngliche  bedeutungsinhalt  bei  entstehung  des  Spruches 
noch  klar  empfunden  wurde.  Dann  können  wir  aber  keinen 
anstoss  an  der  ausdrucksweise  clübödun  umbi  cuonio  widi 
nehmen;  denn  das  lösen  solcher  fesseln  musste  technisch  eben 
darin  bestehen,  dass  man  die  verflochtenen  zweige  einzeln  und 
eventuell  stückweis  loszulösen  und  auseinanderzunehmen 
versuchte.2)  In  den  Worten  von  vers  3  liegt  also  meines  er- 
achtens  kein  grund,  von  der  herschenden  erklärung  abzugehen, 
und  zu  demselben  resultat  kommen  wir  auch  auf  anderen 
wegen. 

Angenommen,  Idübön  hiesse,  wie  W.  verlangt,  'fesseln'; 
dann  müsste  umbi  ein  eng  zum  verbum  gehörendes  adverbium 
Bein,  Dicht  präposition:  'einige  banden  fesseln  herum  (nämlich 
um  die   feinde)'.    Es   läge  also,  bei  der  jetzt  üblichen  vers- 

I  Im  -  etymologisch  so  erweisen,  ist  bis  jetzt  freilich  nicht  geglückt. 
Toblera  versuch  (Germania  30, 63  fl  |  halte  ich  für  verfehlt,  er  hat  auch,  so 
v  i « ■  1  ich  sehe,   nirgends  beifall   gefunden,    aber  auch  die  erklftrnng  Grien- 
rs  'fesseln  aus  rindsleder'  (a.a.0  b.  W6)  befi  cht 

-i  Wenn  < Irienberg«  -  transitives 

verbum  ein  aecusativobjeet,  so  kann   ich  ihm  nicht  anstimmen;  kl.  kann 
sehr  «rol  absolut  ohne  objeel   stehen  and  das  objeet,  hwebt,  ist 

nicht  die  fessel  ädern  ihre  einseinen  teile.    Ich  halte  also  die 

von  Grien  .mein'  audere  abtrennnng  der  worte  und  die  daran 

geknüpfte  erklftrnng  für  unnötig. 


316  HELM 

teilung,  in  3/9  ein  enjambement  vor.  In  der  westgermanischen 
allitterierenden  dichtung  ist  nun  zwar  das  enjambement  zwi- 
schen den  langzeilen  gang  und  gäbe  und  so  herschend,  dass 
die  stärksten  Sinnesabschnitte  meist  gerade  nach  der  ersten 
halbzeile,  nicht  am  Schlüsse  der  langzeile  liegen.1)  Sievers 
hat  dafür  den  ausdruck  'principielles  enjambement'  geprägt 
(Altgerm.  metr.  §  165)  und  gleichzeitig  darauf  hingewiesen, 
dass  dieses  nur  möglich  und  erträglich  ist,  weil  die  einzelnen 
halbverse  sprachliche  einheiten  sind.  Enjambement  inner- 
halb der  halbzeile  ist  deshalb  unstatthaft.  Tatsächlich  ent- 
halten auch  die  ahd.  allitterierenden  dichtungen  keinen  der- 
artigen fall'2)  und  Wilken  hat  deshalb  Germ.  21, 223,  wie  es 
auch  bei  Wallners  Interpretation  nötig  wäre,  umbi  zur  ersten 
halbzeile  gezogen.  Dadurch  wird  aber  die  zweite  halbzeile 
metrisch  zu  kurz.  So  wie  der  vers  jetzt  abgeteilt  ist,  haben 
wir  in  3/9  den  typus  B:  x  x  L  |  x  C  x  mit  auflösung  der  zweiten 
liebung.  Ohne  umbi  wäre  v.  3/9  als  Ix^x  anzusetzen,  was 
metrisch  völlig  unzulässig  ist.  So  ergibt  sich,  dass  Wallners 
Interpretation  auch  an  den  metrischen  Verhältnissen  scheitert. 
Werfen  wir  endlich  noch  einen  blick  auf  das  sachliche. 
Wilken  und  Wallner  wollen  beide  ihre  erklärungen  damit 
stützen,  dass  sie  ausführen,  vers  3  bringe  die  fortsetzung  und 
Steigerung  der  in  v.  2  enthaltenen  handlung.  Nachdem  die 
zauberbande  geflochten  und  das  feindliche  heer  durch  schrecken 
gelähmt  ist,  soll  nun  (Wallner  s.  217)  'den  festgehaltenen  auch 
schild-  und  schwertarm  gelähmt  werden,  so  dass  sie  sich  ohne 
gegenwehr  töten  lassen'.  Wilken  erwartet  in  v.  3  den  'ab- 
schluss  der  (s3Tmbolischen)  fesselung',  denn  ein  f ortschritt  in 
der  handlung  sei  bei  der  Verteilung  der  geschäfte  unter  die 
drei  häufen  doch  wol  anzunehmen.  Das  wäre,  sofern  die  wort- 
erklärung  es  zuliesse,  ein  Zusammenhang,  der  logisch  denkbar3) 


J)  Vgl.  Sievers,  Altgerm,  metrik  §  30,  2  und  165;  Grundriss2  II  2,  s.  15; 
Küntzel,  Künstlerische  demente  in  der  dicktersprache  des  Heliand  s.  14  ff. 

2)  Auch  die  von  Grienherger  (Wiener  Sitzungsberichte  158)  im  Hilde- 
brandslied v.  19  und  63  hergestellten  fälle  von  enjambement  kann  ich  nicht 
als  richtig  anerkennen. 

3)  Grienberger  (a.  a.  o.  s.  413)  vermutet  einen  anderen  Zusammenhang 
zwischen  vers  2  und  3;  er  denkt  an  das  hemmen  des  feindlichen  heeres, 
damit  dies  die  befreiung  des  gefangenen  nicht  stören  könne.  Auch  das 
ist  nicht  wahrscheinlich. 


ZUR  EBKLIbüNG  I».  ERSTEM  KER8EBURGBB  ZAUBERSPRUCHES.    317 

wäre;  er  wird  aber  keineswegs  durch  die  Verhältnisse  gefordert. 
Vor  allen  dingen  ist  es  eine  nicht  genügend  begründete  an- 
nähme Wallners,  dass  die  tätigkeit  der  idisi  unseres  Bprnches 
sich  ganz  mit  der  der  'heerfesseln'  decke  und  deshalb  nur 
feindselig  sein  könne;  das  setzl  ja  bereits  die  richtigkeil  von 
W.'s  Interpretation  von  v.  3  voraus.  Die  —  übrigens  meist 
bekannten  —  belege  für  den  glauben  an  die  heerfesseln,  die 
W.  zusammenstellt,  sind  ja  für  die  erklärung  von  v.  2  wichtig, 
es  folgt  aus  ihnen  aber  nicht,  dass  nicht  neben  den  feindseligen 
trauen  von  v.  '1  nun  in  v.  3  hilfreiche  idisi  gestellt  werden. 
Dass  dies  aber  der  fall  ist.  wird  durch  ein  anderes  sachliches 
moment  gefordert:  durch  den  ganzen  bau  der  germanischen 
Zauberspruche. 

Es  isl  bekannt,  dass  die  ältesten  Zaubersprüche  durchaus 
sympathetisch  sind.  Die  in  der  epischen  einleitung  berichtete 
handlung  muss  einen  verlauf  und  einen  erfolg  haben,  der  durch 
dm  segen  ebenfalls  erzielt  werden  soll.  Ebermann1),  Blut-  und 
wundsegen  8. 140,  betont  ganz  mit  recht,  dass  gerade  auf  dem 
parallelismus  zwischen  der  epischen  einleitung  und  der  Zauber- 
formel die  Wirkung  (\i->  zaubers  beruht.  Störungen  dieses 
parallelismusses  können  natürlich  begegnen,  sie  weisen  dann 
auf  jüngere  entstellungen  des  Spruches  hin.  Eine  solche  Störung 
Wäre  es  auch,  wenn  mit  einer  epischen  einleitung  eine  forme! 
mit  einem  gegenzauber  verbunden  erschiene.  Es  mag  solche 
mischformen  wol  geben;  in  alter  zeit  sind  sie  aber  nicht 
möglich.  Für  den  ersten  Merseburger  Zauberspruch  mit  seinem 
alten  gepräge  müsste  deshalb,  wenn  Wallners  deutung  von 
v.  3  richtig  wäre,  als  SChlussformel  ein  satz  mit  dem  sinne: 
•ich  binde  dich',  'sei  gefesselt1  oder  ähnlich  dastehen.  Da  die 
zeilr  I  aber  einmal  feststeht,  SO  ergibt  Sich  auch  hieraus  als 
unbedingt  nötig,  dass  die  vorhergehende  zeile  die  dazu  passende 
epische  parallele  enthält. 

Deber  die  handlung,  die  mit  dem  Bpruche  selbstverständ- 
lich verbunden  war.  lässt   sich  natürlich  nichts  sicheres  aus- 

n.  aber  einige  Vermutungen  seien  doch  kurz  verzeichnet 
Ich  glaube,  die  handlung  wird  nicht  in  der  blossen  anwendung 

')  Vgl  auch  Schröder,  Zs.fda.37, 251;  M.  Kflller,   [Jeher  <\\<-  itilfonn 
der  altdeutschen  lauhersprüche  (1901),  a.  80;    A.  S.  SehOnhach,  Xt.'u_ 
Bertholds  von Begenshurg sur  Tolkskunde  (^  i  :M7. 


318  HELM 

eines  magischen  Zeichens  bestanden  haben,  sondern  darin,  dass 
die  worte  des  ganzen  segens  durch  entsprechende  manipulationen 
begleitet  wurden.  Wir  können  uns  denken,  dass  beim  sprechen 
von  2  a  vielleicht  ein  knoten  geknüpft,  vor  v.  3  möglicherweise 
geheimnisvolle  zeichen  über  ihn  gemacht  wurden,  wie  jene 
Utterae  solutoriae,  dlysenälican  rüne,  von  denen  Beda  IV  22 
spricht.1)  Mit  grösserer  gewissheit  ist  dann  zu  vermuten, 
dass  beim  sprechen  von  v.  3  der  knoten  mit  den  fingern  ge- 
löst und  im  augenblick  der  vollendeten  lösung  die  formel 
ausgerufen  wurde.  Ob  dabei  ein  bild  verwendet  wurde,  das 
erst  umschlungen  und  dann  losgebunden  wurde,  lässt  sich 
nicht  sagen;  unmöglich  wäre  es  nicht,  da  der  bildzauber  bei 
uns  später  in  ziemlichem  umfang  getrieben  wurde. 

Wilken  a.a.O.  s. 224  meint,  ein  solcher  sprach  zur  ge- 
fangenenbefreiung  habe  nicht  'von  freunden  nach  geschehenem 
schaden  über  den  gefangenen  gesprochen  werden  können'; 
denn  wenn  freunde  zugegen  gewesen  wären,  hätte  es  eines 
zaubers  zur  lösung  nicht  mehr  bedurft.  Deshalb  sei  ein 
solcher  leysigaldr  ein  '  präser vativschutz,  der  bereits  dem  zum 
kriege  erst  ausziehenden  mitgegeben  werden  musste'.  Das 
ist  ein  irrtum.  Wir  wissen,  dass  der  zauber,  mag  er  nun  auf 
stillschweigend  ausgeführten  handlungen  oder  auf  handlung 
und  Zauberformel  beruhen,  in  die  ferne  wirken  soll.  Wie 
das  durchbohren  eines  Wachsbildes  den  durch  dieses  bild  dar- 
gestellten menschen  schädigen,  wie  das  sogenannte  nestel- 
knüpfen in  die  ferne  wirkend  eines  mannes  zeugungsfähigkeit 
unterbinden  soll,  so  sollte  auch  dieser  sprach,  begleitet  von 
der  zauberhandlung,  gewiss  in  die  ferne  wirken;  ich  fasse  ihn 
deshalb  als  einen  segen  auf,  durch  den  man  einen  in  feindes- 
land  gefallenen,  dem  auf  natürlichen  wege  nicht  zu  helfen  war, 
aus  der  ferne  zu  befreien  hoffte. 


x)  Die  stelle  ist  in  Grimms  Myth.  II 1029  und  auch  bei  Wallner  s.  218 
abgedruckt. 


GIESSEN,  den  25.  april  1909. 


/I   M     MI      PILL!  319 


ZUM   Ml'SPlLLI. 

In  Grans  Untersuchungen  über  die  quellen  und  verwant- 
Bchaften  der  älteren  germanischen  darstellungen  des  jünj 
gerichts1)  wird  b.  245  gezeigt,  dass  die  auf  Muspilli  71  fol- 
genden, bei  Braune  (And.  lesebuch)  als  74a  abgedruckten  uud 
im  allgemeinen  als  unecht  geltenden2)  werte  in  der  quelle 
ihre  sachliche  und  wörtliche  entsprechung  haben.  Dadurch 
wird  ihre  echtheit  /war  nun  noch  nicht  absolut  bewiesen,  denn 
die  liier  verwendete  formel  ist  aus  dem  glaubensbekenntnis 
bekannt  und  konnte  sich  leicht  bei  jeder  gelegenheit  von 
selbst  einstellen,  aber  die  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  die 
Worte  echt  sind,  wird  grösser,  und  jedenfalls  lohnt  es  sich,  ZU 
sehen,  ob  nicht  doch  mit   ihnen  auszukommen  ist. 

Da  v.  71a  (ich  citiere  so  nach  Braunes  Ahd.  lesebuch) 
keine  allitteration  hat.  so  wie  er  in  der  hs.  steht  also  nicht 
als  selbständiger  vers  echt  sein  kann,  hat  Grau  ihn  mit 
71  zu  einem  yers  zusammengezogen,  und  da  es  anwahrschein- 
lich ist,  dass  in  diesem  die  beiden  worte  suandri  und  suannan 
nebeneinander  standen,  ändert  er  suandri  in  hhunic  Er  ver- 
weist als  stütze  für  diese  conjeetur  auf  die  quellenstelle, 
wo  ßich  die  Worte  ecet  i<r  apparet  linden.  Es  wäre  darnach 
also  anzunehmen,  dass  das  äuge  des  Bchreibers,  als  er  v.  71 
schrieb,  Bchon  vorauseilte  auf  suannan  in  v.  74a  und  dass  da- 
durch die  falsche  lesarl  entstanden  sei  Dies  ist  ein  durchaus 
möglicher  Vorgang,  der  allerdings  —  entgegen  der  ansieht 
Graus8)  und  anderer4)  zur  Voraussetzung  hat.  dass  dai 
dicht  eine  abschrift  i>t.  [ch  halte  dies  für  Bicher,  trotzdem 
befriedigt  mich  Graus  emendation  nicht.  Schon  der  verweis 
auf  <lie  quelle  ist  wenig  stichhaltig;  denn  dort  stehen  nicht 
mir  die  vorhin  citierten  worte,  Bondern  esheisst:  /  ponsus 
rr)i,t,  <<it   juden  adesi,  eca  rea  "j>)'<i>>t,  eca  supremus  fudienm 

')  Studien  rar  englischen  philologie,  ao. 81,  Balle  i  I 
*)  Vgl.  USD    II 

i-\  doch  irol  der  ratdruck  raf  i  ntehen,  dam  d 

dicht  'ein  original 

4)  Kelle,  I.«..  I  l  *  LG.  [818;  Braune,  Letebuch«  ■.!£ 


320  HELM 

judex  revelatur,  ecce  universorum  cleus  advenit  ut  judicet  vivos 
et  mortuos.  Da  die  worte  universorum  deus  adv.  nicht  selbst 
übersetzt  sind,  soll  von  den  verschiedenen  ausdrücken  des 
lateinischen  nur  der  eine  satz  ecce  rex  apparet  für  die  Über- 
setzung' in  betracht  kommen  können;  —  warum  nicht  ebenso 
gut  ecce  judex  adest  oder  ecce  supremus  judicum  judex  (==  sua- 
näril)  revelatur?  Auch  kann  ich  nicht  finden,  dass  die  verse 
75 — 77  den  begriff  'könig'  fordern.  Die  lösung  des  rätseis 
könnte  in  ganz  anderer  richtung  liegen,  und  mehrere  möglich- 
keiten  sind  ins  äuge  zu  fassen. 

Will  man  einmal  mit  Gr.  suanäri  als  unecht  betrachten, 
so  kann  man  leicht  annehmen,  dass  ursprünglich  gar  kein 
substantivum  hier  gestanden  habe,  und  dementsprechend  lesen : 
enti  sih  der  ana  den  sind  arlievit  \  der  dar  . . .  Schon  Bartsch, 
Germ.  3,  7  hat  die  erste  halbzeile  so  angesetzt.  Die  construc- 
tion  würde  genau  zu  der  von  v.  85  f.  stimmen.  Aber  anderer- 
seits erweckt  gerade  der  vergleich  mit  v.  85  f.,  wozu  man  noch 
v.  2/9  stelle,  gegen  diese  wie  gegen  Graus  und  Schmellers 
lesung  metrische  bedenken.  Gr.  rechtfertigt  die  hier  und  nach 
seiner  lesung  auch  in  anderen  versen1)  entstehenden  vers- 
ungeheuer  durch  die  bemerkung,  die  gesammte  metrik  des 
Muspilli  spreche  allen  gesetzen  höhn.  Dass  der  dichter 
schwellverse  grossen  umfangs  gebaut  hat,  ist  zuzugeben;  aber 
bei  vers  74  -f  74a  liegen  besondere  Verhältnisse  vor.  Die 
Wendungen  dieser  verse  kommen  bekanntlich  im  gedieht  noch 
an  anderen  stellen  vor;  man  vergleiche  zu  74/9  vers  2/9,  zu 
74  a«  vers  85/9,  zu  74a/9  vers  86/9.  Wenn  wir  Grau  folgen, 
müssten  wir  also  annehmen,  dass  der  dichter  drei  Satzteile, 
die  er  sonst  als  durchaus  normal  gebaute,  selbständige  halb- 
zeilen  verwendet,  hier  mit  einem  vierten  satzteil  in  eine  lang- 
zeile  zusammengedrängt  habe.  Eine  solche  annähme  scheint  mir 
unerlaubt,  so  lange  noch  eine  andere  erklärungsmöglichkeit 
vorliegt.  Einer  solchen  möchte  ich  im  folgenden  das  wort 
reden.  Ich  greife  dabei  nicht  zu  dem  verfahren  Wackernagels 
(Altd.  lesebuch5  s.  258)  und  Bartschs  (a.a.O.),  die  einfach  die 
worte   töten  enti  lebenten   strichen;   denn  mir  scheint   es   am 


*)  Er  fasst,  uni  die  strenge  durekführnng  der  allitteration  für  das 
Muspilli  zu  retten,  die  verse  12  uud  13,  18  uud  19,  48  und  49,  97  und  98, 
99  und  99  a  jeweils  zu  einer  langzeile  zusammen  (s.  253). 


ZUM    HÜSPILLL 

wenigsten  erlaubt  zu  Bein,  die  hälft e  von  74a  beizubehalten 
und  die  hälfte  zu  tilgen;  wir  müssen  schon  den  vers  als  ganzes 
in  kaui'  nehmen  oder  verwerfen  Behalten  wir  die  worte  bei 
and  wollen  wir  den  angeführten  metrischen  bedenken  ent- 
gehen, so  müssen  wir  vers  7t  and  74a  natürlich  wider  als 
zwei  verse  behandeln.  Dann  bleibt  in  vers  71  suanäri  der 
allitteration  wegen  stehen,  ans  demselben  grund  ist  dann  aber 
in  vers  71a  suannan  zu  tilgen.  Hier  musa  ein  anderes  worl 
gestanden  haben:  dass  ein  solclies  durch  suannan  ersetzt 
wurde,  ist  ans  einem  abirren  des  auges  auf  suanäri  (v.  74) 
ebenso  leicht  zu  erklären,  wie  hei  Graus  lesung  der  ersatz 
von  Jchunic  durch  suanari  in  der  hs.  durch  abirren  des  auges 
auf  74a.  Eine  technische  Schwierigkeit  liegt  also  nicht  vor. 
Schon  friihci-  hat  Miillenhoi'i'  (Zs.  fda.  11,  388)  vorgeschlagen, 
suannan  in  tuoman  zu  ändern,  er  hat  diesen  Vorschlag  aber 
wider  aufgegeben;  vgl.  MSD.II335.  Da  durch  <ir;uis  Zusammen- 
stellungen (s.  'jr>7)  nun  aber  abhängigkeit  des  Muspillidichters 
vom  Eeliand  wahrscheinlich  gemacht  wird,  wäre  es  immerhin 
möglich,  dass  diese  Wendung  hier  in  anlehnung  an  Eeliand 
4291  M  gebraucht  werden  wäre.  Näher  liegt  aber  doch  die 
\.  36  verwendete,  auch  früher  schon  von  Feussner1)  für  unseren 
vers  vorgeschlagene  gut  ahd.  formel  arieillan  [toUn  enti  leben- 
ihn  .  tili-  die  ich  mich  entscheide.  Man  wird,  wie  man  es  gegen 
die  in  der  lis.  überlieferte  fassung  getan  hat.  nun  auch  gegen 
nieinen  Vorschlag  das  nahe  zusammentreffen  mit  v.  86  ein- 
wenden: aber  kaum  mit  grund.  Denn  auch  wenn  wir  von 
7ia  absehen,  bleiben  folgende  auch  Bchon  von  Riüllenhoff, 
Zs. fda  11,388  zusammengestellte  parallelen  übrig:  v.2ß—  71.'. 
li»,;  260.  65/9  71..:  von  17.;  270,  die  Blüllenhoff  noch 
hinzufügt,  Behe  ich  ab.  Binem  dichter,  der  in  einem  so  wenig 
amfangreichen  gedieht  mehrmals  und  zum  teil  in  kurzen 
abständen  halbzeilen  fast  wortgetrea  widerholt,  nm^  man 
auch  widerholung  eines  ganzen  verses  zutrauen  Wer  das 
nicht    will,    müSSte    aber    auch    noch    überlegen,    ob  nun   nicht 

besser  ven  36  zn  streichen  wäre,  der  in  der  vorläge1)  keine 

')  Die  ältesten  allil 

ll.iii.ui  i- 

u  nur  (vgl  lo  Judicium  iUud,  i 

nullu  na  perionarum  tu 

Ueitragc  xur  geschieht«  der  deutschen  spräche.     XXXV.  Jö 


322  HELM 

directe  entsprechung  hat.  Doch  lege  ich  darauf  kein  besonderes 
gewicht. 

Wenn  wir  suannan  durch  arteillan  ersetzen,  so  gewinnen 
wir  nicht  nur  eine  brauchbare  allitteration ,  es  wird  dadurch 
auch  eine  sprachliche  Schwierigkeit  beseitigt,  auf  die  man  bisher 
nicht  geachtet  hat:  die  construction  von  suonen  'richten'  mit 
dem  dativ  der  person.  Dieser  gebrauch  ist  sonst  nämlich 
nicht  zu  belegen.  In  der  einzigen  mir  bekannten  mhd.  stelle, 
in  welcher  süenen  mit  dem  dat.  der  person  verbunden  wird 
(Bari.  125,  6),  liegt  eine  ganz  andere  bedeutung  vor:  die  Wen- 
dung einem  ein  dinc  süenen  wird  dort  gebraucht  wie  sonst 
mhd.  einein  eines  dinges  Miezen  (buoz  tuon). 

Im  ahd.  ist  suonen  überhaupt  selten,  besonders  in  der 
bedeutung  'richten'.  In  den  grossen  denkmälern  kommt  es  so 
überhaupt  nicht  vor,  unter  den  kleineren  sind  es  die  ver- 
schiedenen 'Glauben',  wo  wir  es  in  der  formel  des  richtens 
über  tote  und  lebende  zu  finden  erwarten  können.  Sehen  wir, 
wie  die  lat.  formel  hier  widergegeben  wird  (ich  gebe  die  stellen 
nach  den  denkmälern): 

Weissenburger  Catechismus  (MSD.  56)  im  Glauben  (s.  205):  quemendl 
ci  aräeüenne  quecchem  endi  doodem;  später,  s.  208,  in  der  erläuterung: 
cumftiger  ci  suananne  lebente  endi  töte. 

St.  Galler  Paternoster  und  Credo  (MSD.  57):  chuumftic  ist  sönen  qhuekhe 
enti  töte. 

St.  Galler  Glaube  und  Beicbte  II  (MSD.  89):  chunftig  . . .  ze  irteilinne 
lebenün  unt  tötin. 

Wessobrunner  Glaube  und  Beicbte  (MSD  90) :  chumftic  . . .  certeilenne 
lebende  unde  töde,  ubele  unde  gttote. 

Barnberger  Glaube  und  Beicbte  (MSD.  91) :  chumftig  . . .  cirteilenne 
lebente  unde  töta. 

St.  Galler  Glaube  und  Beicbte  III  (MSD.  92):  chunftich  zirteilin  ubir 
leibinde  unde  ubir  tötin. 

Alemannischer  Glaube  und  Beicbte  (MSD.  93):  kkmftig  . . .  ze  ertailen 
uiber  lebend  unt  uiber  tot. 

Wessobrunner  Glaube  und  Beicbte  II  (MSD.  95) :  Jcumftich  . .  ze  tailn 
al  manchunde. 

Benedictbeurer  Glaube  und  Beicbte  III  (MSD.  96):  Icunftich  zerteilm 
die  lebentigin  unde  die  tötin. 

Müncbener  Glaube  und  Beichte  (MSD.  97):  chumftigen  ...  zerteilen 
ubir  lebentige  und  ubir  töten. 

Notkers  Catechismus  (MSD.  79);  A  (s.  251):  chumftiger  ze  irteillenne 
die  er  danne  findet  lebente  aide  töte  —  und  ebenda  (s.  256):  chumftiger  ze 
irteillene  lebende  unde  töte. 


WOLFRAMS   GRAB    UND    DIB    HEIMATFBAGE.  828 

An  niederdeutschem  material  isl  dazu  zu  Btellen: 

Eeliand  4291  (ha  I  i:  man&unnt6  '*■  adilienne,  'Intimi  endi  quil 
Niederdeutsche!  Glaube  (HSD.98):   »dcumrttcÄ  ...  te  iiim,*  ,>>,r  en  U 
dilenm  d  livenden. 

Ks  Bind  dentlich  vier  typen  zu  unterscheiden.  Die  jüngeren 
denkmäler1)  schreiben  erteilen  ubir;  Bie  gehören  dem  L2.jh.  an. 
Aelter,  aber  auch  schon  eine  jüngere  stufe  repräsentierend,  isl 
der  gebrauch  yon  erteilen  mit  dem  acc,  den  anter  anderen  auch 
Notker  hat  In  den  ältesten  denkmälern  finden  wir  irteilen 
inii  dem  il.it..  bo  auch  im  as.,  und  sin, tun  mit  dem  acc.  Nir- 
gends aber  steht  ein  suonen  mit  dem  dat.,  der  einzige  beleg 
dafür  war--  eben  dervers  Muspilli  71a.  wo  Bchon  die  allittera- 
tinii  bedenken  gegen  »las  yerbum  erweckt;  v.  85/9  f.  darf  nicht 
als  ein  /.weiter  beleg  gerechnel  werden,  denn  es  ist  klar,  dass 
dort  8uonnan  absolul  gebraucht  sein  and  der  dativ  allein  von 
arteiüan  abhängen  kann.  Ich  glaube,  dass  eine  textäuderung, 
die  den  anstössigen  beleg  in  v.Tia  beseitigt,  Bchon  aus  diesem 
rein  sprachlichen  grund  der  vorzag  vor  solchen  lesungen  ver- 
dient, die  suannan  hier  beizubehalten  nötigen. 

')  Spätere  mhd.  glanbensbekenntnisse,  wie  sie  a.b.  bei  Massmann,  A i>- 
Bchwbrungsformeln  do.  15.  in.  LS  abgedruckt  Bind,  schreiben  rih 

ÖIE8SEN,  den  21.  april  1909. 


\\(»L1  i;  \M>  GRAB  UND  DIE  HEIMATFRAGE. 

Die  tatsachen  über  Wolframs  grab  Bind  bekannt  genn 
ihnen   ist   nichts  zuzufügen,  nur  schärfer  prüfen  müssen  wir, 

wir  ans  der  uns  erhaltenen  Überlieferung  Bchliessen  dürfen. 

Die  doppelte  bezeugung  einet  grabes  mit   Inschrift   und 
wappen  durch  Püterich  und  Kren  Btütxt   Bich  gegenseitig  in 


,:i  die  Literatur  bei  Panier,  Bibliographie  in  Wolfram  tob  Bochen- 

bach  I  l  and  anhang  dai  ehrenbrief  des  Jakob 

rieh  ron  EU  lOf.  and  i 
mentai  in  Wolfram, 


324  HELM 

wichtigen  punkten:  die  Übereinstimmung  von  Püterichs  angäbe 
über  das  fehlen  des  datums  und  seiner  Wappenbeschreibung 
mit  der  abschrift  und  der  Zeichnung  bei  Kress  zeigt  uns,  dass 
das  von  Kress  gesehene  grabmal  identisch  war  mit  dem  von 
Püterich  aufgesuchten,  mithin  bereits  vor  1462  existierte.  Wie 
weit  dürfen  wir  aber  wol  zurückgehen?  Es  ist  anzunehmen, 
dass  Püterich  nicht  gerade  bis  in  sein  hohes  alter  —  er  war 
1400  geboren  —  gewartet  hat,  um  seinen  ritt  zu  unternehmen ; 
dieser  mag  der  abfassung  des  ehrenbriefes  immerhin  eine  er- 
kleckliche zahl  von  jähren  vorangegangen  sein.  Schon  damals 
aber  war  der  grabstein  nicht  mehr  gut  erhalten.  Zwar  die 
worte  über  das  fehlen  des  datums  dürfen  nicht  dahin  ver- 
standen werden,  dass  die  inschrift  defect  gewesen  wäre1),  sie 
sollen  nichts  weiter  sagen,  als  was  wörtlich  in  ihnen  steht. 
Ebenso  sicher  ist  es  aber,  dass  P.  mit  dem,  was  er  über  die 
färben  des  wappens  sagt,  nicht  behaupten  will,  dieses  sei  schon 
ursprünglich  farblos  gewesen,  er  will  im  gegenteil  feststellen, 
dass  es  farbig  war2),  dass  aber  die  färben  nicht  mehr  er- 
kennbar s)  waren;  wer  die  färben  noch  hätte  feststellen  wollen, 
hätte  früher  reiten  müssen.4)  Da  nun  der  grabstein  erhaben 
war,  also  an  der  wand  stand5),  nicht  auf  dem  fussboden  lag, 
wo  die  bemalung  leicht  hätte  abgetreten  werden  können,  so 
muss  das  fehlen  der  färben  auf  ein  nicht  zu  gering  bemessenes 
alter  des  Steines  hindeuten.  Er  kann  also  nicht  etwa  nach 
dem  um   1429  begonnenen6)  umbau  der  Eschenbacher  kirche 


:)  Wie  Schmeller,  Abb.  d.  bayr.  akad.  II  200  annimmt. 

-)  Ueber  farbige  grabsteine  vgl.  Scbulz,  Höfiscbes  leben  II  475  ff. 

3)  Conrad  v.  Gruenenberg  bat  die  färben,  die  er  dem  wappen  Wolf- 
frams  gibt,  nicbt  dem  grabstein  entnommen;  denn  bätte  er  sie  da  nocb 
gesehen,  so  bätte  aucb  P.,  der  etwas  früher  schrieb,  sie  noch  sehen  müssen. 
Gr.  hat  also  —  was  wichtig  ist  —  für  seine  wappenzeichnuug  eine  andere 
quelle  gehabt. 

*)  So  verstehe  ich  Strophe  129,  3.  4 :  ja  müest  er  schnelle  drafen,  der 
tms  erfüer  derselben  khleinot  färb. 

5)  Anch  wer  'erhaben'  nicht  mit  'aufgerichtet'  übersetzen  will,  son- 
dern als  'mit  erhabener  arbeit  verziert'  fasst,  muss  schliessen,  dass  der 
stein  nicht  auf  dem  boden  lag;  denn  die  in  den  fussboden  eingefügten 
grabplatten  mussten  aus  naheliegenden  gründen  möglichst  flach  gearbeitet 
werden. 

6)  Vgl.  Regesta  sive  rerum  Boicarum  authographa  XIII 139 ,  Urkunde 
vom  26.  märz  1429:   'Symoii  von  Leonrod,   Comenthur  zu  Nuremberg  und 


W0LFBAMS   GRAB    UND    D1K    HEIMATFBAGB.  325 

ersl  anfgestelll  wurden  sein,  sondern  stand  gewiss  schon  ge- 
raume zeit  in  der  alten  kirche,  ja  wir  werden  seine  entstehnng 
ins  ins  11.  jh.  zurückverlegen  müssen,  wenn  wir  nichl  an- 
nehmen wollen,  dasa  er  wenigstens  in  der  allen  kirche  starker 
abnutzung  ausgesetzt  auf  dem  boden  gelegen  hatte.  AJber  diese 
annähme  scheint  mir  anzulässig:  man  legte  doch  nur  solche 
grabsteine  auf  den  boden,  die  ein  tatsächlich  darunter  befind- 
liches grab  bedeckten;  welchen  /werk  hätte  dies  geluiin  bei 
einem  stein,  der  für  einen  längst  verstorbenen  gestiftel  wurde 
und  trotz  der  Worte  hie  ligt  kaum  an  der  stelle  des  wirklichen 
grabes  stand?  Denn  dass  der  grabstein  nicht  aus  der  zeit  von 
Wolframs  tod  selbst  stammt,  ist  ja  klar;  es  verlohnt  sich  nicht, 
heute  noch  worte  darüber  zu  verlieren.1)  Schon  die  bezeich- 
nung  Wolframs  als  eines  meistersingers  —  um  von  anderem 
zu  schweigen  —  ist  beweisend  für  die  späte  entstehnng  der 
inschrift;  wir  müssen  sie  lu-rabrücken  in  eine  zeit,  in  welcher 
einerseits  die  eiinnerung  an  den  epiker  Wolfram  schon  sehr 
geschwunden  war  und  andererseits  sich  schon  eine  meister- 
singertradition  gebildet  hatte,  die  "Wolfram  unter  die  grot 
Vorbilder  ihrer  schule  rechnete.  Wir  kommen  damit  mindestens 
in  die  mitte  des  1  I.  Jahrhunderts.  Zwischen  1350  und  1400 
ist  also  meines  erachtens  die  entstehung  des  grabsteins  an- 
zusetzen. 

I  >a  nun  Püterichs  angaben  über  "Wolframs  grab  in  den 
Untersuchungen  über  die  heimat  des  dichters  eine  rolle  zu 
spielen  pflegen,  so  ist  die  frage  aufzuwerfen,  welchen  um- 
stünden und  wem  denn  der  von  ihm  gesehene  grabstein  sein 
dasein  verdankt.  Mehrere  möglichkeiten  kommen  in  betracht, 
li  Der  grabstein  könnte  an  die  stelle  eines  älteren  Steines 
iten  sein.  Mann  müsstenwir  aber  annehmen,  dass  dieser 
M»  vollkommen  unleserlich  geworden  war,  da--  es  nicht  mehr 

Kapfenburg,  D  rd  ns,  bekennt,  dass  Johann  M  ihm 

and  Beinern  haus  zu  Nürnberg  aus  gnade  und  nur  widerruflieb  erlaubt 
aus  '!•  inbrüchen  um  •  itat1  und  .im  Lindeiberg  steine 

zum  ban  der  kirche  and  der  b(  idt    Eschenbacb  .  3chi 

abweichende  Beitang  kbe   über  den  umban  der  kirche  i  >t  zu 

streichen. 

'»  Auch  v.  Siegenfeld,  Daa  landeswappen  der  Steiermark 
aaigl  onnOtigeD  eifer,  die  echtheil  der  inschrift  zu  bestreiten;  denn  Bf 
hanptete  sie  auch  damals  schon  niemand  mehr. 


326  HELM 

möglich  war,  seine  inschrift  in  ihrem  ursprünglichen  Wortlaut 
mit  der  angäbe  des  Sterbedatums  zu  reproducieren.  Authentisch 
könnte  immerhin  das  wappen  sein;  beweisen  lässt  sich  das 
aber  nicht. 

2)  Die  zweite  in  betracht  zu  ziehende  möglichkeit  ist  die, 
dass  grabstein  und  inschrift  ihre  existenz  nur  einer  tradition 
verdanken,  welche  behauptete,  Wolfram  sei  in  dieser  kirche 
begraben.  Es  würde  sich  in  diesem  fall  natürlich  darum  han- 
deln, worauf  die  tradition  beruhte;  und  auch  hier  ist  wider 
zweierlei  möglich.  Sie  kann  zurückgehen  auf  ein  wirklich 
einstmals  vorhandenes  grab,  dessen  stein  aber  längst  verloren 
war,  ebenso  wie  Walthers  grabstein  schon  um  1300  nicht  mehr 
vorhanden  war.  Oder  diese  tradition  war  wirklich  nur  leere 
tradition,  die  sich  ohne  sonstige  tatsächliche  grundlage  einfach 
an  den  namen  des  ortes  allein  angeknüpft  hat,  wie  sich  viel- 
fach sagen  an  örtlichkeiten  anschliessen,  —  oder  vielleicht 
noch  an  einen  einst  vorhandenen  grabstein  eines  ritters  von 
Eschenbach,  der  aber  gar  nicht  unser  dichter  war.1) 


a)  Ein  modernes  parallelbeispiel  dafür  ist  ans  Nürnberg  anzuführen. 
Man  kann  in  büchern  über  Nürnberg  z.  b.  in  Griebens  Führer  s.  87  und  bei 
P.  J.  Kee,  Nürnberg  (berühmte  kunststätten  V)  s.  173  lesen,  dass  dort  auf 
dem  Johannisfriedhof  das  grab  des  Hans  Sachs  erhalten  sei,  womit  natür- 
lich der  meistersinger  gemeint  ist.  In  Wirklichkeit  weiss  kein  mensch,  wo 
Hans  Sachs  begraben  ist,  und  in  dem  von  den  führern  genannten  grab  (es 
trägt  die  nummer  503)  ruht  ein  ganz  anderer  Hans  Sachs,  der  ebenfalls  im 
16.  jh.  lebte,  mit  seiner  familie.  Wie  bei  den  meisten  gräbern  jener  zeit  liegt 
auf  dem  stein  eine  schmuckvolle  bronzeplatte;  diese  trägt  die  folgende  in- 

Des  Ersamen  Hannsz  Sachsen  Zi\ckkes„ 

machers  vnd  Anna  seiner  Ehewirtin  und  Irer 

beider  seeligen  Erben  Begrebtnus  Anno  Domi 

1589 

Hie  lig  Ich  in  der  erden  ruhe  vnd  Schlaff 
Bisz  Ich  durch  Christum  widerum  erwach 

Der  dann  mein  Grab  wirdt  Enndeckhenn 
vnd  mich  zu  eim  Herrlicher  leben  Erweckhen. 

Dodenleib  vnd  Seel  wird  wider  vereinigt  werde 
darin  Ich  werde  sehen  Gott  meinen  Herren 

die  Heilige  Tryfältigkeit  mit  grossen  Ehm. 

Ein  mehr  als  oberflächlicher  leser,  der  von  der  inschrift  nichts  weiter  be- 
achtet hat  als  den  namen,  hat  die  falsche  notiz  in  den  genannten  büchern 
auf  dem  gewissen.    Wahrscheinlich  ist  sie  auch  noch  in  anderen  anzutreffen. 


WOLFRAMS   GRAB    UND    DIE    BEIMATFBAGE.  •"•'_. 

Audi  zwischen  diesen  beiden  möglichkeiten  für  die  her- 
kiiut't  der  tradition  können  wir  eine  sichere  entscheidnng  nichl 
treffen;  wollen  wir  aber  vorsichtig  Bein,  so  dürfen  wir  nichl 
weiter  schliessen  als  das  eine:  in  der  zweiten  hälftedes  li.jh.'s 
bestand  die  — richtige  oder  falsche  tradition,  dass  Wolfram 
in  der  Frauenkirche  zu  Eschenbach  bei  Ansbach  begraben  Bei, 
und  es  wurde  deshalb  «Ion  für  ihn  «'in  neuer  grabstein  auf- 
gestellt. Angi  sichte  dieser  unsicherheil  dürfte  es  geraten  sein, 
der  Püterichstelle  in  den  erörterungen  über  Wolframs  heimat 
kein  gewicht  beizulegen,  als  es  meisl  geschieht.    Sie 

beweist  an  sich  gar  nichts.  Der  entscheidende  beweis,  dass 
dieses  Eischenbach  wirklich  Wolframs  heimal  ist,  lässt  sich 
nur  mit  hilfe  <1it  bei  ihm  begegnenden  Ortsangaben  führen: 
und  erst  aus  diesem  beweis  folgl  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit, 
aber  keineswegs  mit  Sicherheit,  dass  die  tradition  über  sein 
grab  i  ichtig  war. 

IN  bleibt  nun  noch  die  frage  zu  beantworten,  wer  wol 
den  grabstein,  den  Püterich  gesehen  hat,  gesetzt  haben  mag. 
Vollständig  ausscheiden  muss  dabei  die  annähme,  dass  etwa 
jüngere  geschlechtsgenossen  Wolframs  es  getan  hätten.  Denn 
die  t'amilie  der  Eschenbacher  erlosch  doch  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  bereits  im  ersten  dritte]  des  11.  jh.">  mit  Heinrich 
und  Friedrich  von  Eischenbach,  wol  zwei  brüdern,  deren  er- 
ledigte lehen  Graf  Rudolf  von  Wertheim  am  5.  jan.  L328  dem 
deutschen  orden  schenkte.1)  So  früh  kann  der  grabstein  nicht 
datiert  werden.  Auch  hatten  geschlechtsgenossen  Wolframs 
Bicher  eine  richtig!  re  Vorstellung  von  Beiner  dichterischen  tätig- 
keil bewahrt  und  ihn  zum  mindesten  nicht  als  meisterainger 
bezeichnet.  Es  muss  also  irgend  ein  anderer  'verehrer'  Wolf- 
rams, wie  auch  Goette  a.a.O.  s.110  Bagt,  der  Btifter  gewi 
.sein,  vielleicht  auch  mehrere,  Wenn  wir  nach  solchen  suchen, 
werden  wir  in  erster  linie  au  den  deutschen  orden  denken,  der 
in  Eischenbach   reich  begüteii  war  und  ;  der 

Bchenkung  vom  jähre  1328   gewi  en  tue  verpfliehl 

nun  der  gprabttt«  in  eini 
■  rolle  fehlt« 

; ,    ii  ml  dase  - 

'.in  dum   naturlii  i 


328  HELM 

fühlen  konnte,  Wolframs  andenken  zu  pflegen.  Trotzdem  halte 
ich  es  nicht  für  wahrscheinlich,  dass  der  Stifter  des  Steines  ihm 
angehörte.  Der  deutsche  orden  zeigte  allerdings,  wie  bekannt, 
im  14.  jh.  lebhafte  literarische  interessen,  aber  doch  vorwiegend 
in  dessen  ersten  Jahrzehnten.  Er  wante  auch  sein  interesse 
nicht  wahllos  allen  erzeugnissen  der  deutschen  literatur  zu, 
sondern  speciell  der  geistlichen  dichtimg,  von  der  weltlichen 
dichtung  aber  jenen  werken,  welche  ritterlichen  kämpf  gegen 
die  heiden  verherrlichten.1)  Anteilnahme  an  weltlicher  lyrik 
ist  bei  ihm  nicht  nachzuweisen  und  auch  nicht  zu  erwarten. 
Von  Wolframs  werken  lag  also  der  Willehalm  durchaus  im 
interessenkreis  des  deutschen  ordens,  der  Parzival  schon 
weniger,  die  zum  teil  sehr  weltlichen  lieder  ganz  und  gar 
nicht.  Unter  diesen  umständen  wäre  es  absurd,  zu  glauben, 
Deutschordensritter  hätten  Wolfram  als  einem  'meistersinger', 
wie  ihn  doch  die  inschrift  nennt,  ein  denkmal  gestiftet.  Diese 
bezeichnung  weist  vielmehr  bestimmt  darauf  hin,  dass  der  Stifter 
da  zu  suchen  ist,  wo  man  den  meistergesang  zu  schätzen  wusste: 
im  bürgertum.  In  betracht  können  hier  natürlich  bürger  von 
Eschenbach  selbst  kommen,  aber  eher  doch  noch  bürger  des 
benachbarten  Nürnberg.  Beziehungen  zwischen  Nürnberger 
familien  und  Eschenbach  sind  im  14.  jh.  mehrfach  nachweisbar, 
die  Nürnberger  ordenscomthure  warben  offenbar  eifrig  und 
mit  erfolg  um  Zuwendungen  für  ihren  Eschenbacher  besitz.2) 
Im  jähre  1335  schon  vermachte  eine  Nürnberger  dame,  Jung- 
frau Milte,  dem  orden  einen  liof  und  drei  hof statten,  die  sie 
in  Eschenbach  besass.3)  Besonderes  interesse  erweckt  es  dann, 
dass  das  alte  Nürnberger  geschlecht  der  Holzschuher  gegen  ende 
des  Jahrhunderts  beziehungen  zu  Eschenbach  hatte.  Friedrich 
Holzschuher,  spitalmeister  zu  Nürnberg,  söhn  Bertholds  Holz- 
schuher des  älteren  und  bruder  Bertholds  des  jüngeren,  stiftete 
zu  ehren  unserer  lieben  frauen  eine  frühmesse  zu  Eschenbach 
und  kaufte  zu  deren  ausstattung  in  den  jähren  1380 — 1384 
mehrere  guter.4)    Es  wäre  nicht  übel,   wenn  wir  in  einem 


')  Vgl.  Buch  der  Maccabäer,  einleitung  s.  lxxviii  f.  und  Steffenhagen, 
Zs.  fda.  13,  569  ff. 

2)  Vgl.  Dumm,  Geschichte  der  Stadt  Eschenbach  s.  11  ff. 

'■')  Dumm  a.  a.  o.  s.  13. 

4)  Vgl.  die  Urkunden  vom  22.  febr.  1380,  21.  dec.  1384  und  i.  april  1386 


NEUES   ZUH    HUERLIEFEBUNG    l>KS    BVANGELIUM8    NTCODBMI.       329 

gliede  dieses  geschlechtes  auch  den  Btifter  unseres  Grabsteines 
sehen,  vielleicht  sogar  dessen  Btiftung  mit  der  Btiftnng  der 
messe  zeitlich  in  Verbindung  bringen  durften:  aber  wir  haben 
keinen  anlass,  solches  v.w  schliessen.  Die  Flolzschuher  dürfen 
ans  nur  ein  beispiel  für  viele  sein;  ebensogul  wie  Bie  können 
auch  andere  Nürnberger  Familien  in  beziehungen  zu  Eschenbach 
gestanden  haben,  ist  »loch  auch  Doch  eine  zweite  frühmesse  da- 
selbsl  wenig  später,  im  jähre  1410,  durch  die  Ntirnbei 
bürger  Eckhardl  Neydung  nud  seinen  söhn  gestiftel  worden 
(vgl.  Dumm  s.  15).  In  dieser  bürgerschafl  Nürnbergs  hal  aber 
■  ewiss  auch  im  1 1.  jh.  schon  der  meistergesang  freunde  und 
pfleger  gefunden,  wenn  auch  die  blute  der  dortigen  singschule 
er>t  ins  L5.  und  16.  jh.  fällt.  Wir  werden  deshalb  kaum  fehl 
gehen,  wenn  wir  annehmen,  dass  aus  diesen  kreisen  der  oder 
die  'verehrer'  Wolframs  stammten,  die  —  ohne  viel  von  ihm  zu 
wissen  Bein  andenken  als  das  eines  'meistersingers'  durch 
Stiftung  eines  grabsteins  ehren  wollten. 

(RegeataX50.  145.  L50),  Bowie  eine  aus  dem  jähre  L381  (Jahreaherichl  des 
bist  Vereins  für  Iffittelfranken  XX  LO).  Bestätigung  der  Btiftnng  durch  bischof 
Friedrich  IV   von   Eichstätl   erfolgte   im  jähre   L390;   tiehe  auch    Dumm 

.t.  ;i.  0.   B.  1  l. 

(ÜKSSKN,  den  ls.  dec.  L908. 


NEUES  ZUB   ÜBERLIEFERUNG 

DES  EVANGELIUMS  NICODEM1  VON  HEINRICH 

VON  3ESLER 

Das  im  besitz  von  F.  Menclk  in  Wien  befindliche,  von 
hrdder,  Zs.  f da.  50, 386  ff .  publicierte  Fragment  des  Evan- 
geliums Nicodemi  kann,  wie  schon  Schröder  a.a.O.  feststellt, 
zur  textkritik  nichts  beitragen.  Trotzdem  ist  es  in  mehrfacher 
binsichl  nicht  uninteressant  Das  Fragment,  nennen  wu 
da  es  wo]  überhaupt  nur  die  Veronikalegende  enthielt,  w 

')  Die  beseii  bnnng  r  hof« 

bibliothek  in  ansprach  genommen. 


330  HELM 

kann  in  seinem  Verhältnis  zu  den  anderen  hss.  genauer  be- 
stimmt werden,  und  zwingt  uns,  die  Stellung  von  G  innerhalb 
des  handschriftenschemas,  wie  ich  es  in  der  einleitung  zu 
meiner  ausgäbe  des  Ev.  Nie.  s.  xix  aufgestellt  habe,  etwas  zu 
modificieren. 

Dass  Wv  der  von  mir  mit  z1  bezeichneten  handschriften- 
gruppe  zugehört,  ergibt  sich  mit  zwingender  notwendigkeit 
aus  den  versen  4649  f.,  in  denen  es  den  fehler  dieser  gruppe 
hiez  . . .  schrien  gegen  lies  in  Syrien  teilt.  Aber  auch  innerhalb 
dieser  gruppe  ist  sein  platz  bestimmter  anzugeben.  Ueberliefert 
ist  die  in  Wv  enthaltene  partie  4530 — 4658  in  G  und  s,  zum 
teil  auch  in  m;  die  anderen  hss.  der  gruppe  reichen  nicht  so 
weit.2)  Zu  keiner  der  genannten  hss.  stimmt  Wv  genau  — 
das  ist  schon  durch  die  nachlässige  textbehandlung  aus- 
geschlossen — ,  aber  einige  lesarten  stehen  doch  jenen  von  G 
sehr  nahe. 

Am  wichtigsten  sind  die  verse  4543  ff.  Sie  lauten  im 
Original:  wen  ^je  gjut  D]in^  haltz  und  toub 

und  sint  niht  wan  der  sele  roub; 
4545    wer  hier  an  sie  geloubet 

der  wirt  dort  beroubet 

des  ewigen  heiles. 

Die  hs.  s  hat  v.  4544  ausgelassen,  die  übrigen  verse  aber 
ziemlich  ungeändert  beibehalten;  dadurch  und  durch  G  4544 
wird  die  ganze  stelle  für  z1  gesichert,  G  hat  nun  aber  in 
der  weise  geändert,  dass  es  4543  in  zwei  verse  auseinander 
reisst  und  dafür  4545  f.  unter  gleichzeitiger  änderung  des 
Wortlautes  in  einen  zusammenzieht.    Die  stelle  lautet  dann: 

wan  si  sint  Mint, 

holtz,  top,  vnde  sint 

niht  wan  der  sele  röp. 

der  an  si  gelobet,  der  ist  top 

des  ewigen  heiles. 

Die  für  Wv  nach  ergänzung  der  lücken  anzusetzende  fassung: 


J)  Bibliothek  des  Lit.  Vereins  no.  224  (1902). 

2)  Auch  keine  hs.  der  weiteren  gruppe  z !  Ich  bemerke  das  ausdrück- 
lich, weil  in  meiner  ausgäbe  s.  xviii  infolge  eines  druckfehlers  irrtümlich 
die  verse  4519—4546  unter  dem  bestand  von  M  erscheinen;  gemeint  sind 
die  verse  4419—4446. 


NEUES   ZUB    ÜBERLIEFERUNG    DES    EVANGELIUMS   NICODEMI.      331 

wan  ri  rint  der  Bele  raup, 
</.  r  im  n  gelanbt  der  ial  taup 
ii,  $  ewigen  hailez 

setzt  direcl  die  Version  von  G  in  der  vorläge  voraus. 

Ebenso  passen  zu  <>'  sehr  gut  die  folgenden  einzelnen 
verse,  die  ich  jeweils  mit  den  entsprechenden  der  hs.  <;  und 
des  Originals  (t >>  zusammenstelle. 

v.  -i.'iTo    <laz  auch  Bi  dea  lauben  warn      Wv 

ilaz  Bi  ee  i  wti.ii      ( i 

<kiz  bi  gelonbic  waren  <  >  and  b! 
7.4652    mit  tyto  seine-  Bvn  reit?      Wv 

mit  -iii'-ni  buh  rlten      < I 

mit  Binem  Bone  Titen  0  and  b! 
v. 4654    nutz  -i  die  inneren  aessen      Wv 

nutz  sich  «Ii  inren  aezzen      < ■" 

liiz  sie  Bich  selben  ezen      0  and 

Audi  v.  1600  es  nah  im  <l>>  chunich  wart  stimmt  zu  Gr;  denn 
das  anvollständige  anfangswoii  des  verses  ist  sicher  ent- 
sprechend der  lesart  von  G  (gahes)  zu  gahes  zu  ergänzen. 
Das  0  kann  keine  schwierigkeil  machen,  denn  e  für  s  ist  in 
Wv  überhaupt  häufig-. 

Die  aufgezählten  Übereinstimmungen  zwischen  Wv  und  G 
könnten  ihre  erklärung  darin  linden,  dass  der  compilator  von 
Wv  die  hs.  G  direcl  benutzt  hat  Dagegen  scheint  aber 
anderes  zu  sprechen.  In  einigen  versen  hat  Wv  nämlich  die 
von  G  ai  ene  lesarl  des  Originals  beibehalten  oder  steht 

diesem  wenigstens  Daher,  [ch  nenne  zuerst  v.  1636  vR  dir 
trevlich  diensthafi  Wv,  und  dir  dienesihaft  wes  ■■<  (|  gegen 

ru  dir  dienendi  >>    Diese  stelle  ist   allerdings  nicht 

beweisend;  denn  es  wäre  immerhin  möglich,  dass  ein  Schreiber 
ein  in  seiner  vorläge  stehende*  selbständig  in  dienest- 

haß  geändert  hätte.    Dann  wäre  die  Übereinstimmung  mit  dem 
nndär  und  zufällig. 

Wichtig  ist  dagegen  \ .  162 lüii 
mi  ..  i  ./-  tagi  t  i  m  also  ! 

In  v.  1619  Bteht  NN  \  zwischen  dem  original  und  <;:  man 

l eiche:  <ln  bist  <>>  l \       pisi  an  di 

Hai  erehforen  Wv    und   du  bisi  an 

hreibt  Btatt  dessen  du  bist  tu  /.< 


332  HELM 

Dies  scheinbare  schwanken  zwischen  G  und  dem  original 
kann  zweierlei  Ursachen  haben.  Hat  der  compilator  G  direct 
benutzt,  so  muss  ihm  daneben  eine  zweite  dem  original  näher 
stehende  hs.  vorgelegen  haben,  der  er  die  von  G  abweichenden 
stellen  entnahm.  Das  ist  aber  bei  einem  manne,  dem  es  gar 
nicht  auf  die  qualität  seines  textes  ankam,  recht  unwahrschein- 
lich; nur  wenn  er  das  bestreben  gehabt  hätte,  einen  guten 
text  zu  bieten,  wäre  es  erklärlich,  dass  er  sich  bei  einer 
zweiten  hs.  rat  geholt  hätte.  Wir  müssen  uns  also  nach  einer 
anderen  erklärungsmöglichkeit  umsehen:  es  kann  nur  die  sein, 
dass  der  Schreiber  von  Wv  nicht  nach  G  selbst  gearbeitet 
hat,  sondern  nach  einer  hs.,  auf  die  auch  G  zurückgeht.  Diese 
vorläge  kann  aber  nicht  die  hs.  z1  gewesen  sein,  weil  z1,  wie 
wir  gesehen  haben,  die  stelle  4543  ff.  noch  in  der  richtigen 
fassung  hatte.  Wir  müssen  also  zwischen  z1  und  G  noch  eine 
weitere  hs.  einschieben,  der  G  und  Wv  mit  verschiedener 
treue  folgten.  Ich  nenne  sie  z4;  das  Schema  der  hss.-gruppe  z1 
stellt  sich  darnach  folgendermassen  dar: 


Wv  G 


w,r 

Diese  hs.  z4  muss  in  den  versen  4543  ff.  4570.  4652  und 
4654  bereits  den  uns  aus  G  bekannten  fehler  gehabt  haben, 
sie  hatte  dagegen  in  v.  4624,  vielleicht  auch  v.  4636,  noch  die 
lesart  des  Originals.  In  v.  4619  liegen  die  dinge  anders.  Hier 
hat  auch  der  Schreiber  von  s  geändert  und  zu  dieser  änderung 
hätte  er  keine  veranlsssung  gehabt,  wenn  in  seiner  vorläge 
noch  die  klare  lesart  des  Originals  an  sine  stat  gestanden 
hätte.  Umgekehrt  wäre  die  lesart  von  G  und  Wv  unverständ- 
lich, wenn  schon  in  z1  wie  in  s  zc  heiser  erclwrn1)  gestanden 


J)  Auch  m  schreibt:  zeinem  heiser  erweit.  Es  ist  daraus  uicht  ohne 
weiteres  auf  nähere  Zugehörigkeit  zu  s  zu  schliessen,  da  es  ja  sehr  nahe 
lag,  an  stelle  einer  unverständlichen  lesart  diese  wendung  einzusetzen. 


NEUBB   SSÜB    DBBBLIBFEBUNG    DBS   EVANGELIUMS   NTCODEMI. 

hätte.  Wir  müssen  also  annehmen,  dass  bereits  der  Schreiber 
von  z1  Btatt  an  sine  stat  versehentlich  an  des  riches  etat 
schrieb.  Diese  Lesart  ist  dann  in  z*  übergegangen,  von  wo 
sie  unser  compilator  übernahm,  während  der  Schreiber  von  Q 
einen  bessernngsversnch  machte. 

Dass  wir  auf  diese  weise  zn  den  früher  erschlossenen 
Bechs  verlorenen  hss.  des  Evangeliums  Nicodemi  (x,  y,  z,  z1,  z*,  z  I 
nun  noch  eine  siebente  erhalten,  darf  uns  nicht  Btören;  denn 
die  zahl  der  verlorenen  hss.  hat  damit  Doch  nicht  die  der  er- 
haltenen hss.  erreicht,  und  ich  glaube,  wir  müssen  bei  allen 
dichtungen  des  mittelalters  mit  einem  sehr  viel  ungünstigeren 
Verhältnis  zwischen  verlorenen  und  erhaltenen  hs>.  rechnen 
und  ganz  besonders  bei  einem  werk  wie  dem  onsern.  Wer 
kann  uns  sagen,  wie  viele  hss.  im  ordensland  in  den  stürmen 
des  II.  und  1">.  jh.'s  vernichtel  worden  sind!  Auch  die  be- 
liebtheil des  im  Ev.  Nie  dargestellten  Stoffes  spricht  für  eine 
reiche  handschriftlirhe  Verbreitung;  und  für  diese  beliebtheit 
isi  auch  diese  neugefundene  hs.  ein  beredter  zeuge. 

Es  ist  bisher  Bchon  als  sicher  angenommen  worden,  dass 
MeiK-iks  handschrift  nichl  etwa  die  beiden  gedichte:  Christi  hört 
von  Gundacher  von  Judenburg  und  Heslers  Ev.  Nie.  getrennt 
enthielt,  sondern  eine  contaminationsarbeit,  woran  ja  auch 
Schröder  nicht  zweifelt.  Die  nahe  berührung  im  inhall  legi 
das  schon  Behr  nahe:  es  lässl  sich  aber  auch  direel  beweisen. 
Schon  Schröder  bemerkt,  dass  der  text  des  ersten  blattes  von 
dem  Bonsl  bekannten  texl  Gundachers  stark  abweicht,  und 
besonders  stark  wird  die  düferenz  am  Schlüsse.  Dies  erklärt 
sich  sehr  einfach  daraus,  dass  eben  auch  hier  zum  teil  schon 
verse  ans  «lern  Ev.  Nie  vorliegen.  Ich  Btelle  die  letzten 
verse  von  Matt  iv  den  entsprechenden  vereen  Eeslers  in 
paralleldrucs  über    nnd    hebe   da-    gemeinsame   durch 

Bperrung  hervor: 

Wv  i|S  KvN. 

:    i  in  w  le  i-  wtt  ergangen  m                d  i  me  u 

ir  geecbibl  vut/  en  ende  'li<'  rede  irem  im  ende. 

iwe               nen  min  wende  0  »räch  der  missewende!» 

■p*  ob  ■.  li  der  k 

L470 

n  v  mfll  ich  iiiuir  ijuuclcn  -us  im  in  uz  ich  immi                 B   MI 

mit  nftteo  'li<  leb  ;..;,;.:;  man.  mit  diseu  uutun  die  leb  fa 


334      HELM,  NEUES    ZUR   ÜBERLIEFERUNG   DES   EVANG.   NICODEMI. 

Wv(lv)  Ev.N. 

Seit  mir  ds  iesus  niht  macht  puz 
ach  wie  sol  iz  mir  ergan. 

(Gunclacher  v.  4976) 
Haht  aws  ir  pylate  iht  getan  Hat  ir  Pilate  iht  getan?» 

Hier  können  wir  deutlich  sehen,  wie  beide  gediente  in- 
einander gearbeitet  worden  sind.  Zwischen  dem  letzten  auf 
blatt  1  und  dem  ersten  auf  blatt  2  stehenden  vers  aus  dem 
Ev.  Nie.  liegen  60  verse;  so  viel  konnte  die  abgeschnittene 
spalte  ld  nicht  enthalten;  der  Inhalt  muss  also  wesentlich 
gekürzt  worden  sein.  Bestätigt  wird  aber  auch  dadurch  wider 
Schröders  annähme,  dass  beide  blätter  reste  desselben  doppel- 
blattes,  des  innersten  einer  läge,  sind. 

Nur  mit  einem  wort  sei  noch  darauf  hingewiesen,  dass 
wir  in  diesem  fragment  nun  bereits  den  dritten  fall  einer 
compilation  des  Evang.  Nie.  mit  einer  anderen  dichtung  be- 
sitzen. Die  beiden  anderen  compilationen  liegen  vor  in  m 
(Heinrichs  von  München  fortsetzung  der  Weltchronik  Eudolfs 
von  Ems),  wo  die  verse  des  Ev.  Nie.  mit  solchen  aus  dem 
Passional  vermengt  sind,  und  in  der  hs.  W,  in  welcher  das 
Ev.  Nie.  mit  Bruder  Philipps  Marienleben  zusammengearbeitet 
ist  (vgl.  meine  einleitung  s.  xn  und  xix). 

GIESSEN,  den  27.  Januar  1909.  KAEL  HELM. 


MEISTER  ALEXANDERS 
PARABEL  VOM  GUTEN  BIRTEN. 

Die  romantische  Situation  der  rückerinnerung  an  die 
fruhHngst&ge  der  kindheit  (J1  str.30  32),  im  herbste  der  land- 
schafl  and  des  lebens  (J  30,7.  31,7),  auf  die  sich  Alexanders 
gedieht  -i  str.  30  36  aufbaut,  li.n  es  bei  dessen  erklärern  von 
jeher  in  scharfen  gegensatz  zu  seinen  übrigen  gedichten  ge- 
bracht  [hren  extremsten  ausdruck  fand  diese  sentimentalische 
betrachtungsweise  wo!  in  Roethes  Charakteristik  des  po£ms 
(Die  gedichte  Eteinmars  v.  Zweter  s.  354)  von  seiner  dem  musi- 
kalischen Schematismus  der  sangweisen  in  J  widerstreitenden 
melodie  aus;  er  nennt  es  da  'das  liebliche  Volkslied  von  den 
erdbeersuchenden  kindern,  das  unter  Alexanders  namen  steht*. 
Bei  solcher  auffassung  der  drei  mittelstrophen  (kinder  bei  der 
beerenlese  in  Bchlangengefahr)  als  thema  des  somil  strenge 
concentrisch  (2  :  3  :  2  str.)  aufgebauten  gedichtes  musste  man 
annehmen,  dass  die  Strophen  32.  33.  •"•!  parallele  Variationen 
einer  eventuell  von  Vergil  Ecl,  LH  92  abhängigen  (vgL  Ed. 
Schröder  in  Zs.  fda,  12.  ".71  f.)  ßituation  seien  (&  A.  Wallner  in 
Beitr.34,  L84).  I  >ann  zerlegte  aber  die  Zeitangabe  33,  2  ^Qtstem 
do  wir  ertberen  lasen*)  inmitten  des  hauptteiles  ihn  in  zwei 
ungleich  Btücke,   ohne   dass  ein  sachlich«  asatz 

elben  die  trennung  rechtfertigte.  Diese  Unklarheit  sachte 
nun  A.  Wallner  i  Beitr.  34,  184  L)\ ermöge  einer  blossen  Bt rophen- 
irersetzui  im  mittelstücke  des 

htes  zu  beheben,  indem  er  durch  str.  33   mit  der  zeit- 
los den  hauptteil  eröffnen  und  durch  32  beschliessen  I 
da  er  in  der  ahnlichkeil  der  worte  des  waldhuters  32,7  'wol 

')  Zu  grnnde  gelegt  LrackronJ:  Di 


336  SCHISSEL  V.  FLESCHENBERG 

dan  kinder  vnde  get  heyn'  ~  35, 1  'Vvol  dan  get  hyn  vz  dem 
walde'  eine  in  der  hsl.  stroplienfolge  zerrissene  verklammerung 
von  32  und  35  sieht;  auch  die  einleitung  (str.  31)  glaubt 
Wallner  mit  dem  hauptteile  (str.  33)  durch  das  —  wegen  des 
zeitlichen  Zwischenraumes  {gestern)  noch  deutlichere  —  gegen- 
stück  des  reinen  zum  erdbeerbefleckten  kindergesichte  *)  besser 
verbunden  (s.  a.a.O.  s.  186).  Dem  zusammenhange  des  haupt- 
teiles,  der  ja  nur  aus  parallelen  bildern  bestand,  konnte  eine 
solche  Umstellung  überdies  nicht  schaden. 

Die  Zusammengehörigkeit  der  str.  35  und  36  lässt  sich 
durch  die  recapitulation  des  resultates  von  35  in  36  mit  den- 
selben stichworten  im  selben  causal Verhältnis,  aber  in  ver- 
schiedener einkleidung  stützen:  35,6  'Ir  vürs innen.  Vch'  > 
35,7  'wirt  uwer  vreuden  klage'  =  36,2  'vivnf  ivncvrouwen. 
Sich  vürsvmten'  >  36, 4  'Ir  klage  vnde  ir  schade  was  groz'. 
Str.  35  ist  das  begriffspaar  säumigkeit  >  ungemach  die  an- 
gedrohte folge  der  sorglosen  freude  der  kinder  an  der  in  33 
geschilderten  Situation  des  erdbeerenlesens  im  buschwerk  und 
passt  sich  so  als  resume  aus  den  Warnungen  vor  schlangen 
und  einbrechender  dunkelheit  in  die  30—32  geschilderte  sce- 
nerie  ein.  Um  seiner  Warnung  mehr  nachdruck  zu  verleihen, 
widerholt  sie  der  hirte  in  einem  an  die  evangelische  parabel 
von  den  fünf  törichten  Jungfrauen  (F.  Pf  äff,  Minnesang  I  221, 
v.  55;  Beitr.  34, 186  f.)2)  angelehnten  Uspel  den  kindern  und 
infolge  deren  eingangs  festgelegter  identität  mit  dem  publicum 
(1, 1  'Hie  bevorn  do  wir  kynder  waren')  der  dichter  seinen 


x)  31,4/7  'Da  scheyn  vnser  kintlicli  schyn  Mit  dem  nuwen  krantze. 
Tzv  dem  tantze.'  :  33, 1  f.  '"Wir  vntfiengen  alle  maseu.  Gestern  do  wir  ert- 
bereii  lasen.' 

2)  Büttel  (=  die  stocwarten) ,  die  königliche  befehle  ausführen,  be- 
gegnen auch  im  gleichnis  von  der  königlichen  hochzeit  Matth.  22, 13;  da 
befiehlt  ihnen  der  könig,  den  nicht  mit  hochzeitlichem  gewande  bekleideten 
festgast  hinauszuwerfen  in  die  äussere  finstemis.  Für  ein  hereinspielen 
dieser  stelle  in  die  str.  J  3G  spräche  die  neueinführung  der  stocwarten  = 
ministri  daselbst  und  ihre  abhängigkeit  nicht  von  einem  sponsus  (Matth. 
25,  1),  sondern  von  einem  Jcvninc  =  rex.  Doch  mag  auch  eine  reminiscenz 
an  Luc.  12,  36  ff.  vorliegen.  Zu  gunsten  des  Wallner'schen  hinweises  auf 
das  hohe  lied  darf  vielleicht  an  die  Verbindung  der  Jungfrauenparabel  mit 
der  hochzeit  des  hohen  liedes  in  Zieglers  Parabola  Christi  de  decem  vir- 
ginibus  (s.  ühls  Teutonia  IV  33)  erinnert  werden. 


MEI8TER   ALEXANDERS    PARABEL 


Zuhörern.  Die  widerholung  <\i'>  begriffspaares  und  Beine  for- 
muliernng  als  resultat  aus  den  vorhergehenden  scenen  lässl 
in  ilnu  den  grundgedanken  des  ganzen  gedientes  erkennen, 
während  die  einkleidung  dieser  idee  in  das  evangelische 
gleichnis  ihre  identität  mit  Matth.  24,  42  ergibt;  'vigilate 
ergo,  quia  nescitis  qua  hora  Dominus  vester  venturua  Bit', 
Bagl  Alexander  in  negativer  Formulierung  mit  Beiner  warnung 
vor  Saumseligkeit  Dazu  stimmt,  dass  die  stelle  Matth.  24, 42 
am  Schlüsse  der  parabel  von  den  zehn  Jungfrauen  auch  im 
Matth. -evangelium  (25,  13)  widerkehrt  and  dass  der  mhd. 
dichter  auch  den  geistlichen  Bpruch  .1  str.  28  mit  den  weiten: 
'wachen!  wol.  Da  man  wachen  sol'1)  beendet.  Vers85,l  'Vvol 
dan  get  hyn  vz  dem  walde'2)  ist  zufolge  der  einleitenden 
forme]  (vvol  <!<:>/  nun  denn)  das  resnltal  früherer  aus- 
führungen,  die  nach  85,3  in  einem  den  kindern  von  ihrem 
hirten  erzählten  btspel  bestanden  haben  müssen.  Es  wird 
nochmals  zur  begründung  von  35,2  'Vnde  enylel  ir  nicht 
balde'  zugleich  mit  der     -  durch  die  gefahr  dc>  verirrens 

benen  —  notwendigkeit,  der  aufforderung  35,  l  bei  tage 
uachzukommen,  herangezogen.  Str.  32  bietet  nun  keine  den 
beerensuchenden  kindern  von  ihrem  huter  erzählte  geschiente, 
aus  der  sich  Beine  mahnung  35,  l  mit  ihrer  näheren  bestim- 
niunLr  35,2  ableiten  liesse,  wo]  aber  die  34.  str.,  die  sich  schon 
durch  ihren  unpersönlichen  einsatz  (34,  l  'Ez  gienc  ein  kvnt'i 
als  einlage  präsentiert  Das  Kind  der  34.  str.  ist  demnach 
keines  von  den  behüteten  kindern,  Bondern  befindet  Bich  nur 
in  ähnlicher3)  läge.  Seine  erfahrung  vermittelt  es  daher  nicht 
den  kindern  von  Btr.  85,  wie  die  bisherigen  ausleget  und  bgg. 
des  gedientes  glaubten,  Bondern  Beinen  Spielgefährten,  mit  denen 

1    Vgl.  ntrgite  oigüemus  in  der  lateinischen  grundlage  dee  spiel« 
den  lehn  Jungfrauen  (Übte  Teutonis  l\'  11;  in.  abhandL  24 

-i  Der  durchaus  keil  bwachte  widerholung  der  mahnung  heim- 

ragehen  (82,7)  darstellt,  wie  Wallner  meint,  sondern  von  Dir  essentiell 

hieden  ist,  wie  daraus  erhellt,  dass  beide  grün  inen  Inhalt 

sieh  oiohl  auf  das  heimatliche  wohnhaus  der  kindi  d  sul  des 

:,r||. 

nirgends  gesagt,  dass  dii   ron  ihm  angerufene  kinder- 
such  erdlx  eren  liest     l  ••  tm  ertaub  r  k 
auf  'li'-  (Übereinstimmung  der  beiden  entscheidenden  d  kiuder 

im  bnscb  w.  i  waldeehlaf 

Hl  tri  hichtr   ilei    deutschet»  »,  .  •■  \  I  • 


338  SCHISSEL  V.  FLESCHENBERG 

es  im  walde  lief.  Der  hirte  erzählt  eben  seinen  Schützlingen 
eine  kindergeschichte,  wie  sie  ihnen  durchs  märchen  vertraut 
sein  niusste,  um  seiner  daraus  gefolgerten  lehre  (35, 1)  den 
anschein  einer  auf  den  gegebenen  fall  besonders  passenden 
erfahrungstatsache  und  damit  grössere  Wirksamkeit  zu  ver- 
schaffen. Deshalb  lässt  er  sie  auch  nicht  vom  kinde  seines 
Mspels  dessen  kameraden  geben,  sondern  zieht  sie  selbst  daraus 
und  richtet  sie  an  seine  Schützlinge.  Damit  ist  die  strophen- 
folge  34.  35.  36  gesichert.  32  und  33  liegt  im  wesentlichen 
dieselbe  Situation  zu  gründe:  beide  male  füllt  die  erste  strophen- 
hälfte  die  Schilderung  kindlichen  Spieles  aus,  das  im  zweiten 
strophenteile  ein  hirte  stört.  Die  details  weisen  jedoch,  dass 
es  sich  in  33  um  die  specielle  ausdeutung  der  allgemeinen 
darstellung  von  32  handelt.  In  32  ist  das  'ertberen  suchen' 
nur  ein  moment1)  zur  Charakterisierung  der  an  keinen  be- 
stimmten Zeitpunkt,  sondern  nur  an  eine  allgemeine  zeitlage 
gebundenen  kindlichen  beschäftigung  und  daher  folgenlos,  in 
33  ist  es  die  ausschliessliche  tätigkeit  zu  einer  bestimmten 
zeit  (gestern)  mit  bestimmten  folgen.  In  str.  32  mahnt  die 
herumtollende  Jugend  ein  waltiviser,  der  zufällig  durch  den 
tann  schritt  ('rief  ...  Durch  die  riser'),  zur  heimkehr,  ohne 
seine  auff orderung  direct  begründen  zu  müssen;  denn  er  wird 

—  nach  dem  allgemeinen  Charakter  der  strophe  zu  schliessen 

—  meist  des  abends  die  tagsüber  (32,  4)  währenden  spiele 
durch  seinen  wolmeinenden  zuruf  beendet  haben.  Str.  33,  5 
warnt  vnser  hirte,  also  die  aufsichtsperson  der  kinder,  sie 
vor  schlangengefahr.  Dadurch  ist  das  local  der  scene  be- 
stimmt (vgl.  'in  dem  krute'  34,1),  während  es  nach  32,  dem 
jeweiligen  spiele  angemessen,  verschieden  sein  konnte:  eben- 
sogut der  erdbeerschlag,  wie  der  hochwald.  Dieser  innere 
gegensatz  der  beiden  gleichgebauten  str.  zwingt,  34  von  33 
abhängig  zu  machen.  Denn  nur  aus  einer  speciellen  Situation 
kann  eine  erzählung  hervorwachsen,  die  zur  beachtung  einer 
scharf  umrissen  en  läge  auffordert,  und  nicht  einem  beliebigen 
unbeteiligten  darf  man  diese  tendenziöse  geschiente  zumuten, 


x)  Wenn  man  richtig  an  den  verschluss  eines  jeden  der  drei  ersten 
verse  der  str.  32  ein  komma  setzt  und  so  v.  2  und  3  direct  von  liefe  wir, 
anstatt  von  suchen  abhängig  macht,  wie  bisher.  Leider  bedachte  niemand, 
dass  im  schatten  des  hochwaldes  keine  erdbeeren  gedeihen. 


ÜBISTSB   ALEXANDERS    PARABEL. 

Bondern  nur  einem  um  das  Schicksal  der  in  jener  läge  befind- 
lichen personen  besorgten.  Das  kann  nun  von  niemand  mehr, 
als  von  dem  ihnen  bestellten  hüter  vorausgesetzt  werden 
Entscheidend  isl  ferner  die  Warnung  des  letzten  Verses  vo] 
vor  schlangen  in  directer  rede  des  birten,  welche  die  einlage 
34  unmittelbar  veranlasst,  da  es  gilt,  den  achtlosen  kindern 
den  ganzen  umfang  der  constatierten,  nur  kurz  angekündigten 
gefahr  vor  äugen  zu  stellen.  V.  32, 7  steht  endlich  in  auf- 
fälligem zusammenhange  mit  den  entsprechenden  Zeilen  von 
80  und  31.  Alle  drei  eingangsstrophen  entwerfen  in  ihren 
ersten  6  versen  bilder  aus  der  kinderzeil  (spiel  auf  den  wiesen, 
veilchensuche,  Schönheitswettbewerb,  tanz,  erdbeereniese,  spiel 
im  walde),  deren  barmonie  die  Schlusszeilen  durch  einfuhrung 
einer  contrastierenden  betrachtung  absichtlich  stören:  30,  7 
knüpft  die  elegische  reflexion  aber  den  Wechsel  der  Zeiten  an 
das  in  der  Strophe  gegebene  local  (reimwoii  wesenfy,  fingier! 
also,  wie  Walther  ed.  Lachmann  124,10,  rückkehr  in  » 1  i *j 
heimatlichen  Auren;  31,  7  gibl  eine  allgemeine  bemerkung 
über  die  vergänglichkeil  irdischer  Ereuden  in  der  bedeutung 
Walthers  L24,  15  f.;  v. 32, 7  bleibt  im  bilde,  indem  er  das  kind- 
liche spiel  durch  die  worte  eines  erwachsenen  jäh  beenden 
lässt  Der  Grundgedanke  dieses  gedichtteiles,  die  Vergänglich- 
keit irdischer  Ereuden,  ist  jedoch  in  allen  drei  Btrophenschlussen 
derselbe,  erfährt  nirgends  eine  Steigerung,  allegorische  amdeu- 
tung  oder  lehrhafte  wendung.  Dadurch  repräsentiert  sich  der 
Btrophencomplei  30  32  als  einleitung  des  poems,  in  utdclmr 
für  ma.-liche  anschauung  typische  fälle  weltlicher  Ereuden  auf 
ihre  Vergänglichkeit  geprüft  werden.  Für  ein  biographisches 
erlebnis  darf  man  sie  wegen  der  oben  am  beispiele  der  32.  str. 

gten  allgemeinheit  ihrer  darstellung  nicht  halten  (vgl. 
Beitr.  34, 18£  .  Dass  der  dichter  sich  selbst  in  die  kinderschar 
einbezieht,  ist  paradigmatische  Verwendung  des  ich  (&J  str.  19), 
wie  sie  Etoethe  Et  \. '/..  >.  197  für  die  Bprnchdichtung  constatiert, 
die  ihre  Lehren  and  Gleichnisse  durch  fingierte  selbsterlebnisse 
der  antoren  eindringlicher  zu  machen  suchte.  Jene  ineinsetzung 
mit  dem  publicum  {wir)  ist  aber  auch  »'in  durch  die  einheil 
der  christlichen   interessen   begründetes  technisches  merkmal 

tlicher spruchpoesie  i"-i  Reinmar  v.  Zweter  i-.  Etoethe  ;■ 
b.2621.)  und.  wie  die  beispiele  lehren  (J  e  \y  lote  vns 


340  SCHISSEL  V.  FLESCHENBERG 

von  dirre  not'  9,1  'Sit  wir  nv  hören  die  wynde  toben  etc.' 
9,7  'vmme  vnser  heil'.  9, 10  ff. —  12,6  'Siben  totliche  svnde 
. . .  Die  wir  nennen  sülen  by  namen.'1)),  beim  wilden  Alexander. 
An  Spruchpoesie,  nicht  an  Stimmungslyrik  erinnern  endlich  die 
formein  set  32, 1  (vgl.  Alex.  J  20, 1  set;  17, 10  und  22, 11  nv 
set;  Roethe,  R.  v.  Z.  s.  263)  und  vvizzent  ir  36, 1  (vgl.  Roethe, 
Reinmar  s.  263;  bruder  Wernher  ed.  Schönbach  13,6  nü  wizzet 
doch]  59,12  so  wizzet;  62,11  vür  war  so  sult  ir  wizzen  daz2)), 
mit  denen  Alexander  in  unserem  gediente  den  contact  mit  dem 
publikum  aufrecht  erhält.  Nach  dieser  Interpretation  kann  in 
str.  30 — 32  nur  der  erste  teil  eines  bispels  in  Roethes  sinne 
(s.  Reinmar  s.  241)  gesehen  werden.  Dafür  sprechen  die  obigen 
beobachtungen  an  str.  33,  welche  eine  der  in  32  angedeuteten 
möglichkeiten  kindlich-weltlicher  beschäf  tigung  tendenziös  aus- 
führt. Die  Wallner  in  33,  2  unverständliche  Zeitangabe  gestern 
scheidet  also  bild  und  deutung,  hat  demnach  die  wichtige  tech- 
nische funetion,  einen  einschnitt  im  baue  des  gedientes  zu  mar- 
kieren. Nach  Alexanders  von  spruchpoesie3)  und  predigt  be- 
einflusster  technik  musste  sich  die  allegorische  auslegung  der 
kindheitsscenen  ebenfalls  in  drei  Strophen  erledigen;  so  deutet 
er  die  parabel  von  den  beiden  königstöchtern  J  str.  20  und  21 
punkt  für  punkt  ebenfalls  in  zwei  str.  (22.  23)  aus,  nachdem  er 
bispel  und  erklärung  sinnfällig  von  einander  geschieden  hatte 


a)  Vgl.  z.  e.  bruder  Wernher  ed.  Schönbach  15,11  'in  ist  geschehen, 
als  u n s  geschiht '  [geistlich!].  2,9  'got  die  marter  urnb  uns  leit.'  1,11  'sul 
wir  engelten  des,  und  daz  Adam  und  Eve  den  apfel  az.'  3,9.  9,12,  4,1. 
19,11  'wir  leien.'  24,6.  28,10  'daz  wir  den  Sünden  vor  dem  töde  en- 
pfliehen  und  entrinnen.'  41, 1  f.  42, 1  ff.  44, 12.  52,  2.  58, 11  'der  uns  den 
hiinel  hat  erkorn.'    Friedr.  von  Sonnenburg  ed.  Zingerle  I  1, 15  u.s.f. 

2)  Vgl.  noch  (nv)  merket  Alex.  6, 1.  6,  9.  9,  6;  Wernher  9, 1.  10,  5.  16, 1. 
19,1  (nü  m.).  34,5.  72,1;  Roethe  s.  263.  —  des  nement  wäre  Alex  6, 11. 
(des  nemet . . .  war)  Wernher  43,  4.  —  dar  gedenket  an  Wernh.  59,  5;  Roethe 
s.  263.  —  daz  sult  ir  vür  ein  bispel  ouch  enjohän  Wernher  63,  10.  —  nü 
saget  Wernher  56,9.  nü  ratet,  wise  vriunt  ebda.  49,9.  nü  ratet,  lieben 
vriunde  ebda.  73,  4.  Damit  soll  nicht  gesagt  sein,  dass  nicht  auch  die  per- 
sönlichste minnepoesie  die  anrede  an  die  zuhörer  kennt  (s.  Arnold  Schiller, 
Der  minnesang  als  gesellschaftspoesie.  Bonner  diss.  1907,  s.  17  f.);  war  doch 
auch  sie  nur  gesellschaftsspiel  mit  völlig  irrealem  inhalte! 

3)  Man  denke  an  ihre  Vorliebe  für  zweistrophige  gedichte,  in  denen 
sich  bispel  und  deutung  schön  auseinander  halten  Hessen;  s.  Roethe,  Rein- 
mar s.  120. 


miiistku  Ai-r.\  wnr.us  pararkl.  341 

(s.22,1  'Der  wilden  rede  nerae  ich  den  kern').  Das  ergebnis 
Beiner  exegese  unterstreicht  er  dann  in  einer  fünften  (24.)  Btr. 
voll  allgemeiner  meditation.  Ebenso  hebt  der  dichter  hier  die 
36.  str.  nicht  durch  die  verschiedenheil  ihres  gedanklichen  in- 
halts,  sondern  durch  dessen  neue  allegorische  einkleidung  von 
der  gleichgerichteten  35.  ab.  Diese  schliesst  sich  um  so  enger 
an  die  zwei  vorhergehenden  Btrophen  an,  als  sie  die  durch  die 
einlage  str.  34  unterbrochene  scenenschilderung  von  33  be- 
Bchliesst.  34  bezieht  sich  ja.  wie  schon  angemerkt,  nicht  auf 
die  personen  des  rahmens  33  und  35,  in  den  sie  Bich  als  er- 
zählung  im  munde  einer  der  rahmenfiguren  einfügt.  Sachlich 
dient  34  zur  darstellung  desumfanges  und  derbedeutung  der 
in  33  angekündigten  gefahr,  während  35  ein  vorbeugungsmittel 
gegen  Bie  angibt  and  ihre  consequenzen  für  den  fall  ihres  ein- 
treffens  zieht.  Der  erste  teil  von  33  führt  die  in  der  folgenden 
kleinen  scene  beschäftigten  personen  dramatisch  nacheinander 
ein.  ein  kunstmittel,  das  ebenso  wie  die  schlussmoral  .">•".  1  n. 
an  das  spiel  von  den  zehn  Jungfrauen  erinnert,  das  seine  per- 
BOnen  nacheinander  auftreten  lässt  und  in  dem  von  den  ersten 
vier  törichten  Jungfrauen  gesungenen,  chorischen  endverse 
(=  ed.  0.  Beckers.  German.  abhandl.  -I.  96  it.)  553  'des  si  wi 
ewielichen  vorlorn'  eine  —  schon  nach  der  Vortragsart  —  ;ill- 
gemeingültige  lehre  aus  den  begehenheiten  des  spiele^  zieht. 
ohne  sie  durch  den  proclamator,  in  diesem  falle  einen  engel, 
viim  Btücke  loszulösen.  Auch  Bonsl  stehen  sich  heide  dichtungen 
generell  nahe;  so  erinnern  die  leichtfertigen  worte  der  ersten 
törichten  Jungfrau: 

l;  1 75    godea  barmhertzekeil  i-'  also  vil. 

dai  i'li  mich  fcrawen  dar  \n'  Laiben  wil. 
wir  wallen  vns  unsere  jungen  lybet  fden. 

zu  der  vrirtschaffl  kommen  wir  nach  harte  wrol. 
laßt  .-  /ml)  ,t 

■ 

und  die  sie  ergänzenden  ausführungen  ihrer  zweiten  genossin 
(-.  Teutonia  I V  18): 

i;  |h:!    wir  wuüen 

ui it  phaffen  vnde  nii  /• 

')  B       Germania  in.  :;n  it. 


342  SCHISSEL  V.  FLESCHENBERG 

wir  frauwen  vns  nach  wol  ein  zwentzig  jare; 

die  Avyle  werdent  vns  wol  grae  die  hare, 

daz  vnser  dan  achtet  nymant  me: 

sehet,  so  wullen  wir  dan  ein  ander  leben  an  ge. 

an  die  äusserungen  der  lebenslust  bei  Alexander,  z.  b.  31, 1  ff. 
—  Bei  solcher  Verwendung  dramatischer  eingangs-  und  schluss- 
formen  kann  die  technische  Selbständigkeit  der  zweiten  strophen- 
trias  des  nach  dem  schema  3:3:1  str.  gebauten  s.  g.  kind- 
heitsliedes  nicht  mehr  zweifelhaft  sein.  Mit  dieser  dreiteilung 
folgt  meister  Alexander  der  (bei  gleichnissen  besonders  leicht 
erfüllbaren)  neignng  der  sprnchpoesie,  inhaltliche  mit  strophi- 
scher gliedernng  möglichst  in  einklang  zu  bringen  (Roethe, 
R.  v.  Z.  s.  339.  338),  z.  b.  1.  Stollen  :  bild,  2.  Stollen  :  deutung, 
3.  Stollen  :  moral.  Die  damit  festgelegte  dissonanz  zwischen 
liedform  und  spruchartiger  gliederung  des  spruchmässigen 
themas  löst  sich  durch  den  hinweis  auf  die  fünfstrophigen, 
akrostichischen  gediente  (s.  Roethe  a.a.O.  s.  121),  in  denen  jede 
strophe  der  deutung  eines  buchstabens  des  namens  Maria  ge- 
widmet ist.  Unserem  gediente  scheint  zahlensymbolik  um  so 
weniger  fremd,  als  der  mystischen  7 -zahl  der  Strophen  die 
7-zahl  der  verse  einer  strophe  entspricht,  was  beachtung  ver- 
dient, weil  der  strophenbau  zum  gedichtbau  wenigstens  in  der 
Sonderstellung  des  letzten  verses  der  str.  30 — 32  eine  weitere 
analogie  aufweist. 

Die  allegorie  im  zweiten  abschnitte  des  poems  (J  33 — 35) 
ist  die  evangelische  parabel  vom  guten  hirten  Joh.  10, 11:  'ego 
sum  pastor  bonus'.  Daher  des  hüters  besorgtheit  und  unermüd- 
liches1) bestreben,  seine  Schutzbefohlenen  durch  'rufen.  Vnde 
wüfen'  und  erzählung  eines  lehrhaften  exempels  vor  schlangen 
zu  warnen2);  erkennen  sie  doch  an  seiner  stimme  ihren  wol- 
meinenden  hirten  (33,  5  Vnsen  hirten):  'et  oves  illum  sequuntur, 


x)  Wegen  seiner  ausdauer  vergleicht  Hildebert.  Cenoman.  episcop.  Senn.  89 
(Migne  PL  171,  759 P)  den  hirten  der  glänbigen  mit  dem  diamanten  (adamas) 
bez.  kiesel  (silex),  denn  'utriusque  lapidis  . . .  duritia  magna  est'.  Zu  dem 
bilde  s.  Oswald  Zingerle  zu  Friedr.  von  Sonnenburg  III  6;  Uhls  Teutonia 
IX  66.  XI  84. 

2)  Cf.  Innocent.  III.  pap.  Sermon,  de  tempore  21  (PL  217,  410 B):  'bonns 
itaque  pastor  debet  pungere  lentas  [oves],  sustentare  morbidas  et  colligere 
vagas \ 


MKl.viT.K    ALEXANDERS   PARABEL, 

quia  sciunt  yocem  »'ins'  (Joh.  10,  t).  Die  beerensuchenden 
kinder  Bind  die  schwachen  gläubigen,  welche  den  lockungen  der 
weh  zu  wenig  widerstehen  können,  als  daas  sie  nichl  durch 
den  genuss  ihrer  Ereuden  ihre  Beele  befleckten  (83,  l  'Vvir  vnt- 
flengen  alle  masen.  Gestern  do  wir  ertberen  lasen*).1)  i 
die  well  mit  ihren  Lockungen  schon  von  jeher  anter  der  sommer- 
lichen Landschaft  mit  ihren  für  die  ma. -liehe  gesellschafl  be- 
deutsamen freuden  \  erstanden  wurde,  zeigt  die  oben  abgedruckte 
Btelle  des  spiels  von  den  zehn  Jungfrauen  B  103  oder  sprach  9 
Wernhera  (ed.  A.  E. Schönbach, WSB 148,  \  II  ::<» r.».  Bei  Wernher 
wird,  wie  schon  Bein  feinsinniger  Interpret  a.a.O.  b.32  Bieht, 
mundus  (9,  12  's6  leit  diu  Erde  an  dich  ir  Btric')  mit  diabolus 
in  eins  gesetzt;  beim  wilden  Alexander  stehen  beide  be<rririe 
zum  wenigsten  in  engem  zusammenhange:  anter  blumen  und 
fruchten,  d.h.  unter  den  verführerischen  reizen  der  weit,  lauert 
die  schlänge,  d.i.  der  alttestamentliche  teufel.  Aehnlich  er- 
klärt die  predigt,  auf  die  schon  Schönbach  zur  angezogenen 
Wernherstelle  im  allgemeinen  verweist,  das  biblische  Bymbol: 
•dar  umiiie  heizzel  der  propheta  den  tuvel  ein  slange,  wanne 
er  den  mensi dien  läget  heimiliche  und  zu  ime  Blinget  mit  der 
rerratnusse'  (Schönbach,  Altd.  predigt  III  17. 27 1.  Auch  Konrad 
von  Kegenberg,  dessen  anschauungen  Äiexandern  bei  der  be- 
liebtheit  gewisser  zoologischer  bilder  in  der  späteren  didaktik 
(&  Etoethe,  EL  v.  '/..  b. 282  t)  durchaus  geläufig  gewesen  sein 
weiden,  deutet  des  hl.  A mbi i isius  aussprach,  dass  der  Bpeichel 
eines  aüchternen  menschen  Bchlangen  töte,  in  analoger  w< 
zu  gunsten  der  enthaltsamkeil  von  irdischen  genussen  um  (ed. 
Pfeiffer  s. 261, 7):  'trenn,  BÖ  ist  das  pilleich,  daz  diu  vast  ouch 
wider  die  gaistleichen  Blangen  heb',  daz  ist  wider  di< 

Eine   der   Symbolik   des   altdeutschen    predigen    und 

Victore  im  Gregor.  IV  7  (PI 

1 1  . 1  •  >  die  der  ittnde  nichl  standhaltenden  gläubigen  unter  dem  bild< 
dd  li  I  Job  1 l  l •'•  fon  d(  ii  -  tbaern 

ferinnt,  .,ui.i  •  ■-  u  stat  •  •  it>  r  tuIi                        dam 

iuvt'iiilis  conitantia  inidem  bona  ineipiunt,  sed  in 

lliii«    inchoati                 teneritndine,  captiritantibni  jq«fq?ndii  -i*i r i- 
tibtu  rabtteronntnr.'    Jeder  binweU 

bindet  feb  -  bindet  in  der  und.  dichtnng 

(Zürich  188                >  and  bei  I  .1  Ind.  <l.  Li!  <l  11.-16 

•val.i.-r  111. 


344  SCHISSEL  V.  FLESCHENBERG 

unseres  dichters  verwante  deutung  der  biblischen  schlänge 
gibt  endlich  Garnerus  de  S.  Victore  Gregor.  III  28  (PL.  193, 
126  B):  'serpens  autem  non  solum  est  tortuosus,  sed  etiam  lub- 
ricus.  quia  autem  in  veritatis  rectitudine  non  stetit,  tortuosum 
animal  intravit;  quia  vero  suggestioni  eius  si  primo  non  resi- 
stitur,  repente  totus  ad  interna  cordis,  dum  non  sentitur  illabitur, 
verba  ad  hominem  per  animal  lubricum  fecit.  cavernae  autem 
huius  colubri  corda  fuerunt  iniquorum.  quae  quia  ad  pravi- 
tatem  propriam  traxit,  quasi  in  eorum  habitatione  requievit.' 
Ausgehend  von  derartigen  erwägungen  muss  Alexander  die 
durch  die  geschichte  vom  ersten  sündenfalle  im  paradiese 
(s.  bruder  Wernher  1,  WSB  148,  VII  2),  oder  das  bild  des 
Ecclesiastes  10,  11  'si  mordeat  serpens  in  silentio  etc.'  (s.  die 
obige  predigtstelle)  bekannte  alttestamentliche  schlänge,  anstatt 
nach  der  evangelischen  parabel  den  wolf,  den  schwachen,  sorg- 
losen kindern  als  feind  gegenübergestellt  haben.  Er  schadete 
dadurch  der  Verständlichkeit  seines  UspeJs,  da  das  ma.  die 
Schlange  als  symbol  des  diäßoZog  nur  aus  dem  AT.  kennen 
konnte  (vgl.  G.  Roskoff,  Gesch.  des  teufeis  1 193  f.  und  M.  Dreyer, 
Der  teufel  i.  d.  deutschen  dichtung  des  ma.,  Rostocker  diss.  1884, 
s.  18);  im  NT.  ist  vom  aussehen  des  teufeis  ja  nie  die  rede 
(Roskoff  I  200).  Aus  der  meinung  der  kirchenlehrer  der  ersten 
drei  christlichen  Jahrhunderte,  die  dämonen  seien  mit  leibern 
ausgestattet  (Roskoff  I  233),  die  durch  Augustin  dahin  ergänzt 
wurde,  dass  die  dämonenleiber  sich  nach  dem  abfalle  der  bösen 
geister  noch  verdichtet  hätten  (Roskoif  I  261),  und  aus  der 
manichäischen  personification  der  materie,  d.  i.  des  bösen  prin- 
cipes,  als  riesenhaften  menschen  (Roskoff  I  261)  entwickelte 
sich  im  4. — 6.  jh.  die  Vorstellung  von  der  menschengestalt  des 
teufeis  (Roskoff  I  283),  die  auch  zur  zeit  der  höchsten  teufels- 
furcht  im  ma.,  im  13.  jh.,  nur  mehr  in  details  verändert, 
individualisiert  wurde  (Roskoff  I  344,  vgl.  I  301  und  Dreyer 
s.  23  ff.  26.  43).  Diese  Veränderungen  bedingte  der  glaube 
an  die  verwandlungsfähigkeit  des  satans,  der  im  berühmten 
Canon  episcopi  des  4.  jh.'s  (Roskoff  I  271)  ebenso  entschieden 
zum  ausdruck  kommt,  wie  in  den  folgenden  jh. '),  speciell  aber 


*)  Fürs  i. — 6.  jh.  vgl.  die  Versuchungen  des  hl.  Victorinus  (Roskoff 
I  277),  dein  der  teufel  als  schönes  mädchen,  des  hl.  Antonius  (ebda.  I  278), 
dem  er  ebenso  oder  in  tiergestalten  erschien,  und  des  hl.  Martinus  (ebda. 


MEISTER   ALEXANDERS    PARAHEr,.  345 

bei  Cäsarius  7011  Beisterbach  im  13.  (Roskoff  I  319.  321.  323, 
vgl.  346).  Als  verwandlungsstadium  des  teufeis  wurde  auch 
das  biblische  schlangensymbol  im  ma  aufgefasst,  wenn  man 
es.  wie  die  anderen  tiergestalten,  die  er  anzunehmen  vermochte 
(s.  um.  jimn.  l).  auf  eine  bestimmte  eigenschafl  desselben  ltezog; 
so  verfuhr  z.b.  der  altdeutsche  prediger  {läge),  soGarnerusde 
S.  Victore  (lubricitas)1),  so  auch  meister  Alexander,  der  auf 
die  consequente  durchffihrung  des  evangelischen  gleichni 
(hirte  —  wolf)  verzichtete,  um  anter  dem  bilde  der  schlänge 
die  Verborgenheit  all  der  den  menschen  umlagernden  teufel- 
kategorien  (33,7  'hie  gel  slangen  vil')2)  betonen  v.u  können, 
um  derentwillen  beim  genusse  der  trügerischen  weltfreuden 
unbemerkt  bleibt,  dass  eben  dieser  genuss  das  verderben  der 
seele  involviere,  somit  die  begriffe  well  und  sünde  =  teufe! 
Bich  decken.  —  Bereits  das  memento  mori  der  7.  verse  der 
drei  eingangsstrophen  und  die  Versetzung  derdaselbsl  geschil- 
derten Bcenen  samml  ihrer  ausdeutung  in  die  kinderzeil  mahnen 
zu  allegorischer  auffassung  der  Zeitbestimmungen  in  .1  30 
Danach  ist  der  tag  35,  I  das  zeitliche  leben  und  das  umstrittene 
gestern  33,2  die  zeit  der  Jugend  and  des  weltgenusses  im  sinne 
des  psalmisten  89,  I  'quoniam  mille  anni  ante  ocolos  tuos,  tan- 
quam  dies  hesterna  quae  praeteriit'  "der  LMaccab.  9, 44 
'surgamus,  ei  pugnemus  contra  inimicos  aostros.  oon  es1 
enim  hodie  Bicul  heri,  et  nullius  tertiua  ecce  enim 
bellum  ex  adverso,  aqua  vero  Jordanis  hinc  ei  inde,  ei  ripae, 
ei  paludes,  e1  Baltus:  et  nun  est  locus  divertendi.'  Die  scharfe 
Scheidung  zweier  Lebensalter  durch  einen  so  genan  bestimmten 
zeitbegriff  wie  gestern   is1   eine  eigenheil   ma.-licher  lebens- 

1  279),  an  den  der  i";"-  in  mythologischen  gestalten  heranti  7.jh. 

!>>•/■  •■..  eine  erschein  itans  ing<  ischweins, 

eleu  tenfel  als  Biegenden  'li 
den  Fnldaer  annalen  (Urs  11.  jh.  als  riesen  od<  1 

rgl.  1  B08),  11  -  t        Pur  die  ad,  dichtnng  -    Dre; 

M   Aehnliche  Mischannnj  d  noch  bildliche  darstellnngen  des 

tenfeli  rar  rei  Lliteratnr 

•  1  1  Germanica  III  8)  1  1 1 

ongen,  >\\o  abl  EUchalmns  na   1270  erlebte 

uinl  in  seinem  .' 


346  SCHISSEL  V.  FLESCHENBERG 

anschauung,  nacli  der  die  Jugend  ausschliesslich  dem  lebens- 
genusse,  das  alter  dagegen  der  busse  gewidmet  war;  sie  be- 
gegnete schon  im  spiele  von  den  zehn  Jungfrauen  (B  103  ff.) 
und  findet  sich  auch  im  16.,  speciell  aber  im  9.  spr.  Wernhers, 
dessen  pointe  in  einem  vergleiche  des  unerwartet  raschen  wan- 
deis vom  sommer  zum  winter1)  mit  dem  ebenso  plötzlichen 
Übergänge  von  der  Jugend  zum  alter  besteht.2) 

Nach  dem  vorausgehenden  wird  der  von  Wallner  (Beitr. 
34, 187)  gegen  Alexander  erhobene  Vorwurf  geringer  bibel- 
festigkeit  und  gelehrsamkeit  wol  kaum  mehr  gegen  die  alle- 
gorische auslegung  der  str.  J  30— 36  geltend  gemacht  werden. 
Doch  möge  seine  völlige  grundlosigkeit  noch  ein  beispiel 
dartun.     Str.  28, 1—16: 

Syon  trure. 

Din  bürchnivre. 

hat  von  schüre. 

Vnd  von  winde  manigen  stoz. 
5    Darnach  weyne. 

Dem  ortsteyne. 

Der  alleyne. 

Dyne  wende  tzv  samne  sloz 

Den  wint  man  abe  mit  tzangen. 
10    Synen  kloben. 

Nv  la  toben. 

Daz  volc  la  die  wachter  slafen. 

Der  kvniDC  ist  of  gegangen. 

Vnde  syn  her. 
15    An  die  wer. 

Owe  wafen  ymmer  wafen.  etc. 

folgt  Isaias  28, 16  f.:  'Idcirco  haec  dicit  Dominus  Dens:  ecce 
ego  mittam  in  fundamentis  Sion  lapidem,  lapidem  probatum, 
angularem,  pretiosum  in  fundamento  fundatum;  qui  crediderit, 
non  festinet.  Et  ponam  in  pondere  iudicium,  et  iustitiam  in 
mensura:  et  subvertet  grando  spem  mendacii:  et  protectionem 
aquae  inundabunt.'  Was  sich  der  deutsche  dichter  unter 
grando  des  propheten  (=  v.  3  schüre)  gedacht  haben  wird,  lässt 
Garnerus  de  S.  Victore,  Gregor.  1 19  (PL.  193,  66 C)  erkennen: 


')  'Swie  lange  ir  in  der  wirde  Bit,  vil  schiere  knmt  ein  rife  mit  getwauge.' 
2)  'Wibes  schoene  und  manues  kraft  sint  in  der  wirde  drizec  jär, 

so  leit  diu  Erde  an  dich  ir  stric;   des  nim  in  diner  müede  (=  erbärmlich- 

keit)  war!' 


HEI8TEB   ALEXANDERS    PAKABEL.  347 

'grandinis  quoque  nomine,  dura  ei  Erigida  corda  pravornm  de- 
signantur.'  Auch  hier  also  eine  allegorische  behandlung  eines 
biblischen  themas,  die  wie  im  gediente  str.  30  36  zum 
vigilate  des    Matthäusevangeliums   führt:   'wachen!    wol   etc.' 

Damil  ist  der  allegorische  Charakter  des  poems  J  30 — 36 
nnd  die  richtigkeil  der  hsL  Btrophenabfolge  erwiesen,  hoffent- 
lich auch  eine  richtige  Interpretation  der  parabel  angebahnt, 
die  nicht  mit  der  tränenfeuchten  melancholie  etwa  eines  Joh. 
Gandenz  von  Salis-Seewis  (s.  Gedichte '  L800,  >.  7  ff.)  entschwun- 
dene kinderjahre  betrauert,  sondern  das  ernste  thema 
predigers  poetisiert:  '[Christus]  trug  uns  ouch  des  daz  pilde 
unde  die  lere  allez  seihe  yor,  wie  wir  dise  werlt  unde  die 
zerganclichen  ere  unde  Eronde  dirre  werlt  versmahen  solten 
durch  die  ewigen  Eroude  und«-  ere'   (Schönbach,  Altd.  predigt 

I  2:.:;.  2  lt.). 


oe  biblische  forme]  (cf.  Ps,  B9,  I  'quoniam  mille  anni  ante  ocules 
tnos,  tanqnam  dies  hesterna  qnae  praeteriit')  liefert  dem  minneliede  sir.:;7 
—4t  <lie  puinte,  wenn  mau  nicht  lieber  die  litotes  bez.  hyperbel  41.1  ('Uns 
U'ii-  eyn  Lar  also  eyn  tar'i  ond  41,8  ('Des  ist  vna  ein  tac  eyn  Lar')  ans 
der  tradition  des  minnesanges  ableitet,  dem  diese  biblische  ansdj 
in  seinen  anfangen  (s.  Teutonia  XI 84)  geläufig  war. 

[NNSBRÜCK,  zur  fasnacht  L909. 

OTMAB  8CHISSEL  V.  FLESCHENBEBG. 


ZUM  CONJ.  PRAET.  IM  SCHWABISCHEN. 

Beitr.  34, 447  ff.  hat  Jacki  alles,  was  die  vorhandene  gram- 
matische dialektliteratur  in  beziehung  auf  den  conj.  praet.  im 
schwäbischen  bietet,  mit  grosser  Sorgfalt  zusammengestellt  und 
umsichtig  verwertet.  Auch  für  den  speciellen  kenner  schwä- 
bischer mundarten  ist  daher —  ganz  abgesehen  von  dem  grösseren 
Zusammenhang,  in  den  das  material  hier  gestellt  erscheint  — 
dieser  teil  seiner  arbeit  höchst  nützlich  und  wertvoll.  Indes 
kann,  wer  das  gesammte  hd.  Sprachgebiet  umspannt,  natur- 
gemäss  nicht  mit  allem  detail,  allen  localen  lautgesetzen  u. s.w. 
so  vertraut  sein,  als  es  im  interesse  einer  richtigen  beurteilung 
mancher  einzelheiten  gelegentlich  wünschenswert  wäre.  Daher 
möchte  ich  mir  erlauben,  hier  vom  Standpunkt  des  Schwaben 
aus  einige  nachtrage  und  sonstige  ausführungen  zu  Jackis  dar- 
stellung  zu  veröffentlichen. 

Zunächst  ein  paar  bemerkungen  mehr  äusserlicher  art. 
Erstens:  obgleich  das  gerade  aus  seinem  quellenverzeichnis 
s.  447  f.  mit  ziemlicher  deutlichkeit  erhellt,  scheint  sich  Jacki 
nicht  recht  bewusst  geworden  zu  sein,  dass  von  dem  gesammten 
schwäbischen  Sprachgebiet  bisher  eigentlich  nur  gewisse  grenz- 
gegenden  von  der  dialektforschung  einigermassen  genügend 
bearbeitet  sind:  der  schwäbische  Südwesten  von  der  linie 
Nellingsheim  - Wurmlingen  -  Reutlingen-Münsingen  an  südwärts, 
und  dann  wider  im  äussersten  osten  das  Eies. ')  Für  alles  übrige, 
somit  gerade  für  das  schwäbische  hauptgebiet  zwischen  Stutt- 
gart und  Augsburg,  sind  wir  bisher  ausschliesslich  auf  Fischers 


J)  Vielleicht  wäre  noch  Aloys  Laus  Vocalismus  des  AVestallgäuer 
dialektes  fürs  südost-schwäbische  heranzuziehen.  Jedenfalls  scheint  es  mir 
ein  misgriff,  diesen  mit  den  maa.  des  südlichen  Oberschwabens  die  engste 
venvantschaft  zeigenden  dialekt  zum  hochalemannischen  zu  stellen. 


(  (»NM.    PHABT.   im    SCHWÄBISCHEN.  349 

Geographie  angewiesen,  die  Bich  im  wesentlichen  auf  die  laut- 
lehre  beschränkt,  und  auch  da  bei  feineren  Untersuchungen 
aotwendig  versagen  muss.  Unter  diesen  umständen  scheinl 
mir  Jacki  mit  ausdrücken,  wie  'im  hauptgebiet',  'über  das 
ganze gebiel  verbreitet'  u.dgl.  etwas  unvorsichtig  umzugehen. 

Zweitens  scheinl  Jacki  die  bemerkung  in  der  vorrede  zum 
Schw.  wb.  (1  w)  übersehen  zu  haben,  wonach  die  in  capitälchen 
gedruckten  abkürzungen  für  die  württembergischen  (und  hohen- 
zollerischen)  oberämter1)  das  ganze  gebiel  des  betreffenden 
oberamts  bezeichnen,  nichl  etwa  specieU  die  oberamts -Stadt, 
wo  gerade  die  wichtigsten  eigentümlichkeiten  so  oft  durch  die 
Verkehrssprache  bereits  verdrängl  sind.  Daher  ist  es  z.b. 
anrichtig,  zu  sagen  (s.  151),  die  form  blüh  finde  sich  -in  ... 
Rottweil,  Balingen,  Sulz,  Freudenstadt':  gerade  in  diesen 
Städten,  namentlich  in  den  drei  Letztgenannten,  wird  blüh 
kaum  mehr  zu  finden  sein.  Richtiger  wäre  gewesen:  'in  den 
O.AÄ.  Rottweil  u.s.f.-:  dann  wäre  Schwenningen  und  Ostdorf 
auch  gleich  mit  einbegriffen. 

Drittens  bringl  Jacki  den  durchweg  von  laien  verfa 
abschnitten  über  die  mundarl  in  den  älteren  oheramtsbeschrei- 
bungen  allzuviel  vertrauen  entgegen.  Dieselben  sind  manchmal 
Behr  unzuverlässig,  und  besonders  in  der  Schreibung  der  mund- 
artlichen formen  äussersl  unbeholfen  und  inconsequent.  Ee 
war  also  z.  1).  gänzlich  unangebrachl  (s.  451),  einer  schrift- 
sprachlichen reminiscenz  der  O.AJB.  Tuttlingen  wegen  die  an- 
gäbe y\*->  zuverlässigen  Haag  über  die  allgemeine  entrundung 

'  anzuzweifeln. 

Viertens:  nach  b.427  will  Jacki  die  Btimmlosen  mediae 
der  oberdeutschen  maa.  durch  b,  d,  g  widergeben.  Warum 
fuhrt  er  dann  aber  in  praxi  dafür  die  für  uns  Süddeutsche 
ganz  unleidlich  anzusehenden  />.  t,  Jt  ein  und  Bchreibl  z.  l». 
(s. 448  f.)  prftt,  prt\  ■  ■'  anstatt  wenigstens  brftt,  brigt, 
wie  es  in  den  fortis  und  lenis  genau  scheidenden  Baarmund- 
arten  heisst?1)    Wahrend  er  im  ersten,  das  hochalemannische 

'»  Oberamt,   oichl    (wfc  Jacki   1.448  mit    anrichtij 
schreibt)  Oberamubesirk,  LbI   !"i  am  'li>'  offlciellc  beMichnung 
tangseinheiten. 
')  Im:  schwäbischen  hauptgebiel  h< 

0  I  i       K.iuiiin.iiin    i    • 


350  VEIT 

behandelnden  abschnitt  fortis  und  lenis  noch  ganz  richtig  aus- 
einander hält  (vgl.  z.  b.  s.  431  siog),  lässt  er  sich  im  zweiten 
abschnitt,  offenbar  durch  die  arbeiten  der  Strassburger  ger- 
manistenschule,  die  Umschreibung  der  stimmlosen  lenes  durch 
}),  t,  h  aufdrängen  und  behält  diese  dann  auch  in  den  folgenden 
abschnitten  bei,  wodurch  er  sich  überhaupt  der  möglichkeit 
beraubt,  in  oberdeutschen  maa.  fortis  und  lenis  auseinander 
zu  halten.  Bei  den  niederelsässischen  und  niederschwäbischen 
dialekten,  welche  unaspirierte  fortis  überhaupt  nicht  zu  kennen 
scheinen,  mag  das  hingehen;  aber  bei  den  mundarten  des  süd- 
lichen Schwarzwalds,  der  Baar,  und  den  schwäbischen  mund- 
arten südlich  der  Donau,  die  sämmtlich  hauchlose  fortis  neben 
stimmloser  lenis  haben,  ist  diese  transcription  ausserordentlich 
unpraktisch  und  irreführend. 

Ich  habe  über  diese  dinge  so  ausführlich  gehandelt,  weil 
ich  denke,  dass  vielleicht  solche,  die  künftig,  in  der  art  von 
Ritzert  und  Jacki,  ein  capitel  der  mundartlichen  grammatik 
über  das  ganze  hd.  Sprachgebiet  verfolgen  wollen,  daraus  nutzen 
ziehen  können.  Nun  gehe  ich  zu  meinem  eigentlichen  thema  über. 

In  erster  linie  kann  ich  Jacki  bestätigen,  dass  gerade  die 
südwestlichen  übergangsmaa.  des  schwäbischen  den  conj.  praet. 
relativ  besonders  gut  bewahrt  haben:  schon  in  Ostdorf  finden 
sich  noch  wesentlich  mehr  derartige  formen,  als  etwa  in  der 
Tübinger  gegend.  Jedoch  scheint  Jacki  mich  mis verstanden 
zu  haben,  wenn  er  aus  meiner  äusserung  Ostd.  stud.  1, 4  heraus- 
liest, dass  in  Ostdorf  noch  neubildung  solcher  conditionale  mög- 
lich sei:  das  ist  durchaus  nicht  der  fall.  Ich  wollte  a.  a. o.  nur 
sagen,  dass  man  bei  fortgesetztem  verkehr  mit  den  bauern 
immer  von  neuem  wider  auf  alte,  schon  beinah  verschollene, 
formen  des  conj.  praet.  stosse,  welche  die  leute  bei  irgend 
einer  gelegenheit  aus  dem  schätz  ihrer  mundartlichen  'Spar- 
pfennige' hervorholen.1) 


von  vorgefassten  theorien   irreführen.    Das   Schw.  wb.   aber  nimmt  leider 
wiclernm  zu  viel  rücksiebt  auf  etymologische  gesiebtspunkte. 

*)  Leider  kommen  solche  gelegenbeiten  ziemlich  selten;  bei  sehr  vielen 
der  von  mir  in  Ostdorf  gesammelten  couditionalformen  könnte  ich  noch  genau 
den  Zusammenhang  angeben,  in  dem  sie  mir  erstmals  begegnet  sind.  Dass 
gerade  hier  directes  fragen  am  allerwenigsten  zum  ziele  führt,  habe  ich 
(Md.  Studien  3,  8  hervorgehoben. 


CONJ.   PRABT.   IM    SCHWÄBISCHEN.  351 

Vielmehr  ist  von  Ostdorf  bis  Tuttlingen  das  fortwährende 
zurückweichen  jener  alten  formen  des  conj.  praet  vor  dem 
ausdruck  des  conditionalia  durch  Umschreibungen  ganz  unver- 
kennbar, l'inl  zwar  ist  die  Umschreibung  durch  täte  allent- 
halben üblich,  auch  im  Übergangsgebiet  bis  Tuttlingen  und 
darüber  hinaus.  Richtig  ist  nur,  dass  schon  von  Ostdorf 
an  südwärts  ueben  die  Umschreibung  durch  täU  eine  solche 
durch  würde  tritt,  die  aber,  ganz  wie  in  Niederösterreich 
(a  Jacki  s.  458),  .mt'  den  nachsät  z  der  hypothetischen  periode l) 
beschrankt  ist  und  auch  da  mehr  zum  ausdruck  des  modus 
potentialis  dient.2) 

Zwitterformen  sind  vorwiegend  dem  oiederschwäbischen 
eigen.  In  Ostdorf  und  südlich  davon  sind  Bie  sehr  selten, 
haben  Btets  starke  formen  ueben  sich,  und  Bind  zweifellos  als 
eindringlinge  aus  der  Verkehrssprache  zu  bezeichnen.  Dahin 
sind  die  angaben  in  den  O.AJ3B.  Balingen  und  Tuttlingen, 
sowie  bei  Haag  zu  berichtigen,  welch1  letzterer  übrigens  1.  c. 
keine  einzige  solche  zwitterform  anführt  i 

Was  die  ablautenden  conditionale  zu  schw.  vb.  betrifft, 
so  sind  die  formen  mit  ou  —  zu  denen  auch  das  merkwürdige 
8out(e)  'dicerem'  in  Schwenningen  (Haag  &  22.  18)  gehört 
sicherlich  von  verben  der  ablautsreihe  -  ausgegangen,  wo 
einsl  der  vncal  des  Bing.  ind.  praet  gelegentlich  auch  in  den 
conj.  praet  gedrungen  Bein  muss. 

I  de  formen  mit  e?  |  genauer  j »)  aber  sind  auf  die  nasalierten 
vi»,  der  7.  ablautsreihe   zurückzuführen.     Das  alte  ie  dieser 
vi»,  musste  Dämlich   vor  nasal   im  schwäbischen   hauptgebiel 
lautgesetzlich  zu  :'>.  in  den  übergangsmaa.  des  Südens  dag« 
zu  '. "  werden:  Bo  auch,  wie  au-  11.  anzweideutig  herv<  r- 

geht,  in  Schwenningen;  wenn  dort  jetzt  uruj  \\.>.i.  vorkommt, 
si.  i-t  dies  ein.'  Bp  Ltere  analogiebildung  nach  den  vb.  ohne  uasa]  •>. 

'i  Natürlich  erscheint  sie  auch  in  ellipsen,  «"  der  bedingungattti  über- 
banpt  fehlt 

•  i   um  beisph  itehl  i»'i  B 

Voll    Ulltili. 

.v  Ire  •l>-iiii.  dam  in. in  dort  I  litionaüi  zu  / 

bitte     Bi  konnte  abei  Mich  n  /•'/.  (Uden)  gel 
')  M .in  konnte  anch  darin  denken,  'li-»  tolche  I  gentlich  die 

r.  iL  \r  \,,n  uiLi  •    irlren nnd nnprfinglicl 

d  dann  daa    .  BpftU  i  'Im.  li  et) mol 


352  veit 

die  möglich  wurde,  als  (vgl.  Haag  s.  65)  jenes  ältere  lautgesetz 
ausser  geltung  kam.  Da  nun  aber  auch  gedehntes  mhd.  e  vor 
nasal  im  hauptgebiet  zu  i?  (vgl.  z.  b.  Bopp  s.  31  hrehn),  in  den 
übergangsmaa.  zu  p  wird  (vgl.  Haag  s.  24),  so  konnte  dem 
mda.  sprachbewusstsein  die  erinnerung  an  die  herkunft  eines 
solchen  p  bez.  p  verloren  gehen,  oder,  mit  anderen  worten, 
es  bildeten  sich  'falsche  proportioneil'  wie  etwa  nemid  :  fpgd 
=  ge7w  :  jpg,  oder,  wider  anders  ausgedrückt,  man  empfand 
das  c~d  irrtümlich  als  nasalierungsproduct  aus  p  und  empfand 
demgemäss  p  als  für  den  conditional  unnasalierter  vb.  cha- 
rakteristischen vocal.  So  entstanden  die  zahlreichen  analogisch 
gebildeten  conditionale  mit  p,  deren  erklärung  Jacki  nicht 
gelingen  wollte.1) 

'Fortsetzungen  von  mhd.  unumgelautetem  u  oder  uo\  sagt 
Jacki  (s.  450),  'trifft  man  fast  nur  in  der  Baar  und  in  Schwaben- 
Neuburg.'  Es  findet  sich  aber,  wie  Jacki  auf  der  darauf  fol- 
genden seite  selbst  angibt,  z.  b.  hlub  sogar  noch  im  O.A. 
Freudenstadt,  also  viel  weiter  nördlich  als  die  Baar;  immerhin 
dürfte  wenigstens  zutreffen,  dass  solche  formen  auf  die  südliche 
hälfte  des  schwäbischen  gebiets  beschränkt  sind. 

Auf  eine  erklärung,  warum  der  umlaut  des  u  und  uo 
[wozu  noch  —  vgl.  froug,  soid(e)  —  mhd.  ou  zu  fügen  ist]  in 
jenen  gegenden  unterblieben  ist,  lässt  sich  Jacki  nicht  ein. 
Auch  ich  habe  mich  früher  (vgl.  Ostd.  stud.  3,  s.  8,  anm.  2)  mit 
einem  hinweis  auf  die  auch  sonst  zu  beobachtende  sprödigkeit 
der  u -laute  gegen  den  umlaut  bescheiden  zu  sollen  geglaubt. 
Inzwischen  hat  sich  mir  jedoch  ein  weg  zu  einer  vielleicht 
befriedigenderen  erklärung  gezeigt.  Jacki  wirft  s.  450  die 
frage  auf,  ob  nicht  'vielleicht  der  conj.  praes.  bei  einigen 
verben  von  einfluss  gewesen'  sei?  Das  scheint  mir  nun  zwar 
in  der  weise,  wie  es  sich  Jacki  denkt  (dass  nämlich  die  con- 
ditionale mit  p  auf  den  einfluss  des  stamm vocals  des  conj. 


Ganz  ebenso  verhält  es  sich  ja  z.  h.  mit  dem  -b  in  dem  in  Ostdorf  und 
anderwärts  üblichen  conj.  praes.  hfb  <  *häie  (vgl.  Braune,  Ahd.  gr.2  §  117; 
310,  anm.  4)  zu  haben. 

J)  Einige  ziemlich  analoge  fälle  berichtet  Bopp  s.  42  aus  Münsingen : 
dort  ist  z.  b.  zu  mhd.  schiec  zunächst,  unter  spontaner  nasalierung,  ein 
verbum  Mdlcd  gebildet  worden ;  dann  aber  hat  man  die  nasalierung  gelegent- 
lich wider  fallen  lassen,  wodurch  eine  nebenform  Spka  entstanden  ist. 


CONJ.    PBAET.   IM    SCHWÄBISCHEN.  353 

praes.  zurückzuführen  seien),  nacli  dem  weiter  oben  gesagten 
nicht  nötig  anzunehmen.  Eine  andere  frage  ist  aber,  ob  nicht 
vielleicht  die  endungen  des  conj.  praes.  in  Südschwaben  beim 
starken  verbum,  oder  wenigstens  bei  gewissen  classen  desselben, 
in  den  conj.  praet.  gedrungen  sein  könnten?  Dass  in  der 
1.  plur.  die  endung  des  conj.  praes.  auf  einein  ziemlich  aus- 
gedehnten gebiete  Schwabens  in  den  ind.  praes.  gedrungen  ist, 
werde  ich  weiter  unten  (s.  358)  näher  auszuführen  haben.  Dem- 
nach könnte  diese  expansive  tendenz  der  endungen  des  cunj. 
praes.  leicht  auch  gegenüber  dem  conj.  praet.  zur  geltung  ge- 
kommen sein.  Dann  aber,  da  die  endungen  des  conj.  praes. 
keinen  unilaut  bewirken  können,  wäre  das  fehlen  desselben 
vollkommen  erklärt.  Die  beschränkung  dieser  Suffixübertragung 
auf  das  starke  verbum  könnte  man  eventuell  darauf  zurück- 
führen, dass  hier  das  consonantengerippe  des  Wortes  im  praes. 
und  praet.  im  allgemeinen  dasselbe  ist,  während  beim  schwachen 
vi),  im  praet.  ein  formans  zwischen  stamm  und  endung  tritt. 
Die  weitere  Schwierigkeit,  dass  neben  den  ununigelauteten 
conditionalen  mit  u,  uo,  ou  solche  der  4.  und  5.  ablautsreihe 
mit  r,  also  doch  wo]  mit  unilaut  stehen,  könnte  man  entweder 
durch  die  annähme  einer  weitgehenden  analogiebildung  mich 
tri  'täte'1),  oder  aber  dadurch  beseitigen,  dass  man  jene  suftix- 
übertragung  in  die  zeit  zwischen  dem  unilaut  von  ahd.  ä  und 
and.  u,  uo,  ou  verlegt2)  In  dieser  unter  allen  umständen  not- 
wendigen hinaufschiebung  in  eine  so  frühe  zeit,  nämlich  etwa 
in  die  erste  hälfte  der  ahd.  periode,  dürfte  freilich  das  haupt- 

argument  gegen  meine  oypothese  einer  suffixübertragung  zu 

suchen  sein. 

S.  151  (§44)  muss  es  heissen  Stamm  heim  statt  Stammhaus. 
Sehr  anfechtbar  ist  manches  in  §  i:>.    Ostdorflsch  N 
§wöm  halte  ich  jetzt  für  streng  lautgesetzlich  aus  ahd.  sprungi, 


')  Bedenkt  man.  dass  ■ .  l».  in  Ostdorf  die  formen  der  -.  .'!.  plur.  Ind. 
praes.  hodnd  (haben),  govnd  (gehen),  Mo9nd  (stehen),  \o9nd  (lassen),  woau 
an  andern  orten  noch  movnd  (mfissen)  kommt,  sftmmtlich  nnr  als  analogie- 
bildung Dach  do$nd  ■  tuoni  /.u  erklären  sind,  so  iit  das  gar  sieht  so  un- 
wahrscheinlich, 

•i  Für  eine  chronologische  auseinanderhaltung  dieser  beiden  umlaute 
bietel  sich  freilich  sonst  kein  anhaltspunkt;  doch  spricht,  soweit  ich  sehe, 
auch  nichts  dagegen. 

Beitrage  »ur  geschieht«  der  dcuUclien  iiirj».lic.    XXW  2J 


354  veit 

sivummi  (bez.,  mit  Suffixübertragung,  *$primge,  *swumme)  ent- 
wickelt; ich  weiss  nicht,  wie  Jacki  zu  der  ansieht  gekommen 
ist,  dass  'vor  ng  ...  gemeinschwäb.  überhaupt  keine  dehnung' 
eintreten  könne:  vgl.  z.  b.  Schw.  wb.  II  941  unter  'fang',  III  42 
unter  'gang'.  Schon  Ostd.stud.  3,75  habe  ich  übrigens  die  frage, 
ob  die  vocaldelmung  in  sbrön,  swöm  laut-gesetzlich  sei,  nur  offen 
gelassen,  keineswegs  verneint.  —  Woher  weiss  Jacki,  dass  die 
formen  pent,  fent  [schreibe,  nach  Jackis  eigenen  prineipien, 
bend,  fend],  sew,  sivem  gemeinschwäbisch  sind?  Ich  kann  im 
augenblick  nicht  nachsehen,  was  Eapp  darüber  sagt;  aber  ich 
weiss  aus  eigener  beobachtung,  dass  sie  heutzutage  höchstens 
noch  vereinzelt  auftreten,  und  in  der  regel  durch  periphra- 
stische  bildungen  ersetzt  werden.  Recht  hat  Jacki  allerdings 
wol,  wenn  er  bei  jenen  formen  beeinflussung  durch  nähme  und 
Jcäme  annimmt1);  aber  was  er  über  die  lautgesetzlich  zu  postu- 
lierende entwicklung  von  mhd.  bünde  ausführt,  ist  wider  ganz 
schief.  Diese  form  könnte  'gemeinschwäbisch'  unmöglich  *pet 
[schreibe  bed]  ergeben,  sondern  müsste  unter  allen  umständen 
zu  *b?nd  werden:  Fischer  s.  19  steht  ausdrücklich,  dass  die 
ostschwäbische  vocaldelmung  vor  mehrfacher  consonanz  im 
allgemeinen  nur  in  alt -einsilbigen  formen  eintrete;  und  zu 
den  verlängernd  wirkenden  bez.  die  Verlängerung  auch  in 
mehrsilbigen  formen  zulassenden2)  consonantengruppen  gehört 
gerade  nd  nicht. 3)  Das  von  Jacki  herangezogene  Met  [schreibe 
khed]  hat  sich  eben  nicht  aus  mhd.  künde  entwickelt,  sondern 
ist  —  sofern  es  nicht,  wie  ich  Ostd.  stud.  3,  61,  anm.  6  vermutet, 
unter  dem  einfluss  von  Jchä  steht  —  zurückzuführen  auf  Mnte, 


J)  Es  ist  nicht  ohne  interesse,  dass  der  durchschnitts-Schwabe  auch 
beim  hochdeutschsprechen  die  praeterita  der  betreffenden  vb.  mit  langem 
vocal  spricht:  also  band,  landen;  säv,  sävm;  hväm,  hvämai  u. s.  f. ;  ebenso 
natürlich  im  conjunetiv  praet.  bende,  benden  u.  s.  w. 

2)  Diese  Unterscheidung  von  dehnung  bewirkenden  und  dehnuug 
zulassenden  consonantengruppen  (erstere  im  wesentlichen  nasal  +  spirans 
oder  fortis,  letztere  h  oder  r  +  dental)  ist  sehr  wichtig;  vgl.  Ostd.  stud. 
3,  89.  99.  102  f. 

3)  Von  den  gruppen  mb,  ng  ist,  wie  ich  Ostd.  stud.  3,  50  gezeigt  habe, 
auch  in  neu- einsilbigen  formen  dehnung  möglich,  weil  jene  schon  relativ 
früh  durch  progressive  assimilation  zu  mm,  vv  geworden  waren;  dagegeii 
ist  bei  nd  eine  solche  assimilation  bekanntlich  im  allgemeinen  nicht  ein- 
getreten. 


CONJ.    I'K'AKT.    IM    BCHWABI8CHEK.  355 

mii  /,  weil  erst  durch  secundäre  vocalsynkopierung  aus  *kün- 
nete  entstanden:  vgl.  dazu  Ostd.  stud.  1,16.  3,41.  —  Audi  in 
Schwenningen  kann  mhd.  -und-  nur  -ind-  oder  -%nt}  niemals 
//  ergeben. 

Die  formen  p$dnt  [schreibe  />r~>ii<l\  §jp$9n,  üiofam  in  Tutt- 
lingen sind,  gleichwie  die  ebendaselbst  auftretenden  peak 
[schreibe  bpg],  Seas,  Jcr&g  [schreibe  gr&x]f  analogiebildungen 
nach  vb.  der  ablr.  7  auf  nasal:  s.  oben  s.  351  f. 

Zu  den  vb.  auf  /  -f  cons.  sei  aus  Ostdorf  angeführt  bhitold. 
—    Die  Tuttlinger   form  'meaW,  d.h.  m&lk,  widerum   nach 

;l<  >n.   (<  ~n>    etc. 

Dagegen,  dass  der  abfall  des  dentals  in  ostd.  wür  (wie 
überhaupt  in  Schwab.  we~Jr9  <  werdan),  wie  Jacki  annimmt. 
eine  folge  der  satzunbetontheit  sein  soll,  spricht  doch  m.  e. 
die  dehnung  des  vocals.1)  Ich  vermute  vielmehr,  dass  hei  der 
erklarung  von  der  3.  sing.  ind.  praes.  wuri  ■ :  wurdet,  wol  auch 
von  der  2.  :'».  plur.  ind.  praes.  wernt  '  werdenP)  auszugehen 
ist:  da  in  diesen  häufigen  formen  das  d  des  Stammes  lautgesetz- 
lich geschwunden  war,  so  gewöhnte  man  sich,  als  stammauslaut 
einfaches  r  anzusehen.3) 

Die  form  nötn  in  Ostdorf  ist  wol  lautgesetzlicli  entwickelt, 
keine  analogiebildung.4)  Die  im  O.A. Tuttlingen  vorkommenden 
>/'.'»/  und  Llnnti  sind,  ebenso  wie  ostdorfisch  khfSm,  analogie- 
bildungen aach  vb.  der  7. ablr.  auf  nasal:  s.  oben  s.  351  f.  )  Das- 
selbe gilt  für  die  in  der  O.A.B.  Tuttlingen  erwähnten  formen 
'trr'af,  'breäch',  '<j<-<ii>\  'to&ab',  'freasa',  fsäe(d)'    [d.h.   I >■<>//', 

c,  [!■>'•.  w&b,  fr&ss,  m.'I/l.  sowie  für  lesh,  trtpJCf  SlepJc 
[schreibe  l&g,  drtog,  8l&g]  im  <>..\.  ECÜwangen. 

Dass  aus  i\i-v  Schreibung  ü  oder  "'  der  O.A.B.  Tuttlingen 
keine  erhalt  ung  der  rumlung  in  jener  gegend  I  werden 

•>  Vgl  dagegen  /  b  /<.■•'  <  hät\  In  <l<'ii  oberämtern  Horb,  Rotten- 
bürg  and  weiter  nördlich  findet  sieb  <li''  dehnung  auch  in  der  3.  sing.  ind. 
praes.  wQrd. 

Vgl  Michels,  Mbd.  i  lernt  atarb.  g  156. 

s)  Aebnlicb  bilden  /..  h  im  O.A.  Nagold  n  der  8.  sing, 

ind.  praes.  bid  <  Ht  <  Hgü  einen  Infinitiv  i<i>  'liegen'. 

4)  [ob  habe  letateres  Ostd. etnd. 8, 8,  anm.2  aneb  um-  all  mOgliob, 
nicht  als  ncher  bezeichnet 

•  iwol  käme  ab  ind  js  ?b.  der  bewegnng:  eine  g 

je  beeinflnssnng  i- 1  ttnng  tragen  wahrscheinlich. 


356  Veit 

darf,  habe  ich  schon  oben  s.  349  erwähnt:  also  trug,  nicht 
trüdlil  —  Ostdorf,  wo  ebenfalls  slüog  vorkommt,  gehört  nicht 
zu  den  Baarmaa.! 

Auch  üe  wird,  ebenso  wie  ie  [s.  oben  s.  351],  in  Schwen- 
lautgesetzlich  vor  nasal  nicht  zu  id,  sondern  zu  (ß  :  s.  Haag 
s.  28;  id  kann  dort  nur  analogiebildung  sein!  —  In  Eeutlingen 
darf  stet  [schreibe  sded]  schon  darum  nicht  mit  Wagner  auf 
mhd.  *stünde  zurückgeführt  werden,  weil  letztere  form  (siehe 
Michels,  Mhd.  gramm.  s.  104)  lediglich  mitteldeutsch  ist:  vgl.  im 
übrigen  das  oben  s.  354  zu  angeblichem  Med  <  künde  be- 
merkte. Vielmehr  ist  auch  hier  analogiebildung  (nach  Med?) 
anzunehmen. 

Was  die  conditionale  mit  %  in  Münsingen  anbelangt,  so 
sind  auch  dies  wol  analogiebildungen  nach  vb.  der  1.  ablr.,  wo- 
neben übrigens  auch  wider  (vgl.  oben  s.351,  anm.4)  mhd.  formen 
wie  gie,  vie,  hie,  lie  im  spiel  sein  könnten.  Nach  einem  schwä- 
bischen lautgesetz  nämlich,  das  ich  bisher  allerdings  nur  bei 
Wagner  (s.  37)  angedeutet  finde,  dessen  existenz  indes  nicht 
zu  bezweifeln  ist1),  werden  unechte  (fallende)  diphthonge  im 
hiatus  monophthongiert.  Es  könnten  nun  zu  den  eben  ge- 
nannten —  in  der  mhd.  literatursprache  freilich,  so  viel  ich 
weiss,  nur  in  den  endungslosen  formen  vorkommenden  —  prae- 
teritis  in  der  Volkssprache  immerhin  conjunctivformen  wie 
glesd,  gle  u. s.f.  gebildet  worden  sein2),  die  zur  ausbreitung 
gerade  des  conditionaltypus  mit  l  jedenfalls  mächtig  bei- 
getragen hätten. 

Nun  noch  zu  dem  schwierigen  und  verwickelten  capitel 
der  flexionsendungen. 

Eine  bewahr ung  der  endung  der  1.  3.  sg.  im  O.A.  Tutt- 
lingen in  der  form  srw  ist  ausgeschlossen,  weil  dort  ahd.  -i 
auf  alle  fälle  schwinden,  ahd.  4  aber  als  -e  erscheinen,  man 
also  *srie,  nicht  srw  erwarten  müsste. 

Was  die  2.  sg.  betrifft,  so  regelt  sich  deren  form  im  schwä- 


')  Ein  sicherer  fall  ist  z.  b.  in  Ostdorf  brle  [nicht  brla !] ,  das  nur  auf 
ahd.  *bruoi  zurückgehen  kann.  Aber  auch  im  sandln  wird  z.  b.  ivie  ein 
regelmässig'  zu  ioI  9,  nicht  iow  d  oder  wxz-n-d  oder  dgl. 

2)  Wenn  es  jetzt  iu  Münsingen  ge>j(t),  l~is(d)  heisst,  so  könnte  der 
schlussconsonant  auch  hier  durch  etymologische  ausgleichuug  nachträglich 
wider  eingefügt  worden  sein;  vgl.  oben  s.351,  anm.4. 


CONJ.    PRAET.    IM    s<  iiw  \iiFscilKN.  357 

bischen  Südwesten,  d.h.  von  den  oberämtern  ETorb-Rottenburg- 
Bentlingen  an  südwärts,  nach  folgendem  lautgesetz:  in  nicht 
hochtoniger  silbe  wird  vor  Spiranten  und  clnsilen  and.  kürze 
durchweg  synkopiert;  ahd.  länge  dagegen  bleibl  ebenso  regel- 
mässig erhalten,  and  zwar  fallen  vor  s  säm'mtliche  längen 
in  c  zusammen1),  das  gegen  Buden  zu  (also  in  der  Baar)  all- 
mählich in  i  übergeht  Qaraus  ergibt  sich  ohne  weiteres, 
dass  in  dem  ganzen  genannten  gebiel  die  eudungen  der  2.  sing. 
im  ind.  praes.  und  den  beiden  conjunctiven  in  -eät  bez.  -iSi 
zusammenfallen  bei  den  schwachen  vb.  JI  und  111.  dass  da- 
gegen bei  den  starken  vb.  und  den  schwachen  vi».  L  dem 
bez.  -ist  der  beiden  conjunctive  im  ind.  praes.  ein  synkopii 
-st  gegenübersteht  Eis  lautet  demnach  z.  b.  von  maz(x)3 
'machen'  dir  -2.  Bing.  ind.  und  conj.  praes.,  max(x)eSt,  die 
2.  sing.  conj.  praet  mtdx{x)e$t\  dagegen  etwa  von  trtf?)f(f)3 
'treffen'  die  2.  sing.  ind.  praes.  trifij  )<!,  dir  2.  Bing.  conj.  praes. 
die  -J.  Bing.  conj.  praet  trtfföeit.1)  —  Anders 
dagegen  weiter  nordwärts,  im  schwäbischen  Unterland.3)  Dorl 
i-t  anbetonte  ahd.  länge  in  gewissen  fallen  (wie  es  scheint: 
in  geschlossener  Bilbe)  mit  ahd.  kürze  zusammengefallen  und 
wie  diese  geschwunden;  die  folge  war  einerseits  eine  weit- 
gehende contamination  der  verschiedenen  verbalclassen4),  und 
in  Verbindung  damit  eine  Vermischung  der  endungen  des 
indicativs  und  conjunctivs.  Man  wird  also  mindestens  für 
einen  grösseren  teil  dessen,  was  Jacki  unter  dem  schwäbischen 

i  Der  qualitative  Eusammenfal]  tritt  nur  ?or  s  ein;  in  allen  übrigen 
fallen  hält  diu  ma.  r.s  auch  in  anbetonte!  Bilbe  wenigstem  noch 

<li<-  gutturalen  and  palatalen  langen  dea  ahd.  auseinander,  indem  rie  nur 

ahd.  »'.  i.  HD  zu  (alnl  -'.  gen  zu  -  entwickelt  li.it: 

daher  s.b.  mcund^machöt,  max9  <^  machön,  aber  //■>»•      ßahsin. 

'i   Bei   di  '  igner  b.  irten   Rentlingt  d    \*i<: 

/  u  b  w.  i»t  die  erhaltui  oicht  d< 

benden  consonantengruppe  iniuscl  ädern  es  h  da 

hwaehe  ?b.   il  oder  ll I '     kehnli«  I   der  IM. 

schwachen  i  betrachten,  wenn  in  Ostdorj 

der  i .  ring   ind 

•)  Wie  •  d  im  '  Ist« 

mir  leider  nicht  bekannt. 

hon  in  den  0  5  v    Herrenberg  ond  Nagold  bildet  /..'■■ 
die  _  8  ring.  ind.  i 

d :  der  i'i  ■ 


358  veit 

'hauptgebiet'  zu  verstehen  scheint,  einen  zusammenfall  der 
endungen  der  2.  sing,  des  indicativs  und  conjunctivs  in  syn- 
kopiertem -sei  annehmen  dürfen.  Darnach  sind  also  Jackis 
angaben  zu  modificieren. 

Schliesslich  der  plural.  Hier  sei  vor  allem  festgestellt, 
dass  der  ausgleich  der  endungen  aller  drei  personell  im  ind. 
praes.  zu  gunsten  von  -dt  keineswegs  als  charakteristicum 
des  schwäbischen  gelten  darf.  Vielmehr  ist  —  worauf  ich 
schon  Ostd.  stud.  1,  32,  anm.  2  hingewiesen  habe  —  in  einem 
grossen  teil  des  schwäbischen  gebiets  in  der  1.  plur.1)  die 
endung  des  conjunctivs,  -e,  auch  in  den  indicativ  eingedrungen 
und  hat  sich  bis  heute  dort  gehalten.  Im  westen  kann  ich 
diese  erscheinung  genau  abgrenzen;  ihre  äussersten  Vorposten 
bilden  (in  der  Tübinger  gegend  beginnend)  die  orte:  Hagel- 
loch —  Altingen  —  Bondorf  —  Mötzingen  —  Gündringen  — 
Salzstetten  —  Diessen  —  Glatt  —  Fischingen  —  Empfingen 

—  Heiligenzimmern  —  Binsdorf  —  Erlaheim  —  Ostdorf  — 
Heselwangen  —   Thanheim  —  Burladingen  —  Mägerkingen 

—  Bernloch  —  Oedenwaldstetten.  Wie  weit  sich  diese  ver- 
hältnismässig schmale,  aber  langgestreckte  zone  gegen  osten 
erstreckt,  kann  ich  leider  vorerst  nicht  sagen;  doch  habe  ich 
bereits  festgestellt,  dass  sie  mindestens  bis  über  Blaubenren 
hinaus  reicht.  Innerhalb  derselben  liegt  jedenfalls  auch  das 
gebiet,  wo,  wie  in  Ostdorf,  im  plural  der  conjunetive  aus- 
gleichung  zu  gunsten  des  -e  der  1.  und  3.  person  eingetreten 
ist;  doch  ist  mir  dessen  ausdehnung  leider  nicht  bekannt. 

Ausserhalb  des  rayons,  wo  -e  in  die  1.  plur.  ind.  gedrungen 
ist,  dürfte  allerdings  allenthalben  in  Schwaben  im  ind.  praes. 
das  -dt  <  -ent  bez.  -önt  der  3.  plur,  das  schon  in  ahd.  zeit  (vgl. 
Braune,  Ahd.  gr.2  §  308,  anm.  3)  in  die  2.  plur.  eingedrungen 
ist,  nunmehr  für  alle  drei  personen  des  plurals  gebraucht 
werden. 

Anders  im  conjunetiv.  Hier  ist  nicht  nur,  wie  schon  Jacki 
seinen  quellen  entnommen  hat,  in  gewissen  districten,  die  teils 
innerhalb  der  zone  der  1.  plur.  ind.  auf  -e  liegen2),  teils  sich 


*)  Dass  auch  die  3.  plur.  iud.  praes.  auf  -e  endigte,  habe  ich  meiner- 
seits bisher  nie  beobachtet;  ich  möchte  aber  die  angäbe  des  sonst  zuverläs- 
sigen Wagner  (s.  49)  darum  noch  nicht  anzweifeln. 

2)  So  in  Reutlingen  (Wagner  s.  49),  Wurmlingen.  Nellingsheim. 


CONJ.    I'KAKT.    im    SCHWÄBISCHEN.  359 

anmittelbar  an  dieselbe  anschliessen1),  also  vielleicht  dasgebiel 
des  im  ganzen  plural  des  conjunctivs  durchgeführten  -e  con- 
centrisch  umgeben,  jede  aosgleichnng  unterblieben,  Bondern 
auch  im  schwäbischen  Unterland,  im  ' hauptgebiet ',  ist,  wie  mich 
gelegentliche  beobachtung  gelehrt  hat,  das  -sd  des  indicatiys 
im  plural  noch  nicht  allgemein  durchgedrungen:  man  trifft  dort 
auch  ->,  -9Ü,-9  <  mhd.  -en,  -ent,  -en.a)  Endlich  im  Südwesten, 
jenseits  der  zone,  die  »las  -nt  auch  in  der  •_'.  plur.  conj.  Eern- 
gehalten  hat,  unterscheidet  sich  im  plural  coifjunctivisches  -et 
bez.  4t       ■itt,-iuf  viin  indicativischem  -9t      -ent,  -önl 

Ich  schliesse  meine  ausführungen  mit  dem  ausdruck  meines 
dankes  gegen  Jacki,  der  durch  seine  übersichtliche  Zusammen- 
stellung mir  anregung  und  möglichkeil  gegeben  hat,  auf  dem 
v«»n  ihm  gelegten  gründe  weiterzubauen,  und  mit  dem  wünsche, 
•  s  möchte  auch  für  andere  der  von  Jacki  in  den  kreis  seiner 
Untersuchung  gezogenen  gebiete  die  localforschung  seine  resul- 
tate  einer  nachprüfung  unterziehen,  damit  das  wichtige  thema 
vom  neuhochdeutschen  praeteritnm  eine  möglichsl  gründliche 
und  allseitige  beleuchtim-  erfahre. 


')  So  in  Erzingen:  0.  LB.  Balingen  b.  lll  f.  (der  verfasset  des  ab- 
schnitts  aber  *  1 1 « -  mnndarl  in  dem  citierten  bnche  lebte  eine  reihe  von  jähren 
als  pfarrer  in  ESrsingen;  seine  angaben  baben  daher  sunachsl  nur  für  die 
um.  dii  ses  ortes  giltigkeil  I. 

I  Die  ahd.  qnantit&ts- nnd  qnalit&ts-nnterschiede  der  endailben-i 
treten,  wie  schon  oben  bemerkt,  in  den  niedersebwabiseben  maa  nicht  mehr 
hervor;  daher  werden  dorl   ahd.  -in,  ■■<<,  -on  anterechiedslos  n  ->.    Vgl. 

■  n  oben  b.  367,  anm, 1. 

3)  Freilich  sollten  Itgs.  dieschwachenvb.nl  auch  im  hol.  »eibes.*d 

I  haben;  es  scheint  aber,  dass  die  ma  biet  die  formen  der  III.  schwachen 
conjngation  durch  diejenigen  der  II  ersetai  hat,  wol  am  den  unterschied 
von  indicativ  and  conjnnctiv  anch  bei  den  nrsprfinglichen  schwachen  vb.  III 
/.um  anfdrnck  zu  bringen. 

TÜBINGEN,  23.  man  1909.  FRIEDRICH  \  'KIT. 


REINBOT  VON  DÜRNE.1) 

Die  ausgäbe  des  hl.  Georg  von  Reinbot  von  Durne,  mit 
der  Carl  von  Kraus  die  von  ihm  und  Zwierzina  begründete 
Sammlung  kritischer  ausgaben  altdeutscher  texte  eröffnet  hat, 
gibt  trotz  des  grossen  fleisses  und  der  grossen  mühe,  die  der 
herausgeber  auf  die  herstellung  des  textes  verwant  hat,  zu 
mehr  als  einem  bedenken  anlass.  Weil  diese  bedenken  prin- 
cipieller  natur  sind,  ist  es  nötig,  sie  möglichst  bald  den  fach- 
genossen begründend  vorzulegen,  damit  die  fehler,  die  bei  der 
herstellung  dieses  textes  gemacht  wurden,  bei  späteren  Ver- 
öffentlichungen nicht  wider  begangen  werden. 

Kraus  hat  im  vertrauen  auf  die  Sicherheit  des  reimkrite- 
riums  eine  prüfung   der  historischen  angaben   des  gedichtes 


x)  Die  hier  vorgelegte  Untersuchung  über  die  herkunft  Reinbots  von 
Dürne  ist  schon  vor  einem  jähr  geschrieben,  von  mir  aber  aus  rücksicht 
auf  meine  Studien  über  den  oberdeutschen  Servatius  zurückgehalten  worden. 
Ich  dachte  diese  Studien  mit  der  Reinbotuntersuchung  vereinigen  zu  können. 
Sie  haben  aber  ein  selbständiges  buch  ergeben,  das  bei  C.  H.  Beck  in  München 
demnächst  erscheint.  Unterdessen  ist  die  recension  Karl  Helms  über  die 
Reinbotausgabe  von  C.  v.  Kraus  in  dem  Anz.  fda.  32,  277  f.  erschienen,  die 
s.  279  auch  auf  Reinbots  heimat  zu  sprechen  kommt  und  sich  für  Donau- 
wörth entscheidet.  Helm  war  das  für  Wörth  a.  d.  Donau  mir  zugängliche 
material  unbekannt  und  ebenso,  was  unten  über  die  Dürner  gesagt  ist  (doch 
s.  HMS.  4,  647);  er  würde  sich  sonst  wol  auch  für  Wörth  a.  d.  Donau  ent- 
schieden haben.  —  Von  abkürzungen  erwähne  ich:  GHB  =  W.Götz,  Geogr.- 
hist.  handbuch  von  Bayern,  München  1895  f. ;  KDR  =  Karte  des  Deutschen 
reiches  von  C.Vogel,  Jus.  Perthes,  Gotha  1893;  MB  =  Monumenta  Boica; 
Oesterley  =  Hist.-geogr.  wb.  des  deutschen  mittelalters  von  H.  Oesterley, 
Gotha  1883;  OV  =  Ortschaftenverzeichnis  des  königreichs  Bayern,  hsg.  vom 
kgl.  bayr.  statistischen  bureau,  München  1901;  TA  =  Topographischer  atlas 
von  Bayern,  hsg.  vom  kgl.  bayr.  generalstab;  VGO  =  Verhandlungen  des 
bist.  Vereins  für  die  Oberpfalz  und  Regensburg,  Regensburg  1832  f.  Sonst 
vgl.  Beitr.  34, 143,  anm.  1. 


BEINBOT   von'   iii'KNi:.  HCl 

vollkommen  unterlassen  und  das  hat  dazu  geführt,  dass  Bein 
texl  eine  lautliche  gestall  erhalten  hat,  die  in  vielen  punkten 
nicht  richtig  ist  Diese  vertrauensseligkeil  auf  das  reimkrite- 
riiini  hat  aber  nicht  bloss  zu  Bolchen  anterlassung8Sünden  ge- 
führt, Bondern  sogar  dazu,  dass  man  sich  aber  die  historischen 
angaben  eines  Schriftstellers  mir  nichts  dir  nichts  hinwegsetzen 
zu  können  glaubt  Denn  war  es  für  die  Verehrer  des  reimkrite- 
riums  nicht  gerade  vorteilhaft,  wenn  ihr  hauptvertreter  Zwier- 
zina.  nachdem  er  Eteinbots  werk  erst  in  die  Oberpfalz  gesetzt 
hatte,  es  Bpäter  auf  schwäbischen  Sprachgebiet  entstanden  sein 
liess,  so  wurde  der  philologischen  Willkür  die  kröne  aufgesetzt, 
als  Augsburg  als  entstehungsort  des  hl.  Georg  proclamierl 
wurde,  obwol  sein  Verfasser  an  zwei  stellen  Beines  Werkes 
ausdrücklich  den  ort  nennt,  an  dem  er  schreibt.    Von  diesem 

htspunkt  an-  beanspruchen  die  folgenden  ausführungen 
principielle  Bedeutung,  sie  werden  zeigen,  dass  für  die 
localisierung  eines  mini.  Sprachdenkmals  jedes  historische, 
nrkundliche  zeugnis  ungleich  höheren  wert  hat  als  ein  sprach- 
geschichtliches,  nnd  dass  dieses  eben  nur  ein  notdürftiges 
ersatzmitte]  ist,  wenn  nrkundliche  belege  fehlen. 

Jeder,  der  die  heimat  Eteinbots  von  Durne  feststellen  will, 
mu-s  v«»n  den  versen  1—70.  1550-;.'.».  171'.'  -26  und  5829 
seine-  hl.  Georg  ausgehen.     Die  wich'  eile  ist  die  erste. 

sie  ist  Bchon  einmal  trefflich  von  E.  Steinmeyer  in  derZs 
11.  1 1.",  f.  behandelt  worden,  und  dann  kurz  wider  in  der  AlDB. 
da-  beste,  was  überhaupt  ins  jetzl  über  Eteinbots  leben 
geschrieben  wurden  ist.    Eteinbol  erzählt  in  diesen  einleitenden 

n.  da--  er  von  <i>'u\  herzog  <  > : t . »  von  Bayern,  pfalzgrafen 
bei  Ethein,  und  seiner  gemahlin  beauftragl  worden  sei.  ein 
buch  aber  den  hL  Georg  zu  dichten.  Dieser  herzog  Otto  kann 
nur  Otto  M.  von  Witteisbach  sein,  da  erst  unter  Beiner  regio- 
rang  die  würden  eine-  pfalzgrafen  bei  Rhein  und  eines  hei 
von  Bayern  in  einer  person  vereinigt  waren,  die  späteren 
bayrischen  herzöge  dieses  namei  r  <i^  pfalz- 

grafenamt  nicht  ausübten,  oder  in  einer  für  Eteinbots  dichtung 
nicht  mehr  in  betracht  kommenden  /«it  lebten.    Damit  haben 
wir  einen   bestimmten  Zeitraum  gewonnen,   während   d< 
Eteinbol  geschrieben  haben  musa     Es  Bind  die  Jahre  1281 
Bin  compliment,  weiches  Eteinbol  Beinen  beiden  gönnen  macht. 


3C>2  WILHELM 

lässt,  wie  schon  Steinmeyer  nachdrücklichst  hervorgehoben 
hat,  diese  zeit  noch  etwas  näher  eingrenzen.  Reinbot  sagt, 
dass  das  herzogenpaar  in  so  hohem  anseilen  stünde,  dass  selbst 
die  höchsten  auf  der  erde  nach  ihrem  rate  handeln  und  sogar 
ihre  kinder  ihren  kindern  geben.  Das  ist  natürlich  etwas 
stark  aufgetragen,  aber  kaum  kann  sich  die  stelle  auf  etwas 
anderes  beziehen,  als  auf  die  am  1.  sept.  1246  erfolgte  Ver- 
mählung der  prinzessin  Elisabeth  von  Witteisbach  mit  könig 
Konrad  IV.  Da  der  dichter  ausdrücklich  hervorhebt,  dass  das 
herzogenpaar  nach  dem  ewigen  lone  der  himelischen  kröne 
strebe,  so  wird  man  schliessen  müssen,  dass  die  einleitung 
geschrieben  wurde,  als  jene  Vermählung  in  aussieht  genommen, 
aber  noch  nicht  vollzogen  und  herzog  Otto  noch  kein  bekannter 
feind  der  politik  von  Innozens  IV.  war.  Schwerlich  würde 
Reinbot  nach  dem  1.  sept.  1246,  der  dem  herzogenpaar  die 
exeommunicationssentenz  brachte,  so  geschrieben  haben  (siehe 
Beitr.  34, 157).  Damit  ist  das  jähr  1246  als  krystallisations- 
punkt  gewonnen.  Es  ist  wol  anzunehmen,  dass  der  dichter 
vor  1246  den  auftrag  erhielt,  ein  werk  über  den  hl.  Georg 
abzufassen  und  dass  die  einleitung  das  letzte  war,  was  er 
schrieb.  Feststellen  lässt  sich  das  nicht  mehr.  Es  ist  auch 
nebensächlich. 

Aus  v.  1558  erfahren  wir,  dass  Reinbot  in  einem  mit 
marktgerechtigkeit  begabten  orte  namens  Werde  schrieb.  Die 
erwähnung  des  Chiemsees  v.  1722  und  ebenso  des  nonnen- 
klosters  Geiselvelt  v.  5329  zeigt  Reinbot  mit  bayrischen  locali- 
täten  bekannt.  Die  hauptaufgabe  muss  demnach  sein,  den  ort 
Wrerde  unter  den  vielen  orten  dieses  namens  herauszufinden 
und  wenn  möglich  in  dessen  nähe  ein  geschlecht  von  Durne 
nachzuweisen.    Das  geht  sehr  wol. 

Eine  allgemeine  bemerkung  muss  zunächst  platz  finden. 
Das  natürlichste  ist  doch,  dass  man  annimmt,  das  bayrische 
herzogenpaar  habe  einem  Untertanen  den  auftrag  zur  dichtung 
gegeben,  d.  h.  einem  mann,  dessen  heimat  dem  damaligen 
politischen  gebiet  des  herzogtums  Bayern  oder  der  Pfalzgraf- 
schaft  angehörte.  Die  angaben  Reinbots  v.  55  f.  von  Beiem 
diu  herzogin,  der  ich  underhoeric  bin  und  v.  6129  f.  des  herzogn 
und  der  herzogin,  der  beider  tihier  ich  hie  bin,  passen  sehr  wol 
zu  dieser  annähme.    Da  zeigt  aber  ein  blick  auf  die  karte, 


i.i  «BOT   VON    DÜBNE. 

dass  nur  äusserst  wenig  schwäbisches  sprachgebiel  zum  da- 
maligen politischen  Bayern  gehörte,  Dämlich  die  besitznngen 
der  Witteisbacher  bei  Neuburg  an  der  Donau  (doch  ohne 
Donauwörth,  das  erst  1607  an  Bayern  kann  and  zwei  territorial- 
zungen,  die  aber  den  oberen  lauf  des  Lechs  Dach  westen  ragen, 
bei  Landsberg  und  Schongan.  Dort  aber  liegl  and  lag  kein 
Werde.  Für  einen  Pfälzer  wird  man  Reinbot  auch  schwer 
halten  können.  Seine  spräche,  laute  and  Wortschatz,  weisen 
in  keiner  weise  nach  südfränkischem  oder  rheinfränkischem 
Sprachgebiet  Deshalb  ist  auch  von  vornherein  die  Vermutung 
von  E.Schröder,  Anz.fda.24,317f.  abzuweisen,  Dach  der  Reinbot 
aus  dem  dynastengeschlechl  von  Durne  stammen  solle,  dei 
burgsitz  am  ostrande  des  Odenwaldes  gelegen  habe.  Ein  dynast 
würde  übrigens  schwerlich  den  ausdruck  underhceric  gebraucht 
haben.  Er  würde  vielmehr  betont  haben,  dass  er  von  »lern 
herzogenpaar  gebeten  wurden  sei  und  ihm  ee  liebe  dichte. 
Wir  werden  ans  also  zunächst  wol  auf  die  bayrischen  orte 
des  namens  Wörth  —  Werde  beschränken  dürfen 

A)   Einfielen  nnd  Weiler. 

li  Wörth,  TA  iL*  v_>.    Weilheim  (osl  1894)  2.reihe,  tfeld.    KDR27, 
OV  277.    Scbloss  auf  der  roseninsel  im  Starnbei 

2)  Wörth,  I  S.   eempten(o.  j.)3- reihe,  ö.feli  OV  1432.  Einöde 

zur  landgemeinde  Weissensee,  bes.  Füssen  gehörig. 

:;,  Wörth,  TA  qo.81.     Kauf  benern  (o.  j.)  4.  reihe,  2.feld.    OV  \\:,\. 
Einöde  zur  landgemeinde  Ealdenwang,  bes.  Kempten  gehörig. 

li  Wörth,  TA  no.90.    Kurnan  (o.j.)  L reihe,  4. feld,   aber  TA  no.90 
Muni. tu  (ost  1903    l. reihe,  4 feld  als  Schendeichwörth beseichnet    <'< 
Einöde  zur  landgemeinde  I ;< >i»imr.  bes.  Schongan  gehörig. 

5)  Wörth,  0\  _  5,  zur  landgemeinde  Hohenpeissenberg,  bes.  Schongan 
gehörige  einöde,  auf  den  karten  des  TA   namentlich  nicht  rerseichn 

TA  i  M  md  TA  im.  82.   Weilheim 

(wetl  1896)  l  reihe,  ::.  and  •».  feld. 

6)  Wörth,  'i'A  no.79.   Burghausen  (wesl  1891)  l. reihe, 2. feld.  <>v  196. 
Weiler  zur  landgemeinde  Porten,  bes.  Httldorf  gehörig. 

7)  Wörth  i"  i  Au  .\.  [na,  T  \  no.  7-     Was«  rb  .:.•    ost  IS 

/ur  landgemeinde  Au.  ) 

8)  Wörth,  TA  no.l 

th  no.21   am  nördlichen  ofer  der  Donau.    07  ■■">•_'  zur  landgemeinde 
Backelberg  gehöriger  weiler,  \<>-/.    Passan. 

9)  Wörth       l: 

L. feld    0\  234.   Einöde  -'.ur  landgemeinde  Zell, 
ludsudöstlich  von  Oeisenreld  gelegen. 


364  WILHELM 

10)  Wörth,  weiler  zur  gemeinde  Neusatz  (Bühl)  gehörig,  s.  Alhert 
Krieger,  Topogr.  wb.  des  grossherzogtums  Baden  II 1515. 

11)  Wörth,  TA  no.  76.  Landsberg  (ost  1880)  3.  reihe,  2.  feld,  im  OV 
nicht  aufzufinden.    Insel  und  einöde  (?)  im  Wörthsee. 

B)   Niederlassungen  um  klöster. 

12)  Wörth,  TA  no.  90.  Murnau  (ost  1902)  2.  reihe,  2.  feld.  KDR  26, 
Q  13.  OV  359.  Einöde  mit  kircke  auf  der  insel  im  Staffelsee.  GHB  I  454. 
Um  740  als  frauenkloster  nachweisbar. 

13)  Wörth,  jetzt  Frauenchiemsee  genannt,  TA  no.85.  Trauenstein  (west 
1893)  3.  reihe,  1.  feld.  KDR  27,  Q  16.  OV  251.  Kirchdorf  mit  kloster.  GHB 
I  430.    Das  kloster  766  von  Tassilo  II.  gegründet.    Oesterley,  artikel  4. 

14)  W7örth,  jetzt  Herrenchiemsee  genannt,  TA  no.  84.  Rosenheim  (ost 
1884)  3.  reihe,  4.  feld.  KDR  27,  Q  16.  OV  251.  Kirche  und  kgl.  schloss.  GHB 
I  430.  Das  kloster  wurde  zu  gleicher  zeit  wie  no.  13  gegründet.  Seit  1215 
war  dieses  Wörth  suffraganbistum  von  Salzburg. 

C)   Dörfer,  kirchdörfer  und  pfarrdörfer. 

15)  Wörth  a.  d.  Roth  (Württemberg),  KDR  23,  N  11.   Dorf. 

16)  Wörth  a.  Rhein,  TA  no.  112.  Langenkandel  (1850)  2.  reihe,  3.  und 
4.  feld.  KDR  22,  N  7.  OV  714.  Pfarrdorf  im  bez.  Germersheim.  GHB  II  813. 

17)  Werth,  flecken  (?)  zwischen  den  Aussen  111  und  Ischer  (Unterelsass), 
nach  W.  Jäger,  Geogr.-hist.-stat.  zeitungslexicon,  Nürnberg  1782,  II  918. 

18)  WTörth,  TA  no.  71.  Erding  (ost  1883)  3.  reihe,  3.  feld.  KDR  27,  P  15. 
OV  213.  Kirchdorf,  zur  landgemeinde  Walkersaich  gehörig,  bez.  Müldorf. 
GHB  I  336. 

19)  Wörth,  jetzt  Ober-  und  Niederwörth,  TA  no.  71.  Erding  (west  1881), 
3.  und  4.  reihe,  1.  feld.  KDR  27,  P  15.  OV  95.  Dörfer  im  bez.  Erding.  GHB 
1259;  Oesterley.  artikel  1. 

20)  W^örth  a.  d.  Isar,  TA  no.  63.  Landshut  (ost  1881)  2.  reihe.  3.  feld. 
KDR  24,  0  16.  Die  beste  karte  ist  nur  hs.-lich  vorhanden  in  der  Münchener 
Universitätsbibliothek  Cod.  Fol.  Ms.  501  (Holzinger  beschreibung  der  pfarrei 
Wörth)  als  Mappa  CJiorograpMa  Parochiae  Woerthensis  et  vicinüatis. 
OV  528.  Kirchdorf  mit  schloss  im  bez.  Landshut.  GHB  I  580;  s.  auch  Michael 
Wenning,  Historico-topographica  Descriptio  (München  1723)  III  61.™ 

21)  Wörth,  TA  no.  65.  Passau  (ost  1890)  2.  reihe,  3.  feld,  am  südlichen 
ufer  der  Donau.  KDR  24,  0  18.  OV  554.  Dorf  zur  laudgemeindo  Heining, 
bez.  Passau  gehörig.    Oesterley,  artikel  3 ;  s.  oben  unter  no.  8. 

D)   Märkte  und  städte. 

22)  Wörth  a.  Main,  TA  no.  17.  Aschaffenburg  (1859)  4.  reihe,  2.  feld. 
KDR  23,  M  9.  OV  1318.  Stadt,  bez.  Obernburg.  Jäger  II  951.  GHB  II  702. 
Schon  im  13.  Jahrhundert  mit  stadtrechten  begabt. 

23)  Wörth  a.  d.  Sauer  (Unterelsass),  KDR  22,    0  6  Stadt. 

24)  Wörth,  vorstadt  von  Nürnberg,  TA  no.  34.  Nürnberg  (ost  1872) 
3.  reihe,  1.  und  2.  feld.  Jäger  II  951.  Oesterley  752,  artikel  2.  War  noch  1339 
dorf  (Mon.  Zoll.  VIII  no.  211  nach  freundlicher  mitteilung  E.  Mummenhoffs). 


ki  IHUOT    VOM    DORNE. 

bwäbisch  Wert,  später  Donauwörth,  TA  no  62    Nord- 
lingen(o8tl882)3.  reihe,  6.feld,  KDE 28   012   "\  L399    3tad1    I 
Pleickhard  Stumpf,  ■Bayern'  936  (mit  abbildung).    GHB  H9901    (mil  ab- 
bildung). Oeaterley,  artikel7<  Schon  zur  zeit  Otto«  lll.  mil  marktgerechtig- 
keil  begabt. 

26)  Wörth  a.d.  Donau,  T.\  qo.48  Etegeneburg  (osl  187  l  2  reihe, 
•I.  frl.l.  KDR24,  N|0  16.  OV  924.  Markl  mit  schlon,  bez.  Begeneburg.  ÖHB 
1  843  (Miii  abbiidung).   Stumpf   i  B8  (mit  abbildui  i  11  918. 

Von  diesen  26  hier  aufgezählten  orten,  zu  denen  noch 
hi  österreichische  kommen,  die  man  in  dem  ortslezicon  von 
II.  Rudolph  verzeichne!  findet,  sind  die  qo.  l  21  und  die  bei 
Rudolph  genannten  Wörthe  ohne  weiteres  auszuschliessen:  Bie 
sind  nie  markte  gewesen,  auch  isl  nirgends  aberliefert,  dass 
dorl  je  ein  markt  abgehalten  worden  sei  Von  den  no.  22  26, 
den  Städten  und  markten,  kommen  die  no.  22  und  23  nicht  in 
betracht,  weil  sie  in  Sprachgebieten  liegen,  auf  die  derdialekt 
Reinbots  in  keiner  weise  hindeutet,  die  e  ausschli 

Wir  haben  also  bloss  zwischen  Donauwörth  and  Wörth  an  drv 
Donau  zn  entscheiden,  da  no.24  noch  1339  dorf  war. 

Für  Donauwörth  Bteht  die  von  den  königen  verliehene 
marktgerechtigkeil  fest  Am  1.  februar  L039  bestätigte  könig 
Konrad  II.  dem  orl  die  marktfreiheit  (s.  Lori,  Geschichte  des 
Lechrains  1 1  l  f.).  A.ber  die  blosse  bezeichnung  Werd*  stau 
Stoebuch  Werdi  bei  Reinbot  Bpricht  nicht  gerade  für  Donau- 
wörth  als  abfassungsort  des  hl.  Georg.  Wie  wir  Bähen  tällt 
der  auftrag  des  herzogenpaares  vor  dem  L.sept  L246.  Die 
wahrscheinlich  zuletzt  geschriebenen  widmungsverse  entstanden 
ebenfalls  vor  dieser  zeit  Wir  durften  den  beginn  der  arbeil 
Reinbots  spätestens  in  das  jähr  1245  verlegen.  Damals  war 
das  Verhältnis  zwischen  Witteisbachern  und  Bohenstaufen  noch 
keim  Iber  alle  zweifel  erhaben.    Der  auftrag  an  einen 

in  der  reichspflege  Donauwörth  auf  den  könig  ans  dem  hause 
der  Bohenstaufen  vereidigten  mann  wäre  in  hohem  masse  auf- 
lallend,  Bin  Bolcher  mann  wurde  auch  kaum  den  ausdruck 
underharic  gebraucht  haben.  Ferner  stand  Bayern  und  die 
herzogliche  bunilie  noch  nicht  zu  Donauwörth  in  so  engen 
besiehungen  wie  etwa  zwanzig  jähre  Bpäter,  wo  die  Wittels- 
bacher  nicht  bloi  verwante  und  in  freud  und  leid  treu 

bene  bund<  .  der  Hohenstaufeu  waren,  Bondern  die 


366  WILHELM 

reichspflege  zum  pfand  erhielten  (s.  Lori  II 9).  Schliesslich  ist 
aber  von  einem  geschlecht  Durne  /  Dürne  in  Donauwörth  nichts 
bekannt. 

Wir  sind  demnach,  wenn  Donauwörth  auszuschalten  ist, 
auf  Wörth  a.  d.  Donau  angewiesen  und  für  dieses  spricht  alles. 
Freilich  mit  dem  nach  weis  der  marktgerechtigkeit  hat  es  seine 
Schwierigkeit.  Wir  wissen  nicht,  wann  und  von  wem  der  ort 
die  marktfreiheit  erhielt.  Die  urkundlichen  nachrichten  über 
dieses  Wörth  sind  für  die  ältere  zeit  sehr  spärlich  und  nichts- 
sagend. Der  älteste  sichere  beleg  für  den  ort  stammt  aus  dem 
jähr  1179:  Acta  sunt  hec  in  loco  Werde  clicto,  in  pago  Tun- 
comie  (R.  272).  1186  wird  Werd  als  weinbauort  erwähnt  und 
hat  abgaben  an  St.  Johann  in  Regensburg  zu  liefern  (R.  280). 
Um  1233  wird  die  pfarrei  von  Werde  genannt  (R.  379;  vgl. 
auch  F.  Janner,  Geschichte  der  bischöfe  von  Regensburg  II  340, 
anm.  4).  1247  hielt  sich  bischof  Albrecht  I.  von  Regensburg 
in  Wörth  auf,  weil  die  Regensburger  wegen  ihrer  gemeinschaft 
mit  dem  excommunicierten  Friedrich  II.  gleichfalls  in  den 
kirchenbann  geraten  waren  und  der  bischof  den  anschein  ver- 
meiden wollte,  als  stünde  er  auf  Seiten  des  kaisers  (s.  Verhandl. 
d.  bist.  Vereins  v.  Oberpfalz  u.  Regensburg  22,337).  Damals  Hess 
Albrecht  in  Wörth  auch  münzen  schlagen  (s.  B.  Grueber  und 
Ad.  Müller,  Der  bayr.  wald,  Regensburg  1846,  s.  385).  Erst 
1295  wird  die  bürg  von  Wörth  urkundlich  erwähnt:  Werdhoj 
(TA  no.  48.  Regensburg  [ost  1875]  3.  reihe,  4.  feld)  sub  Castro 
nostro  Werd  sitam  (R.  697),  doch  wie  sich  aus  den  Notae  S. 
Emmeramni  MG.  SS.  XVII  575,  32  ergibt,  bestand  das  castrum 
schon  vor  1225. 

Die  herschaft  Wörth  und  die  grafschaften  Stauf  und  Hohen- 
burg  bildeten  das  fürstbistum  Regensburg.  Sie  giengen  mit 
der  Verleihung  der  temporalien  an  den  bischof  über.  Wir  er- 
fahren nichts  darüber,  wie  bis  1300  die  bischöfe  die  herschaft 
Wörth  verwalteten,  vor  allem  nichts,  auf  welche  weise  die 
vogtei  besetzt  wurde.  Seit  dem  14.  Jahrhundert  werden  die 
nachrichten  über  die  pfleger  und  richter  in  Wörth  häufiger, 
aber  für  unseren  zweck  ergibt  sich  daraus  nichts.  Die  ein- 
wohner  des  ortes  tragen  auch  seit  der  letzten  hälfte  dieses 
Jahrhunderts  den  titel  Wirg&r  im  gegensatz  zum  ausman.  Ein 
teil  des  ortes  scheint  demnach  mit  mauer  umgeben  gewesen 


UKINlioT    VON    DÜRNE. 

zu  sein.   Urkundlich  erscheint  der  erste  bürgar  am  L9.juni  I 
er  heisst   Wolfram  der  Chraghals  (siehe  kgl.  bayr.  reichsarchiy, 
Wörth,  herschaft  a.  cL  Donau,  Fase  N.  8).     L418  wird  auch  ein 
eignes  Wörther  mass  erwähnt,    MB.  26,359  a 
werdär  m 

Als  markt  wird  Wörth  ersl  in  einer  Urkunde  des  bischofs 
Johann  II.  von  Regensburg  vom  30.  april  1533  erwähnt  Johann 
Bagl  den  bürgern  von  Wörth  die  Freiheiten  und  Gerechtigkeiten 
zu.  die  ihnen  bischof  Eeinrich  IV.  in  einer  Pfint  >  der 

heiligen  drey  Jcdnigtag  1481  ausgestellten,  nichl  mehr  erhaltenen 
Urkunde  gewährt  hatte  (&  kgl.  bayr.  reichsarchiy,  Wörth  u. 
Fase  26).  Wie  aber  wird  da  der  markt  Wörth  erwähnt!  Ehr 
ist  ein  alter  markl  und  /.war  beruht  seine  marktgerechtigkeil 
auf  herkommen.  Es  ist  hier  nichl  der  ort,  die  ganze  Urkunde, 
die  mehrere  Seiten  selbst  in  petitsatz  füllen  würde,  abzudrucken, 
aber  die  für  unseren  zweck  wichtigsten  Btellen  sollen  hergesetzl 

werden:    Wacftdem  von  <i!t<r  herkomen,  das  <il/«<i  in 

wochen  in  vnnserm  Markht  eu  Werde  ein  gewöndlicher  wochen 
Marki  am  Montag  gewesen  ist,  das  der  also  <nt  ainetn  ■ 
eritag  darnach  für  vnnd  für  tu  ewigen  Seiten  bleibi  vnd 

gehalten  werden  soll  ....  und  Dawider  vnd  entgegen  so  haben 
wir  auch  den  benanten  vnnsern  bürgern  :  ■  /  ausgegeben 
vnnd  vergunt,  das  sy  furan  so  jr  oder  des  markts  notturfft 
das  eraischen  wirdt  jm  jar  ainsmais  eu  sand  peterstag  ketten- 
feier  (Laug.)   oder  eu  sand  Dionisjtag  (9.  ocl  iarmarkt 

zu  werde  ist,  alles  schenkhen,  <ül<)l>j  gedranks  aufheben,  jnen 
selbs  vnd  gemeinem  markt  zu  nni:  vnd  anlegung  drej  tag  pan- 
wein  ausgeben  vnd  schenkhen  mug< 

Aus  diesen  angaben  ir* ■  1 1 1  nicht  hervor,  wann  Wörth  markt 
wurde,  .Man  wusste  es  damals  offenbar  Belber  nicht  mehr  und 
erklärte  die  marktgerechtigkeit  aus  gewohnheit  und  herkommen. 
Ei  lässl  rieh  aber  Behr  wahrscheinlich  machen,  dass  schon  vor 
1240  in  Wörth  markte  abgehalten  wurden  und  d  stelle 

bei  Reinbot  der  erste  beleg  für  Wörth  als  markt  ist.    i 
Reinbot   in  diesem   Wörth  schrieb,    wird  sich   uns  Doch   aus 
anderen  gründen  ergeben. 

AU   1539  Johann  IL  den   Wörthern  ihre  freiheiten  und 

5htigkeit«-n   I  •  liar   kein  BChrift- 

Liches  marktprivileg   von  selten  des  königi  und  rden 


368  WILHELM 

sie  auch  nie  besessen  haben.  Ursprünglich  war,  wie  bekannt, 
die  Verleihung  der  raarktgerechtigkeit  ausschliessliches  recht 
des  königs.  Aber  schon  im  12.  und  13.  Jahrhundert  kam  dieser 
satz  sehr  ins  wanken.  Die  grundherren  usurpierten  das  recht, 
markte  zu  gründen.  Die  könige  aber  konnten  häufig  aus 
politischen  rücksichten  diesen  rechtswidrigen  gründungen  ihre 
anerkennung  nicht  versagen  oder  wollten  sie  protestieren, 
dann  konnten  sie  dies  bei  ihrer  politischen  ohnmacht  meist 
nur  so  gelinde  tun,  dass  man  aus  dem  formellen  protest  auch 
eine  billigung  herauszulesen  im  stände  war.  So  war  es  bei 
der  gründung  der  markte  und  zolle  Föhring  und  München 
und  den  daran  anknüpfenden  Streitigkeiten  zwischen  den 
bischof  en  von  Freising  und  den  herzögen  von  Bayern,  über 
die  uns  Sigmund  von  Riezler  in  bahnbrechender  weise  auf- 
geklärt hat  (Abhandl.  der  kgl.  bayr.  acad.  d.  wiss.  III.  cl.  24  II 
321  f.).  So  war  es  auch  noch  öfter.  Nach  dem  frieden  vom 
30.  juli  1205  zwischen  Konrad  IV.  von  Eegensburg  und  Ludwig 
dem  Kelheimer  übten  bischof  und  herzog  in  Regensburg  das 
marktrecht  gemeinsam  aus.  Ebenso  das  münzrecht  (R.  307. 
308).  Als  dieser  vertrag  Weihnachten  1212  abgeändert  wurde, 
blieben  gerade  die  bestimmungen  von  1205  für  markt-  und 
münzrecht  in  Regensburg  bestehen.  Diese  tatsache  ist  wichtig. 
Sie  spricht  gegen  die  annähme,  dass  die  Städtegründungen 
von  Landshut  (1204)  und  Straubing  (1218)  vorgenommen 
wurden,  weil  der  Regensburger  bischof  schon  eine  Stadt  mit 
markt  besessen  habe.  Dass  sie  gegen  den  bischof  gerichtet 
waren,  ist  zweifellos,  aber  sie  werden  nicht  wegen  Regens- 
burger Vorkommnisse  unternommen  worden  sein,  sondern  wegen 
solcher  auf  grundherrlichem  boden  des  bischofs.  Es  lässt  sich 
nachweisen,  dass  schon  zu  anfang  des  13.  Jahrhunderts  die 
bischöfe  von  Regensburg  sich  Vorrechte  des  königs  angeeignet 
hatten.  Der  Zollkrieg  zwischen  Konrad  III.  von  Regensburg 
und  Wolfker  von  Passau  zeigt  das  zur  genüge.  Konrad  III. 
hatte  bei  Achdorf  unterhalb  Wörth  (s.  TA  no.  48.  Regensburg 
[ost  1875]  3.  reihe,  4.  feld)  eine  küfelmaut  für  die  aus  dem 
bistum  Passau  kommenden  salztransporte  errichtet.  Wolfker 
belegte  seinerseits  darauf  die  Regensburger  ledertransporte 
mit  zoll.  1201  wurde  der  streit  beigelegt  (R.  301),  aber  der 
von    Konrad    erhobene    salzzoll    ausdrücklich    als    ungerecht 


REINBOT    70»    IH  UNK.  3G9 

bezeichnet  Bis  L256  erhoben  die  bayrischen  herzöge  von 
den  Regensburgera  zolle  auf  der  Btrasse  Regensburg-Wörth; 
am  7.  nov.  dieses  Jahres  wurden  sie  auf  eine  karrensteuer  von 
einer  Ubra  hallensium  redimiert,  aber  mit  dem  ausdrücklichen 
vermerk:  licet  id  vassalis  et  fidelibus  carissimi  auunculi  nostri 
Conradi  secundi  Incliti  Jerusolimi  et  Sicilie  regis  displicen 
titneamus  (s.  kgl.  bayr.  reichsarchiv,  Regensburg,  reichsstädt. 
archiv.  Fase  5).  Ein  Schriftstück,  welches  die  berechtigung 
dieser  auflagen  verbriefte,  existierte  lii">«>  nicht  und  man 
sprach  daher  von  einer  gewohnheitsrechtlichen  abgäbe.  Das 
konnte  man  aber  doch  bloss  dann  tun,  wenn  der  gebrauch  schon 
mindestens  zehn  Ins  zwanzig  jähre  alt  war.  Kaum  wird  der 
bist  hof  von  Regensburg  besonders  erfreut  gewesen  sein,  wenn 
unterhalb  seiner  Schlösser  Donaustauf  und  Wörth  strassen- 
abgaben    ZU  zahlen  waren,    die  nicht  in  seinen  säckel  flössen. 

dieses  Gewohnheitsrecht  gegen  den  bischof  gemünzt  war, 
zeigl  Bich  aber  daraus,  dass  die  herzöge  von  Bayern  diese 
einkünfte  an  die  Regensburger  burggrafen  überwiesen  hatten. 
Wenn  vuii  Seiten  des  Regensburger  Stuhls  gegen  eine  solche 
angeblich  gewohnheitsrechtliche  steiler,  die  doch  auch  so  und 
bo  viele  Untertanen  des  bischofs  traf,  nicht  Verwahrung  ein- 
gelegl  wurde,  dann  wird  er  wo)  einkünfte  von  gleich  zweifel- 
hafter berechtigung  besessen  haben.  Gewohnheitsrechte  an- 
zuzweifeln verstand  man  sonst  in  der  Btadt  df>  hl.  Wolfgang 
sein-  wnl.  Audi  ist  nichl  anzunehmen,  dass  der  Regensburger 
stuhl  den  gegen  ihn  gerichteten  gründungen  von  Landshul 
und  Straubing  zusah,  ohne  etwas  dagegen  zu  tun.  Diekönige 
konnten  in  dieser  zeit  nicht  helfen.  Selbst  war  der  mann, 
hie  einzig  richtige  antworl  auf  das  vorgehen  Ludwig  <\*-^ 
Kelheimers  war.  ähnliche  gründungen  auf  fürstbischöflichem 
bilden  vorzunehmen.  Donaustauf  und  Wörth  waren  di< 
eigneten  orte  dazu.  Diese  festen  beherschten  den  Donaulauf 
auf  strecken.    Der  \\<j:  von  Straubing  gieng  und  geht 

über  Bie.     Diese   beiden   bollwerke   weiden  Bchon  lange  den 
bayrischen  herzögen  ein  dorn  im  an  ssen  Bein.    Strau- 

bing wurde  uro]  ihretwegen  gegründet 

Selbsverstandlich  kann  man  bei  dem  Bp&rlichen  und 
lückenhaften  material  nicht  Bagen,  welche  von  beiden  parteien 
zueilt  anfieng.    Das  isl  für  unseren  zweck  auch  nebensächlich. 

ll-itiagc    lur  grtchichle  der   de    | 


370  WILHELM 

Es  steht  fest,  dass  der  Regensburger  bischof  ebenso  wie  der 
bayrische  herzog  zu  anfang  des  13.  Jahrhunderts  sich  eigent- 
lich nur  dem  könig  zukommender  rechte  bemächtigt  hatten 
und  es  ist  in  hohem  masse  wahrscheinlich,  dass  der  1533  zu- 
erst als  auf  altem  herkommen  beruhende  markt  von  Wörth 
in  die  zeit  des  beginnenden  13.  Jahrhunderts  zurückreicht.  Es 
wäre  ein  grosser  politischer  fehler  gewesen,  wenn  der  bischof 
auf  seinem  grundherrlichen  boden  keinen  markt  errichtet  hätte. 

Weiter  als  die  geschichtlich  -  geographische  Untersuchung 
bringt  uns  die  genealogische. 

Das  Stammbuch  des  blühenden  und  abgestorbenen  adels 
in  Deutschland  1, 303  b  führt  drei  geschlechter  des  namens 
Dürne  an: 

1)  Die  dynasten  aus  Franken,  nach  Walldürn  (TA  no.  25. 
Miltenberg  [1850]  3.  reihe,  4.  feld)  benannt. 

2)  Einen  oberpfälzischen  adel,  dessen  familienmitglieder 
auch  unter  dem  namen  Dürnär  erscheinen  und  dessen  wappen 
ein  widder  im  schild  war. 

3)  Ein  altbayrisches  geschlecht,  das  sehr  spärlich  bezeugt 
ist  und  in  blau  einen  goldenen  schrägbalken  geführt  haben  soll. 

Die  dynasten  kommen  wegen  ihrer  abstammung  aus  rhein- 
fränkischem  Sprachgebiet  und  der  s.  363  angeführten  gründe 
nicht  in  betracht,  Ueber  das  altbayrische  geschlecht  wissen 
wir  zu  wenig.  Vielleicht  liegt  ein  irrtum  vor.  Das  andere 
wappen  braucht  keineswegs  für  eine  von  der  oberpfälzischen 
verschiedene  familie  zu  sprechen.  Ueber  diese  wissen  wir  genug. 
Aus  ihr  wird  unser  Reinbot  stammen. 

Das  geschlecht  nannte  sich  nach  dem  orte  Dürne,  der  jetzt 
in  das  dorf  Vorderthürn  und  den  aus  zwei  gehöften  bestehenden 
weil  er  Hinterthürn  zerfällt  und  zum  bezirksamt  Roding  gehört 
(TA  no.42.  Burglengenfeld  [ost  1875]  2.  und  3.  reihe,  4.  feld; 
OV  938).  Dort  um  den  Silberberg  war  der  besitz  der  familie. 
Von  dort  blickten  sie  hinab  auf  das  südlich,  hinter  dem  Nit- 
tenauer  kirchenholz  gelegene  Nittenau.  Bis  zum  gipfel  des 
Mautberges  reicht  heute  von  der  moosigen,  fruchtbaren  höhe 
des  Silberberges  der  blick  nach  süden,  bis  nach  Schöngras  und 
Bodenwöhr  nach  norden  und  bis  nach  Fischbach  im  westen. 
Dichter  wald  hindert  die  weitere  fernsieht  nach  osten,  nur  in 
das  tal  des  Sulzbaches  und  auf  die   an  ihm  entlang  ziehende 


BEINBOT    VOH    DÜBNE,  871 

Btrasse  kann  man  Behen.  Am  nordöstlichen  ausläufer  des 
Silberberges  and  der  Platte  lieg!  Brück,  jener  ort,  der  nach 
der  aussage  der  Vorderthürner  vor  nicht  allzulanger  zeit 
Vorderthttrn  erel  überflügelt  haben  boIL  Die  geschichte  Bprichl 
anders.    Nur  dreimal  finden  wir  den  ort  Dürne  erwähnt,  ofl  da- 

ii  Brück,  es  war  Bchon  im  mittelalter  pfarrdorf.  Dürne  tritt 
uns  zum  ersten  mal  in  einer  Urkunde  Ottos  von  Bamberg  aus 
dem  jähre  1139  entgegen;  turne  geschrieben  (MB  24,17).  In 
der  kurz  nach  1139  abgefassten  relatio  de  piis  operibus  Ottonis 
episcopi  Bambergensis  (MG.  SS.  XV  1159,  12),  in  einer  L156  von 
Eberhard  von  Bamberg  and  in  einer  1374  von  Rabno  von  Eich- 
Btätl  ausgestellten  Urkunde  (MB  24, 32;  das.  160)  steht  Dm 
das  werden  wir  entsprechend  dem  heutigen  namen  Jt;i>t>  zu 
interpretieren    haben.     Die    etymol  namens    marin 

Schwierigkeiten.  Er  wird  nicht  von  dorn  zu  trennen  Bein. 
Eine  collectivbildung  ohne  ge-  wäre  möglich,  wenn  auch  Belten 
belegt  (s.  Kluge,  Nominale  Stammbildungslehre  s,  32).  Man  wird 
auch  an  an.  Pyrner  and  mhd.  dürnen  denken  müssen.  Der  aame 
wird  ursprünglich  'dornengebüsch'  oder  'dornengehi  g '  bedeutet 
haiicn.  Es  mag  damit  zunächst  eine  mit  dornenhecken  be- 
wachsene gegend,  oder  ein  mit  Bolchen  amzäuntes  besitztum 
bezeichnet  worden  Bein.  Auch  /''hur  als  hausmarkenbezeich- 
nung  wäre  denkbar.  Das  lässt  Bich  nicht  mehr  Feststellen. 
So  viel  aber  isi  sicher,  der  name  ist  mit  ü,  nicht  mit  >t  zu 
schreiben. 

Schon  Wiguleus  Hund  (•(■  1588;  9,  AM:.  13,392  i.i  bemerkt 
im  dritten  teil  seines  bayrischen  Stammbuches  (hsg.  von  Libius 
in  der  Bammlung  historischer  Schriften  und  Urkunden,  geschöpft 
au-  has.  von  M.  frhr.  v.  Freyberg  :'•.  bd.  s.  1  •'•'.'  i.  Stuttgart  und 
Tübingen  1830)  3.278,  dass  die  Dürner  •ihren  namen  und  ber- 
kommen'  von  'dorf  und  Bitz  Dürn,  welches  Bie  auch  noch 
neulich  ingehabt1  haben.  Er  nennt  als  älteste  ihm  bekannt 
gewordene  Dürner:  'Waltherus,  Conradus  und  Waldemarus  de 
Dürne  1145.'  Wo  er  die-«-  namen  fand,  sagt  er  nicht.  Viel- 
leicht in  uns  verlorenen  grabinschriften,  wappenbüchern  und 
Urkunden,  denn  solcher  art  waren  Beine  quellen.  Der  alt 
hei.-:   im-  das  geschlecht,  den  Ich  mit   eignen  au  'heu 

habe,  findet  Bich  in  den  Aspacher  traditionen  zum  jähr  n- 
(MB  5,  1 


372  WILHELM 

In  einer  zn  Prüfening  (TA  no.  48.  Regensburg  [west  1872] 
2.  reihe,  3.  feld)  am  19.  märz  1266  ausgestellten  Urkunde 
testieren  unter  anderen  Rugerus  de  Dum  und  Otto  de  Dum 
(MB  13, 224).  Nach  einer  Michaeli  1299  im  markt  Rotz  (TA 
no.  43.  Cham  [west  1871]  1.  reihe,  3.  feld)  gefertigten  Urkunde 
standen  viridis  et  Cliunradus  Dumarii  in  einem  foedus  mit  Chun- 
radus  de  Sivarzenburch  bezüglich  der  proprietas  vnius  curie  in 
Ferndorf  (TA  no.  43.  Cham  [west  1871]  1.  reihe,  3.  feld)  situate 
(MB  26,49).  1317  vermacht  Vir  eich  Durnär  unter  bestimmten 
kautelen  den  Augustinern  von  Schöntal  (TA  no.  43.  Cham  [west 
1871]  1.  reihe,  4.  feld)  den  halben  hof,  den  er  mit  den  kindern 
seines  bruders  zu  Perndorf  besitzt  (MB  26,  84).  Konrad  von 
Dürne  war  also  damals  schon  tot.  Ulrich  scheint  Konrads 
witwe  geheiratet  zu  haben,  denn  in  einer  von  Waldmünchen 
(TA  no.  37.  Schönsee  [ost  1875]  3.  reihe,  1.  feld)  aus  dem  jähr 
1320  datierten  Urkunde  (MB  26,  98)  fungieren  ein  Chunrat  der 
durner  Rihter  und  vlrich  Durner  als  zeugen  und  in  einer  solchen 
von  1321  (MB  26, 99)  Vlrich  der  Durner  und  Chunrat  der  Richter 
sin  stevfsun.  In  dem  selben  jähr  testieren  nochmals  Her  Chunrat 
der  Richter  von  Mvnclien  und  Her  vlreich  der  dumaer  (MB 
26, 100).  Als  zeuge  für  eine  Schenkung  nach  Schöntal  erscheint 
1325  Her  Chnnrad  der  Durnär  Richter  ze  München  (MB  26, 107). 
1329  war  Ulrich  von  Dürne,  des  richters  Stiefvater,  tot,  denn 
des  Suntags  vor  Sand  Vrbans  tag  dieses  Jahres  bestätigen  die 
kinder  des  bruders  von  Herrn  vlreich  dem  durnär,  vnserm  liben 
vetern,  ....  dem  got  genad,  Chunrat,  vlreich  vnd  Perhtold,  ge- 
haizzen  die  Durnär,  dessen  Schenkung  von  1317,  als  zeuge 
fangiert  dabei  her  Chunraä  der  Durnär  (MB  26, 109).  1335 
testiert  Herren  (!)  Chunrat  der  Dvrner  iveilant  Rihter  ze  Mün- 
chen (MB  26,115).  1337  wird  mit  dem  insigel  des  herm  Chnnrad 
des  Dürner,  der  den  selben  czeiten  Richter  ze  Chamb  (TA  no.  43. 
Cham  [west  1871]  3.  reihe,  4.  feld)  ivaz  gesigelt  (MB  27, 121  und 
26, 118,  hier  fälschlich  Durmer  geschrieben),  desgleichen  1344 
(MB  26, 129).  Im  selben  jähr  verkauft  Seyfrid  der  Fuchs  von 
Falkenstein  dem  Ersamen  Flitter  Herrn  Chnnrad  dem  Dvrnner, 
seiner  Haivsfraiven  vnd  ir  Erben  seinen  iveingarten  ze  ChrvkcJien- 
perch  (TA  no.  48.  Regensburg  [ost  1872]  2.  reihe,  3.  feld),  einem 
ort,  der  anderthalb  stunde  westlich  von  Wörth  an  der  Donau 
liegt  (MB  26, 130),  aber  schon  1348  wird  dieser  weinberg  den 


BEINBOT   von    DÜBHE.  878 

brüdern  in  Schöntal  geschenkt,  weil  Eonrad  dort  begraben 
werden  will  i  MB  26,  1 12).  Im  Beiben  jähr  erschein  her  Chunrat 
der  Durner  Dochmala  als  zeuge  (MB  27, 136).  L354  war  er 
bereits  gestorben,  denn  in  rinn-  Schöntaler  Urkunde  von  diesem 
jähr  wird  des  Weingarten  gedacht,  der  gewesen  ist  deserberigen 
Ritter  Herrn  Chvnrat  de*  Dürnär,  </<>//  got  genad  (HB  26,  149; 
das.  L52). 

L319  erscheinen  in  einer  Urkunde  des  Rennbot,  Conrad  und 
Seyfrit  von  Swarcsenburch  ein  Otto  ran  THirn  mit  seiner  fran 
Geisel  als  Btifter  eines  seelgeräts  für  ihren  söhn  Ulrich,  der 
in  dm  diensten  der  Swarzenburchs  verschieden  war  (MB 27,95). 
Hei  einem  mühlverkauf  testieren  1823  Sifrid  der  Probst  von 
Prvk,  Otto  von  Dürn  und  vlrich  von  Dürn  (MB  27,101),  L324 
wider  Ott  ran  Dürn  (MB  27,  103).  Einen  anderen  Otto  treffen 
wir  in  der  zweiten  hälfte  des  14.  Jahrhunderts  an.  1365  wird 
mit  des  Erwergcn  Otten  des  Durners  Insigel  gesiegelt  (MB 
127.  Is7).  1 : *. T  l  mit  dcz  Erwergen  manns  herrn  Otten  des  Dur- 
närs  sc  Prukk  an  der  weil  Closter  Probst  su  Prüffning  Insigel 
MB  27, 224),  l^T'.»  mit  des  Ersamen  bescheiden  mann*  Insigel 
Otten  desDürnärs  (MB  27,250)  und  L358  mit  Otten  des  l 
närs  su  PruJc  anhangenden  Insigel  (MB  27,295).  Im  selben 
jähr  werden  auch  herr  Vlrich  der  Pfarrer  tu  Pruk  vnd  <>tt 
der  Dürnär  erwähnl  (MB  27,290).  Am  6.  jan.  L403  Bigell 
und  bürgt  Linhart  der  Dürnär,  Richtet  .<  l'>  ikk (VGO  23, 177) 
und  mit  diesem  identisch  i>t  wo!  lynhart  dvrnär  von  Gast- 
rntvnd  <l<  r  hind  hiltbrant  des  pömpflingär  (MB 
26,313),  [nteressant  ist  auch  folgende  Btelle  im  Urbarium 
lominatus  Strubing  (MB  36  II  846),  das  im  L 4.  Jahrhundert 
geschrieben   wurde:    Geswant  med.  lib.  it.  IUI'   den,  Tenet 

i  r.  dicit  quod  dux  c  erit  sibi  pro  XX  lib.  d<i. 

ordinauerit  sibi  <i)>ut  magistrum  Georium  instrumenta»!. 

tas  den  angefülirten  belegen  ergibt  sich  mit  aller  deut- 

lichkeit.  da88  das  geschlecht   der  heuen   von  I  »in  tu-  ein   in  der 

pfalz  alteingi  er  ritterlicher  adel   war.    Da  wo  wir 

seine  BÜtglieder  Doch  namentlich  nachweisen  können,  sehen 
wir  sie  an  oberpfälzischen  orten  Sie  haben  beatsungen 

im  comitat  Chamb,  das  bereits  1204  an  die  Witteisbacher  kam 
(und*  ebiet   der  djnasten   von  Schwarzenburch, 

in    deren    dieiiste    >ie    auch    •  n.    und    sie    sind    in    der 


374  WILHELM 

nächsten  Umgebung  von  Regensburg  tätig-;  wir  sehen  sie  in 
Prüfening  und  erfahren,  dass  sie  vier  jähre  lang  anderthalb 
stunden  von  Wörth  a.  d.  Donau  entfernt  einen  Weinberg  be- 
sassen  und  somit  auch  für  diesen  besitz  unter  der  herschaft 
Wörth  standen.  Es  sind  nur  spärliche  nachrichten ,  welche 
über  das  geschlecht  zu  uns  gedrungen  sind.  E einbot  selbst 
haben  wir  namentlich  nicht  nachweisen  können,  Gerade  aus 
der  zeit,  in  der  er  lebte,  ist  uns  über  die  Diirner  nichts  über- 
liefert, auch  auf  dem  kgi.  bajT.  allgemeinen  reichsarchiv  in 
München  war  nichts  über  ihn  zu  finden.  Ein  zweifei,  dass 
Reinbot  aus  diesem  oberpfälzischen  geschlecht  stammt,  kann 
nicht  bestehen.  Schon  deshalb  nicht,  weil  es  eine  andere 
familie  von  Durne  /  Dürne,  die  in  Sprachgebieten  ansässig  war, 
aus  denen  Reinbots  Georg  stammen  muss,  nicht  gibt.  Das  ist 
der  grund,  weshalb  die  gelegentlich  der  nachforschungen  über 
die  minnesänger  Otto  zem  Turne  und  dem  Dürner  genannten 
geschlechter  nicht  in  betracht  kommen  (vgl.  die  bei  Bartsch, 
Liederdichter4  s.  xcni  und  xci  verzeichnete  literatur).  Von  den 
bei  Hund  II  342  (ausgäbe  Ingolstadt  1598)  aufgezählten  und 
in  den  MG.  Necrol.  II  559  gesammelten  freiherren  von  Turn 
(Turris)  ist  selbstverständlich  ganz  abzusehen.  Alle  diese 
feststellungen  sprechen  stark  für  Wörth  a,  d.  Donau  als  ent- 
stehungsort  des  hl.  Georg.  Ja  es  ist  zu  vermuten,  dass  die 
familie  der  Dürner,  aus  der  Reinbot  stammen  muss,  noch  um 
1340  wolmbesitz  in  der  gegend  von  Wörth  oder  im  markt 
selbst  hatte.  Denn  was  hat  der  ankauf  eines  einzelnen  Wein- 
berges, für  dessen  pflege  man  selbst  sorgen  muss,  für  einen 
zweck,  wenn  man  nicht  selbst  in  der  nähe  wohnt? 

Es  lässt  sich  aber  noch  auf  andere  weise  dartun,  dass 
Reinbot  in  der  Oberpfalz  zu  hause  war  und  oberpfälzisch 
schrieb:  auf  sprachlichem  und  literarhistorischem  wege.  Es 
finden  sich  Spracheigentümlichkeiten  bei  ihm  im  reime  und  im 
versinnern,  die  sich  nicht  bloss  am  besten  als  bayrische,  son- 
dern als  oberpfälzische  auffassen  lassen.  Ferner  zeigen  sich 
auf  dem  gebiete  des  Wortschatzes  so  merkwürdige  Überein- 
stimmungen zwischen  dem  hl.  Georg  und  oberpfälzischen  denk- 
mälern  wie  der  Kaiserchronik,  dem  Rolandslied,  Berthold  von 
Regensburg,  Rüedeger  dem  Hünchov?er,  dem  jüngeren  Titurel 
und  Andreas  von  Regensburg,  so  dass  man  nicht  mehr  von 


BEINBOT   VOJi    DORNE. 

zubill  reden  kann.  Auch  die  \'"ii  Kraus  Schon  teilweise  zu- 
sammengestellten Übereinstimmungen  zwischen  dem  hl.  <•■ 
iiiul  dem  oberdeutschen  Servatius  sprechen  für  die  bayrische 
lirimat  Reinbots.  Denn  der  hl.  Servatius  isl  nicht  wie  be- 
hauptet wird  in  Augsburg  oder  Regensburg  entstanden,  son- 
dern, wie  ich  demnächst  zeigen  werde,  in  der  diözes  Freising. 
Augsburg  als  entstehungsort  des  Servatius  anzusehen  hätte 
allein  die  bindung  von  germ.  R  mit  germ.  au  abhalten  sollen. 
Denn  wenn  Kraus  anni.  zu  v.  1557  l  Reinbots  bemerkt:  der 
Servatius  'hält  R  und  ou  auseinander',  so  ist  das  falsch. 
\.  3185  wird  gebrachen1)  :  louch  en  |  -■=  in)  gereimt.  Die 
diphthongisierung  von  «  >  ou  war  also  schon  um  1 17.",  in 
Bayern  vollzogen.  Für  Augsburg  lässt  Bie  sich  erst  L280 
nachweisen;  vgl.  Kaufmann  §  vJ.  anm.,  s,  auch  Schatz,  Alt- 
bair.  gramm.  §  10. 

Die  diphthongisierung  des  i  —  für  den  Servatius  lässt 
Bie  sich  aus  den  reimen  nicht  erweisen  —  war  in  I.Vinbots 
mundart  nach  Kraus,  anm.  zu  v.  1083,  noch  nicht  durch- 
gedrungen, weil  die  form  w\  nhd.  wei  ausdrucklich  als 
Reinbotisch  belegl  Bei.  A.ber  dieser  Bchluss  ist  falsch.  Wir 
halien  es  7. 1082  f.  mit  einem  vocalspiel  zu  tun  (vgl.  v.  1086 
die  fünl  uoeales  sint  hie  bi).  Der  laut  i  in  wi  wurde  willkür- 
lich dieses  vocalspiels  wegen  eingeführt  Die  form  wei  konnte 
der  dichter  nicht  brauchen,  irt  beweist  also  irar  nichts;  aus 
dem  kommt  der  ausrui  w\  auch  heute  noch  vor,  besonders  bei 
kindern  als  reaction  für  angstgef ühle.  Für  die  diphthongisie- 
rung ?on  i  Bindet  Bich  tatsächlich  kein  beweisender  reim, 
wenn  mau  nicht  etwa  in  den  bindungen,  in  denen  die  nan 
form  Tjofreit  erscheint,  einen  solchen  erblicken  will.  Aber  es 
findet  sich  auch  kein  beweisender  reim,  der  dagt  iche. 

Aehnliches  Lrilt  für  die  diphthongisierung  von  i«  •  tu.  nur 
die  VOD  H  ou  ist  durch  den  reim  für  den  hl.  Georg  wie  fin- 
den Sei  yatius  bei* 

Auf  bayrischem  Bprachgebiet  war  die  diphthongisierung 
von  i  ii  Bchon  im  12.  Jahrhundert  vollzogen  (s.  Schatz  a.a.O. 
und  Lessiak  in  der  Festschrift  für  Kelle  s.241  f.).    Dass  auch 

dum  wird  tob  den  Wbb.  für  '-in  ••  gehalten, 

•  aber       gebrochen  nti   nnd  könnt   mit  ou  nur  in  dm 
•i  kennen  in  der  ann.  zur  stelle  in  m< 


376  WILHELM 

in  der  Oberpfalz,  wohin  wir  Reinbot  versetzen  müssen,  die 
diphthongisierungen  von  l  zu  ei,  ü  zu  ou  und  iu  zu  eu  schon 
damals  durchgedrungen  waren,  beweisen  die  no.  281  (1183). 
286  (1186).  323  (1213)  und  398  (1238)  bei  R.  und  es  mögen 
das  noch  folgende  zwei  mit  Reinbot  gleichzeitige  Regensburger 
Schriftstücke  zeigen.  No.  1  ist  eine  Urkunde  aus  Niedermünster 
vom  jähr  1240  (N.  Fase.  5),  no.  2  die  Regensburger  tuchmacher- 
ordnung  vom  jähr  1259  (kgl.  bayr.  reichsarchiv,  Regensburg, 
reichsstädtisches  archiv  Fase.  5),  die  älteste  Zunftordnung  in 
deutscher  spräche.  No.  3  die  älteste  deutsche  Urkunde  aus 
Obermünster  vom  jähr  1287  (0.  Fase.  10). 

No.  1. 

In  nomine  domini  amen.  Hiltegardis,  dei  gracia  inferioris  monasterii 
abbatissa,  Omnibus  presentem  paginam  inspecturis  salutem  in  domino. 
Quorum  noticia  in  plures  annos  est  necessaria,  cantum  est,  ut  illorum  me- 
moria scriptis  et  testibus  conseruetur.  Nouerint  igitur  uniuersi  presentes 
5  et  posteri,  quod  Waltberus  in  aehkirebstrazze  et  liberi  eins  Fridericus  et 
Elspeta  molendinum  et  duas  bubas  in  Gbeveriuge  nostro  monasterio  atti- 
nentes,  quas  a  nobis  ad  tempus  uite  sue  suseeperant  possidendas,  in  manum 
nostram  uoluntarie  resignarunt  et  nos  ad  instantem  ipsorum  peticionem 
idem  molendinum  et  easdem  bubas  Friderico,  Rvdgero  et  Ottoni,  filiis  perb- 

10  toldi  veslarii,  civis  ratisponensis,  concessimus  in  possessionem  babendam 
ab  ipsis  ad  uite  sue  terminum  sine  censu.  Et  \\t  nostra  concessio  ipsis 
rata  permaneat  presentem  paginam  conscriptam  in  illius  confirmationem  et 
memoriam  sigilli  nostri  appositione  dignum  duxiinus  roborare  testibus 
annotatis.   Testes  sunt :  Magister  Siboto  scolasticus  ratisponensis  et  plebauus 

15  noster.  Perbtoldus  de  Teckendorf  capellanus  noster.  Aruoldus  gwalt  ca- 
nonicus  ueteris  capelle.  Lsevtwinus  aput  capellam.  Otto  pragser.  Heinricus 
prepositus  superioris  monasterii.  Gozwinus  bie  der  wer.  Heinricus  ante 
urbem,  filius  /lomini  willehalmj.  Heinricus  zannrer.  Rappoto  prepositus 
noster.    Gerbardus  inter  rasores.  paltwinus  tvlse.    Fridericus  latinus.    Chvn- 

20  radus  de  nittenowe.  Vlricus  gemlingser.  Wernberus  hsevzzo.  Syboto  in  foro. 
Ortlibus  in  foro.  Ekardus  in  prvnneleta.  Gozwinus  de  pferin.  Heinricus 
ante  urbem.  Hermannus  ante  urbem.  Cbvnradus  parczifal.  Heinricus  de 
frisinge.  Gbvnradus  de  Ettensdorf.  Heinricus  aput  portulam.  Heinricus 
de  Strovbinge.    Cbnsebel.    Eberbardus   bavt.    Rudgerus   de   aiebe,   seruus 

25  Lsevtwini  aput  capellam.  Heinricus  raedwitzrer.  Livtoldus  seruus  tvlsonis. 
Lsevtwinus  et  Rvpertus  serui  bsevzzonis.  Cbvnradus  seruus  Cbvnradi  de 
Ettensdorf.  Heinricus  de  linta,  seruus  zannarii.  Perbtoldus  seruus  Chvn- 
radi  de  Nittenowe.  Cbvnradus  seruus  Gemlingarii.  Ekardus  seruus  seruus  (!) 
Ortlibi  in  foro.   Gotscbalcus,  cognatus  cbvnradi  de  Ettensdorf  et  alii  quam 

□      o       o  a 

30  plures.    Acta  sunt  hec  anno  incarnationis  domini  M  CC  XL  jndictione  xnj. 


BEINBOT    VON    Dl' UNK.  3  !  < 

Xn.    2. 

I>az  ist  der  -atz,  den  hex  A.lbreh1  von  dem  bvrhtor,  bnrgsBrmeieter 
vinl  ili  Bebzehen  vnd  ander  bvrgeer  geeetzel  babent,  dar  vmb  daz  man  gvtiv 
tvrh  Iii  ze  regenspvrch  weh   nid  bereit   vnd  den  valsch  wer.    1/.  enschol 
dehein  Bwerzser  dehein  rinderhar  Bwerzen:  daz  babenl  « I i  bvrgser  verboten. 
Bwen  dar  vber  Bwerz,  der  des  von  der  warheit  überwanden  wirt,  oder  als    5 
ofte  man  iz  datz  im  rindet,  als  ofte  geh  driv  pfvnt  der  werd  dem  rihtar 
oinez,  iliv  zwei  an  <  1  i  Btat    bab  er  der  pfenning  niht,  bo  Bläh  man  im  ab 
ili  hant.    l/.  enscbol  dehein  Blahan  dehein  rinderbar  vnd  dehein  Btreicbhar 
vnd  dehein  walcbhar  vnd  dehein  scherhar  vnd  deheinen  Bleien  Blähen,  ovch 
iii  drin  pfänden  oder  bi  der  haut  als  vor  geschriben  ist,  dem  rihtser  einz,  10 
zuti  an  ili  stat.    Iz  enschol  dehein  seil  noch  dehein  himpergser  niht  minner 
haben  denne  zehen  lal.    son  Bchol  ovch  dehein  ander  tvch,  daz  vnder  scha  t 
vnil  vnder  chorten  cbört,  niht  minner  haben  denne  einlif  zal,  bi  drir  pfvnd 
wände!  oder  di  haut,  als  vor  geschriben  ist.    Iz  Bchol  dehein  weitser  dehein 
rinderhar  vnd  dehein  streichbar  vnd  dehein  walcbhar  vnd  dehein  Bcherbar  15 
vml  deheinen  Bleien   vnd  dehein  vngrisch  wolle  vnd  dehein  boa  wolle  vnd 
dehein  wollein  tvrh  vnd  dehein  wollein  garn  niht  weiten,  ovch  bi  drin 
pfvnden  oder  bi  der  haut  als  vor  geschriben  ist.  dem  rihtser  einz.  zwei  an 
die  -tat.    Iz  so!  nimeii  vnder  di  Bchersar  dehein  tvch  bereiten,  daz  ili t  lenger 
lmh  denne  virzec  eilen  oder  man  bereitel  im  Bin  niht.    Iz  schvln  di  schenex  20 
allen  lavten  gvtiv  tvch  bereiten,   swer  den  tavten  daz  versag  in  ihr  weis, 
daz  er  den  satz  gern  brach,  ihr  geh  driv  pfvnl  oder  di  hant,  al 
schrillen  ist.  dem  rihta  r  einz,  zwei  an  di  stat.     Iz  enschol  Ovh  nim<  n  sinev 

tvch  avz  der  stat  in  daz  gai  zeweben  gehen  hi  dem  wände!  drir  ]  fvnd 

oder  ihr  haut,  dem  rihtser  einz.  zwei  an  di  >tat.   Diser  satz  Bchol  stat  Bin  25 

immer  vml  immer  vnd  schvln  Immer  manne  zweit",  di   von  iar  ze  iar  da  ZV 

werdent  geschoft,  den  valsch  Bvchen  vnd  melden,  swa  sin  rinden,  vnd  t\'r 
di  burgsar  vnd  fvr  di  rihtar  bringen  avf  ir  ait  der  Bch^ln  zwen  Bin  ovz 
ihn  watmangsBrn,  iwen  ov«  den  Bcherarn,  zwen  ovz  den  wollsarn,  zwen 
ovz  den  ledrarn  vnd  den  irhsern,  zwen  ovz  den  websern  vml  zwen  ovz  den  :!,i 

in.    Datum  Anno  domini  M  CC lvuii Hense  Jvlii  im  Idns eivsdem, in 
die  Hart  irete  rirginii  ei  martyris. 

No. 

Wir  Eteihtze  von  üotes  genaden,  Aptesse  datze  Obernn 
pvreh  Tun  allen  den  ehvnt.  die  disen  brief  sehenl  oder  horent  lesen, 
bei  i  ii \ ni.it   der  lMl.ir.  vnsen  Goteah  lienstman,  mit 

'•  nd    mit    .  !    .  ach   an   > i  1 . •  ..  mit 

gewissen  \n  mit  ordenlicher  beschaidenheit  betraht  i 
heil  vnd  verrihl  rieh  mit   vna  vnd  mi1   vnsei  vmb  elliv  div 

Iahen,  div  er  int   von  vns  vnd  von  dei 
ln't  in  dem  doi  fl 
liehen  ovf  vnd  gestvnd  du  von  vnd  -"-.tan. 

■    div  wir  hernach  an  disem  bril  aennei  ■  :  10 


378  WILHELM 

vnsern  tisch  vnd  einer  iesliclier  frowen  Aptcssen  tisch,  die  nach  vns  choment. 
vnd  daz  tet  der  Pullser  dar  vmbe,  daz  wir  den  sitz  vnd  daz  geseezz  datze 
Sala  mit  hovse  vnd  mit  hofstat  vnd  elliv  div  lehen,  div  der  Pulla?r  in  dem 
dorffe  datze  Sala  ze  rehtem  lehen  het  von  dem  Goteshovse,   enveld  vnd 

15  endorff,  erpawen  vnd  vnerpawen,  versvht  vnd  vnversvht,  vnd  alles  sin  feigen, 
daz  er  het  in  dem  selben  dorff,  daz  er  vns  gegeben  het  vnd  nvm  Schilling 
phenninge  zinses  von  hoflanten,  nach  vnsers  herren  des  hohen  Phallentz- 
graven  Hainriches  von  dem  Rein,  Hertzoges  von  Beiren,  rat  vnd  pet  haben 
gelihen  hern  Perhtolden  dem  Meinchovaer  vnd  siner  husfrowen  ver  Marge- 

20  reten  vnd  den  chinden,  div  si  beidiv  mit  einander  habent  vnd  noch  ge- 
wiiment.  Wir  nemen  ovch  vns  ovz,  daz  der  selbe  Perhtold  vnd  sin  hovs- 
frowe  vnd  ir  Erben  dehein  voderung  noch  dehein  reht  svlen  haben  vf  vnser 
forste  noch  ovf  vnser  holtzer  noch  ovf  vnser  wismat,  noch  dehein  privhovs 
noch  dehein  taver  noch  deheinen  chovf  haben  svlen  datze  Sala,  daz  vnsern 

25  levten  oder  vnserm  marchte  oder  vnserr  hofmarche  geschaden  mvge.  Swes 
sich  ovch  her  Chvnrat  de  pullrer  ze  vnrecht  het  vnderwunden  von  vnsers 
goteshovses  levten  oder  gvt,  da  svlen  si  von  gesten,  als  verre  als  wir  si  des 
geinnern  mit  der  gewizzen.  Es  svlen  ovch  hern  Perhtoldes  vnd  vron  Mar- 
gareten chint  v..  (sie!)  von  vnserem  goteshovse  niht  cheren  mit  heirat  an 

30  vnsern  willen  vnd  an  der  Aptessen  willen  vnd  rat,  div  ze  den  ziten  des 
gotshavses  gewaltich  ist,  Ez  si  danne,  daz  si  nach  vnsers  goteshovses  eren 
vnd  nach  ir  wirden  niht  ze  heirat  chömeu  mühten,  So  svlen  si  heiraten  in 
Mdermvnstraer  gewalt.  mohten  aber  si  da  vch  niht  ze  heirat  chömen  nach 
ir  wirden  vnd  nach   ir  eren,  so   mvgen  si  dann  wol  mit  heirat  cheren  in 

35  vnsers  herren  hertzoges  Hainriches  gewalt,  also  daz  daz  alles  sol  au  gevaerd 
geschehen.  Swelhes  chint  daz  aAver  niht  tvt  an  gevaerd,  als  geschriben  ist, 
daz  ist  gevallen  von  allem  dem  reht,  daz  es  het  an  dem  vorgenanten  gvt 
datze  sala,  vnd  ist  dem  Gotshovse  ledich.  Wir  haben  vns  ovch  darzv  ge- 
bvnden  vnd  wellen  daz   es  staet  belibe,  daz  wir  noch  dehein  Aptesse,  die 

•10  nach  vns  choment,  des  iht  gewalt  haben,  daz  wir  des  vrbares,  daz  vnserm 
Goteshovse  von  dem  Pvllaer  warden  ist,  iht  verlihen  oder  an  werden  mvgen 
noch  ensvlen  vmb  dehein  s . .  (sie!)  sache.  Ez  hat  ovch  der  vorgenant 
Perhtold  mit  der  hovsfrowen  vnd  mit  den  chinden  daz  geheizzen,  ob  wir 
oder  daz  gotshovs  werden  angesprochen  vmb  daz  gvt,   daz  dem  gotshovse 

45  ist  gevallen  von  dem  Pvllaer  oder  in  gelihen  ist,  daz  svln  si  mit  samt  vns 
versprechen  vnd  redden  mit  gantzen  triwen.  Ynd  daz  versprechen  sol  an 
rerhtolden  dem  Meinchovaer  al  eine  sten,  die  wiel  er  lewet,  al  so  daz  sin 
hovsfrowe  vnd  siniv  chint  dar  vmbe  niht  ze  antwurten  habent.  Swenn 
aber  er  niht  waer,  so  svln  si  daz  goteshovs  versprechen  vnt  retten  mit  vns, 

50  als  verr  si  mvgen  mit  gantzen  triwen.  Vnd  daz  gvt,  daz  des  Pullaer  lehen 
ist  gewesen  vnd  vnserm  gotshovse  von  im  warden  ist,  daz  benennen  wir 
hie  an  disem  brief.  Datze  Geiselhering  der  grozze  zehent,  der  giltet  vir 
vnd  zweintzich  schaf,  vnd  da  selb  des  chrvken  ansedel,  giltet  zwelf 
Schilling.    Vnd  zwo  hofstet  gelten!  zwen  vnd  Sibentzich  phenning.    Datz 

55  Tetenchoven  ein  zehent  giltet  sehs  schaf.  Datze  Chaltprvnn  vü  ze  Bibrich 
vfi  ze  Habortaeren  ein  zehent  giltet  sehs  schaf.  Datze  Haederspach  ein  hof, 
giltet  zehen  schaf.    Datze  Nevnhoven  ein  holtz.    So  ist  daz  daz  eigen,  daz 


REINBOT    von    DÜBNE.  379 

rnaera  Goti  i  dem  Pvllser  warden  vnd  gegeben  ist :  Datze  <  rrevzzing 

ein  bof  giltel  zehen  Bchaf.  Vnd  ein  mfle  daselben  giltet  driv  schaf.    Datze 
Hsederspacb  ein  bof,  giltet  acht  scbaf.    Datze  Hinderpvcb  ein  gvt,  gi  tet  80 
vir  Bchaf.    Daz  dirre  sitz,  ditze  Geschäfte  vnd  disiv  sache  also  stael  ewich- 
lichen  belieb  vnd  vnzerbrochen  an  allen  chrieck',  dar  vber  isi  gescbriben 
diser  brief  se  vrchvnde  vnd  ze  vestenvnge  veraigelt   mit  >U>  vorgenanten, 
vnsers  boben  berren  Phallentzgraven  Eeinricbes  von  dem  Bein,  Hertz 
\ . .11  Ii.ii tu.  chreftigem  jnsigel  vnd  mit  vnserm  jnsigel  vnd  vnsers  Convenfc 
jnsigel  vnd  mit  des  offte  genanten  Perhtoldes  jnsigel.   Bied  Bßfte 

vnd  bie  diser  ordenvnge  Bint  gewesen  <li'-  Edeln  berren  ...  Graf  Albrebt 
von  Hals  vnd  ber  Virich  von  abenspercb  vnd  die  dienstman  Ber  Heinrieb 
der  All.'ih  iiuv.ii'.  Her  Albreht  von  Strfbing,  der  vitztvm,  HerHerman  vnd 
Her  M  igens  >li<'  lihtenbergter,  Bvger  Perhtol«  vu  Gewolf  die  Grevle,  Hartlip  7" 

zzoltingeer,  Sfarchart  der  Perchofser,  Heinrieb  vnser  schribaer,  Chvnrat 
vnser  bofmaister,  Cbvnrat  der  chaatenser  \'n<l  ander  ein  michel  tael.  Daz 
ist  geschoben  do  von  vnsers  herren  gewnrt  waren  Tovsent  iar  zwai  hvndert 
iar  In  dem  Biben  vnd  Ahtzigisten  jar  ;\u  dem  nahsten  tag  nach  >;uit  Mar- 
tinestag.    Geschaehe  aver  <  1  a  z .  daz  div  chint  wurden  angesprochen  vmb  di( 

i.  da  Bvlen  >i  sich  von  nemen  mit  ir  aride,  vnd  boI  man  den  gelSben. 
Vnd  div  Bache  ist  verrihtet  in  dem  iar  vnd  an  dem  tag  als  vor  ge- 
scbriben i-t. 

V.  8175  finde!  siel)  bei  Rembot  die  merkwürdige  bindung 
bi  (sprich  bei) :  hie.   Vielleicht  ist  damit  mich  der  reim  v.  2« 

bie  zu  vergleichen.  In  Augsburg  wäre  das  niemals,  auch 
heute  nicht,  ein  reiner  reim.  Den  dichter  des  Bios,  als  ver- 
gleich heranzuziehen  ist  gleichfalls  verfehlt  Er  gehört  nicht 
nach  Augsburg,  sondern  weiter  westlich  in  das  nördliche 
Schwaben.  Ausserdem  musa  mau  bedenken,  dass  es  di< 
poet  mit  den  reimen  überhaupt  nicht  genau  nimmt.  Letzt« 
gilt   auch  von   Alberts  hl.  Ulrich.    Wir  haben  es  mit  einem 

ierenden  gedieht  zu  tun.  Reinbot  aber  hielt  diesen  reim 
wol  für  rein,  oder  empfand  ihn  wenigstens  als  solchen.  Wirk- 
lich findet  Bich  in  oberpfälzischen  Urkunden  die  tonn  bii  1. 17: 
8,66 1.  Ich  weiss  Behr  wol,  dass  auch  in  mitteldeutschen  Urkunden 
die  tonn  bu  öfters  vorkommt  Der  dem  ie  zugrundeliegende 
laut  muss  aber  jedesmal  erst  von  dermundart  des  schreiben  aus 
erschlossen  werden.    Was  bedeutel  dii  ber  in  den  ober- 

pfälzischen Urkunden?  Die  oben  veröffentlichte  Urkunde  von 
1287  gibt  uns  den  Schlüssel.  Dort  wird  für  teilt  8,47  i  rf  und  für 
Ub<  3,  i  Uebe  geschrieben.  Das  besagt  nichts  anderes  alsmhd. 
.'    war  im  oberpfälzischen   aus  einem  den  diphthongen 

zu   einem   fallenden  rden,  der  dem  aus  mh<L  I  hervor- 


380  WILHELM 

gegangenen  sehr  ähnlich  klang.  Im  heutigen  oberpfälzischen 
lautet  mhd.  ieder,  hie  u.  s.  w.  eider,  hei,  mhd.  is,  als.  Beide 
laute  sind  nicht  so  verschieden  wie  der  schwäbische  ?-diphthong 
vom  schwäbischen  «'-diphthong.  Reinbots  reim  M  :  hie  spricht 
also  stark  gegen  Donauwörth  als  entstehungsort  des  hl.  Georg, 
denn  erst  acht  stunden  ost-nord-östlich  von  Donauwörth  beginnt 
man  mhd.  ic  als  ei  zu  sprechen. 

Kraus  hat  häufig  neben  heilige,  heiligen,  manic,  manige, 
manigen,  heiige,  heiigen,  manc,  mange,  mangen  in  den  vers  ge- 
setzt. Er  wollte  damit  zweisilbige  Senkung  beseitigen.  Aber 
ob  er  das  richtige  getroffen  hat,  scheint  mir  fraglich.  Die 
silben  -igen  sind  im  oberpfälzischen  in  -in  übergegangen.  Belege 
aus  älterer  zeit  kann  ich  dafür  nicht  bringen,  wol  aber  solche 
für  den  ganz  analogen  Übergang  von  -egen  in  -en.  Bei  Andreas 
von  Regensburg  kommt  z.  b.  (317, 40  entgenget  für  entgegenet 
und  632, 11  gesengte  für  gesegenete  vor.  Einmal  622,  29  habe 
ich  bei  ihm  mangen  gefunden  (vgl.  auch  noch  eriverger  648,  26). 
Sonst  hat  g  intervocalisch  im  oberpfälzischen  den  lautwert  /. 
So  war  es  wahrscheinlich  auch  schon  zu  Reinbots  zeit.  Die 
gleichzeitigen  oberpfälzischen  hss.  geben  darüber  keinen  auf- 
schluss:  sie  schreiben  consequent  g.  Ob  die  formen  manic 
und  heilig  Reinbots  dialect  angehören,  ist  mindestens  zweifel- 
haft. Lautgesetzlich  wäre  der  schwund  des  auslautenden 
palatals.  Dieser  liegt  auch  bei  Reinbot  vor  in  dem  nominativ 
Geori  für  Gcorig.  Diese  form  spricht  gegen  Augsburg  und 
Schwaben.  In  den  oben  citierten  Urkunden  aus  Regensburg 
wird  dieses  auslautende  c  (g)  ein  paar  mal  durch  h  (ch)  wider- 
gegeben. 2,1  bvrhtor.  3,38  ledich,  68  abensperch.  Vielleicht 
darf  man  daraus  schliessen,  dass  schon  damals  das  inlautende 
g  spirantische  geltung  hatte.  Vgl.  auch  A.  Gebhardt,  Gram- 
matik der  Nürnberger  ma.  §  120.  Es  unterliegt  aber  keinem 
zweifei,  dass  metrisch  die  silben  ixe,  iyer  die  Senkung  weniger 
beschweren  als  die  silben  -ige,  -iger.  Schon  rein  zeitlich  nicht, 
denn  die  bildung  des  palatalen  verschlusslautes  beansprucht 
mehr  zeit,  als  die  des  entsprechenden  reibelautes.  Kraus  hätte 
also  besser  die  synkopierten  formen  nicht  in  den  text  gesetzt. 

Für  den  osten  des  süddeutschen  Sprachgebietes  spricht 
auch  die  Verwendung  des  erst  in  mhd.  zeit  aufkommenden 
deminutivsuffixes  -l,  welches  masculina  und  feminina  neutralisiert. 


REINBOT    von'    DÜBNK,  381 

Nach  A.  Birlinger,  Schwäbisch- Augsburgisches  \vl>.  Bp.  302a 
es  erst  in  allerneuester  zeil  ins  ostschwäbische  eingedrungen. 
Bei  Eleinbol  erscheinl  es  dreimal,  zweimal  erweisl  es  dasmetrom 
als  echt:  kindel  v.  2144.  8218.  3225.  In  der  älteren  Reg 
burger  literatur  ist  es  uichl  nachweisbar,  im  Roland  and  der 
Kaiserchronik  habe  ich  es  nicht  gefunden.  Auch  im  Servatius 
fehlt  es.  Dagegen  erscheinl  -2  bei  Heinrich  von  Melk,  im  Nib.-l., 
bei  Ulrich  von  Lichtenstein,  dessen  Schwiegersohn  Herrant  and 
bei  Heinrich  von  Freiberg.  In  der  Oberpfalz  gebraucht  es 
Rttedeger  der  Hünchovaer.  Zur  manier  ist  der  gebrauch  dieses 
-/  bei  dem  aus  Wien  kommenden,  zuletzt  in  Regensburg  leben- 
den, mitteldeutschen  Eonrad  von  Megenb  worden.  Ans 
oberpfälzischen  Urkunden  belege  ich  güetel  MB.  26, 62  (1303); 
das.  B3  (1316);  das.  '.'7  (1320).  Bei  Andreas  von  Regensburg 
fand  ich  bloss  einmal  592,  1">  wörtel. 

Wie  schon  bemerkt,  bietet  auch  der  Wortschatz  Reinbots 
anhaltspunkte  für  die  Oberpfalz.  Die  von  Kraus  in  der  an- 
merkung  zu  v.  1557  f.  verzeichneten  worte  lassen  sich  fast  alle, 
zum  teil  ausschliesslich,  bei  oberpfälzischen  Schriftstellern  nach- 
weisen. Freilich  isl  nicht  alles  bemerkenswert,  was  Kraus  an- 
gemerkt hat.  Das  Grimmsche  WH.  Bcheint  für  ihn  nicht  zu 
existieren,  Bonst  wäre  z.b.  buole  kaum  als  merkwürdig  auf- 
geführt worden.  Was  ist  an  eischen,  freischen,  gebet,  vlust 
wunderbar?  [ch  lasse  jetzt  ein  Verzeichnis  der  worte  folgen, 
die   für   Reinbot   als  Oberpfälzer  sprechen.     Nur  da,  wo  ich 

■••  aus  nicht  für  die  mhd.  wbb.  ausgezogenen  denkmälem 
luin:  ich  citate.    Sonst  führe  ich  bloss  das  werk  oder 

den  Schriftsteller  an  and  verweise  den  leser  für  die  citate  auf 
die  wbb.  Wenn  das  betreffende  wort  Bchon  bei  Kraus  in  der 
anmerkung  zu  v.  1557  f.  erwähnt  ist,  unterlasse  ich  es,  die  vere- 
zahl  des  Ge  :  ■  anzugeben. 

bc  loc  he  n    8err»1    Krone.  Selb«  li  ich  EU>th. 

er 261    Berth,  j.Tit.  (sehr  häufig).  Kinkel    Et« 

1.  UIZ. 

n    m  dei  bedeQtang  ■iu.ninii.lp>  kind  .1  tob 

Beim«  sfurl  MO  hu    "  </  • 

Stufiger   i-t    thu   In    demselben    -  enkkni: 

j.  Tit.    Bngdietrieh.    M- . 
EnikeL   VgL  I  i  iheostephanex  chronih 


382  WILHELM 

vnd  pot  dem  midier,   so  die  fraio  daz  chindet  gepar,  wer  es  ein  tegen- 

chiudt  (dcgenkint  Cgm.  315),  daz  er  jm  dann  preeht  den  poltz,  wer  es 

ober   ein   maidlein    (dicrnlein  Cgm.  315),    daz   er  jm    das   vingerlein 

preeht. 
gebrech     Servat.  Berth.  Neidh.,  aber  au  ob  Pass.  und  Ebern,  v.  Erfurt, 
gemächid    Berth.  Elisabeth.  Erlös.  Schwabensp. 
hügelich,  hügende    Hadmar  von  Laber.  hügen  II.  Trist.  Rol.  Kaiserchr. 

Kindh.  Jesu.    Ulrichs  Willi,    geh'uge    Servat.  22.    gehügde    Servat.  13. 

Vn  da  höret  von  ze  gehvgde  in  der  von  Rüedeger  eigenhändig-  geschrie- 
benen Urkunde;  s.  0.  Lippstreu.  Der  Schlegel  s.  26. 
itewsege    Servat.  Kindh.  Jesu. 

lichnam    G.  4737,  vgl.  Andreas  von  Regensburg  leycfmam  606,  39. 
orthabe    vgl.  E.Schröder,  Zur  Kaiserchr.  s.  5-1.  Servat.  Heinr.  v.  Melk.  Lit. 

Wernher.  Urstende.    Auch  bei  Rud.  v.  Ems.     orthaber  aller  wisheit  s. 

Yilmar  s.  60. 
pflegen  swv.    Servat.   Wernher.   Maria.   Bonus.  Buch  der  Rügen.  Helra- 

breht.  Warnung.  Krone.  Helbeling. 
riden    Servat.   Kaiserchr.  11626.   j.  Tit.   Hadmar  von  Laber.   Konrad  von 

Megenberg.  Suchenwirt.  Lichtenstein.   Lohengrin.  Neidhart.  Teichner. 

Ulrich    Willi.    Rabenschlacht.    Chroniken  deutscher  städte   (Augsburg) 

4,  118,  13. 

salin  au  403  ein  auch  in  Bayern  gewöhnlicher  ausdruck,  vgl.  MB  24,324 
per  manum  delegatoris,  quem  uulgo  Salm  an  nominant  (v.j.  1189);  das. 
s.  43  Verum  ad  maiorem  securitatem  et,  ut  fratres  siluas  preuotatas 
liberius  obtineant,  tradite  sunt  in  manus  fidelis  nostri  Diepoldi  lant- 
grauii  de  LucJcinberc,  ut  ipse  ad  proficuum  supradieti  monasterü  et 
fratmm  in  his,  qui  uulgo  salman  nuncupatur  existat  (v.j.  1199). 

stroufe    Nibl.  Freid.  Ottokar. 

teuer  2636  daz  leint  hat  in  sinem  tener  alliu  dinc  bcslozzen,  nur  noch 
aus  einer  stelle  der  Kaiserchr.  belegt  und  auch  sicher  daraus  entlehnt. 
Kaiserchronik  3576  und  alle  di  werlt  in  sinem  teure  (tener  3)  be- 
st ozzen  hat. 

Fassen  wir  die  ergebnisse  unserer  Untersuchung-  zusammen, 
so  können  wir  folgendes  sagen: 

1)  Aus  Reinbots  bemerkung,  dass  er  in  einem  markte 
Wörth  schreibe,  lässt  sich  zu  gunsten  des  einen  oder  des  andern 
der  zwei  in  betracht  kommenden  markte,  Donauwörth  und 
Wörth  a.d. Donau,  nicht  entscheiden.  Geschichtliche  erwägungen 
sprechen  aber  mehr  für  Wörth  a.  d.  Donau  als  für  Donauwörth. 

2)  Die  Wahrscheinlichkeit  spricht  dafür,  dass  das  Wörth 
der  entstehungsort  des  hl.  Georg  ist,  in  dessen  nähe  sich  eine 


REINBOT   VOH   DÜRNB.  LINDQVI81 

familie  von  Dorne  /  Dfirne  nachweisen  lässt  Dieser  ort  ist 
Wörth  a.  d.  1  tonau. 

8)  Dafür  sprechen  auch  die  sprachlichen  and  literarhistori- 
schen tatsachen. 

ii  Der  naint'  Reinbots  ist  Dürne,  mW  nmlaut,  zuschreiben. 
\!>  Oberpfälzer  sprach  Reinbol  schon  die  Denen 
diphthonge  and  dies  muss  auch  im  text  zum  ausdruck 
kommen. 

MÜNCHEN.  FR  WILHELM. 


ZUR  ETYMOLOGIE  DES  AMD.  AS.  UABMSCARA. 

Dies  worl  das  auch  im  ags.  vereinzelt  begegnet  -  ist 
bisher  oicht  befriedigend  erklärt  worden.  Es  wird  von  Braune, 
Aithochd.  lesen.'  gloss.  mit  'schmerzliche  Btrafe,  zfichtigung, 
Bchmerz' widergegeben,  Schade  übersetzt  es  in  Beinern  Wörter- 
buch mit  'beschimpfende,  qualvolle  Btrafe'  und  in  Müller  und 
Zarnckes  Wörterbuch  wird  die  mhd.  form  i\<-s  wortes  harm- 
schar mit  'was  zur  Kränkung,  pein  und  quäl  auferlegl  oder 
angestiftet  wird,  strafe,  plage,  not'  erklärt  in  INI.,  w 
nur  einmal  vorkommt  (v.  240),  wird  es  von  Sievers  im  forme!- 
Verzeichnis  Beiner  ausgäbe  b.  149  mit  'strafe1  übersetzt 

In  der  tat  scheint  die  bedeutung  nach  dem  Zusammen- 
hang, wo]  in  es  an  den  ältesten  stellen  vorkommt,  zu  urteilen, 
'schmerz,  quäl,  leid'  za  Bein,  also  ongefähr  mit  derjenigen  von 
härm  zusammenzufallen,  das  von  Braune  (ibd.)  mit  'beschim- 
pfung,  schmach,  leid,  schmerz'  widi  ben  wird.    Diese  über- 

einstimmung  der  bedeutungen  von  hamucara  und  dem  einfachen 
härm  wird  auch  von  Deckel,  Beitr.  33,  \~,i  ein  anfsatz,  aui 
den  ich  nachher  zurflckkomme       hervorgehoben:  'es  lässt  sich 

aber  l nachten,  dass  harmtkara  annähernd      härm  Ist',    [eh 

habe  'das  einfache  härm'  u« -( lni.d.cii.  denn  d;i  worl  ein 


384  LINDQVIST 

compositum  ist,  liegt  ja  auf  der  band,  und  dass  härm  das  eine 
compositionsglied  ist,  ist  ja  auch  einleuchtend.  Es  verstellt 
sich  also  von  selbst,  dass  die  erklärung  'schmerzliche  strafe' 
und  'was  zur  kränkung,  pein,  quäl  auferlegt  oder  angestiftet 
wird',  in  der  auffassung  des  zweiten  gliedes  begründet  sein 
muss.    Hier  liegt  aber  die  Schwierigkeit. 

Die  eben  erwähnten  Übersetzungen  beruhen  nämlich  alle 
auf  der  von  Grimm,  R.A.  24, 255  gegebenen  etymologie  des  Wortes: 
lscara  ist  aufläge,  herrnauflage,  frohne,  harmscara  folglich, 
was  zur  pein  und  quäl  (von  der  obrigkeit)  auferlegt  wird'. 
Später  hat  er  selbst  diese  erklärung  bezweifelt  und  die  Ursache 
dazu  ist  offenbar,  wie  Neckel  a.  a.  o.  richtig  bemerkt,  die 
Schwierigkeit  gewesen,  eine  beziehung  zwischen  härm  'leid' 
und  shara  in  der  von  Grimm  gegebenen  bedeutung  herzustellen. 
Ausserdem  ist  es  wol  fraglich,  ob  die  —  im  mhd.  allerdings 
geläufige  —  bedeutung  'herrnauflage,  frohndienst'  schon  zur 
zeit  der  ältesten  belegsteile  von  harmscara  (Ludwigslied,  aus 
dem  jähre  881  oder  882)  vorhanden  gewesen  sei.  Hier  wird 
es  jedenfalls  von  einem  leid  gesagt,  das  vom  dichter  als  durch 
gott  veranlasst  dargestellt  wird.  Die  allgemeine  bedeutung 
von  shara  'schar'  kann  hier  nicht  in  frage  kommen.  Nun  hat 
es  Neckel  a.a.O.  versucht,  mit  hilfe  von  altem  nordischen 
runenaberglauben,  runenstäben  und  besch wonnigen  die  be- 
ziehung der  beiden  coniponenten  klarzulegen,  und  er  kommt 
dabei  zu  dem  ergebnis,  dass  harmscara  eine  'liarmbescheeruiig' 
sei.  Statt  auf  Neckeis  in  meinen  äugen  sehr  wenig  überzeugende 
ausf  ührungen  einzugehen,  will  ich  eine  andere  etymologie  wagen. 

Ich  gehe  von  der  im  Ludwigslied  v.  14  vorhandenen  form 
liaranscara  aus.  Da  das  zweite  a  offenbar  svarabhaktivocal 
und  das  n  durch  assimilation  vor  s  entstanden  ist,  können  wir 
es  nur  mit  einem  alten  harmscara  zu  tun  haben,  was  auch  die 
formen  des  Wortes  in  den  Hel.-hss.  bezeugen.  Ebenso  ist  die 
allgemeine  Vermutung,  dass  das  wort  ein  compositum  sei,  und 
dass  das  erste  glied  das  subst.  härm  enthält,  offenbar  un- 
anfechtbar. Aber  es  scheint  mir  nicht  von  vornherein  klar 
zu  sein,  dass  die  compositionsfuge  zwischen  m  und  s  liegen 
muss,  das  wort  könnte  auch  in  harms  und  cara  zu  zerlegen 
sein ,  d.  h.  die  älteste  form  wäre  dann  m.  e.  härmiscdra,  das 
nach    einer    bei    der    angegebenen    accentuierung   natürlichen 


HARMSCARA, 

Bynkope  des  i  nnser  härm  eara  geben  müsste.  [ch  Fasse  also 
das  worl  als  eine  Zusammensetzung  von  härm  mit  dem  gok-as. 
Jcara,  ags.com,  cearu,  ahd.  jfcoro,  chart  .  leid,  kummer'. 

Bei  dieser  auffassung  verschwinden  alle  Schwierigkeiten 
hinsichtlich  der  bedeutung,  und  wir  verstehen  sofort,  «ramm 
die  bedeutung  des  compositums  derjenigen  des  einfachen  /<"/»< 
bo  nahe  kommt:  das  worl  i-t  eine  tautologische  Zusammen- 
setzung, wie  sie  in  den  alten  germ.  sprachen  genau  wie  in  den 
modernen  bo  häufig  vorkommen,  [ch  will  mir  an  das  got  mari- 
saiws,  das  äs. mdÖ-sebo,  aha-ström,  fvl-fat,  das  ahd.  muot-unllo 
erinnern.  Wie  die  lautliche  entwicklung  zeigt,  i-t  jedoch  das 
gefflhl  vnii  dieser  entstehung  des  wortes  dem  sprachlichen  be- 
wusstsein    früh   verloren  gegangen.    Wenn   das   worl    B] 

^entlieh  in  einer  bedeutung  erscheint,  die  Bich  mein-  der 
von  'strafe1  nähert,  ist  dies  nicht  auffallend.  Berühren  sich 
doch  diese  beiden  bedeutungen  -ein-  mit  einander;  a&  wtH  er- 
Bcheinl  bowo]  in  der  bedeutung  'strafe1  die  bei  dem  ent- 
sprechenden aisl.  viti  die  einzige  i-t  wie  auch  Behr  häufig 
in  der  von  •quäl,  pein1  und  Hol.  L838  n.  steht  es  parallel  mit 
härm,  genau  wie  es  v.239  t.  mit  nnserm  harmscara  parallel  steht.1) 

Das  einzige,  was  bei  dieser  erklärung  des  Wortes  zu  be- 
denken anlass  geben  könnte,  wäre  wol  die  art  der  composition. 
Bekanntlich  Bind  die  genetiveomposita  auf  den  ältesten  Btufen 
der  germ.  Bprachen  ebenso  selten,  wie  de  in  neuerer  zeit  zahl- 
reich  sind,  und  man  hat  ja  die  Casuscomposita  überhaupt  als 
'uneigentliche  composita1  bezeichnet  und  ihr  Vorhandensein  auf 
den  ältesten  .-tuten  der  idg.  Bprachen  geradezu  geleugnet. 
Diese  auffassung  wird  wol  kaum  aufrecht  erhalten  weiden 
können   (vgL  /.  1».   Brugmann,  Grundrisse  II  §4'  ofalls 

kann    68  nicht    in  abrede  ge8tell1    weiden,    das-  sehen    im 

und  ahd.  einige  unzweifelhafte  beispiele  dieser  compositionsaii 
belegt  und.    [ch  erinnere  an  da-  'gs-wadäjiM,  das  ahd. 

tunnün  tag,  ahd.  rnndia-brüi  'Wirbelwind',  mehrere  ahd.  pflanzen- 
namen  wie  hanin-fMOf,  hrindestunga,  wolfes-milh  und  an  ein 
wnit,  da-  in  diesem  fall.-  von  besonderem  Interesse  ist.  ahd. 
lihhinamo       Ukkm-han  nhd       chnam),  dessen  erst 

'i  Du  vul.st    |  i         lat.  j 

lun.  ,.r  duichfunadit 

Hciiii^t  »ur  («tchichi*  J«i    l«uttcb«o  i, 


386  LINDQVIST,   HARMSCARA. 

zweifelsohne  als  gen.  eines  schwach  Sedierenden  urg.  Hikan- 
:  *Vhkin-  verstanden  werden  muss  (Kluge  in  Pauls  Grundriss2 1 
s.  474  und  ders.,  Etym.  Wörterbuch  art,  leichnam,  Wümanns, 
Deutsche  gramm.  II  s.  547).  Denn  weil  das  subst.  ahd.  lih 
oder,  schwach  flectiert,  ahd.  Hihho  selbst  'körper'  bedeutet, 
ist  ahd.  lihhinamo  gewissermassen  ein  zweites  beispiel  der- 
selben compositionsart  wie  harmscara,  insofern  nämlich  die 
bedeutung  des  wortes  auch  nach  dem  hinzukommen  des  zweiten 
gliedes  dieselbe  bleibt. 

Weit  entfernt  also,  dass  die  art  der  Zusammensetzung  etwa 
die  vorgeschlagene  erklärung  verdächtig  machen  könnte,  steht 
sie  mit  der  ganzen  art  des  wortes  in  gutem  einklang.  Denn 
selbstverständlich  muss  ein  subst,,  das  eine  tautologische  Zu- 
sammensetzung ist,  verhältnismässig  jung  sein,  und  dann  kann 
es  uns  nicht  wundern,  wenn  es  auch  eine  compositionsart  ver- 
tritt, die  einst  in  verhältnismässig  jüngerer  zeit  sich  zu  ver- 
breiten anfängt. 

Obschon  es  wol  überflüssig  sein  wird,  möchte  ich  zuletzt 
einige  andere  beispiele  für  tautologische  genetivcomposition 
anführen.  Ich  erwähle  ein  paar  aus  meiner  eigenen  spräche: 
schwed.  gärdes-gärd  =  'zäun',  so  wol  gär  de  wie  auch  —  in 
der  älteren  spräche  —  gärd  =  'einfriedigung',  schwed.  tungo- 
mäl  'spräche'  von  tunga  'zunge,  spräche'  und  mal  =  got. 
fnapl,  schwed.  ändalyht  'schluss'  von  ände  'ende'  und  Jyht 
( :  vb.  aschwed.  lulca,  ndän.  lukke  'schliessen')  in  der  älteren 
spräche  =  'schluss'.  Das  aisl.  ülpyöisfolk  =  'Übeltäter'  {Jrißi 
und  folh  alle  beide  =  'leute')  wäre  auch  zu  vergleichen.  — 
Andere  beispiele  aus  dem  deutschen  bei  Wümanns,  Deutsche 
gramm.  II  §  399,  2. 

LUND.  AXEL  LINDQVIST. 


NOCH   EINMAL  DER   KÖTER. 

(Zu  Beitr. 88,  t02f.  and  Beitr.84,5671  l 

Am  letztgenannten  orte  hal    Friedrich   Klage  meine  an 
EI.  Schroeders  dentnng  (Beitr.  29,554  ff.)  angelehnte  etymologie 

idd.  hIhI.  Jcöter  als  lca\  'beller'  in  ziemlich  schroffer 

weise  abgelehnt  I « •  1  *  will  daher  versuchen,  die  an  ersterem 
orte  um-  kurz  angedeute  etymologie  hier  etwas  ausführlicher 
zu  begründen. 

Fr.  Kluge  hat  darin  recht,  dass  er  in  oberdeutsch  Jcauaen, 
ihnen  das  verbalsuffiz  got  -atfan  ahd.  -aesen  (vgl 
lauhatjan,  ahd.  i<>hn::d>i  'leuchten*)  sucht.  Denn  Schweiz. 
elidier',  ckätun  (Schweiz,  idiot.  3,595;  man  beachte  den  von 
Kluge  vermissten  umlaul  sowie  ^*i n  fehlen!)  kann  nur  auf  ein 
urgerm.  *Jcauwatjan  zurückgehen,  da  urgerm.  *kautjan  ja  zu 
'<■/>>, :,n.  ¥clwzen  hätte  werden  müssen.1)  —  Die  letztere  grund- 
form  wir»!  mit  Verkürzung  des  ahd.  o  vor  z  (vgL  über  diese 
vereinzelten  falle  Wilmanns,  Deutsche  gramm.  1-.  310  f.)  in  nhd. 
hotten  fortleben,  woneben  sich,  besonders  in  der  burschikosen 
spräche,  kosen  findet,  das  \Vl.i  auf  md.  boden  entstanden  isl 
(vgl.  über  solche  doppelformen  Behaghel,  Grundriss  l*,693).  — 
Ein  kleiner  hund,  der  viel  bellt,  heissl  übrigens  Schweiz,  chäu- 
§erli,  also        hd.  kawn  rcht  n. 

Das  in  fast   allen  oberd.  und  westmd.  mundarten  (nicht 
nur  am  Oberrhein,  wie  Fr.  Kluge  angibt)   verbreitete  /."  i 
gausen  (vgl  DWb.  5, 371)  findet  Bich  im  bair.  auch  in  der  form 

kauschen\  obersftchs.   liegt   kauxen,  ganzen   vor. 
werden  wir  aui  das  wurzelelemenl  *kau-  als  bedeutun 
geführt,  das  zweifellos  onomatopoetischen  Ursprungs  ist   Wenn 
II.  Hirt  in  der  neuen  aufläge  des  Weigandschen  Wb.'s  l 

■  ii  nach  alteren  i  z.b.  die  citate  bei  Schmeller, 

wb.  1,969)  mit  aisl.  geyja,  praet^d,  d&n.  <i  »  'bellen1  zu- 
sammenstellt        ae.  C""/  f.  "tu rh.it.  leicht&inn'  isl  trotz  an- 
scheinender formeller  Übereinstimmung  mit  aisL  <j">i 
hellen'  der  bedeutung  wegen  wo!  fernzuhalten 

'i  In  einet  nitteQnag  rem  L9.  febr  1908  bat  m  immun  in 

Zfiricb  hierauf 

- 


388  FEIST,   NOCH   EINMAL   DER   KÖTER.   —   KÖVI 

nur  insofern  richtig,  als  liier  das  im  consonantischen  anlaut 
abweichende  wurzelelement  *gau-  der  bedeutungsträger  ist. 
Bei  einer  lautnachahmenden  Wortbildung  ist  aber  diese  differenz 
(*kau-  :  *gau-)  bedeutungslos.  Eine  etymologische  anknüpfung 
indes  zu  suchen  —  Hirt  gibt  die  gleiche  wie  ich  selbst  Beitr. 
33,  403  — ,  wird  man  in  diesem  falle  doch  besser  unterlassen. 

Den  umstand,  dass  das  auch  schon  aus  spätmhd.  zeit  be- 
legte nhd.  kauzen,  ganzen  (leautzen  Diefenbach,  Gl.  70  b  aus  dem 
15.  jahrh.,  gautzen  bei  Alberus  Dict.  Q  la  [1540],  s.  DWb.  und 
Weigand  a.  a.  o.)  keine  ndd.  entsprechung  hat,  worüber  sich  Fr. 
Kluge  a.a.O.  wundert,  erklärt  H.  Schroeder  ganz  annehmbar 
dadurch,  dass  mit  der  monophthongierung  des  au  zu  ö  auf  ndd. 
Sprachgebiet  der  charakteristische  inhalt  des  wurzelelements 
*kau-  (vgl.  wau-ivau)  verloren  gieng  und  es  somit  für  den  ge- 
wollten zweck  unbrauchbar  wurde;  ein  mit  dem  'determinativ' 
t  erweitertes  *kautan  (vgl.  das  oben  erwähnte  bair.  Jcaussen 
u.  ähnl.)  musste  ja  zu  ndd.  *kö~ten  werden,  gleichwie  ein  ur- 
german.  got.  *kautareis  zu  andd.  *kötari,  *köteri  =  ndd.  höter 
wurde. 

Ich  halte  also  meine  deutung  von  nhd.  Icöter  als  'kauzer' 
immer  noch  für  ansprechender  als  die  ableitung  von  ndd.  kot, 
engl,  cot  'hütte'.  Hirt  hat  sie  übrigens  im  neuen  Weigand  s.  v. 
Mter  ebenfalls  angenommen. 

BERLIN  N,  20.  märz  1909.  S.  FEIST. 


DAS  DWB.  UND  DIE  ZIPS. 

Weder  die  gebrüder  Grimm,  noch  deren  nachfolger  tragen 
die  schuld,  dass  in  dem  monumentalen  werke,  dem  Deutschen 
wörterbuche,  krasse  fehler  der  nachweit  überliefert  wurden. 
Dieser  Vorwurf  trifft  zum  grössten  teile  dr.  K.  J.  Schröer,  der 
als  geborener  Pressburger  das  ungarische  bergland  bereiste 
und  sich  einige  tage  auch  in  Zipsen  aufhielt,  worauf  er  in  den 
bdn.  XXV.  XXVIII  und  XXXI  der  Sitzungsberichte  der  kais. 
academie  der  Wissenschaften  in  Wien  deii  Beitrag  zu  einem 


DAS    DWB.   im»    DIE   Z1PS. 

Idiotikon  der  Zipser  mundarten  veröffentlichte.  Um  meine  be- 
hanptong  zn  rechtfertigen,  will  Leb  nur  einige  wenige  stellen 
ans  dem  l  >\Yi>.  citieren. 

[m.4.  bde.  I  2.  teil,  sp. 2479c  unter  geheuer  liest  man:  'einen 
wichtigen  (!)  beitrag  gibt  ein  versteckter  winke!  im  äussersten 
osten  -  in  der  Zipa  gehöre  Zeiten  Sehr.  61. '  Schröer  sagt: 
'geheuer  ist  dir  und.  rest  eines  alh-n  wortes.'  Er  mag  die 
worte  gehöre  Zeiten  aus  der  Zeitschrift  von  and  für  Ungarn, 
redigiert  von  Schedius  L803  u.  ff.  geschöpft  haben,  woGenersich, 
damaliger  prof.  am  lyceum  zn  Kesmark,  ebenfalls  fälschlich 
gehöre  Zeiten  statt  -hehre  Zeiten1  schrieb. 

//'//;•  —  in  Zipsen  ein  sehr  volksübliches  wort  —  bedeutet 
'schön,  prächtig,  erhallen,  heilig';  und  da  in  Zipsen  die  collectiv- 
form  Behr  beliebt  ist,  so  nennt  man  daselbst  die  hohen,  hei: 
Feiertage      ostern,  pfingsten  and  Weihnachten  —  g9h$\  ■ 
I  taher  Bteht  das  attribnt  hehr  in  gar  keinem  znsammenh 
mit  geht 

Einen  /weiten  vielleicht  noch  gröberen  fehler  findet  man 
unter  Schaub  DWb.  8,  sp.  2300.     Verl  ii'.  in  Zipsen 

hölzerner  teller,  Schröer  2,287.  Wie  Schaub  in  Oestr.  ein  kurzer 
weiberrock,  in  Zipsen  ein  Langer  wickelmantel,  worin  saugli 

agen  werden,  mit  einem  hölzernen  teller  in  Verbindung 
bracht  werden  kann,  bleibt  Schröer  Bchuldig  zu  erklären.  Es 
i-t  richtig:  S&ep  oder  $ö$p  heissl  in  Zipsen  jeder  teller.  Der 
diphthong  "  wiid  in  Zipsen  a<  oder  ff<  gesprochen,  daher  nicht 
zu  verwechseln  mit  a  i")  oder  ö.  Das  wort  ist  aber  unter 
inzuführen;  §a$p  ist  auch  iliirnauie  und  bezeichnet  eine 
dache  bergkuppe.  A.ucb  die  Zielscheibe  der  Benutzen  heisst 
§aep  mit  der  übt  Ufrti  'tartsche'. 

könnte  man  ein  oder  mehrere  dutzend  fehler  anführen, 

die  den  deutschen  philologen  ein  sehr  verworren.-  bild  VOH  der 

Zipser  mundart  liefern  mfl  Lehnliche  fehler  —  besonders 

v,  lie  .  ssprache  anbelangt  kommen  auch  in  der  Zeit- 
schrift von  Schedius  vor.  die  s.  z.  auch  Schmell  itzte: 
z.  1>.  'schlecht,  unnütz'  heisst  in  Zipsen  hitvendix-  ■ 
schrift  erklärt  das  wort:  'schlecht  wie  ein  gewendeter  hut\ 
l ta  ist  gut  in  Kinderschuhen. 
•  »in  im:  •  lehnwort  y  mit  Zipser 
mundartlicher  endung. 


390  KÖVI,   DAS   DWB.   UND   DIE   ZIPS.   —   GEBHARDT 

Es  ist  nun  die  frage:  sind  diese  fehler  noch  gut  zu  machen? 
Ich  halte  dafür,  die  leitung  des  DWb.  möge  15—20  individuell 
—  es  müssen  nicht  eben  gelehrte  sein,  sondern  vielleicht  stu- 
dierende oder  reifere  gymnasiasten  —  damit  betrauen,  dass  sie 
alle  Schröer'schen  citate  aus  dem  DWb.  zusammenschreiben 
mögen.  Diese  excerpte  sollen  dem  herrn  Rudolf  Weber,  prof. 
am  ev.-luth.  obergymnasium  zu  Budapest  oder  mir  nach  Iglö 
(Zipsen)  eingesendet  werden.  Nach  der  correctur  möge  dem 
letzten  bände  des  DWb.  ein  nachtrag  mit  der  aufschrift  i Ver- 
besserungen' angefügt  werden.*) 


[*)  Mir  würde  es  einfacher  —  und  auch  zweckmässiger  —  scheinen 
wenn  die  herren  seihst  zu  der  Schröer'schen  arheit  einen  nachtrag  ver- 
öffentlichen wollten,  in  welchem  alle  schiefen  auffassungen  Schröer's,  nicht 
bloss  die  ins  DWb.  übergegangenen,  berichtigt  würden,  so  weit  sie  die 
erklärung  des  Wortschatzes  betreffen.  Daraus  könnte  das  DWb.  dann  leicht 
seine  Verbesserungen  schöpfen.     W.  B.] 

EMERICH  KÖVI. 


MED.  POYTWIN. 


In  der  einzigen  handschrift  des  gedientes  von  der  kreuz- 
fahrt  Ludwigs,  hsg.  von  Fr.  Heinr.  v.  d.  Hagen,  Leipzig  1854, 
lesen  wir  vers  2806  (vdH.,  richtig  2801)  f. 

Der  povtwin1)  ouch  hers  furste 

was  in  manlichem  geturste. 

Dazu  bemerkt  S.  Singer,  Prager  deutsche  Studien  8  (=  Fest- 
schrift für  Kelle),  Prag  1908,  s.  313:  '1.  Poytwin?  Das  scheint 
nach  Türlein  58, 1  eine  sarazenische  standesbezeichnung.' 

Die  angeführte  stelle  lautet  vollständig  in  Singers  ausgäbe, 
Prag  1893,  s.  78 

LVIII    Poytwin  und  heidenriter  vil, 
der  ich  nü  niht  nennen  wil 
(west  ich  ir  namen,  ich  nannte  sie), 
die  stuonden  alle  durch  schouwen  hie, 
5    dö  man  den  markis  fuorte  her. 

J)  Nicht  port  win  wie  vdH.  liest. 


miid.  POYTWIN.  891 

Dazu  vermerkt  der  herausgeber  die  lesarten  Torwen,  Botwin, 
B  (i ii-Di.  Seutwin,  Bertun,  Barun,  Herren. 

Tatsächlich  scheint  hier  der  Zusammenhang  eine  bedentnng 
zu  fordern,  die  mit  dem  worte  heidenriU  rgleichlänft,  also  entweder 
eine  Btandesbezeichnnng,  oder  wenigstens  i  twaa  ähnliches,  viel- 
leicht eine  bernfsbezeichnnng  oder  die  einer  Waffengattung. 

Ausser  diesen  beiden  stellen  ist  mir  das  vorkommen  dieses 
Wortes  nur  noch  an  zwei  stellen  l><i  Wolfram  bekannt.  Die 
eine,  im  zweiten  buche  des  Parzival,  lautet: 

72,        l  I  tiniiuiri  stach  binden  dm 
lo    Poytwln  de  Prienlascon 

und  anders  manegen  werden  man. 
an  den  er  richerheil  gewan. 

Zu  Poytwin  verzeichnet  Lachmann  die  lesart  Poitewinen. 
Bartsch  meint  in  einer  anmerknng  zu  dieser  stelle  Poytwin 
entspreche  hier  dem  französischen  Baudouin.  Aber  oy  ist  ja 
bei  Wolfram  gewöhnlich  die  widergabe  eines  frz.  oi,  vgl.  /.  l>. 
Terdelaschoye  Erz.  terre  delajoie.  Freilich  scheint  Poytwin 
hier  der  eigenname  eines  ritters  zu  sein.  Allein  möglich  ist 
doch  immer,  dass  auch  hier  im  letzten  gründe  ein  appellativum 
dahinter  Bteckt;  uml  dass  der  dichter  an  'heidnische1  ritter 

ichl  hat.  diese  Vermutung  wird  nahe  gelegl  durch  das  an 
onserer  stelle  folgende: 

Bwai  dd  gekrinstex  rittet  reit, 
die  gennaaen  des  beides  arbeit : 
15    diu  gewonnen  ora  diu  gab  er  in: 
an  im  lag  ir  gros  gewin. 

Nun  ist  bs  wo!  <-in  anachronismus,  im  gefolge  von  Parzi- 
vals  vater  von  kreuzrittern  zu  sprechen.  Aber  ich  glaube, 
wir  dürfen  darüber  mit  einem  Wolfram  nicht  rechten,  der 
ganz  im  geiste  .-einer  zeit  handelte,  wenn  er  kreuzritter  und 
•lieiden'  in  gegensatz  zu  einander  setzte,  und  brauchen  daher 
nicht  um  dieses  anachronismus  willen  mit  Bartsch  Btatt  des 
von  l.achiiijiiiu  aufgenommenen gekriustei  von  den  abweichenden 
lesai  tcu  gebruti  r,  hrütäiter,  ;i<  truwt  r,  <i> m  r  die  erste  anzunehmen 
und  das  gekriuMter  der  classe  D  für  daraus  entstellt  "der  wie 
Piper  sagt,  verschrieben  zu  halten. 

Bndlich  aber  kommt  das  woi  I  noch  voi  im  \\  illehalm,  buch  7. 
wo  von  vasallen  Tei  i  am*  l  \\  ird: 


392  GEBHARDT 

358    Purrel  tuot  hiute  mauheit  schin, 
und  die  stolzen  Cordine 
und  die  punjür  Poytwine, 
und  Cliboris  der  starke, 
der  künec  von  Tananarke. 

Lesarten:  potiwin,  potewine,  porteivine. 

Jedenfalls  beweisen  die  zahlreichen  lesarten  hier  und  bei 
Ulrich,  dass  es  sich  um  ein  den  abschreibern  nicht  bekanntes 
wort  handelt,  und  die  stellen  bei  Ulrich  und  im  Willehalm 
verglichen  unter  sich  und  mit  der  in  der  kreuzfahrt  lassen 
Singers  Vermutung  als  sehr  wahrscheinlich  erscheinen.  •) 

Als  ich  mich  mit  diesen  stellen  beschäftigte,  kam  mir  der 
gedanke  an  das  wort  beduin,  und  auf  mein  befragen  erklärte 
mir  herr  professor  Jacob  freundlichst,  beddivin  sei  ein  vulgärer 
plural  zu  dem  arabischen  beädwi '  wüstenbewohner'.2)  Und  zwar 
sei  das  e  der  ersten  silbe  ein  unfester  laut,  der  noch  heute  in 
einzelnen  arabischen  dialekten  als  a  erscheine. 

Freilich  haben  unsere  mhd.  dichter  das  wort  kaum  un- 
mittelbar aus  dem  arabischen  übernommen  —  ausser  sie  haben 
selbst  einen  krenzzug  mitgemacht  — ,  sondern  am  wahrschein- 
lichsten aus  dem  lateinischen  oder  auch  aus  dem  französischen. 
Aber  auch  in  diesen  sprachen  spiegelt  sich  das  schwanken  der 
arabischen  lautgestalt  wider  in  einem  schwanken  in  der 
widergabe. 

Zwar  ist  auch  hier  Beduini  bez.  Beduins  die  regelmässige 
form;  doch  verzeichnet  Du  Gange  I  636  als  nebenformen  Be- 
davii  und  Bolduini,  La  Curne  de  Sainte-Palaye,  Dictionnaire 
de  l'ancien  langage  francois,  Niort  &  Paris  1875, 1  446  Bedoins, 
Baiidouins,  Bectuaires,  und  in  dem  von  Thomas  in  den  Mün- 

*)  An  stellen  in  Rudolfs  von  Ems  Willehalm,  z.  b. 
72G5    bi  den  Franzoysen  wolte  ouch  sin 
von  Poytiers  gräve  Poytwin: 
er  was  in  oucli  ze  Chomarsi 
mit  siner  sunderrotte  bi, 
und  üfter,  verhält  sich  selbstverständlich  Poytivhi  :  Poytiers,  Poytomoe  = 
Anschev/n  :  Anschouwe  bei  Wolfram ,   und  scheidet  dabei'  aus  unserer  be- 
trachtung  aus.    Uebrigeus  zeigen  auch  hier  die  hss.  die  bunteste  Verschieden- 
heit :  Poitwin,  Poyttoin,  Porteivin,  Poutewin,  Podewin  (vgl.  das  register  in 
Victor  Juncks  ausgäbe,  Berlin  1905,  s.  256). 

2)  Vgl.  Odorici  de  Foro  Iulii  über  de  Terra  sancta  cap.  4G,  §  1:  desertum 
Surie  vel  Sirie,  in  quo  vagunt  homines  silvestres,  scilicet  Badewini. 


Min».   POYTtVIN,  iii  i  i;\  1 1  B. 

chener  Sitzungsberichten  iv''>">.  bd.  II  Ml  ff.  nach  drei  dortigen 
handschriften  herausgegebenen  Tractatus  de  locis  ei  Btatn  sancte 
terre  ierosolimitane  Liest   (au  L59)  cod.  17060  Buduini, 

|.;.M  bedicoini  und  ~>:'>i»7  boudewini 

Daher  möchte  ich  den  fachgenossen  dir  Vermutung  vor- 
legen, <>ii  nicht  iii»-  Povtwin  und  Varianten  unserer  mhd.  t< 
wenigstens  teilweise  das  arabische  bedawi  wenn  nicht  an- 
mittelbar, bo  durch  Vermittlung  des  Lateinischen  oder  fran- 
zösischen widergeben  sollen.  Selbsl  wage  ich  dir  frage  nichl 
zu  entscheiden. 

ERL  LNGEN,  den  24.  juni  L909. 

AUGUST  GEBHARDT. 


LITEEATUR 
(Vei  "i  der  redaction  eingegangener  Bchriften.) 

Beowuli,  nebsl  den  kleineren  denkmälern  der  heldensage.    Mit  ein- 
leitunf  i  and  anmerkunj  von  F.  Holthausen.    I.  teil:  texte 

u.  oamenverzeichnis.    2.  verb.  aufläge.    Mit  2  tafeln.    Eeidelberg,  Winter, 
XIII.   : 

Bei-,  •  mann,    De  versa  Satnrnio.    (intim.  Perthes,  L9O0.   — 

VI.  18B  -         M.  3.00. 

Boycr,  Paul  (Gerhardt,    I»i>'  mitteldentschen  Segremors-fragi 
Qnteranchnng  and  ausgäbe,    l'i—    Marburg  1909.        ui  -. 

Brandstetter,  Ren  ward,  Elenward  C]  1614.  Dei 

der  schweizerischen  Volkskunde   l       Elenward  Brandstetten  phien 

zur  vollständiges  sprachlichen  and  volkskundlichen  •  rforai  hang  AJt-Li 
\  Uli    Lasern,  EUag,  L909 

Dahin.  Kau  i.    I  >>  i  /.ur  Unterscheidung 

and  imperfecta  tri  iraTatian  nnd  in  Nol  hios.   Lei] 

.  I '.i-  .tlt.'  «1.  otsche  volkslii  üi'k«- 

rormen  betrachtet    i  \  :\ 

Dichtungen,    Aul.,    te     •  t  und  hei  n  von 

iii  und  V ried rieh  von  der 
II.  l; 

ind,    Etyn  rterbnefa   di 

mit  einschluss  des  I  i  eu     Hall« 


394  LITERATUR. 

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en  Mededeelirigen  der  K.  Akad.  van  Wetensch.  Letterkunde,  4e  Reeks,  Deel  X). 
Amsterdam,  Job.  Müller,  1909.  —  58  s. 

Grur.driss  der  germanischen  Philologie  ...  hsg.  von  Hermann 
Paul.  2.  verbesserte  und  vermehrte  aufläge.  II.  band,  1.  abteil.,  6.  lieferung 
(scbluss  der  1.  abt.  des  IL  bdes.).  Strassburg,  Trübner,  1909.  —  XVI,  s.  1135 
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ZUR  LIEDERPOESIE  IX  FISCHARTS 
GARGANTUA. 

•  Mir  Bei  es  erlaubt,  hier  nur  Doch  eine  reiche  quelle  von 
gemeinen,  insonderheit  trink-  und  bnhlliedeni  anzufahren,  es 
simi  die  Übersetzungen  Fischarts  In  Beinem  verdeutschten 
Rabelais,  zumal  in  der  litanei  der  trunkenen,  und  sonsl  beinahe 
durchbin  ist  eine  Bolche  menge  Lustiger  lieder,  wenigstens  dem 
anfange  nach  und  Btrophenweise  angeführt,  dass  mancher  kleine 
feyne  allmanach  von  lustigen  gesängen  und  Volksliedern  aus 
dieser  einigen  quelle  einen  Btrom  erhalten  könnte,  mit  der 
allgemeinsten  und  unendlichsten  bibliothek1)  weite  zu  laufen. 
Für  mich  war  [eoneept:  ausser  vielleicht  ein  paar  Btrophen] 
nichts  darinn;  indessen  leugne  ich  nicht,  dass  viele  lieder  eine 
Fröhlichkeit  verrathen,  zu  der  manche  neuere  in  dieser  gattung 
als  trocknes,  uachgedrechseltes  werk  erscheinen  möchten.' 

.Mit  diesen  w<>rten  hat  Herder-)  auf  die  zahlreichen 
deutschen  Lieder  hingewiesen,  die  zwei  Jahrhunderte  früher 
Fischart  in  den  Zusätzen  Beiner  <  largantuabearbeitung  angeführt 
oder  erw&hnl  hatte. 

Von  den  'lustigen*  liedern  desOai  finden  wir  eines  schon 
im  ICusenalmanacfa  für  177'.».  hsg.  von  Joh.  Beinr.  V*oß,  neu 
abgedruckt:  das  bekannte  Muskatellerlied  'Den  liebsten  bulen, 
den  ich  hab\  Die  herausgeber  von  Des  knaben  wunderhorn 
haben  im  /weiten  bände  (1808)  einige  liederbruchstücke  aus 
dem  Qarg.  als  grundlage  für  sehr  willkürliche  bearbeitungen 
verwendet      Später  hat  K.  von  Brlach  eine  reihe  von  Lieder- 


')  NicoUii  Lüg.  deutsche  bibliothek 

inleitong  ra  den  \  olkiliedern  II  (1779 

Uen,  Dortmund 
i  l.\\\  I  (noob  nicht  enohieBi 

l(citijk-c   lur  gcschichle  im  tteutschco  Sprache 


396  WILLIAMS 

citaten  aus  Fischarts  roman  in  seine  Sammlung-  aufgenommen.1) 
Die  herausgeber  der  wichtigeren  neueren  Sammlungen  mit 
liedern  des  sechzehnten  Jahrhunderts,  von  Uhland  bis  Böhme, 
haben  den  Gargantua  als  quelle  mit  herangezogen. 

Den  bedeutsamsten  versuch,  lieder  des  Garg.  in  alten 
quellen  nachzuweisen,  hat  der  bekannte  Fischartforscher  K.  H. 
G.  von  Meusebach  im  rahmen  seines  ungedruckt  gebliebenen 
Gargantuacommentars  gemacht.2)  Er  hat  für  eine  menge 
liedercitate  des  Garg.  ihm  bekannte  parallelen  bez.  quellen  in 
seinen  anmerkungen  angeführt.3)  Meusebachs  handschriftliche 
'liederhistorie',  in  der  er  durch  Zeugnisse  aus  verschiedenen 
quellen  das  alter  bez.  den  Verfasser  von  vielen  deutschen 
liedern  zu  bestimmen  suchte,  enthält  auch  einige  in  seinem 
Gargantuacommentar  fehlende  belege  für  Fischarts  lieder. 
Ein  paar  blätter  in  seinem  nachlass  no.  21  enthalten  weniger 
wichtige  hinweise  auf  parallelen  zu  liedern  des  Garg.  Ich 
habe  Meusebachs  arbeiten  erst  eingesehen,  nachdem  ich  schon 
die  meisten  der  für  Fischart  wichtigen  liederquellen  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts  durchgearbeitet  hatte.  Von  dem  verhält- 
nismässig wenigen  neuen  material  habe  ich  einiges  unten  in 
den  nachweisen  des  II.  teiles  verwertet.4) 

Spätere  Fischartforscher,  vor  allen  A.  Häuften,  haben 
manche  für  die  vorliegende  arbeit  sehr  wertvolle  beitrage 
zum  Verständnis  dieses  dichters  und  zur  erklärung  des  Garg. 
veröffentlicht.    Sehr  willkommen  der  abgedruckten  texte  oder 


!)  Volkslieder  der  Deutschen  1  (1834),  25—41. 

2)  In  der  handschriftenabteilung  der  kgl.  bibliothek  in  Beilin  auf- 
bewahrt (Meusebachs  nachlass  no.  22).  Siehe  die  beschreibung  und  Würdi- 
gung von  Meusebachs  commentar  von  A.  Hauffen,  Neue  Fischart -Studien, 
7.  ergänzungsheft  zum  Euphorion,  1908,  s.272 — 289;  ausserdem  C.  Wendeler, 
Fischartstudien  des  freiherrn  von  Meusebach,  Halle  1879. 

s)  Zu  der  langen  liste  von  liedern  im  1.  cap.  (im  II.  teil  dieser  arbeit 
als  no.  1 — 30)  ist  von  Meusebach  nichts  angemerkt  worden ;  auch  sonst  hat 
er  bisweilen  nicht  alle  liederquellen  seiuer  eigenen  grossartigen  Sammlung 
ausgenutzt.  Er  scheint  seinen  commentar  vor  der  mitte  der  dreissiger  jähre 
des  vorigen  jahrh.  zum  abschluss  gebracht  zu  haben;  vor  seinem  1847  er- 
folgten tode  sind  wol  neue  schätze  an  alten  liedern  in  seinen  besitz  ge- 
kommen. 

4)  Gargantuacommentar,  vgl.  meine  nachweise  zu  no.  91.  121.  134.  139; 
Liederhistorie  (Meusebachs  nachlass  33),  vgl.  zu  no.  20.  35.  40;  Nachlass  21, 
vgl.  zu  no.  91.  114. 


I.II.DKKI'nKSIK    IM    Q  LBG  AVI  CA.  89  I 

der  nachweise  wegen   waren  mir  für   tdele  lieder  de    Q 
die  Bammlungen   bez.  aufsätze  und  bibliographischen  arbeiten 
von  Unland,  Boffmann  von  Fallersieben,  Goedeke,  Böhme,  Jon. 
Bolte,  M.  K.  Marriage  und  besonders  7on  A.  Kopp. 

I.  Allgemeiner  teil. 

^  1.    Vergleichung  der  drei  ersten  ausgaben  dos  Garg. 
in  bezug  auf  ihren  liederinhalt. 

Fischart  hatte  Bchon  in  den  Zusätzen  der  ersten  ausgäbe 
vnn  L575  die  hauptmasse  der  noch  bestimmbaren  lieder  — 
mehr  als  ein  hundert  an  der  zahl  —  citiert  oder  erwähnt 
Diese  Btellen  sind  in  den  späteren  ausgaben  im  wesentlichen 
unverändert  geblieben. 

Nur  kleine  Fragmente  sind  1582  neu  hinzugekommen, 
no.  L26  137.  An  liedern,  die  Bchon  in  der  ersten  ausgäbe 
vertreten  waren,  sind  in  der  zweiten  nur  unbedeutende  neiie- 
rungen  zu  constatieren:  von  no.  48  kommt  ein  weiteres  & 
nieiit  vor:  das  bruchstück  A"ii  no.  122  wird  auch  an  einer 
zweiten  Btelle  verwertet  (nur  1582);  die  Letzten  /eilen  des 
Fragments  no.  16  Fehlen  1582,  als  ersatz  wird  ein  citat  aus 
einem  neuen  lied  eingefügt  iii".  129);  Ferner  wird  L582  in 
einige  liedercitate  der  ersten  ausgäbe  nicht  passendes  ein- 
:hoben,  ro  in  ii<>.  ■>  I.  64.  77  und   111. 

la  den  Zusätzen  der  ausgäbe  letzter  band  1590  kommt 
hier  nur  eine  Btelle  in  betracht,  in  der  die  liedlein  no.  L38  und 

in».  189  vorkommen. 

f;  'i.    Fischarts  gruppierung  der  liedercitate. 

Fischarts  neigung,  lange  listen  aufzustellen,  zeigt  rieh  im 
l.  cap.  ..    wu  in  seiner  aufzählung  der  unsauberen 

lieder  beinahe  ein  viertel  der  muh  bestimmbaren  liederfrag* 
mente  vorkommen       im  11.  teil  unten  als  no.  l 

Kino  lange  quodlibetartige  stelle  im  i.  cap.  (neudr.  b.69  F.), 
in  der  die  irdischen  Freuden  der  pfaffen  und  mönche  gegensl 
der  Batire  sind,  scheint  aus  liederfragmenten  n  be- 

stehen, Mri.  ii".  :'_  (•"'  und  181.  in  diesem  capitel  citierte 
Fischaii  auch  Martinslieder  na  L6.  17.  182  und  Eastnachts- 
lieder  no.  i-.  19 

Im  berühmten 'trunkenej  h'  (cap.  8)  sind  mehr  als 


398  Williams 

fünfzig  lieder  vertreten,  die  streng  genommen  nur  zur  hälfte 
eigen tliclie  trinklieder  und  -reime  sind:  no. 58-115. 133.  Fischart 
hat  hier  kleinere  liedergruppen  aus  gedruckten  Sammlungen 
entnommen:  Scandellus  1570  und  H.  Ott,  121  lieder  1534,  vgl. 
unten  s.  408  und  410;  auch  diese  sind  nicht  ausschliesslich 
trinklieder. 

Unter  den  spielen  im  25.  cap.  finden  sich  auch  liederbruch- 
stücke  73.  118—123.  134— 136. >) 

In  der  vorrede  der  ausgäbe  1582  erwähnt  Fischart  an 
einer  stelle  drei  geistliche  lieder  no.  126.  127.  128;  die  beiden 
letzten  hat  er  sicher  als  umdichtungen  weltlicher  lieder  gemeint. 

Zwei  derbe  liedlein  bilden  den  hauptinhalt  eines  Zusatzes 
der  dritten  ausgäbe  no.  138.  139. 

Sonst  hat  Fischart  in  diesem  werke  liederfragmente  nur 
vereinzelt,  ohne  inneren  Zusammenhang,  verwendet. 

§  3.    Einteilung  der  lieder  nach  ihrem  inhalt. 

Eine  Übersicht  über  den  inhalt  der  lieder,  soweit  nach 
Fischart  und  der  sonstigen  Überlieferurig  noch  möglich,  möge 
hier  platz  finden. 

Wie  schon  Herder  erkannte,  sind  buhl-  und  trinklieder 
am  stärksten  im  Garg.  vertreten. 

Trinklieder  und  -reime,  weinlieder  no.  32.  37.  47.  48.  57. 
60.  61.  62.  64.  66.  69.  70.  76.  80.  81.  82.  83.  86.  88.  100.  102. 
104.  105.  109.  113.  114.  115.  116.  132  (darunter  lateinisch- 
deutsche  mischlieder  no.  45.  46?  89.  90). 

Lieder  mehr  oder  minder  bedenklichen  inhalts,  für  die 
Fischart  selber  (Garg.  34)  den  ausdruck  'geuchlieder'  ge- 
braucht, no.  3.  11.  13—22.  24.  25.  27.  28.  35.  49.  74.  85.  94. 
123.  129.  130.  Zu  dieser  gruppe  sind  wahrscheinlich  auch  zu 
zählen  no.  23.  29.  30.  118.  135.  136;  die  reiterlieder  no.  2.  6. 
96;  das  lied  von  den  dreizehn  nonnen  no.  7,  und  möglicher- 
weise die  nicht  bestimmbaren  fragmente  no.  39.  43.  44.  71, 
die  sich  auf  kleriker  beziehen  dürften.  Hierher  gehören  die 
längeren  schwankähnlichen  gedichte  no.  5.  12  und  andere, 
worin  mönche  und  pfaffen  eine  rolle  spielen,  no.  1.  4.  8.  9.  10. 


J)  Ob  auch  andere  von  Rausch,  Spielverzeichnis  s.  78 — 81  als  lieder 
angeführte  ausdrücke  wirklich  als  solche  anzusehen  sind,  möchte  ich  dahin- 
gestellt sein  lassen. 


LIBDBBF0B8XB   IM   0ABGJJI  ITA. 

Liebeslieder  no.  81.  50.  52.  34.  92.  95.  !>7  and  wol  noch 
no.  26.  58.  54.  55.  117.  L19.  L20. 

Spottlieder  and  -reime  no.  88.  108,  wo]  auch  do.  10;  auf 
pfaffeD  undmönche  do.  84.  181.  L88;  andere  unter  den  'geuch- 
liedern'  oben. 

Klagen  des  anzufriedenen  no.  41.  87. 

Historische  gediente  erwähnt  no.  107.  110.  111.  112.  187 
und  vielleicht  no.  124. 

Verschiedenen  Inhalts  sind  die  übrigen  in  den  wichtigeren 
liod.'ivitaten  vertretenen  stücke  no.  58.  77.  T«j.  i>s.  -♦'.'.  101.  125; 
kurze  meist  einstrophige  liedchen  no.  33.  59.  67.  68.  72.  75.  78 
(refrain).  91.  '.>:;.  l<"'>.  L22.  1:'.'.'. 

Geistliche  umdichtungen  weltlicher  lieder  erwähnt  Fischart 
no.  127.  128,  vgl.  auch  im.  \-^\_ 

§  4.    Deberblick  über  den  nmfang  der  liedercitate. 

Fischart  begnügt  sich  bei  der  mehrzahl  der  lieder  mit 
einen  kleineren  bruchstück  oder  einer  anspielung.  Er  setzt 
wdI  meist  hei  Beinen  lesern  bekanntschafl  mit  den  texten 
voraus,  doch  ist  es  zweifelhaft,  ob  noch  im  letzten  viertel  des 
16.  Jahrhunderts  die  leser  des  Garg.  ohne  weiteres  alle  an- 
spielungen  Fischarta  auf  lieder  verstanden  haben.  Da^eLren 
teilt  er  einige  damals  sein-  verbreitete  lieder  und  volkstüm- 
liche reime  in  grösseren  Eragmenten  oder  gar  vollständig  mit. 

Die  scheinbar  vollständig  angeführten  Btücke  Bind  meist 
kleine  einstrophige  spruchähnliche  reime  no.  57.  59.  62.  7."».  91. 
'.•j.  108;  auch  no.  72.  BO.  93  erscheinen  im  Garg.  wesentlich 
vollständig.  Einige  wenige  hatten  arsprünglich  zwei  Strophen 
oder  teile  do.  60.  61.  64.  68  alle  aus  den  Scandellus sehen  lied- 
lein  1570).  Ebenfalls  vollständig  angeführt  ist  das  drei- 
strophige  trinklied  no.  66  aus  Scandellus)  und  ein  anderes  mit 
neben  Btrophen  no.81  (ans  Otts  121  liedem  1584).  Vielleicht 
ist  auch  das  nur  bei  Fischaxt  überlieferte  trinklied  no.  118 
vollständig  mitgeteilt  (fünf str.).  Mit  einer  ausnähme  (no.57) 
tinden  Bich  diese  lieder  und  reime  alle  im  v.  cap.,  wo  auch  die 
meisten  der  •   Fragmente  vorkommen. 

Unvollständig  citierte,  arsprünglich  meist  mehrstrophige 
liedertexte.    Nur  mit  der  anfangszeile  führt  Fischart  an  ao 

7.  1 16  ((  ta  g      167     128;  mit  den  beiden  •  (eilen 


400  WILLIAMS 

no.  21.  25.  26.  27.  49.  83.  96.  101.  122.  139.  Er  bringt  den 
anfang  mit  kleinerem  fragment  no.  14.  16.  18.  22.  24.  28.  41. 
46  (?).  79.  95.  102.  131.  Die  erste  Strophe  no.  32.  37.  45.  82. 
100,  vielleicht  auch  55.  Str.  1  mit  fragment  no.  69.  70.  89. 
114.  Eine  auswahl  der  Strophen  no.  50  (von  10  str.  drei);  85 
(von  11  str.  neuneinhalb);  88  (von  11  str.  siebeneinhalb  auf 
zwei  stellen  verteilt);  94  (von  15?  str.  sieben);  97  (von  13  ? 
str.  vier);  98  (von  5  str.  drei);  104  (von  9  str.  fünf).  Ver- 
schiedene grössere  bruchstücke,  eine  str.  oder  mehr  im  ganzen 
no.  34.  35.  47.  48.  77.  90.  99.  115. 

Die  übrigen  (ca.  60)  stellen  des  Garg.,  in  denen  lieder 
sicher  vertreten  sind,  enthalten  nur  ein  paar  worte  oder  verse, 
kurze  paraphrasen  oder  anspielungen;  näheres  über  die  ein- 
zelnen bruchstücke  unten  im  II.  teil. 

Es  kommen  ferner  im  Garg.  mehrere  an  Wendungen  volks- 
tümlicher lieder  anklingende  Wörter  und  ausdrücke  vor,  die  ich 
ihrer  geringen  bedeutung  wegen  nicht  berücksichtigt  habe; 
z.  b.  s.  29  z.  3;  111  z.  4  v.  u.;  187  z.  2;  255  z.  1.  Viele  gereimte 
stellen  haben  meines  erachtens  nichts  mit  eigentlichen  liedern 
zu  tun,  weshalb  ich  sie  im  II.  teil  ebenfalls  nicht  angeführt  habe. 

§  5.  Mehrfach  verwendete  lieder. 
In  der  ersten  ausgäbe  des  Garg.  sind  einige  der  bestimm- 
baren lieder  mehr  als  einmal  vertreten.  No.  88  ist  auf  zwei 
stellen  verteilt;  ähnlich  die  'trunkene  mette'  no.  48,  —  Fischart 
erwähnt  dieses  gedieht  dann  an  einer  dritten  stelle  und  ver- 
wendet 1582  ein  weiteres  fragment  davon.  Auf  no.  29  spielt 
er  1575  zweimal  an  und  noch  einmal  in  der  dritten  ausgäbe. 
Von  no.  2.  4.  57.  116  sind  je  zwei,  von  no.  77  und  wol  von 
no.  104  drei  getrennte  bruchstücke  im  Garg.  1575  vorhanden. 
Von  no.  122  (nur  1582)  ist  dasselbe  bruchstück  zweimal  citiert 
worden,  vgl.  auch  65  und  73.  Zum  liede  no.  25  wurde  der  an 
einer  anderen  stelle  des  Garg.  erwähnte  kehrreim  no.  25  d  ge- 
sungen; auch  gehört  vielleicht  der  refrain  no.78  zum  liede  no.ll.1) 


a)  Mehrere  der  im  Garg-.  vorkommenden  lieder  hat  Fischart  in  anderen 
Schriften  verwendet:  S.  Dominici  lehen  1571,  vgl.  zu  no.  94;  Eulenspiegel 
1572,  vgl.  zu  no.  1;  Aller  Praktik  Grofsmutter  1572,  1574,  vgl.  zu  no.  56. 
57.  69;  Flöhhatz  1573,  1577,  vgl.  zu  no.  58.  107;  Pod.  trostbüchlein  1577, 
vgl.  zu  no.  57;  Gegenbadstüblein  1589,  vgl.  no.  91. 


LOEDIRPOMII   IM   aiBOAVTÜA.  40] 

§  6.    Abweichungen  der  liedercitate  von  wortlaul 
der  Bonstigen  Überlieferung. 

w  o  Fischarl  im  Garg.  etwas  vom  texte  eines  Liedes  an- 
führt, weichl  er  im  Wortlaut  im  allgemeinen  nichl  stark  von 
anderen  ans  aberlieferten  quellen  ab.  Auch  ganze  Lieder  oder 
ssere  Eragmente  stimmen  ziemlich  genau  mit  den  ent- 
sprechenden Btellen  der  sonsl  aberlieferten  fassungen  aberein: 
no.  17.  64.  66.  81.  82.  35.  B8.  90.  94.  98.  L04. 

In  einer  anzahl   von  fällen  sind  aber  meines  eracl 
abweichende  leearten  desGai  aüber  der  sonstigen  aber- 

lieferung  l»ez.  Fischarts  vorlagen  als  von  unserem  dichter 
Belber  vorgenommene  änderungen  anzusehen;  diese  abweichungen 
können  oichl  alle  aus  der  mündlichen  Überlieferung  oder  aus 
uns  nidii  mehr  bekannten  quellen  stammen.  Ich  führe  zunächst 
die  stellen  an,  wo  der  zweck  dieser  neuerungen  besonders 
deutlich  zu  tage  tritt 

1)  Fischarl  sucht  das  metrum  ^\<-v  den  reim  zu  ver- 
ern.  Vgl  die  zu  no.  97  abgedruckten  vier  Btrophen  mit 
der  entsprechenden  Btelle  des  Garg.  L37  f.  —  genau  wie  sie 
im  Garg.  Btehen,  dürfte  Fischart  diese  verse  wo!  nie  gehört 
oder  gelesen  haben.  Die  rücksichl  auf  das  metrum  Bcheinl 
der  anlass  zn  änderungen  einzelner  verse  gewesen  zu  Bein  in 
der  Bchlu88zeile  von  no.  109;  in  Btr.  5  von  no.  98  (Schöffer  u. 
Apiarius):  •...  So  wil  ich  doch  Bingen  im  gloch',  Gai  L8S 
'S  Bing  ich  doch  in  diesem  gloch';  wol  auch  im  zweiten  verse 
von  no.  93.  Er  beseitigt  in  einigen  fällen  assonanzen  und 
anreine  reim.-:  von  den  versen  aus  Scandellus  im  trinklied 
ii".  u i  'Er  h;it  mich  oechten  truncken  gemacht,  vnd  frölich 
heut  den  gantzen  t ;nr *  ändeii  Fischart  Garg.  126  den  zweiten 
•\iiml  frölich  disen  t .- 1 lt  vollbracht';  ähnlich  no. 62  Scandellus 

'trotz  der   TOS  das  wehr«-  ...  der  tos  woll  ernehreif:  Garg.  1-7 

•der  \  :   hre'.    M>  urere  änderungen  d  I  weisen 

Fischarte  Btrophen  no.  50  auf: 

I  .-•■_•  \ 

i      Da  mit  di ! 
7    V  r.l  hat  am  barren  stan, 


402  WILLIAMS 

1582  A,  no.  165:  Garg.  72: 

. . .  Vnd  welche  magd  allein  nicht      . . .  vnnd  die  allein  nit  schlaffen  kan 
schlaffen  mag 

8.  Vnd  wer  des  weins  nicht  trincken      Vnnd  wer  des  Weins  nicht  trincken 
mag,  mag, 

der  ist  nicht  unsers  fugs,  der  ist  nicht  vnsers  fugs, 

Der  zieh  wol  in  das  heyrisch  Schwa-      der  zih  ins  Bierland  Koppenhag, 

benland, 
da  find  er  wassers  genug,  da  find  er  böß  Bier  gnug. 

da  trinckt  ers  aus  dem  krug. 

2)  Wie  am  Schlüsse  der  eben  citierten  stelle  sucht  Fischart 
öfters  durch  änderungen  des  üblichen  Wortlautes  eine  komische 
Wirkung1  zu  erzielen,  z.  b.  no.  32  Seb.  Ochsenkhun  1558:  '. . .  Da- 
rinne  wont  mancher  bruder  on  bar  gelt,  vnser  Orden  regiert 
in  aller  diser  weit';  Garg.  69  'Darinn  manch  Bruder  tringt 
keyn  gelt,  Vnnd  ißt  keyn  Wein,  daß  er  den  Orden  helt'. 

So  auch  in  kleinen  fragmenten,  vgl.  no.  2  Müllerin  statt 
maller;  22  des  war  sie  fro;  vielleicht  in  25  d;  41  Schneider  zech 
statt  schuster zech;  und  74  Stiffelbrauns  Meidlein  statt  schöns 
brauns.  Eine  komische  Wirkung  ist  auch  Fischarts  zweck  in 
der  Verknüpfung  und  änderung  von  liederfragmenten  nach  art 
der  quodlibets:  Garg.  70  'Gut  Hanicken  vnter  dem  zäune  saß  . . .' 
(Verbindung  der  anfange  der  unter  no.  29  und  40  besprochenen 
lieder)  und  Garg.  403  'Der  Gauch  hat  sich  zu  todt  gefallen, 
von  jenem  hohen  zäune'  (aus  dem  anfang  zweier  lieder,  vgl. 
no.  139  und  29).  Komisch  ist  weniger  die  abweichung  vom 
üblichen  Wortlaut  als  die  absichtliche  Unordnung  der  verse  und 
des  drolligen  kehrreims  in  Fischarts  fragment  no.  95. 

3)  Sechsmal  scheint  Fischart  in  trinkliedern  durch  ände- 
rung von  eigentlich  formelhaft  gewordenen  Wendungen  den 
gebrauch  des  wortes  gott  vermeiden  zu  wollen: 

Quelle,  Scandellus  1570,  no.3:  Garg.  125,  no.  60: 

Nu  bis  mir  Gott  wilkomen  nun  biß  mir  recht  wolkomen 

Ibid.  no.  2,  str.  1  u.  2:  Garg.  126  f.,  no.  61: 

Gott  geb  ihm  heint  ein  gute  nacht.      drum  geh  ich  jm  ein  gute  Nacht. 
Nu  grüs  dich  Gott  mein  rebensaff't:      Nun  grüß  ich  dich  mein  Rebensaff't. 

121  lieder  1534,  no.  35:  Garg.  132,  no.  81 : 

Nun  grüs  dich  Gott  du  edler  safft       Nun  grüß  dich  Hey  du  Edler  Safft. 


UEDEBPOBSIE    im    3ARGANTUA. 

Und  zweimal  am  anfang  von  no. !  nüber  den  übrigen 

etwas  späteren  quellen,  z.  l>.  Glanner,  Liedlein  I  L578:  oo.9 
'Proficial  jr  lieben  Herren,  <i"tt  gesegen  euch  das  trincken 
viul  das  essen,  Seit  < ; « >  1 1  willkhum  inn  allen  ehren  ...': 
Garg.  70  'Proficial  ...  gesegen  euch  trincken  nid  essen,  Seil 
Willkomm  all  inn  t'hrn  . . .  *  Vgl.  ferner  die  letzten  der  unten 
zn  no.  90  abgedruckten  verse,  die  von  Fischarl  nichl  angefühii 
wurden.  Zweimal  komml  das  worl  gotl  in  den  liedercitaten 
des  Garg  vor:  in  den  trinkliedern  no.  57  and  98,  Garg.  121 
z.  13,  188  /.  13. 

Weitere  beispiele  für  selbständige  Änderungen  des  Wort- 
lauts sind  die  paraphrasierten  stellen  in  mehreren  lieder- 
citaten. 

Den  üblichen  anfang  von  do.  ■">)  ersetzl  Fischarl  durch 
paraphrasierte  zeilen: 

Qaellen  des  L6.  jfa  v  69: 

Dai  Eteeonel  Papistisch. 

1.  Res  h  nid  behend  der  pfarherr  Nun  resonet  in  Landita 
ich, 

heut  band  wir  ein  gpoite  Bach,  Benl  gar  mit  guter  muß: 

r  richl  die  kirchen  zu.  tfefiner  rieht  'li*-  Kirchen  zu. 

Nachbarn  Vogl  ial  todl  ...  der  Nachbanr  ist  zur  Todenrhn... 

Im  anschlnss  an  den  anfang  and  mit  benutzung  anderer 
gpibl    Fischarl   eine  kurze  gereimte  paraphrase  von  be- 
kannten Liedern  in  no.  16.  L8  und  auch  w<d  in  oo.  20;  ähnlich 
no.  13.    Er  paraphrasierl   ferner  zwei  zeilen   der  6.  Btr.  des 
unter  no.  '.,l.'  besprochenen  Liedes. 

Zwei  grössere  bruchstücke  no.  69  and  70  enthalten  die 
trophe  and  paraphrasierte  zeilen  aus  anderen  Strophen 
der  betreffenden  lieder  aebsl  einigen  von  Fischarl  Belber  stam- 
menden versen. 

Am  freiesten  behandelt  Fischarl  <lie  'trunkene  mette1 
no.  18.     Er  bringl   grössere   bruchstücke  di  cht  es  in 

zwei  gereimten  Btelle  .  die  eine  mit  sechzehn, 

die  andere  mit  dreimal  Bo  viel  /eilen.  Am  anfang  beider 
citate  folgt  er  einer  in  dam  it   in  seiner  heimat 

breiteten  fassnng  (in  einem  8tras8burger  fi.  bl  erhalten',  dann 

it  er  immer  mehr  ib  und  dichtet  neue  seilen  hinzu,  wol 


404  WILLIAMS 

mehr  aus  lust  zu  reimen,  als  aus  mangelhafter  kenntnis  des 
üblichen  Wortlauts. 

Fischart  gibt  sich  keine  mühe,  das  seltsame  'quodlibet  von 
löffeln'  no.  77  genau  zu  citieren,  obwol  er  es  höchstwahrschein- 
lich in  einer  gedruckten  fassung  gekannt  hat  (siehe  unten 
s.  408;  H.  Ott,  121  lieder  1534). 

Wo  an  anderen  stellen  des  Garg.  etwas  von  dem  Wortlaut 
eines  liedes  mitgeteilt  ist,  habe  ich  wesentliche  abweichungen 
nicht  constatieren  können,  die  mit  Wahrscheinlichkeit  als  ände- 
rungen  Fischarts  anzusehen  wären. 

§  7.    Fischarts  erweiterungen  der  liedercitate 
durch  eigene  zusätze  und  einschübe. 
Das  liebesliedchen  no.  92  hat  Fischart  durch  zwei  neue 
mit  den  beiden  anfangsversen  des  liedes  reimende  Zeilen  in 

ein  trinklied  umgeändert: 

Garg.  137: 

Die  brünnlem  die  da  fliessen,  die  Weinlein  die  wir  giessen, 

die  soll  man  trincken  . . .  die  soll  man  trincken, 

die  Brönnlein  die  da  fliessen, 
die  sollen  sckwincken  . . . 

Aehnlich  hat  Fischart  durch  zwei  neue  Zeilen  sein  bruch- 
stück  des  liedes  vom  Fürstenberger  wein  no.  47  am  Schlüsse 
so  geändert,  dass  es  passend  als  Martinslied  verwendet  werden 
konnte: 

Ocksenkknn  1558,  str.3:  Garg.  71: 

. . .  sein  Nam  ist  weit  zu  loben,  Er  liegt  mit  vnden  oben, 

wo  er  nur  wirdt  erkant,  zu  diser  Martinsnacht, 

leit  mit  vnden  vnd  oben,  darumb  ist  er  zu  loben, 

darnach  sichs  wetter  wendt.  hei  daß  jr  jm  zu  ehren  Vögel  bacht. 

Fischarts  einschiebungen  von  eigenen  Worten  oder  versen 
in  seine  liedercitate  sind  weder  zahlreich  noch  wichtig.  Yg\. 
z.  b.  im  liede  no.  50  die  eingeschobenen  stellen  Garg.  71,  z.  12 
'der  laufft  ...  vil  Schu',  z.  13 — 15  'Stößt . . .  hendkauchen'  und 
s.  135,  z.  22  f.  in  no.  89.  Eingeschobene  verse  Fischarts  finden 
sich  ferner  in  den  fragmenten  no.  69  und  70.  No.  48  zeigt 
starke  selbständige  erweiterungen  (s.  oben  s.  403).  1582  hat 
Fischart  in  einige  liedercitate  eigenes  eingeschaltet,  besonders 
in  no.  54.  64.  77.  114,  vgl.  die  betreffenden  stellen  des  neu- 
drucks  des  Garg. 


LIBDEBPOnm   IM    SARG  LHTÜA.  105 

Fischarl  liebt  es,  ein  lied  oder  liederfragmenl  weiter 
zuspinnen  and  zwar  meist  so,  dass  Bein  znsatz  widerhoH  mit 
dem   Schlüsse  des  eigentlichen  liedercitats  reimt.    Solche 
reimte  anhängsel  haben  qo.  62.  64.  7'.'.  33.  92  I  9 

auch  94  —  hier  leitet  Fischart  geschickt  and  aicht  ohne  humor 
durch  eine  gereimte  zutat  zu  einem  anderen  liede  über  (no  95). 
Eine  absichtliche  verknüpf ang  zweier  liedercitate  durch  einen 
zusatz  scheint  auch  in  einem  anderen  falle  vorzuliegen:  Dach 
dem  Fragment  ao.  *7  •Inn  dieser  Well  hab  ich  kein  Gelt'  reimt 
Fischart  Garg.  134  inn  jener  Welt,  mir  "keine  gefällt  and 
anmittelbar  darauf  das  beliebte  schlemmerlied  '  Wo  soll  ich  mich 
hinkehren,  [ch  dummes  brftderlein'  folgen. 

§  S.    Zur  frage  nach  den  Verfassern  der  Lieder. 

Nur  sehr  wenige  der  im  Garg.  vorkommenden  lieder  la 
sich   auf   bestimmte   dichter,   die  als  deren   veri  ilten 

könnten,  zurückführen. 

Den  schwank  'der  Pfaff  im  Fed  erfaß'  no.fi  hat  Bans  Sachs 
in  reime  gebracht  Das  weitverbreitete  gedieht  von  den  üppigen 
Dauern,  wovon  Fischarl  no.  38  ein  bruchstück  anführt,  stammt 
mich  einem  handschriftlichen  Zeugnisse  des  15.  Jahrhunderts  von 
einem  bayrischen  dichter  Bans  Beselloher.  Von  no. 69  rührt 
wahrscheinlich  nicht  nur  die  melodie,  sondern  auch  der  text  von 
einem  Zeitgenossen  Fischarts,  dem  Baseler  Organisten  G 
Keyer  her.1»  In  zwei  anderen  von  Fischart  erwähnten  lidein 
sind  in  den  schlussstrophen  als  Verfasser  genannt  worden 
Busch  (buchdruckei  lied  no.  100)  und  Bans  Kugler  (Schütten- 
sam  ii".  1 1  2). 

Einige  liedertexte  Bind  wahrscheinlich  in  der  von  Fischarl 
benutzten  gestalt   ursprünglich   \  edichtet   bei, 

beitet  worden:  etwa  die  gekünstelten  stücke  no.  61.  62.64. 
•i  Anton.  Scandellus,  i  nto. 

g  !>.    I »ie  quellen  der  liederciti 
einer  ontersuchung  über  die  quellen  der  im  G 
vertretenen  lieder  ist  ch  auf  noch  erhaltene  drucke 

*en;  inwi  it  von  mündlichen,  von  uns  nicht 


'i  riiUn.l.  Schriften  I 


406  WILLIAMS 

mehr  bekannten  gedruckten  oder  gar  von  schriftlichen  quellen 
abhängig  war,  lässt  sich  nicht  mehr  ermitteln. 

Obwol  Fischart  auf  rein  mündlichem  wege  mit  dem  da- 
maligen liederschatz  sehr  vertraut  gewesen  sein  muss,  ist  es 
doch  an  sich  höchst  unwahrscheinlich,  dass  er  alle  der  in 
diesem  werke  verwendeten  lieder  und  reime  nur  aus  der 
mündlichen  Überlieferung  gekannt  hat.  Nicht  wahrscheinlich 
ist  es  auch,  dass  er  sich  bei  diesen  zahlreichen  liedercitaten 
allein  auf  das  gedächtnis  verlassen  hat,  ohne  jede  abhängig- 
keit  von  gedruckten  oder  geschriebenen  vorlagen.  Es  ist  gut 
möglich,  dass  Fischart  selber,  wie  Dederding  vermutet1),  eine 
liedersammlung  augelegt  hat:  drucke,  eigene  oder  fremde 
liederabschriften  und  -aufzeichnungen.  Wie  dem  auch  sei,  es 
müssen  ihm  damals  wenigstens  in  gedruckten  Sammlungen  und 
in  den  zahllosen  in  Strassburg  und  Basel  verbreiteten  einzel- 
drucken  deutsche  liedertexte  in  hülle  und  fülle  bekannt  und 
leicht  zugänglich  gewesen  sein.  Er  wird  sich  liederdrucken 
gegenüber  kaum  anders  verhalten  haben  als  den  schwank-  und 
sprichwörtersammlungen  und  anderen  quellen,  die  er  für  den 
Garg.  so  reichlich  ausgeschöpft  hat.2) 

Was  eine  sorgfältige  Sichtung  eines  sehr  reichen  materials 
an  drucken  des  16.  Jahrhunderts  für  die  quellen  der  lieder  des 
Garg.  ergibt,  lege  ich  im  nachfolgenden  vor. 

Zunächst  mögen  zwei  von  Fischart  für  den  Garg.  benutzte 
bücher  betrachtet  werden,  in  denen  gelegentlich  deutsche  lieder 
erwähnt  oder  citiert  sind.  1)  Die  lateinische  scherzrede  'De 
generibus  ebriosorum  et  ebrietate  vitanda',  zuerst  1516  er- 
schienen, eine  schritt,  aus  der  Fischart  für  den  Garg.  mehr- 
mals direct  schöpfte. 3)  Sie  enthält  auch  f ragmente  in  deutscher 
spräche,  darunter  bruchstücke  von  liedern  und  reimen.  Für 
das  8.  cap.  des  Garg.  (142,  z.  9—35)  hat  eine  lange  stelle  aus 
De  gen.  ebr.  Fischart  die  vier  verse  no.  109  und  str.  6  des 
beliebten  schlemmerliedes  no.  88  gegeben.  Im  4.  cap.  hat 
Fischart  die  unter  no.  45  besprochene  Strophe  aus  De  gen. 


')   Gustav  Dederdirjg,   Zur   Charakteristik   Fischarts.    Progr.    Berlin 
1876,  s.  6. 

2)  Vgl.  besonders  Häuften,  Neue  Fischart-studien  s.  263 — 289. 

3)  Vgl.  A.  Hauffen,  Vierteljahrsschrift  f.  lit.-gesch.  2,  492;    Quellen  u. 
f orschungen  66,  127  f. ;  Neue  Fischart-studien  s.  287. 


UEDKKI'OKKIK    IM    QABGANTUA.  407 

ebr.  herübergenommen.  Bei  diesen  Fragmenten  ist  die  an- 
mittelbare vorläge  Fischarts  Bicher,  da  er  oichl  nur  die  brach- 
Btücke  selbst,  sondern  auch  etwas  von  dem  Zusammenhang  mit 
aus  seiner  quelle  anführte. 

Li)  Fischart  hat  für  stellen  Ar*  Garg.  auch  Mich.  Linde- 
ners  Katzipori  1558  benutzt.1)  Dieses  werk  enthält  die  ein- 
zige vollständige  Fassung  aus  der  zeit  vor  1575  des  liedes 
'Vinum  qua  pars',  von  dem  Fischart  etwa  ein  viertel  angeführt 
hat,  qo.  89.  Seine  bekanntschaft  mit  dem  Hede  mag  von  Linde- 
ners  Fassung  ausgegangen  sein,  aber  directe  abhängigkeit  lässl 
sich  für  die.  Gargantuastelle  nicht  erweisen.  Bei  no.  30  kann 
die  eine  Strophe  bei  Lindener  Fischart  kaum  beeinflussl  haben. 

Zu  anderen  quellen,  die  nicht  speciel]  liederdrucke  zu 
nennen  sind,  zeigt  Fischart,  Boweit  mir  bekannt  ist,  in  den 
eigentlichen  liedercitaten  des  Garg.  keine  beziehungen.*) 

Von  Liederdrucken  im  eigentlichen  sinne,  hauptsächlich 

aus  dem  /weiten  und  dritten  viertel  des  16.  Jahrhunderts, 
kommen  hier  in  betracht:  besondere  Liedersammlungen,  in  der 
regel  mit  noten  und  mehr  oder  minder  vollständigen  texten, 
und  zweiten-  fliegende  blätter  "der  Sonderdrucke,  gewöhnlich 
heftchen  mit  1—4  liedertexten. 

\  ■•«•druckte  liedersammlungen. 
gefähr  ein  viertel  der  im  Garg.  vertretenen  Lieder  scheint 
für  fliegende  drucke  nicht  geeignet  gewesen  zu  sein,  da  in  di 
nur  texte  mit  drei  oder  mehr  Strophen  vorkommen.  Ein-  und 
zweistrophige  stücke3),  Bowie  die  mehr  gekünstelten  der  texte 
der  Umsetzer  verdanken  ihre  erhaltung  hauptsächlich  den  musi- 
kalischen Bammlungen. 

I    Banffen,  M 
-,  ii-i  iniit  bat  II  Bot  ki  D<  r  vollen  tu  i     - 

bianni  betratst,  aber  Dicht  ne  lieder,  wie  nach  Banffen,  M  E 

n   ist,    i 
•Nu  lehel  ...  hat  ich,  etc.1  ausB  I  oglich nicht ni 

ntlichen  lii  /.u  baben,  vgl    DWb.  5, 7821  br.  f. 

lit.-gi  (die  stell  k).    am  den  nnmittelbaren  sosan 

bang   in.  G  I  mir  nach  ...  versteht  mich'  geht  !■ 

I  .irt  di   w .  i te  1 1 1 ■ ;  trachtet  I 

■ind  in  ri  i  nicht  in  allen  Allen  all  die  anfing* 


408  WILLIAMS 

Es  werden  liier  in  chronologischer  folge  diejenigen  ge- 
druckten Sammlungen  berücksichtigt,  die  entweder  als  directe 
oder  indirecte  quellen  des  Garg.  gelten  können  oder  besonders 
wichtige  parallelen  zu  Fischarts  liedercitaten  bieten. 

Die  für  den  mehrstimmigen  gesang  bestimmten  lieder- 
bücher  aus  dem  zweiten  und  dritten  Jahrzehnt  des  16.  Jahr- 
hunderts kommen  für  die  lieder  des  Garg.  so  gut  wie  gar 
nicht  in  betracht.  Dies  gilt  auch  für  die  Bergreihen  (ohne 
noten,  1531 — 1537  erschienen,  später  von  Daubmann  und  1574 
von  Val.  Furman  nachgedruckt),  da  dieselben  von  nur  einem 
der  Gargan tualieder  eine  wichtige  fassung  enthalten,  no.  49. 

Sehr  wichtig  für  Fischart  ist  Hans  Otts  erste  Sammlung: 
'Hundert  vnd  ainundzweintzig  newe  Lieder',  Nürnberg,  Hieron. 
Formschneyder,  1534.  Zwölf  der  im  Garg.  vorkommenden  lieder 
und  reime  stehen  in  diesem  liederbuch,  no.  28.  59.  70.  72.  74. 
75.  77.  78.  81.  82.  83.  92.  Die  elf  letzten  finden  sich  alle  in 
der  ersten  hälfte  der  'trunkenen  litanei'  (Garg.  cap.  8)  und 
neun  davon  (70.  72.  74.  75.  77.  78.  81.  82.  83)  kommen  sogar 
innerhalb  einer  wenig  mehr  als  drei  Seiten  langen  stelle  vor 
(Garg.  1575,  bl.  Jij— Jiij,  Neudr.  s.  129—132).  Von  diesen  neun 
stücken  sind  no.  82  und  die  kleinen  reime  no.  75  und  83  (so- 
wie 59)  vor  1575  nur  im  Ottscheii  liederbuch  bekannt;  no.  81 
ist  sonst  nur  in  einer  handschriftlichen,  no.  70  und  77  je  in 
einer  gedruckten  quelle  vor  1575  überliefert.  Fischart  stimmt 
im  Wortlaut  mit  den  121  liedern  fast  genau  überein  im  sieben- 
strophigen  liede  no.  81,  in  der  Strophe  no.  82  und  in  der  ersten 
Strophe  von  no.  70;  die  kleinen  stücke  no.  75  und  78  (auch  59) 
entsprechen  in  Fischarts  fassungen  genau  den  Ottschen.  Nur 
das  umfängliche,  eintönige  und  höchst  unsinnige  quodlibet 
no.  77  hat  Fischart  sehr  frei  behandelt.  Fischarts  Überein- 
stimmungen mit  den  Ottschen  texten  sind  kaum  anders  zu 
erklären,  als  dass  ihm  bei  der  abfassung  des  8.  Gargan tua- 
capitels  diese  Sammlung  vorgelegen  habe. 

Bekanntschaft  Fischarts  mit  den  'Fünf  vnd  sechzig 
teütscher  Lieder',  Strassburg,  Schöffer  und  Apiarius,  ca.  1536, 
ist  möglich  bei  no.  85.  86.  87.    Nach  dieser  Sammlung  scheint 


längerer  lieder  zu  betrachten,  die  nicht  vollständig  abgedruckt  wurden, 
weil  sie  damals  allgemein  bekannt  waren.  Titel  der  gedruckten  Sammlungen 
bei  Goedeke,  Grundr.  2,  §  109.  110  und  Eitner,  Quellenlex. 


LXBDEBP0B8II   IM    G  LEG  \N  l  ITA. 

Fischart  z\wi  aus  dem  16.  Jahrhundert  sonst  nicht  vollständig 
aberlieferte  gediente  eitiert   za  haben,    vgl  do.  98  und 
bowo]  Im  i  als  im  Liederbuch  anmittelbar  darauf  folgende 

li.-.I  um.  99. 

i..  Porsters  Teutsche  Liedlein  in  fünf  teilen  1539     1556 

(Braunes  Neudrucke  na  203    206)   halte   ich   nicht    tili-   eine 

directe  quelle  für  den  Qarg.    Es  finden  sich  allerdings  für 

ein--  anzahl  der  von  Fischart  angeführten  Lieder  belege  Bchon 

orster  i,  aber  engere  beziehungen  Fischarts  zu  den  I 

ii  liedertexten  habe  ich  nicht  constatieren  können.3) 

Wolfgang  Schmeltzeis  Quodlibetsammlung  70m  jähre 
l.")ii  enthält  fetzen  von  vielen  Liedern,  die  im  Qarg.  vor- 
kommen, aber  Fis<  hart  scheint  aus  diesem  werke  nichts  ent- 
lehnt zu  haben.    Das  Lange  Quodlibet  von  löffeln  do.  77  wird 

hart  nicht  bei  Schmeltzel,  sondern  in  den  121  Liedern 
dl.  Ott)  L534  gekannt  haben. 

Ich  bezweifle  nicht,  dass  Fischart  Seb.  Ochsenkhnns 
Tabulaturbuch  auff  die  Lauten,  Heidelbe]  innl  hat, 

en  der  auffalligen  Übereinstimmungen,  die  Beine  gereimte 
einleitung  (Lob  der  Laute)  zu  Jobins  Lautenbuch  I  1572  an 
einigen  stellen  mit  der  vorrede  Ochsenkhans  zeigt  Ochsen- 
Urans  tabulaturbuch  ist  wahrscheinlich  als  quelle  für  zwei 
Lieder  des  Qarg.  zu  betrachten:  do.32  ist  vor  K»7.">  ausser  bei 
OchsenkhuD  nur  in  einer  anderen  quelle  überliefert;  auf  dem 

enden  blatte  des  Garg.  1">7.">  teilt    Fischart   mehr 
hälfte  eines  liedes  mit.  das  Bonst  nur  bei  Ochsenkhun  erhalten 
ist,  uo.  17. 

Der  berühmte  Orlandus  <li  Lassus  (di  I  von  L562 

an  erster  capellmeister  in  München,  dürfte  Fischart  als  com- 

»i    Vgl.    : 

anderen  (feilen  citieii  Fiacharl  stellen  der  lii  die  in  den  im 

UTollftXndig«  q  I  l  Im 

(jn<"!  tii.ilt  kleine  bi  einigen  li< 

<li<'  im  i  ■  •••ii  und. 

'i    I  Inland    Ii.it    in 

.:••  trinklieder  d 
I N  i  iwei  r  linder  btf  kam    'in  i  Bbnea  f  iir  -li«-  I 

der  rrnnkenen    in  nennen   da  ■    .   len  fünfzig  aud  mehr  liedern  im  i 

tel  (darnnU  üi<  he  Irin] 

t'ur  nur  etwn  ein  D&lbea  'lut/  LlL 


410  Williams 

ponist  bekannt  gewesen  sein.1)  Fischart  dachte  wol  an  ihn, 
als  er  1582  Garg.  277  'die  Baierisch  Capell'  erwähnte.  Dass 
er  aber  etwa  di  Lassus'  texte  für  den  Garg.  benutzt  habe, 
lässt  sich  nicht  erweisen.  Für  no.  66  ist  meiner  ansieht  nach 
nicht  di  Lassus,  sondern  Scandellus  die  quelle  Fischarts. 

Eine  unmittelbare  quelle  für  Garg.  cap.  8  ist  die  zuerst 
1570  in  Dresden  erschienene  Sammlung  des  sächsischen  capell- 
meisters  Antonius  Scandellus:  Nawe  vnd  lustige  Weltliche 
Deudsche  Liedlein  mit  Vier,  Fünft  vnd  Sechs  Stimmen  (inhalt 
bei  Goedeke  2,  45). 

Die  hier  in  betracht  kommenden  lieder  sind: 

No.  60,     Scandellus  no.  3 :  Man  sagt  wol  in  dem  meyen. 

„    61,  „  „     2:  Den  liebsten  bulen  den  ich  hab. 

„    62,  „  „9:  Guts  muts  wollen  wir  sein. 

„    64,  „  „  10:  Wer  hie  mit  mir  wil  frölich  sein. 

„    66,  „  „  11:  Ein  guter  wein  ist  lobenswert. 

„    68,  „  „  14:  Ein  henlein  weis. 

„  108,  „/  „  20:  Bistu  der  Hensel  schütze. 

„    76,  „  „  19:  Der  wein  der  schmeckt  mir. 

Zu  den  einzelnen  lieder n  vgl.  unten  im  II.  teil. 

Alle  diese  lieder  ausser  no.  76  erscheinen  im  Garg.  voll- 
ständig und  mit  wenigen  abweichungen  von  den  Scandellus- 
schen  fassungen.  No.  60.  61.  62.  64.  68  sind  vor  1575  nur 
bei  Scandellus  bekannt  bez.  vollständig  erhalten.  Sieben  lieder 
(bez.  acht,  vgl.  no.  76;  weniger  wichtig  die  belege  bei  Scand. 
für  no.  57  und  120)  sind  Scandellus  und  Fischart  gemeinsam 
(die  Scandellussche  Sammlung  enthält  nur  20  nummern);  sie 
finden  sich  alle  im  Garg.  1575  in  der  eisten  hälfte  des  8.  cap., 
und  fünf  derselben,  no.  61.  62.  64.  66.  68,  kommen  innerhalb 
einer  kaum  mehr  als  zwei  Seiten  des  neudrucks  umfassenden 
stelle  (s.  126 — 129)  vor.  Ferner  ist  sogar  eine  auffällige  Über- 
einstimmung mit  Scandellus  in  bezug  auf  die  reihenfolge  bei 
den  ersten  sechs  liedern  nicht  zu  verkennen  (vgl.  die  obige 
Zusammenstellung). 

Fischart  hat  einmal  den  namen  des  bayrischen  capell- 
meisters  Ivo  de  Vento  erwähnt,  1590  in  einem  fingierten  titel 


')  Drei  stücke  aus  di  Lassus  Liedern  mit  fünf  stimmen  I  1567.  1569 
finden  sich  in  bearbeitungen  für  die  laute  in  Jobins  Lautenbuch  I  1572, 
worin  Fischarts  Lob  der  laute  erschien.  Das  register  des  Lautenbuchs  nennt 
'Orland.'  als  componisten  derselben,  vgl.  Hauffen,  Fischarts  werke  1,  s.  LIX. 


LfBDBBPOBSlB    im    QABOAN1  i'A.  1 1  I 

di's  Catalogua  catalogorum. !)  DeVento  veröffentlichte  in  den 
jähren  1569  L578  sechs  Sammlungen  seiner  compositionen  mit 
deutschen  texten2);  von  diesen  hal  aber  nur  eine  für  den  Garg. 
wert:  die  Newen  tentschen  Lieder  mit  \  i«*i-  Btimmen,  München 
L571,  i">  Dummern.  Diese  Bammlung  ist  höchstwahrscheinlich 
Fischarts  quelle  für  no.  90.  '.»:;  und  123,  die  sonst  nicht  über- 
liefert sind.  Das  '.».stück  bei  de  Vento  ist  eine  dreistrophige 
gereimte  Fassung  des  schwankes,  auf  den  Bischart  Garg.  18 
anspielt:  'wie  die  Magd  deren  man  den  Dorn  außzog' 

Das  Frankfurter  liederbüchlein.  Das  älteste  erhaltene 
liederbuoh  der  Frankfurter  gruppe  mit  Jahreszahl  ist  das  bei 
Nie,  Basseus  in  Frankfurt  a.  M.  erschienene  Lieder  Büchlein 
(nur  texte)  aus  dem  jähre  1580  (s.  den  bibliogr.  anhang  unten). 
I  >i<  3e  reichhaltige,  wichtige  Sammlung  enthält  mehr  als  zwanzig 
der  im  Garg.  vertretenen  Lieder.  Es  handeil  sich  aber  East 
ausschliesslich  um  texte,  die  Bchon  Behr  verbreitet  waren  und 
meist  in  noch  alteren  tl.  1dl..  auch  aus  der  zeit  vor  L575,  er- 
halten sind.1»  Ich  halte  es  für  höchst  unwahrscheinlich,  dass 
eine  noch  ältere  ausgäbe  dieser  Lieder  >  etwa  Fischart  vor  «lern 
erscheinen  der  ersten  ausgäbe  des  Garg.  bekannt  gewesen  wäre. 
Für  den  Garg.  L582und  L590  hat  Fischart  diese  Lieder  sicher 
nicht  benutzt  Mit  verwanten  Bamminngen,  wie  dem  von 
ELWolkan,  Euphorion 6, 649 f f.  beschriebenen  Liederbuch  (vor 
L580?)  und  dem  Kölner  liederbüchlein  ca  L580 •)  zeigt  Fischart 
keine  engeren  beziehungen. 

B)   Flie  gende  blätter. 
Wenn  Fischart  an  einer  Btelle  von  'sauberen'  Liedern  Bpricht, 
'die  man  Bingl   \nd  getruckt  And1  (Garg. 84,  /.  h.  ist  wol  in 

Haufen,  ffl 

he  deke2,  t:  f. 

*>  VgLB  •  '■■  ndraeke),  bd.  8, 

4i   Au-ii.ilui..  ii   I,   mit.  ii   im    II    t.il   zu  im .  •_•  und    l"l. 

ii'  dem  titelblatl  d<  i  Liederbficbleii 
neuw  gemehret  mit  \il  schönen  Liedern,  die   In  des  endera  iutoi  eafl- 
ngenen   Drucken,  oichl  gefunden   wrerdi  geben  von  1676  und 

in  elten  Frankfurt« 
k  u  Qber  Lied  meist  eil  uuzuvt-rläesig. 

Lie  bibiiographie  nn( 

Beiträge  <ur  geschieh«  der  deutschen  «(>r<che 


412  WILLIAMS 

erster  linie  an  fliegende  drucke  zu  denken;  sicher  meint  er 
solche  Garg.  184:  'hansirer,  Zeitungsänger  vnd  sonst  Priffheffter, 
die  die  lider  auff  den  Hut  ...  stecken.'1) 

Mit  weniger  Sicherheit  als  bei  einigen  gedruckten  lieder- 
sammlungen  lässt  sich  feststellen,  ob  Fischart  bestimmte 
fliegende  drucke  gekannt  oder  benutzt  hat.  Die  Sonderdrucke 
mit  ihren  wenigen  texten  haben  seltener  als  gedruckte  Samm- 
lungen den  vorteil,  anhaltspunkte  für  einen  vergleich  der  grup- 
pierung  oder  anordnung  der  lieder  zu  geben. 

Fischarts  erwähnung  des  liedes  'die  zwölf f  Atzelmönch  im 
Keller'  (Garg.  33)  no.  9  enthält,  wie  Unland  gezeigt  hat2), 
eine  deutliche  anspielung  auf  den  titelholzschnitt  eines  einzel- 
druckes  von  diesem  liede,  welcher  zwei  Atzein  (elstern)  in 
kapuzen  darstellt.  Hans  Sachsens  schwank  'der  Pf  äff  im 
Federfaß'  (no.  8)  dürfte  Fischart  in  Sonderdrucken  bekannt 
gewesen  sein. 

Es  ist  anzunehmen,  dass  Fischart  die  mehrzahl  seiner 
lieder  und  reime  in  den  in  Strassburg  und  Basel  gesungenen 
fassungen  gekannt  hat.  Von  kleineren  stücken  und  einigen 
künstlichen  gesellschaftsliedern  abgesehen,  waren  diese  fas- 
sungen zum  grossen  teil  dort  auch  in  zahlreichen  flugblättern 
verbreitet,  wol  meist  aus  druckereien  jener  beiden  städte  stam- 
mend. Im  dritten  viertel  des  16.  Jahrhunderts  waren  in  Strass- 
burg besonders  Jak.  Frölich,  Thiebolt  Berger  und  Christian 
Müller  als  liederdrucker  tätig,  wie  aus  der  beträchtlichen 
anzahl  ihrer  noch  erhaltenen  blätter  zu  ersehen  ist.  In  Basel 
druckte  Sam.  Apiarius  von  der  mitte  der  sechziger  jähre  an. 
Liederheftchen  aus  Strassburger  und  Baseler  officinen  muss 
Fischart  vor  dem  erscheinen  des  Garg.  in  seiner  heimatstadt 
und  während  seines  Baseler  aufenthalts  gekannt  haben. 

Im  höchsten  grade  wahrscheinlich  ist  es,  dass  Fischart 
solche  fliegende  blätter  wenigstens  gekannt  hat  bei  no.  69.  18. 
13.  48.  52.  Auch  no.  1.  4.  11.  19.  26.  30.  50.  58.  84.  85.  100. 
127.  128  sind  noch  in  Baseler  und  Strassburger  Sonderdrucken, 
und  zwar  meist  in  ausgaben  aus  dem  dritten  viertel  des  16.  Jahr- 
hunderts, erhalten. 


J)  Siehe  auch  W.  Wackernagel,  J.  Fischart  v.  Strassburg  s.  24. 
2)  Schriften  4,  250  f. 


L.IEDEBP0E8IE    tu    G  \i:<;.\M  l\.  I  (3 

-  lieder  in  anderen  als  Strassbnrger  oder  Baseler  flug- 
blättem  Fischart  bekannl  waren,  isl  anch  möglich.   Nürnberger 
drucke  bieten  die  einzige  erhaltene  Fassung  von  ao.  10.  :'.l  and  97. 
ldi   fast     nun  die  ergebnisse  der  Untersuchung  aber  die 
tickten    quellen    der    Gargantualieder    kurz    zusammen. 
Fischarts  quelle  für  zwei  liedercitate  and  für  einen  volkstüm- 
lichen   reim    war   die    lateinische    scherzrede    I»«'   generibus 
ebriosorum.     Fischarl    hat    gedruckte   Liedersammlungen   un- 
mittelbar benutzt:  für  cap.  8  die  l-l  lieder  (Hans  Ott),  Nürn- 
berg 1584  und  die  1570  erschienene  ausgäbe  der  liedlein  von 
Anton.  Scandellus;    höchsl   wahrscheinlich  auch  die  65  lieder 
(Schöffer  und  Apiarius),  Strassburg  ca.  1536  und  EvodeVento, 
tentsche  Lieder,   München  l">71.   und  (für  cap.  h  8eb. 
Ochsenkhuns  Tabulaturbuch  aufi  die  Lauten,  Eeidelbe 
Er  hal   lieder  in  fliegenden  blättern  gekannt  (darunter  no.9, 
Biehe oben s.  L12).    Fürviele  Btellen  des Garg. bieten  fliegende 
bl&tter  besonders  Strassbnrger  und  Baseler  drucke  so  wichtige 
Helen,  dass  man  fast  zu  der  annähme  genötigt  wird,  Bolche 
quellen   hätten    Fischart    bei   der  aufzählnng  der  'sauberen1 
Lieder  im  l.  cap.  (no.  l     80)  und  auch  sonst  vorgelegen. 

g  10.  Der  Gargantua  als  Liederquelle. 
i  die  zahl  der  darin  vertretenen  lieder  betrifft,  steht 
der  Garg.  nicht  hinter  reichhaltigen  liederbüchern  des  16.  Jahr- 
hunderts wie  Otts  l-l  Liedern  und  dem  Lteil  der  I  theo 
liedlein  (130  nrn.)  zurück.  Die  mehrzahl  der  Lieder  ist  aber 
im  Garg.  nur  bruchstücksweise  vorhanden;  auch  Bind 
meisten  in  anderen  gewöhnlich  I              quellen  überliefert 

Nur  im  Garg.  bezeugt  Bind,  Boweit  mir  bekannt  ist,  na  7. 

ii-V  129.  l ■;-  (vielleicht  anch  54.  55.  117),  and  eine  an- 
/alil  Eragmente,  die  wahrscheinlich  zu  Bonsl  nicht  belegten 
Liedern  gehören:   na  ,    71. 

7."..  I  L37.    i  .  ist   ferner  die  hauptquelle  für 

ii".  ii:;  im,!  85.  Folgende  Lieder  Bind  im  Garg.  /war  zu 
belegt,  aber  in  anderen  quellen  besser  überliefert:  no.  2 
25 d  (refrain  I,  37.  i(|i :  \ ^r  1 .  anch  no. 

inderen  quellen  bietet  uns  also  der  Garg.  an 

■  unbekannten  wertvollen  Liedern  wohl  weniger,  als  man 
bisher  geglaubt  hat    [mmerhin  bleibt  I  -  roman  eine 


414  WILLIAMS 

quelle  für  deutsche  lieder  des  16.  Jahrhunderts,  die  der  forscher 
nicht  unberücksichtigt  lassen  darf. 

Vor  ca.  75  jähren  schrieb  ein  deutscher  gelehrter,1)  der 
sich  für  Fischart  und  die  alten  lieder  interessierte: 

„Wie  viele  Verluste  der  schönsten  Volkslieder  des  16.  Jahrhunderts 
haben  wir  schon  zu  beklagen  (man  sehe  nur  die  bruchstücke  in  Fischarts 
geschichtklitterung) ,  von  Volksliedern,  die  ihrem  inneren  werte  nach  die 
ganze  poetische  literatur  jenes  Jahrhunderts  aufwiegen  würde." 

Wir  freuen  uns,  dass  seitdem  ein  so  grosser  teil  auch  der 
schönsten  lieder  dieses  Jahrhunderts  in  alten  quellen  allgemein 
bekannt  geworden  und  jetzt  auf  bibliotheken  und  zum  teil  auch 
in  neudrucken  liederfreunden  und  -forschem  zugänglich  sind. 
Sonst  wäre  es  unmöglich,  nach  mehr  als  drei  Jahrhunderten 
uns  von  der  art  und  dem  wert  weitaus  der  meisten  lieder  in 
Fischarts  Gargantua  einen  genauen  begriff  zu  machen. 

II.   Besonderer  teil. 

Die  liedercitate  des  Gargantua. 
Im  nachfolgenden  sind  die  stellen  des  Garg.,  in  denen 
lieder  vertreten  sind,  fortlaufend  numeriert,  zunächst  die  der 
ausgäbe  1575,  dann  1582  und  1590.  P'ragmente,  die  zu  liedern 
gehören  können,  aber  weder  von  Fischart  deutlich  als  lieder 
angeführt  worden  noch  in  alten  liederquellen  besonders  des 
16.  Jahrhunderts  nachweisbar  sind,  habe  ich  mit  einem  der 
nummer  vorgesetzten  Sternchen  bezeichnet.  Voran  stehen  die 
anfange  der  lieder,  wenn  sicher  bezeugt;  diese  anfange  sollen 
in  bezug  auf  Wortlaut  oder  Orthographie  nicht  als  genaue 
widergabe  bestimmter  quellen  gelten.  Die  seite  der  Original- 
ausgaben des  Garg.  steht  in  eckigen  klammern  vor  den  ein- 
zelnen citaten;  unmittelbar  darauf  folgt  die  angäbe  der  seite 
und  zeile  des  neudrucks  von  Alsleben  (Braunes  Neudrucke 
no.  65 — 71).  Die  nachweise  gewähren  einen  überblick  über 
die  sonstige  Überlieferung  der  lieder. 


*)  Dr.  Hermann  Leyser  aus  Leipzig  in  Mones  anzeiger  4  (1835),  122. 
Unland  verdankte  ihm  einige  abschriften  älterer  lieder  für  seine  Sammlung. 
Leysers  nachlass  auf  der  universitäts-bibl.  Leipzig  (ms.  0603  e)  enthält  eine 
liste  von  stellen  aus  dem  Garg.  (ausg.  1608),  in  denen  seiner  meinung  nach 
lieder  vertreten  sind.  Seine  Zusammenstellung  hat  keinen  wert,  da  ihm 
nur  sehr  wenige  liederquellen  des  16.  Jahrhunderts  zugänglich  waren. 


LIBDEBP0B8IE    im    G  LR0AHTÜ1.  4  15 

Ausgabe  1575.    So.  1—195. 

I.  Zu  Co8tnitz  saD  ein  kanffmanrj  reich. 
[Biij*    Neudr.  88,  z.  9  v.u.:  0  Badgestrigeiter Doetor  von Costen». 

Der  gereimte  schwank   'genanl   der  Striegel1   war  im   16.  |fc 
■  itet    Am  dies«  lichte  spielt  Fiscbarl  auch  Bonst  an:    Eulen- 

Bpiegel  reimensweiss,   hsg.  von  Hanffen  b.  332,  7.9419  (zi 
'Ich  geh,  eh  man  mich  nackenl  Striegel'  and  Qarg.  1575,  Fiij    Neudr.89, 
».21:   '(man  g  jm  Dil  wie . . .)  dem  Domherren  mit  dem  Strigel.' 

Siebzehnstrophige  Fassungen  des  gedichtet?.  Abdruck  in  verkürzter 
form:  Wunderhorn  3,  99 ff.  ed.  Grisebacfa  -  716,  vgl.  F.  RJeser,  Wunderb. 
d.  seine  quellen,  Dortmund  L908,  b.  116;  Böhme  no.  97,  Erk-Böhmeno  I 
Fl.  1)11.:  o.j.,  Nürnb.,  Val.  Nenber,  im  Vatican  (Stevenson,  [nventario  [12, 
no.2767pp.);  Bern,  Sam.  Apiarius  1563,  in  Basel,  Sar.  151,  no.  43,  andere 
ausg.  in  Tübingen,  Dhlands  sammelband  b.  371ff.  Liederb.  1650  II.  no. 98 
(Kopp,  Zs.  fdph.  89, 217).  Weitere  nachweise  bei  Bolte,  Val.  Schumanns 
Nachtbüchlein,  Stuttg.  lit.  ver.  uo.  197)  anm.  b.  412f.  Mit  24  atrophen: 
H.  I»l.  c,  j  ,  Lugsb.,  Val.  Schönigk,  in  Zürich  Gel  Will.  2016,  no.9  (abdruch 
Birlinger  u.  Crecelius,  Wunderh.  2,  134  ff.) ;  Jaufner  liederhs.,  anfang  17.  jh., 
hsg.  v.  Waldberg,  Neue  Heidelberger  Jahrbücher  8,  298  800  mit  nach- 
weisen. Prosafassung  auch  in  der  Zimmerischen  chronik,  ed.  Barack 
2.  sufl.  2,  ish". 

2,    I  >er  müller  anff  der  NidermüL 

Biij     Neudr.  b.  33,  z. 9  v.  it.:  die  Müllerin  auff  der  Niden 
iivj      Neudr.  &  108,  z.  17  t:   da  wiget  sie  das  Kind  ... 
alk  ine,  alteine. 
erste  stelle  enthäll  etwas  geändert  den  anfang  des  liedes,  die 
sweite  den  schlnss  der  8.  str.       Frankf.  liederbüchl.  1580  u.  1584  gleich 
1582  \.  ii".  II"'.   vgl.  Dhland  no.  155;  entspr.   Kölner  ib.  ca.  1580,   no.  6, 
Erfurter  Ib.  no.  116.    Vgl.  noch  Bergliederbücbi  1700/1710 
von  Kopp,  -  LOS,  no.  187,  str.  I.  vers8:  'Dort  sitzt  meine  Kutter  und 
t  das  Kind." 

.:.    Wend  jr  boren  Bingen,  ich  Bing. 
fHiij'    Nendr.  b.  88,  z.  8  v.u.:  der  hdbereack. 
Fiscbarl  meint  höchstwahrscheinlich  das  lii 
[Ij    Wend  jr  bOren  singen  \2\    Dai  Frewlln  das  was  in 

ich  mit  k  in'  n  Worten  klug, 

von  einem  feinen  Frewelin,  wie  I  un  den  hal 

\\ ii  [eng  vipI  zu  Mir  mfllc  trag 

■    -  genant  d<  r  habersack,  Kuller  mein 

inen  guten  morgen  den  haben  soll  da  malen 

vnd  einen  guten  I  durch  den  willen  mein, 

dein  vnd  mein,  vnd  sJm r  dein 
der  ich  hi  11  versöhn 


416  WILLIAMS 

[3]    Der  Müller  nam  den  Habern  Got  geh  ihr  einen  guten  morgen 

vnd  schutt  jn  auff  die  rell  vnnd  einen  guten  tag 

.  er  kund  den  nyn  genialen  tag  vnd  tag  vnd  aber  tag 

es  was  sein  vngefell  bey  der  ich  hinacht  lag. 
er  malt  die  nacht  biß  an  den  tag 

Gott  geb  jr  einen  guten  morgen  [5]    Das  bort  des  Müllers  knechte, 

vnd  einen  guten  tag  in  seinem  kämmerlein 

tag  vnd  tag  vnd  aber  tag  er  gedacht  in  seinem  sinne 

bey  der  ich  heynecht  lag.  es  w^r  ein  Frewlein  fein, 

es   wer   ein   frewlein  minnigk- 

[4]    Der  Müller  nam  die  hosen  r,-  - 

er  streyffts  an  seine  beyn  wdt  ^  golt  k]l  gye  gchawen 

er  gieg  die  gassen  auff  vnd  ab,  dnrch  den  wiUen  mein 

er  sang  ein  Liedlein  kleyn  dein  unfl  mei      ynd  aber  mein 

er  sang  ein  Liedlein  vom  Haber-  eg  goU  verschwy  en  sein. 

[sack 
Hier  nach  Berliner  ms.  germ.  quart.  709,  no.  28,  abschritt  (in  der 
hand  Wilh.  Grimms)  eines  wol  verschollenen  fl.  bl.  o.  o.  u.  j.,  16.  jh.  Wol 
dasselbe  fl.  bl.  war  den  herausgebern  des  Wuuderhorns  bekannt  (2,  392,  ed. 
Grisebach  s.  605)  aber  bei  der  aufnähme  des  liedes  änderten  sie  etwas  den 
Wortlaut,  vgl.  K.  Bode,  Die  bearbeitung  der  vorlagen  im  Wunderhorn, 
Berliner  diss.  1908,  s.  33 ;  Rieser,  Wunderh.  u.  seine  quellen,  Dortmund  1908, 
s.  442  f.,  dazu  Bode,  Anz.  fda.  32,313.  —  Vgl.  meine  nachweise  zu  no.  20 
unten. 

4.   Ich  weiß  (mir)  ein  stoltze  müllerin,  sie  däucht  sich 
hübsch  vnd  klug-. 
[Biija]  Neudr.  s.  33,  z.  8  v.  u. :  der  Thumherr  mit  der  Fraiv  Eselerin. 
[Biijb]    Neudr.  s.  35,   z.  2  f.:    ...  auff  dem  Land  weder  die 
Müllerin  noch  die  Eselerin  sicher  sind. 

Fischart  meint  hier  einen  im  16.  jh.  sehr  verbreiteten  gereimten 
schwank.  Eine  anspielung  auf  dieselbe  geschichte  sonst  im  Garg.  1575, 
Mviija,  Neudr.  s.  187,  z.  24:  '(möckt  einer  .  .  .  ansehen)  .  .  .  die  Eselin  für 
Frau  Müllerin'  ['Müllerin'  stand  schon  in  der  ausg.  von  1575]. 

Früheste  gereimte  fassung,  23  Str.,  hs.  Karlsruhe,  Keller -Sievers, 
Verz.  altd.  hss.,  Tübingen  1890  s.  42,  abdruck  Mone,  Anzeiger  7  (1838), 
sp.  67 — 71.  —  Die  gewöhnliche  26str.  fassung.  Abdruck:  1582  A,  no.  220, 
vgl.  Böhme,  Altd.  Ib.  no.  44,  Erk-Böhme  no.  155.  Nachweise:  Gassen- 
hawer  u.  Reutterliedl.  o.  j.,  no.  15  u.  Graßliedlin  o.  j.,  no.  4,  in  beiden  im 
Altus  str.  1 ;  115  liedlein  1544,  no.  58  der  lieder  mit  4  stim.  str.  1 ;  Mel.  u. 
str.  1,  Baseler  hs.  Fx  5 — 9,  no.  10  u.  35  (Richter,  Katalog  s.  55.  57) ;  fl.  bl. 
o.  j.,  Strassb.,  Jac.  Frölicb,  26  str.  (Abschrift  Berlin  mgq.  709,  no.  30);  Job. 
Steurlein,  Gesänge  1575,  no.  8,  str.  1 ;  Frankf.  liederbüchl.  1580.  1584,  no.  220 
gleich  1582  A;  fl.  Bl.  o.  o.  u.  j.,  Brit.  mus.,  11515,  a  51  no.  9;  Niederd.  liederb. 
anfang  17.  jh.,  vgl.  Kopp,  Jahrb.  f.  niederd.  spracht  26,  47 f.  —  Am  Schlüsse 
v.  cap.  105  der  gartengesellschaft  II  ('  Von  einer  müllerin,  wie  sie  ein  thüm- 


LIBDBBP0B81I   IM   OABGANI  DA  1  17 

heiren  betrog',  Stnttg.  lit.  ver.  no.  217,  «.40  stehl  die  bemerknng, 

«las  Lied  sei  'tob  diser  geschieht  gemacht'.    Vgl.  ferner  rlirchhof,  Wend- 
uniniit  l\'.  do  246  Mit.  v.r.  qo.97,  b.  221  Noch   1646   parodiert, 

Werlina  he,  Manchen  b.  392  eine  Btr     Vgl.  WJL  1.  do.  231. 

5.    Bin  mttller  isl  gesessen  zu  Basel  an  dem  Rhein. 
[Biij"    Neudr.  b.  83,  z.  7  v.u.:  Die  bricht  der  Baselerischen 

Malierin. 

In  erhaltenen  einzeldrncken  <los  lt;.  jli.'s   hat  «las  lied  17  Btr.,  vgL 

A um.  zu  Val.  Schnmanni  NachthOchlein  (1559)  I   no.  in,  Stnttg.  lit. 

ver.  no.  L97,  ■.  392;  so  aneb  fl.  bL  o.  o.  u.  j.  im  Vatican  (Stereneon,  [nventario 

II  1.  do.  2390 ü).    L4 atroph.  faasnng:    Frankf.  Liederbüchl  1580.  L584,   vgl. 

1582  A.  do.  221. 

<>.    Y>  hieng  ein  Stallknecht  seinen  zäum. 
Biij"    Neudr.  s.83,  z. 6  v.u.:  wir  beide  fahren  weil  vberden  l 

rte  finden  sieh  in  str.  2  u.  :\  des  reiterliedes,  in  welchem 
auch  die  bekannten  Strophen  vom  'dannenbenmelein'  vorkommen.  —  Ab- 
drnck:  1582  A,  no.  121,  vgl.  übland  no.  L51,  Böhme,  Lb.  no.  433.  Nach- 
:  Fl.  hl.  o.  j..  Nttrnb.,  Fr.  Gutknecht,  13  str.,  in  Berlin  5Te470,  andere 
fe  171.472.  Frankf.  liederbüchl.  1580.  1584,  do.  121  n.  Erfurter  Ib.  no.  122 
gleich  L582  \.  121;  Kölner  liederbüchl.  ca.  1580,  do.  53  in  I2str.,  <  nt>]>r. 
1582  B,  do.  51.  VgL  Bergliederbüchl.  1700/1710,  heg.  von  Kopp  s.  64,  d 
'...wir  beyde  wir  fahren  wohl  über  den  Rhein.' 

7.  [Biij  j    Neudr.  &  38,  z.6  v.u.:   treieehen  Nonnen,  vier- 
tgehen Kinder. 

Das  hier  gemeinte  lied  ist  wo]  verschollen. 

s.    Börl  wie  vor  langer  Zeit.    (Hans  Sachs.) 
[Biij*]  Neudr.  s.38,  /.  5  v.u.:  der  Pfaff  im  Federfaß. 

Ohne  sweifel  hat  Fischer!  hier  im  sinne  das25.  april  1531  gedichtete 
meisterlied  von  Bans  Sachs,  vgl.  Bolte  zu  Val.  Bchnmanns  Nachtbüchlein 
(1559)11,  do.  25,  Stnttg.  lit  ver.  do.  197,  -  874    ::77  u.  anm.  1.4111;  Hans 

mtl.  fabeln  u   Bchwinke   (Bi 
Binseldnicke    Doch,  o  o   n.  j  :    im  V*a1  •  d,    [nventario   ll_. 

Miiii;  Weiler,  Annalen    '   ■  Britmns.  115  s  51,  na  n.       An« 

Bpielnngen  anf  dieselbe  geschieht«  Bonst  bei  Fiscl 
Nendj  Üler  Praktik  Grofisnutter  1574,  bL  Di 

man  dich  nicht  für  den  Pfafen  im  federfafi  an.' 

!».   ich  weiß  mir  einen  freien  holt 
[Biij*]  Neudr.  .-..">  \.u.  I      'manch  imKeüer. 

Das  15  strophig«   lied  isl  nach  Weller,   Lnnalen  1, 290,  no.  I 
undatierten  tl.  Ml.  des   I6.jh.'s  erhalten.    Abdrnek:    Unland  a< 


418  WILLIAMS 

10.  Ein  burger  ist  gesessen  zu  Thübing  in  der  stat. 
[Bii f]  Neudr.  s.  33,  z.  4  v.  u. :  der  Tübingisch  Mönch  im  Ofen. 

Das  hier  genieinte  lied  ist  erhalten  in  einem  Sonderdruck  o.  j.,  Nürnb., 
H.  Guldenmundt,  in  9  str.,  exemplare  in  Berlin,  Yd  7821,  no.  31  (einband 
v.j.  1539),  Weimar  u.  Zwickau;  abdruck:  Erk-Böhme  no.  152.  —  Dem  ge- 
dichte  zugrunde  liegt  eine  in  facetiensammlungen  erhaltene  geschichte, 
lit.  bei  A.  Wesselski,  H.  Bebeis  schwanke,  München  u.  Leipzig  1907,  bd.  2, 
s.  99  f. 

11.  So  wöl  wirs  (Was  wollen  wir)  aber  lieben  an  von  einem 

reichen  kargen  man. 
[Biija]  Neudr.  s.  33,  z.  3  v.  u.:  der  Better  heyaho. 
Abdruck  des  liedes,  worauf  hier  angespielt  wird:  1582  A,  no.  98,  Unland 
no.  285,  Böhme  Lb.  no.  46,  Erk-Böhme  no.  139a.  Quellenangaben  auch  bei 
Marriage,  Forster  Neudr.  s.  259 f.  zu  V  8.  Weitere  nachweise:  fl.  bl.  o.  j. 
(ca.  1564?)  Bern,  Sam.  Apiarius,  11  str.,  in  Basel,  Sar.  151,  no.  45.  Frankf. 
liederbüchl.  1580.  1584,  no.  98  u.  Erfurter  Ib.  no.  98  gleich  1582  A.  —  Zur 
11  strophigen  fassung  dieser  lieder  gehören  vielleicht  auch  die  verse:  Ich 
weiß  nicht  was  er  jr  verhieß  usw.,  und  ein  auch  im  Garg.  angeführter 
kehrreim,  s.  no.  78  unten.  —  Die  Zimmerische  chronik  (16.  jh.,  hsg.  v. 
Barack,  2.  aufl.  bd.  2,  111)  will  den  'bettler'  des  liedes  mit  einer  bestimmten 
persönlichkeit  identificiereu. 

12.   Wolt  jlir  hören  ein  newes  gedieht. 

[Biija]  Neudr.  s.33,  z.l— 3  v.u.:  der  Augspurgisch  Spinnen- 
stecher .  .  .  erwischt. 

Das  gedieht,  dessen  inhalt  Fischart  hier  in  kürze  angibt,  ist  in  mehreren 
flugblättern  aus  dem  16.  jh.  erhalten:  Nürnb.,  H.  Guldenmundt  o.  j.  (Böhme, 
Altd.  Ib.  s.  193 f.);  Nürnb.  Val.  Neuber  o.  j.,  in  Berlin  Yd  9755  in  15  str., 
str.  1:  'Wolt  jhr  hören  ein  newes  Gedicht,  zu  Augßpurg  es  geschehen  ist, 
vonn  eines  Burgers  knechte,  sein  Herr  schickt  jhn  nach  Fischen  auß,  es 
geschach  jhm  eben  rechte.'  Ohne  ort  u.  j.:  Yd  9769;  fl.  bl.  im  Vatican 
(Stevenson,  Inventario  II  2,  no.  2814  bhh) ;  in  Wien  (Weller,  Annalen  2, 
s.  541).  17.  jh.:  Weller  1,  s.  288,  no.  520;  Brit.  mus.  11515  a  56,  no.  2. 
Vgl.  Böhme,  Altd.  Ib.  s.  127  'Schamperlieder'  27. 

13.  Es  wolt  gut  Jäger  jagen,  wolt  jagen  die  wilden  schweih. 

[Biija]  Neudr.  s.33,  z.  1  v.  u.  bis  s.  34,  z.  3:  Schlaf  Töch- 

terlin  .  .  .  ein  Gast. 

Aus  der  zeit  vor  1575  ist  die  einzige  erhaltene  quelle  ein  fl.  bl.  mit 

3  liedern,  Basel  bey  Sam.  Apiario  1568  (in  Unlands  sammelband,  uuiv.-bibl. 

Tübingen,    s.  363 ff.),    1.  lied:    'Es   wolt  gut  Jäger  jagen,  wolt  jagen  die 

wilden  Schwein  .  .  . '  10  str.    In  seinem  citat  verwendet  Fischart  teile  von 

Str.  4—6.  —  In   10  entspr.   str.   Frankf.   liederbüchl.   1580.  1584,   no.  112; 

entspr.  1582  A,  112  (Neuausg.  s.  124  abgedruckt),   Kölner  liederbüchl.  ca. 


LIEDBBP0R8IE   IM   G  IBGAHTUA.  1 19 

do  192  ii.  Erfurter  Ib.  do.  li::.    Eeidelberger  hi   pal.  848.  9  str., 
v.n  Kopp,  i.  L86.        Aehnlicher  Btoff:  Bergliederbüchl.  1  T<  >< »  171'  >  lug.  von 
Kopp,  -  L29f 

14.    Eins  morgens  im.  thal  ich  mich  zn  ... 
[Biij  |    Nendr.  b.  34,  z.  6    8:   Eins  morgens  ...  vns  hören,  etc. 

Fischart  citiert  einen  teil  der  l.  Btr.  Vgl.  Böhme,  Altd.  ll>.  b.  \-~. 
' Schamperlieder '  20.  Nachweise:  Einblattdruck  o.  o.  u.  j.  in  Berlin,  in 
Mgq.  718  (anfang  16.  jh.),  bl.  32b  eingeklebt:  Aiu  news  lied  ron  ainer  bauä 
maydt,  fünf  L2seiL  Btr.,  anfaog:  'Ains  morgens  frfl  thel  ich  michznainer 
banfi  mayd  Bchone,  Bcbmnckt  sy  zu  mir  was  Bchaffenl  ir,  hört  auff  vnd 
tond  darvone,  vnd  lond  micb  keren,  man  möcht  raus  hören  ...';  Genn. 
um-  um.  Val.  Holla  h<.  bl.  ISO1 .  vgl.  Keib  Vera.  altd.  hsa  .  Tübingen 

-.  131;  il.  lil.  o.o.  u.  j.  in  Berlin,  rd7821,  oo.  17.  5str.;  tl.  bl.  o.  j., 
Nürnb.,  K.  Hergotin,  Yd  7821,  no.  27,  5str.;  Baseler  hs.  l'\'Ji,  bL85  in 
8 str.  (Bichter,  Kat.s.65);  Schmeltael  1544,  do. 20  II.  der  erste 

15.    Wach  auff  mein  hört 
[Biij'    Neudr.  B.  84,  z. (.»:  Junger  Knab,  nun  eihe  dich  ab. 

Der  anfang  der  5  str.  eines  im  16.  jh.  beliebten  tageliedes. —  Lit.  bei 
Kopp,  Archiv  i.  neuere  spr.  111, 271  a,  Harriage,  Porster  Neudr.  b.  242. 
Vgl.  II.  Baumer,  Untersuchungen  aber  die  Bergreihen,  '!i.-~.  Jens  Li 

:.  auch  mit  abdruck  noch  Berliner  H.  bl.  Vd  7801,  no.  67.  Weitere 
nachweise:    Berckreyen  1674  (Val.  Purman  I>.  do. 38  in  s-tr.:  Liederb.  im 

■   l;.  Wolkans  (Euphorion  6,651  l;    Frankf.  LiederbfichL  1580  n. 
im.  ■_>:;  u.  202  gleich   1582  A;   Kölner  liederbüchl.  gleich 

1582  B,  ii".  162,  A  202.    In  demselben  tone  wurden  andere,  auch  geistliche, 
Lieder 

U\.    LDs  fischt  ein  Erei  trau  fischerin. 
[Biij*]  Neudr.  -  34  unten,  var.  L:  es  fischt  ...  das  u 

;.irt   i-iti.-rt   die   beiden  anfang  und  fügt 

parapbrasierte  seilen  hinzu.    In  den  spaten  i  I  nur 

« l  i  *  -  erste  seile        Weller,  Annalen  1,282  no.  163  u.  Kaltsahni  I 

seichnen  einen  druck  von  zw.  i  liedern,  A 

ifangt  n .  liicnt 

bei    Fischart.     abdruck    Dach  anderen  quellen:    Wacl  Das  il'-nt . 

kirehenlied  1841    -  Lltd.  Ib.  n  1  r<  r.  I 

künde  12,108  mir   aachv  ■  hmeltsel  1544,  ii".  7  fragm.  im   Altus: 

[ch  weifl  ein  hfipscbe   i  herin,  'Ii.-  für  wol  rber  des 

auch  Well 

17.     Biij*    Neu  lr.  -  2 — 14:  um 

ich  nicht  schlieft  Aermet 

inlich  aus   dem   Li«  ur   wölb 

Böhme,  altd,  Lb   d     i  12,  str.  4     V 


420 


WILLIAMS 


18.  Es  wolt  ein  Jäger  jagen,  es  ward  .  . . 
[Biif]  Neudr.  s.  34,  z.  14—17 :  Es  wolt  .  .  .  roten  Mund,  etc. 
Fischart  scheint  ein  lied  im  sinne  zu  hahen,  das  in  zwei  vor  1575 
aus  seiner  gegend  stammenden  fl.  bll.  erhalten  ist.  Er  verwendet  hier  den 
anfang  u.  die  7.  str.  Drei  lieder,  Basel  bey  Sara.  Apiario  1568  (in  Unlands 
sammelband  s.  363 ff.,  Tübingen,  univ.-bibl.),  zweites  lied,  in  11  Str.: 
[1]     Es  wolt  ein  Jeger  jagen,  er  fürt  sie  an  ein  ende, 

es  ward  jm  vil  zu  spat,  juheya-  da  er  ein  Bettlin  fandt. 

[maho,  [-7]      gje  lagen  bey  einander, 

was  begegnet  jm  auff  der  hey den,  biß  auff  die  dritte  stundt, 


ein  Jungfröwlin  an  freyer  straß. 
[2]      Jungfraw  wolt  jr  reytteu, 
ich  setz  euch  wol  vff  mein  rofß, 
[juheyamaho, 
ich  will  euch  mit  mir  füren, 
gehn  Wallenstein  auff  das  Schloß. 
[3]      Da  er  nun  gehn  Wallenstein 
[kam, 
wol  vnder  das  hohe  hauß, 

[juheyamaho, 

da  luget  sich  der  Graff  Ludwig, 

an  einer  zynnen  herauß. 

[4]      Biß  Gottwillkum  mein  Jeger, 

du  liebster  Jeger  mein,  juheya- 

[maho, 
hast  du  das  thierlin  gefangen, 
so  für  es  da  zu  mir  hereyn. 
[5]      Ja  ich  habs  gefangen, 
das  liebste  thierlin  mein, 

[juheyamaho, 
schleuß  mirs  inn  deine  kamer, 
vnd  halt  mirs  hüpsch  vnd  fein. 
[5]      Er  nam  sie  bey  der  hende, 
bey  jhr  schnee  weiffen  handt, 
[jnheyamaho, 


[juheyamaho , 
keer  dich  schons  lieb  herumme, 
beut  mir  deinen  roten  mundt. 
[8]      Ich  keer  mich  nit  herume, 
du  fürst  mich  dann  widerurab 

[heim,  juheiamaho, 
zu  meiner  lieben  gespilen, 
die  ließ  ich  doch  nechten  allein. 
[9]      Er  nam  sie  bey  der  hende, 
er  fürt  sie  wol  vnder  das  thor, 
[juheiamaho , 
das  engelein  sprang  von  dannen, 
was  eben  als  frisch  als  vor. 
[10]      Der  vns  das  Liedlin  new  ge- 
lang, 
von  newen  gesungen  hat, 

[juheiamaho , 
das  hat  gethon  ein  Jeger, 
Gott  geh  jm  ein  fein  gut  jar. 
[11]      Er  hats  gar  wol  gesungen, 
auß  frischem  freyem  müt, 

[juheyamaho , 
er  ist  wol  innen  worden, 
wie    scheiden   von    der   liebe 
[thüt. 


Entsprechend  fl.  bl.  0.  j.  (ca.  1570?)  Strassb.,  Thieb.  Berger,  Ublands 
sammelband  s.  427  ff.  —  Aehnliche  fassung  bei  Böhme  Ib.  110.  436  B.  Lit. 
über  verwandte  lieder,  Marriage,  Forster  Neudr.  s.  228  f.  u.  257. 

19.  Ich  ritt  einmal  zu  Braimschweig  auß,  da  sah  ein  megdlein... 

[Biija]  Neudr.  s.  34,  z.  17 f.:  Vnd  hat  dich  dann  der  Hund 
gebissen,  vnd  hat  dich  doch  nicht  gar  gerissen,  etc. 

Sehr  interessant  ist  die  mitteilung  angeblich  'Ex.  MSS.'  (16.  jh.)  über 
dasselbe  fragment  bei  Ign.  Gropp,  Wirtzb.  chronick  1  (1748),  256  citiert 


UEDBRPORBH   im   G  LBG  anti'a.  L2  I 

von  R.  Hildebrand,  Materialien,  Leipzig  I     Die  beiden  verse  finden 

Mich  seit   der  mitte  des  16.  jh.'s  in  den  sehn-  bezw.  nennzebnstrophigen 
fassnngen  eines  vielverbreiteten  liedes,  abdrucfe  1582  A,  do.  148,  yj\ 

Nachweise  bei  Kopp,  Archiv  f.  nenere  Bpr.  111,  b.  24.    Weitere  belege: 
fl.bl.  o.  <>.  u.  j.  im  Vatican,  tOstr.  .  [nventario  II 'J.  no.2312iii). 

Zwei  tl.  1)11.  in  Unlands  sammelband :  -  ,  Thieb.  Berger,  o.  j., 

tOstr.;  i.  897ff.,  o.  o.  u.  j .  9str.  Frankf.  liederbüchl.  I580n.  1584,  oo.  L48, 
EOlner  Liederbüchl.  uo.  18        1582  B  18,  in  allem  gleich  l" 

14R    [liederb.  L650  II.  no.72  (Kopp,  Zs.  fdph.  39, 215). 

20.    Es  wolmt  ein  m&ller  7or  jenem  holtz. 
[Biij*]  Neudr.  s.84,  /..  L9  -22:  Es  wohnt.,  der  Hahn-  im 
(Vgl.  Neudr.  s.  263f.  unter  den  spielen:  'Der  Haber  im  Sack', 
'Im  sach  verbergen*,   Rausch,  Spielverzeichnis  -  i 

Aus  dem   li'>.  jh.  kenne  ich  nur  das  verwante  angeblich  1573 
seichnete  lied  der  Baseler  ha.  mns.  V.  z.  21,  bl.  99:    Ein  Bchon  \ 
las  ein  Hfiller  in  einem  tich,  abgedr.  (ohne  anfangsstr.  a.  Kehrreim  d( 
bei   Bartsch,   Beitr.  zur  Quellenkunde  der  altd.  lit..  Sü 
b.  anch  J.  Richter,    Katalog  der  mnsiksamml.  der  nniv.-bibl.  Basel,  Leipzig 
Im  volksgi  18.  n.  19.  jh.'a  trifft  man  ähnlichen  stoff, 

vgl.  Erk- Böhme  l.  b.  480;   Köhler-Meier,  Volkslieder  v.  <L  Hose!  a 

'  zu  no.  !         "       ige,   Volks!  aus  d.  bad.  Pfalz  oo.  200.        M 

bach,  Nachlaes  do.  33,  b.  I3f.  *itiirt  eine  Btelle  ans  einer  refonnationaflng- 

t  v.j.  1580  and  <lrei  Btellen  ans  Murner,  die  Bich  anf  ein  lied  vom 

'habersack'  beziehen:  I)  Narrenbeschwörung  1512  (Braunes  Neudrucke  119 

124,  b. 71  ichmal  1519,  bLkiiij;  3)  Von  <1.  gr.  luth.  Narren  L522 

il'nl.  17, -J   1.84).    VgL  ilas  Qargantuairagmenl  oben  uo.  3. 

21.    Brauns  meidlein  zeuch. 
[Biij    |   Neudr.  b.84,  z.22f.:    Brauns  ...  her  tu  mir,  etc. 

iart  citierl  ili«'  beiden  anfangsverse.        Fl.  BL  o.  j.,  Nfirnb.,  VaL 
Neuber,  8  itr.,  in  Berlin,  kgl.  bibl.,  Vd 

[1]    Brauns  sfeydtlein  seucb  dein  hemetlin  ul>,  vu  leg  dich  hersn  mir. 
ich  t'-il  mit  ilir  \\.i<  ich  vern  Itu  gelauben  mir.    AN  w.is  ich  hab 

so]  werden  dein,  ich  nedig  mein,  da 

Und  am  Bein,  •  lein. 

|2|    Brauns  Heydlein  hertzigs  kuserlein  mein,  dn  Edli  Kejserin,  meyn 

Ls(  gans  inn  trewen  dein,   Bthones  lieb  vernim  mein  »tim!>.  k«  r  dich 
zu  mir.  theyl  ich  mit  «lir,  Idi  seucb  mit  -lir  wol  auA  der  w<  il  der 

hell  der  mir  gefeit,  \  r  andern  fn 

[:i|    Brau  ein  holder    • 

mit  disem  Liedtlein  klein,   a  - 
gon  leb  ich  mit  mach1    i 

allen  ein  gut   DSM  bt, 


422  WILLIAMS 

Entsprechend:  fl.  bl.  o.j.,  Nürnb.,  Fr. Gutknecht  (im  Vatican,  Stevenson 
112,  no.  2332  dddd);  Berckreyen  (Val.  Furraan)  1574  n,  no.  30;  Paul  v.  d. 
Aelst,  Blumm  u.  Außbund  1602,  no.  124. 

22.    Es  gierig  ein  meidlein  des  abends  spat, 
[Biijb]  Neudr.  s.  34,  z.  12 — 14  v.u.:  Es  gieng  ein  Meidlein 
Abends  spat,  für  einen  jungen  Knaben,  etc.  des  war 
sie  fro,  er  rauscht  im  stro,  etc. 
Fl.  Bl.  o.  o.  u.  j.  (Strassb.,  3.  viertel  16.  jb.)  in  Basel,  univ.-bibl.,  Sar. 
151,  no.  35,  sieben  7zeil.  str.     Anfang:  'Es  gieng-  ein  Meydlin  des  abendts 
spat,   für  einen  jungen  Knaben,   mit  züchtigen  Worten  er  sye  bat,  das  sye 
jn  lieb  solt  haben  .  .  .'     Str.  4:  '.  .  .  Das  Meydtlin  sprach  .  .  .  kummend  bey 
nacht  zu  mir  auff  diellen,  der  Knab  war  der  antwort  fro,   er  kam  auff 
diellen  vnd  rauscht  im  stro,  sie  sprach  seine!  freündtlich  stille. '  —  Schmeltzel 
1544.  no.  7  im  bassus  fragm.  der  4.  u.  7.  str.:  Kumbt  des  nachts  vnd  rausch 
im  stro  thut  kurtze  pfenwert  machen. 

23.    [Biif]  Neudr.  s.  34,  z.  11/12  v.  u.: 
Der  Schwester  waren  trey, 
die  aller  jüngst,  die  vnder  jhn  war, 
die  ließ  den  Knaben  ein. 
Das  lied,  zu  dem  diese  str.  wahrscheinlich  gehört,   war  schon  damals 
sehr  zersungen.     Anfang  (16.  Jh.);  'Ich  gieng  wol  bei  der  nacht  (Ich  gieng 
bei  eitler  nacht) ,'  oder  '  Ich  fuhr  mich  vber  Rein '  oder  '  Es  saß  ein  eul  vnd 
spann.'    Vgl.  Kopp,  Zs.  d.  ver.  f.  Volkskunde  14,  64 — 71,    Archiv  f.  neuere 
spr.  117,  241  f. ;  Marriage,  Volksl.  aus  d.  bad.  Pfalz  s.  296  zu  no.  202. 

24.  Es  het  ein  Schwab  ein  töchterlein, 

es  wolt  nit  lenger  dienen. 

25.  Es  het  ein  Schwab  ein  töchterlein, 

es  wolt  nit  lenger  ein  meidlein  sein. 

[Biijb]  Es  hat  ein  Schwab  ein  Töchterlein, 
das  wolt  nit  länger  ein  Maidlein  sein, 
0  du  feins  meins  [1582 ff.:  mein  feines]  Elselein,  etc. 

Vgl.  d.  Neudr.  s.  34,  z.  9— 11  v.  u. 

Fragmente  aus  zwei  verschiedenen  liedern  mit  gleichem  anfang. 

(24).  '  Das  Elselein. '  Fl.  bl.  o.  o.  u.  j.,  15  str.  (in  Berlin  Yd  9531  u. 
Weimar):  'Es  het  ein  Schwab  ein  töchterlein,  es  wolt  nit  lenger  dienen', 
am  Schlüsse  jeder  str.:  '0  du  feynes  meyn  Elseleyn',  Abdruck  Unland 
no.257,  Böhme,  Ib.  no.  51 a.  Andere  quellen:  Reutterliedl.  1535,  no.  2  nur 
str.  1:  Gassenh.  u.  Reutterl.  o.  j.,  no.  53,  str.  1;  Gerle  1532.  1537,  bl.  Miiij a : 
'  Das  Elselein' ;  Heidelberger  cod.  pal.  343  (hsg.  von  Kopp,  s.  56 f.).  Niederd.: 
fl.  bl.  o.  j.  (Weller,  Annalen  1,  213  zu  no.  60);  Niederd.  liederb.,  vgl.  Kopp, 
Jb.  f.  ndd.  Sprachforschung  26,  40.     Niederländisch :    Antwerpener  Ib.  1544 


LIEDERPOEBlfl   IM   OAB01M  i  PA.  I-  I 

qo.  29  (Hoftm.  ▼.  Fallenleben,  ffor.belg.il).  Hierhergehören  auch  die 
lieder  im  Qeidelb.  cod.  paL  germ.  109  bl  L85b  und  in  den  115  liedlein  1544, 
ii".  (.")  der  lieder  mit   i  Mim   (Böhme  no  ->\   .  52). 

<^>.    Ein  anderer  text  mit  verschiedenen  refrains: 

a)  GraSliedl.  o.  j.  ao.  1  eine  Btr.  Alt us :  'Ei  hett  ein  Schwab  ein 
töchterlein,  dentelon  remi,  :  Es  wolt  oil  n  meydlin  sein, 
<lz  dentententelore  lasse  faremi  :|,  das  ilrntrh.iv  lasse  faremi.1 

b)  de  Vento,  Newe  tent.  lieder  mit  3  Btim.  1572  u.  ö.  no.  11  in  zwei 
teilen:  I.  'Es  hei  ein  Schwab  ein  töchterlein,  Annelein  butz  mirs  liecht... 
11.  Es  woll  nur  haben  einen  man,  Annelein  bntz  .  . .'  usw.  Oeber  diesen 
kehrreim  vgL  Kopp,  Archiv  f.  neuere  sprachen  117,  s.  242f. 

c)  Refrain:   'krause  mause  ..."  and  7  str.  im  Frankf.  liederbttchl. 
236  u.  Kölner  liederbttchL  ca.  1580  ao.  221  ;  1582  A  236  fehlt  str. :,. 

Vgl.  Kopp,  Archiv  117.  s.  250,  Zs.  fdph.  39,219. 

d)  Refrain:  'bey  nachte,  fein  Bachte,  halt  die  kanna,  schöne  bas  Anna, 
halt  die  kanna  feste.1  Abdr.  1582  A  287,  9  str.,  entspr.  Frankf,  liederbttchL 
1580  n.  L5  i  liederb.  ca.  1580  oo.  214.  VgL  Kopp,  Archiv 
f.  neuere  Bpr.  117,250.  Auf  diesen  refrain  spielt  Fischart  im  Garg.  r<7.~» 
Jijb  (Neudr.  s.  130)  an:  'bei  nachte,  bei  nachte,  halt  dich  Annale  feste.1 

26.  Es  stel  ein  lind  in  jenem  taJ  isl  obenbreil  vnd  ynden  schmal 
[Biijb]   Neudr.  b.  34,  /.  (.»f.  v.u.:   Es  steht  ...  schnell,  etc. 

is1  nichl  klar,  weshalb  Fischart  gerade  dieses  lied  unter  den 
'Geuchliedern1  anfuhrt,  —  die  texte  mi1  diesem  anfang  gehören  zn  den 
schönsten  and  anschuldigsten,  die  wir  aus  dem  16.  jh.  kennen.  1.  Das  lied 
bei  Unland  na  r>  A  kann  Fischart  bekannl  gewesen  sein,  eine  Strassburger 
fassung  etwa  v.J.  l  /»T< »  i>t  aoch  vorhanden  Ol.  M.  in  Unlands  Bammelband, 
facaimile  in  Könneckes  Bilderatlas  b.  163).    2.  ühland  no.  116,  nachhs.  v.  j. 

:  Kopp,  Euphorion  9,27—81.  8.  Dhland  ao.  27,  aus  dem  L6.jh. 
bänfig  belegt  Nur  die  anfangazeile  Btimmt  aber  zu  Fischarts  Fragment. 
Nachweise:  Marriage,  Föntet  Neudr.  b.  261. 

'2't.    Ea  hei  ein  meidlein  sein  schu  verloren. 
liii.i  ;   Neudr.  >.  34,  /.  7  t.  v.  u.:   Es  hett  .  .  .  finden,  etc. 

Die  beiden  anfangs!  ttebenstr.  fassung  auf  tl.  1>11.  d<>  IG.jh.'s: 

o.  j.,  Magdeburg,  Joachim  Waiden,  im  Vatikan  (8tevenson,  Enventario  Il'J 
oo.  2297M);  o. o. n.J.  In  Berlin  ?d7801,  no.  18,  5 

ii".  i  nur  («tr.  1    daraus  Böhm«  Böhme  no  L20e).    QeistL  om- 

dichtnng,  WK. ::.  no.  1 17. 

88,  irii  wt-iij  mir  ein  (stoltze)  müllerin,  ein  wunderschönes  weib. 
I'.iii      Neudr.  b.34,  e.6  v.u.:    Ich   weiß  mir  ein  stoU/n 

hrtn,   i)i>l  8üU   <rlt    I»  i    ff   mnUn,    etc. 
Dieses  lied  wurde  schon  in  l5.jh.voa  ffeinr.  von  Loafenberg  geistlich 
angedichtet,   vgL  WK.  2,  ao. 704.    Au-  den  16. ja.  scheinl  nur  die  i  -tr. 
liefert  in  sein,  121  lieder  1534,  ao.  16:  'Ich  weil  nur  ein  Malnerin,  du 


424  WILLIAMS 

wunder  schönes  weib,  in  allen  diesen  landen,  ein  hübsche  Mülnerin,  wolt 
Got  ich  solt  jr  malen,  mein  kornlein  zu  ir  tragen,  so  mal  ich  dirs  wen  ich 
mag.'  Forster  II,  no.  60  II:  'Vnd  solt  ich  bey  jr  malen';  dasselbe  fragm. 
bei  Schmeltzel  1544,  no.  7  im  bassus.  —  Seit  anfang  des  18.  jh.'s  neuere 
fassungen.  Bergliederbüchl.  1700/1710,  no.  127,  hsg.  von  Kupp,  s.  00  f.  (Böhme, 
Lb.  no.  43,  Erk-Bühme  no.  156a).  Vgl.  Köhler -Meier,  Volksl.  v.  d.  Mosel 
Saar,  s.  403  zu  no.  128;  Marriage,  Volksl.  aus  d.  bad.  Pfalz  no.  169. 

29.  Der  guckguck  auff  dem  zäune  saß, 

es  regnet  sehr  vrid  er  ward  naß. 
[Biif]  Neudr.  s.  34,  z.  3—5  v.  u.: 

Der  GurJcgauch  der  flog  binden  auß, 
ivol  für  der  Beckerin  Häuft, 
darinn  ein  Goldschmid  maußt. 
[Eija]  {Gut  hdnicke  vnder)  dem  zäune  sas, 
Es  regnet  sehr  vnd  es  ward  naß. 
(Vgl.  Neudr.   s.  70,   z.  18   und  no.  29.)     (Auch  im   Garg. 
1590  eine  anspielung  darauf,  s.  no.  139.) 

In  quellen  des  16.  jh.'s  sind  überhaupt  nur  dürftige  reste  des  liedes 
erhalten,  worauf  Fischart  an  diesen  stellen  anspielt.  Forster  II,  1540  u.  ö. 
no.  29,  drei  str.  (Neudr.  s.  91,  Lit.  s.  232).  Le  Maistre  1566  no.  90  fragmente: 
tenor  u.  alt,  d.  1.  vers,  bassus:  'Der  Guckguck  auff  dem  zäune  sas,  es 
regnet  sehr,  vnd  ward  nicht  naß.'  Vgl.  Erk-Böhme  no.  880 a  bis  881 a.  — 
Mehrere  neueren  fassungen  erwähnen  einen  goldschmied,  wie  schon  Fischart. 

30.  Wo  gehn  die  Bamberger  meidlein  hin. 

[Biijb]    Neudr.  s.  34,   z.  3  v.  u. :    Wa  gchn   die  Bamberger 
Meydlin  hin,  etc. 

Hans  Neusidler,  Lautenbüchlin  1544  I,  no.  7:  'Wo  gehnd  die  Bamberger 
Meidlein  hin,  wo  gehns  sie  hin  nach  gras ',  nur  so  viel  text.  Mich.  Lindener, 
Katzipori  1588  bl.  aiiija  citiert  str.  1:  'Wogehen  die  Bambergische  mägd- 
lein  hin  .  .  .'  vgl.  die  Neuausg.  Stuttg.  lit.  ver.  no.  163,  s.  183.  Mit  9  str. 
fl.  bl.  o.  j.,  Strassb.,  Thieb.  Berger  (in  Berlin  Yd  7850,  no.  20): 

'Wo  gehn  die  Bomberger  meigdlein  hin,  wo  gehn  sie  hin  ins  graß, 
sie  gehn  hin  in  die  mül  werd,  da  der  Ziegler  saß.  [2]  Da  spreit  er  seinen 
mantel,  in  das  grüne  graß,  kuffl  her  mein  feines  Appele,  ruh  ein  wenig 
baß.  [3]  Ach  Gott  was  soll  ich  rüwen,  mein  kelblein  hat  kein  graß,  ich 
hab  ein  zornigs  mütterlein,  schlecht  mich  alle  tag.  [4]  Hastu  ein  zornigs 
mütterlein,  bind  du  den  finger  zu,  sprich  hertze  liebe  mütter,  ich  kau  jhm 
nit  gethün,  [5]  Ihr  wolt  mich  lehren  liegen,  es  stünde  mir  vbel  au,  viel 
lieber  wolt  ich  sprechen,  der  Ziegler  wer  mein  mann.  [6]  Was  zog  er  aus 
der  deschen,  drey  gülden  waren  roth,  sehin  mein  feines  Appele,  kauft  dir 
wein  vnd  brot.  [7]  Wann  du  das  Gelt  verzehrest,  so  sprich  mir  freundt- 
lich  zu,  will  dir  ein  Daler  geben,  kauff  dir  nummen  gntig.'    (Str.  8:  Gar 


LtEDERPOBBtE    im    i;.\i;i:.\N"I  i'A.  125 

hoch  aiit't'  jhenem  bei  ihl  ein  mttlen  radl  ...  and  itr.9:  Dm  radt 

daa  i-t  Berbrochen  .  .  .  Bind  6 zeilige  Btr.,  die  nicht  zu  diesem  liede 

trgliederbUchl.  1700  17k>  heg.  *on  Kopp,  qo. 86,  b. 62f., 
i  Böhme,  Lb.  no.  st>i 

N  <  •  n  ■  1 1 .  3.  35,  z.3:  weder  du  Müllerin  noch  du  Eselerin  ... 

Vgl  ii".  4  oben. 

31.    Ich  sah  mir  ein  blauen  Storeken, 
[Hv''J   Neudr.  s.  38,  /..  1    v.u.:   in  einer  Wisen,  von  <i<><n 

das  blau  Storch  nlied  lautet 
A,ns  dem   16.  jh.  waren  BOhme  and  anderen  nur  awei  fragmentc  dea 
•  Blanstorchi  olied«  b  '  bekannt  (s.  BOhme,  Aldi.  Ib.  um.  87,  Erk-Böhme  no. 
l.  'Ich  sach  mir  ein  blonwen  Btorchen'   Überschrift  einer  melodie  in  einer 
Amerbachischen  ha.  oniv.-bibl.  Basel,   1  c.  21   (J.Bichter,  Katalog,  I. 

hart  v.  Straßsburg,  B  isel  1^74, 
er  \\  iffen,  es  isl  kein  storch,  i  b  i.-t 
mein  lieb'  als  Btr.  L3  des  tiedes:  Es  Bolt  ein  meidlein  frne  anff  stan,  I 
reihen  1531  a.  ö.  (hsg.  ?on  J.  Meier,  Brannea  Nendmcke  9  anch 

auf  tl.  bll.  erhalten.  Ich  teile  bier  die  1  strophige  faasnng  ein« 
der  mitte  des  16. jb.'a  Btammenden  ii  BL  mit:  Drey  Schone  Lieder,  Das 
<i-t.  Et  i-i  ein  Schnee  gefal-  Len  wen"  es  i-t  noch  nitzeit.  Das  ander,  Ich 
sali  mir  ein  blawen  Storeken  anff  einer  Hatten  gohn.  Das  dritt,  Straft* 
bnrg  Ich  mnft  dich  lallen.  Im  thon,  [ft- |brnck  ich  mnfi  dich  lalfen.  (Bild- 
chen. Ajoi  Schlüsse:)  Qedrnckt  an  Nürnberg,  dnrchFi  Qntknecht 
(o.  j.  i.t.  1550?  I  bll.  B°j  in  Rom,  Vatican,  Bammelband  mit  der  si^n.: 
itina   VI.  ■>[',   ii".  89,    vgL  Stevenson,    Inyentario    ?ol.  2,    pari 

'  Ein  ander  Lied. 

|1J     Idi  sah  mir  ein  blawen  StorckS  \\\\     \*rlaul»  hat  sie  mir  neben, 

anfl  einer  Matten  gohn.  ich  hoff  es  scy  mein  <  ilück. 

ich  meint  es  wer  mein  feines  Lieb,  Sie  wolt  mich  gern  fftren, 

so  betreoget  mich  der  Hon.  an  einem  Narren  Btrick. 

ii  jr  jmmer  danck,  Daa  sag  ich  jr  jmmer  recht, 

das  mc  mich  hat  betrof  sie  findl  wol  ein  Reichen, 

/.um  ersten  anefang.  ich  bini  ein  armer  knackt 

l-l      ()  trawre,   vl„r  trawnn.  [4]       |,j,   wil  .iull   i„„,.n  „„,,,.„ 

mochl  ich  Milch  »ein.  ,1,.  i,.h  Ilit  ,illir  7Jlllil. 

-b  -ch  doch  rerlora,  Vuf^hi  thut  mich  iwina 

den  all.r  liebsten  Bolen  mein.  ,i.u/u  ...  ,,il 

'*•"•  Hein  bah  Ich  g 

ich  wil  jetzt  trolich  Bein,  icl.  ..  Junck- 

ich  weiij  mir  ein  Bttdl  f  [fra- 

[Junckfrawe,  •  K,.\,  }T  ,.\n  ,,,„,.  N;ll.llt 

di-'  i>t   mir  lieber  'lann  »jfl 

r  da  anfang  zur  beeeichanng  det  Baelodie  einer  masmig  •!•  - 

v.iin  iclein',    - jm  tkOB   V,  ,.in- 


426  WILLIAMS 

fang:  'Ich  weiß  mir  ein  wunder  schöne  Magdt,  an  jres  Vatters  fenster 
stan  .  .  .'  11  str.)  auf  einem  fl.  tri.  o.  o.  u.  j.  16.  jh.  im  Vaticau,  Palatina 
VI.  54,  no.97  (Stevenson,  Inventario  II  2,  no.  2350xxxx).  —  Das  Blau- 
storcbenlied  wurde  im  17.  jh.  erwähnt,  vgl.  Fromans  Zs.  Die  deut.  rnund- 
arten  4  (1857),  95,  no.  68.  Die  anfangsverse  lebten  noch  im  19.  jh.  in  einem 
tanzliede  fort,  vgl.  A.  Birliuger,  Die  deut.  mundarten  5  (1858),  259 f.  u. 
Schwäbische  Volkslieder,  Freiburg  18G4,  no.  12.  Vgl.  Martin,  Literaturblatt 
1909,  s.  95. 

Neudr.  s.  57,  z.  C  f.,  vgl.  no.  57  unten. 

32.  Ein  abt,  den  wollen  wir  weihen. 
[Ea]  Neudr.  s.  69,  z.  14— 17:  Ein  AU  ...  Orden  hell 
Hier  str.  1  mit  den  beiden  letzten  versen  launig  verändert.  —  115  lied- 
lein 1541,  no.  23  der  lieder  mit  4  stim.,  4  str.  (bei  Böhme,  Lb.  no.  360. 
Heidelb.  cod.  pal.  germ.  318  (1544)  bl.  110a  nur  die  anfangszeile).  Ochsenkhun 
1558,  bl.  76 b  in  3  str.  (bei  Hoffmann,  Gesellschaftslieder  2.  aufl.  no.  387). 
M.  Schaerer  III  1602,  no.  2  wie  bei  Ochsenkhun. 

*33.  [Ea]  Neudr.  s.  69,  z.  17 — 19 :  Wolan  die  Hüner  gachsen 
viel  .  .  .  hören  mir. 

In  liederquellen  mir  unbekannt.  Vgl.  die  sprichwörtliche  redensart: 
'Der  die  eyer  wil  haben,  muß  das  gatzen  der  hennen  auch  leiden',  Seb. 
Frank,  Sprichwörter  I  1541,  bl.  14b. 

Neudr.  s.  69,  z.  20:  Ich  . . .  im  Luder.  Vgl.  Garg.  139,  z.  5 
und  no.  104  unten. 

34.   Eesch  vnd  behend  der  pfarherr  sprach. 
[Eab]  Neudr.  s.  69,  z.  21—  31 :  (Nun  resonet  in  laudibus  . . .) 

Meßner  rieht  .  .  .  Im  Kämmerlein. 
Fischart  bringt  hier  zwei  stellen  aus  dem  'Resonet  Papistisch',  einem 
spottlied  auf  die  pfaffen.  —  Abdruck  WK3,  no.  469  nach  fl.  bl.  o.  j.,  Basel, 
Rud.  Deck  (in  Berlin  Ye  3105),  mit  Fischart  vgl.  str.  1,  vers  3 — 12  u.  str.  3, 
vers  5 — 10 a.  Andere  fl.  bll.  Wackernagel,  Bibliogr.  no.  210.  211.  Frankf. 
liederbüchl.  1580  u.  1584,  entspr.  1582  A,  no.  144. 

35.    [EbJ   Neudr.  s.  69,  z.  33  bis  70,  z.  3: 
Ein  rickmeß  gick,  daß  gire  giregiclc, 
wol  von  dem  Pfaffen  von  Wisenthai  .  .  . 
der  Schreiber  was  ein  Mann, 
Er  gab  dem  Pfaffen  ein  päuderling, 
vnd  lieff  darmit  darvon. 
Von  dem  liede  vom  ' Pfaffen  von  Wisenthal'  scheinen  sonst  nur  zwei 
kleine  fragmente   erhalten  zu  sein:    1.  Reformationsflugschrift  1524  (nach 
Meusebach,  Nacblass  33,  s.  112 f.):  'Ju,  jw,  jw,  der  Schreiber  was  ein  man'; 


i.ii.in'.urui'.sir.   im   Gl  m;<; an  i  r  \.  1-7 

bi    Basel  (1. halft*  L6.jh.)  nach  Richter,  Katalog,  Leipi  ::i  ober- 

Bchrift:  'Der  Bchreibei  was  ein  man.'  i>  W.  Schmeltzel  1544,  QuodL  qo.7 
fragm.  im  altui:  'Er  gab  dem  pfaffen  ein  Bchwenderling,  damit  liefl  ex 
darnon,  des  giri  ^iii  gang.1 

36.    E  |  Neudr.  s.  70,  z.9:  Aha,  wer  de  Cctrtäuser  Orden, 
Ich  wer  längst  ein  Mönch  worden. 

Die»  raunen  in  einer  längeren  quodlibetartigen  stelle  in  /.n- 

sammenbang  mit  liederfragmenten  vor.    andere  belege  fehlen. 

37.    Proflciat  jhr  liebtMi  herren. 
El     Neudr.  8.70,  z.  10— 15:  Proficiat . . .  den  andern  griffen. 

Diese  stelle  enthält  str.  1.  IL Nensidler,  Lautenbuch  1574,  ao.86 
eis  Überschrift  *ers  l;  Glanner  I  1578,  do.  9  in  3  str.  (darans  Hoffmann, 
Qesellschaftsl.  2.  aufl.,  qo.  250);  ammerbach,  Orgeltabnlatnr  1583,  no.  1  Vi 
vom  texl  nur  \.  i-  l:    Nie.  Rosl  3,  no.  II.  str.  l.    Str.  l  hand- 

schriftlich hinten  in  einem  Bammelband  der  kgl.  ritterakad.  in  Liegniti 
(Bibl.  Rudolf,  um-.  65,  einband  7.  j.  1584)  gleich  Qlanner  str.  1.  Anfang, 
M.  Frarn  k,  Fa  ic.  Qnodl.  im  l,  no,  5. 

38.    Von  vppiglicherj  dingen  <  Itesellolier). 
[K'|  Neudr.  b.  70,  /.  LO:   Da  kam  der  Bruder  Stoffel,  Mit 
seinem  langt  n  spieß. 

Der  'Brnder  Stoffel'  erscheinl  hier  nicht  als  grober  bauer,  sondern 
als  bnhlerischer  mönch,  Der  anfang  der  4.  Btr.  des  weil  verbreiteten  ge- 
dichtes  ?on  (Hans?)  Heselloher  (Bayern,  15.  jh.,  vgl.  Ohland,  Schriften 
4,  'l'l'i  n.  Pauls  Grundriss,  2.  aufl.,  2,1,  b. 372).  Nachweise:  HandschriftL 
15. jh.  in  München  (ühland  qo.  249  n.  Schriften  1,222 ff.);  hs.  in  Wien 
560).  Einblattdruck,  13  Btr.,  o.  o.  u.  j.  in  München, 
focaimile  bei  A.d  Bartels,  Der  bauer,  Leipzig  II  Fl.  hl.  <>.  j.  Nttrnb. 

Gutknecht,  Weimarer  sammelb.,  no.  77.  65  lieder  ca.  1536,  no.  62  in  i 
dl. haus  Böhme,  Lb.,  no  151);  56  lieder  o.  j.,  no.  L8  nur  .*tr.  i;  Forster  ll 
1540,  no.60  fragm.  str.4;  Petreins  L541  1.  no.  49  eur  Btr.  I;  Frank!  lieder- 
bttchl.  1580  n.  1584,  entspr.  1582  A,  no.  129,  Erfurter  liederböcbl  na  180. 
HandschriftL  noch  1646  bei  Werlin,  str.  i  (Erk-Böhint1 
Lied  wurde  häufig  amgedichtet,  ?gl.  Qoedeke  2,86  n.  WK  2,  no  r2'.x>  u. 
r\  B  l .  i 

39.    [E     Neudr.  b.  70,  /.  17t:   Bern  fecx  tis  Don  >>.  da- 

In  im  rixl  sonst  an  rt 

[Jviij     Neudr.  >.  L89,  /.  B  t  v.  u.:  wo  habt  jhr  geschlaffen, 

dahi i»t  odt r  8(  <  tu  <>>t. 

Die*     ■'  ichsl  Iren  «"I  sn  einem  spottliede  auf  buhlet 

kleriker.    Vgl  b  i. dai  Lied  ron  ■!•  in  monch  o  der  nihterin  bei  Erk*Bonme 
in.  181 

Heitrer   mr  geschichte  der  «IruUchea  «praclic.     XXXV. 


428  WILLIAMS 

40.    Gut  Hänicken  vp  dem  sclieyter  weg  saß. 
Eija:    Gut  Jiäniclce  vnder  dem  zäune  sas   (vgl.  den  Neudr. 
s.  70,  z.  18). 

Es  wird  an  dieser  stelle  zugleich  auf  das  lied  '  Der  gackguck  anff  dem 
zäune  saß'  (oben  no.  29)  ausgespielt.  —  Forster  II  1510,  no.  46  eine  str., 
bsg.  von  Marriage  s.  96.  Meuseback  (Nachlass  no.  33,  s.  48)  verweist  auf 
Nie.  Manuel,  Vom  Babst  u.  siner  priestersebafft,  1522:  'Singend  gut  henßlin 
vff  der  sehyter  bygen'  (ed.  Baecbtold  s.  59,  vers  734)  und  Barbali  1526:  'sing 
ich  bensli  vff  der  sebyter  bygen'  (Baecktold  s.  171,  vers  1043). 

41.   Vil  ärater  vnd  gar  wenig  blech. 
[Eija]  Neudr.  s.  70,  z.  19 — 21:  Vil  ämter  vnnd  wenig  Plech, 

Ein  läre  tusch,  vnd  Schneiderzech. 
Vers  1  und  3  eines  liedes,  von  dem  sonst  wol  nur  eine  str.  überliefert 
ist.     Gassenbawer  und  Eeutterliedlin  o.  j.,  no.  47,  altus: 
Vil  Empter  vnd  gar  wenig  bleck, 
der  scblüssel  vil,  vnd  kleyner  gwalt, 
Nur  lere  tasek  vnd  sekuster  zeck, 
vm  mick  kat  es  keyn  andre  gestalt, 
Sckeuckt  einr  was,  muß  leiden  dz 
mir  wirdt  gar  offt  gedreet  die  naß. 
115  liedlein  1544,   no.  53  der  4 stimm,  lieder,   eine  entspr.  str.,   desgl.  nock 
1646  Werlins  ks.  (München,  kof  bibl.)  s.  366. 

*42.    [Eija]  Neudr.  s.  70,  z.  21  f.:   lichter  dann  ein  Kachel- 
ofen, hat  sie  ein  Idaren  schein. 
In  diesem  Zusammenhang  wol  als  bruchstück  eines  liedes  aufzufassen. 

*43.    [Eija]  Neudr.  70,  z.  22— 24:  Sie  sucht  den  schwartzen 

Pf 'äffen  . . .  im  garten  voll. 
Fischart  dachte  hier  wol  an  ein,  möglicherweise  an  zwei  lieder. 

*44.  [Eija]  Neudr.  70,  z.  25  f.:  Bene  veneritis  Domine  Custos 

. . .  vestrum. 
Die  ersten  worte  finden  sich   auch  in  einem  spottlied  auf  buhlerische 
mönche  bei  Forster  II 15,  hsg.  von  Marriage  s.  88. 

45.   Venite  lieben  gesellen  mit  sorgen. 
[Eija]  Neudr.  s.  70,  z.  28—33:  Liebe  gesellen  . . .  Illudemus  ei. 

Die  stelle  Garg.  s.  70,  z.  28— 35  citiert  Fischart  direct  aus  De  generibus 
ebriosorum  (1516),  vgl.  deu  neudr.  dieser  schrift  bei  Zarncke,  Die  deutseken 
Universitäten  im  mittelalter,  Leipzig  1857,  s.  125.  Diese  str.  ist  meines  er- 
acktens  eine  sonst  nickt  erkalteue  parodie  auf  str.  1  von  'Venite  jr  lieben 
gesellen  one  sorgen',  einem  im  16.  jk.  beliebten  trinkliede  (über  dasselbe 
vgl.  Forster,  Neudr.  s.  84  und  226). 


LlEDERPOtiSIfl    i  -i   G  LBG  \M  r.v.  429 

4(i.    Po8l    .M.u  tiiiiun  Immun   viiiiiin. 

[Eij*]    Neudr.  s.71,  /.     I  (8     LO):  Post  Martinum  bonum 
rininit,  (Gänß  vnnd  Vogel  ...  Oänß  gähn). 

[eh  kenne  Bonsl  nur  den  anfang  in  der  Lat  schrifl  Jos  Potandi  1627 
(Berliner  mischband  Xu  26,  qo.  16)  bl.  BS  anter  den  anfangen  einiger  da- 
mals bekannten  lieder:  'Bonnm  rinnm  posl  Martinnm  etc.'  Lateinisch- 
deutsches mischlied? 

17.    Dorl  aiden  an  dem  Keine. 

Eij       Neudr.  s.71,  /..  V'<    20:  Dort  n'nhn  ...  ist  er  eu  loben 

zusatz  bis  backt]  1582  bis  z.  21:  ...  gebracht]. 

Ochsenkhun,  Tabulaturbuch  1558,  bl. 79 a  in  '■'■  Str.,  abdrnck  bei 
Unland  no.  231.  Em  Oarg.  Btr.  1.  ?ers  1  i  nnd  Btr.  2  angeändert,  Btr. :?. 
ren  7  and  ■">  geändert  and  mir  Ensatz. 

18,    Es  kniniiit  ein  seil  gar  (gantz)  wunniglich. 
[Eij  |  Neudr.  s.  71.  /.. :;  v.  u.  bis  s.  72,  /.  8:  Es  kompt  . .  . 

vnnd  ruffen  dann  dem  VUen,  tt<-. 
Kiij  |    Neudr.  s.  117  (die  ganze  Beite):   {Hei  du    Truncke 
im  diu  dir  laßt  vns  hertretten:)  Er  sincki  ...Jim 

>>  in    J'xi/r  /."//<  ii    .ml. 

VgL  Neudr.  >.  201,  /..  1">:  Aü,  Morgen  sang  er  die  truncken 

Metten. 
A u<-h  6arg.  L582  .i\.i  .  <lit'  beiden  ersten  verse  der  3.  Mr.. 

Neudr.  s.  126,  z.  6  v.  u.:  Sih  da  ...  G 
Am  näehsten  kommen  Fischarts  citate einer  l .". >t r.  hasung  der  'truncken 
Kette1  in  einem  fl.  bl.,  welches  "<>l  im  dritten  viertel  des  L6.  jh.'s  beiJae. 
Frolich   in   Piacharts  heimatstadt   Strassburg  erschien  (exemplar  in  Basel, 
nniy.-bibl.,  Bar.  151,  no.  62):   'Ein  hübsch  neu  Lied,   Die  tmni 
genant.  I-t  manchem  gaellen  wol  bekant.' 

[1]  kompl  «in  teil  gar  wunigklich, 

hu  der  da  ist  all  weit  rrolioh, 

die  lit. 

in  dl  tobt, 

ein  Planel  luv  i>  der  Kl-- 
macht  einem  offt  <la^  kopfflein  schwer, 
wer  sein  \il  trinckt,  ward!  selten  lar, 
in  diaer 

die  fafinacht  gibt  vil  trnnekner  1< 
[21       S  wir  den  Wirtshaufi  r.u. 

kond  tag  md  nacht  allaampt  keyn  rhu. 
der  wein  dar  schmeckt  \n>  also  wol, 
daui>n  m  werd  wir  truncken  ntd  rol, 

- 


430  Williams 

biß  einer  singt  wol  auff  den  banck, 
Sant  Vrbans  plag  die  macht  jhn  kranck, 
er  rüfft  dem  Vtz  vnnd  machts  nit  lang, 
bey  disem  gsind,  da  trinckt  man  gschwind, 
der  Wirt  ein  groben  baß  zu  stiinpt. 

[3]        So  ist  es  yetz  das  aller  best, 
der  Wirt  ist  völler  dann  die  gast, 
im  kropff  facht  er  zu  dichten  an, 
ein  compositz  kan  nyemandt  verstan, 
er  dunckt  sich  weiß  vnd  wol  gelert, 
die  note  würfft  er  wider  die  erd, 
daffelb  ein  halbe  stund  wol  wert, 
er  machts  so  kruiii,  vnd  spricht  kurtz  vm, 
wolker  nun  kert  mirs  pulbret  vmb. 

[4]        So  ist  doch  das  das  edel  gsang, 

sye  singen  dnoten  kurtz  vn  lang, 

der  dicken  singens  also  vil, 

vnnd  schieffen  vubillich  züin  zyl, 

sye  schienen  vnbillich  zum  zweck, 

dz  gsang  das  in  den  gsellen  steckt, 

gar  übel  in  der  stube  schmeckt, 

es  macht  ein  blüder,  laufft  als  über, 

der  haußknecht  kompt  mit  kessel  vnd  züber. 
[5]        Vnnd  kert  die  noten  one  zal, 

vnder  dem  tisch  vn  überal, 

das  gsang  das  wert  wol  gen  dem  tag, 

wolher  wer  wider  schlemmen  mag  . . . 

Die  erste  stelle  des  Garg.  enthält  etwa  die  hälfte  von  str.  1  und  den 
anfang  der  2.  str.  der  fassung  des  fl.  bl. ;  in  dem  andern  langen  citat  finden 
sich  teile  der  2.  str.,  die  ganze  3.  str.,  str.  4  beinahe  vollständig,  und  ein- 
zelne verse  oder  zerstreute  brocken  aus  str.  5—8.  10—12  und  15. 

Aelteste  fassur.g,  fl.  bl.  o.  j.  Nürnb.,  K.  Hergotin  in  Zwickau,  ratsschul- 
bibl.  XXX.  V.  22,  no.  28,  14  str.,  abdruck  bei  Böhme,  Lb.  no.  346  (str.  1—3. 
4 — 14  im  ganzen  gleich  str.  1—3.  5 — 15  des  Strassburger  fl.  bl.).  Ferner 
fl.  bl.  o.  j.  Nürnb.  H.  Guldenmundt,  14  str.,  im  Vatican  (Stevenson,  Inven- 
tario  n  2,  no.  2254*).  Vgl.  Seb.  Franck,  Sprichwörter  1541,  II  bl.  148b: 
'biß  daß  jn  Bachus  . . .  vnder  die  banck  wirfft,  dz  er  anfahet  die  truncken 
mettin  mit  den  langen  noten  zu  singen.' 

49.   Die  faßnacht  bringt  vns  freuden  zwar. 

[Eijb]  Neudr.  s.  72,  z.  9  f.:  Die  Faßnacht . . .  gantzes  Jar,  etc. 

Die  beiden  anfangsverse  eines  wol  nur  in  den  Bergreihen  überlieferten 

liedes,  vgl.  den  neudruck  derselben  von  John  Meier   (Braunes  Neudrucke 

99/100)  s.  17  f.    Berckreyen  1574   (Val.  Furman  I),   no.  5.    Vgl.  E.  Bäumer, 

Untersuchungen  über  die  Bergreihen.   Diss.   Jena  1895,  s.  18  f. 


EiIBDEBPOEBIE    IM   QABOANTÜA.  431 

50.    I'li  zeunl  mir  uechten  einen  zäun. 
[Eijb— Eiij»]  Neudr.  8.  72,  z.  10    20:  Der  mit  der  Kate  . .. 
I  Bier  gnug. 

He  enthäll  Btr.  6.  7  and  8  des  10  atroph.  Liedes.    Nach  »tr.  6, 
vom  3  hal  Fischart  zwei  Zeilen  and  zwischen  Btr.  6  and  7  drei  seilen  ein- 
geschaltet, die  gar  oichl  zum  liede  gehören.        Ahdrnck:  Qhland  no.  51 
3chriften  t, 45  f.),    Erk-Böhme  oo.  448.    Weitere  aachweise  'vur!.  aach 
Marri  er  aendr.  b.  261):  einblattdrnck  o.  o.  n.J.  in  Berlin  5Td  7801 

(▼on  Nagler),  oo.  12  in  lOstr.;  fl.  bl.  <>.  j.  Nürnb.  Fr.  Gntknecht,  LOstr.,  im 
Vatican  (Stevenson,  Lnventario  1 1  2,  oo.  2331  cccc);  il.  t>!.  o.  j.  Strassh  .  Thieb. 
Berger,  LOstr.,  in  riil.mil>  Bammelband  b.  191  ff.;  o.  o.  n.J.,  J. P.  (Jac. Frö- 
Lich,  Strassb.)  in  Basel,  Sar.  L51,  oo.  52,   LO  Btr.    Frankf.  liederbüchl. 

ao.  L65,  Kölner  liederbüchl.  ca.  L580,  ao.39  gleich  L582  B,  no. 37,  in 
allen  mit  9  Btr.  wie  L582    V.  no.  L65. 

51.   [Eiij*1  j  Neudr.  s.  71.  z.  -J  f.:  Er  hat  sein  such,,!  wolge- 
than,  dummel  dich  gut  linken  (1590  Birckel)\ 

[Jijb]  Neudr.  s.  130,  /..  19:  dummel  dich  gut  Pirchen  (1590 
Pärc  en)\ 

Neudr.  s.  259,  /..  I  v.  u.:    Dummel  dich  gut  Birche 
(vgL  Rausch,  Spielverzeichnis  &  80). 

Aehnliche  verse  kommen  in  trinkliedern  vor,  z.b.  J.  Hailand,  Gh 

luss:  • . . .  Er  hal  Bein  -  ichen  rechl  gethan,  tnmmel  dich  gnta 
weinlein,  das  Qleßlein  boII  hernmmer  gähn,  tnmmel  dich  gnts  weinlein'; 
ähnlich  Mancinns  L588,  no.  L9. 

Neudr.  81,  z. 7  f.  v.u.:  Laßt  auch  .. .  vierteig  vier.  Vgl.  unten 
zu  DO.  I1»  l. 

Neudr.  84,  z.9   -12.   Diese  stelle  bezieht  rieh  nicht  auf  ein 
ueisterlied  mihi  Schillers  thon  zusingen'; 
vgl.  auch  die  parodie  I  rarg.  31 1. 

Neudr.  l||v.  z.  17  L:  da  wiget  ...  aXU  L  oben  no.  2. 

52.   unmöglich  ist  es  das  mau  flndt 
•  h ü.i '    Neudr.  a  1 1 1.  z.  1  v.  u.:  {daß  man  wol  das  Lied  von 
jr  singt  n  tv  das  man  fin  l, 

ht  uir.l  Bchwerlich  weil  ?er 
kannte  es  hOchstwahrscheinli«  r drucken 

je  mir  bekannte  qnelle  \-\  'Zwey  h  •■>(.  unmöglich 

-.nun  l  apiario   L5(  br.    (in  n. 

Hunmelban  .  oniT.-bibl.  T  . 


432  WILLIAMS 

[1]        'Vninüglich  ist  es  das  man  findt, 
ein  Mensch  als  icli  mir  eine  weiß  :|: 
Herr  bhüt  wie  ist  mir  das  ein  Kindt, 
erst  gadt  mir  auß  der  angstlich  schweiß. 
Wenn  ich  an  sie  gedencken, 
an  jr  schön  wunder  weiß  vn  bärd, 
ach  was  lieblicher  schwencken, 
ich  forcht  sie  bring  mich  vnder  dErd. 

[2]        Eecht  gwaltig  redt  sie  von  eim  ding, 
vnnd  kan  jhm  auch  ein  reimen  gän  :|: 
Dadurch  sie  mir  mein  hertz  durchdringt, 
es  mocht  ein  Mensch  doch  wunder  nän. 
Wo  her  es  jr  doch  käme, 
vnd  das  wunder  schon  weiblich  bild, 
solche  tilgend  doch  näme, 
sie  macht  mich  schier  graw,  taub  vnnd  wild. 

[3]        Stoltzeren  leib  ich  nie  gesach, 
von  f ülfen  auff  biß  an  das  haupt  :|: 
Was  schöner  bein  hat  sie  zweyfach, 
ich  hets  mein  lebtag  nie  geglaubt. 
Dz  mans  schöner  kond  malen, 
sie  seind  so  rund  als  werends  dräyt, 
Kein  schätz  mag  sie  bezalen, 
sie  ist  mir  in  mein  hertz  vernäyt. 

[4]        Vnd  ist  jr  weich  klein  zart  vnd  rein, 
vnnd  oben  drauff  ein  starcke  brüst  :|: 
Glaub  mir  kein  schnee  mag  weiffer  sein, 
jr  briistlin  seind  ein  gantzer  lust. 
Man  könds  nicht  schöner  bgären, 
inn  aller  form  inn  maß  vnd  weiß, 
als  ob  zwey  öpffelin  wären, 
vnd  kämen  auß  dem  Paradeiß. 

[5]        Lieblichem  mund  ich  nie  gesach, 

rot  süß  vnnd  klein  als  wers  ein  kind  :|: 
Ir  zänlin  weiß  in  Ordnung  gmacht, 
jhr  bilder  wol  gformieret  sind. 
Darauß  schmeckt  jr  der  athem, 
als  ob  es  wer  ein  Balsam  gart, 
von  Nägelin  vnd  Muscaten, 
Feyel  vnd  edel  Eosen  zart. 

[6]        Am  Näßlin  solt  man  wunder  han, 
wie  es  so  wol  gformieret  sey  :|: 
Ir  öuglin  laßt  sie  vmher  gan. 
Hat  oben  drauff  zwey  bräwlin  frey. 


LIBDBRP0B8IH   im   GLABGAHTUA. 

fr  stirnen  nid  ir  w 
die  sind  ganti  klar  schön  vberanß, 
daran  swej  löcklin  hangen, 
fttrwar  sie  Beind  gantz  edelkranß. 

[7|       Baar  gpeb  ich  drnmb  als  was  ich  je  gewan, 
Liefl  roffs,  Bchwert,  spar  nid  was  ich  han   :|: 
ach  (Jotl  mir  wer  ail  mangel  dran. 
\  im!  «roll  üe  nimmermehr  rerlan, 
rechl  mich  zu  jr  thftn  fügen, 
erst  ich  kurzweyliger  x.-i r . 
rechl  frenndtlich  mit  jr  üben, 
in  jr  mein  troel  nid  hoffnnng  leyt. 

Ende. 

Lyd,  myil.  vii'l  vertrag, 
Glnck  kiinipt  noch  all  l 

.">:{.   Auft"  freud  vml  leid. 
[Gviij*]  Neudr.  b.  11-.  /..  1:  An/)  freud  vnd  leid,  ist  j<t: 

>>i  bescheid,  <  tc. 
Dieses  Lied  ist  mir  sonsl  nicht  bekannt 

54.    Gviij*:  (vnd  wie  das  lied  klingt  ...  i 
h  /7  lang  goldgt  Ib  har, 
die  Augen  wie  /'"im  Stern  klar, 
kurß  helfenbaim  n  /.<m, 
(/.-   Mün  Hin  <  ng  vnd  schön 
Vgl  den  Neudr.  >.  1 12,  /.  22    -J'.'. 
Sehnliches  i->t  Qberans  h&nflg  in  Liedern  der  Uteren  z>it  (Tgl.  auch 
«Ins  Torletatc  Lied),  aber  diese  irier  rerse  snaammen  habe  ich  sonsl  nicht 
nachweisen  können.    Vielleicht  hat  Pischarl  selber,  nicht  ohi 
tendens,  die  formelhaften  Wendungen  insammengereimt 

.">.").    We  röslein  Bind  n  brechen  /.»'it. 
:ij     Neudr.  b.  L18,  /.  •'•    -  v.u.:  (Ich  brech  jnmer  hin, 
amff  das  alt  Licdlein  R   nter  nicht 

|(    mir  nl  n.i.li- 

■nweisen     Unland  r<  ein  vom  unToll- 

.  bl.  117     119), 

!t     .i.'Il     \S 

:  qo.  23  ii.  nt  wirklich  zu  den 

Lieds  des  ii    bl  hier  ni<  I 

III.    .Vttill».     tl.  l'i 


434  WILLIAMS 

*56.    [Hva]   Neudr.  s.  121,  z.  12:    frisch  auff  jr  Gesellen, 

die  Hüner  praten  schon. 
[Kviija]    Neudr.  s.  155,  z.  10:    frisch  auff,  lustig,  lustig  sie 
praten  schon. 

Aelmliches,  was  ein  bruchstück  eines  liedckens  sein  könnte,  auch 
früher  bei  Fischart:  Aller  Praktik  Großmutter  1572,  Braunes  Neudrucke 
no.  2,  s.  7 :  '  Wolauff  die  hüner  braten  schon ' ;  Ausg.  1574  Bv  b :  '  Wolauf 
die  Hüner  braten  schon,  aber  nicht  in  deiner  kuchen.'  Vgl.  M.  Franck, 
Fasciculus  Quodlibeticus,  1611,  no.  6:   'frisch  auff,  sie  braten  schon.' 

57.    Trincken  wir  wein,  so  beschert  Gott  wein. 
[Hvab]  Neudr.  s.121,  z.  13-16:  trinchen  ivir  ...  nach  scheuten. 
Vgl.  auch  [Dijb]  Neudr.  s.  57,  z.  6:  {Wißt  jr  nicht  den  schönen 
Spruch?)  Trincken  wir  Wein,  so  beschert  Gott  Wein. 

Auch  sonst  bei  Fischart:  Aller  Praktik  Großmutter  1574,  bl.  Biiija: 
'Trincken  wir  wein,  so  beschert  der  Wirt  wein,  vnd  will  auch  in  der  zäch 
sein';  Pod.  Trostbüchlin  1577,  hsg\  von  Hauffen  (DNL),  s.  34  nur  der  an- 
fang-.  —  In  anderen  quellen  auch  nicht  mehr  als  die  eine  str.  Fast  der 
ganze  reim  bei  H.  Bock,  Der  vollen  brüder  orden,  vgl.  Vierteljahrsschr.  f. 
lit.-gesch.  1,  94;  Seb.  Franck,  Sprichwörter  1 1541,  bl.  163  a:  'Trinck  wein,  so 
beschert  dir  got  wein. '  Forster  V,  no.  39  (hsg.  von  Marriage,  s.  202) ;  Scan- 
dellus  1570.  1578,  no.  18  eine  str.;  Knöfel  15S1,  no.  3  etwas  verändert;  Man- 
cinus  I  1588,  no.  9;  P.  Kauffmann  1609,  no.  36  (Hoffmann,  Gesellschaftsl. 
2.  auf  1.,  no.  189,  gleich  Scandellus). 

58.    Nun  wolt  jr  hören  newe  mär 

vom  buchsbaum  vnd  vom  felbinger. 
[Hvija]  Neudr.  s.  124,  z.  15:  (du  singst  vns  diß  vnnd  sonst 
noch  mehr,)  vom  Buchsdaum  vnd  vom  Felbinger. 

Mit  dem  fragment  des  beliebten  Streitliedes  vom  buchsbaum  und  weiden- 
baum  (felbinger)  reimt  Fischart  einen  überaus  häufig  in  schlussstrophen 
widerkebrenden  vers,  vgl.  z.  b.  Liederb.  1582  A,  no.  237.  239. 

Der  anfaug  und  inhalt  der  str.  4 — 11  des  liedes  vom  buchsbaum  und 
felbinger  findet  sich  schon  1573  bei  Fischart,  Flöhhatz,  Braunes  Neudrucke 
no.  5,  s.  68,  z.  116—126.  —  Zuerst  bei  H.  Finck  1536,  no.  46,  4  str.,  vgl. 
Unland,  Volksl.,  anm.  zu  no.  9A.  Die  reihenfolge  der  12  str.  gewöhnlich 
wie  1582  A,  no.  231  (Unland  no.  9B,  Böhme  no.  273,  Erk-Böhme  no.  1073). 
Weitere  nachweise:  56  lieder  o.  j.,  no.  39  nur  str.  3;  Graßliedlin  o.  j.,  no.  17, 
str.  1;  fl.  bl.  o.  j.,  Nürnb.,  Val.  Neuber,  12  str.,  in  Berlin  Yd  9925;  fi.  bl  o.j., 
Strassb.,  Jac.  Frölich,  12  str.  (abschr.  Berlin  Mgq.  709,  no.  25);  Frankfurter 
liederbüchl.  1580.  1584,  no.231  entspr.  1582  A.  Zimmerische  Chronik  16.  Jh., 
ed.  Barack,  2.  aufl.  4,64:  'oder  sie  sangen  den  Buxbomin  und  Velbinger. ' 
Erwähnt  in  E.  Alberus,  Fabeln  1550  (Braunes  Neudrucke  no.  104—107,  s.  38, 


LIBDEBP0E8IE    im    G  LEG  \n  I  D  L 

Nachdichtungen.  Weltlich:  L)  M.  hl.  Yd  7m'!.  do  "      er  □ 

Wein'),   Tgl    Erk  -  Böhme  no.  1074;   2)1  reack  u.  8tock- 

ancfa  Ton  Pischart  Im  Plöhhatz  1578  verwendet,  Braunes  Neudrucke 
II«!,:,.  b.  68.    Im  Garg.  L582  erwähnt  Pischart  den  'geistlichen  Felbii 
TgL  im t •  n  no.  128. 

.")<>.    Eg  gehl  gen  diesem  Bummer. 

[Hvij*]  Neudr.  L24,  z.  1»"'     19:  Es  geht  ...  laß  einher  gähn. 

<i:iu/.  entsprechend  in  den  L21  liedern  1534,  qo.  i.  Tgl.  Förster  Neu- 
druck s.287. 

Nach  diesem  cital  folgen  im  Garg.  die  sinnlosen  worte  'Pnm  Pimperln 
Pump',  welche  Bausch,  8pielvereeichnis  s.  80  für  den  refrain  des  liedchens 

hält    Dassell ler  ähnliches  auch  Bonst   im  Garg.  s.  265  nnd  299.    Der 

refrain  eu  dem  ehen  Ton  Pischarl  erwähnten  liede  Tom  buchshaum  und 
felbinger  lautel  bei  EL  Finch  L586:  pum  pimperlein  pum. 

t;o.    Man  BÄgl  wol  in  dem  meyen. 

[Hvij     Neudr.  b.  125,  /..  7— 15:  nun  biß  ...  gut  Wein. 

nd<  lins,  Liedlein,  Dresden  L570,  no.  3: 

Man  Bagl  wo!  in  dem  Heien,  Nu  bis  mir  Gott  wilkomen, 

•1"  Bind  die  brfinlein  gsunt,  <lu  edler  Elebei 

[oh  !            .    :i  nit  gleuben,  Ich  hah  gax  wol  vernommen, 

[ch  gleub  es  hal  kein  grund,  dn  bringst  mir  gute  kraft i . 

K.m  j h m  uit  glauben  geben,  I  mir  mein  gm&t  nit  Bincken, 

vii-l  wil  mir  ja  nicht  ein,  Tnd  Btercksl  ds  hertie  mein, 

[eh  l«»h  dii                -•II,  darumb  wil  Leb  dich  trincken, 

die  bringen  tus  guten  wein.  Tnd  wil  gax  frolich  Bein, 
ind  i  pari  lequitur. 

I»i>-  nichtseagendei]  iten  teilet  bei  Scandellus  sind 

kaum  anden  su  betrachten  als  willkürliche  Änderungen  einer  Scandellus 
oder  dem  bearbeiter  Bein  hon  bekannten  ^tr  • 

■    1570  ungefähr  in  der  bei  Pischarl 
genden  gest  n  worden  sein  rieht  auch  di«'  ent* 

Die  Scandellui 
•ammlnng  las  lied  aufmerksam  gemacht,   aber  er 

dtiert  'li<-  beiden  teile  in  umgekehrter  Ordnung  und  scheint  mehr  einer 
Tolkstumlj  ■  s/Inerten1 

( Unland,  Schriften  I 

•     • '  v 

•Nun  liii!  mit  mit  einer  dritten  str 

.  Lb.  do  ,  ndet 

ii  anfang  nnd  Lhnlichkeit   mit  der  itr    'Man 

in  tl    I>1    war  mir  nicht  ingänglicl  I    An- 

iKii.-u  ifaii  .. 


436  WILLIAMS 

61.   Den  liebsten  bulen  den  ich  hab. 
[Hviijb]  Neudr.  s.  126,  z.  4  v.  n.  bis  127,  z.  5:  Ben  liebsten 

. . .  mein  Bebensafft. 
Scandellus,  Liedlein,  Dresden  1570,  no.  2: 

Den  liebsten  Bulen,  den  ich  hab, 
der  leit  beim  Wird  im  heller, 
er  bat  ein  holtzens  roeklein  an, 
er  heist  der  Muscateller, 
Er  hat  mich  nechten  truncken  gemacht, 
vnd  frolich  heut  den  gantzen  tag, 
Gott  geb  jhm  heint  ein  gute  nacht. 
Von  diesem  bulen,  den  ich  mein, 
will  ich  dir  bald  eins  bringen, 
es  ist  der  allerbeste  wein, 
macht  mich  lustig  zu  singen, 
frischt  mir  dz  blut,  vnd  gibt  freien  muth, 
als  durch  sein  kraft,  vnd  eigenschafft, 
Nu  grüs  dich  Gott  mein  rebensafft. 
Es  ist  möglich,  dass  dies  Muscatellerlied  auf  grund  eines  alten  wein- 
liedes  mit  gleichem   anfang   für  die  Scandellus  sehe  composition   zurecht- 
gemacht wurde.    Schon  Goedeke   hielt   Scandellus   für   die  directe  quelle 
Fischarts,  Grundr.  2,  85  zu  no.  3.     Fischart  verbessert  den  reim  str.  1,  vers  6 
und  ändert  die  Schlusszeilen  beider  Strophen,  s.  oben  s.  401  f. 

E. N.  Ammerbach,  Tabulaturbuch  1575,  no. 35,  vom  texte  nur:  De  liebste 
Buhlen  den  ich  hab,  nach  Scandellus.  Mancinus,  Lieder  1 1588,  no.18,  2  str. 
Anfangsverse  in  Joh.  Balhorns  Güldenem  ABC  nach  E.  J.  Koch,  Kompendium 
2  (1798),  s.  100,  s.  Gräter,  Bragur  8  (1812),  417.  Aus  dem  Garg.  schon  im 
Musenalmanach  für  1779,  hsg.  von  Voss,  s.  20  (am  Schlüsse  geändert).  — 
Ueber  andere  lieder  mit  gleichem  anfang  vgl.  Marriage,  Forster  Neudruck 
s.  226  f.;  Böhme,  Altd.  Ib.  s.  410  f.;  Uhland,  Schriften  4,  204  f. 

62.    Guts  muts  wollen  wir  sein. 
[Hviijb]  Neudr.  s.  127,  z.9— 13:  Guts  muts  ...  frolich  Bruder 
drauß,  trineli  gar  auß  [zusatz  bis  z.  14:  ...  Bruder 

drauß]. 

Scandellus,  Liedlein,  Dresden  1570,  no.  9: 

Guts  muts  wöln  wir  sein,  trinckt  flugs  rumb, 

trotz  der  vns  das  wehre,  vnd  macht  es  aus, 

Es  mus  ein  reicher  Pawer  sein,  so  wirdt  ein  frolich  Bruder  draus, 

der  vns  wolt  entehren,  trincks  gar  aus. 
ich  bit  euch  drumb, 

Mancinus,  Lieder  I  1588,  no.  23,  wol  aus  Scandellus, 


USDEBPOBSIS    IM    QABG  \N  I  I  A.  '     i 

68.  [Hviij     Neudr.127,  /..  17     19:  Nun  tcolauff  jr  Ordens 

y.'/  \der  ...  "1/  mich  /ruh r. 
Es  isl  möglich,  dass  dieM  stelle  ein  Liederfragment  enthält 

64,    Wer  hie  mit  mir  wü  Ertlich  Bein. 
Hviij    i.     N.-u.ir.  s.  127,  /..  20  bis   128,  /.  2:    Wer  hie  ... 
h  dran  [zusatz  bis  /..  I  ...  Teuffei  l> 
lellus,  Liedlein,  Dresden  1570,  no.  10,  tenor: 
Wer  hie  mit  mir  wil  frölich  sein, 
ilz  glas  wil  ich  jm  brin 
wer  trineken  wil  ein  guten  Wein, 
der  muß  auch  mit  mir  sinken, 

trineken  wir  alle, 
diesen  wein  mit  schalle, 
Dieser  wein  vor  andern  wein, 
ist  aller  wein  ein  Purste, 
trinck  mein  liebes  Broderlein, 
irt  dich  nimmer  dursten, 
trincks  gar  au-, 

wolln  wir  trineken  die  gantze  nacht, 
bis  an  den  hellen  morgen, 
hol  wein,  schenck  ein, 
wir  wollen  frölich  sein, 

ada  pars.    Zu  dieser  <tim,  müssen 
jrer  ■_'.  sein:    so  einer  trincki .  das  d<  t 
ander  bj 
Wer  :it"-r  ii i t  wil  frölich  sein, 
der  iol  bey  vns  oit  bleiben, 
wir  trineken  drumb  den  guten  Wein, 
die  sorgen  zu  aertreiben, 
drumb  bruder  mein,  ich  bring  dir 
ii  im  inn  dem 
gleslein  an  den  mnnd, 
ans  bis  an  den  grand, 

IM      Will. 

b  h  it  mir  leiden  wolgethan, 
das  gleslein  das  so!  rommer 
her  nu  l.it  im. 
-  er  nit  mehr  k.»n  tliun  bescheid, 
.  I  uiti  dam 
■■• 
wir  wollen  frolit  b 
Unland  ii"  222  B  I  und  erweitei  bden 

kt,    BO    jujrh    ! 

u 


438  WILLIAMS 

quellen  vor  und  mau  darf  annehmen,  dass  es  erst  für  die  Scandellus sehe 
composition  zusammengeklittert  wurde.  Es  ist  allerdings  zum  teil  aus 
volksmässigen  bestandteilen  zusammengesetzt,  aber  als  ganzes  kann  es  un- 
möglich viel  verbreitet  gewesen  sein.  Auch  würde  Fischart  das  lange  stück 
unabhängig  von  dem  druck  wol  weniger  genau  citiert  haben ;  die  mehrzahl 
seiner  unbedeutenden  abweichungen  von  Scandellus  sind  eben  in  den  ihm 
geläufigen  volksmässigen  partien:  1.  teil,  vers7:  alle,  Scand. :  andern  (über 
vers  5—11  vgl.  unten  no.  116);  2.  teil,  vers  7 — 11  (sonst  im  Garg.  als  str. 
4  und  5  von  no.  81  unten.  Nachweise:  Forster  Neudr.  s.  239  zu  II  72;  Kopp, 
Bergliederbüchl.  1700/10,  anm.  s.  113). 

*65.    [Ja]    Neudr.  s.  128,  z.  10:    Mein  Tochter  ist  Heurats 
zeit  {ich  gel)  jr  einen  Mann). 
[Rvj']    Neudr.  264:    Mein  Tochter  ist  heurahts  zeit 
[als  spiel]. 

Sonst  nicht  belegt;  wahrscheinlich  als  fragment  eines  liedes  zu  be- 
trachten.   Vgl.  Bausch,  Spielverzeichnis  s.  80. 

66.  Ein  guter  wein  ist  lobenswert. 
[Jb]  Neudr.  s.  128,  z.22 — 33:  Ein  guter  Wein  ...  mit  singen. 

Di  Lassus,  Liedlein  1 1567.  1569,  no.  19,  gesammtausg.  1583,  no.40,  drei 
6zeil.  str.  (abdruck:  Hoffmann,  Gesellschaftsl.  2.  aufl.  no.  199).  Scandellus, 
Liedlein  1570.  1578,  no.ll,  fast  genau  mit  di  Lassus  übereinstimmend  (str.  2, 
vers  1:  maß,  bei  Scand.  als  neutr. ;  str.  3,  vers  1,  di  Lassus:  in  einem  funk, 
Scandellus  und  Fischart:  in  einem  Schlünde).  Fischart  citiert  das  lied  voll- 
ständig und  fast  unverändert.  Scandellus,  nicht  di  Lassus,  scheint  seine 
quelle  gewesen  zu  sein.  Bernh.  Schmidt,  Tabulatur  1577  (vgl.  Zs.  fdph.  38, 
249  f.)  II  no.  7  nach  di  Lassus  arrangiert,  vom  texte  nur  die  erste  zeile. 
Gosswin,  Lieder  1581,  no.  16  nach  di  Lassus,  nur  str.  1. 

*67.    [Jb]  Neudr.  s.  128,  z.3— 5  v.  u.:  Hoppaho  henecken  . .. 

noch  Rot. 
Da  andere  belege  fehlen,  ist  dies  fragment  nicht  bestimmt  zur  lieder- 
poesie  zu  rechnen. 

68.   Ein  lienlein  weiß  mit  gantzem  fleiß. 
[Jb]  Neudr.  s.  128,  z.  2  v.  u.  bis  129,  z.  3:  Ein  Hänlin  . . . 

ein  Ey  [zusatz  bis  z.  5 :  ...  frölich  sey\. 
Scandellus,  Liedlein,  Dresden  1570,  no.  14: 

[1]        Ein  henlein  weis,  mit  gantzem  fleis, 
sucht  seine  speis,  bey  einem  han, 
(vnd  hub  zu  gacksen  an,) 

ka    ka    ka    ka    ka    ka    ney, 

ka    ka    ney,    ka    ka    ney, 

das  henlein  legt  ein  ey.  • 


LTEDRRP0E8IB    IM    Q  IBGAOTUA. 

[2]       backen  wir  ein  küchelein, 
meuseli  in  viul  streubelein, 
•rnd  trincken  auch  den  knien  «rein, 

k.i    k.i    |n.  s.  w.  wie  oben]. 

Die  gerade  bei  Fischart  fehlende  seile  'vnd  hnb  i 
Scandellos  mir  von  der  altstimme  zu  singen  and  ist  in  den  drei  11 1 
stimmbüchern  nicht  vorhanden.      E.N.  Äjnmerbach,  Tabnlatnr  1571,  bL  B  l   : 
•Bin  Benlein  weiß  mit  großem  tl<-is',  nur  so  viel  text;  ausg.  1583,  ao.  51. 

69t    Wo  wachst  ha/w  auff  der  matten. 
[Jij*]  Neudruck  b.  129,  z.  L8    29:  Wa  wachßt  Hdw  ...  m 

die  8cht  un  u  laß. 
Qhland  hat^Fischarts  rorhild  constatiert  in  einem  sechsstrophigen  liede, 
i  melodie  and  möglicherweise  auch  texl  von  Gregor  Meyer,  Organisten 
zu  Basel  herrühren.   Zusammen  mit  swei  anderen  Liedern  wurde  es 
zu  Basel  bei  Sam.  Apiario  gedruckt,  in  welcher  gestall  es  wahrscheinlich 
■  1 1  bekannt  war.    Qhland  seihst  besass  ein  exemplar  dieses  il.  bL  (in 
seinem  sammelband  in  Tübingen,  s.  175     182),  abdruek  in  seinen  rolksli 

12,   v-i.  auch  8chriften  4,211    214.    Die  Btelle  di  enthält  in 

sehr  wenig  abweichender  gestall  str.  1  des  druckee,  daneben  einzeln« 
aus  itr  3      6        Schon  in  Aller  Praktik  Großmutter  Bpielt  Fischart  h 
wahrscheinlich  auf  dieses  lied  an,  1572,  Braunes  Neudrucke  no.  2,  s.  20:  ^'»er 
d  man  in  lidern  singt,  das  bringt;  1674,  hl  11 ':  aber  das  heu 
darvon  die  Lider  singen,  «las  laßl  vns  bringen.    Weitere  aach weise:   eine 
handschr.  fassung  nach  1561  in  schweizerischer  Orthographie  fügt  eine  7.  str. 
hinzu,  stimml  aber  sonst  im  ganzen  mit  dem  il.  bL  aberein,  abgedr.  V><  itr. 
24,549  ii      Ein  tragm.  bei  MeL  Franck,  Spannewes  Last.  Quodlibet,  I 
1619  and   Mus.  Grillenvertreiber  1622,  no.2,  stimml  mit  zwei  stellen  des 

;  aberein,  auch  wo  Fischart  von  der  fassung 
icht:  'Got  ll'iw  das  wachst  am  Beben,  wolln  wir 

hau,  das  kan  ras  trewden  gi  doch  Weih  nid  Mann,  d 

gut  ll.'iw,  machl  gute  Strew,  0  führet!  ein,  rad  wer  es  nicht  kan 

g  nicht  niit  zum  Wein.' 

70.    Hoscha  wann  wollen  wir  frölich  Bein. 

[Jij-1  ;  Neudr.  >.  129,  /.  9  v.  u.  bta  L80, z.  \    Uoscha  wann 
. . .  laß  sorgt  n    ■ 

Hier  str  1  mit  einzelne]  tnd  paraphrasierten 

and  :t.    121  Lieder.  Nftrnb.,  Hans  "it.  [584,  no.    • 

[l]    Hoseha  •  4er  küle  s 

lieh  warten,  Di<  geselschafft  auch  rersamlet  ist,  an  bösen  bist,  i 
nun  schon  die  karten,  wolauffzum  wein,  mein  brüderlein,  laß  sorgen 

;.  hab  gueten  müet,  wei  n  thut,  w  Lleicht 

lig  n  ir.  n  hau 

[*Jj  tig  tn'uiik    hangen  mir  .iu  [       anj,    da«  .  r  kau, 


440  WILLIAMS 

vor  tollheit  mich  vrasehen,  Ach  schweig  der  wort  mein  lieber  gsel,  kayn 
vugefel,  wirdt  dir  aus  dem  geschehen,  volg  ietzt  nur  mir,  bald  hilft  ich 
dir,  dein  vnmut  gantz  vertreiben,  sechs  glas  mit  wein,  sauft  erstlich  nein, 
das  thut  dir  wol,  mein  gwise  kunst  dich  helffen  sol. 

[3]  Sol  ich  denn  volgen  deiner  kunst,  du  sols  vmb  sunst,  in  keinen 
weg  geleret  han,  Wol  auff  so  wol  wir  auff  die  bann,  was  sol  ein  man,  der 
nicht  altag  wol  sauften  kann,  Warst  nechten  wol,  mit  nichten  sol,  dein 
hertz  darumb  erschrecken,  sei  nur  guts  muts,  mein  lieber  vetz,  mein  gelt 
ist  dein,  trinck  erlich  zu,  las  sorgen  sein. 

A.  Utenthal,  Lieder  1574.  1586,  no.  6  in  drei  entspr.  str.  (wol  aus  den 
121  liedern);  J.  Eccard,  Lieder  1578,  no.  7  nur  str.  1  (bei  Hoft'mann,  Gesell- 
schaftsl.  no.  202). 

*71.    [Jijb]  Neudr.  s.  130,  z.  16-21:  Hopfaho,  sind  die  vn- 
fläter  do,  Er  führet  sie  hinder  Bauten,  . . .  von  der 

Nippedei. 
Diese  stelle  enthält  wahrscheinlich  fragmente   aus  einem   oder  mehr 
als  einem  spottiiede  auf  buhlerische  mönche.    Vgl.  Bausch,  Spielverzeichnis 
s.  80.  Ueber  den  auch  hier  vorkommenden  ausdruck  '  dummel  dich  gut  Pirchen ' 
s.  oben  zu  no.  51. 

72.   Es  war  eins  bauren  töchterlein. 
[Jijb]   Neudr.  s.  130,  z.  21 — 23:  Ein  Bauerntöchterlein  .  .  . 

wol  inn  die  Finger. 
Dieser  kleine  reim  begegnet  zuerst  in  den  121  liedern  1534,  no.  34 
(no.33  nur  die  erste  zeile),  bei  Böhme,  Lb.  no.  192.    Nachweise  bei  Marriage, 
Forster  Neudruck  s.  263.    Vgl.  Bergliederbüchlein  1700/10,   hsg.  v.  Kopp, 
s.  64,  no.  89. 

*73.    [Jijb]  Neudr.  s.  130,  z.  23:  Meydlin  sind  dir  die  Schuh 

recht. 
Liederfragment?    Ganz  so  sonst  im  Garg.  s.  263  links,  z.  4  im  Spiel- 
verzeichnis.  Vgl.  Rausch,  Spielverzeichnis  s.  79. 

Neudr.  s.  130;  z.  15  v.  u.:  bei  nachte  . . .  feste.   Vgl.  oben  zu 
no.  25  d. 

74.   Im  meyen  im  meyen  hört  man  die  lianen  kräen. 

[JijbJ  Neudr.  s.  130,  z.  11—15  v.  u.:  Du  bist  mir  .  .  . 
ich  kumm. 
Aus  einem  damals  weitverbreiteten  liedchen.  Zuerst  in  den  121  liedern 
1534,  no.  95—97  eine  str.  (Böhme,  Lb.  no.  301,  str.  1).  Häufig  in  musikal. 
Sammlungen  und  tabulatmbüchern  bis  ins  17.  jh. ;  einige  von  diesen  quellen 
nennt  Marriage,  Forster  Neudr.  s.  234.  Mit  Mel.  nach  di  Lassus  und  an- 
fang  des  textes  in  B.  Jobins  Lautenbuch  I  1572  (worin  Fischarts  'Lob  der 
laute'). 


LIEDERP0E8H    IM   G  \  i:<;,\  N  i  r.\.  1  I  1 

<ö.     Wblauff,   \vul;uitl'  am    Boden 

[Jijb]  Neudr.  b.  180,  z.8     10  v.u.:  Wolauff ...  höfli 

u  so  in  den  121  liedern  1534,  no.  88,  abgedruckt  mit   . 
Orthographie  i»-i  Böhme,  Lb.  qo.  495a. 

W>.    Jij     Neudr.  8. 130,  z. 8    7  v.u.:  Wolauff  ...getruti 

Ein  lied  bei  Scandelhu,  Liedlein  L570,  no.  L9  'Derwein  der  schmeckt 
mir  also  wol'  (nngenan  abgedr.  bei  Hoffmann  v.  Fallersleben,  Gesellschaftsl. 
ü.  auf  l..  im.  i:»s>  enthält  im  zweiten  teil  Wendungen,  die  Fischart  bei 
reimerei  vorgeschwebt  haben  müssen: 

'Lieber  brnder  \\ir  glaubens  wo! 
frisch  anff,  mein  brüderlein, 
es  sej  gleich  ^rut  bier  oder  wein, 
aB  es  doch  getruncken  seyn. 
1-  ist  jo  war  er  schmeckt  auch  wol, 

i  anff  . . . 
Wir  wollens  thnn  ohn  alles  leidt, 
■   anff  ..." 

'i't.    Herbei,  herbei,  was  loffel  Bey. 
.im     Neudr.  >.  131,  /..  9— 30:  Herbei  ...  hoho  J,<>fj;i  do. 
I.v     Neudr.  b.  165,  /..  27:  . . .  vnd  das  Lied  0  Stoffel  lieber 

Göffi  I  L'<>\)<  I  also  klingt 

[Tviija]  Neudr.  b.302,  z.  24:  Holaherbey, 

Dreiteiliges  'Quodlibet  ron  Löffeln';  UM  lieder  (Hans  Ott),  Ntti 
do.  L18    L20,  tenor: 

1 18.       BerbeJ  berbei,  wi  loffel  sei, 
zu  disem  brei,  gu  bald  vml  bei, 
Ich  liutT  vii-  -"l  gelingen, 
het  wir  mir  loffel  silbre  1  •  •  tT* - 1 
lange  loffel  Lrr">->'  loffel 

■lt  mir  [!|  frOlieb  singen 
rad  hnpsehe  loffel,  gkrade  loffel,  itarcke  loffel 
■  Erenden  vrolt  wir  springen, 
:i  bealicb  loffel,  krumme  loffel  maaria  loffel 
<li.'  tlmt  vns  .nii-ii  berpringen, 
vn. l  auoBtoffel,  koehloffel,  effloffel, 
;  pea  loffel  kraul  loffel, 

I,  allerlei  loffel 
ein  fueter  int  loffi  l  wi  loffel 

rad  andre  loffel,  rod  raste  loffel, 
I  loffel  'i".  .s"  sind  wir  fro. 
1 19        N  vil,  loffel  on  »til. 

ül  loh  aiuh  wil,  ru  dUsjsj  Bpfl, 


442  Williams 

das  man  sy  her  sol  tragen 

der  erste  loffel  ein  gien  loffel, 

faum  loffel  buxpaum  loffel 

ein  hubscher  gemalter  loffel 

wir  sollen  auch  nun  fragen 

nach  seltzamen  löffeln  nerrischen  löffeln 

pufflene  loffel  vnd  painene  loffel 

mit  silber  znd  gold  beschlagen 

dar  zue  hübsche  zarte  lüffl 

Jungfraw  loffl  hoff  loffl  stetisch  loffl 

peurisch  loffl  milch  loffl  et  cetera 

Nun  sing  mein  lieber  Steffel, 

0  ho  lieber  loffl     0  ho  lieber  loffl. 

120.       Nun  sih  ich  wol,  das  ich  auch  sol 
mein  loffel  einher  tragen, 
So  bring  ich  zwar  ein  maul  loffel, 
rotz  loffel,  busen  loffel,  hültze  loffel, 
tiefte  loffel  flache  loffel,  thaschen  loffel 
oren  loffel,  butter  loffel,  gens  loffel, 
was  sol  ich  weiter  sagen 
Seht  lieben  freund,  schon  glate  loffel 
rawhe  loffel,  der  martschen  loffel, 
der  durlein  loffel,  der  vrsel  loffel, 
der  hopffen  sidrin  loffel,  der  diern  loffel, 
Heintz  loffel,  Cuntz  loffel  Jörg  loffel 
Fritz  loffel  Vle  loffel,  Claus  loffel, 
wer  vil  darüber  clagen, 
al  ort  vol  loffel,  al  winckel  vol  loffel, 
dz  haus  wol  loffel  die  weit  vol  loffel, 
ich  wil  nach  keim  mer  fragen, 
singt  nur  mit  schall  ir  loffel  all, 
ho  ho  loffel,   ho  ho  loffel. 

Auch  bei  W.  Schmeltzel  1544,  Quodl.  no.  5  in  drei  entsprechenden  teilen 
(s.  E,  Eitner,  Das  deutsche  lied  1,  Berlin  1876,  s.  117  f.  147). 

In  der  ersten  stelle  (Garg.  131)  citiert  Fischart  fast  vollständig  den 
1.  und  3.  teil  des  quodlibets  und  ungefähr  ein  viertel  des  zweiten  teiles. 
Die  einzelnen  ausdrücke  bringt  er  nicht  immer  in  der  anordnung  des  quod- 
libets. Folgende  ausdrücke  des  Garg.  1575  kommen  in  den  genannten 
quellen  nicht  vor:  s.  131,  z.  11  Stoffel;  12  Hauptmann;  11  Bubenlöffel; 
15  eng;    18  Laffelmauler;   22  Schaumlöffel;   23  Wirtshaus-. 

Der  Baseler  arzt  Felix  Platter  (mehrmals  rector  der  Universität ;  vgl. 
Allg.  deut.  biogr.  26,  266  f.)  erzählt  in  seiner  Selbstbiographie,  dass  man  bei 
seinem  hochzeitsschmaus  (1557)  'unter  andrem  daß  gsang  von  löfeln'  ge- 
sungen habe  (Thomas  und  Felix  Platter,  Zur  Sittengeschichte  des  16.  jh.'s, 
bearb.  von  H.  Boos,  Leipzig  1878,  s.  318).  Gemeint  ist  wol  unser  quodlibet, 
das  auch  von  dem  Verfasser  (F.  Platter?)  des  langen  in  der  genannten  ausg. 


LIEDERPOESIE   IM    <■  LEG  \n  K'A.  448 

fles  Platterschen  werkes  !  abgedruckten  gedichtet  auf  den  i 

•  LOffel1  benutzt  wurde. 

78/  |.Iiij;']  Neudr.  s.  L31,  z.  6— 9  v.u.:   Befata,  .</»/  Hcyw- 
vich,  Encian  . . .  kramt  n. 

Ganz  entsprechend  in  folgenden  quellen  als  der  grösste  teil  einet 
aartigen  gereimsels  in  Verbindung  mit  den  auch  sonst  im  link'  vom 
bettlei  (s.  oben  no.  n>  vorkommenden  versen  'Ich  weiß  nit  \\.i>  er  jr  ver- 
biefl,  «laß  Bie  <l.-n  rigel  dannen  stieß':  12 1  lieder  L534,  1 1 • » .  4 -" ; :  681iedero.j. 
ii n ■  1  Neuber)  ao. 59;  Förster  \'  L556,  oo.5  (Neudr.  s.  193.  259).  Die 
erhaltenen  elfstrophigen  fassungen  des  bettlerliedes  Bind  ohne  refrain.  — 
Sehnlicher  Kehrreim  Porster  ll  17  (Neudr.  s.96.  234,  Brk-Böhme  l.  181). 

<*.».   Frölich  sm  wil  ich  Bingen 
[Jiij1    Neudr.  b.  L31,  z.  1  u.  'J  v.  u.:  Frölich  so  will  ich  singen, 
Schlage  dein  Weib  vmb  den  Kopf)    znsatz  bis  132, 
z.  3:  Bebentopff]. 

Hier  'Ii''  beiden  anfangszeilen;  im  darauf  folgenden  gereimten  zusatz 
verwendet  Fischart  auch  vers  6  der  ersten  Btr.  Deber  dieses  seil  anfang 
des  L6.  jh.'a  belegte  1  i ^-<  l  s.  Kopp,  Zs.  fdph.  35, 517 1 

so.    Der  Lude!  vn.l  der  E&nsel 
[Jiij      Neudr.  >.  132,  z.3   -7:     Der  Ludel  ...  Hup/f  auff, 
Presinger. 

Nur  die  eine  str.  ist  bekannt;  bei  Fischart  fehlen  ein  paar  w^rte.  — 
Zuerst  bei  II.  Finck,  Lieder  L536,  do.  10  Abdruck  and  nachweise  i»i  tfar- 
riagf.  Neudr.  b.  10  Böhme,  Lb.  no.8 

81.    Nun  grüß  dich  Gotl  dn  edler  saifl 
|.Iiij'|  Neudr.  b.  L82.  /.  B    18:  Nim  grüß  dich  Hey  ...  eu- 
wegen  bracht 

Bin  längeres  lied  von  Fischart  vollständig  und  wesentlich  unverlndert 
angeführt  Beine  vorläge  ist  wol  die  siebenstrophige  fassung  der  121  lieder 
L534,  00.35,  abgedruckt  bei  Uhland  do.221.  Elandschriftl.  liederb.  *«fa«g 
des  16.  jh.'s  in  Hauchen,  univ.-bibl.  (nach  Eitner,  Monatshefte  f  Hui  geseh 
:;_'.  108  im'  -rliui.it/.  i  1544,  no.  12  fragm.:  'zu  letzt  kam  einer  vnter 

die  bamek,  dem  andern  «.ir  die  sunge  kranck.1 

BS.    \  "ii  edler  art  Bpie  Ich  in  barl 
Jiij      Neudr.  s.  132,  s.20    24:    Von  Edler  art,  Spty  ich 

. . .  vnuerirt, 

>tr.  t   einer  anzauberen  ler  beliebtesten  lieder  des 

16.  jh.'s:  'Von  ••'ihr  art  ein  fraulein  brein  and  zart) ',  rgl.  darüber 

Harri  r  Neudr  1.26  Sil  and  Kopp,  Archiv  L  neuere  spr  LH,  2L 

Heil 


444 


WILLIAMS 


Die  parodie  nur  iii  den  121  liedern  1534,  no.  76,  tenor: 


[1]    Von  edler  art, 
spieb  ich  in  part, 
on  als  gefer, 
trug  ich  so  schwer, 
von  starckem  wein, 
fiert  man  mich  heim, 
in  sessel  baldt, 
drinn  ich  erkalt, 
vnnd  spieb  ein  pan, 
es  mocht  einr  hau, 
ein  schiff  lein  gtiert, 
gantz  vnueryrt. 

[2]    Wie  ich  im  thue, 
schaffst  du  kein  rwe, 
spat  vnnd  auch  frue, 
man  singt  dich  zue, 
mein  lieber  wein, 
du  schleichst  hinein, 


ee  ich  wird  gwar, 
der  grollen  schar, 
von  glesern  vil, 
zu  diesem  spil, 
gehört  nur  spieben, 
wers  glauben  will. 
[3]    Seid  du  der  bist, 
gen  dem  ich  list, 
kein  stund  nit  brauch, 
möchst  nur  in  bauch, 
gantz  kubel  vol, 
vnnd  solt  ich  toll, 
werden  daruon, 
so  hueb  ich  au, 
vnnd  spieb  mit  vleis, 
in  solcher  weis, 
als  het  ich  des 
den  höchsten  preiß. 


83.   Fraw  wirtin,  habt  ir  vns  nit  gern  im  haus 
[Jiijb]    Neudr.  s.  132,  z.  5  f.  v.  u.:    Fraw  Wirtin  ...  wider 
gütlich  drauß  [wol  zusatz  bis  z.  1  v.  u.]. 

Mit  einer  zeile  mehr  in  den  121  liedern  1534,  no.  93: 
Fraw  wirtin  habt  ir  vns  nit  gern  im  haus, 
so  iagt  vns  gütlich  widerüb  aus 
als  wer  wir  euch  vnmere. 

Heidelb.  Cod.  Pal.  germ.  318  (1544),  bl.  117 a  nur  die  anfangsworte: 
Fraw  wirtin  habt  ir  vns. 

84.   Ich  bin  versagt  gen  einer  magd 
[Jiijb]  Neudr.  s.  132,  z.  1  v.u.  bis  133,  z.  1:  Ich  armer  Knecht, 
kam  selten  recht,  Mein  Seckel  hat  kein  Futer  mehr. 

Hier  der  anfang  der  zweiten  str.  Abdruck  mit  nachweisen:  Forster 
Neudr.  s.  28  und  213,  Erk-Böhme  no.  1659.  Weitere  quellen:  fl.  bl.  o.  j., 
Nürub.,  K.  Hergotin,  im  Weimarer  sammelband  no.  56.  Schmeltzel  1544, 
fragmente:  no.  7  bassus  "Ich  armer  knecht  hab  nimmer  recht',  no.  9,  tenor 
'Ich  armer  knecht  wenn  hab  ich  recht.'  Frankf.  liederbüchl.  1580.  1584, 
no.  187  und  Kölner  liederbüchl.  ca.  1580,  no.  146  entspr.  1582  A  187. 

85.   Ein  armer  man  wolt  weiben 
[Jiiija]  Neudr.  s.  133,  z.2  bis  134,  z.9:  Des  muß  ich  ...  ich 
drumb  zerspalten  [zusatz  bis  z.  10:  . . .  Wein  ist  theur] 

Fischart  citiert  von  der  zweiten  hälfte  der  zweiten  str.  an  bis  zum 
Schlüsse  des  elfstrophigen  gedichtes   —  das  umfangreichste  liedercitat  des 


LIEDEBP0B8IE   IM    QABOANTUA.  1  l'< 

(iarg.  Fischarl  weicht  wenig  von  anderen  Fassungen  ;iii  and  wird  hier 
will  einen  drack  benntcl  haben.  Reatterliedlin  L5S5,  00.8  in  elf  acht- 
seil.  str.   (bei  Böhme,  Lb.  ii"  isenh.  und  Bentterliedl.  <•.  j..  ao.56 

nur  str.l;   <'..">  liedei  ca.  1586;   Schöffer  and  Apiarias  do. 41,  elf  et.;  il.  bl. 

o.  j..   11  str..   Niinili..   Kr.  t  iiitkn.  ■••lit.   im  Yuti<;ni  (Stevenson,   ln\  entai  io  I!  ". 

ao. 22621);  tl.  bl.  o.j.,  il  str.,  Straub.,  Jac.Frölich  in  Basel  Sar.  151,  d 
SU.    X u i •  närrisch  sein  isi  mein  manier 

[Jiiijb]  Neudr.  8.134,  z.  12:  Nur  närrisch  sein  ist  mein  manier. 

(Hans  Jndenknnig,  Tabnlatnrbnch,  Wien  L523,  ao.34  der  denl 
stücke,  uberschr.  'Nerrisch  don  ist  mein  manier').  Bentterliedlein  l.">:;.">. 
oo.l7,  12  -ir.  (bei  Böhme,  Lb.  oo. 345);  65  lieder,  ca.  1536  (Schöffer  and 
Apiarins),  ao.34,  l1»  str.  Weitere  aachweise  (s.  Blamage,  Förster  Nendr. 
B.239);  Bergreihen  1574  H(Val. Formen),  ao.26 gleich  Reatterl.  17;  Krankt'. 
Liederhüchl.  1580.  1581,  ao.  161  gleich  1582  A.  Noch  L646,  str.  l  in  Werlins 
he.,  München,  hofbibl. 

87«    In  dieser  weit  hab  ich  kein  gelt, 
bin  ich  ffirwor  ein  narr  nid  thor 
[.liii.j  |   Neudr.  B.  134,  z.  13:    Tnn  dieser  Welt  hab  ich  kein 

Gi  U  znsatz  bis  /.  14:  ...  gefeilt]. 
Mit  diesen  Worten  beginnt  jede  der  aenn  Strophen  eines  gedichtes  in 
den  65  Liedern,  ca.  1536,  Schöffer  and  Apiarias  ao.  17  (abgedrnekl  von  B.  J. 
Doeen,  Uiscellaneen  2,251  f.;  str.  1  aach  di  c  Basastimme  bei  Weller,  Annalen 
2, 20 f.).  Kensidler  1536  I.  bl.rij*  die  erste  seile  (mei  aach  65  Liedern). 
Werlins  he.  L646,  s.  1086,  str.  l. 

88.   Wo  bo!  ich  mich  hinkeren, 

ich  armes  (ich  dnmmes)  brüderlein 
[.Hiij     Neudr.  s.  184,  /..  1  I     26: 

ii-  soü  ich  mich  hin  Lehn  >/, 
Ich  dummes  Bt  Ad*  rh  in  . . . 
Ich  wiü  »n  in  gut  verbrassi n, 
mit  schlemmen  frA  und  spät, 
. . .  cii  In  rüten  gaht. 
\Kl\    Neudr.  &  l  12,  /.  •">  v.  n.  bis   l  LS,  1. 14:    K 
freud  . . .  g  hleich. 

nri  i  stellen  enthalten  den  gräteten  t<il  des  beliebten  'weltlichen 
schlemmen':  in  dei  ersten  ati  ür.  l   •_'.  dl  Lifte  von  8  and 

die  erste  bilfte  von  1;  In  sweiten  »it.it  str.6.  s  :».  die  erste  hilfte  von  i<» 
and  die  letita 

Deranedmok  'gnt  rerpraseen'  in  dem  ersten  »-it.it  (eigentlich  im  an« 
Bang  da  I  Lirt  an  einem  paosni  La 


446  WILLIAMS 

sonst  von  ihm  im  Garg.  vielfach  benutzten  lat.  scherzrede  'De  generibus 
ebriosorum  et  ebrietate  vitanda'  (1516)  zu  erinnern,  den  er  sogleich,  aber 
in  sehr  freier  weise  verwertet  (vgl.  den  neudr.  von  De  gen.  ehr.  bei  Zarncke, 
Die  deutschen  Universitäten  im  mittelalter,  Leipzig  1857,  s.  128  mit  Garg., 
Neudr.  s.  134,  z.  26 — 29).  Darauf  folgen  im  Garg.  über  neun  Seiten  text, 
bis  Fischart  wider  eine  stelle  aus  De  gen.  ebr.  (Zarncke  a.a.O.  s.  121;  Garg. 
s.  142,  z.  9 — 35  von  'Ede,  bibe,  lüde'  an)  einführt,  welche  die  deutsche  str. 
'Kein  besser  freud'  u.s.  w.  enthält.  Fischart  citiert  nun  diese  (eigentl.  die 
sechste)  str.  des  abgebrochenen  liedes  und  fügt  noch  dreieinhalb  Strophen 
hinzu.  S.  auch  F.  Rieser,  Wunderhorn  und  seine  quellen,  Dortmund  1908, 
s.  452  ff. 

Nachweise  bei  J.  Meier,  Bergreihen  (Braunes  Neudrucke  99/100)  s.  sii; 
Kopp,  Jahrb.  f.  liiederd.  sprachf.  26,  40  f.  und  'Pal.  343'  s.  208  f.;  Marriage, 
Forster  Neudr.  s.236f.;  Böhme,  Lb.  no.  358;  Erk-Böhme  no.  1170.  —  Der 
früheste  beleg  ist  meines  Avissens  das  oben  erwähnte  bruchstück  (str.  6)  in 
De  gen.  ebr.  1516.  Eine  weltliche  (und  auch  eine  geistliche?)  nachdichtung 
ist  in  wol  noch  älterer  handschr.  quelle  erhalten;  vgl.  unten. 

Weitere  belege:  Hans  Judenkunig,  Lautenbuch,  Wien  1523,  no.  10  der 
deutschen  stücke  überschrieben  'Wo  sol  ich  mich  hinkeren'  und  no.  11  'Wo 
sol  ich  mich  hinkeren  ich  armes';  Gerle  1532.  1537,  vers  1  und  2  als  Über- 
schrift ( . . .  armes  brüderlein) ;  de  Vento,  Newe  Teutsche  Lieder  mit  4  Stirn. 
1571,  no.  2  nur  str.  1,  desgl.  Newe  T.  L.  mit  3  Stirn.  1572.  1577.  1583.  1591, 
no.  7;  Frankf.  liederbüchl.  1580.  1584;  Kölner  liederbüchl.  ca.  1580,  no.  37 
und  Groß  Liederbuch  1599,  no.  97,  in  diesen  entspr.  1582  A  97;  M.  Schaerer 
III  1602,  no.  15  vier  str.  entspr.  Bergreihen  ed.  J.  Meier  no.  27,  str.  1 — 3.  5. 
—  Zahlreiche  nachdichtungen  sind  weitere  Zeugnisse  für  die  beliebtheit  des 
liedes,  z.  b.  weltlich:  'waltpruederlein',  schon  anfang  des  16.  jh.'s  im  Ber- 
liner Mgq.  718,  abgedr.  von  Kopp,  'Pal.  343',  s.  214  f.;  geistlich:  'Schlemer, 
was  pistu  singen'  WK.  3  no.  548,  schon  15.  Jh.?  Vgl.  Uhland,  Schriften 
4, 203  nach  dem  Münchener  Cod.  germ.  809  (nicht  811 !),  bl.54  (ca.  1490—1524). 
WK.  2  no.  1286,  4  no.  170  und  1165  u.  a.  m. 

89.   Vinum  quae  pars 

[Jvab]  Neudr.  s.  135,  z.  18 — 27:  Vinum  . . .  drey  oder  viere. 

Hier  str.  1  (vers  6  anders,  3  zeilen  hinzugefügt),  str.  4,  vers  1—5  und 
str.  8,  vers  7 — 12.  —  Zuerst  in  Mich.  Lindeuers  Katzipori  1558  in  8  zwölf- 
zeil.  str.,  vgl.  die  neuausg.  Stuttg.  Lit.  ver.  no.  163,  s.  188-190.  Abdruck 
des  liedes  auch  Liederbüchl.  1582  A,  no.  96  und  Hoffmann,  Gesellschafts], 
no.  243.  Weitere  nachweise:  de  Vento,  Lieder  1571,  no.  8  nur  str.  1.  Glanner 
1578,  no.  12  in  7  str.  (3  fehlt);  Pühler-  di  Lassus  1582,  no.  26  eine  Strophe 
mit  einigen  brocken ;  Frankf.  liederbüchl.  1580.  1584,  no.  96,  entspr.  1582  A ; 
Eccard  1589,  no.  24,  str.  1.  Fl.  bl.  o.  j.  (Weller  1,  248,  no.  259);  o.  o.  und  j. 
in  Berlin  Yd  7852,  no.  24  in  8  Strophen.  Liederb.  1650  II,  no.  92  (Kopp, 
Zs  .fdph.  39,  216).  ■-  ■  Vgl.  auch  Bolte,  Festgabe  für  K.  Weinhold,  Leipzig 
1896,  s.129. 


LIEDEBF0E8IB   IM    QABGANTÜA.  117 

90.    Wolauff  jr  brttder  allzumal 
iv      Neudr.  s.  L35,  /.  8  v.u.  bis   L36,  /..  1:    Wolauff... 
8ordido8. 
Dieses  Lied  ist   meines  wissend  vollständig  erhalten  nur  bei   [vo  de 
Vento,   Nene  tenteche  Lieder  mit   4  Stirn.   1">71.  no.15   (abgedruckl    bei 
Leke- Tittmann  b.  U">.    Bei  de  Vento  tat  das  lied  in  zwei  teilen  zu  je 
12  versen  gedruckt;    die  Letzten   der  verse  beider  teile   fehlen    Lm  <iar- 
gantna:    (Ij   '...  so  aal   er  anch  ein  Bchöne  magd,   annos  habentem  -'■- 
decim,  jrn  leih  sie  kainem  ni<  versagt,  vel  bj  venirent  vndecim.'    (Et)  '... 
frisch  iiuiV  die  bnrsch  wil  Erblich  Beyn,    Lenate  sursum  pocnla,   Gott  gsegn 
ms  den  vnd  ander  wein,  in  Bempiterna  Becula.'         M.  Franck,  Spann 
lust.  Quodlibet,   Coburg  Kim  and  Mus.  Grillenvertreiber  1622,   no.2,   nur 
vers  1—4. 

91.    I'rei  gäns  im  haberstro 
[Jvb]  Neudr.  b.  186,  /.  5     7:  drei  Gänß  ...  im  Haberstroh. 
Der  anfaug  dieses  wo!  noch  lebend  igen  lieuVhens  kommt  im  ltl.jl 
in  parodien  auf  In  dnld  iubilo  (Fiecharl  citiert  es  hier  in  einem  abschnitt 

.  der  viele  Lat.  brocken  enthält):  t)  Snmmarinm  des  Gnangelü 
...  Krieges,  1547  (vgl.  Weller,  Annalen  1,54,  no.228  und  2,509),  bUhj'  : 
•.i"  psBan,  in  dulci  iubilo  Springet,  Binget,  'luv  genfl  im  Baberstro1  (M 
bach  eu  der  Qarg.-stelle);  2)  anders  in  Barthol.  Krügers  Spiel  v.  .1.  bäur. 
Bichtern,  1580,  li-u-.  von  Bolte,  Leipzig  1884,  b.  124  ff.  —  Eischart,  tiegen- 
Iblein,  L589,  bl.  Bijb:  'Vnd  bist  darinn  wo!  als.,  froh  Wie  die  drey 
im  Baberstroh'  (vgl.  Kurz  3, 371).  Meusebach,  Nachläse  21  verweist 
auf  Nie.  Zange,  Lustige  neue  deut  weltl.  Lieder,  Berlin  1620,  uo.  11:  die 
stelle  lautet:  'Drey  Ganfi  im  Haberstrob,  die  Bässen  vnd  assen  die  Bässen 
vml  «raren  froh,  den  Kigag  den  Kagag  den  Bchnitter  den  Bchnatter  da  kam 
der  Brofl  -  Wer  do?  Wer  do?  Wer  do?  Drei  Ganfl  ...  u. s. w.   — 

Berliner  M-.  germ.  o<  t.  2  U  1 1669),  vgl.  Vierteljahrsschr.  I  musikgesch.  7 
und  647  und  Erk-Bonme  no.  1785.   Wunderh.  8,  anhang  b.58  (ed.  Grisebach 
osl  im  19.  jli. 

92.    Die  brünnleiD  die  da  fli(  Bsen 
Neudr.  b.  137,  z.2    6:  (du  Weinlein,  die  wir  gieffen), 
die  80Ü  man  trincken,        B    nnlein  diedaflieffen 
...  meiden  muß   rasati  bis  z.9:  ...  barfuß]. 

■  und  '_'  des  liedchens  umgestellt,  sie  reimen 
mit  den  nicht  hierh«  n  worten  ''li>-  Weinlein  ...'  and  den  ein- 

geschobenen vers  -  •  i  i  -  -  sollen  »ch  winken'  a.        Die  mel.  mit  t .-  -v  t  - 

anfang  al-  aberschrifl  häufig  in  mos  werken  und  tabulaturen  des  !•;.  jh.v. 
am  frühesten  M-.  um-  328.81,   Manchen,]  aniv.-bibl.  (Monatahefte  l  um-  - 

eonh.  Kleber),  bL  1 1  i 
1>1.  M 1  j  v   Vi  n  158 1   in  a  '  immer  am 

lehtieiL  »1  >  no.  183,  Luch  de  N 


448  WILLIAMS 

no.  16.  --  Ein  fl.  bl.  o.  j.,  Nürnb.,  Fr.  Gutknecht  (im  Vatican,  Stevenson, 
Inventario  112,  no.  2340  m  m  m  m)  hat  noch  acht  gar  nicht  passende  str.; 
mit  Strophe  1.  2.  4.  5.  G.  8.  9  stimmt  ungefähr  die  spätere  fragmentarische 
fassung  bei  Unland  no.29  überein.  —  Geistl.  umdichtnngen  WK  3,  no.  1292/6. 

03.   Es  flog*  ein  gans  mit  jren  federn  weiß 
[Jvja]  Neudr.  s.  137,  z.  9 — 13:  -Es  flog  . . .  jr  Gesang  ist  da 
ga  ga  ga. 

Ivo  de  Vento,  Newe  Tentsche  Lieder  Mit  vier  stimmen,  München 
1571,  no.  3:  Eg  flog.  ain  üanß  mit  jren  Fetjcrn  weiß) 

die  flog  in  aines  Wirtes  hanß  mit  gantzem  fleiß, 
sie  was  gar  schon  formiret, 
mit  ainem  langen  halß 
vnd  gelben  schnabel  gezieret, 
jr  gsang  ist  da  da  ga  ga  ga 
.  mit  jrem  gelben  schnabel. 
Sonst  nicht  erhalten,    nur  bei  Nie.  Zange,  Lustige  neue  ...   lieder, 
Berlin  1620,  no.  11  das  fragm.: 

'(ein  Ganß)  mit  jhrem  gelben  Schnabel, 
darzu  ein  langen  Halß,  da  da  . . . ' 

94.    (Nun)  schürtz  dich  Gretlein,  schürtz  dich 
[Jvjab]  Neudr.  s.  137,  z.  13—26:   Schürte  dich  ...ja  Hem- 
metlein   [zusatz  bis  z.  28  ...  Jäckelein  leitet  zum 
folgenden  liede  über]. 

Fischarts  citat  enthält  str.  1.  2.  3  (ohne  vers  2).  4.  10—12  der  fünf- 
zehnstrophigen  fassungen  des  sehr  verbreiteten  liedes  (vgl.  Erk- Böhme 
no.  113).  Eine  anspielnng  auf  dieses  lied  schon  in  Fischarts  S.  Dominici 
leben  1571,  bl.  B2b:  'Derhalbe  schürtz  dich  Münchleiu  schürtz  dich'  (vgl. 
Kurz  1,140).  —  Reichliche  nachweise  bei  Kopp,  Jahrb.  f.  niederd.  sprachf. 
26,28;  Zs.  fdph.  39,  221  (Liederb.  1650);  Bergliederbüchl.  1700/10,  Leipzig 
1906,  s.  80.  Marriage,  Forster  Neudr.  s.  252  f. 

95.   Es  ist  ein  schnee  gefallen 

[Jvjb]    Neudr.  s.  137,  z.  8 — 12  v.u.:    Hans  JacJcel  . .  .  ver- 
schneit. 
In  komischer  Unordnung  stehen  hier  vers  1.  5.  6.  2.  4  und  der  refrain 
des  liedes.    In  der  Fischart  bekannten  gestalt  erhalten  als  11  zweizeilige 
Strophen  in  einem  fl.  bl.  o.  o.  und  j.  3  lieder  (Strassb.,  Thieb.  Berger,  ca. 
1570?)  in  Uhlands  sammelband  s.  315  ff.,  2.  lied,  str.  1 — 3: 
[1]    Es  ist  ein  schnee  gefallen, 

Jörg  niffel,  sigmichel  hudelump, 
hanß  jocel,  gut  tuch  hudelumpe, 
wann  es  ist  noch  nicht  zeit. 


LIEDERPOESIE    IM    G  \i;<:  IV  PÜA.  I  19 

[2]    I «•  1  *  wult  zu  meinem  bülen  gan,  |6rg  nissel  ... 

der  weg  isl  mir  verschneyet. 
[3]    Es  giengen  drei  gesellen,  j6rg  11  i— — «-1  . . . 

ipataieren  vmb  daa  bauB. 

Abdruck  bei  Unland  oo.  I''.  aber  ohne  kehrreim  and  str.  7  dei  il.  bL 
brüten  1,39).  Andere  ausg.  dea  B.W.  in  Berlin  STe  165.  Zuerst  in 
den  Qraflliedlin  ca.  1687,  ao.6  vierteilen  ohne  refrain.  7gl.  Erk- Böhme 
no.  124  a  Deutlichere  fassung:  B.W.  im  Vatican  (titel  i.  oben  in  no.  81)  in 
7  viereeil.  str.  ohne  refrain.  Anderes  lied  mit  gleichem  anlang,  ha  i.">  Jh.. 
vgl.  Könnecke,  Bilderatlas  2.anfL,  s.96;  Böhme,  Lb.  ao.  165. 

im»,   «int  reater  bei  dem  weine  safi 
[Jvj'l   Neudr.  s.  137,  z.6— 8  v.u.:    Out  Beuter  ...  Wort 

Vi  rtnoß. 
Zwei  verse  ans  'l<-m  anfang  eines  weil  verbreiteten  liedea 
weise  bei  Kopp,  Archiv  i".  neuere spr.  LH.  268;  Euphorion9, 34 — 39;  Berg- 
liederb.  1700  10,  Leipz.  1906,  s.  it>:;.  Stevenson,  [nventario  II  2,  do. 2328z ss 
(i2  str.);    Weller,  Annalen  l.'j:?1-',  no.  162  and  s.255,  ao.800;   Erk-Böhme 
ao.  1302,  vgl.  ao.1803/6  and   Köhler-Meier,  Volksl.  von  d  Hotel  and 

I  i  zu   00.  1    I 

'.»<.    Wo)  hinter  meines  raten  1, 
[Jvjb]  Neudr.  s.  137,  z.  5  v.u.  bis  b.  L38,  z.  5:    Wann  der 
der  best  Wein  ...  von  falschen  Sinnen  [znsatz  bis 
/.  6  ...  ja  Spinm  n  . 

igment  findet  sich  in  etwas  abweichender  gestalt  als  bestand- 
tiil  des  lii  bindter  o  tters  hoff1  in  einem  tl.  bL  o.  | 

.   Nflrnb.,  Val.  Keuber,  swei  ausgaben  je  LS  str.:  a)  Berlin  Y.l 
(ungenau  abgedrnckt  Wunderh.  i.  1854,  vgl.  Böhme,  LI 

b)  im  Vatican  (81  [nventario  112,  no.  2330  b bbb).  Str.  8    11  oaeh  a: 

[8]       Wenn  der  best  Wein  im  alten  Fafl  wer, 
darinn  musl  ir  ersanren, 

wenn  ein  Jungs  Keydlein  ein  alten  Mann  oimpt,  ja  oimpt, 
Ir  junges  herta  muB  trawren. 

[!•!       \  ii'l  wenn  'li'1  Linden  das  Laub  verlernt, 
ii  all  'li.'  I 
Kitt  leb  dich  /.irt-s  Jangtrewelein,  ja  lein, 
h.ilt  da  dein  Krentalein  v< 
[lo|      Soll  ich  mein  Krentalein  behalta  i 
wil  •  ii  nimmer  bleyben, 

vi]  lieber  woll  i«"h  mit  eim  jo  iben,  j.i  kn 

mein  seil  vnd  \vii  vertreib« 
[11]       Vii'l  wer  der  tpffel  noch  so  n>t, 
find  m .in  ein  w&mlein  drinni 


450  WILLIAMS 

so  welche  Jungfrewlein  sewberlich  sindt,  ja  sindt, 
die  können  vil  falscher  sinnen. 
Vgl.  Unland  no.  17  A,  str.  5.  6  (dazu  Kopp,  Jahrb.  f.  ndd.  spracht  26,  29). 
Zu  str.  11,  vers  1  und  2  vgl.  Kopp,  Zs.  f.  Volkskunde  12, 19. 

98.   Man  sagt  von  gelt  vnd  groffem  gut 
[Jvija]  Neudr.  s.  138.  z.  8 — 23:  Man  sagt  von  Gelt  ...  auß 

den  Bonen. 
Hier  str.  1.  4.  5.  Fischarts  quelle  ist  höchstwahrscheinlich  65  lieder, 
Schöffer  und  Apiarius,  Strassb.  ca.  1536,  no.  36,  5  str.;  abgedr.  bei  Unland 
no.235;  Böhme,  Lb.  no.362a;  Erk-Bökme  no.  1174.  —  Holland  1570,  no.  28 
'Das  mir  niemands  hold  ist'  3  str.,  text  z.  t.  aus  obigem  liede.  Vgl.  auch 
Böhme  no.362b. 

99.  Wer  lützel  (wenig)  bhalt  vnd  vil  vertut. 
[Jvija]  Neudr.  s.  138,  z.  23— 28:  Wer  wenig  behalt .  .  .  auß 
den  Bonen. 

Hier  etwas  abweichend  je  eine  halbe  Strophe  aus  anfang  und  sclüuss 
des  sechsstroph.  gedichtes.  Quelle  wahrscheinlich  die  65  lieder,  Schöffer 
und  Apiarius,  ca.  1536,  no.  7  (bei  Uhland  no.  236 ;  Böhme  no.  361 ;  Erk-Böbme 
no.  1175).    Die  der  Gargantuastelle  entsprechenden  verse  lauten  im  original : 

[1]    Wer  lützel  bhalt  vnd  vil  vertut, 
der  darff  nit  ston  in  sorgen, 
Das  man  jm  zletst  vergant  sein  gut, 
kein  Jud  thut  jm  drauff  borgen  . . . 

[6]    ...  Im  gschicht  gleich  wie,  dem  esel  hie, 
muß  holtz  vnd  wasser  fronen, 
Wermpt  sich  nit  mit,  vii  wascht  sich  nit, 
Zletst  muß  er  auß  den  bone. 

Neusidler,  Lautenb.  1536  I  bl.  riijb  (mel.  nach  den  65  liedern)  Über- 
schrift 'Wer  wenig  behelt,  vnd  vil  verthut.'  M.  Scbaerer  III 1602,  no.  2  in 
6  entspr.  str. 

100.   Wolauff  mit  reichem  schalle 
[Jvija]    Neudr.  s.  138,  z.  5 — 9  v.  u.:    Wolauff  mit  .  .  .  jnen 
gleich. 

Str.  1  eines  buchdruckerliedes,  an  dessen  schluss  Jörg  Busch  zu  Nürn- 
berg genannt  wird.  —  Rotenbucher,  Bergkreyen  1551,  no.  23  in  14  atroph. 
(str.  1-8.  11.  14  bei  Uhland  no.  265).  Fl.  bl.  o.  j.,  ca.  1570,  Strassb.,  Thieb. 
Berger,  15  str.  (in  Unlands  sammelband  s.  349  ff.).  Liederb.  im  besitze  R.  Wol- 
kans  (Euphorion  6,  650).  Frankf.  liederbüchl.  1580,  no.  256,  13  str.  (str.  9 
der  fassung  bei  Rotenbucher  fehlt,  5  und  6  umgestellt),  entspr.  1582  A,  256. 
—  Geistl.  umdichtung  1569,  WK3,  no.  978. 


LIED]  BP0E8H    im    G  LB0AK1 1   i.  451 

101.  Gehabt  euch  wo]  zu  diesen  Zeiten 

[Jvij*]  Neudr.  8.188,  z.5f.  v.u.:  Gehabt  euch  ...den  Leuten. 

Die  beiden  ani  in  den  quellen  ein  'christlich1  oder    . 

lieh'  Lied  genannt    Abdruck  mil  quellenangaben  \VK  i.  uo.  241,  eine  drei- 

aphorion  13,  181  f.    Anch  bei  J.  Knöfel,  Liedlein  1681, 

do.  20  drei  »tr.    Weitere  nachweise  bei  Kopp,  Archiv  f.  neuere  spr.  112,11. 

102.    Paule  Lieber  Btallbruder  mein 
Jvij"    Neudr.  b.188,  z.  l     I  v.u.'.  Pauli  liebster...  Wisch 

i  inmal  herumb. 
EU  Nie  Lmmerbach,  Tabulatur,  1571,  bl.  G8b  Überschrift  einer  melodie: 
'Paule  lieber  Stallbruder  mein,1  eti  >.  25  'Paule  Lieber  Btallbruder.1 

VgL  Liederbuch!  L582A.  no.85,  rtr.  l  nnd  4  (Unland  no.218),  Liederb 
11.  u".  s7  (Kopp,  Zs.fdpl  Das  refrainartige  gereimte]  'Wiech 

einmal  herumb1  u.s.w.  bei  nng  in  trinkliedern. 

108.    -ivij  |  Neudr.  >.  1  \9t  /.  1     3:  Ir  Ä  er ...  drei 

//■  !h  r. 
Vielleicht  als  trinkliedchen  gemeint 

VW.    Nun  beb  Ich  an  zu  Bingen 
Jvij  |  Neudr.  b.189,  z.4     25:  HoUa  mein  lieber  Staubt 
...  su  guter  muht. 

(Bl.  B",  Neudi  20:  'Ich  lig  auch  gern  im  Luder1  nnd  Kvi.j  . 

Neudr.  b.  81,  a.7  f.  v.  u. :  '  Lafil  auch  die  Specksupp  kochen  Bchier  . . ,  riertzig 
rier1  können  reminiscencen  an  Btr. '_'  nnd  :'■  dieeee  Liedes  Bein,  rgl.  den  neu- 
druch  L9    21). 

.irt  citierl  im  weeentlichen  unyeränderl  -tr  neun- 

druck 1582  A,  ii".  L27j  Unland  no 
Prankf.  liederbucbL  1580  L584,  no.  L27;  Köln«  Lb. 
Lb.  no.  128:  in  diesen  gleich  1582  A.    Fl.  bl.  defect  (Unland  zu  i 

106.    Lei  keiner  hie,  der  spricht  zu  mir 
Jvij     Neudr.  >.  I 

Hin  in  buh  werkt  B.  jh.'i  btuflg  vorkommender  trinkreim.   Zu- 

r  11  1540,  ii"  86    Neudr  -  94  und  . 
nnd  anlang  dea  textet  in  B  Jobini  Lautenbuch  i 
ler  laute 

108.   Zum  biere  zum  biere  der  kell« 

•  i  \  r  m.:    tum  Bu  r,  </<  r  Keller 

gefangen,      i    A 
Vgl  w.  8i  bm< 
'Zum  Biere  nun 


452  WILLIAMS 

die  vögelein  mit  gsange'  (vgl.  Eitner,  Das  deutsche  lied  1,  83).  Es  handelt 
sich  meines  erachtens  bei  Schmeltzel  und  Fischart  um  eine  parodie  auf  das 
unten  no.  122  besprochene  spielliedchen. 

107.    [Jviij3]  Neudr.  s.  139,  z.  8  v.  u.:  der  Benzenaucr  sprach. 

Ein  fragment  aus  dem  Hede  bei  Liliencron,  Hist.  VI.  no.  246 ;  Böhme, 
Lb.  no.  381.  Von  Eischart  schon  1573  im  Flöhhatz  erwähnt,  Braunes  Neu- 
drucke no.  5,  s.  16. 

108.   Bistu  der  Hansel  Schütze 
[Jviija]  Neudr.  s.  139,  z.  4 — 6  v.u.:   Bistu  der  ...  Glocken 
an,  prim  pram  [zusatz  bis  z.  3  v.  u. :   ...  Moren- 
stammj. 
Entsprechend  Le  Maistre,  Geseng  1566,  no.  86,  tenor: 
Bistu  der  Hensel  schütze, 
was  ist  dir  dein  Armbrust  nütze, 
weil  du  nicht  spannen  kaust, 
brim  bram,  briin  bram 
da  gienge  die  glöcklein  au. 
Ibid.  no.  90  drei  zeilen  im  tenor,  die  übrigen  worte  im  bassns.    Scan- 
dellus  1570  und  1578,  no.  20,  entsprechend. 

*109.  Sauff  dich  voll  vnd  leg  dich  nider 
[Kb]  Neudr.  s.  142,  z.  24— 27:  Sauff  dich  ...  Arslexander. 
Die  beiden  ersten  verse  dieses  kleinen  Spruches  scheinen  sehr  ver- 
breitet gewesen  zu  sein,  aber  erst  im  18.  jh.  trifft  man  sie  in  trinkliedern, 
vgl.  Kopp,  Euphorion  13,  121.  —  Die  vier  verse  befinden  sich  in  einer 
stelle,  die  Fischart  aus  De  generibus  ebriosorum  (1516)  entnahm  (Garg.  s.  142, 
z.  9— 35;  Zarncke,  Die  deutschen  univ.  im  mittelalter,  s.  121,  256).  Den 
schluss  'das  schreibt  der  gutt  fruffi  priester  Arß  lex  ander'  hat  Fischart 
etwas  geändert.  —  Auch  bei  nachahmern  Fischarts  steht  dieser  reim:  Joh. 
Sommer,  Ethogr.  mundi,  ausgäbe  1614,  bl.  Evj  b ;  Aegid.  Albertinus,  De  con- 
viv.  et  compot.  1621,  s.  122  (hier  vers  1  und  2). 

Neudr.  s.  142,  z.  5  v.u.  bis  s.  143,  z.  14:  Kein  besser  freud 
. . .  glück  erschleich.    Vgl.  no.  88  oben. 

110.  111.  112.    [Kiij b]  Neudr.  s.  146,  z.  14— 16:  Hui  störte 

den  Becher,  Gödecke   Michel  . . .  Gelt  Baumsattel, 
mein  Schitdensamen. 
Die   namen  der  helden  von  drei   bekannten  historischen   gedichten. 
(Wortspiel  mit  Stortebeker  u.  Schüttensam) : 

(110).  Stortebeker  und  Gödeke  Michael.  Liliencron,  Hist.  VI. 
no.  44.    Vgl.  Kopp,  Archiv  f.  neuere  spr.  117.  251 ;  Zs.  fdph.  39,  221. 

(111).  Raumsattel.  Böhme,  Altd.  Ib.  no.  78.  Fl.  bll.  in  Berlin 
Yd  8786  usw.,  vgl.  Kopp,  Euphorion  9,  33. 


LIEDERPOESIE    IM    OARQANTTJ  L  153 

( i  rj  i-  Schüttensam  i-i  der  held  eines  im  L6.jh.  sehr  beliebten,  an- 
geblich von  Sana  Kugler  gedichteten  Liedes  (Liliencron,  lli-t.  71.  l'J7».  Bin 
derbes  Wortspiel  ist  an  dieser  Btelle  vorhanden  wi<  L59,  z.  15. 

113.  (Kii.j'l  Neudr.  B.  1 16,  z.23  bis  s.  1 17.  z.  I :  Hilf  da  ich 
frölich  bin  ...  erworgen,  ja  worgen. 

.'■  fünfzeilige  Strophen  aus  einem  sonst  wol  Dicht  erhaltenen  wein- 
liede.  in  anderen  quellen  kenne  [ch  nur  eine  str.,  die  mit  dem  Bchlnsse 
der  GLargantnastelle  von  'Ach  Wein  dn  bisl  mir  ..."  an  genau  ftberein- 
stiimiii,  bei  M  Franc k.  Spannewes  Inst.  Quodlibet,  Coburg  1619  and  Uns. 
Grillenvertreiber  1622,  no.  2.  —  Fischarts  Strophen  zeigen  an  mehreren 
steilen  wörtliche  anklänge  an  «las  im  gleichen  veranlass  gedichtete  lied 
vom  'wunderbSsen  weib':  'Wie  kumpts  'las  ich  so  traurig  bin1  bei  liölmie, 
Altd.  Ib.  no,  248. 

Neudruck  s.  147  (die  ganze  Seite),  vgl.  oben  no.  48. 

114.    Mein  tag,  kein  zag 
[Kiiijab]  Neudr.  b.148,  z.7 — 13:  Mein  tag  ...  wachen. 
Str.  l  und  schluss  der  4.  str.,  die  eingeschobenen  weite  •  I e r  späteren 

ausgaben  gehören  nicht  hierher.  —  Abdruck  des  sechsstroidi.  Liedes:    L582 

A  DO.  1  !■">.  entspr.  Krankt,  LiederbüchL  1580.  1584  u.  fl.  bL  0.  0.  D  j.  in  Basel, 
'  >1,  ii"  64.    Es.  des   M.  Ebenreutter  zu  Würzburg  (notiz  von  bfeuse- 

bachs,  nac.hlass  21)  jetzt  in  Berlin  Mgf.  188,  auf  bl.  322"  nur  str.  l  (frühest  r 

beleg). 

115.  [Kv1]  NYmlr.  s.  141».  /..  s-  11  v.u.:  Ihn  F.sd  teil  ich 
}))>  isen  . . .  nit  eu  gast. 

Blhl.  in  Berlin  Fe  201  (8  bll.  8°,  o. o.,  am  Schlüsse  1540  datiert; 
erstes  Lied  von  Amin-.  Blaurer  nacb  WK8,  i.  •  L9):  Drej  newe  Lieder,  von 
gegenwertigen  Lastern  ...  vilen  zum  spiegel,  Christlicher  ermanung  vnd 
Lere  ...  Das  dritt,  von  allen  volsauffern  ...  (3. Lied)  'Ir  narren  die  s" 
trincket,  wie  seyl  jr  doch  so  blind  ..."  >'Jo  neunzeil.  str.) 

[Str.  4 1    Den  Esel  mufi  jeh  preysen,  ex  mer  netal  sein  mund, 

der  ist  der  lauffer  Hu  I  l-t  das  nit  wo!  zu  klagen, 

Met  wejbheit  kan  beweysen  von  lauffern  solche  in  sagen, 

trimkt   nit   mer  als  jn  dfir-t.  pfüj  sie  zu  aller  Stund 

auch  lieü  sich  gar  erschla 

Vollständiger  titel  einer  andauerten  ausg.  dieses  (Lbl.  bei  Weller,  Annalen 
l  -■'•-.  Do.  L67.        I  besteht   aus  einer  str.  (ohne  den  B 

in  demselben  v(  ie  das  lied  des  druckes  und  dürfte  wol 

nicht  nbel  gelungenen  parodie  aul  itanunen. 

Neudr.  B.  165,  z.9  10  w  u.:  das  1.  cd       Qoffel  Löffel    Vgl 

oben  ii".  77. 


454  WILLIAMS 

110.   So  trincken  wir  alle 

[Lvja]  Neudr.  s.  167,  z.  18:  (das  Angsterlied  ...)  So  trinchen 

ivir  alle,  etc. 
[aa  viijbJ  Neudr.  s.  386,  z.  3  f.:  Dieser  Wein  . . .  ein  Für  sie. 

Zwei  fragmente  aus  einem  im  16.  jh.  sehr  beliebten  kleinen  trinkreim. 
Vollständiger  im  Garg.  als  bestandteil  der  oben  110.  64  besprochenen  reimerei. 

—  Nachweise:  Marriage,  Forster  Neudr.,  s.  232.  Auch  bei  J.  Steurlein, 
Gesenge  1575,  no.  19  und  etwas  geändert  noch  1646  in  Werlins  hs.  in 
München,  s.  2116. 

117.  [Mvija]  Neudr.  s.  186,  z.  2:  (haben  ...  die  Jungfraiven 
. . .  Ire  Lieder  gedichtet,)  inn  Praun  will  ich  mich 
Meiden,  gegen  diesem  Winter  kalt,  etc. 

Es  handelt  sich  hier  um  formein,  die  in  scheideliedern  öfters  vor- 
kommen, vgl.  Forster  III  42,  str.  7 :  '. . .  ich  schwing  mich  vber  d  heyden, 
in  braun  wil  ich  mich  kleyden  .  .  . '  und  das  sehr  beliebte  '  Entlaubet  ist 
der  walde,  gegen  disem  winter  kalt  .  . . '  Ob  Fischart  bestimmte  lieder 
im  sinne  hatte,  lässt  sich  nicht  entscheiden.  Vielleicht  wollte  er  nur  das 
formelhafte  in  den  poetischen  versuchen  der  mädchen  etwas  lächerlich 
machen. 

Neudr.  s.  259,  z.  4  v.  u.:  Bummel  dich  gut  Birche.  S.  uo.  51 
oben. 

Neudr.  s.  263  links,  z.  4:  Meidlin ...  recht.  Vgl.  no.  73  oben. 

Neudr.  s.  264  rechts,  z.  5  v.  u.:  Mein  Tochter  . . .  zeit.  Vgl. 
no.  65  oben. 

*118.    [Rvja]    Neudr.  s.265  links,  z.  16:    Meidlin  laß  dirs 

ivol  thun. 
Rausch,   Spielverzeichnis  s.  80  betrachtet  dies  als  'derbes  Volkslied'. 

—  Aehnliche  ausdrücke  kommen  in  liedern  vor:  Förster  II  53,  str.  2  'Sihe 
gredlein  laß  dirs  dinglein  thun  .  .  . '  und  Schmeltzel  1544  no.  20  II  fragin. 
'  Liebs  maidle  laß  dirs  dinglein  thun. ' 

*119.  [Rvja]  Neudr.  s.265  links,  z.  3  v.u.:  Meydlin  ivas 
hat  dir  die  Kunckel  gethan?  [spiel]. 

Vgl.  Cod.  Pal.  germ.  318  (1544),  bl.  111*  'Gredl  was  hat  dir  der 
rocken  than'  (nur  so  viel,  Wust  als  komponist  genannt);  Schmeltzel  1544, 
no.  8  fragm.  '  Was  hat  dir  der  rocken  getan,  daß  du  nit  wilt  spinnen.' 
Eine  str.  mit  diesem  anfang  findet  sich  in  den  meisten  erhaltenen  fassungen 
des  liedes  '  Die  höchste  freud  die  ich  gewan ',  vgl.  Böhme,  Altd.  Ib.  no.  209, 
str.  8  und  Bolte,  Zs.  fdph.  22, 402.  —  Rausch,  Spielverzeichnis  s.  LXVII 
fuhrt  Fischarts  fragment  unter  den  vermutlichen  kunkelstubenspielen  an. 


LIEDERP0E8IE    IM    <:  LSG  \Nll   \. 

120.   [Rvjb]   Neudr.  b.265  rechts,  z.12  v.u.:    .1/ 
»tw  nicht    spiel  . 

Bausch  a .  a  "  -  M  vielleichl  als  eine  willkürliche  entstellung 
ilis  Babelaisschen  Spieles  'a  la  mourre'  an  betrachten.  Fischart  dachte 
aber  auch  an  den  strophenschluß  'feine  megdlein  mnr  nur  nicht'  (so  die 
ilmi  bekannten  Scandellnsschen  liedlein  1570  no.  8)  eines  beliebten  liedee 
des  16  jh.  'Ein  meidlein  Bagt  mir  freundlich  zu':  vgl  darüber  Porster 
Nendr.  1  210  zu  [26;  Kopp,  Archiv  f.  neuere  spr.  117 

121.    [Rvj      Neudr.  s.266  links,  /..  1:    Seid  ihr  die  Meyd 
von  Eosenthai  [als  spiel]. 

Meusebacfa  rerweisl  hier  vgl. Hanffen,  NFS279  auf  >la*  lied  -Ks 
gieng  ein  wolgezogener  knecht'  bei  II.  Finck  1536  im.  47  Ohland  no.  250, 
Btr.  2und8,  vers  3:  do  sprach  tli--  mait  vom  Bosental  Bausch,  Spielver- 
aeichnis  s.  I.XYII  (keine  belege). 

122.   Zum  zwire,  zum  /.wart-,  der  yogel  ist  gefangen 

[Rvj  Nendr.  b.266  links.  ■/..  r>  v.  11.:  Xion  twire  eum  eware, 
di  r  Vogel  ist  gefangen. 

1582  bl.  v:>  Neudr.s.270,  var.  l.  genauso,  ebenfalls  als 
Bpiel  angeführt 

Fischaii  citiert  hier  den  anfang  eines  Bpielliedchens  '1er  kinder, 
irelchee  sich  vrol  vollständig  in  einer  Baseler  hs.  erhalten  hat    [ch  halte 

das  vorbild  der  parodierenden  z<  ilen  •Zum  biere'  n.s.w.  bei  Schmeltael 
nnd  Fischart,  vgl.  oben  im.  106.  Text  und  melodie  i"i  J.  Richter,  Katalog 
der  musiksamml.  auf  der  nniv.-bibl.  in  Basel,   Leipzig  71  an  Fa 

17    20  (nach  mitte  des  16.  jh.)  no.  B4  : 

/um  zwire  zum  an  >l'l"'-  schampe, 

der  vogel  isl  {refangen  suhlahenl  wir  den  vögele 

vnd  wellicher  nit  <lar  zu  kumbt  rrellicher  ragel  obene  . 
den  schlachl  man  also  lange, 

iiter  a  a.o,  >.  77  zu  l  \  59  62  'Zum  zwire  zum  aware'  all  ul>er- 
schiifl  derselben  melodie  im  handschriftlichen  anhang  zu  einem  exemplar 
von  ;  .  ,u.  in  1.  ausg.  1543         Bau»  h,  Spiele 

>rlireilit   <\.n  Spiel 

123,    l  »a  zfind  er  jr  'Im  rocken  an 
l.'\  ij      Neudr.  >.  267,  /.  1 1  v.  n.:  / 
an    als  spiel  . 

hier  «rol  ein  lied  im  sinne,  *  den  ihm  wahr- 

scheinlich bekannten  Newen  teutachen  Liedlein  mit  \  Stirn,  des  [vo  de  \ 
München  1671,  no.5  Qberlieferl  ist  (nur  eine 


456  WILLIAMS 

Da  züiult  er  jr  den  rocken  an,  vnd  bin  schabab, 

die  gunckel  thnt  zerschmeltzen,  in  Bayern  ist  nit  gut  bnlen, 

wie  mögen  bey  einander  stahn  meins  hertzen  zier 

zwo  Gänß  anft'  einer  steltzen,  vernageln  mir 

vrlaub  ich  bab,  die  Scbreiber  anff  den  schulen. 

Rausch,  Spielverzeicbnis  s.  LXYIII  bringt  keine  parallelen. 

*124.    [Siiijb]  Neudr.  s.  278,  z.  14:  vber  Eppelins  Häuivagen. 

[Sva]   Neudr.  s.  279,  z.  17— 19:  die  staffelen  hinan  ff, 

den  Berg  hinab  rennen,  den  Sclionbachischen  llirtz- 

sprung  thun,  rinn  den  Meyn  sprengen,  die  stifte! 

zu  Nörenberg  holen. 

Diese  stellen  beziehen  sich  auf  den  1381  enthaupteten  fränkischen 
ritter  Eppele  von  Gailingen,  vgl.  das  lied  'Es  was  eiü  frisch  freier  reuters- 
man'  bei  Liliencron,  Hist.  volksl.  no.  28;  Böhme,  Lb.  no.  365;  ausserdem 
Uhland,  Schriften  4, 160 — 165.  Das  im  16.  jh.  wol  ziemlich  weit  verbreitete 
lied  besingt  aber  nur  die  beiden  letzten  der  von  Fischart  erwähnten  sagen- 
haften taten  dieses  beiden:  'rinn  den  Meyn  sprengen'  in  str.  21  und  'die 
stiffel  zu  Nörenberg  holen'  in  str.  13 — 17  und  23.  Es  mag  sein,  dass  Fischart 
hier  nicht  an  das  lied  dachte.  Seine  übrigen  anspielungen  auf  Eppele  er- 
klären sich  aus  zügen  der  sage  (vgl.  Grimm,  Deutsche  sagen  no.130):  1)  vber 
Eppelins  Hüuwagen  bezieht  sich  offenbar  nicht  auf  str.  38  des  liedes,  son- 
dern auf  erfolgreichere  leiatungen  Eppeles,  Grimm  a.a.O.:  'über  Heuwagen 
auf  der  Wiese  ritt  er,   dass  seines  Bosses  Huf  kein  Hälmlein  verletzte.' 

2)  die  staffelen  hinauff,  die  steilen  höhen  bei  Muggendorf  an  der  Wiesent? 

3)  den  Schonbachisclien  Hirtzsprung  thun,  -EfiVscAsprung  ist  zugleich  Wort- 
spiel mit  Wiesent  und  anspielung  auf  Eppeles  sprang  zu  pferde  über  diesen 
ström. 

125.   Ich  wil  zu  land  außreiten 

[Tvb]   Neudr.  s.  297,  z.  13:    braucht  vor  dem  Man  Hilden- 

brantsstreich,  siben  Maffter  inn  die  Erd. 
(Vgl.  auch  Garg.  16  als  adjeetiv  Hildenbrandssireichig). 

Vom  alten  Hildebrand  hatte  Fischart  im  Heldenbuch  1509  gelesen 
(s.  A.  Hauffen,  NFS.  278);  hier  wird  ihm  str.  10  des  jüngeren  Hildebrands- 
liedes vorgeschwebt  haben.  —  Facsimile  einer  alten  gedruckten  fassung 
des  liedes  in  Könneckes  Bilderatlas,  2.  ausg.  s.  108;  Müllenhoff  und  Scherer, 
Denkmäler,  3.  ausg.  2,20 — 30;  Böhme  no.  1,  u. s.w. 

Neudr.  s.  302,  z.  24:  Hola  . . .  Prep.   Vgl.  oben  no.  77. 

Neudr.  s.  386,  z.  3  f.:  Dieser  Wein  . . .  Fürste.  Vgl.  oben  zu 
no.  116. 


LLEDERPOESIE   im    QABG  \Nil'A.  t57 

tatgabe  158«.    ><>.  136— 1S7. 

126.  1582  [bl.)(iijb]  Neudr.  b.5,  z.15:  {Dichten  doch  vnsen 

Predicanten)  Geistliche  Lieder  von  einer  VTilden  Sau. 

Solche  liedei  sind  mix  am  dem  L6.  jh.  nicht  bekannt  Pili  ihre 
existem  seugl  aber  anch  ein  deutsch-lateinisches  Lied  des  17.  jh.'s,  das  man 
dem  jesniten  Jak.  Bälde  (1604  68  Engeschrieben  bat  G.  Westermayer, 
Jaoohna  Bälde,  sein  leben  nnd  seine  werke,  Rffinchen  L868  führt  die  titel 
sweier  drucke  an:  'Paradoxon  mnsicnm.  Das  ist:  Ein  Nene«  geeist 
Lied  von  einer  wilden  San  in  einem*  schönen  Garten.  12.  b.  1.  b.  a.  18  nn- 
pag.  bL';  Bpfitere  ausgäbe :  'Bälde  •'  .  S.  J.  Bin  nenea  geistliches  Lied  von 
einer  wilden  San  wodurch  der  abtrünnige  Martin  Lntber  abgebildel 
Mit  musiknoten.  4.  0.0.  1717.'  Amin-:  'Ein  Nagel -Nenea  Lied  dolore 
tactus  ordior  Mit  Hertz-betrüebtem  Gemüetb  ..."  Dieses  polemische  ge- 
dieht erwiiliiil  Joli.  Nie  Weislin^er.  AuUcrli-scnc  Merkwürdigkeiten,  StraBb. 
L738,  B  teil,  s  86  und  anm. 

Fischart  meint  irol  protestantische  polemische  Lieder  (nicht  nm- 
dichtnngen,  —  es  g-al>  wo!  keine  weltlichen  Lieder  'von  einer  wilden  sau'). 

127.  1582  [bl.  )(iij!,j  Neudr.  b.5,  z.  L5:  das  geistliche  wacker 

braun  Meidlein. 

Das  weltliche  'wacker  meidlein'  war  in  der  2. hälfte  des  IG.  jhs.  sehr 
beliebt,  ?gl.  z.  i>.  Dhland  VI.  no.  88  und  Schriften  1,82  B5;  Böhme  no.  55; 
Erk-BOhme  no.  L18j  Jahrb.  t  niederd.  Bprachf.  26,  b.  33. 

Geistliche  nmdichtnngen  des  L6.  jhs.:  L.  Nennzehnstrophiges  Lied,  ab* 
gedr.  bei  WK3,  no.  L139.    Die  fassnng  eines  tl.id.  dürfte  Fischart  bekannl 

len  Min:  'Das  Geystlich  Wackerm&gedlin  ..."  Basel  bey  Samuel 
Apiario  t  -"»T*  >.  exemplar  Basel,  nniv.-bibl.  Sar.  151,  no.  81;  dasselbe,  ansg. 
l."»7'J  in  Uhlands  Bammelband  in  Tübingen,  b.  189ff.    2.  Kl.  bl.  nach 

>.  Katth.  l  1  an.  k  (in  Berlin  Yd  7881,  Do.  .">7),  str.  1 :  •<>  I )as  ich  kund 
von  Bertsen,  Singen  ein  Liedelein:  Vnd  rollbringen  ohn  schmertzen,  Das 
Wacker  Madelein  Geystlicher  weise  /.war.  Das  man  so  möchl  vergessen, 
das  Weltlich  ganta  md  gar.'  Am  Schlüsse  des  Slstroph.  gedichtes:  Ge* 
Btelll  vn  in  Druck  verfertiget,  Per  Hieronymum  Linck  Glatsenaem.  (VgL 
anch  Weller  2  152,  no.84.)  :'■  Das  Lied  bei  WK3,  no  781.  sondere 
kontrafaktnren    16.  jh.:    WK  Wackernagel,    Bibliogr.  m 

Weller,  Annalen  2,440,  no.622;   ILblL  in  Berlin  \<\  7850,  no.78 
\  e  276  nsw. 

128.  L582    bL  niii     Neudr.  b.5,  z.16:  den  geistlichen  Fei 

r  das  weltliche  Lied  vom  Bncbsbanm  und  Pelbinger  s.  oben  1 
Der  'geistlich  Buchsbaum ',  ein  gedieht  Ton  Hans  Witxstal  von  I 

heim,  war  damals  weil  und  lir.it  bekannt  und  i-t  noch  in  Helen  drucken 

erhalten,  /.  b    ti.  bl 

dasselbi  '.  ■■  I   [Jhlands  sarnmelbaiid).    Abdruck  Wl 


458  WILLIAMS 

Grnndr.  2,  257  f.,  no.  32  b.  —  Spätere  nachdichtungen  des  weltlichen  liedes: 
WK  3,  no.  1318  und  5,  no.  790. 

129.    1582  [B4b]  Neudr.  s.  34,  z.  10— 12:  Ich  arme  Magd, 

ivie  gern  ichs  wagt  . . .  dem  Knecht. 
Mir  sonst  unbekannt. 

130.    Es  het  ein  biderman  ein  weib 
1582  [B  5b]  Neudr.  s.  35,  z.  21:  so  fahr  der  Teuffei  ins  Häuw. 
Ein  fragment  aus  der  schlnssstr.   eines  der  verbreitetsten  deutschen 

lieder.     Böhme,  Lb.  no.  471.     Nachweise:  Marriage,  Forster  Neudr.  s.  230  f. 

Auch  noch  fl.  bl.  o.  o.  und  j.  in  Basel  Sar.  151,  no.  63  und  bei  Glanner  II 

1580,  no.  21,  6  str. 

131.    Vnser  Herr  der  Pfarrherr 
1582    [E2a]    Neudr.  s.  69,    z.  5— 7  v.u.:    Vnser  Herr  ... 

Köchin,  etc. 
Vgl.  Forster,  Teutsche  Liedlein  V  1556,  no.36,  hsg.  von  Marriage  s.201. 
Le  Maistre  1566,  no.  92,  See.  Altus:  Vnser  lieber  Pfarherr  ...  u.  s.  w.  gleich 
Forster. 

*132.    1582  [E3a]  Neudr.  s.  71,  z.  10— 13:  0  Martein  Mar- 
tern . . .  Martinsman. 
Mir  sonst  unbekannt.    Es  scheint  ein  echtes  Martinsliedchen  zu  sein. 

[J  4a]  Neudr.  s.  122.  z.  5  v.u.:  (Hie  gilts . . .)  den  Moriscen, 
den  schivartsen  Knaben,  der  gern  das  braun  Meid- 
lein wolt  haben,  Ja  haben. 
Wol  nicht  zur  eigentlichen  liederpoesie  zu  zählen.    Vgl.  F.  M.  Böhme, 
Geschichte  des  tanzes  in  Deutschland  1, 132  ff.  und  1,  56.  2,34;  Bausch,  Spiel- 
verzeichnis s.  92. 

Neudr.  s.  126,  z.  6  f.  v.  u.:  Sih  da  . . .  Gast.    Fragment  von 
no.  48  oben. 

133.    1582   [K4b]  Neudr.  s.  135,  z.  9— 11  v.u.:  Wer  sind 

. . .  vnd  ein  junger. 
Diese  verse  mit  der  erwähnung  der  ' Schreiber'  hat  Fischart  in  dieser 
ausgäbe  hinter  das  lat.- deutsche  lied  'Vinum  quae  pars'  (no. 89  oben)  ein- 
gefügt. —  Aehnliche  formelhafte  schlussstrophen  damals  häufig,  vgl.  Wunder- 
horn  4  (1854),  209  ff.  str.  13;  Uhland  no.  48  A  und  153. 

*134.    1582  [T7a]  Neudr.  s.  260  links,  z.  10: 
BurcJchart  mit  der  Nasen, 
komm  helff  mir  grasen  [als  spiel]. 

Fragment  eines  liedes?    Meusebach  citiert  hier  str.  23  eines  liedes  auf 
einem  fl.  bl.  vom  jähre  1596  (jetzt  in  Berlin  Ye  661): 


LIEDERPOESIE   IM   ÖAKGANTUA.  450 

Zn  Nürnberg  in  der  Lodergassen,        ex  hat  fürwar  ein 
da  war  der  weg  bo  I  frißl  gern  Hüner  vnd  li 

begegnet  mir  ein  Juncher,  tregt  ein  .  säßlein  an, 

der  beißl  der  Bnrckhart,  'li'-  Vögel  er  wo!  ropffen  kan. 

Heusebach  bemerkl  dara:  'Ea  kommt  bom1  in  dem  liede  Dichte  vor, 
trat  icur  irgend  rar  erklärung  des  angegebenen  spielet  dienen  könnte.1  — 
VgL  ancfa  Ranscb,  Spielverzeichnis  b.  82. 

135.  L582  \  ;;  ,  Neudr.  8.267,  z.  L— 6: 
Ich  gieng  durch  ein  enges  Gäßlin, 
begegnet  mir  ein  schwarte  Vfäflin,  etc.  [als  spiel]. 

igmenl   erinnert  an  den  anfang  eines  gediebtea  in  einem 
11.  bl.  o.  j.,  Nürnb.,  Georg  Wächter  (in  Berlin  Y<1  9451):   'Ein  wirtin  vml 
•  in  Pfaffe,  giengen  durch  ein  enge  gasse  ..." .  16  fünfzeil.  str.    Vgl.  I 
II  16,  N .-u  lr.  8.88.    Bausch,  Spielverzeichnis  s. 81  hält  Elscharts  bruchstück 
für  ein  lied. 

*VH>.    L582    V3b]  Neudr.  s.  267  links,  /.  7    9:  Estcoltein 
Jungfrau)  süchtig  sein  ...  drein,  etc.  .als  spiel). 

Vielleicht  fragment  eines  derben  Liedes.  So  auch  von  Bausch  a.  a.  o. 
b.  Bl  aufgi  fasst 

|V.V'J  nur  1582,  Neudr.  b.270,  var.  l.   Vgl  oben  zu  no.  L22. 

137.    Was  \v«"»lleii  wir  singen  vnd  heben  an, 
von  einem  frenckischen  edelman 

1582  [X3S]  Nendr.  s.278,  z.U  f.:  Albrecht  von  Rosenberg, 
. . .  traben,  <  ic 

Aus  dem   anfange   der  6.  itr.   eines  bekannten    historischen 
Liliencron,   Bist.  VI.  do.  511.     VgL  Kopp,  Archiv  f.  neuere  spr.  111,1 

iit  anch  im  li»il^rl).  im  besitze  B.WoUcans  (Eophorion 6, 650);  Frankf. 
liederbüchl.  l  18O,  1584  ao. 61,  entspr.  1582  A  61;  KOlnerliederbücbl.ca 

I,   gleich  I  l;    il.  bL  o.  o.  n.  j.  im  Vatican  o,   [nvent 

li  a  ao.  2811  eee). 

Viis-:iIm>   150t».     \o.  188.   ISO. 

188.   Oarg.  1590    B.495    Neudr.  8. 408,  z.  5    B:  (Rewkamp 
fieng  ■      L  edlein  an:)  Es  ist        M  Baum 

gefaUt  ».  ...  wol  sumpt  n. 

Eine  parodie  Fischarts  auf  einen  kleinen  volkstümlichen  reim,  der 
1590   wo)   allgemein   bekannt    war.    Lii 
IT.jli.i..  rgL  Kopp,  Archiv  i.  .  l.  1700  l" 

roa  Kopp,  Leipsig  I  r  in  Bronn  ^- 

fallen,    leb  hafa  ihn  hOm  plnmpen  ...'        Verwantes   inunei  aoeb  im 
folkamnade,  a  Erk-Böhmc  no 

beinahe  tui  ^ KhkhM  Jcr  UeuUchea  fi>r.»che.    .\\.\\.  '^j 


4G0  WILLIAMS 

139.    Der  guckguck  hat  sich  zu  tod  gefallen 

von  einer  hohen  (holen)  weiden 

1590  [s.  495]  Neudr.  s.  403,  z.  9:  (Kunst  auch  . . .  das  Lied,) 

Der  Gauch   hat   sich  zu  todt  gefallen,    von  jenem 

hohen  zäune:  etc. 

Der  anfang  eines  beliebten  liedchens  und  eine  anspielung  auf  'Der 

guckguck  auff  dem  zäune  saß'   (oben  no.  29).  —  Nachweise:   115  liedlein 

1544,  no.  30  der  4  stimm,  lieder  (bei  Unland  no.  13  ein  wenig  geändert). 
Meusebach  (Garg.- commentar  und  nachlass  no.  33,  s.  11  f.)  verweist  auf  die 
interessante  auslegung  der  1.  str.  von  Luther,  Wider  das  Babstum  zu  Rom, 

1545,  hier  nach  dem  Heidelb.  exemplar,  hl.  Rijb:  Also  mochte  das  liedlein 
auch  hieher  dienen,  Der  Kuckuck  ist  zu  todt  gefallen  (Der  Babst  ist  aller 
kirchen  Meister)  von  einer  holen  Weiden  (das  ist,  zu  Rom)  Wer  wil  vus 
den  Somerlang  (das  ist,  die  Christen  sind  schuldig)  zeit  vnd  weil  vertreiben 
(das  ist,  jm  die  fülle  zu  küssen). '  Heidelb.  hs.  Pal.  343  hsg.  von  Kopp, 
s.  123,  no.  111.  Meusebach  citiert  hier  auch  eine  stelle  aus  Job.  Manlius, 
Locorum  communium  collectanea,  Basil.  1563,  II  23 ;  ungefähr  dasselbe  citat 
handschriftlich  im  Berliner  band  Xg  1768,  vgl.  Wendeler,  Fischartstudien  von 
Meusebachs,  Halle  1879,  s.  116  f.  146.  Liederb.  im  besitze  Wolkans  (Euphorion 
6,  650),  Frankf.  liederbüchl.  1580. 1584  no.  38,  entspr.  1582  A  no.  38,  Kölner 
liederbüchl.  ca.  1580  no.  92  gleich  1582  B  90,  Bergliederbüchl.  1700,  10,  hsg. 
von  Kopp,  s.  141  f.  —  üeistl.  umdichtungen  bei  WK1,  no.  113 f.,  508; 
3,  no.  932;  4,  no.  173;  5,  no.  1029. 

Bibliographischer  »nhang. 

Quellen. 

Fischart.  Geschichtschrift  1575,  Geschichtklitterung  1582.  1590. 
Exemplare  der  kgl.  bibl.  Berlin. 

Liederquellen.  I.  Fliegende  blätter,  Sonderdrucke.  Berlin,  kgl. 
bibl.;  Weimar,  grossherzogl.  bibl.;  Zwickau,  ratsschulbibl. ;  Frankf.  a.  M., 
stadtbibl.;  Tübingen,  univ.-bibl.  (dort  unter  der  Signatur:  Dk  11.  1088 
Unlands  sammelband,  77  fliegende  blätter,  meist  Strassburger  und 
Baseler  drucke  aus  dem  3.  viertel  des  16.  jhs.) ;  Zürich,  stadtbibl.;  Basel, 
univ.-bibl.  (unter  sign. :  Sar.  151  der  Sarasinische  sammelband,  99  einzel- 
drucke,  wie  Unlands  sammelband  sehr  wichtig  für  Fischarts  lieder  wegen 
der  Strassburger  und  schweizerischen  drucke  aus  der  zeit  vor  1575).  Von 
mir  benutzt  wurden  ferner  ein  teil  der  fl.  bll.  aus  dem  16.  jh.  in  London, 
brit.  museum  und  in  Rom,  Vatican  (mehrere  reichhaltige  sammelbände  aus 
der  Heidelberger  bibl.  Palatina  stammend,  titel  bei  Stevenson,  Inventario 
II  2  nicht  immer  genau). 

IL  Gedruckte  liedersammlungen.  (Vgl.  Goedeke,  Grundr.  2,  §§  109. 
110  und  Eitners  quellenlexicon.)  Aus  vielen  deutschen  und  mehreren  aus- 
ländischen bibliotheken.  Ein  aus  Heidelberg  stammender  band  im  Vatican 
(sign. :  Palatina  V  468,  einband  v.  j.  1580)  enthält  zwei  sehr  wichtige,  bis- 


LTJBDKBP08STJB    im    Q  \u<;  \Mi'\.  461 

bar  niehl  beachtete,  Liederbücher1)  (ohne  noten);  titel,  nicht  ohne  f <  li I«-r. 
bei   Stevenson,    tnventario   I   (1886),    parte  1,    p  218     l     Lieder  Büch- 
lein,   Frankfurl  a.  M  ,  Nie.  Baateus,  L580.  8°.  116  bll  "Jt;i  nummern 
Uteate  datierte  Liederbuch  der  Frankfurter  grup]  og.  Ambraser  lieder- 

bneb  v.j.  15  \ '.  i~t  wahrscheinlich  ein  aachdruck  di 

Vollständiges  exemplar  einer  anagabe  von  1684  in  d  i  I  Frankf.  a.M-, 

tst  aneb  das  einsige  bekannte  exemplar  einer  vermehrten  am 
(aus  der  bibliothek  S. Hirseis):  Groß  Liederbuch,  Frankf.  a.  II  .  lie- 

ftndet  (also  eicht  verschollen,  vgl.  Archiv  f.  neuere  spr.  121,  s.251). 
gäbe  v.j.  1600 in  Petersburg,  b.  Bolte,  Zs. fda. 84, 167    169.    Eine verkürzte 
ausgäbe  dei  Frankf.  liederbüchleins  auf  der  stadtbibL  in  Bremen  im  misch- 
bande  II.  e.411:   Liederbüchlein,  o. j.,   Erfurt   bei  Jac. Singe,  der   in   den 
lotsten  jahren  des  in.  und  in  den  beidi  i  Jahrzehnten  des  17. jhs. 

Is  drucker  tätig  war.    '_'.  Lieder  Buchlin,  Köln,  Henrich  Nette« 
o. j.  cii.  IM  ■  ibll.  l'h  Dummern    Die  meisten  Lieder  des  bekannten 

Liederbüchleins  der  Berliner  bibliothek,  u.  o.  1682.    L92nnmmern  (' 1582B', 
Tgl.  Kopp,  Archiv  f.  neuere  spr.  L21, 251)  enthält  d  unss- 

lung,  und  zwar  fast   in  di 

III.    Liederhandschriften.     Berlin,    München   (hof-   und   itaatebibL), 
Heidelberg. 

II  il  fsmi  t  tri. 

1682  A.  Ambraser  liederbnch.    Siehe  Liederbüchlein  1582  A. 
Bühme,  P.M.,  Altdenl  lerbuch.    Leipzig  1877. 

Eitner,    Bob.,    Biographisch  -  bibliographisches    quellenlexicon    '1<t 
muaiker  and  musikgelehrten.    10  bde.    Leipzig  1900    04. 

Erk-BOhme,  Deutscher  Liederhort    3  bde.    L  It 

ichichtklitterui  \  .  von 

lt- Ki- ii .    Synoptischer  abdruch  der  bearbeitungen  von  1575.  1582  und 
Halle  L891.    (Braunes  Neudrucke  no.66  -71.) 
r  irster-Neudr.,   •  Liedlein  in  fünf  teilen 

m  Elisabeth  Marriage,  Halle  1908.    (Braunes  Neu- 
drucke no 

rundriat  sur  gesebichte  der  deutsch,  dichtung.  2  auf! 
Leke-Tittmann,  Liederbuchs  d.  16.  Jahrhundert  Leipzig 
11  auffen,  A  .  Jol  ir<  rk.-.    ;;  bde.    « Deut  aat  Li 

Der  aart -Studien,    Leipsig  and    Wien 

(Euphorion,  7.  ergänsungshefl  ►. 

Hoffmanu  von   Fallersieben,    Die  deutsehen   gesellschaftlieder  des 
lt',.  and  17.  Jahrhund  ifl.    Leipsig  I 

Kopp,*)  Arthur,  Die  lieder  der  Heide! 
1 1  leutseb  bd.  V  1). 


•  .bung 

.  if  <ii.-  >.lir  wertvollen  in  a  abliamlluniron 

-.  üI)*t  die  Liedsf  du  L&jhs.  habi  n  in  lesi  i 

II.  teili  verwiesen. 

- 


4G2  WILLIAMS 

Ders.,  Aeltere  liedersammlungen  bearb.  von  A.  Kopp.  Leipzig  1906. 
No.  1 :    Sächsisches  bergliederbüchlein  1700/10. 

Liederbuch  lein  1582  A  (Neudruck).  Das  Ambraser  liederbuch  vom 
jähre  1582,  hsg.  von  Jos.  Bergmann.     Stuttgart  1845  (Lit.  ver.  12). 

Liliencron,  R.  von,  Die  historischen  Volkslieder  der  Deutschen.  4bde. 
und  nachtrag.     Leipzig  1865 — 69. 

Ders.,  Deutsches  leben  im  Volkslied  um  1530  (Deut.  nat.  lit). 

Marriage,  M.  E.,  siehe  Forster-Neudr. 

Rausch,  H.  A.,  Das  spiel  Verzeichnis  im  25.  capitel  von  Fischarts 
Geschichtklitterung  (Gargantua).    Diss.  Strassburg  1908. 

Stevenson,  Enrico,  Giunore,  Inventario  dei  libri  stampati  Palatino- 
Vaticani.    Roma.    Vol.  II,  parte  2  (1891). 

U hl  and,  L.,  Alte  hoch-  u.  niederdeutsche  Volkslieder.  Stuttgart  1841  f. 

Ders.,  Schriften  zur  geschichte  der  dichtung  und  sage.  Bd.  4. 
Stuttg.  1869. 

Wackernagel,  Ph.,  WB  =  Bibliographie  zur  gesch.  des  deut  kirchen- 
liedes  im  16.  jh.    Frankf.  1855. 

Ders.,  WK=  Das  deutsche  kirchenlied  von  ältester  zeit  bis  zu  an- 
fang  des  17.  jhs.    5  bde.    Leipzig  1863—77. 

Wackernagel,  Wilh.,  Joh.  Fischart  von  Strassburg  und  Basels  an- 
teil  an  ihm.    2.  ausg.    Basel  1874. 

Weller,  E.,  Annalen  der  poetischen  nationalliteratur  der  Deutschen. 
2  bde.    Freiburg  1862. 

Anfänge  der  lieder 

und  der  nicht  genau  zu  bestimmenden  fragmente. 

no.  no. 

Aber  wil  ich  singen  (Raumsattel)  111  Der  Ludel  vnd  der  Hansel   .     .  80 

Aha  wer  das  Cartäuser  orden        36  Der  miiller  auff  der  Nidermül.  2 

Auff  freud  vnd  leid      ....    53  Der  Schwester  waren  trey    .     .  23 

Bei  nachte,  bei  nachte,  halt  dich  Der  wein  der  schmeckt  mir  .     .  76 

Annele 25d  Die  brünnlein  die  da  flieffen    .    92 

Bene  fecistis  Domine    ....    39  Die  faßnacht  bringt  vns  ...  49 

Bene  veneritis  Domine  Custos  .    44  Die  höchste  freud  die  ich      .     .  119 

Bistu  der  Hansel  schütze      .     .  108  Die  rö'slein  sind  zu  brechen  zeit  55 

Bonum  vinum  post  Martinum   .    46  Die  stiffel  zu  Nörenberg  holen  124 

Brauns  meidlein  zeuch      ...    21  Dort  niden  an  dem  Reine     .     .  47 

Burckhart  mit  der  nasen  .     .    .  134  Drei  gäns  im  haberstro    ...  91 

Das    geistliche    wacker    braun  Dummel  dich  gut  birche  (pir- 

meidlein 127          chen) 51 

Da  zünd  er  jr  den  rocken  an    .  123  Ein  abt  den  wollen  wir  weihen  32 

Den  esel  wil  ich  preisen  .     .     .115  Ein  armer  man  wolt  weihen     .  85 

Den  liebsten  buleu  den  ich  hab    61  Ein  burger  ist  gesessen    ...  10 

Der  Benzeuauer  sprach     .     .     .  107  Ein  guter  wein  ist  lobenswert  66 

Der  geistliche  Felbinger  .    .    .  128      Ein  henlein  weiß 68 

Der  guckguck  auff  dem  zäune  saß    29  Ein  meidlein  sagt  mir  freuudlich 

Der  guckguck  hat  sich  zu  tod    139         zu 120 


LIEDERPOESIE    IM    GABGAN  l  I  A. 


4G3 


Ein  müllei  ist  gesessen    .    .    . 
Kiu  rickmeß  . . .  von  dem  pfaffen 

von  Wisenthal 

Eins  morgens  frfl,  tut  ich  mich  zu 

brel  Bie  hinder  rauten  .    . 

Kr  ha1  Bein  Bachen  wo]  gethan 

Ei  fischt  ein  frei  fran  fischerin 

Es  flog  ein  gans 

;"       i.t  gen  disem  Bnmraei  .    . 
.  ng  ein  meidlein  des  ab«  ada 

■pal 

fieng    ein    wol    gezogener 

knechl      

Ei  bei  ein  bidennan  i  in  weib  . 
t   ein  meidlein  sein  sehn 

verloren 

Et  het  ein  Schwab  ein  töchter- 

lein,  es  wolt  nil  Lenger  dienen 

I  ein  8chwab  <in  töchter- 

lein,  ea  wolt  nit  lenger  ein 

meidlein  sein 

.11  stallknechl  Beinen 

Baum 

•  ein  mönch  vom  banm  ge- 
fallen    

dien      .    . 
■Kiiit  ein  zrit  gar  (ganti | 

wonniglich 

3  ein  eul  nid  Bpann    .    . 

•  t  ein  lind  in  jenem  tal   . 

■ 

man 

i  -  banren  tochterlein 

hol  ein  mttller  von  jenem 

holti 

I 

jm    .     . 

11  ein  jm 

«••in       

I 
Jagen   

I  l>t  jr  vns  nit     . 

I 

D 

nil  ich  singen       .     . 
I  .i  wol  zu  d 


35 

I  ! 
71 
51 
16 

59 


L21 
130 


24 


188 

95 

18 
28 
26 

[24 
72 

20 

18 

101 


Geistliche  Lieder  von  einer  »rü- 
den san 128 

i iut  Banicken  vp  dem  scheyter» 

weg  Baß ii i 

(iut  rentex  bei  dem  weine  safl .  96 

<  Lnta  muta  wollen  wir  Bein  ,    .  62 

Eeiaho  gut  Seinrieb    .    ...  78 

Eerbei,  herbei,  waa  Löffel  Bei    .  77 
Hilf!  daß  ich  frOlicb  bin  .    .    .118 

Eopfaho,  Bind  die  rnfl&ter  do   .  71 

Boppaho  benecken t;7 

Eört  wie  vor  langer  zeit ...  8 

a  wann  wollen  wir      .    .  7o 

leb  arme  magd,  wie  gern     .    .  129 

[ch  bin  versagt - ; 

[cfa  fuhr  mich  vber  Sein  .    .    .  23 

[ch  gieng  bei  eitler  nacht    .    .  '_':{ 

[eng  durch  ein  enges  gaßlin  135 

Iili  gieng  wol  bei  der  nacht    .  'S\ 
[ch  ritt  einmal  zu  Braunschw« 

auÜ 19 

[ch  Bah  mir  ein  blawen  storeken  81 

[ch  weiß  mir  einen  freien  hof  .  '.» 
[ch    weiß    mir    ein    (stoltze) 

müUerin,  t in 28 

[eh    w<iii    i  mir  i    ein    stoltse 

lnulliiin.  sir  däucht  ....  4 

[ch  wil  zu  Land  anfireiten    .    .  [25 

[i  h  sennt  mir  nechten .    .    .    .  50 

Im  meien  im  meien  börl  man  .  71 
In  dieser  well  hab  ich  k<in  gelt 

In  prann  wil  ich  mich  kleiden .  1 17 

ii  n  tsenneteer  trinckt  den  wein  [08 

l-t  keiner  hie 

Lichter  dann  <-iii  ka  42 
■ 

Man  tagt  «"1  Ln  dem  mden 

Meidlein  lnU  «Urs  wul  thnn  .    .  l is 

Mi  i-lliu  sind  <lir  die  schuh  recht  7:! 
ts  hat  dir     .    .    .    .119 

1  u 

Mein 

Murr  murr  nur  nicht     ... 
Nun  biß  mir  «n.tt  wolkommen 

Nun  grflß  dich  Gott  di               I  ^i 
Nun  b             .  zu  singen  . 


464 


WILLIAMS,   LIEDERPOESIE   IM   GARGANTUA. 


no. 
(Nun)  schürte  dich  Gretlein  .  94 
Nun  wolauff  jr  ordens  brüder  .  63 
Nun  wolt  jr  hören  newe  mär   .    58 

Nur  nerrisch  sein 86 

0  Martern,  Märtein 132 

Paule  lieber  stallbruder  mein  .  102 
Post  Martinum  bonum  vinum  .  46 
Proficiat  jr  lieben  herren      .    .    37 

Rescb  vnd  behend 34 

Kinn  den  Meyn  springen  .    .     .  124 

Sauff  dich  voll 109 

Schürte  dich  Gretlein  ....  94 
Seid  jhr  die  meyd  von  Rosenthal  121 
Sie  hett  lang  goldgelb  bar  .  .  54 
Sie  sucht  den  schwartzen  pfaffen  43 
So  trincken  wir  alle  .  .  .  .116 
So  wol  wirs  aber  heben  an  .  .  11 
Stortebeker  vnd  Gödeke  Michael  110 

Treizehen  nonneu 7 

Trinck(en  wir)  wein     ....    57 

Unmöglich  ist  es 52 

Unser  herr  der  pfarrherr  .  .  .  131 
Yenite  lieben  gesellen  mit  sorgen  45 
Yil  ämter  vnd  gar  wenig  blech    41 

Vinum  quae  pars 89 

Von  edler  art,  spie  ich  ...  82 
Von  vppiglichen  dingen  ...  38 
Wach  auff  mein  bort  ....  15 
Wa  habt  jhr  geschlaffen  ...    39 


no. 
Was  wollen  wir  aber  heben  an  11 
Was    wollen    wir    singen    vnd 

heben  an 137 

Wend  jr  hören  singen       ...      3 

Wer  hie  mit  mir 64 

Wer  lützel  (wenig)  bhalt  .  .  99 
Wer   sind   die   vns   diß    liedlin 

sungen 133 

Wie  wers,  wann  ich  nicht  schlieffe   17 
Wo  gehn  die  Bamberger  meid- 
lein hin 30 

Wolan  die  hüner  gacksen  vil  .  33 
Wolauff  die  hüner  prateu  schon  56 
Wolauff  jr  brüder  allzumal  .  .  90 
Wolauff  . . .  mein  brüderlein  .  76 
Wolauff  mit  reichem  schalle  .  100 
Wolauff  wir  wollens  wecken  .  17 
Wolauff,  wolauff,  am  Bodensee  75 
Wol  hinter  meines  vaters  hof  .  97 
Wolt  jr  hören  ein  newes  gedieht  12 
Wol  wir  aber  singen  (Schütten- 

sam) 112 

Wo  sol  ich  mich  hinkeren  .  .  88 
Wo  wachst  hau  auff  der  matten  69 
Zu   Costnitz  saß   ein  kauffman 

reich 1 

Zum  biere,  zum  biere  ....  106 
Zum  zwire,  zum  zware    .     .     .  122 


HEIDELBERG. 


CHAELES  ALLYN  WILLIAMS. 


DIE  HEIMAT  DER  ALTNORDISCHEN  LIEDEB 

VON  DEN  WEISUNGEN  UND  DEN 

NIBELUNGEN. 

III. 'i 

r>.   Sigurd,  Isuag  und  Bellsar. 

A.  Hjalprek  anterstützl  Sigard  mit  volk  und 
Bchiffen  (Reginsm.  Prosa  nach  str.  L5;  VqIs.  cap.  17;  Nornag. 
cap.  4).  Wie  Lsl  die  Verbindung  Sigurds  mit  Hjalprek  auf- 
zufassi 

Der  aufenthall  Sigurds  während  seiner  Jugend  am  hofe 
könig  Hjalpreks  Dach  der  nordischen  sage  entspricht  zum  teil 
dmi  aufenthalt  Sigurds  am  hofe  könig  Esungs  (d.i  dem  kaiser 
von  Byzanz)  in  der  ßiörekssaga  Der  vandalische  könig 
Hilderik  hatte  sich  als  der  freund  Justinians  lange  in  Kon- 
Btantinopel  aufgehalten.  Später  als  vandalischer  könig  hielt 
er  an  dieser  Verbindung  fest  and  Bchickte  sogar  gold  nach 
Byzanz. 

Jetzt  vermute  ich,  dass  die  Franken  anstatt  dieses  namens 
Bilderik  irrtümlich  Hilperik  eingesetzt  haben  und  dass  Hjalprek 
daraus  entstanden  ist 

Es  wird  in  der  nordischen  dichtung  stark  hervorgehoben, 
dass  Sigurd  die  tötung  Eylimis,  seine«  iters  mütterlicher 

Beite,  an  den  Bohnen  Hundings  rächt     Reginsm.  LS  Bagt  Sigurd 
zu  tlegin,  da  dieser  Sigurd  überreden  will,  den  Fufnirzu  töten: 
•laut  werden  lachen  die  Bohne  Hundings,  die  Eylimi  das  l< 
raubten,  falls  ich  mein-  last  habe,  rote  ringe  zu  Buchen,  als 
meinen  rater  zu  rächen.1 

In  dem  gediente  Gripisspa  -  die 

osmäl  gekannt  hat)  sagl  Gripir  str.  9  zu  Sigurd:   'zu 

-  die  rorl  MO 


46G  T3UGGE 

sollst  du  den  tod  deines  vaters  und  alles,  was  E3rlimi  gelitten 
hat,  rächen  (fodur  um  hefna  oh  Eylima  allz  Jiarms  rekä).   Du 

sollst  die  söhne  Hundings  erlegen  und  sieger  sein.' 

Eylimi  ist  der  grossvater  Sigurds  mütterlicher  seite,  und 
er  ist  es,  über  dessen  Ursprung  ich  hier  eine  Vermutung  dar- 
legen werde.  Denselben  namen  führt  in  Helg.  Hjorv.  der  vater 
Sväfas.  Eylimi  hat  die  nebenform  Eylimr  gehabt.  Denn  Olrik 
(Sakses  Oldhist.  I  87)  hat  nachgewiesen,  dass  Olimarus  des 
Saxo  OUmcer  Eylimr  ist.  Doch  werde  ich  in  einem  excurs 
dartun,  dass  Saxo  den  Eylimr  mit  einem  andern  sagenhelden 
Eymunär  oder  Eymöör  verwechselt  hat. 

Der  name  Eylimi  oder  Eylimr  ist  von  dem  isländischen 
dichter  Glümr  Geirason  mit  dem  namen  Limaßgrdr  (Limafjorör, 
Glüma  cap.  21,  str.2:  Limafjorör,  Atlam.  4:  fjgrör  Lima)  in  Ver- 
bindung gesetzt,  indem  er  in  seiner  Gräfeldar-dräpa  (Fms.  I  88) 
den  Limfjord  Eylimaßordr  nennt. 

Aber  diese  Verbindung  darf  man  gewiss  als  eine  spätere 
nordische  umdeutung  bezeichnen.  Durch  seine  entstehuug 
scheint  auch  der  name  Eylimr  auf  den  krieg  Belisars  mit  den 
Vandalen  hinzuweisen.  Der  letzte  könig  der  Vandalen,  Gei- 
lamcr,  wird  von  Isidor  Gilimer,  ebenso  in  fränkischen  quellen 
Gilimcr,  Gylimer,  Gylemer  genannt  (vgl.  Sigiberti  Chron.  Pertz 
VIII  315  f.  und  Hugonis  Chron.  X  307  und  X  320).  Wenn  die 
Angelsachsen  diesen  namen  von  den  Franken  hörten,  und  den- 
selben in  ihrer  eigenen  spräche  widergaben,  konnte  der  name 
leicht  in  *Jilimer,  Ilimer  übergehen.  Dieser  name  ist  nach 
meiner  Vermutung  von  Norwegern,  die  denselben  von  den 
Angelsachsen  hörten,  in  0ylimr  umgedeutet  worden.  In  betreff 
des  anlautes  kann  verglichen  werden,  dass  altn.  ey  (vgl.  Feney, 
Pivey)  dem  ags.  ig  entspricht;  in  betreff  des  anlautes,  dass 
Guöpormr  als  name  des  bruders  Gunnars  der  allgemeinen 
annähme  zufolge  an  die  stelle  des  frankischen  namens  Godomar 
getreten  ist. 

Aber  wie  ist  es  zu  erklären,  dass  während  Geilamer  der 
name  des  vandalischen  königs  ist,  den  Belisar  besiegt,  Eylimi 
der  name  eines  königs  ist,  welchen  Sigurd  an  den  söhnen  Hun- 
dings rächt? 

Der  zug  Belisars  wurde  angeblich  unternommen,  weil  der 
könig  Hilderik  getötet  worden  war.     Dieser  Hilderik  war  der 


HEIMAT  DBB  ALTN.  WBLSUHl  BN-   tJ.  NTB.-LIEDEB. 

Bohn  von  Eudokia,  die  von  Theodorus  den  grossen  stammte, 
und  hatte  sich  lange  zeil  in  Konstantinopel  aufgehalten.  Man 
mnss  aber  beachten,  dass  <  lorippns  (Johannidos  Üb.  III  v.  198  ff,) 
fehlerhaft  den  Bilderü  Hildimer  nennt  Auch  ist  zu  bemerken, 
was  in  der  Chronik  Hugos  (PertzX320)  nach  der  erwäh- 
nung  des  vandalischen  königs  fehlerhaft  erzählt  wird:  'Quem 
Gilimer  sumpta  tirannide  regno  privavit,  qui  et  Childericus 
dictua  est,  ei  regnum  optinuit.'  Wenn  ßolche  verwechse- 
lungen  hier  stattfinden  konnten,  so  kann  es  uns  nicht  wunder 
nehmen,  dass  in  der  dichtung,  die  von  den  Pranken  zu  den 
Sachsen  und  weiter  in  den  fernen  norden  gebracht  wurde, 
Hilderik  mit  Gilimer  verwechselt  worden  ist.  Aus  einer 
solchen  Verwechselung  ist  nach  meiner  Vermutung  der  sagenzug 
zu  erklären,  dass  Sigurd  den  tod  Eylimis  an  den  Bohnen  ffun- 
dings  rächt 

H.   Sigurd  kommt  zu  dem  könig  Gjuke.    'Der  könig 
war  gegen  ihn  wie  gegen  seine  eigenen  söhne;  diese  Bchätzten 

ehre  höher  als  die  ihrige  (YoJs.  cap.  16).    Er  hei 
die  tochter  Gjukes,  welche  ihm  von  ihrem  vater  dargel 
wurde;  der  aufforderung  i  rrimhilds  und  ( \ja 
die  Bohne  Gjukes  and  Sigurd,   dass  rie  gegen  einander  als 
brüder  sein  Bollen.    Sie  fahren  weit  herum  und  fuhren  viele 
heldentaten  aus.    Gjuke  und  Beine  männer  weiden  Goten 
nannt.    Seine  männer  werden  Gota  mengt  (Brot  9),  Grimbild 
wird  gotnesh  Jcona  (Gudr.  II  IT*   und   Gunnar  Ootna  dröttinn 
(Grip.  35),  Gotna  fijöäann  (Atlakv.  20)  genannt 

Die  Goten  in  Italien  Bchicken  männer  an  Belisar,  um  ihm 
das  königtum  anzubieten.    Auch  Vit; 

ihm.  er  solle  das  königtum  abernehmen.     I 
sich,  als  sei  er  damit  einverstanden.    Auf  das  verlangen 
<iwt.ii  schwur  er.  dass  er  kein  m  der  Goten  etwas  zu 
tun  werde  und  sagte,  du—  er  dem  Vitigis  und  den  häuptlij 
der  Goten  den  königseid  leisten  werde.    Nachher  zog  B< 
nach  Ravenn  .  i  tore  ihm  von  den  Goten  geöffnet  wurden. 

op  Bagt    'Als  ich  .'i  nach  Ravenna  hinein- 

ziehen Bah,  dachte  ich,  inn  der  menschen 

\u«h  die  iben 

Bich  ihm'  (Pro) 


468  BUGGE 

Sigfrid-Sigurd  scheint  nach  der  ursprünglichen  darstellung 
zu  Gibich-Gjuke  zu  kommen,  um  ihm  das  reich  zu  entreissen 
(s.  Golther,  Norddeutsche  u.  süddeutsclie  sage  s.  289  f.). 

Nach  dem  Nibelungenliede  325  f.  hat  Günther  von  der 
Schönheit  Brünhilds  gehört.  Nur  derjenige  könne  sie  als  frau 
gewinnen,  der  sie  in  drei  ritterlichen  spielen  besiege: 

sin  scöz  mit  snellen  degenen  umbe  minne  den  scaft. 
Den  stein  warf  sin  verre,  dar  nach  siu  witen  spranc. 

Wer  in  einer  dieser  proben  unterliegt,  hat  sein  haupt  verloren. 

Viele  christliche  ritter  hatten  Marpaly  gewinnen  wollen, 
aber  ihren  tod  dabei  gefunden,  denn  derjenige,  der  neben  ihr 
ruhte  und  ihre  liebe  nicht  erhielt,  musste  sterben.  Ihre  köpfe 
waren  auf  die  zinnen  der  bürg  gesetzt  und  noch  war  sie  Jung- 
frau (D  VI.  B  538).  Nachdem  Wolfdietrich  neben  der  tochter 
geruht  hatte,  musste  er,  sowie  auch  die  ritter,  die  es  versucht 
hatten,  vor  dem  vater  drei  mal  stehen,  während  dieser  sein 
messer  wirft  (K  273).  Wolfdietrich  legt  sein  schwert  zwischen 
sich  und  die  tochter  des  beiden  (K  270.  B  580),  gleich  wie 
Sigurd  ein  gezogenes  schwert  zwischen  sich,  selbst  und  Briin- 
hild  legt.  Darum  kann  dieser  zug  nicht  erst  in  Nord-Europa 
hineingefügt  worden  sein  (s.  Golther,  Nordd.  u.  südd.  sage  s.  290). 
Dem  Nibel.  608  ff.  zufolge  gehen  alle  zuerst  zu  tische,  nachher 
wird  der  auftritt  in  der  nacht  geschildert.  Auch  Wolfdietrich 
geht  zuerst  mit  der  tochter  des  beiden  zu  tische  (Nibel.  667  ff.). 
In  der  nacht  kämpft  Siegfried  mit  Brünhilde  und  bezwingt  sie, 
er  lässt  sie  aber  Jungfrau  bleiben. 

Das  heidenmädchen  kämpft  in  der  nacht  mit  Wolfdietrich, 
aber  er  schlägt  sie  (D  105)  und  ruht  nicht  neben  ihr.  Den 
folgenden  tag  hält  er  wettkämpfe  mit  dem  vater,  zuerst  in 
fussschnelligkeit  (D  121).  Er  macht  einen  Sprung  von  9  klaftern 
über  einen  graben  (D  122). 

Meyer  vergleicht  die  sage  von  Oinomaos,  Hippodameia 
und  Pelops.  Hier  soll  der  freier  sich  mit  dem  vater  im  wett- 
fahren messen.  Die  Wolfdietrichsage  und  die  Siegfriedsage 
stehen  sich  darin  nahe,  dass  in  beiden  gedienten  die  probe  zum 
teil  darin  besteht,  einen  weiten  Sprung  zu  machen.  In  der 
Wolfdietrich-  sowie  in  der  Pelopssage  wird  aber  die  probe 
mit  dem  vater,  nicht  mit  der  tochter  vorgenommen. 


HUMAT   DBB    M.lN.  WBL8UN0EK-  ü.  R1B.-LIBDBB. 

Der  zwinger  Brünhilds  ist  von  teuer  umringt  Die  beiden- 
tochter  im  Wolfdietrich  übt  zanberei: 

.1.1/  diu  kemen&te  ron  rOtem  San  enbran     I"  LOG    LO 

In  der  ßiörekssaga  heissl  der  hof  Brynhilda  Scegar&r. 
Einen  Be«  um  die  bürg  ihres  raters  zaubert  tfarpalie  heryor. 

Als  Signrd  zum  zweiten  male  zu  Brünhilde  kommt,  nennt 
er  rieh  Ghinnar.  Wolfdietrich  sagt  der  heidentochter  Dicht 
seinen  rechten  namen  I  B  551 }. 

Siegfried  und  Brünhilde  lieben  sich  gleich  beim  ersten 
anblick,  ganz  wie  Pelops  und  Hippodameia.  Ebenso  bewundern 
Wolfdietrich    und   «las   heidnische   mädeben  itig   ihre 

Schönheit  Sie  3a  ':  'Deine  äugen  strahlen  wie  diejenigen  eines 
falken,  nie  sah  ich  einen  schöneren  mann.1 

E.  II.  Meyer  ha1  die  d  Marpalie  mit  der  Bage  von 

Harpalya  verglichen.    Diese  hat  aber  auch  berührung 
mit    der  in  Brünhild.     In  Oddr.  1"»:  sjd  moör  kon 

dÖr  hann  sylti    l'*>:  launi  Brynhüdi  bao*  li/iili»  <i>  ta  hvad 

hann  öshmey  veröa  shyldu.  Hiermil  kann  zusammengestellt 
werden  Hygin.  L93  von  Harpalyce:  'crescentem  armis  eiercuit. 
illa  i m -ri t iiiu i n  patrem  impetn  facto  conservavit'  Vgl.  auch 
Oddr.  18:  /</  vor  ...  ok  borg  brotin  mit  ßiör.s.  cap.  168: 

hann  heeuir  brotit  upp  borgarlidet. 

ßiör.s.  cap.  ;  |  erwähnt,  dass  Brünhild  ein  gestüt  mit 

vielen  pferden  im  walde  hat    VgL  Hygin.  L9S  von  Harpalyce: 

iarum  eqaarnmque  eam  aberibus  nutrivit   .  .  .   vastando 
iumentorum  stabula.'    VgL  Aen.  1  116:  'quales  equos  Thn 
fatigat  llarpalyc  volucremque  fuga  praeyertitur  Hebrum. ' 

In  Brünhild  ist  die  walküre,  die  von  motiven  von  Hippo- 
dameia  und  Harpalyce  beeinflusst  war.  mit  Antonina,  deren 
rater  wagenlenker  war,  zusammengeschmolzen.1) 

<  .    I  >ir  1  •  i ■"■  i . •  k -  .  ihlt  ca]  igurd,  nach- 

dem er  Bein  pferd  bekommen  hat,  nach  Bertangaland  reitet 
'Ueber  dieses  tand  herscht  ein  könig,  der  [sung  heisst.  Ehr 
ha»    1 1  i  ihne.    I  mg  und   alle    •  »hne  sii  I 

kampfer.    Er  em]        I  Sigurd  und  macht  ihn  zu  Beinern  rat- 


'i   K.um  Myth.  Vat    2,  1  i   mit 

IIli/m<lnltr   in    v.'iliiii'liu 
lllyiu'lvliini.  IL  '. 


470  BUGGE 

geber  und  bannerträger.'  Die  handschrift  A  setzt  hinzu:  'Da 
bei  ihm  bleibt  Sigurd  lange  zeit' 

Es  ist  von  früheren  forschem  nicht  erwiesen  worden,  wer 
dieser  könig  Isung  ist.1) 

Um  den  Ursprung  dieses  sagenhelden  zu  bestimmen,  müssen 
wir  die  in  der  piör.  s.  cap.  189 — 224  mitgeteilte  erzählung  von 
einem  zusammenstosse  zwischen  Dietrich  und  Isung  genauer 
in  betracht  nehmen.  Diese  sagenerzählung,  die  bis  jetzt  gar 
zu  wenig  beachtet  worden  ist,  stammt  von  einem  niederdeutschen 
liede,  welches  jetzt  in  seiner  deutschen  form  verloren  ist.  Dieses 
lied,  das  jedenfalls  nicht  jünger  als  vom  13.  jh.  ist,  liegt  aber 
in  dänischen,  schwedischen  und  färöischen  Umarbeitungen  vor. 
Siehe  hierüber  die  ausführlichen  mitteilungen  und  Unter- 
suchungen von  Svend  Grundtvig  in  Danm.  gl.  Folkeviser  I 
63-122  und  IV  602—678. 

Die  saga  und  das  lied  erzählt:  Dietrich  sitzt  in  der  halle 
zwischen  seinen  kämpfern.  Er  preist  seine  beiden  und  sagt, 
dass  sich  nirgends  ein  mann  findet,  der  mit  ihm  zu  kämpfen  wage. 

Sein  bannerträger  erwähnt  aber  den  könig  Isung,  die  11 
söhne  desselben  und  seinen  bannerträger  Sigurd  als  die  stärksten 
männer.  Er  meint,  es  würde  dem  Dietrich  gefährlich  sein,  mit 
ihnen  anzubinden. 

Und  dem  dänischen  lied  A  4  zufolge  sagt  Isses  wie 
Dietrich,  dass  keiner  es  wage,  gegen  ihn  zu  streiten.  Das 
historische  Vorbild  Dietrichs  ist  der  ostgotische  Theodorik,  der 
in  Italien  könig  wurde.  Wer  mag  nun  der  könig  sein,  der 
ihm  der  einzige  gefährliche  gegner  war?  Befragen  wir  die 
wirkliche  geschiente,  dann  finden  wir  keinen  andern  als  den 
byzantinischen  kaiser  (BaöiZevc).  Die  sage  hat  die  namenform 
Isungr,  das  färöische  lied  Isin,  eine  dänische  und  eine  schwe- 
dische auf  Zeichnung  Isak,  einmal  Isses;  eine  schwedische  auf- 
zeiclmung  Isingen;  ein  norwegisches  lied  Iselgrim,  welches 
aus  *Isingriiin  entstanden  ist.  In  der  schwedischen  'lilla 
Eimkrönika'  von  1448,  handschrift  von  1457  (Klemming  I  217) 


')  Die  bemerkung  Müllenhoffs  (Zs.  f da.  12,  352) :  '  ein  riesisches,  winter- 
liches geschlecht,  die  zwölf  Isunge  (in  der  Hromundarsage  geschieht  der 
kämpf  anf  dem  eise)'  scheint  mir  sehr  wenig  genügend.  Anderer  meinung 
als  Müllenhoff  ist  W.  Müller,  Mythol.  d.  deutsch,  heldensage  s.  209.  240  f. 


BEDCA1   DBB   ai.tn.  um  r.  BIB.-LIBDBB.  171 

Y8agt  in  einer  handschrifl  von  1520  IsyngA)  [ch  vermute, 
dase  das  deutsche  Lied  die  form  /  i  i  gehabt  habe.  Die  zwei 
letzten  und  die  bekanntesten  der  byzantinischen  kaiser,  die 
mit  Theodorich  gleichzeitig  waren,  Bind  Justin  der  erste  und 
Justinian  der  erste,  [ch  vermute  hing  als  eine  germanische 
umdeutung  von  Justin(us),  welcher  in  der  germanischen  tra- 
dition  als  der  repräsentant  der  byzantinischen  kaiser  auftrat, 
nachdem  die  zwei  nahe  verwanten  namen  Justin  und  Justinian 
zusammengeschmolzen  waren.  Im  germanischen  isl  "it.  beson- 
ders bei  fremden  namen,  die  endung  -ng  aus  .n  entstanden.1) 

Die  Verdeutschung  vom  anfang  des  namens  Justin(us)  zu 
tsung  \>\  vielleicht  von  einem  franzosischen  mittelglied  be- 
einflusst  worden. 

1>.  Dietrich  zitdit  nun  mit  Beinen  männern  aus.  um  sich 
mit  dem  könig  [sung  und  Beinen  beiden  zu  messen.  Dm  in 
das  land  des  königs  [sung  zn  gelangen,  müssen  sie  einen  wald 
durchwandern,  wo  der  riese  JEtgeirr,  der  landwehrmann  des 
königs  Nihil:.  Bich  aufhält.  Von  dieser  Beite  hält  [sung  sein 
reich  für  geschützt 

In  welcher  historischen  person  hat  nun  der  i 
sein  vorbild?    Die  Bage  hal   die  namenformen   Odganr 
Et gcnr  s.  33,  A0geir8.$4)  wo  gesagl  wird,  dass  er  einen  a 
als  waffe  hal .    /  3.51,   Aigt n >  -.1 16,    i  r  in  der 


meine  bemerkung  in  Daum.  gl.  Folkey.  1\'  '.  ik,  welcher 

in  dem  niederdeutschen  liede  ron  dem  tod  des  b  menrich  in 

I  betrieb  auftritt ,  ist  wol  d<  i 

d  I fenm.  gl  Folker.  III  77-J.i. 

t  p.  8  'Ri] 
uiont  •  16  ( Hill"  . 

In  Dum  - 

Hin   fur    '.  77  f.)  das 

nmgekehi  te  r<  rhill         ■        ;  in   I.  luriu. 

■Irenea  Mi  Ltntrim, 

.    . 

18).    In  Da  feum. 

gl.   PolkeT.  111  77'Ji'.i      I  -.agc  bald  I 


472  BUGGE 

pergamenths.  s.  180.  Er  heisst  in  dem  dänischen  lied  Langbem 
Bisher  (Ridsker)  Grundtvig  I  84.  Bisher  ist  aus  Ris'  Edger 
entstanden;  in  dem  färöischen  lied  Agi  risin  sterki  oder  AJcival; 
In  der  schwedischen  Dietrichssage  Edger  oder  Eggerd  oder 
Odgeor  (Hylten-Cavallus  s.  361);  in  Skiöarima  (ausg.  Maurers) 
77  Eddgeir  mit  der  Variante  Oddgeir. 

Ich  vermute,  dass  dieser  vEtgeirr,  Eddger  oder  Odger  sein 
historisches  vorbild  in  Odoacer,  Odovacar  hat,  welcher  in  dem 
Hildebrandslied  Otaclier  genannt  wird.  Dieser  betrachtete  ja 
in  der  form  den  byzantinischen  kaiser  als  seinen  oberherrn 
und  liess  sich  von  ihm  zum  patricier  ernennen. 

Obgleich  Bisher  in  dem  dänischen  lied  ein  riese  ist,  so 
wird  er  doch  in  C  9  'du  Kjsempe  god',  C  16  'edelig  Eisker  god' 
angeredet.  Dass  Odoacer  in  einen  langbeinigen  riesen  ver- 
wandelt worden  ist,  erklärt  sich  auf  der  einen  seite  durch 
einen  zug,  der  in  Yita  s.  Severini  von  Odoacer  (Script.  Anti- 
quissimi  vol.  I)  cap.  7  erzählt  wird,  und,  wie  man  vermuten 
darf,  in  der  sage  behalten  wurde:  nämlich  dass  Odoacer,  ehe 
er  nach  Italien  zog,  zum  heiligen  Severin  kam.  Odoacer  aber 
war  von  so  hohem  wüchse  (statura  procerus),  dass  er  sich  beugen 
musste,  damit  er  seinen  Scheitel  gegen  das  dach  der  niedrigen 
zelle  nicht  stiesse.  Vergleiche  hiermit,  dass  in  dem  dänischen 
lied  A  29  Langben  Ridsker  durch  die  tiir  des  kleinen  hauses, 
wo  er  all  sein  gold  hatte,  hineinkriecht. 

Auf  der  andern  seite  muss  hervorgehoben  werden,  dass 
Odoacer  nach  Jordanes  und  Johannes  ein  Rugier  (Rugus) 
war.  Daran  schliesst  sich  die  aussage  in  'Teutscher  Nation 
Chronik'  (1539),  dass  er  'ein  Barbaras  aufz  Rügenn'  war.1) 
Ich  vermute,  dass  de  rügeske  (rüske)  Odker  oder  ein  ähnlicher 
ausdruck  in  de  rise  (in  holländischer  form  reus)  0.  verwandelt 
worden  ist. 

Wenn  Odger  oder  Edger  in  einen  riesen  verwandelt  war, 
so  konnte  daraus  folgern,  dass  man  ihn  mit  einer  stählernen 
stange  kämpfen  und  übrigens  als  einen  riesen  auftreten  liess. 

Der  riese  Etgeir  ist  der  solin  des  königs  Nordian.  Setzt 
dieses  ein  romanisches  *Norian  aus  einem  mittellat.  *rex  Nori- 
canus  voraus?2) 


0  W.  Grimms  Heldens.3  s.  348. 

■)  Anders  über  Nordian  Müllenkoff,  Zs.  fda.  12,  343  f. 


IIK1MAT    DBB    AI. IN.   W  1.1   -  0.    NII!.-!.Ii:H!:U. 

Odoacer  liiell  sieh  bei  den  barbaren  in  Noricum  auf.  ehe 

er  in    Italien  einzog.1) 

Kin  sächsischer  Häuptling-  wird   in  der  handschrift   von 
Fred  i  oronik    Odovacrua  genannt,   aber   in   der  hand- 

Bchrift  von  Liber  Bistoriae  Francorum  Adova  I  lovagrius 

genannt    Der  Btamm  Auda-  in  einer  mnndart  öd-,  in  einer 
andern  Ad-.    A.doacarius  wird  in  den  Quedlinburger  Annalen 
(Pertz  8j3.  3, 31)  and  in  der  Würzburger  Chronik  (Pertz  I 
anter  den  mördem  Brmanarichs  erwähnt 

Der  pifirekssaga  zufolge  gibt  Vidga  dem  Etgeir  zweimal 
einen  mit  dem  fasse,  ehe  er  ihn  zum  erwachen  und  zum 

aufstehen  bringt    Nachdem  der  rieee  v&  acht  bat, 

den  Vidga  zu  treffen,  haut  dieser  ein  ä  rtück   von  der 

wade  des  riesen  ab.    Um  sein  leben  zu  retten,  verspricht  der 
dem  Vidga  viel  ^uld  und  Bilber,  das  er  in  einer  erdhatte 
unter  einem  steine  \  habe.    Nachdem  er  den  stein  fort- 

.  nat.  will  er,  dass  Vidga  zuerst  in  dir  erdhütte  hinunter 
gehen  solL    Aber  Vid  steht,  da>.s  der  riese  ihn  verraten 

will  und  er  zwingl  ihn.  voraus  zugehen.    Dann  haut  er  dem 

in  den  kopi  mit  seinem  Schwerte  ab. 

In   dieser  märchenhaften  darstellung    von   dem   kämpfe 
zwischen   Vidga  und  Btgeir  haben  wir  eint-  wid 
dem  krieg   Theoderichs  gegen   Odovaker.     Diesei    wurde  in 
drei  schlachten  aberwunden  —  und  schless  sieh  darauf  mit 
Beinen  schätzen  in  EUivenna  ein.  wo  i  ert  wurdi 

Aber  zuletzt  musste  er  sich  ergeben  und  wurde  auf  eine 
betrügerische  weise   von   Theodorichs  eigener   band 
weil  er.  wie  uf  betrug  sann. 

meisten  Umbildungen,  »in-  die  historischen  begeben- 
heiten  in  der  märchenhaften  erzählung  haben  erleiden  mQ 
sind  aus  der  aufi  e  zu  erklären.    I 

muss  hiervon  ausgenommen  werden,  dass  \  idga  (der  Vidrik 
landsodn  des  liedes)  /.  t.  die  rolle  Dietrichs  übernommen  hat. 

.  ;.  Mmrphal*  in  Wolfdietrich  >lurrh  r..:  Harpahjke. 

■  i  m-.iiii  proptar  metnm  I 
tulit  thiii.  ,ul  l'lu\i.  .^tra   iu  llumine 

MO  long«  .i   i ' - . t . . .  ].  Liboi  VIII  rab  .  v&gia 

• 
et  i.mi  bitumim 


474  BUGGE 

Es  ist  bekannt,  dass  Wittich,  ags.  Widya,  Wudia  seinen 
namen  von  einem  bei  Jordanes  cap.  34  erwähnten  Vidiyoia 
Gothorum  fortissimus  hat.  Aber  mehrere  historische  personell 
sind  in  Wittich  zusammengeschmolzen.  Wittich  kam  zuerst 
zu  Dietrich,  dem  er  eide  schwur  und  der  ihm  gold  und  land 
gab.  Doch  gieng  er  zu  Ermenrich  über  und  lieferte  Raben 
(d.  i.  Eavenna),  das  Dietrich  ihm  verliehen  hatte,  an  Ermen- 
rich aus. 

Ich  vermute,  dass  die  verräterrolle  Wittichs  daraus  zu  er- 
klären ist,  dass  wir  sein  historisches  vorbild  hier  in  Fridericus, 
dem  söhne  des  Feiet heus,  finden.  Dieser  flüchtete  vor  On- 
dulf,  dem  bruder  Odovakers,  zu  Theodorik,  ehe  der  ostgotische 
könig  in  Italien  eingezogen  war.  Aber  später  brach  Friderik, 
wahrscheinlich  während  des  krieges  mit  Odovaker,  seinen  bund 
mit  Theodorich  und  wurde  ein  Verräter  gegen  ihn.  Die  raven- 
natischen  fasten  erwähnen  in  423  eine  schlacht  zwischen  Fri- 
derik und  dem  magister  militum  Tufa,  zwischen  Trient  und 
Verona. *)  Vgl.  Pallmann  II 4G5  f.  Wie  dieses  aufgefasst  werden 
soll,  ist  unsicher. 

Ueber  diesen  Friderik  s.  Köpke,  Anfänge  des  königtums 
s.  178;  Dahn,  Könige  2,  33. 

[Rieger,  Zs.  f.  d.  mythol.  I  233  und  Heinzel,  Ostgot.  königs- 
sage  s.  57  denken  sich  den  Wittig  als  den  Verräter  des  Tufa.] 

[Einen  wenig  befriedigenden  versuch,  die  rolle  Wittigs  als 
Verräter  zu  erklären,  s.  bei  Heinzel  s.  58]. 

Dietrich  und  seine  männer  ziehen  dann  in  das  land  Isungs 
ein,  und  als  Isung  ihre  ankunft  erfuhren  hat,  sagt  er:  'ich 
werde  ihnen  einen  meiner  beiden  schicken,  um  ihnen  zu  sagen 
dass  wenn  sie  ihr  leben  behalten  wollen,  müssen  sie  mir  zoll 
und  Steuer  nach  dem  gesetze  schicken'  (süa  sem  log  var  standet 
tu).  Sigurd  bietet  sich  als  böte  an.  Sigurd  reitet  dann  zu 
dem  zelte  Dietrichs  und  sagt:  'Der  könig  Isung  mein  herr  hat 
mich  mit  dem  auf  trag  hierher  geschickt,  die  Steuer  von  euch 
zu  nehmen,  die  der  könig  nach  dem  gesetze  zu  fordern  das 
recht  hat.  Wenn  aber  der  könig  keine  Steuer  von  euch  erhält, 
da  werdet  ihr  euer  gut  und  leben  verlieren.'  Aber  Dietrich 
bot  Isung  und  seinen  männern  kämpf. 


l)  [Scriptores  Autiquissimi  I  321.] 


Hiimai    DBB   AI. iv.  WELBUNGEN-   C  RTB.-LIEDEB,  175 

Euer  finden  wir  eine  bestätigung  der  oben  dargeh 
anschauung,  dass  [snng  der  poetische  repräsentanl  des  byzan- 
tinischen k;ii-  Die heldendichtung  behält  nur  einzelne 
der  historischen  personen  and  lässt  diese  einzelnen,  anstatt 
mehrerer,  die  demselben  volke  gehören,  hervortreten.  Ebenso 
wie  die  byzantinischen  kaiser  von  Zeno  ans  (anter  dessen 
regierang  Theodorich  in  [talien  einrückte)  bis  zn  Jnstinian 
durch  [sang  repräsentiert  sind,  so  repräsentiert  Dietrich  von 
Bern,  das  poetische  alter  ego  Theodorichs,  die  gotischen  könige 
in  Italien.  Als  Theodorich  in  Italien  einrücken  wollte,  soll  er 
mit  dem  kaiser  Zeno  verabredet  haben,  dass  er  Im  falle  eines 

-  Italien  im  namen  des  byzantinischen  Kaisers  beherschen 
werde,  unter  Theodorich  konnte  der  byzantinische  ki 
seine  obergewall  nicht  behaupten,  aber  nach  dem  tode  Theo- 
dorichs und  der  eroberung  Afrikas  droht  Belisar  den  (inten 
in  Italien,  da  er Lilybseum  fordert:  'Eure  Unterwerfung  kann 
dir  gunst  des  kaisers  verdienen;  eine  widersetzlichkeil  wird 
sein  misfallen  erregen  und  einen  krieg  veranlassen,  welcher 
nur  mit   eurem   vollständigen  Untergang  enden   wird.    Wenn 

ihr    uns    nötigt,    die    walten    zu    ergreifen,    dann    weiden    wir 

kämpfen  nicht  um  eine  einzeln»'  Stadt  zurück  zu  gewinnen, 
sondern  nm  euch  alle  die  provinzen  zn  entreissen,  die  ihr  mit 
anrecht  eurem  gesetzlichen  oberherrn  vorenthalten.'  und  nach 
dem  tode  Amalasuinthas  fing  Belisar  im  namen  des  byzant  mischen 
kaisers  einen  krieg  gegen  die  Ostgoten  an.  Die  drohungen,  die 
Belisar  an  die  Goten  lichtet,  im  falle  sie  dem  byzantinischen 
kaiser  nicht  gehorsam  sein  wollen,  klingen  in  den  drohungen, 
die  Sigurd  als  der  böte  des  königs  [sang  gegen  Dietrich  und 
seine  männer  ausspricht,  wider. 

w  iim  I  - 1 1 1 1  lt  nun  hier  M-in  historisches  vorbild  in  Justinian 
hat.  so  hat  Sigurd  Fafnisbane  oder  Siegfried  in  dieser 
Verbindung  sein  historisches  Vorbild  in  Belisarius, 
welcher  von  den  Goten  onterwerfung  unter  kaiser  Jnstinian 
fordert  her  könig  lsmiLr  ist,  wie  wir  es  gesehen  haben,  der 
Justinian,  und  die  Voraussetzung,  dass  Sigurd  falls  zum 

teil,  sein  historisches  vorbild  in  Belisarius  hat.  passt  dann 
vortrefflich  zu  der  darstellung  in  der  Piörekssaga,  dass  Sigurd 
in  den  dien-  getreten  Bei    Er  ist  -ein  ratgeber,  Bein 

bannerführer  und  -.'in  erster  held.    Aimoin  n 


476  BUGGE 

erat  assiduus  imperatoris  consilio.  Isidor  gibt  dem  Belisar  den 
titel  magister  militum;  dieses  könnte  wol  nach  der  auffassimg 
der  Nordländer  ihrem  merhismadr  entsprechen.  Namentlich 
ist  zu  beachten,  dass  Sigurd,  als  der  vorzüglichste  aller  beiden 
gepriesen,  in  dieser  erzählung  doch  nicht  als  ein  könig, 
sondern  als  ein  mann,  der  im  dienste  eines  königs  ist, 
dargestellt  wird.  Dieselbe  auffassimg  tritt  uns  in  andern  dar- 
stellungen  der  Sigurd-  oder  Siegfriedsage  entgegen.  Die  Vols- 
ungasaga  erzählt,  dass  die  mutter  Sigurds,  als  sie  ihn  gebar, 
eine  kriegsgefangene  war.  Er  wuchs  bei  Hjalprek,  dem  vater 
Alfs,  auf,  der  seine  mutter  heiratete.  Fäfnir  wirft  dem  Sigurd 
vor,  dass  er  ein  gefangener  und  im  krieg  genommener  mann 
sei  und  Sigurd  gesteht  es  (Fäfn.  7,  8).  In  VqIs.  cap.  28  sagt 
Brünhilde,  dass  Sigurd  der  Sklave  Hjalpreks  gewesen  sei. 
Regin  wirft  Sigurd  vor,  während  dieser  bei  Hjalprek  ist,  dass 
er  die  pferde  der  könige  wartet  und  dass  er  ihr  laufbursche 
ist  {Kynlegt  er  Jmt,  er  fiu  vilt  vera  hestasveinn  Jconunga 
eöa  fara  sem  hlauparar).  hestasveinn  kann  hier  eine  hei- 
mische widergabe  eines  deutschen  marscalc  sein.  Gregor.  Tur. 
III  32  comes  stabuli.  Nach  Aimon  war  Belisar  cquihmi  prae- 
fectus  des  Justinian.  Sigurd  aber  sagt  im  gegensatze  dazu, 
dass  er  mit  den  königen  über  alles  verfügt  und  dass  er  alles 
bekommt,  was  er  nur  haben  will.  Das  Nibelungenlied  erwähnt 
ebenfalls,  dass  Siegfried  im  dienstverhältnis  zu  einem  könig 
steht.  Als  er  mit  Günther  nach  dem  lande  Brünhildes  kommt, 
schlägt  Siegfried  vor,  dass  sie  Günther  für  seinen  herrn  und 
Siegfried  für  den  mann  desselben  ausgeben  sollen.  Nachher 
erwähnt  Brünhilde  den  Siegfried  mit  geringschätzung.  Dieses 
gibt  den  anlass  zu  dem  wortstreite  zwischen  Kriemhild  und 
Brünhilde  und  ruft  die  katastrophe  hervor. 

Die  erzählung  von  Sigurd  bei  Isung  hat  insofern  die  Über- 
einstimmung mit  der  geschichte  bewahrt,  dass  Sigurd  wie 
Belisar  einsam  in  die  weit  hinaus,  fern  von  seinem  vaterlande 
in  den  dienst  eines  fremden  herschers  gezogen  ist. 

In  der  nordischen  sage  entspricht  der  aufenthalt  Sigurds 
bei  Hjalprek  zum  teil  dem  aufenthalte  Sigurds  bei  Isung  in 
der  piörekssaga.  Auch  in  der  nordischen  sage  verlebt  Sigurd 
seine  Jugend  in  einem  von  seinem  vaterlande  weit  entfernten 
lande.  Dem  Fäfnir  sagt  Sigurd  (Fäfn.  2):  'ich  bin  als  mutterloser 


UKIM  \i    DBB   AI.  in.   uii  i  .   HIB.-LIEDBB,  177 

mann  gewandert;   einen   rater  wie  die  Bohne  der  menschen 
w  ti  .l.-n"  11  Ti  ü^-'iK.  iiiniMi-  gehe  ich  einsam.'    Die  eitern  Beb 
■ii  wird  gesagt,  dass  SeyfneVwsh  im  liede  vom  hfimen  Seyfried 
oder  mntter  wusste,  I  Dichte  von  . 

Die  Voraussetzung,  dass  Sigurd  oder  Siegfried  wenig* 
zum  teil  sein  historisches  Vorbild  in  Belisarins  habe,  erklärt 
einen  dunkeln  y.wj;  im  liede  von  Dietrich  und  Beinen  helden, 
welcher  ins  jetzt  ganz  unerklärt  gewesen  ist  Der  saga  zu- 
folge ist  es  in  der  zeit  Beiner  Jugend,  vor  seiner  heirat  mit 
Grimhild,  dass  Sigurd  Bich  bei  dem  könig  Isung  aufhält,  dessen 
vorzüglichster  held  er  ist  Und  Dach  dänisch  A  ist  er  der 
jüngste  von  den  Bieben  Bohnen  könig  [saks.  A.ber  dennoch 
heisst  es  in  A  67:  Sivord  er  en  starblind  Svend,  hon 
ticke  sit  Olavind  til  Ende,  and  dieses  wird  in  dänisch  DEFGH 
Bowie  in  drei  schwedischen  and  einer  färöischen  aufzeichnung 
widerholt  (s.  Grundtvig  [V665a),  nur  mit  der  Veränderung, 
dass  'speer,  Bchwert,  schaff  (Speer,  Sveerd,  Skaß)  zum  teil 
anstatt  Glavind  eingesetzt  ist 

•unl  'starblind'1)  sein  Bollte,  wird  Bonst  oirgends 

gt   and  steht  in  Btarkem  gegensatz  bowo!  zn  Beinern  ver- 
halten bei  [sung  wie  zn  den  aordischen  aussprüchen  über  Beine 
Btrahlenden  äugen.    Sonderbarer  ist  es  Doch,  dasszudän.  \l". 
in  einer  schwedischen  and  in  färöischen  anfzeichnnngen  g< 
wird,  Sivord  sei  alt;  er  wird  'der  alte  kerl1  {dengamU  Km 

ont,  welches  bowo]  dem  liede  als  allen  andern  aussagen 
über  Sigurd,  Siegfried  widerspricht    Dies*  erklärt  sich 

durch  die  Voraussetzung,  dass  Sigurd  zum  teil  Bein  historu 
Vorbild  in  Belisarins  hat    Denn  in  dem  11.  und  12.  jh.  taucht 
die  erzählung  hervor,  dass  Belisar  in  seinen  alten  tagen 
blendet  wurde  and  sein  brot  betteln  musste.    Es  scheint, 
als  habe  der  Verfasser  des  niederdeutschen  liedes  diesen 
gekannt   und  Um  auf  eine  höchst  anpassende  weise  anwenden 
wollen,  obgleich  tische  b  oot- 

wendigerweise  jung   und   in  vollem  gebrauche  der  BehJ 
seiner  au^en  ^nhii-hi  «cnlcii  nuus.     hie  uit.runur 

'  'n  tlu-  Blindni  --  l-'iulny  li. 

-     liruudl. 


478  MJGGE 

wird  dadurch  bekräftigt,  dass  Sivord  sich  selbst  in  sch^ftj 
A  18  mig  fattig  gammcelman  nennt,  iin^+ftas  gold  Fäfnirs 
zu  der  nordischen  sage  yone°Säge,  dass  der  alte  Belisar  ein 
gewann.    Ff  erläutert.    In  dem  färöischen  liede  (Grundtvig 
A  (3G2b)   wird   er  als   tulpara  -  drong  oder   turpala  -  svein  be- 
zeichnet.    Dieses  ist  das  mnd.  dörper,  mhd.  törpel,  dörpel,  nhd. 
tölpel,  woraus  dän.  tölper  und  bezeichnet  ihn  als  einen  armen 
bauernbengel.  Auch  VqIs.  s.  cap.  13  braucht  diesen  ausdruck  von 
Sigurd;  Regin  sagt  hier  zu  ihm:  ]>er  IdaupiÖ  sem  Porpara  sveinar. 
Meine  Vermutung  setzt  aber  voraus,  was  wol  bedenklich 
ist,  dass  die  Germanen  noch  im  11.  oder  12.  jh.1)  sich  der  identität 
Sigurds  (Siegfried)  und  Belisars  bewusst  waren.  —  Und  auf  wel- 
chem wege  sind  wol  diese  sagen  zu  den  Deutschen  gekommen? 
Prokop  schreibt  den  namen  des  helden  BsXlgccqloc.2)    Es 
lässt   sich   nicht  mit  Sicherheit  bestimmen,   welcher  spräche 
dieser  name  angehört,  da  man  nicht  weiss,  welchem  volks- 
stamm  Belisar  bei  seiner  geburt  angehörte.     Der  einzige  be- 
wahrte aufschluss  von  seiner  herkunft  sind  die  worte  Prokops 
(Bell.  Vand.  III  11):    BsZtöaQiog  Ix   TsQ^aviag,   ■/'/   Oqcctccov  ts 
xal  'IZlvQiav  (/ezasv  xeItcu.     Ich  entscheide   daher  nicht,   ob 
BeXiödgiog,  wie  Grimm,  Gesch.  d.  deutsch,  spräche  s.  301  meint, 
got.    Walisäharjis  (Valisaharis)    sei,    oder   nach    der    deutung 
Müllenhoffs   (Zs.  fda.  12,  288  f.)   dem   ahd.  Biliheri  entspreche, 
neben  welchem  Bilis  nachgewiesen  ist  (S.E.Schröder).3) 

Der  einwand  Müllenhoffs  gegen  die  deutung  von  BeXcödgiog 
als  *Walisaharjis,  dass  das  gotische  e  als  i-umlaut  aus  a  nicht 
habe,  scheint  doch  nicht  ganz  entscheidend,  denn  BsZiöccqioq,  im 
falle  es  germanisch  wäre,  könnte  einer  andern  spräche  als 
der  gotischen  angehören. 


x)  Früher  kann  die  sage  von  der  blindheit  Belisars  nicht  nachgewiesen 
werden.  Doch  könnte  sie  älter  sein,  obgleich  es  nicht  historisch  wahr  ist. 
Finley  versucht  zu  zeigen,  dass  die  sage  von  den  Chronikenschreibern  im 
10.  jh.  überführt  sei;  diese  erzählen,  dass  Syrnbation,  welcher  einen  aufruhr 
gegen  Michael  III.  anstiftete,  866  geblendet  wurde. 

B)  In  Hugonis  Chron.  Fertz  X  320  f.  Belsarhis.  In  Pertz  VIII  316 
Bilisarius;  VIII  317  hat  eine  handschr.  Balisarkis.  Bei  Gregor.  Tur.  III  32 
Belsuarius. 

3)  Fehlerhaft  ist  die  erklärung  des  namens  von  slav.  belitstvr  'der 
weisse  kaiser'. 


HEIMAT   DBB    \i.TN.  WBL8UNGEN-   D.   NIB.-LIEDER.  179 

Obgleich  ich  Dicht  behaupten  will,  dass  BekiöaQioq  ein 
germanischer  Dame  Walisdharis  Bei,  halte  ich  es  für  annehmbar, 
dass  die  Westgermanen  den  fremden  Damen  BsXiaaQioq  in 
Welisung  (ags.  FPa&m<7)  auch  Welising  (Müllenhoff ,  Zs.  fda 
13,288)  unter  dem  einfluss  eines  zu  got  Walis  yvffoioq  gawalis 
{waljan  wählen)  entsprechenden  Wortes  omgedeutel  haben. 

Der  umstand,  dass  BeXioaQioq  auch  im  Latein,  immerfoii 
mit  l>  (so  bei  Jordanes  Belesarius  im  gegensatz  zu  Vandali, 
bei  Prokop  BavölXoi)  geschrieben  wird,  kann  dieses  nicht 
widerlegen,  da  die  Griechen  schon  früher  dasfremdworl  ßlcav 
halten,  welches  dem  ahd.  wisuni  entspricht  Das  germanische 
suffii  -ung,  Bowie  -ing,  -ling  entsprichl  in  der  anwendung  oft 
dem  hü. -urius,  mhd.  kemerlinc  cubicularius;  hornunc  Februarius; 
aga  h$rling  mercenarius.  Sollte  man  im  mittelalter  im  westen 
bei  -arius  in  Belisariua  an  das  altfranz.  ain  'geschlecht1  (de 
gentil  aire)  gedacht  haben? 

Nach  der  nordischen  sagenform  ist  Sigurds  erste  kriege' 
rische  tat  die,  dass  er  gegen  die  söhne  Eundings  auszog 
und  sie  erlegte.  .Man  meinl  gewöhnlich,  dass  die  Bohne  Bun- 
dings,  die  auch   in  der  sage   von    Beige   Eundingsbane  auf- 

ii.  in  der  ursprünglich  nordischen  (nicht  in  der  ursprüng- 
lich fränkischen  sage)  einheimisch  sind.  Dagegen  sprechen 
aber  zwei  tatsachen: 

h   In  dem  angelsächsischen  gedichl  Widsiö  23  heisst  es: 
Mearchealf  (weöld)  Hundingum.     und   in  87:   mid   II 
(halepum  ha)  and  mid  Hundingum. 

2  Mein-  beweisend  ist  folgendes:  ich  habe  Dachgewiesen, 
dass  die  Eelgedichtung  von  der  fränkischen  Wolf -Dietrichs 
welche  die  Nordmänner  in  England  kennen  lernten,  beeinflusst 
war.  Auch  habe  ich  nachgewiesen,  dass  eine  irische  erzählung 
von  Cormac  von  derselben  Wolf- Dietrichsage  beeinflusst  ist. 
und  ich  habe  es,  wie  ich  glaube,  wahrscheinlich  gemacht, 
die  Cormacaage  von  der  Wolf-Dietrichsage  beeinflusst  wurde, 
weil  der  feind  mae  con,  <l.  i.  Hund-  söhn,  hiess,  bo  wie  auch 
der  feind  Wolf-Dietrichs  In  der  fränkischen  nach  England 
überführten  sage  Bnnding  hief 

Es  folgt  also  hieraus,  dass  Bchon  die  angelsächsische 

*) 


480  BUGGE 

von  Wolf -Dietrich  den  Hunding  kannte.  Die  sagenfigur  war 
wol,  wie  die  sage  im  ganzen,  von  den  Franken  überführt. 

Welche  sind  nun  die  söhne  H Undings,  gegen  die  Sigurd 
Fäfnisbane  kämpft? 

Zur  bestimmung  hiervon  haben  wir  eine  anleitung  in  den 
folgenden  Worten  in  dem  prosastück  nach  dem  ersten  lied  von 
Helge  Hundingsbane:  'Hunding  hiess  ein  mächtiger  könig,  von 
ihm  hat  Hundland  seinen  namen.'  Wir  müssen  also  zugleich 
nach  einem  Hundland  suchen;  dieses  land  hat  aber  niemand 
nachweisen  können.1)  Die  anweisung,  um  dieses  land  zu  finden, 
haben  wir  in  der  Hauksbok  (Nokkur  blöö  s.  29  L.  13).  Hier 
werden  mehrere  fabelhafte  menschen  und  Völker  nach  süd- 
ländischen quellen  erwähnt.  Die  meisten  finden  wir  bei  Isidor 
wider ,  z.  b.  Panadios  (d.  i.  Panatios)  und  fieir  menn  er  hafa 
rossa  fcetr  (d.  i.  Hippopodes).  Bei  Plinius  finden  wir  Ciroman- 
dari  (d.i.  Choromandae)  wider.  Unter  diesen  fabelhaften  Völkern 
wird  zuletzt  erwähnt:  par  ero  menn  peir  enn  er  hdka  er  groen 
vid  bringu  niÖr.  pat  heita  himdingiar.  peir  ero  sna  vid  menn 
sem  olmer  hundar.  Hiermit  vergleiche  man  Nokkur  blöö  s.  26  f. : 
Cnocefali  hafa  hunds  hofud.  oc  hafa  peir  gand  firir  mal.  Mar 
ero  a  fingrum  oc  a  taom  en  engir  negll\  die  quelle  hierzu  finden 
wir  bei  Isidor  Or.  XI  3,  15  (Cynocepali  appellantur,  eo  quod 
canina  capita  habeant,  quosque  ipsi  latratus  magis  bestias  quam 
homines  confitentur.  Hi  in  India  nascuntur)  und  bei  Plin.  N. 
H.  VII  2  (In  multis  autem  montibus  genus  hominum  capitibus 
caninis  ferarum  velari,  pro  voce  latratum  edere,  unguibus 
armatum  venatu  et  aucupio  vesci). 

Menschen  mit  hundsköpfen  wurden  von  einigen  nach  Indien 
überführt,  von  andern  nach  Libyen;  so  Herodot  IV  191,  vgl. 
bei  der  äthiopischen  küste  Strab.  1, 43.  7, 299.  16,  774  [vgl.  Ael. 
n.  a.  10, 25],  der  xvrojrQooojtoi  als  Völker  in  Ägypten  auf  dem 
wege  nach  Äthiopien  kennt.  Hiernach  scheint  begründet  zu 
sein,  Hundland,  den  Hunding  und  die  söhne  Handings  ent- 
weder in  Indien  oder  in  Libyen,  Afrika,  zu  suchen. 

Da  ich  nun  im  vorhergehenden  zu  zeigen  versucht  habe, 
dass  Sigurd  Fäfnisbane  jedenfalls  zum   teil  sein  historisches 


*)  Müllenkoff  fasst  die  Hundinge  als  ein  historisches  germanisches 
fürstengeschlecht  bei  einem  volke  an  der  südküste  der  Ostsee  auf  (Zs.  fda, 
11,  277  f.  23, 137).    Dabei  bleibt  Hundland  unerklärt. 


IIKIMAT  DEB   ALTS*.  WBL8TJNGBN-   U.   R1B.-LIEDBB,  181 

Vorbild  in  Belisarius  hat,  so  können  wir  Dicht  an  Indien,  son- 
dern nur  an  Anika  denhen. 

Der  zng  Signrd  Fäfnisbanes  gegen  d;<-  Bohne 
II u ndi iil:s  ist  der  zng  Belisars  nach  Anika  gegen  die 
Vandalen. 

Dieses  wird  dadurch  bestätigt,  dass  Signrd  zn  dem  lande 
der  söhne  Bundings  segelt,  wir  lidisar  nach  Afrika.  Der 
zng  Sigurde  ist  ein  rachezug;  gleichfalls  derjenige  Belisars 
(ultio  Jordanis,  Momms.  i>.  1<»2). 

Bei  der  bezeichnnng  der  Häuptlinge  der  Mauren  als  Hun- 
dings synir  hat  auch  die  anffassnng  der  Mauren  als  heiden 
bei  (Im  südländischen  Völkern,  deren  Vorstellungen  die  dichtnng 
beeinflnssten,  mitgewirkt  'Heidnischer  hund'  ist  ein  gewöhn- 
licher ausdrncb  im  nordischen  und  im  englischen.  Vielleicht 
kann  auch  der  umstand  beeinflnsst  haben,  dass  ein  könig  der 
Vandalen  Hunerich  hiess. 

[ch  hallt-  gesucht  darzulegen,  dass  die  sage  von  Persens, 
welrher  die  (inr^-i)  tütet,  eins  der  eleinente  gebildet  hat.  wo- 
raus die  sage  von  Signrd,  der  den  Fäfnir  tötet,  entstanden  ist. 
Nun  klärt  es  sich  auf.  warum  die  Perseussage  auf  Signrd 
überführt  ist  I  >ie  Gorgonen  wohnten,  wie  man  dachte,  in 
Libyen  und  Persens  erblickte  da  die  Andromeda  Belisar 
aber,  das  historische  Vorbild  Signrds,  zog  nach  Libyen  und 
führte  da  als  junger  manu  eine  glänzende  tat  aus.  Daher 
überführte  die  sage  auf  ihn  die  tat.  die  Persens  der  sage  nach 
in  Libyen  ausführte. 

Belisar  gewann  in  Afrika  grosse  schätze.  Prokop  be- 
richtet, dass  er  in  den  besitz  d^  Bchatzea  Qelimera  (Bell. 
Vand.II  h  kam.  und  dass  man  bei  seinem  triumphzug  in 
Konstantinopel  die  köstlichen  gel  sse,  die  goldenen  stuhle. 
viele  edelsteine,  Behr  viele  talente  in  Bilber  und  noch  vieles, 
was  er  als  beute  gewonnen  hatte,  zn  Behen  bekam  Hl  9).  In 
Sigiberti  Chron.  (Pertz  vin  316)  wird  gesagt,  dass  Belisar  in 
Afrika  pecunias  infinites  recepit.  Jordanea  erzählt,  dass 
limer  von  dem  berühmten  {gloriosissitnunt)1)  Belisar  mit  Beinern 
ganzem  geschlechte  und  mit  Beinen  Bchätzen,  über  welchen  er 
wir  ein  ränber  brütete,  nach   Konstantinopel  geführt   winde 

'i  Diecei  epitheton  prird  i>'-i  mehreren  -       mcüt 


482  BUGCSE 

(quibus  more  praedonis  incübabat  ed.  Momms.  p.  102).  Dieses 
wirkte  dazu  mit,  dass  man  auf  Sigurd,  das  poetische  alter 
ego  Belisars,  die  sage  von  der  tötung  des  draclien  oder  der 
schlänge,  die  über  dem  golde  brütete,  wodurch  der  held  unend- 
liche reichtünier  gewann,  überführt  hatte.  Das  angelsächsische 
Beowulfgedicht  hat  die  ursprüngliche  sagenform  darin  bewahrt, 
dass  der  held  seinen  schätz  zu  seinem  schiffe  überführt1), 
gleichwie  Belisar  in  der  Wirklichkeit  den  schätz  Gelimers  und 
andere  geraubte  reichtünier  über  die  see  fortschickt  und  wie 
in  der  dichtung  Jason  (dessen  tat  die  Sigurdsage  beeinflusst 
hat)  mit  dem  goldenen  vliess  auf  dem  schiffe  Argo  fortsegelt. 

Nornagest  erzählt  (cap.  3),  dass  er  im  dienste  Sigurds 
gewesen  ist  und  er  gibt  ihm  das  lob:  'Alle  hatten  ihn  sehr 
lieb,  denn  er  war  gegen  uns  sowol  freundlich  wie  leutselig 
(blidr  oh  litüldtr)  und  freigebig.'  In  Grip.  7  wird  Sigurd  frei- 
gebig an  gold  gnannt.  VqIs.  s.  (cap.  13)  sagt,  dass  jedes  kind 
Sigurd  liebte.  Dasselbe  lob  erhält  Belisarius  (Prokop.  Bell. 
Got.  III  1):  'Er  war  so  leutselig  und  freundlich  gegen  alle, 
als  wäre  er  ein  unbemittelter  und  niedrig  gestellter  mann. 
Die  liebe  der  Soldaten  und  der  bauern  für  ihren  heerführer 
war  unerschütterlich,  weil  er  vor  allen  menschen  die  reichen 
gaben  unter  die  Soldaten  austeilte. ' 2)  Sigurdr  var  ]wi  dstscelli 
sem  kann  var  cellri  af  glu  föllci,  svd  at  hvert  harn  unni  Jwmtm 
hugdstum  VqIs.  s.  cap.  15;  dtarlegr  at  dliti  Grip.  4.  Sigurd 
hatte  ein  herrliches  aussehen  (itr  dliti)  Grip.  7.  In  der  piöreks- 
saga  heisst  es:  hans  UJcami  er  allr  skapaÖr  vid  sie  a  hmd  oc 
digrleic  ]>ann  veg  sem  batst  ma  sama.  In  der  Vols.  s.  cap.  13 :  frd 
honum  segja  aller  eitt,  at  um  atferd  oh  vgxt  var  engl  hans  maki. 

pü  munt  madr  vera  ma&ztr  und  sölu  oh  limstr  borinn  liver- 
jüm  jgfri  Grip.  7. 

joröum  spahr  Grip.  7.  Dieses  wird  durch  die  berichte 
Prokops  von  Belisar  erläutert. 

Die  erwähnten  eigenschaften  sind  solche,  die  vielen  beiden 
beigelegt  werden  und  sie  beweisen  daher  für  sich  selbst  nichts. 


J)  Hsefde  agl&ca  eine  gegongen,  pset  he  beähhordes  brücan  moste  selfes 
dorne;  s&bät  gehlöd,  beer  on  bearm  seipes  beorhte  frsetwa  Waelses  eafera; 
wyrm  hat  gemealt. 

2)  In  piörekss.  wird  gesagt:  er  findet  seine  frende  daran,  gold  und 
kleinode  von  seinen  feinden  zu  nehmen  und  es  seinen  freunden  zu  geben. 


HEIMAT   DBB    W.iN.   WT5L8UNGKN-  0",   NIB.-LIBDEB.  I-  I 

Sie  dürfen  aber  erwähnt  werden,  weil  rie  zu  andern  momenten 
bestärkend  hinzutreten  and  weil  die  Bchildernng  von  Belisar 
uns  zeigt,  dass  gerade  er  »'ine  persönlichkeil  für  die  helden- 
dichtnng  Bein  musste. 

Von  Belisar  Bagf  Prokop:  'von  gestall  war  er  Bchön  and 
«s  and  er  hatte  das  schönste  gesichl  von  allen.' 

Nibel.  23:  man  mOhte  michel  wunder  von  Stfride  Bagen, 
was  6ren  an  im  wtiehfle  (wie  er  ruhmvoll  war) 
and  wie  Bchoene  was  Bin  Llp 

inj    sin  lip  der  ist  -n  Bchoene,  man  so!  in  holden  han. 

Wie  Belisar  ziehl   anch  Sigurd   in  fremden  Ländern  weil 

umher.  In  dem  lied  von  Dietrich  und  Beinen  beiden  wird  er 
so  angeredet  (V  W:  G  '■'<):  H'ir  du  Sirard  Snarendsvend,  du 
haver  vceret  saa  tride.  In  Beownlf  898 — 900  heisst  es  von  dem 
töter  der  Bchlange:    5  vreccena  wide  m&rosi  ofer  wer- 

Peöde,  wigendra  hin  ellend&dwn. 

wrecca  bezeichnet  einen  kriege)-,  der  aus  seinem  eignen 
lande  fortgetrieben  ist  und  Bich  in  kriegszagen  in  fremden 
Ländern  omhertreibt  In  der  piörekssaga  cap. 344  Bagt  Brün- 
liilde  zu  Gunnar  und  Hogne:  'Sigurd  Svein  kam  zu  euch  als 
ein  anner  wanderer'  [sem  einti  vallari). 

Signrd  wird  vor  allen  andern  beiden  gelobt  und  gerühmt. 

rör  hefir  verii  ggfgastr  aüra  herkonunga  ok  best  ai  seriheionum 

rör  rar  ägcetastr  aüra  herkonunga  af  ostt  ok  afii 

ok  hmj  Skaldak.  cap.  10  (Snn  I  eru  attir  hhur  ägosttu 

ok  konungar  i  fornutn  sogum,  j  ■<  ikal  Sigurbr  fvrh*  ganga  um  <«/{ 

■i'iri,  kapp  ok  hreysti,  <r  kann  hefir  hu/t   um  hveru  wann  fratnrn 

annarra  VqIi  b.  cap.  18. 

/,/■/  man  '  m  old  lifir,  fyöÖar  pengüll  />itt  mifn  oera  Qrip.  41. 

i'  uppi  »um,  meöan  old  lifir,  nada\  nafn  />itt  vera  Grip 

hont  nafn  gengr  i  ullum  ttmgvm        ■  jridanj  haf  (PiOreki 

■aga  b,  181). 

Biguroar  tnor  brogd  /■■"  fara  und  himin  ikenttum  (Grip.  10). 

niiui   hm  •    In  '  rjinr  •  t  hmni    ä  , 

141) 

rn  l  iit  Man  MMN 

nnm  fyma 
meban  old  hfir. 


484  BUGGE 

pat  segir  Jiverr  madr,  at  asigi  mun  cptir  lif  a  i  verolldinni  oc  dlldri 
siÖcmn  mon  borinn  verda  puilihr  madr.  firir  Sahir  afls  oh  reysti  oh  allrar 
hurüeisi  Caps  oc  milldi.  er  hann  haföi  umfram  hvern  mann  annarra.  oc 
hans  nafn  mun  alldrigi  tynaz  i  pydvcershri  tungo  oc  slict  sama  med  Nord- 
mannom  piör.  s.  cap.  388,  s.  302). 

Virum  gloriosissimum  Belesarium  (Jordan,  p.  102)  Glorio- 
sissimus  hat  ebenfalls  ein  edict  im  Corpus  juris  civilis  von  Febr. 
565  von  zweifelhafter  echtlieit.  Prokop  sagt,  nachdem  er  er- 
zählt hat,  dass  Belisar  den  Vitiges  nach  Italien  geführt  hat: 
'Der  name  Belisars  war  auf  allen  lippen,  denn  ihm  gebührte 
die  ehre  zweier  siege  so  glänzend,  wie  es  keinem  anderen 
menschen  zu  gewinnen  gegeben  ist.'  Prokop  sagt  weiter: 
'Als  Belisar  nach  Byzanz  gekommen  war,  zeigte  sich  seine 
erhabenheit  in  einem  noch  stärkeren  lichte.  Er  zeichnete 
sich  durch  tüchtigkeit  in  allem  aus,  war  reicher  als  alle  andern 
heerführer  und  hatte  eine  grössere  leibwache. 

Prokop  III 1  hebt  die  keuschheit  Belisars  hervor.  Er 
rührte  kein  weib  an  ausser  seiner  gattin.   Vgl.  Grip.  41. 

VqIs.  s.  cap.  32 :  Nu  segir  pat  hverr,  er  pessi  tioendi  heyrir,  at  engt 
madr  mun  pvilihr  eptir  i  veroldunni,  oh  aldri  man  siöan  borinn  slikr  madr, 
sem  SigurÖr  var  fyrir  hvers  vetna  sahar,  oh  hans  nafn  man  aldri  fyrnast 
i  pyÖDershri  tungu  oh  ä  NorÖrlgndum,  medan  heimvihen  stendr. 

Den  aussprächen  der  nordischen  erzählungen  von  dem 
unsterblichen  rühm  Sigurds  entsprechen  die  ausspräche  Jor- 
danes  in  dem  schluss  seiner  Getica  über  Belisar.  Er  sagt  da 
von  den  Goten:  'haec  laudanda  progenies  laudabiliori  principi 
cessit  et  fortiori  duci  manus  dedit,  cuius  fama  nullis  sae- 
culis  nullisque  silebitur  aetatibus  (Momms.  p.  183). 

In  Fäfnismäl  wird  Sigurd,  da  er  die  schlänge  tötet,  als 
ein  junger  knabe  {sveinn  str.  13,  vgl.  str.  5.  6)  bezeichnet,  und 
noch  zuvor  hat  er  die  söhne  Hundings  erlegt.  Man  dachte 
also,  dass  sein  zug  gegen  dieselben  in  seiner  frühen  Jugend 
stattgefunden  hatte.  Belisar,  nimmt  man  an,  ist  nach  505 
geboren.  Er  wurde  zum  führer  gegen  die  Vandalen  532  er- 
nannt und  segelte  nach  Afrika  533.  Also  war  er  damals  kaum 
28  jähre  alt. 


BEIHAT  DEB   Al.'l'X.  WELSDNGEN-   17.   E7IB.-LIBDBB,  185 

7.    Krimhill        Gtrimbild. 

Der  vater  Krimhilds  ist  nach  dem  Seyfriedsliede  Gibich, 
könig  von  Worms,  i-ün  drache  hal  Bie  ihrem  vater  geraubt 
Siegfried  tötet  den  drachen  and  befreit  die  Krimhild. 

ESs  ist  erwiesen  worden,  dasa  Gibich,  könig  \<<n  Worms, 
mit  dem  in  der  lex  Burgnndionum  genannten  bnrgnndischen 
könige  Gebica  oder  Gibica  identisch  ist.  Ebenso  ist  es  erwiesen 
worden,  dass  Günther,  der  bruder  der  Krimhild,  mit  dem  bnr- 
gnndischen könige  Gundahari  oder  Gundicarius,  der  437  fiel, 
identisch  ist. 

Wie  ist  nun  die  sage  entstanden,  dass  die  tochter  des 
burgundi8chen  königs  vom  drachen  geraubt  und  von  Siegfried 
befreit  wurde?  Warum  machte  man  Siegfried  zum  gemahl 
der  Krimhilid?  Wie  isl  die  Siegfriedsage  mit  der  Burgunden- 
sage  verbunden  worden?  [ch  vermute:  Weil  Bich  der  name 
Gebica,  Gibich  sowol  in  der  Burgundensage  als  in  der  mythi- 
schen Siegfriedsage  fand.1) 

.Man  hat  bereits  die  ähnlichkeit  zwischen  der  von  Perseus 
erlösten  Andromeda  und  der  vom  drachensteine  befreiten  Krim- 
hild beobachtet;  s.  v.  Muth,  Einleitung  in  das  Nibelungenlied 
s.  56.  Im  gegensatz  zu  der  gewöhnlichen  ansieht  nehme  ich 
an,  dass  die  Siegfriedsage  in  ihrer  entstehung  von  der  Perseus- 
Bage  beeinflussl  worden  i-t. 

Derjenige  teil  des  liedes  vom  hörnernen  Siegfried,  der 
mit  Btr.16  anfängt,  ist  in  Beiner  ursprünglichen  form  kurz  nach 
1230  verfasst;  aGolther,  Das  Lied  vom  Eürnen  Seyfrid  b.xxx 
Die  sagenf orm  dieses  gedichts  hat  viele  eigentümlichkeiten,  von 
welchen  ich  die  folgenden  hervorhebe: 

K'rimhild  wird  von  einem  feuerdrachen  geraubt,  der  zu 
drin  hause  ihres  van  >n  kommt,  und  wird  von  diesem 

auf  dem  drachensteine  festgehalten.  Siegfried  kommt  /um 
drachensteine,  tötet  den  drachen  und  fuhrt  die  Jungfrau  wider 

zu  ihrem  vaiu    i.    bei    dem    fr    mit    ihr  hochzeit    halt.     Keine 

'»  Aehnlich  Bdiardi,  Die  Vota,  d  I  \.\\l.    Daftti 

h  ein  mythischer  oame  i-t.  fuhrt  er  jedoch  nnr  die  Gibi<&ensteine  nnd 
•  nl-  den  Damen  einee  swergköniga  in  San  (Gera. 8, 171)  hl 
*i  l1  -iml  ancfa  in  einer  form  des  Nibelungenliede! 

1.").  jli.  BnJgenomm«  d  i  10,  1 1 1 


486  BUGGE 

andere  Jungfrau  wird  liier  erwähnt.  Die  briider  Krimliilds 
töten  den  Seyfrid,  weil  er  mehr  als  diese  geschätzt  wird. 

Ich  glaube,  dass  diese  sagenform  durch  den  einfluss  der 
griechisch-römischen  sage  von  Perseus  entstanden  ist.  Dieser 
rettete  Andromeda,  die  an  einen  f eisen  als  die  beute  eines 
meerungeheuers  gefesselt  ist,  indem  er  das  ungeheuer  tötet 
und  darauf  mit  ihr  hochzeit  hält. 

Der  vater  Krimliilds  heisst  in  dem  gediente  von  Seyfrid 
Gybich]  dieser  hat  drei  söhne,  von  welchen  Günther  zuerst 
erwähnt  wird.  Gybkh  ist  also  als  mit  dem  burgundischen 
könige  identisch  aufgefasst  worden.  Dieser  wird  in  lex  Bur- 
gundionum  Gebka  (var.  Gibica)  genannt. 

Der  vater  Andromedas  hiess  Ceplieus.  Dieser  name  kann 
in  Gebka,  welcher  als  ein  heimischer  name  bekannt  war,  ver- 
deutscht worden  sein.  Wackernagel  (Kleinere  Schriften  3,  283) 
hat  viele  beispiele  dafür  gesammelt,  dass  c  im  anlaut  von 
romanischen,  lateinischen  oder  griechischen  Wörtern  in  deutsches 
g  übergegangen  ist. l)  Lateinisch  f,  griech.  ph  kann  im  inlaut 
bei  lehn  Wörtern  in  germanisches  b  übergehen.2) 

In  dem  deutschen  namen  Gebka  ist  -ca  ein  deminutiv- 
suffix,  das  u.  a.  in  dem  burgundischen  namen  Athica  in  einer 
inschrift  von  563  vorkommt;  vgl.  Wackernagel,  Kleinere 
schritten  3,  359. 

Nun  finden  sich  öfters  dafür  beispiele,  dass  dieselbe  person 
bald  mit  einem  namen,  der  ein  deminutivsuffix  enthält,  bald 
mit  einem  namen  von  demselben  stamm  ohne  ein  deminutiv- 
suffix genannt  wird.  Daher  ist  es  ganz  natürlich  und  mit  sonst 
vorkommenden  Übergängen  übereinstimmend,  dass  derjenige 
mann,  der  im  lateinischen  in  der  antiken  sage  Ceplieus  genannt 
wurde,  von  den  Deutschen,  die  diese  sage  aufnahmen,  Gebka 
genannt  wurde. 


J)  Neugr.  %ä(povQa,  mhd.  gaff  er  'kampfer';  capa,  ahd.  gapha;  carmi- 
nare,  ahd.  garminön;  carnarium;  cilicium,  ahd.  gliza;  calceus,  ital.  calzo, 
mhd.  golze;  compositum,  mhd.  gumpost;  contrefeü,  gunterfeit;  custos,  ahd. 
gustör.  Noch  kann  genannt  Averden  Leiligcsteru  in  Hessen,  von  Leitcastre, 
mhd.  Gälaber  Dietrichs  flucht,  Calabria. 

2)  Coblenz  ahd.  Chobilinza,  hei  Geogr.  Rav.  Conbülantia  von  Con- 
fluentia;  ahd.  tu f stein  und  tübstein,  tofus;  ambictio  in  Alfreds  Orosius  = 
Amphictyo. 


....    WJSL8UNGEN-    ü.  NIB.-LTEDER.  I-, 

[ch  vermute  also,  dasa  die  Franken  die  Bage  von  Perseus 
kennen  lernten,  der  die  an  einen  felsen  gefesselte  tochter 
königs  I  epluuis  rettete,  indem  er  das  angehener,  in  di 
macht  sie  war,  tötete.  Die  Franken  bildeten  dieses  in  eine 
heimische  heldensage  um  und  nannten  den  vater  der  Jungfrau 
Gebico.  Da  nun  ein  bnrgnndischer  könig,  dervater  der  Gun- 
thahari,  denselben  aamen  trug,  war  diese  namensübereinstim- 
mnng  der  anlass  dazu,  dass  eine  mythische,  von  fremden  er- 
zählnngen  beeinflnsste  sage  von  Siegfried  mit  der  sage  von 
historischen,  burgnndischen  königen  zusammengeschmolzen 
wurde. 

Die  gattin  des  Oibich  ist  nicht  mit  namen  genannt.  In 
der  nordischen  Bage  heisst  die  gattin  Gjukes  Grimhildr,  wäh- 
rend GHmhildr,  Krimhilt,  in  der  deutschen  sage,  auch  im 
Seyfridslied  51,  der  name  der  tochter  (libichs  ist. 

Der  name  Krimhilt,  GHmhildr  bedeutet  'die  behelmte 
heldimf  und  ist  von  and.  *crimo  oder  arima  larva.  persona, 
galea  gebildet,   welches  man   aus  crimun  scenici,  alt  11.  grima, 

grima  'maske'  schliessen  kann.1) 

Die  gattin  des  Cepheus  hie>.>  Cassiopeia.  Der  name  i>t 
Myth.  \'atic  I  7."».  1  in  der  handschrif I  casiepia,  in  .Myth.  Vatic. 
II  7."»  L.  17  \.  cassiapan  geschrieben.2)  ich  vermute,  dass  man 
im  mittelalter  Cassiepia  in  Verbindung  mit  lat.  cassis  'ein 
heim'  gesetzt  hat  und  das>  die  Germanen  daher  den  namen 
durch  Grimhild  übersetzt  haben.  In  (i>i»i/u/<l  ist  das  erste 
glied  in  betreff  der  bedeutung  das  hauptglied.  Ein  name  auf 
■hüd  wurde  nur  gewählt,  weil  -hüd  in  weibernamen  ein  ge- 
wöhnliches  hinterglied  war.  i 

Im  mittelalter  war  es  nicht  ungewöhnlich,  dass  man  fremde 
eigennamen  übersetzte,  indem  man  sich  bei  der  Übersetzung 
an  die  vermeintliche,  oft  mit  unrecht  angenommene  etymo- 
logische bedeutung  des  fremden  namens  hielt 

')  Vgl.  J. Grimm,  HythoL1  ».217  f.;  üüllenhofl,  z.s.  f.l.i.  12,299  902; 
Bweel  «Eldeel  Engl    I  29b. 

')  In  bland  schrieb  man  im  mittelaltei 
s.  ut  f. 

ii  engliacheo  und  im   18. jh.  nach  weibernamen  anf  -hüd 
appellatiTiicbfl  weibliche  peraonennamen,  all  ma&eWd  eermocinatrii  gebildet 
worden;  &  Eloge,  Nomin. stammbild.  g52. 


488  BUUur^ 

Dieses  gilt  teils  von  Ortsnamen.  So  wurde  Stettin  von  den 
Isländern  Burstaborg,  Kamin  Steinborg  genannt.  Der  fluss- 
name  Sicoris  bei  Lucan  wurde  durch  Orugga  übersetzt.  Orva- 
sund  in  Helg.  Hund.  1 24  scheint  eine  Übersetzung  von  Stralsund 
zu  sein,  u.s.w. 

Teils  gilt  es  von  Personennamen.  Der  könig  Alfred  über- 
setzte Fabricii  durch  Welondes.  Die  Isländer  übersetzten  Livius 
in  Titus  Livius  durch  den  neidischen,  Pontius  in  Pontius  Pilatus 
durch  enn  Pondverski,  Aihra,  in  einer  angelsächsischen  ge- 
schlechtsreihe  den  namen  eines  der  vorfahren  Wodens  durch 
Annan  u.s.w.1) 

Unter  den  verschiedenen  Wörtern  mit  'heim'  erwählte 
man  bei  der  Übersetzung  von  Cassiepia  grim-,  weil  man  durch 
Grimhild  einen  namen  erhielt,  welcher  mit  dem  namen  ihres 
gatten  Gebico,  und  da  dieser  mit  dem  burgundischen  könige 
desselben  namens  identificiert  war,  auch  mit  den  namen  seiner 
söhne  Gunthahari  und  Gislahari  allitteration  bildete. 

Grimhild  in  der  heldensage  ist  also  ein  name,  der  in  der 
urgermanischen  oder  der  urdeutschen  mythe  nicht  heimisch 
ist.  In  der  geschieht e  ist  derselbe  auch  nicht  heimisch.  Er 
gehört  von  anfang  an  einzig  und  allein  der  dichtung.  Der 
name  ist  im  mittelalter  in  der  westgermanischen  dichtung  als 
eine  Übersetzung  eines  namens  in  einer  antiken,  und  wie  es 
scheint  mythischen  dichtung  entstanden. 

Nach  dem  vorhergehenden  glaube  ich,  dass  die  nordische 
sagenform  das  ursprüngliche  dadurch  bewahrt  hat,  dass  sie 
Grimhildr  den  namen  der  mutter  Gimnars,  der  frau  Gjukes  sein 
lässt.  Wenn  nach  der  deutschen  sagenform  Krimhilt,  Grim- 
hild der  name  der  tochter  Gibichs,  der  frau  Siegfrieds,  der 
Schwester  Günthers  ist,  so  sehe  ich  darin  eine  änderung  des 
ursprünglichen  Verhältnisses. 

Diese  änderung  denke  ich  mir  auf  folgende  weise  ent- 
standen. In  dem  liede  von  Seyfrid  wird  die  gerettete  Jung- 
frau in  der  regel  nicht  bei  ihrem  namen  genannt.  Sie  wird 
als  künigs  tochter,  junckfraive,  maget,  meyd,  megetleyn,  iveyb 
mit  dazu  gehörigen  adjeetiven  bezeichnet.    Die  schlussstrophe, 


x)  Wegen  derartiger  Übersetzungen  vgl.  Studier  over  de  nord.  Gude. 
og  Heltesagns  Opr.  I,  register,  s.  571;  Helgedigtene,  register,  s.  349  b. 


HEIMAT  DBB  ai. in.  WELSÜNGEN-   r.  N1B.-LIEDER.  189 

worin  es  Die  drey  brüder  Krinihüdi  heisst,  ist  Dach  ßolther 
s.  x\  interpoliert  Die  jnngfran  wird  also  dut  in  vers  ;,i  bei 
ihren  namen  genannt    Zuerst  heisst  es  in  st  r.  50: 

Es  uniit  anff  difem  ftayne 
I  >ir  aller  Bchönfte  magdt,  . . . 
Sie  ii't  vnii  Christel]  lenten, 
V.\  iis  Königs  tochter  her  . . . 

I  lanach  Eolgl  in  8tr.  51 : 

Ir  vatter  der  heyfl  Gybich 
l " ii ■  1  lit/i't  bej  dem  Eteyn, 
Krimhill  heyfl  die  Kttnigin, 
Und  ii't  die  tochter  feyn. 

Ich  vermute,  dass  diese  verszeilen  in  wenig  veränderter 
form  aus  einem  uralten  gedieht e  von  Siegfried  äberfubrl  Bind 
und  dass  Krimhilt  heisst  die  Künigin  von  anfang  an  auf  die 
gemahlin  Gibichs,  nicht  auf  die  königstochter  sieh  bezog. 

Da  die  königstochter  in  dem  gediente  nicht  bei  ihren 
nanen  genannl  war.  konnte  die  zeile  leicht  als  von  der  königs- 
tochter handelnd  verstanden  werden,  and  dieses  misverständnis 
einer  verszeile,  falls  diese  zu  einem  uralten  und  weit  ver- 
breiteten  gedichte  von  Siegfried  gehörte,  kann  die  Veranlassung 
ben  halien.  dass  Grmhild,  Krimhilt  in  der  deutschen 
sagenforn  der  nane  der  tochter  wurde. 

Dazu  kam  aiier  mich  ein  nonent  I»ie  mit  der  Siegfried- 
verbundene burgundische  sage  erzählte,  dass  Atiila  i  Etzel) 
den  Untergang  Günthers  und  Beiner  brüder  verursachte.  Dann 
konnte  natürlich  der  wünsch  entstehen,  dieses  in  der  dich- 
tung  gerächl  zu  hören.  Daher  liess  man  Attila  zur  räche 
für  den  Untergang  Günthers  und  seiner  brüder  getötel  werden, 
und  daher  nachte  man  das  gernanische  weib,  das  der 
nach  Attila  getötel  hätte,  zu  der  Bchwester  Günthers.  Nun 
hiess  aiicr  dieses  weib  Uildikö,  welcher  nane  als  koseforn 
aus  Qritnhild  an  werden   konnte.     Hierin  haben   wir 

dann  einen  nitwirkenden  grund  dazu,  dass  Grinhild,  was  von 
anfang  an  der  nane  »im-  gattin  Gibichs  war,  zu  dem  namen 
Beiner  tochter  gemacht  wurde. 


490  BUGGE 

8.   Sinfjotle  und  Herkules. 

Zwischen  der  altnorwegischen  sage  von  Sinfjotle  und 
und  der  sage  von  Herkules  finden  sich  mehrere  berührungen, 
die  nach  meiner  ansieht  so  erklärt  werden  müssen,  dass  die 
antiken  auf  Herkules  bezüglichen  sagenmotive  mittelbar  oder 
unmittelbar  auf  Sinfjotle  übertragen  worden  sind. 

Zuerst  bespreche  ich  die  sage  von  der  geburt  Sinfjotles. 

Als  Sinfjotle  erzeugt  wird,  ruht  Sigmund  bei  Signy  drei 
nachte  nach  einander  (leggr  kann  hana  hjd  ser  prjdr  ncetr 
samt  Vols.  s.  cap.  7).  Herkules  wurde  in  einer  nacht,  die 
dreifache  dauer  hatte,  erzeugt.1) 

Als  Sinfjotle  erzeugt  wird,  hat  seine  mutter  die  gestalt 
eines  anderen  weibes  angenommen,  und  sein  vater  kennt  nicht 
den  wahren  Zusammenhang.  Als  Herkules  erzeugt  wird,  hat 
sein  vater  die  gestalt  eines  anderen  mannes  angenommen,  und 
seine  mutter  kennt  nicht  den  wahren  Zusammenhang. 

Sowol  von  Sinfjotle  als  von  Herkules  gilt  es,  dass  die 
mutter  die  gemahlin  seines  Stiefvaters,  nicht  seines  vaters,  ist. 
Sinfjotle  als  Herkules  wächst  in  dem  hause  seines  Stiefvaters 
empor. 

Sigmund  prüft  zuerst  zwei  söhne,  welche  Signy  dem  Siggeir 
erzeugt  hat,  ob  sie  mut  genug  haben,  um  seine  gehilf en  bei 
der  räche  zu  sein.  Die  probe  besteht  darin,  dass  eine  gift- 
schlange  in  den  mehlbeutel  {mjglbelgr)  hineingesteckt  wird,  aus 
dem  sie  mehl  nehmen,  um  brot  zu  backen.  Die  knaben  werden 
aber  erschreckt  und  wagen  es  nicht,  den  mehlbeutel  anzurühren. 
Dann  tötet  Sigmund  sie  nach  dem  rate  Signys.  Als  der  vater 
den  Sinfjotle,  welcher  aus  dem  Volsungengeschlecht  sowol  von 
väterlicher  wie  von  mütterlicher  seite  ist,  auf  dieselbe  probe 
stellt,  knetet  dieser  die  schlänge  mit  dem  mehl  zusammen  ohne 
sich  stören  zu  lassen. 

Dieser  sagenzug  steht  mit  einer  erzählung  von  Herkules 
in  Verbindung.2) 


1)  S.  u.a.  die  folgenden  stellen:  jussit  Jtqjpiter  illani  tripliccm  esse 
Myth.  Vat.  II  148  =  Schol.  ad  Stat.  Theb.  XII  301,  p.  411.  Hercules  .  . . 
trinoctio  coneeptus  Serv.  in  Verg.  Bucol.  VIII  75.  de  trinoctio  facta  una 
nocte  cum  ea  coneubuit  Serv.  in  Verg.  Aen.  VIII 103.   Apollod.  2, 48. 

2)  J.  Grimm,  D.  Myth.3  s.  345  hat  bereits  bemerkt:    'Sinfiötli  an  dem 


BBIHAT  DBB   AI. IN.   WELSUNGEN-   0.   BIB.-l  [EDEB.  491 

.Inno  erfahren  hatte,  dass  Jupiter  mit  Alkmene  den 
söhn  Berkules  bekommen  liatte,  Bchickte  sie  zwei  Bchlangen, 
welche  den  Herkules,  Indem  er  in  der  wiege  lag,  verschlingen 
solle,  [phikles,  der  Bohn  Alkmene«  mit  Amphitryon,  de!  von 
der  wiege  herab  and  erweckte  die  eitern  durch  Bein  geschrei. 
Als  sie  aufgestanden  waren,  Bähen  sie  den  Herkules  die  jchlai 
in  seinen  händen  haltend  und  sie  erwürgend.1) 

Nach  Pherekydes  (Apollodor  II 4, 8)  war  es  Amphitryon, 
welcher  die  schlangen  zu  den  knaben  schickte,  als  diese  ein 
jähr  alt  waren,  um  zu  erfahren,  welcher  von  ihnen  der  söhn 
Zeus1  und  welcher  der  seinige  sei  [phikles  entfloh,  Herkules 
aber  erwürgte  die  üere.  Daraus  sah  Amphitryon,  dass  [phikles 
söhn  war. 

mders  hebe  ich  hervor,  dass  in  der  alten  irischen  be- 
arbeitung  der  erzählung  des  Daxes  Phrygius  von  der  Zerstörung 
Trojas  von  Herkules  (z.  2037),  der  hier  söhn  Amphitryons  und 
Alki  nannl  wird,  folgendes  berichtet  wird:  'Dieses  tat  er 

als  kind.    Eines  tages  gieng  er  von  seini  e  hinaus, 

von  mutter  und  yater  fort,  allein  mit  Beinern  zwillingsbruder 
Fichlus,  welchen  Alkmene  in  derselben  geburl  geboren  hatte, 
Juno  schickte  zwei  schlangen,  um  zu  sehen,  welcher  von  den 
knahen  der  herzhaftigere  sei  und  welchen  die  eitern  am  meisten 
lichten,  damit  sie  ihm  unheil  bringen  könne.  Bei  dein  anblick 
der  schlangen  schrie  er  überlaut  und  jammerte  und  hielt  sich 
von  den  Bchlangen  weit  weg.    Als  sie  aber  zu  Herkules  kamen, 

;•  eine  Bchlange  in  jeder  band  und  tötete  sie,  indem  er 

ii  den  boden  schlug.'1) 

ol  in  der  nordischen  wie  in  der  griechisch-römischen 
tüung  wird  die  Schlange  mit  den  händen  zu  i  rückt 

In  beiden  erzahlungen  wird  der  held  im  gegensatz  zu  dem 
halbbruder,  der  erschrickt,  weil  er  ans  wenig  etiler  herknnft 
i-t.  hervorgehoben.    Der  nordischen  erzählung  tüm- 

lich,  dass  die  schlänge  in  einen  mehlbeute]  ist  und 


rag,  di  knabc 

stellen,  der  in  dei  wiege  durch  wird.1 

i  l  long  Bndel  sich  u .  a.  in  Muh.  V.u.  1  ."■  band« 

;  ;in>t.iit  /  'i;/tits  und  ;/j'lii/tus  i 

kt  Theo,  XII  801,  p.  m 


492  BUGGE 

Sinf jotle  die  schlänge  mit  seinen  händen  tot  drückt,  indem  er 
das  mehl  zu  brot  knetet.  Ich  denke  mir  diesen  zug  auf  folgende 
weise  hineingekommen.  Ursprünglich  war  nur  gesagt,  dass  der 
starke  und  herzhafte  knabe  die  schlänge  mit  seinen  händen 
tot  drückte.  Aber  ' drückte'  war  durch  einen  ausdruck  be- 
zeichnet, welcher  speciell  von  dem  mehlkneten  gebraucht  werden 
konnte.  Dieses  gab  dazu  den  anlass,  dass  das  mehl  und  der 
mehlbeutel  in  die  sage  hineinkamen.  Aber  die  sage  hat  da- 
durch verloren,  denn  es  ist  ein  geringeres  zeichen  des  mutes, 
dass  Sinf  jotle  eine  giftige  schlänge  tot  drückt,  wenn  er  diese 
nicht  sieht,  sondern  nur  merkt,  dass  sich  etwas  lebendiges  in 
dem  mehlbeutel  befindet. 

Um  die  abhärtung  Sinfjotles  zu  prüfen,  ehe  er  zu  Sig- 
mund geschickt  wird,  näht  seine  mutter  Signy,  da  der  knabe 
noch  nicht  zehn  jähre  alt  ist,  ein  kleid  an  seinen  händen  in 
haut  und  fleisch  fest.1)  Nachher  reisst  sie  das  kleid  ab,  so 
dass  die  haut  an  den  ärmeln  hängen  bleibt.  Er  machte  sich 
nichts  daraus.  Als  die  mutter  ihn  fragte,  ob  es  weh  tue,  sagte 
Sinf  jotle:  'Wenig  würde  so  etwas  einem  Vfdsung  weh  tun.' 

Die  halbbrüder  Sinfjotles  dagegen,  die  Signy  auf  dieselbe 
weise  geprüft  hatte,  hatten  zum  erbarmen  gejammert.2)  Hiermit 
vergleiche  ich  die  erzählung  von  Herkules  unmittelbar  vor 
seinem  tode.  Die  gattin  des  Herkules  gibt  ihm  aus  eifersucht 
ein  kleid,  welches  mit  gift  überschmiert  ist.  Als  er  es  an- 
gezogen hatte  und  da  es  sich  an  das  fleisch  festklebt,  reisst 
er  es  los,  so  dass  das  fleisch  daran  hängen  bleibt.3)  Die  Ver- 
hältnisse, unter  welchen  dieser  einzelne  zug  in  der  griechisch- 
römischen und  andererseits  in  der  nordischen  erzählung  vor- 
kommt, sind  ganz  verschieden.  Aber  in  dem  zug,  dass  das 
kleid,  an  das  fleisch  des  beiden  festgenäht,  losgerissen  wird, 
so  dass  das  fleisch  daran  hängen  bleibt,  ist  eine  so  specielle 
Übereinstimmung,  dass  ich  eine  historische  Verbindung  annehme. 
Ich  vermute,  dass  dieser  einzelne  zug  von  Herkules,  von  dem 
ursprünglichen  zusammenhange  desselben  losgerissen,  im  frühen 


J)  Ueber  den  ausdruck  sauma  at  hgnclum  s.  Fritzner.  Ordbog  2.  ausg. 
unter  sauma  und  Cbristiania  Videseskabsselskabs  Forbandlinger  1880,  no.  16. 

2)  VqIs.  s.  cap.  7;  Bugges  ausg.  s.  94. 

3)  rovöe  iixtLva  cmtcrna  nQoqnecpvxöxu   tw  amfiaxi,   ovvantqn&vxo  de 
al  oÜQxtq   (Apollodor.  II  7,  7).    Vgl.  Hygin.  faö.  36,   p.  37,  ed.  M.  Schmidt. 


iikimat  DEB  AI. TN.   WELSUNGEN-   r.   nm:.-ui:i>i:i:.  403 

mittelalter  in  Britannien  erzählt  worden  ist    Die  nordische 
säur  hat  den  zug,  dass  Signy  «las  kleid  bei  den  handgelenken 
Sinfjoties  an  haut  and  fleisch  festnäht,  eingeführt.    Der  anlass 
zu   dieser  Veränderung   isl   der  von   Fritzner  erläuterte,   im 
norden   gewöhnliche  gebrauch,  dass  die  guedern  gewöhnlich 
von  weibern  durch  'las  nähen  an  die  handgelenke 
wurden,   wenn  mau  sich  ein  kleid  oder  ein  hemd  angezogen 
hatte.    Wenn  man  grosse  eile  hatte,  konnte  es  geschehen, 
die  nadel   mit   dem  faden  durch  die  haut  gieng.    So  erzählt 
Samuel  Ödmann,  dass  der  spätere  probsl  Wiesel,  geboren  I 
einen  präceptor  hatte,  zu  des  chäften  es  gehörte,  jeden 

sonntag  morgen  die  handquedern  an  dem  hemde  seines  schulers 
mit  nadel  und  faden  zu  befestigen.  Aber  an  einem  sonntag- 
morgen,  da  man  es  verschlafen  hatte,  geschah  es,  weil  man 

eile   hatte.  da8S  die  nadel   mit   dem  laden  durch  die  hallt  gieng, 

ohne  dass  der  jun^e  Wiesel  es  wi  ich  merken  zu  Lassen, 

wie   weil   es  tat. 

+  SOPHUS  BUGGE. 


DIE  AUFGABEN  DER  NHD.  WORTSTELLUNGS- 
LEHRE. 0 

Die  nhd.  wortstellungslehre  sucht  eine  s}7ntaktiscli  ge- 
gliederte einheit  in  ihre  teile  zu  zerlegen.  Dann  bestimmt 
sie  die  form  und  die  function  dieser  teile,  soweit  beide  in 
betracht  kommen. 

Hierauf  stellt  sie  die  gesetze  fest,  nach  denen  die  teile 
in  der  syntaktischen  einheit  angeordnet  erscheinen.  Es  ist 
in  der  darstellung  hervorzuheben,  dass  diese  an  Ordnung  aufs 
engste  mit  der  function,  zum  teil  auch  mit  der  form  der 
teile  zusammenhängt,  z.  b.  dass  die  nachstellung  gewisser 
nebensätze,  wie  der  consecutivsätze,  offenbar  in  beziehung  zu 
ihrer  bedeutung  steht,  während  es  durch  die  form  des 
hauptsatzes,  des  nebensatzes  und  der  bestimmungen  mit  um  . . . 
zu  und  ohne . . .  zu  bedingt  ist,  wenn  sie  nicht  wie  die  Satz- 
teile mit  gleicher  function,  aber  anderer  form  im  innern  des 
Satzgefüges,  sondern  erst  an  dessen  schluss  stehen. 

Dann  ist  zu  untersuchen,  ob  und  in  welcher  weise  unter- 
schieden in  der  anordnung  der  teile  unterschiede  in  den  übrigen 
Seiten  der  form  und  in  der  function  der  gesammten  gegliederten 
einheit  entsprechen.  So  sind  z.  b.  zu  behandeln  die  eigentüm- 
lichen melodien  der  sätze,  die  mit  dem  verbum  finitum  beginnen, 


J)  Aus  den  folgenden  abhandlungen  und  werken  sind  die  angeführten 
stellen  nur  mit  dem  namen  des  Verfassers  und  der  Seitenzahl  bezeichnet: 
Braune,  Zur  lehre  von  der  deutschen  Wortstellung.  Forschungen  z.  deutschen 
Philologie  s.  34  ff.  —  Erdmann,  Grundzüge  der  deutschen  syntax.  I.  — 
Ries,  Die  Wortstellung  im  Beowulf.  —  Sütterlin,  Die  deutsche  spräche 
der  gegenwart.  2.  aufl.  —  Barth,  Zur  psychologie  der  gebundenen  und 
der  freien  Wortstellung.  Philosophische  Studien  19,  22  ff.  —  Wundt,  Völker- 
psychologie I.  2.  teil,  2.  aufl. 

Sperrungen  in  diesen  stellen  stammen  nicht  von  mir. 


DIE   AUFGABEN    DEB    KBD.    W01  LEHRE.  195 

die  Verzögerung  des  tempos  ond  die  pause  iror  einem  satzteil, 
der  ongewOhnlicherweise  oachgestellt  wird,  sowie  die  Function, 
die  an  einen  satz  mit  einer  derartigen  anordnung  seiner  teile 
geknüpfl  ist 

Der  ein«'   hanptteil   der   wortstellungslehre    umi 
gebiel  des  satzes;  er  zerfällt  in  zwei  teile. 

Der  eine  teil   befassl   Bich  mit  dein  Batz  ond  den  ober- 
einheiten  als  teilen  des  Batz  ederter  einheit.    Die 

obereinheiten  Bind  der  form  nach  B-e  (hauptsätze),  N-e(ne1 
Bätze),  Batz&hnliche  grnppen,  d.h.  inflnitive  mit  tm}  um...eu, 
ohne.,  .au  mitsammt  ihren  bestünmnn  tippen,  «1.  li.  Batz- 

teile,  die  Belbsl  Byntaktisch  gi  sind, 

n i i*i  Wörter,  oder  die  obereinheit  findet  gar  keinen  ausdruck. 

Ein  satz  muss  demnach   im  Binne  der  wortst  dlung 
wenigstens  zwei  obereinheiten  umfassen        selbstverständlich 
ist  eine  bestimmte  bedeutungsbeziehung  der  beiden  oberein]  i 
rderlich,  /..  b.  alles  wol. 

Von  den  äusserlich  als  eingliedrig  erscheinende] 
d.h.  von  den  Batzen,  von  deren  inhalt  nur  ein  teil  in  form 
einer  gruppe  oder  eines  wortes  in  die  erscheinnng  tritt  — 

um  d<  -  H-es  ond  $•      ,  unten  &  196   -  Bind  im  sinne  der 
Wortstellung  min  I  diejenigen  als  zweigliedrig  zu  fa 

bei  deren  formung  dem  sprechenden  die  beiden  bestandteile 

satzes  uicht  zusammenflelen,  namentlich  die  nach 

analogieand  os,d.h.  verhältnismässig  zwanglos 

aui  eine  zweiheil  von  obereinheiten  gebracht  werden  können, 
/.  b.  Wet  (du)  nach  h  n  n 

Betrachtet   man  von  den  einglii  en  diejenigen, 

die  noch  ohne  ••  aui  eine  zweiheit  von  obereinh< 

zn  bringen  sind,  nur  aui  den  in  d  teil 

hin.  so  sind  sie,  falls  sie  grnppen  sind,  sofort  in  onterein- 

D   zu   /.< •: 

l  ».■!•  zweite  teil  I  sich  mit  der  obereinheit . 

gliedert  ist  and  den  Untereinheiten  (ersten  gn 
ihren  teilen,  dann  wenn  oötig  mit  den  Untereinheiten  zwi 

•  ilen  der  Untereinheit   ei  id<  -  und 

hi>  keine  weitere  möglich  ist 

')  Zu  solchen  eingliedrig 

und  mtcrj  '   Juso  nicht  satikmi  habcu. 


406  BLÜMEL 

Alle  wenigstens  zweigliedrigen  sätze,  H-e  wie  N-e,  auch 
wenn  sie  teile  eines  grösseren  Satzgefüges  sind,  werden,  gleich- 
gültig ob  von  diesem  Satzgefüge  ausser  dem  teilsatze  noch  etwas 
in  die  erscheinung  tritt  oder  nicht,  unter  allen  umständen  so- 
fort in  obereinheiten  zerlegt,  diese  wenn  nötig  in  Untereinheiten 
und  so  fort.  Will  man  dabei  die  abhängigkeit  des  satzes  her- 
vorheben, so  kann  man  von  obereinheiten  und  Untereinheiten 
u.s.w.  zweiter,  dritter  Ordnung  sprechen,  wenn  der  satz  der 
function  nach  einer  obereinheit  oder  Untereinheit  gleichsteht. 

Ueber  die  Zerlegung  namentlich  umfänglicherer  Satzteile, 
deren  kern  inflnitive  mit  zu,  um  . . .  zu,  ohne  ...  m  bilden, 
s.  s.  515. 

Den  N  fasse  ich  aus  rein  praktischen  gründen  ganz  äusser- 
lich  nach  der  form  und  bezeichne  als  N-e  relativ-  und  abhängige 
fragesätze  und  sätze,  die  von  unterordnenden  conjunctionen 
eingeleitet  sind. 

Von  der  wortstellungslehre  ist  nicht  zu  trennen  die  be- 
trachtung  der  reihenfolge  'beigeordneter'  inhalte.  Diese  be- 
trachtung  befasst  sich  ebenfalls  mit  Zerlegung  und  anordnung, 
mit  form  und  function. 

Durch  solche  beiordnung  können  Untereinheiten  entstehen: 
(mit)  dir  und  deinem  bruder,  obereinheiten:  du  und  dein  bruder, 
satzstücke:  (er)  sitzt  im  garten  und  liest  die  zeitung,  aber  auch 
sätze  können  so  verbunden  werden:  er  lacht  und  sie  weint. 

Damit  sind  wir  auf  den  zweiten  hauptteil  der  wort- 
stellungslehre gekommen.  Dieser  beschäftigt  sich  (in  ent- 
sprechender weise  wie  der  andere)  mit  gegliederten  einheiten, 
deren  unterste  teile  die  sätze  und  die  einzelnen  obereinheiten 
mit  satz  wert  sind  (ich  habe  hier  nicht  Wundts  'satzäquivalente' 
im  äuge). 

Ich  kann  hier  auf  dieses  grosse  gebiet  nicht  näher  ein- 
gehen.   Nur  auf  einige  punkte  möchte  ich  hinweisen: 

Wir  könnten  die  Stellung  bestimmter  Wörter  gar  nicht 
oder  nur  gewaltsam  in  die  wortstellungslehre  einreihen,  wenn 
wir  uns  nur  an  die  sätze  hielten. 

Ein  aber,  ein  nämlich  kann  nach  der  ersten  (oder  einer 
hintern)  obereinheit  erster  oder  zweiter  Ordnung  stehen,  auch 
nach  einer  Untereinheit  vor  der  folgenden  Untereinheit,  die  die 
vorausgehende  nachträglich  näher  bestimmt,  wenn  beide  unter- 


IHK   AUFGABEN    DBB   Mii>.   W0BT8TELLUNGSLEHBE,         497 

einheiten  zusammen  die  erste  obereinheit  ergeben.  VgL  Hans 
aber  war  nicht  m  hause.  Wenn  nämlich  //(ins  nicht  §u  hause 
ist . . .  Hans  aber,  der  gute  Jcerl,  versieh  es  ihm.  Abi  >■  i-t  wie 
nämlich  nur  das  bindeglied  zwischen  grösseren  Inhalten,  wobei 
auf  der  einen  wie  anl  der  andern  seite  ein  Batz  oder  "'ine  — 
vielleicht  reichgegliederte  -  -  mehrheil  7on  Batzen  Btehen  kann. 

Function  Dach  gehören  aber  und  nämlich  weder  dem  einen 
noch  dem  andern  inhali  an.  Ä.ber  sie  Btehen  in  den  angeführten 
beispielen  im  Batze,  müssen  also  der  form  nach  als  ein  teil 
von  ihm  behandelt  werden. 

Ferner  kann  eine  Behr  umfängliche  und  sehr  reich  ge- 
gliederte inhaltsmasse,  z.b.  eine  lange  erzählong,  etwa  als 
accusativobject  obereinheil  oder  als  apposition  zn  g>  xhichte 
antereinheit  Bein  /..  b.  in  einem  Batze:  Er  erzählte  nun  (/  tyende 

chte):...  Diese  obereinheit,  diese  antereinheit  mnss  ich 
doch  scliritt  für  Bchritt   gliedern,  die  Ordnung  dieser  glii 

iten,  bis  ich  -  vielleicht  erst  nach  mehreren  zerlegnngs- 
acten  —  am  Batz  angelangt  bin,  den  ich  aber,  da  ein  satz 
fach  nicht  etwa  bloss  einem  andern,  sondern  auch  einer 
mehrheit  yon  Batzen  gegenübertritt,  bald  bei  einem  b*üh< 
bald  bei  einem  Bp&tern  zerlegungsact  antreffe.  Auch  in  diesem 
falle  könnte  ich  nicht  einmal  einen  satz  im  sinne  der  wort- 
Btellung  recht  auffassen,  wenn  ich  die  betrachtung  grösserer 

•:i.  welche  B&tze  enthalten,  von  der  wortstellungslehre 
ausschliessen  wollte;  denn  diese  grösseren  massen  sind  ja  hier 
ein  teil  eines  satzea 

Bndlich  sind  uns  die  B&tze  durchaus  nicht  immer  ohne 
weite!-.-  gegeben. 

Die  höchste  gegliederte  einheit,  ?on  der  die  Sprachwissen- 
schaft auszugehen  hat,  ist  die  zusammenhängende  menschliche 
red-  überhaupt  —  auch  in  einem  gespräch;  satz,  gruppe,  u"rt 
sind  nur  dann  die  höchste  gegliederte  (oder,  wenigstens  an 
lieh,  ongi  in/.en  inhalt  d<  r 

jeweiligen   rede   darstellen.     Das    gilt    nicht  für   den 

hörenden  (oder  lesenden),  Bondern  auch  für  den  sprechenden. 
Sobald  die  rede  mehr  als  einen  Batz  umfasst,  müF 
—  vielleicht   durch  mehrere  zerlegui  jedenfalls   aber 

durch  Zerlegung  gewonnen  werden.  gar 

nicht  BO  einfach,  all  •  heim.    Sie  wird  QUg 


498  BLÜMEL 

unrichtig  vollzogen,  auch  wenn  die  anwendung  von  willkür 
nicht  notwendig  ist  (die  frage  nach  dem  umfang  der  sätze  ist 
aber  gerade  für  die  bestimmung  und  abgrenzung  der  wort- 
stellungstypen  wichtig).  —  Es  mag  hier  erwähnt  werden,  dass 
auch  eine  mehrheit  von  beigeordneten  H-en  ausdruck  für  eine 
gesammtvorstellung  sein  kann:  er  lacht,  sie  iveint,  die  erst 
zerlegt  worden  ist,  während  eine  solche  Zerlegung  auch  beim 
einfachen  satz  durchaus  nicht  immer  vorausgegangen  sein  muss. 

Schon  die  tatsache,  dass  wir  in  der  wissenschaftlichen 
betrachtung  menschlicher  rede  die  sätze  ebenso  durch  Zerlegung 
gewinnen  müssen,  wie  die  obereinheiten  und  Untereinheiten, 
lässt  vermuten,  dass  es  sich  auch  um  die  anordnung  der  sätze, 
nicht  bloss  um  die  anordnung  der  obereinheiten  und  Unter- 
einheiten handeln  wird.  In  der  tat  ist  z.  b.  in  bestimmten 
Verhältnissen  eine  anordnung  I  II  III  durch  eine  andere,  etwa 
II  III  I,  zu  ersetzen,  unter  andern  umständen  nicht. 

Es  muss  erst  untersucht  werden,  wie  weit  bei  der  anord- 
nung grösserer  massen  die  grammatischen  gesetze  gehen.  Eines 
dieser  gesetze  ist  jedenfalls  in  hohem  grade  wirksam:  es  ist 
das  in  gewählterer  rede  geltende,  dass  die  zeitliche  reihenfolge 
der  ereignisse  in  der  rede  beachtet  werden  muss,  wenn  das 
einfache  Präteritum  beibehalten  werden  und  nicht  im  gegebenen 
fall  durch  das  plusquamperfect  ersetzt  werden  soll.  Dieses 
gesetz  gilt  auch  für  eine  erzählung,  und  hier  muss  doch  dem 
erzähler  auch  eine  gliederung  nach  'abschnitten'  vorschweben, 
nicht  bloss  nach  einzelnen  ereignissen. 

Auch  hier  zeigt  sich  also  ein  Zusammenhang  der  beiden 
hauptteile,  indem  der  unterste  teil  des  einen  (den  wir  besser 
den  ersten  zu  nennen  nahen),  nämlich  der  satz,  die  höchste 
gegliederte  einheit  des  andern  ist. 

Für  das  ganze  passt  der  name  'wortstellungslehre'  freilich 
nicht;  er  passt  aber  für  keinen  hauptteil  und  für  keinen  teil 
des  hier  angegebenen  ganzen,  während  allen  diesen  teilen  die 
betrachtung  einer  reihenfolge  und  der  damit  verbundenen  bedeu- 
tung  gemeinsam  ist  (zum  namen  wortstellungslehre  vgl.  s.  508  ff.). 

Psychologische  und  geschichtliche  behandlung. 
Hervorragend  wichtig  ist  gerade  in  der  wortstellungslehre 
die  berücksichtigung  der  Vorgänge  in  der  seele 


DIE    \i  I  G  IBRN    DBB    N'lll».    W  EISE. 

l)  des  für  Bich  in  worten  denkenden  oder  für  rieh  redenden 
oder  virorte  oiederschreibenden; 

lesjenigen,  der  an  einem  gespräch  bald  als  hörender, 
bald  als  sprechender  beteiligl 

Auch  die  gebärden  sind  zn  beachten. 

Die  hier  in  betrachl  kommenden  Seelenvorgänge  können 
am  besten  durch  Selbstbeobachtung  untersucht  werden,  mtl 
aber  auch  durch  beobachtung  anderer  personen  and  aus  auf- 
zeichnungen  erschlossen  werden.  Hierbei  Bind  namentlich  die 
grammatisch  'falsch'  gebauten  Sätze  und  ihr  Verhältnis  zu  den 
'richtig'  gebauten  wichtig. 

Brei  durch  psychologische  and  geschichtliche  behandlang 
einer  sprachlichen  erscheinung  wird  die  nötige  (und  mögliche) 
vollständigkeil    erzielt     Psychologische    b  ind   bei   der 

geschichtlichen  entwicklung  massgebend,  auch  die  psychologi- 
schen Verhältnisse  verschieben  Bich  and  sinddahei  tand 
Bprachgeschichtlicher  Forschung. 

Anderseits  isl  die  nur  beschreibende  psychologische  dar- 
stellung  einer  sprachlichen  erscheinunj  darauf  verzichtet 

werden  des  geschilderten  zustande  darzustellen,  gezwungen 
\  ielea  als  nur  gegelx  n  hinzunehmen  ohne  es  ei  klären  zn  können, 
weil  es  geschichtlich  bedingt  ist 

Dnd  doch  h  engewissen  nicht  zu  unterschätzenden 

wert,  gerade  die  Verhältnisse  der  gegenwärtigen  muttersprache 
möglichsl  von  beschreibenden  Standpunkt  allein  aus  zu  be- 
handeln, allerdings  In  hinblick  auf  eine  nöti  rang 
durch  die  geschichtliche  darstellung. 

Eine  psychologische  darstellung  sprachlicher  er- 
Bcheinungen  kann  überhaupt  nur  an  der  gesprochenen 
Bprache  einsetzen.  Hier  nur  können  die  in  betracht  kom- 
menden I  Uständig  beobachtet,  hier  nur  Kann  eine  'voll- 

ligkeit '  d  i  ials  erl  iche 

hat   dann  anter  den  henen  sprachen   den  gewall 

wir  in  ihr  >;  bgefUhl1  D,  BO 

bleibt   .  pieh    zn 

warten.   — 

[ch  ch  mit  rücksichl   namentlich  aut  zeit 

und  räum  auf  eil  »entlichen 

:htet. 


500  BLÜMEL 

Wortstellung*  und  wortfrage. 

Fördernd  ist  in  der  wortstellungslehre  wie  auch  sonst  in 
der  syntax  das  heranziehen  von  syntaktischen  erscheinungen, 
die  mit  der  eben  behandelten  frage  in  Zusammenhang  stehen, 
hier  das  heranziehen  von  fragesätzen,  besonders  von  wortfragen. 

So  treten  die  obereinheiten,  allerdings  nur  in  bestimmtem 
umfang,  deutlich  vor  äugen  in  der  antwort  auf  eine  'wort- 
frage', namentlich  dann,  wenn  diese  antwort  nur  den  erfragten 
inhalt  zum  ausdruck  bringt. 

Wer?  und  warum?  sind  je  eine  deutliche  einheit  in  den 
wortfragen  wer  kommt  dran?  und  warum  kannst  du  nicht  mit 
uns  spazieren  gehen?,  sie  kommen  ja  in  wenig  höflicher  rede 
auch  allein  vor,  wenn  eine  beziehung  dieser  frageworter  auf 
einen  schon  ausgesprochenen  satz  vorliegt  (T  trennt  die  an- 
teile  der  sprechenden  an  der  rede):  ich  kann  nicht  mit  euch 
spazieren  gehen  T  warum?  Wer  und  warum  sind  auch  im 
sinne  der  Wortstellung  je  eine  einheit  (obereinheit),  wie  sich 
zeigen  wird.  Wie  nun  iver,  warum,  die  zeichen  für  einen  un- 
bekannten teilinhalt  eines  in  allen  übrigen  teilen  und  auch  in 
den  beziehungen  sämmtlicher  teile  untereinander  bekannten 
satzes,  eine  einheit  im  satze  bilden,  so  ist  auch  der  die  ant- 
wort bildende  teilinhalt,  dessen  zeichen  iver  oder  warum  ist, 
der  function  nach  eine  einheit;  denn  er  tritt  für  das  fragewort 
in  derselben  function  ein  (als  subject  bez.  als  bestimmung  des 
grundes).  Gerade  die  function  ist  aber  in  der  Wortstellung 
sehr  wichtig.  Somit  wird  hier  die  einheit  durch  das  subject, 
durch  die  bestimmung  des  grundes  gebildet,  in  welcher  form 
sie  gegeben  sein  mögen,  nicht  bloss  durch  ein  wort  du,  darum, 
oder  durch  eine  gruppe  sie  selbst,  wegen  meiner  vielen  arbeit, 
oder  durch  einen  infinitiv  mit  (um . . . )  zu,  jenachdem  mit  be- 
stimm ungen:  um  mich  bei  diesem  nassen  weiter  nicht  zu  erkälten, 
sondern  auch  durch  einen  N  wer  fragt  =  derjenige,  der  fragt, 
weil  ich  zu  müde  bin  oder  durch  einen  H  ich  bin  zu  müde. 
Ein  wort  oder  eine  gruppe  und  ein  N  oder  ein  H  können 
zusammentreten:  derjenige  der  fragt.  Aus  dem  gründe  ich  bin 
so  müde.  Auch  zwei  oder  mehrere  sätze  können  zu  einer  ein- 
heit zusammentreten:  H  und  H:  ich  bin  so  müde  und  zeit  habe 
ich  auch  keine  dazu.    N  und  N:  zveil  ich  zu  müde  bin  und  keine 


DIE    M  DEB   Nim.   W0RT8TELLUHG8L]  BSE.        501 

seit  dam  habe.  X  und  E:  weü  ich  ttu  müde  bin  und  eeit  habe 
ich  auch  Leim-  daMu  (Übergang  von  II  in  X  findet  rieh  sebi 
Belten;  vgl  Behaghel,  IT.  I  i.  I 

Es  gibl  Eragewortgruppen,  welche  mit  einfachen  h 
Wörtern  mit  annähernd  gleicher  Eunction  vertauscht  werden 
können,  /.  b.  aus  welchem  gründe?  warum?  An  wen?  in 
an  wen  schreibst  du?  —■  wem?  Auch  sie  Bind  demnach  im 
sinne  der  wortstellang  als  einheiten  zn  betrachten.  Wenn  in 
andern  fällen  die  vertauschung  eines  präpositionalausdrucks 
mit  einem  einfachen  wort  nicht  möglich  ist  (die  einsetzung 
z.b.  von  wofür?  geht  nicht  immer  an),  so  ergibl  Bich  die  ein- 
heit  des  ausdrucks  daraus,  dass  er  mit  einem  andern,  durch 
eine  einheit  ersetzbaren  ausdruck  Eunctionsverwanl  ist 

lie  prftposition  vom  Substantiv  oder  vom  pron  men  nicht 
loszureissen.  Entsprechendes  gill  vom  Eragepronomen,  das  als 
attribut  steht;  es  Bteht  in  funetionsbeziehung  zu  andern  attri- 
buten,  und  diese  attribute  und  ihre  Bubstantive  können  /.  t. 
durch  Zusammensetzungen  ersetzl  werden. 

Es  Bind  sich  also  im  sinne  der  Wortstellung  wie  sich 
auch  Bpäter  zeigen  wird  in  der  Eunction  wesentlich  gleich- 
wertigalle die  verschiedenen  formen,  in  denen  eine  obereinheit 
auftreten  kann: 

I.  1 1  als  einfaches  wort  oder  als  gruppe,  als  ein  ausdruck, 
der  gebildet  ist  durch  einen  infinitiv  mit  su,  um...su,  ohm  ... 
:u  mitsammt  Beinen  bestimmungen,  nicht  bestimmt  oder  be- 
stimmt  durch  einen  X  oder  H. 

2)  als  X  oder  S; 

II.  durch  eine  mehrheit  von  beigeordneten  solchen  ein- 
heiten, wobei  diese  einheiten  in  der  form  nicht  gleichartig  zu 
Bein  brauchen, 

alle  diese  einheiten  oder  mehrheiten  von  einheiten  nur  in 
ihrer  funetion  als  Batzteile. 

I liese  i.n sache  ist  gerade  f&r  die  nung 

im  rinne  rtstellung  wichtig;   erst  die  erkenntn 

h<-  ermöglicht   die  ricl  l  jenzung   I  Dach 

.   hin.  .1.  h.  dl  irr  mehr 

als  ein  Bl 

\\  ir  bekommen  den  ein«  wenn  wir  di 

kannten  teile  der  wortfra  ..  worden  sind 


502  BLÜMEL 

—  mit  den  nötigen  änderungen,  z.  b.  personenveränderungen  du 
>  ich  —  oder  variiert  nach  dem  antwortkern  widerholen,  der 
dem  fragewort  oder  seiner  gruppe  entspricht.  Dieser  ganze 
satz  heisst:  darum  kann  ich  nicht  mit  euch  spazieren  gehen, 

wegen  meiner  vielen  arbeit  kann  ich  nicht  mit  euch  spazieren 
gelten, 

(nur)  um  mich  bei  dem  nassen  weiter  nicht  zu  erkälten  gehe 
ich  nicht  mit  euch  spazieren, 

iveil  ich  so  müde  bin  kann  ich  nicht  mit  euch  spazieren  gehen, 

ich  bin  so  müde   kann  ich  nicht  mit  euch  spazieren  gehen. 

Letztere  satzform  ist  durchaus  nicht  ungewöhnlich. 

Die  genannten  Satzteile,  welche  als  antwort  dem  fragewort 
oder  seiner  gruppe  entsprechen,  treten  auch  in  der  'vollständigen' 
antwort,  in  der  die  bekannten  Satzteile  (nach  ihnen)  widerholt 
werden,  stark  als  einheit  hervor,  auch  gegenüber  dem  auf  sie 
folgenden  satzstück.  Denn  abgesehen  davon,  dass  sie  einer 
andern,  oft  durch  ein  wort  gegebenen  einheit,  der  des  frage- 
wortes,  entsprechen,  sind  s  i  e  das  neue,  auf  das  der  ganze  vor- 
hergehende satz  angelegt  war,  sie  sind  das  psychologische 
prädicat  (P),  daher  sind  sie,  d.h.  ihre  ' schwerste'  silbe,  stark 
betont;  sie  sind  oft  durch  augenblickliche  tempozögerung  oder 
durch  eine  pause  vom  folgenden  abgehoben. 

Dass  diese  Satzteile  in  ihrem  satze  als  obereinheit  aufzu- 
fassen sind,  wird  durch  folgende  erwägung  erwiesen: 

Das  subjeet  mit  seinen  bestimmungen  (ebenso  andere  Satz- 
teile, das  verbum  finitum  ausgenommen,  mit  ihren  bestimmungen) 
bildet  im  sinne  der  Wortstellung  eine  feste  einheit,  d.  h.  diese 
einheit  zerreisst  bei  anderer  Stellung  nicht;  mit  dem  nach- 
folgenden verbum  finitnm  bilden  subjeet  und  seine  bestimmungen 
keine  einheit,  denn  besonders  im  N  werden  sie,  gerade  das 
subjeet  und  seine  bestimmungen,  als  unteilbares  ganzes  vom 
verbum  finitum  getrennt  (falls  ein  Satzteil  vorhanden  ist,  durch 
den  sie  getrennt  werden  können). 

Daraus  ergeben  sich  folgende  grundsätze: 

1)  Die  einheit  eines  umfänglichen  ausdrucks  im  sinne  der 
Wortstellung  zeigt  sich  darin,  dass  dieser  bei  allen  Umstellungen 
unzerrissen  bleibt,  z.  b.  Substantiv  mit  attribut.  Das  gilt  nicht 
bloss  für  die  obereinheit  im  satz,  sondern  auch  für  die  Unter- 
einheit in  der  obereinheit,  z.  b.  für  des  königs  in  der  söhn  des 


Dil   AUFGABEN    DBB   BHD.   W0BT8TBLLUNG8LEHBB. 

höniga  and  in  des  Jcönigs  söhn  Die  einheitlichkeii  zeigt  Bich 
bei  der  obereinheil  auch  an  Batzanfang,  wenn  auf  die  ganze 
am  Batzbeginn  Btehende  maase  Bofort  «las  verbum  Unit  um  I 

(Doch  kann  die  einheil  auch  eine  Lockere,  Bie  muss  nicht 
immer  eine  Feste  sein.    A.ber  auch  die  lockere  einheil  ist  immer 
als  einheil  zu  erkennen,  auch  wenn  die  teile  gelegentlich 
trennt  Bind.) 

Das  gesetz:   in  H-en  Btehl  unr  eine  obereinheil  vor  dem 
verbum  finitum,  wenn  dieses  nicht  selbst   den  Batz  beginnt, 
nur  scheinbare  ausnahmen 

2)  Zwei  Satzteile,  von  denen  jeder  in  Beiner  Function  ein- 
heitlich ist,  und  die  Debeneinander  stehen,  bilden  im  sinn« 
Wortstellung  keine  einheit,  wenn  sie  bei  änderung  der  Stellung 
oder  durch   das  hinzutreten    eines   neuen  Batzteils  getrennt 
werden. 

Für  die  obereinheiten  gill  dieser  Batz  immer,  für  die  Unter- 
einheiten ial  es  z.  t.  andera    Man  wird  z.  b.  kaum  anders  an- 
nehmen dürfen,  als  dass  <  In  w  ■mit  zu  gliedern   ist 
u  rer  mann ').   vgl.   • 
aber  nicht   ein                     \nn,  d.h.  ein  bleibt  trotz 

r  örtlichen  trennung  von  mann  mit  diesem  eng  verbunden, 
genauere  Feststellung  der  beziehungen  zwisch 
worl  oderfra  p*uppe  and  obereinheil  imsatz  wenigstens 

.'im'  den  umfang  dieser  beziehungen  hin  ist  für  die  wortstellungs- 
lehre  ebenfalls  von  bedeutui 

Das  attributive  adjectiv  ist  nnfahig  eine  obereinheit  zu 
bilden  (wenn  das  adjectii  ntivisch  verwendet  wird,  ist 

i   nicht   mehr  attributiv).     Sätze  wie  bl  mir 

I  nicht  vollkommen  verständlich,  soll 
nnbekan  h  z.  b.  um  kleider  handelt;  1 

i  v.  irkl  Iwie  kU  id\  t  nach   o  :•  i 

aus  der  läge  zu  entnehmt  wol  Warn  wi(    i         sind  in 

beziehung  auf  den   inhalt   /. 

wmu  mit 
dick  emeint  sind.    Hier  liegt  in  beiden  Sätzen  (iabUme 

und  inbar  ein«  oheit,  in  wirklichkeil  eine 

I'  li.   nicht    grammati 

omni  iu  der  schrifU]  in  nicht 


504  BLÜMEL 

Untereinheit  vor.     Fragewort   und   antwortkern   (blaue)   ent- 
sprechen sich  wider  in  der  function. 

Das  wird  offenbar  für  alle  Untereinheiten  gelten,  nach 
denen  gefragt  werden  kann.  Keine  ab  weichung  ist  es,  wenn 
auf  eine  frage  welcher  ivar  es?  (iv  elcher  auf  ein  vorausgegangenes 
haiser  Karl  bezogen)  die  antwort  erfolgt:  Karl  der  fünfte]  denn 
hier  wird  nicht  mit  der  entsprechenden  Untereinheit  geantwortet, 
sondern  mit  der  ganzen  obereinheit.  Entsprechendes  gilt,  wenn 
umgekehrt  etwa  auf  eine  obereinheit  welches  haus  . . .  ?  nur  mit 
der  dem  welches  entsprechenden  Untereinheit  geantwortet  wird: 
das  dritte  von  rechts  mit  dem  hohen  giebel.  Es  ist  auch  keine 
ausnähme,  wenn  auf  ein  attributives  ivelcher  in  zo  elcher  herr  ...? 
ein  H  oder  mehrere  als  antwort  folgen:  sie  haben  ihn  gestern 
gesehen,  er  ritt  auf  einem  rappen.  Denn  sobald  ich  die  antwort 
ganz  oder  teilweise  'ergänze',  tritt  der  attributive  Charakter 
gewöhnlich  deutlich  hervor:  (es  war)  der  herr,  den  sie  gestern 
gesehen  haben,  der  auf  einem  rappen  ritt  (oder:  er  ritt  auf 
einem  rappen). 

Ein  aus  welchem  gründe?  ist  als  ganzes  zu  betrachten; 
hier  erfolgt  die  antwort  (gewöhnlich)  nicht  auf  welchem  allein. 

Auch  die  präposition  hat  in  der  gruppe  des  frageworts 
und  in  der  antwortsgruppe  die  gleiche  function,  die  der  Unter- 
einheit; die  präposition  wird  in  der  antwortsgruppe  wol  immer 
widerholt.  Doch  ist  zu  beachten,  dass  sie  an  beiden  stellen 
oder  an  einer  stelle  verschmolzen  werden  kann  (wofür?  dafür). 

Der  artikel  tritt  wol  in  der  antwortsgruppe,  aber  wahr- 
scheinlich nicht  in  der  fragewortsgruppe  auf.  Was  für  ein? 
und  ivelch  ein?  (wenn  letzteres  auch  in  fragesätzen  vorkommt) 
haben  als  Zusammensetzungen  zu  gelten,  wenn  auch  was  für 
ein  getrennt  werden  kann  (was  war  das  für  ein  lärm  ?).  Dass 
der  artikel  in  der  fragewortsgruppe  nicht  vorkommt,  das  ist 
begründet  nicht  bloss  in  der  altertümlichkeit  des  frageprono- 
mens  (man  denke  auch  an  die  zweiformigkeit  iver?  —  was? 
ohne  geschlechtsunterschied,  an  das  fehlen  des  plurals,  sowie 
an  das  fehlen  des  artikels  auch  bei  dieser,  mein  u.s.w.),  son- 
dern auch  darin,  dass  selbst  der  'unbestimmte'  artikel  dem 
fragewort  eine  gewisse  bestimmtheit  verleihen  würde,  die  mit 
der  Unklarheit  unvereinbar  ist,  in  welcher  sich  der  fragende 
gerade  über  den  fraglichen  inhalt  befindet. 


DIB   AUFGABEN    DBB    Nlll».   W0BT8TBLLUN0BLBHBB. 

Präposition  und  artikel,  umso  and  desto  wie  je  vor  com- 
parativen  haben  das  gemeinsame,  dass  nach  ihnen  in  ihrer 
ähnlichen  Function  nicht  gefragt  werden  kann. 

I >ic  wortfrage  nimmt  ihr  anbekanntes  glied  nie  ausser- 
halb des  Batzes  ('ausserhalb'  im  sinne  der  Wortstellung). 

Es  wird  nicht  nach  VOCativen  gefragt,  auch  nicht  nach 
interjeetionen,  auch  nicht   nach  ja  oder  lie  antworten 

auf  satzfragen,  aber  mich  oft  interjeetionen  sind;  dann  auch 
nicht  nach  beiordnenden  conjunetionen  (und,  "i></\  oder).  Das 
Eragewort  könnte  ja  dem  Batze  nicht  angehören,  wenn  der 
inhalt,  dessen  /eichen  es  ist,  ausserhalb  d<  -  stünde. 

Somit  aberschreitet  die  wortfrage  das  satzgebiet  der 
Wortstellung  nicht  —  wenn  Satzteile,  nach  denen  gefragt 
werden  kann,  etwa  nach  dem  satzschlusse  nachgetragen  werden 
können,  so  stehen  diese  doch  nicht  ausserhalb  des  Batzes  im 
sinne  ihrer  Function,  auch  nicht  im  sinne  der  Wortstellung'. 

'i   isl   das  gebiet   der  wortfrage  enger  als  das 
Wortstellung.     Ks   kann   nicht    nach   jedem   satzteil    gel 
werden,   nämlich   nicht    nach   denjenigen,    welche    der    Ver- 
knüpfung dienen,  also  nicht  nach  Wörtern  oder  deren  gruppen, 
welche  einen  N  einleiten,  unterordnenden  conjunetionen,  rela- 
tiven  und   deren  gruppen   «die  Cragepronomina  scheiden  mit 
ihren  gruppen  sowol  in  abhangigen  wie  in  unabhängigen  b 
B&tzen   von  Belbst   aus).    Dann  gehören  hierher  die  den  bei- 
ordnenden conjunetionen  verwanten  o  h\  gewisse  verba 
wegen  ihrer  bedeutung  (hilfsverba). 

Nach   einem   verbum  tinitnm  muss  mit   icas  tut 
geschieht  ihm?  u.  •  fragt   werden  (wenn  nach  ihn 

werden  kann).     Der  grund  hiervon  liegt  darin,  da»  dem  t 

omen  eine  verbalfonn  fehlt  Dabei  ist  aber  zweierlei  nicht 
ausser  achl  zu  lassen: 

li  in  der  antwort  auf  ein  was  tut  er?  u.a.  bildet  der 
verbalinhalt   gewöhnlich  nur  in  der  tonn  des  Infinitivs 

perfect  den  anfang,  die  verbalfonn  rbum 

tinitumi  gewöhnlich  nur  im  imperativ  im  weiteren  sinn.  /..  1>. 
gehen  wir!  als  antwort  auf  -  m?    In  der  • 

iIbo  die  antwort  darin  das  betreffende  verbum 

tinitnm  gtl  nicht   oder  nicht   am  anfing  d  •  ht ; 

am  tinitnm  —  mindi  -  an,  wenn 


506  BLÜMEL 

der  satz  noch  einen  satzteil  ausser  ihm  und  dem  subject  enthält 
—  auch  (oder  nur)  der  Verknüpfung*;  gerade  deshalb  kann  nach 
ihm  um  so  weniger  gefragt  werden,  je  weniger  es  anderen 
zwecken  dient  als  der  Verknüpfung. 

Andere  bestimmungen  sind  deshalb  als  antwort  auf  eine 
wortfrage  unmöglich,  weil  sie  die  art  und  weise  angeben,  in 
der  die  Verknüpfung  von  psychologischem  subject  (S)  und  P 
vor  sich  geht,  z.  b.  nicht,  selbstverständlich,  alle  hierhergehörigen 
adverbien  auf  -weise.  Hierher  kann  man  auch  die  antworten 
auf  satzfragen  ziehen,  die  aber  ausserhalb  des  satzes  stehen. 

Die  Satzteile,  die  mit  infolge  oder  trotz  eingeleitet  sind, 
können  auch  nicht  gegenständ  einer  wortfrage  sein,  ausser 
etwa  einer  pädagogischen.  Sie  stehen  in  beziehung  zu  der  art 
und  weise,  wie  S  und  P  verknüpft  werden,  meistens  sind  sie 
S  dazu. 

Demonstrative  pronomina  und  adverbien,  sowie  ihre 
gruppen  verknüpfen  nur  insofern,  als  sie  den  inhalt  der  von 
ihnen  vertretenen  einheit  wider  aufnehmen.  Die  function  im 
satze  ist  aber  sonst  bei  ihnen  dieselbe  wie  die  der  von  ihnen 
vertretenen  inhalte.  Daher  können  sie  antworten  auf  wort- 
fragen bilden. 

Die  erklärung  ist  leicht:  viele  dieser  Satzteile,  nament- 
lich die  nur  verknüpfenden,  sind  zu  inhaltsarm,  als  dass 
nach  ihnen  gefragt  werden  könnte  (hierher  gehören  auch 
Wörter  wie  schon,  sogar,  etwa).  Den  meisten  fehlt  aber  gerade 
die  function,  die  allein  sie  dazu  befähigen  würde. 

Die  wortfrage  hat  als  'unbekannte'  P,  während  S  und  die 
art  der  Verknüpfung  —  oder  die  tatsache  der  Verknüpfung  — 
von  S  und  P  schon  feststellt.  Somit  fallen  die  Verknüpfungs- 
bestimmungen von  selbst  weg  —  man  kann  z.  b.  nach  seltsam 
als  adverb  fragen,  aber  nicht  nach  seltsamerweise.  Der  inhalt 
seltsam  macht  also  hier  die  frage  nicht  unmöglich,  wol  aber 
die  function  des  adverbs  auf  -weise.  Ebenso  fallen  die  ant- 
worten auf  satzfragen  von  selbst  weg,  da  sie  ja  auf  die  Ver- 
knüpfung von  S  und  P  gehen. 

Die  bestimmungen  mit  infolge  und  trotz  kommen  nicht  in 
betracht,  weil  sie  S  sind.  Nach  S  kann  aber  nicht  gefragt 
werden. 


du:    \i  DBB   nmid.   W0BT8TBLLUHG8LBHBE. 

Dass  die  Function  den  du  I  zwischen  den  Satz- 

gliedern bedingt,  die  als  antwort  anf  wortfragen  dienen  können 
lim l  solchen,  die  das  nicht  können,  zeigl  Bich  deutlich  an 
gender  erscheinnng: 

Jeder  lau,,  jede  lautmasse  von  beliebigem  nmfang  nnd 
von  beliebiger  gliedernng,  sie  mag  BOgar  noch  so  sinnlos  sein, 
sie  mag  jede  beliebige  Function  haben,  was  ihre  gewöhnliche 
rolle  im  Batz   bei  e  »gar  ein  Le  kann  die  antwort 

auf  eine  wortfrage  bilden,  kann  also  als  obereinheit,  aber  auch 
als  nntereinheil  auftreten. 

Die  fanction,  welche  die  Satzteile  sonst  etwa  haben,  klinirt 
dabei  nur  leise  an  (z.b.  die  dativfunction  von  dem  manne  in 
einem  Batz  "d<m  manne'  ixt  hier  falsch).    Die  hauptsache  ist, 

diese  inhalte  wesentlich  auf  ihre  äussere  form  hin  (die 
bei  der  gebärde  •nur'  gesehen  wird)  betrachtel  nnd  in  Batzen 
mit  einem  ganz  bestimmten  inhalt  verwendet  werden  meist 
hat  er  beziehung  auf  grammatik  oder  Stilistik  !!t  äber- 

hanpt  nur  die  tonn  tv>t  —  und  vor  allem,  dass  sie  in  di 

iner  neuen  Function  verwendet  werden,  die  mit 
der  etwa  Bonst  vorhandenen  verwant  Bein,  aber  auch  erheblich 
von  ihr  abweichen  kann.    \ir\.  ld  nicht  richtig 

(nominativ,  jedoch  <*in  anderes subjectsverhältnis).     l>-)i  hunm' 
dürfen  sie  neben  diesem  verbum  >n<l,t  sagen   (anderes  obj< 
Verhältnis l.    W<  ri  'in </' 

•  Hm'  mu 

Schon  der  inhalt  dieser  Bätze  bedingt  eine  ziemlich  geringe 
aii/ahl  von  Functionen,  in  denen  diese  Satzteile  auftreten  können. 

können  /..  b.  weder  in  der  fanction  von  verbum  unitum 
noch  in  der  von  conjunction  odei  inleitendes  pron 

auftreten;  damit  sind  zwei  Btelli 
und  'li«'  des  N-es  für  d  .  wenn 

inhalte  <!•  .  fnen 

nngen 

1 1  Ries  hal  rei  !it.  wenn  -tollung- 

...  ein  in  eminentem  sinne  syntaktisches  problem  i»t. 

adige  berücksichtigu  ktischen  gesichts- 

l-unkt.-  ni.ht   /u  lösen  i-t 

.<■  der  iWuUcban  iprschr  M 


508  BLÜMEL 

2)  Wenn  die  Wortstellung  nach  den  angeordneten  einheiten 

—  zunächst  wird  man  wol  die  im  satze  angeordneten  einheiten, 
die  obereinheiten,  im  äuge  haben  —  und  wenn  die  wortfrage 
nach  der  einheit,  durch  welche  sie  —  gewöhnlich  —  eingeleitet 
ist,  oder  nach  der  einheit,  in  der  die  antwort  gegeben  wird, 
benannt  sein  soll,  so  sind  beide  namen  unrichtig.1) 

Was  zunächst  die  einheit  betrifft,  innerhalb  deren  das 
fragewort  auftritt,  so  wird  ja  vielfach  die  präposition,  ebenso 
als  und  wie  als  blosses  formwort  betrachtet.  Nach  dieser  an- 
nähme kann  für  wen,  als  was  noch  als  je  ein  wort  gelten. 
Mir  liegt  es  näher  für  wen  und  als  was  als  je  zwei  Wörter  zu 
betrachten.  Noch  weniger  kann  natürlich  aus  ivelcliem  gründe, 
in  welcher  hinsieht,  bei  welcher  gclegenheit,  in  welcher  richtung 
der  form  nach  als  ein  wort  im  sinne  der  grammatik  bezeichnet 
werden,  wenn  auch  nicht  geleugnet  werden  kann,  dass  z.  b. 
in  ...  richtung  —  entsprechend  die  anderen  ausdrücke  —  nicht 
viel  mehr  bedeutet  als  etwa  ein  suffix  (oder  eine  präposition) 
vgl.  gr.  -de.  Wessen  in  der  gruppe  in  ivessen  namen  ist  frei- 
lich ein  wort,  doch  mit  seiner  gruppe  fest  verwachsen,  und 
diese  gruppe  leitet  die  wortfrage  ein  (die  obereinheit  in 
ivessen  namen  eröffnet  den  satz,  nicht  die  Untereinheit  wessen 

—  eine  Untereinheit  eröffnet  den  satz  überhaupt  nicht  —  wenn 
auch  nur  ein  teil  der  eröffnenden  obereinheit  den  gegenständ 
der  frage  bildet).  In  dieser  gruppe  steht  in,  nicht  ivessen  an 
der  spitze,  und  mit  dieser  beginnenden  Untereinheit  in  allein 
steht  wessen  nicht  in  unmittelbarer  syntaktischer  beziehung, 
wenigstens  was  die  funetion  betrifft. 

Entsprechendes  gilt  von  der  antwort  auf  die  wortfrage. 
Sie  kann  gebildet  werden  durch  ein  wort  oder  eine  gruppe, 
durch  einen  infinitiv  mit  zu,  um  . . .  zu,  ohne  . . .  zu  und  seine 
etwaigen  bestimmungen,  durch  einen  N  oder  H,  auch  durch 
eine  mehrheit  von  Sätzen.  Man  kann  auch  nicht  sagen,  der 
fragende  wünsche  als  antworteinheit  ein  wort.  Er  will  nur 
aufschluss  schlechthin  und  könnte  schwerlich  eine  frage  stellen 
wie  diese:  ivas  hat  er  dir  alles  mitgeteilt?,  wenn  er  als  antwort 
ein  wort  haben  wollte. 


l)  Wortstellung  kann  freilich  als  'Stellung  der  worte'  gefasst  werden. 
Bei  'wortfrage'  kann  ich  nur  an  'wort',  nicht  an  ' Wörter'  oder  'worte' 
denken. 


DIE    AUFGABEN    DEB    BHD.    W0BT8TELLUNG8LEHBE. 

In  entsprechender  weise  ist  übrigens  zu  sagen,  dsss  die 
abhängigen  fragesätze  and  die  relativsätze  die  obereinheit 
des  Erage-  oder  relativpronomens  an  der  Bpitze  haben.  Diese 
obereinheit  ist  auch  in  diesen  Batzen,  wie  in  den  unabhängigen 
fragesätzen,  durchaus  nicht  Immer  durch  das  pronomen  allein 
gebildet   7gL  wü  heisst  derherr,  au/  grund  undh 

wir  stehen? 

—  Es  gibt  übrigens  auch  'wortfragen',  in  denen  das  frag- 
liche Satzglied  gar  nicht  durch  ein  wort  ausgedrückt  wird: 
wünschen?    Auf  diese  fragen  passt  der  name 'wortfrage' eben- 
falls nicht,  jedoch  aus  einem  andern  gründe. 

Die  obereinheit  der  Wortstellung  kann  ein  wort  sein,  aber 
auch  eine  gruppe,  einer  der  genannten  infinitiyausdr&cke,  ein 
satz  (N  oder  II  i.  auch  eine  mehrheit  von  Sätzen. 

I  lie  obereinheiten  der  Wortstellung  zerfallen  durchaus  nicht 
immer  in  gleichwertige  worte.1)  Bin  X.  ein  H.  der  ein  teil 
eines  grösseren  satzes  ist,  muss  wider  wie  ein  selbständ 
satz  in  obereinheiten  zerlegt  werden.  Wenn  die  obereinheiten 
zerlegbar  sind,  so  können  auch  ihre  nächsten  Untereinheiten 
durch  worte  oder  gruppen,  einen  infinitivausdruck,  durch  N-e 
oder  B-e  gebildet  sein,  ebenso  die  nächstniederen  Untereinheiten. 
Mindestens  bei  den  höchsten  Untereinheiten  sind  mehrheiten 
vi'ii  Batzen  nicht  ausgeschlossen.  —  Jn  der  Umgangssprache 
ist  ein  satz  das  ist  dervater  von  dem  hüben  ■  en  freund 

gerettet  hat  nicht  unmöglich.    Bier  kommen  wir  aui  daswort 
als  eine  unterste  zerlegungagrenze  z.  b.  bei  das  auf  das  i 
mal.  bei  devi  beim  dritten,  bei  dert  beim  vierten,  bt 
erst   beim  fünften  zerlegungsact    Diese  Wörter  sind  demnach 
gerade  nach   ihrer  fonction  in  der  Wortstellung   ■/< 
zu  bewerten. 


unit  -"11  durchaus  nicht  d  mir 

gerade  bekämpften  ansieht,  der  da?on  spricht,  <bs-  einaatateil  'in  m< 

'ani  mehreren  Worten  beatehe'.     ho^pgen  i-t  .•*  absn- 
lehnen,  «renn  Brenne  a  B7  ?on  ^>;/"  d  w  i<  mmt  nnd  •■■ 

kommt  ttoin  oa  trota  der  proi  litischen  w 

nnd  i'inf  <lfii  wOrtern  vater  nnd  ticcifel  di<  lügt  wird. 

Hier  iel  d  Inheit  in  gunsten  d 

.   n    tritt  «las  .1  Itnifl   in  d 

uii'l  /.war   fiel   M   It 


510  BLÜMEL 

Das  einzelne  wort  kann  in  der  function  einer  gruppe, 
einem  infinitivausdruck,  einem  N  oder  H,  einer  mehrheit  von 
Sätzen  gleichwertig  sein,  und  zwar  sowol  als  obereinheit.  wie 
als  höhere  und  z.  t.  niedere  Untereinheit.  Ganz  deutlich  wird 
das  in  der  beiordnung:  ich  oder  mein  bruäer,  die  taten  Hamil- 
Jcars  und  seines  sohnes  Hannibal.  Ein  fragewort  kann  das 
zeichen  für  ein  wort,  eine  gruppe,  einen  infinitivausdruck,  einen 
N  oder  H,  eine  mehrheit  von  Sätzen  sein. 

Beim  zerlegen  des  satzes  —  so  scheint  es  wenigstens  — 
kommen  wir  zuletzt  immer  auf  Wörter  und  mit  dieser  Zerlegung 
scheint  die  Zerlegung  wenigstens  im  sinne  der  Wortstellung 
beendigt.  Wenn  ich  sage:  ge-  ist  eine  vorsübe,  so  ist  ge- 
syntaktisch  ein  wort,  ein  Substantiv  (hier  eine  obereinheit). 
—  Es  kommt  aber  auch  vor,  dass  ein  für  die  Wortstellung 
sehr  wichtiger  satzteil  gar  nicht  ausgesprochen  wird. 

Gerade  für  die  abgrenzung  des  satzes,  damit  auch  für  die 
abgrenzung  der  wortstellungstypen,  ist  dieses  ausbleiben  eines 
hörbaren  ausdrucks  in  lauten  für  einen  satzteil  sehr  wichtig. 

Schwierig  ist  die  frage,  ob  der  unausgesprochene  factor 
(genauer  gesagt,  der  factor,  der  keinen  ausdruck  in  einem 
eigenen  wort  gefunden  hat),  durch  den  in  einem  relativ-  oder 
abhängigen  fragesatz  die  Stellung  des  verbums  ' bedingt'  wird, 
an  das  pronomen  gebunden  ist  oder  nicht.  In  letzterem  falle 
hätten  wir  einen  factor  der  Wortstellung,  dem  wir  überhaupt 
keinen  platz  in  einem  wort,  nicht  einmal  in  einem  zu  er- 
gänzenden wort,  anzuweisen  hätten,  der  aber  trotzdem  seinen 
ausdruck  fände,  z.  b.  in  der  melodie.  Wahrscheinlich  hat  aber 
schon  das  pronomen  eine  bedeutungsfärbung,  welche  die  wesent- 
liche bedingung  für  die  Stellung  des  verbums  ist. 

Abgrenzung  der  obereinheiten  im  satz. 

Darüber  einige  andeutungen.  Die  obereinheiten  sind  z.  t. 
fest,  z.  t.  locker.  Bei  jenen  können  die  Untereinheiten  —  aber 
durchaus  nicht  in  allen  fällen  —  gelegentlich  als  obereinheiten 
auftreten,  bei  diesen  ist  umgekehrt  das  zusammentreten  zweier 
einheiten  zu  einer  das  seltenere. 

Fest  ist  z.  b.  eine  obereinheit  mit  einem  Substantiv  als 
kern,  locker  die  Verbindung  gewisser  bestimmungen  mit  dem 


DIE   AUFGABEN    DBB    EBD.    W0BT8TELL1  LI       IE.         511 

infinit iv  oder  particip  perfecl  (nach  Berlin  fahren  will  ich  nicht, 
dafür  wol  häufiger  nach  Berlin  teil/  ich  nicht  fah\ 

In  vielen  fällen  ist  es  oichl  recht  1 1 1 •  - ^ l i ■  - 1 1  festzustellen, 
ob  6ine  obereinheil  vorliegt  oder  zwei.  Das  gilt  sowol  in 
fallen,  wo  diese  6ine  einheil  locker  wäre,  als  auch  in  solchen, 
wo  sie  fest  wäre.  Vgl.  für  den  ersten  fall  ich  will  nicht  muh 
Berlin  fahren,  für  den  zweiten  densatz  ausserdem  arbeiten  die 
leute  in  der  Stadt  fleissiger.  Der  zusatz  als  die  au f  dem  land 
würde  erkennen  lassen,  dass  die  leute  in  der  Stadt  eine  einheil 
ist,  der  zusatz  als  au f  dem  land  liesse  auf  zwei  Bchliessen. 

Wenn  zwei  obereinheiten  in  der  mehrzahl  der  falle  zu- 
sammentreffen,  die  infolge  einer  andern  gliederung  eine  ober- 
einheit  bilden  können,  z.  1>.  dem  mann  und  sein  hut,  so  ist 
diese  anordnung  einer  etwa  eintretenden  gliederungsverschie- 
bung  günstig. 

Die  Wortstellung  ist  anderseits  in  vielen  fällen  das  sicherste 
anzeichen  dafür,  das-  die  Bereinigung  zweier  ehemals  selb- 
ständiger einheiten  zu  einer  vollzogen  ist  oder  dass  zwei  ehe- 
mals zusammengehörige  Untereinheiten  selbständige  oberein- 
heiten geworden  sind.  Vgl  für  den  ersten  fall  demvater 
lud  ist  schön,  für  den  zweiten  des  jubeis  war  kein  ende  (vor 
dem  verbum  ftnitum  Bteht  im  II  nur  eine  obereinheit,  voraus- 

tzt,  dass  nicht  das  verbum  linitnm  selbsl  den  satz  eröffnet  i. 

Man  kann  hier  sprechen  von 

Aufbau  und  zerreissung  von  einheiten. 

Beides  können  wir  in  der  Umgangssprache  unmittelbar,  in 
je  einem  satze,  wahrnehmen. 

Kineii  aufbau.  eine  Zusammenfassung  zweier  einheilen  zu 
einer,  vollzog  ich  in  dem  .satz  wo  ist  denn  die  -  FranM-Ludwig- 
war  zunächst  alleinstehendes  pronomen,  etwa  = 
'die,  an  die  ich  denkt '.  dann  artikel  zu  Frans-Ludu 
—  Haben  sie  keinen  schraubenjricher?  An  meim  klavier  tl<i< 
klappert  immet  te     \1>  ich  aussprach  an  meim  thwebte 

ortsetzung  vor  etwa  kla  heas...)  ziemlich 

dunkel,  das  übrige  ganz  dunkel    Dann  nahm  ich  die  von 
lung  des  klappernden  Bchlossbeschläges  ai>  d,is  auf.    Damit 
hiess  die  erste  einheit  ""  meim  klavier  da  klag  nn 

meinem  im  zweiten  fall  liegt  eine  Vereinigung  zw 


512  BLÜMEL 

obereinheiten  vor,  im  ersten  ist  die  zuerst  obereinheit,  dann 
Untereinheit,  Franz-Liidivigstrasse  dagegen  von  anfang  an  kern 
der  neuen  obereinheit).  Vgl.  dazu  die  folgenden  beispiele,  in 
denen  es  freilich  nicht  ausgeschlossen  ist,  dass  für  den  sprechen- 
den von  anfang  an  die  eröffnende  obereinheit  in  der  vorliegenden 
form  einheitlich  war: 

In  meim  heimatsdorf  die  haben  her  seh  gehabt  .  . .  (wahr- 
scheinlich folgte  unmittelbar  darauf  das  lob  der  kirschen)  Si. 
(Eier)  unten  das  grosse  ist  ein  entenei  BnÜ!.  Nach  grosse  tempo- 
zögerung.  Von  meinem  simmer  die  aussieht  ist  wirklieh  ivunderbar 
eine  dame,  in  Amrum.  In  dem  südöstlichen  sipfel  von  Bayern 
in  Reichenhall  die  (Jiabens  lieber  wenns  nicht  so  heiss  ist)  Sehe. 

Dazu:  jetzt  ich  trink  jeden  tag  mei  mass  —  jeden  tag  d 
mass  —  jeden  tag  d  mass  ist  mein  quantum  ein  herr.  Jeden 
tag  9  mass  2  war  P.  Hier  ist  ziemlich  sicher  anzunehmen,  dass 
jeden  tag  mei  mass  zwei  obereinheiten  sind,  dass  aber  das 
zweite  jeden  tag  d  mass,  da  es  vor  dem  verbum  finitum  im  H 
steht,  eine  einheit  ist  (=  eine  mass  täglich).  Was  das  da- 
zwischenliegende jeden  tag  d  mass  ist,  entzieht  sich  der  beobach- 
tung;  irgendwo  liegt  der  Übergang,  der  aber  durchaus  nicht 
genau  in  der  mitte  vor  sich  gehen  muss,  auf  sehr  verschiedene 
weise  denkbar  ist  und  höchstwahrscheinlich  unbewusst  vor 
sich  geht. 

Mit  ausnähme  des  satzes  von  der  Franz-Ludwigstrasse 
haben  alle  diese  sätze  etwas  gemeinsames:  zuerst  eine  Orts- 
bestimmung (im  letzten  eine  Zeitbestimmung),  dann  ein  sub- 
stantivischer inhalt,  subjeet  oder  objeet,  der  mit  dieser  Orts- 
bestimmung oder  Zeitbestimmung  in  enger  beziehung  steht  (ein 
ganzer  satz  ist  in  eine  einheit  zusammengedrängt:  die  stuhl 
sind  schon  miserabel  —  miserable  stuhl  Z.  —  Ganz  ent- 
sprechende sätze  habe  ich  auch  schon  gesprochen). 

Die  zerreissung  einer  einheit  erfolgt  dadurch,  dass  in 
einer  obereinheit  die  eine  schon  ausgesprochene  Untereinheit 
im  bewusstsein  zunächst  wider  zurücktritt,  aber  so,  dass  sie 
der  andern,  die  durch  die  trennung  zu  einer  obereinheit  ge- 
worden ist,  in  anderer  gliederung  ebenfalls  als  obereinheit, 
vielleicht  variiert,  noch  einmal  gegenübergestellt  wird.  Aus 
ab wird  b a . . ,  die  form  des  satzes  heisst  aber  tatsäch- 
lich ab  ...  .a..  . 


imk   AUFGABEN    DEB    Mll'.   V  BSE.         513 

(Mitteilung  beim  überbringen  einer  schon  vorher  vom 
sprechenden  erwähnten  Zeitschrift:)  was  von  Bosegger 
paar  sacken  drin  II  Anfang  (dnrchans  nicht  was!)  *etwas 
von  Uosegger  ist  drin,  beachte  die  congrnenz  von  sind  mit  eist 
paar  sacken  sofort  hinter  von  Uosegger.  l-m  paar  assisienien 
von  der  post  sind  ein  paar  da  8b.  Wahrscheinlich  heissl  der 
neue  satzanfang  eher  assisienien  von  der  post,  als  von 
post...\  in  letzterem  falle  würde  ein  paar  assistenten  in  ein  paart 
aachwirken.  |  Kreuzbergausflug,  schneefal]  vorausgegangen:) 
Wenns  so  gewesen  war  wie  gestern  haits  keinen  sinn  Str.  (neuer 
anfang:  gestern  hatte  <*  keinen  sinn\  anf  dem  papier  ist  der  satz 
nicht  eindeutig,  erst  das  gehör  gibt  den  anaschlag).  Hier  ist 
dem  X  die  letzte  obereinheil  entnommen  (wü  mu\  gestern  fasse 
ich  als  zwei  obereinheiten). 

Einheit  im  Binne  der  Wortstellung  und  enge  der 
syntaktischen  Zusammengehörigkeit 

Ries  stellt  b.  168  das  princip  anf:  'Je  enger  ihre  syn- 
taktische Zusammengehörigkeit  ist.  um  bo  grössere 
neigung  zeigen  die  glieder  eines  satzes  zusammenzu- 
bleiben.1 

Vgl  da/u  Ries,  Zs.fda.  40. *J7«>  f.:  -Die  Wirkung  eines  anderen 
psychologischen  grundsatzes,  nach  welchem  das  begrifflich  ver- 
bundene auch  in  der  Wortfolge  sich  zusammenschliesst  In 
zweiter  linie  ist  der  einfluss  der  analogie  zu  betonen.1 

Dazu  ist  zu  bemerken:  zwei  (oder  mehr)  .-atzteile  n 
ihrer  fnnction  nach  noch  bo  eng  zusammengehören,  dadurch  ist 
durchaus  nicht   bedingt,  dass  sie  eine  feste  einheit,  ja 
sie  überhaupt  zusammen  eine  (ober-) einheit  im  sinne  der  Wort- 
stellung bilden. 

Anderseits  können  Satzteile  feste  obereinheiten  bilden, 
deren  bestandteile  nach  ihrer  fnnction  nicht  so  eng  zusammen- 
gehören  als  jene  anderen  Batsteile 

mders  eng  gehören   lusammen  erg&nzungsbedorftigQ 
Lei  mit  ihren  erganzungen,  s.d.  verbum  (finitum)  und 
ject.  gewisse  verba  mit  Ortsbestimmungen,  s.d.  tteksn,  liegen, 
gelegen  sein  in  sitsen  wie  München  Uegi  an  dt  r  Isar 

Stimmungen  werdes  r  oft  und  dann  durch- 


514  BLÜMEL 

gehend  vom  verbum  losgerissen.  Weil  ich  dich  voraussichtlich 
lange  nicht  mehr  sehe  . . . 

Die  bedingungen  für  das  zusammentreten  sind  aber  hier 
meist  psychologischer  art,  namentlich  diegliederung  spielt 
dabei  eine  wichtige  rolle.  Sie  umfassen  nicht  alle  fälle,  wo 
notwendige  bestimmungen  stehen,  man  wird  nur  in  ganz  be- 
stimmten fällen  sagen  können  ihn  sehen  mag  ich  nicht,  sie 
umfassen  aber  auch  fälle  mit  freieren  bestimmungen,  z.  b.  den 
ganzen  tag  singen  macht  ihm  spass.  Vgl.  in  der  Schriftsprache 
die  attributiven  participien  des  präsens,  die  wie  die  nominal 
gebrauchten  anderen  participien  und  infinitive  mit  ihren  — 
notwendigen  und  freien  —  bestimmungen  teile  je  einer  festen 
einheit  sind. 

Die  ständigen,  festen  Verbindungen  gewisser  bestimmungen 
mit  dem  infinitiv  (vor  dem  noch  zu  stehen  kann)  oder  dem 
particip  perfect  sind  als  unfeste  Zusammensetzungen  schon  zur 
wortbildungslehre  zu  rechnen.  Es  handelt  sich  hier  um  be- 
stimmungen, die  in  dieser  Zusammensetzung  den  hauptton 
tragen:  präpositionaladverbia  wie  ah,  an,  sowie  um  ausdrücke 
wie  Schlittschuh  laufen,  zu  gründe  richten,  dann  um  Wendungen 
der  Schriftsprache  wie  in  anivcndung  bringen.  Nur  im  N 
treten  diese  bestimmungen  ständig  mit  ihrem  verbum  finitum 
zusammen,  aber  nur  deshalb,  weil  dessen  Stellung  im  N  der- 
jenigen der  genannten  nominalformen  des  verbs  im  H  ent- 
spricht: abgehen  —  abgehst. 

So  treten  auch  der  infinitiv  oder  das  particip  perfect  und 
ihr  hilfsverbum  nur  im  N  ständig  zusammen,  während  sie  im 
H  durch  jede  obereinheit  ständig  getrennt  werden,  die  hinter 
dem  verbum  finitum  an  ihrem  gewöhnlichen  platze  angeordnet 
ist,  ausser  wenn  das  hilfsverbum  selbst  im  infinitiv  oder  im 
particip  perfect  steht. 

Infinitive  mit  zu,  um  . . .  zu,  ohne . .  .zu  können  mehrere 
bestimmungen  —  freie  und  notwendige  —  unter  diesen  auch 
particip  perfect  und  andere  infinitive  —  zu  sich  nehmen.  Diese 
ganze  masse  bildet  eine  einheit  im  sinne  der  Wortstellung. 
Diese  einheitlichkeit  zeigt  sich  nicht  bloss  am  anfang  des 
H-es,  weil  erst  nach  dem  ganzen  ausdruck  das  verbum  finitum 
kommt,  sondern  auch  am  Schlüsse  des  H-es  und  des  N-es. 
Wenn  nämlich  diese  ausdrücke  nicht  am  anfange  des  satzes 


DIB   AUFGABEN    DBB   NHD.    W0BTBTBLLUXO8LEHBE.         515 

stellen,  so  Bt<  gewöhnlich  —  namentlich  die  Infinitive 

mit  um.  ..su  und  ohne...eu  —  mit  allen  ihren  bestimmungen 
ganz  am  schlnss  des  satzes,  auch  nach  den  Satzteilen,  die  sonst 
ständig  am  ende  dea  satzes  stehen,  »ianz  entsprechend  sondert 
sich  anch  der  N  und  der  ii  gerne  von  der  gesammten  übrigen 
masse  des  Satzgefüges  ab,  dem  er  angehört  Somil  erscheinen 
diese  einheiten  als  etwas  satzähnliches,  nmsomehr,  ab 
ahnlieh  wie  ein  satz  eine  Vielheit  von  Satzteilen  enthalten 
können.     Aber  eigentliche  Sätze  sind  sie  doch  nicht.     Es  gibt 

-ländig  unabhängige  X-e,  z.b.  wenn-sätze  mit  der  bedeutung 
eines  Wunschsatzes,  aber  die  hier  behandelten  ausdrücke  be- 
halten, auch  wenn  sie  allein  stehen,  immer  die  eigenschait 
eines  Satzteils,  z.b.  so  etwas  su  tun!  Im  ganzen  ton  liegt  die 
misbillignng,  die  P  ist  und  auch  durch  worte  wie  ist  ein  sta 
stück  widergegeben  werden  könnte.  In  der  wortstellnngslehre 
wird  aber  nichts  anderes  übrig  bleiben,  als  solche  umfängliche 
(oder  auch  weniger  umfängliche)  ausdrücke  als  obereinheiten 
zu  betrachten,  dann  aber  wie  die  X-e  und  H-e,  welche  eben- 
falls obereinheiten  sind,  in  obereinheiten  zweiter  oder  dritter 
Ordnung  zu  zerlegen.  Noch  schwieriger  ist  die  frage  bei  den 
adjeetivisch  gebrauchten  partieipien  des  präsens  und  des  per- 
fects,  wenn  diese  bestimmungen  bei  sich  haben,  wie  sie  d  im 
verbum  finitum  zukommen.  Als  attributives  adjeetiv  müssen 
sie  in  der  wortstellnngslehre  als  Untereinheit  betrachtet  werden; 
die  bestimmungen  geben  aber  dem  ganzen  ausdruck  (Substantiv 
mit  partieip,  dieses  mit  seinen  bestimmungen)  wider  etwas 
sat /ähnliches.  .Man  wird  hier  wol  die  bestimmungen  des  par- 
ticij'S.  trotzdem  sie  die  form  von  obereinheiten  haben  und  eine 
mindestens  derjenigen  der  obereinheiten  sehr  ähnliche,  wenn 
nicht  gleiche  functiou  aufweisen,  doch  als  niedere  Untereinheiten 
bezeichnen  müssen.  Die einheitlichkeit  dieser  ausdrücke  tritt 
besonders  dann  klar  hervor,  wenn  der  artikel  dabeisteht,  denn 
er  und  das  substantiv.  ähnlich  wie  um  und  eu,  ohne  und  tu 
beim  intinitiv.  schliessen  alles  übrige  ein.  Auch  eine  Verände- 
rung der  Stellung  im  satze  zeigt  die  anzerreissbarkeit  der  ein- 
heit.  welche  das  attributive  partieip  präsens  oder  perfeel  enthält. 

l>as  verbum  ünitum  bildet  mit  keinem  andern  satzteil  zu- 
sammen eine  obereinheit.  weil  es  mit  keinem  Btändig  zusammen« 
bleibt. 


516  BLÜMEL 

In  einem  falle  scheint  sich  eine  solche  einheit  zu  bilden. 
Es  handelt  sich  um  den  gebrauch,  sich  möglichst  weit  nach 
hinten,  offenbar  in  möglichste  nähe  des  finiten  verbums,  oder 
des  infinitivs  oder  des  particips  präsens  oder  perfects  zu  rücken. 
Diese  erscheinung  ist  erst  näher  zu  untersuchen,  sie  hängt 
mit  andern  keineswegs  erfreulichen,  ebenfalls  wol  neueren  ge- 
brauchen in  der  Wortstellung  zusammen.1)  Zu  deuten  ist  sie 
wol  so,  dass  damit  ein  weiterer  schritt  getan  ist,  um  die  ein- 
heit von  reflexiv  und  verbum  auch  äusserlich  in  der  Wort- 
stellung hervortreten  zu  lassen. 

Entsprechendes  gilt  von  ich  anerkenne,  das  nach  Cauer 
'unlogisch'  sein  soll. 

Die  tatsache,  dass  aus  der  verschiedenen  Stellung  des 
finiten  verbs  im  nhd.  satz  gewisse  (aber  nicht  alle)  typen 
der  Wortstellung  erkannt  werden  können,  beweist  an  sich 
noch  nicht,  dass  das  verbum  finitum  eine  obereinheit  ganz  für 
sich  bildet. 

Das  hat  vielmehr  folgenden  grund: 

Das  verbum  finitum  tritt  durch  die  Wortstellung  in  be- 
ziehung  zu  der  gesammten  masse  der  übrigen  Satzteile.  Der 
Wechsel  in  der  Stellung  dieser  Satzteile  hat  keine  beziehung 
zum  Wechsel  der  verbstellung.  Da  infolge  dieses  wechseis  das 
verbum  finitum  bald  hinter  dem  ersten  satzteil  oder  vor  allen 
andern  Satzteilen,  also  (in  der  regel)  weit  vorne  oder  ganz 
vorne  im  satze  stehen,  bald  hinter  allen  übrigen  Satzgliedern, 
also  ganz  am  Schlüsse  des  satzes  angeordnet  sein  kann,  so  ist 
dieser  Wechsel  in  der  verbstellung  ganz  besonders  geeignet, 
jede  einheit,  die  am  satzanfang  oder  am  satzende  zwischen 
dem  verbum  finitum  und  einem  andern  Satzglied  entstehen 
könnte,  zu  zerreissen,  nmsomehr  als  die  übrigen  einheiten  ein 
'bestreben'  haben,  ihre  Stellung  untereinander  beizubehalten. 

Es  wäre  an  sich  eine  entwicklung  denkbar,  welche  dazu 
geführt  hätte,  dass  die  objecte  in  einer  ganz  festen  Ordnung 
unter  sich  und  immer  unmittelbar  nach  dem  verbum  finitum 
angeordnet  wären,  und  dass  dieses  nach  den  jetzt  tatsächlich 
geltenden  gesetzen  bald  an  zweiter,  bald  an  erster  stelle,  bald 
hinter  allen  übrigen  Satzteilen  mit  ausnähme  der  objecte  stünde. 


x)  Diese  'Verspätung'  von  sich  dient  auch  noch  anderen  zwecken. 


DIE   AUFGABEN    DBB   Nim.   W0BT8TELLUNG8LEHBE.         517 

Man  könnte  dann  mit  dem  nämlichen  recht  wie  unter  den 
jetzigen  tatsächlichen  Verhältnissen  den  wortstellungstypus  ans 

der  verbstellung  allein  ablesen,  schon  deswegen,  weil  nicht  alle 
v« irba  objecte  haben.  Und  doch  würde  in  diesem,  rein  gedachten 

fall  das  vtiimiii  liiiiimn  mit  seinem  object  oder  mit  seinen 
objeeten  zusammen  eine  obereinlieit  bilden. 

Weil  das  verbnm  finitnm  allein  eine  obereinlieit  bildet, 
grenzt  es  die  erste  einheit,  die  ihm  im  H  vorausgeht,  so  scharf  ab. 

Während  der  nicht  nominal  verwendete  infinitiv  ohne  zu 
und  das  nicht  nominal  verwendete  partieip  perfect  mit  ihren 
bestimmungen  lockere  obereinheiten  eingehen  können,  bilden 
alle  nominalformen  des  verbums,  wenn  sie  als  nomina 
gebraucht  (gegebenen  falls  auch  decliniert)  werden,  mit  ihren 
bestimmungen  feste  einheiten,  wie  die  nomina  überhaupt.  Der 
Infinitiv  fungiert  dabei  als  Substantiv  und  wird  wie  ein  solches 
bestimmt,  desgleichen  die  substantivierten  partieipien.  Gewöhn- 
lich fungieren  die  partieipien  als  adjeetiva  und  werden  wie  ihre 
yerba  finita  bestimmt. 

Die  nomina  bilden  überhaupt  mit  ihren  bestimmungen 
feste  Wortstellungseinheiten  und  zwar  ständig. 

Auf  die  enge  der  syntaktischen  Zusammengehörigkeit 
scheint  es  dabei  auch  anzukommen.  Gewisse  bestimmungen, 
die  in  einem  weiteren  Verhältnis  zu  ihrem  Substantiv  stehen, 
können  nach  dem  satzschluss  nachgetragen  oder  ihrer  einheit 
sofort  nachgestellt  werden.  Auch  adverbiale  bestimmungen 
können  auf  diese  doppelte  weise  nachträglich  bestimmt  werden. 
Zwischen  der  einheit  und  der  ihr  gleich  folgenden  nachträg- 
lichen bestimmnng  kann  eine  beiordnende  conjimetion  stehen. 
wie  aber,  nämlich,  ohne  dass  dadurch  die  gesammteinheil  zer- 
rissen wird  (denn  aber,  nämlich  gehören  ja  der  funetion  nach 
gar  nicht  'in  den  sarz  hinein").  Die  einheitlichkeil  zeigt  sich 
besonders,  wenn  ein  attributives  Sediertes  adjeetiv  nach- 
getragen wild,  weil   hier  der  Artikel  Widerholt   werden  niuss. 

Ivs  niuss  erst  genauer  untersucht  werden,  wann  ein  Bolcher 
nachtrag  möglieb  ist  und  wann  nicht    Wahrscheinlich  kommt 

labei  wie  gesagt  auf  die  enge  des  Verhältnisses  an;  es  wird 
kaum  möglich  sein.  Zusammensetzungen,  welche  die  form  no- 
minaler gruppen  haben,  auch  nur  gelegentlich  zu  lerreissen 
(z. b.  die  Zusammensetzung  Karl  dir  prowe),  auch  die  nomina 


518  BLÜMEL 

agentis  und  actionis  werden  von  ihren  notwendigen  bestim- 
mungen  kaum  getrennt  werden. 

(Dagegen  bildet  das  verbum  finitum  in  den  entsprechenden 
fällen  im  sinne  der  Wortstellung  stets  eine  obereinheit  für 
sich:  weder  Zusammensetzungen  wie  hat ...  getan,  steigt ..  .ab, 
noch  object  und  verbum  finitum,  subject  und  verbum  finitum 
bilden  im  sinne  der  Wortstellung  eine  einheit.) 

Gewisse  einheiten,  z.  b.  solche,  die  nur  aus  artikel  und 
Substantiv,  präposition  und  Substantiv  bestehen,  sind  wol  ganz 
unzerreissbar.  In  mit  mir  und  dir  gilt  mit  für  das  folgende 
insgesammt. 

Eies  sagt  s.  34:  'es  besteht  kein  directer  Zusammenhang 
zwischen  der  Unterscheidung  von  verbum  und  nomen  und  dem 
rein  syntaktischen  problem  der  Wortstellung;  jener  unterschied 
der  Wortarten  geht  zunächst  nur  die  wortlehre  an,  die  syntax 
erst  indirect.' 

Auf  grund  dessen,  was  ich  eben  vorgebracht  habe,  kann 
ich  Eies  hier  nicht  beistimmen. 

Es  ist  sicher  nicht  bedeutungslos,  dass  verbum  und  nomen 
in  der  möglichkeit  einheiten  zu  bilden  so  verschieden  sind  und 
namentlich,  dass  infinitiv  und  particip  perfect  auch  hier  Zwischen- 
stufen zwischen  verbum  finitum  und  nomen  bilden  und  zwar 
nur  dann,  wenn  sie  ihrer  sonstigen  syntaktischen  function  nach 
Zwischenstufen  zwischen  verbum  finitum  und  nomen  sind. 

Worin  besteht  aber  (im  sinne  der  Wortstellung)  der  syn- 
taktische unterschied  von  verbum  finitum  und  nomen?  Ich 
habe  ja  selbst  (s.  517  f.)  darauf  hingewiesen,  dass  verbum 
finitum  und  nomen  in  der  möglichkeit  einheiten  zu  bilden 
selbst  da  verschieden  sind,  wo  in  der  enge  der  jeweiligen 
syntaktischen  beziehungen  zum  andern  inhalt  kein  oder  viel- 
leicht nur  ein  geringer  unterschied  des  grades  besteht. 

Dieser  syntaktische  unterschied  von  verbum  finitum  und 
nomen  besteht  darin,  dass  das  verbum  finitum  im  allgemeinen 
in  viel  deutlicheren  beziehungen  zu  den  übrigen  Satzteilen 
steht  als  ein  einzelner  nichtverbaler  satzteil.  Das  ist  nament- 
lich in  Sätzen  mit  zahlreichen  Satzteilen  sehr  wichtig,  denn 
hier  sind  die  beziehungen  sehr  mannigfaltig.  Die  Wirkungen 
dieser  beziehungen  sind  in  ihrer  stärke  abgestuft,  auch  nicht 
in  jedem  satze  gleichmässig  abgestuft.    Jedenfalls  können  sich 


DU    AUFGABE»    DER    N'lll».    WOBTSTELLUNGSLEHEE.         519 

die  Wirkungen  durchkreuzen,  man  denke  an  den  widerstreb 
von  Bubjecl  and  prädical  bei  der  congruenz  (sorgen  sind 
schlimme  gesellschaß  —  das  sin<l  schlimme  gesellschafter). 

Pi  ritiv  zeigl  sich  die  Wirkung  dieser  vielheil  von  be- 
ziehungen bei  den  nominalformen  des  verbs,  namentlich  bei  den 
Infinitiven  mit  um...eu  und  ohne... zu,  denn  diese  halfen  ja 
je  nachdem  ziemlich  viele  bestimmungen  bei  sich. 

Negativ  zeigl  sich  die  Wirkung  vielleicht  darin,  dass  das 
verbum  finitum  in  der  Wortstellung  zu  allen  andern  Satzteilen, 
zu  ihrer  ganzen  masse,  in  beziehung  tritt,  principiell  zn  keinem 
Satzteil  in  eine  engere  als  zu  einem  andern. 

Dagegen  steht  die  bestimmung  eines  nomens  im  wi 
liehen  nur  zu  diesem  Domen  in  beziehung,  andere  beziehungen 
treten  da-viieii  zurück.  Dazu  kommt,  dass  die  nichtverbalen 
satzteile  untereinander  vielfach  keine  so  engen  beziehungen 
haben  als  das  verbum  finitum  zu  ihnen,  sie  und  ihre  bestim- 
mungen können  daher  viel  eher  in  sieh  abg<  m  sein. 

Indem   ich  die  Wirkungen  solcher  beziehungen  zwischen 
den  verschiedenen  teilinhalten  eines  satzes  hervoi hebe,  erkenne 
ich  das  von  Ries  aufgestellte  prineip  (hier  b.  513)  keines 
an.    Gerade  da.  wo  mehrere  bestimmungen  in  freier,  Bonst 
ungewöhnlicher  weise   zu  einem  inhall  treten,  nämlich  beim 
infinitiv  u.s. w..  da  sind  es  bowo!  notwendige  als  auch  •;: 
bestimmungen   ohne   unterschied.     Die  enge   der   zusammen- 
gehörigkeil   spielt    somit    hier    keine    rolle.      Dazu    stimmt    es 
auch,   dass  wir  beim  verbum  finitum   nur   negativ   angeben 
können,  dass  es  durch   seine  Stellung  zu   keinem  satzteü  in 
eine  besondere  beziehung  tritt,  ganz  gleich  ob  es  mit  dii 
soii^t  in  einer  engen  oder  einer  freien  beziehung  steht.    End- 
lich gibt  es  nominale  einheiten,  deren  teile  lange  nicht  so  eng 
verbunden  sind  wie  ein  verbum  finitum  mit  seiner  notwend 
bestimmung.    [ch  kann  ■/..  l».  im  allgemeinen  von  einer  eigen- 
schatt    viel   »her  absehen,   wenn    ich   den   damit    behafteten 

m8tand  nenne  als  von  eiiiei-  sache.  dii  ZU  einer 

handlung  ist,  wenn  ich  von  derhandlung  reda    Das  adjeetiv, 
das  die  eigenschaft  bezeichnet,  bildet  jedoch  mit  Beinern  sub- 

Btantiv  eine  und  zwar  eine  teste  einheit,  verbum  finitum  und 
objeet  dagegen  zwei. 

Schliesslich   ist    noch   zu   erwähnen,   dass  Batzteile,   die 


520  BLÜMEL 

notwendig  zum  satze  gehören  (namentlich  subject,  object,  prä- 
dicat),  nur  unter  ganz  bestimmten  bedingungen  nach  dem  satz- 
schlusse  stehen  können,  während  'freie'  bestimmungen  viel 
leichter  nachgetragen  werden  können.  Ich  kann  darauf  nicht 
näher  eingehen,  doch  muss  ich  darauf  hinweisen,  dass  auch 
dieser  unterschied  keinen  beweis  dafür  abgibt,  dass  das  Eies'sche 
princip  im  nhd.  geltung  hat. 

Die  nhd.  wortstellungsgesetze.1) 

Ries  hat  entschieden  recht,  wenn  er  s.  6  ff.  die  bezeichnung 
'freie'  Wortstellung  ablehnt. 

Wundt  s.  356  sagt:  'denn  in  jenen  (den  beiden  classischen 
sprachen)  ist  die  macht  der  tradition  noch  geringer,  die  Wort- 
stellung daher  eine  freiere:  sie  kann  leichter  in  jedem  moment 
den  gerade  herschenden  psychischen  motiven  folgen.' 

Das  heisst  aber  doch  nichts  anderes,  als  da>s  in  diesen 
beiden  sprachen  die  Wortstellung  ganz  besonders  von  psycho- 
logischen gesetzen,  also  doch  von  gesetzen,  abhängig  ist.  'Im 
grammatischen  sinne  frei'  ist  doch  nicht  dasselbe  wie  'schlecht- 
hin frei';  ebensowenig  kann  eine  grammatisch  gebundene  Wort- 
stellung frei  heissen,  soweit  sie  nicht  mit  der  psychologischen 
gliederung  übereinstimmt. 2) 

Die  bezeichnung  'freie  Wortstellung'  für  eine  durch  psycho- 
logische gesetze  gebundene  scheint  ihre  berechtigung  in  dem 
umstand  zu  haben,  dass  sie  sich  an  die  grammatische  function 
der  anzuordnenden  glieder  zunächst  nicht  kehrt.  Dadurch  ent- 
steht aber  keine  Unordnung,  vielmehr  liegt  eine  Ordnung  nach 
der  psychologischen  function  der  Satzglieder  vor,  die  von  der 
grammatischen  vielfach  abweicht. 

Zwei  gesetze  können  sich  durchkreuzen,  es  kann  aber  auch 
eine  anordnung  von  zwei  gesetzen  bedingt  sein.  Natürlich 
können  auch  mehr  als  zwei  gesetze  in  einem  falle  in  betracht 
kommen. 


*)  Vgl.  dazu  Sütterlin  namentlich  s.  292  ff. 

2)  'Frei'  als  eigeuschaft  der  Wortstellung  soll  bei  Wundt  offenbar  be- 
deuten 'frei  im  grammatischen  sinne'.  Vgl.  s.  359  und  360.  Dort  spricht 
Wundt  von  einem  psychologischen  princip  oder  gesetz  —  das  ich  in  Wundts 
formulierung  freilich  nicht  anerkennen  kann  — ,  das  bei  'freier'  Wortfolge 
geltung  habe. 


DIE   AUFGABEN    DES   XIID.    WORT8TELLÜNG8LEHBE.         ".21 

Jede  psychologische  Function,  durch  welche  eine  bestimmte 
Btellong  bedingt  ist,  stellt  mit  einer  reihe  grammatischer  funo- 
tionen  in  besonders  enger  beziehung,  die  <\<-*  8  /..  b.  mit  der 
des  grammatischen  subjects,  des  accusativ-  und  des  dativobjects, 
der  orts-  and  der  Zeitbestimmung.  Schon  daraus  ergibl  sich 
die  möglichkeit  der  entstehung  einer  grammatisches  Kategorie 
in  der  Wortstellung  ans  einer  psychologischen. 

Anderseits  steht  die  grammatische  kategorie,  z.  b.  die  sub- 
jectsfunction  der  vorangestellten  obereinheit,  mit  der  psycho- 
logischen, ihrer  function  als  8,  dadurch  in  beziehung,  dass 
grammatisches  subject  und  S  oft  zusammenfallen  und  zwar 
auch  in  der  anfangsstellung.  Dadurch  erhält  die  grammatische 
kategorie  eine  Verstärkung. 

Schliesslich  wirken  auch  gewisse  psychologische  factoren 
bei  der  anordnung  eines  jeden  satzes  mit,  ob  diese  durch 
grammatische  oder  psychologische  oder  durch  grammatische 
und  psychologische  gesetze  bedingt  ist.  Die  anordnung  erfolgt 
nämlich  nach  einem  schema. 

Grammatisch  ist  das  gesetz  der  verbstellung:  je  nach 
der  function  des  eröffnenden  Satzteils,  der  beginnenden  ober- 
einheit. steht  es  bald  zwischen  dem  ersten  Satzteil  und  allen 
übrigen  obereinheiten,  bald  vor,  bald  nach  der  masse  der  übrigen 
obereinheiten. 

Ivs  mag  schon  hier  erwähnt  werden,  dass  wer  mit  Braune 
(s.  34)  die  Stellung  des  finiten  verbs  als  den  Kernpunkt  der 
deutschen  wortstellunirslelnv  betrachtet,  die  woristrllungs- 
typen  in  der  reihenfolge  bringen  musste,  dass  I  die  anfangs- 
Btellung  des  verbs.  II  sinne  binnenstellung,  III  seine  end- 
stellung  bedeutete,  wie  dies  Th.  .Matthias  tut  (Handbuch 
der  deutschen  spräche  M  B.85ff.).  Die  anordnung  der  typen 
nach  Brdmanna  ivJ.  Braune  a  38  f.  (binnenstellung  [»anfangs- 
Btellung  IL  endstellung  Uli  bringt  einen  andern,  hier  störenden 
gesichtspunkl  herein,  den  der  Wichtigkeit  und  der  Verwendung 
der  typen.  Dieser gesichtspunkt  boU  in  der  tat  den  ausschlag 
geben,  aber  Bobald  die-  anerkannt  ist.  muss  die  frage  auf- 
geworfen werden:  ist  der  andere  gesichtspunkt  —  anordnung 
der  typen  nach  der  verbstellung    -  überhaupt  anwendbar,  ist 

Dicht   ein  anderer  aufzustellen,  der  sich   mit   dein  gesichtspunkt 

der  Wichtigkeit   und  der  Verwendung  der  typen  vereinbaren 


522  BLÜMEL 

lässt,  und  im  anschluss  daran  die  andere  frage:  ist  die  verbstel- 
lung  wirklich  der  kernpunkt  der  deutschen  wortstellungslehre? 

Dagegen  ist  das  gesetz  der  gliederung  vielfach  psj^cho- 
logisch. 

Wo  die  gliederung  den  ganzen  satz  erfasst,  stellt  sie 
dessen  eckpfeiler  auf:  morgen  gehen  ivir  in  die  Sommer- 
frische, oder  sie  stellt  einer  obereinheit  den  übrigen  satz- 
inhalt  gegenüber:  dem  sieger  wurde  von  einer  dame  der 
ehrenpreis  übergeben. 

Die  gliederung  ist  also  meistens  für  den  satzanfang  ver- 
antwortlich, sie  bedingt  z.  b.,  dass  die  obereinheiten  der  demon- 
strativ- und  personalpronomina  so  häufig,  die  der  frage-  und 
relativpronomina  immer  den  satz  eröffnen. 

Auch  die  gliederung  eines  satzstücks  kann  in  der  Stel- 
lung der  obereinheiten  ihren  ausdruck  finden,  vgl.  z.  b.  gib  dem 
bettler  das  brotl  (ivas  soll  ich  dem  bettler  geben?)  und  gib  das 
brot  dem  bettler!  {wem  soll  ich  das  brot  geben?).  In  dem  satz- 
stück nach  gib  ist  im  ersten  satz  bettler,  im  zweiten  brot  das  S, 
die  folgende  obereinheit  das  P. 

Die  gliederung  kann  obereinheiten,  die  sonst  nahe  bei- 
einanderstehen, weiter  auseinander  rücken,  z.  b.  schön  ist  er 
gar  nicht. 

In  allen  diesen  fällen  kann  das  verbum  finitum,  wenn  es 
an  zweiter  stelle  steht,  durch  seine  Stellung  zwischen  einer 
obereinheit  am  satzanfang  und  einer  andern  obereinheit  oder 
andern  obereinheiten  nach  dem  verbum  finitum  —  mittelbar  — 
der  gliederung  dienen,  eben  dadurch,  dass  es  den  einen  inhalt 
von  dem  andern  trennt.  Das  tritt  um  so  deutlicher  hervor, 
je  'farbloser'  der  inhalt  des  verbums  ist,  je  mehr  es  nur  der 
Verknüpfung  dient.  Dabei  ist  aber  zu  beachten,  dass  das 
verbum  finitum  in  seiner  Stellung  durch  ein  anderes  gesetz 
als  das  der  gliederung  bedingt  ist  und  dass  bei  der  gliederung, 
wenn  es  sich  um  eine  trennung  handelt,  die  tatsache  der  tren- 
nung,  nicht  die  funetion  der  trennenden  obereinheit  oder  ober- 
einheiten in  betracht  kommt. 

Umgekehrt  kann  die  gliederung  zwei  obereinheiten,  die 
eine  psychologische  einheit  bilden,  aber  grammatisch  getrennt 
sind,  zusammenbringen.  Wird  diese  Stellung  ständig,  so  ent- 
steht eine  neue  grammatische  einheit.     Hierher  gehört  dem 


DIE  AUFGABEN  DER  NHD.   W0RT8TELLUNG8LEHBE.         523 

vater  sein  kut  und  die  Stellung  von  sich  unmittelbar  vor  dem 
inlinitiv  oder  particip  perfect  im  H,  vor  dem  verbum  finitum 
im  N,  s.  516  f. 

Mit  der  gliederung  hängen  noch  andere  erscheinungen 
zusammen: 

Zwei  obereinheiten,  die  in  einer  gewissen  be- 
ziehung  zu  einander  stehen,  haben  unter  sich  un- 
beschadet ihrer  function  eine  feste  Ordnung. 

So  steht  die  gruppe,  die  ein  Possessivpronomen  enthält, 
oder  die  gruppe,  bei  der  man  ein  solches  setzen  könnte,  ersl 
dann,  wenn  der  inhalt,  auf  den  sich  das  Possessivpronomen 
bezieht,  schon  genannt  ist,  oder  sich  aus  Zusammenhang  oder 
Sachlage  ergibt  (dieses  gesetz  gilt  nicht  bloss  im  satz,  sondern 
auch  in  der  obereinheit:  der  feldkerr  und  sein  heer).  Dass  es 
auf  die  function  der  einzelnen  einheiten  nicht  ankommt,  zeigt 
folgende  tatsache:  das  subject  steht  gewöhnlich  vor  den  übrigen 
obereinheiten.  Steht  aber  bei  dem  subject  das  Possessivpronomen 
der  3.  person  sein  oder  ihr,  so  gilt  das  eben  erwähnte  gesetz, 
dass  sein  erst  nach  der  obereinheit  stehen  darf,  auf  das  es  sich 
bezieht,  wenn  diese  obereinheit  zum  ersten  mal  in  diesem  satz 
auftritt1)  Da  aber  sein  oder  ihr  von  seiner  höheren  einheit 
nicht  zu  trennen  ist,  so  ist  hier  die  Stellung  der  höheren  ein- 
heit, der  obereinheit,  durch  die  anordnung  der  niedern,  der 
Untereinheit,  bedingt.  Es  heisst  also  dem  reisenden  wurde  sein 
gehl  gestohlen.  Im  spätem  verlauf  der  erzählnng  kann  dann 
gesagt  werden:  sein  gehl  aber  sah  er  nie  wider,  weil  man 
schon  weiss,  auf  wen  sein  geht  Die  gruppen,  welche  mein, 
unser,  dein,  euer,  ihr  (als  Possessivpronomen  der  angeredeten 
person)  enthalten,  linden  ihre  erklärung  schon  aus  der  Bach- 
lage, können  also  jederzeit  voranstellen  (soweit  dies  durch 
andere  gesetze  bedingt  ist). 

Entsprechendes  gilt  von  sich,  sowie  von  den  reflexiven 
mir  m'nh  d>r  dich  u.s.w.,  und. einander.  Ehre bedentnngeD  sind 
unter  .sich  verwant.  die  bedeutum:  von  sich  mit  der  von  sein. 
Deshalb  kann  man  wol  sagen,  da>s  anch  ihnen  der  bestimmte 
inhalt  vorausgehen  mnss,  durch  den  ihre  beziehong  klar  wird. 

')  In  dichterischer  spräche  gilt  dieses  geeeti  nicht,  in  der  gewählteren 
prosaischen  »rird  es  vielfach  rernachlä  - 

Beiträge  zur  geschieh te  Uer  deutschen  spräche.     XXXV.  ^J. 


524  BLÜMEL 

Tatsächlich  steht  einander  wol  nur  in  bestimmten,  selten  ein- 
tretenden fällen  am  satzanfang,  sich,  ebenso  das  reflexive  mir, 
mich  u.s.w.  wol  nur  dann,  wenn  es  stark  betont  (und  in  seiner 
beziehung  schon  bekannt)  ist.  Hier  kann  also  nur  das  reflexiv 
als  object  stehen,  Paul,  Principien  s.  281.  Sich  hat  er  betrogen, 
nicht  uns.  Das  unterscheidet  sich  (und  einander)  von  mir,  mich 
u.s.w.,  soweit  diese  nicht  reflexiv  gebraucht  werden,  sondern 
persönlich.  Man  wird  also  hauptsächlich  an  die  reflexivfunetion 
denken  müssen,  bei  einander  wol  auch  an  die  entstehung  dieses 
Wortes;  wenn  die  reflexiven  pronomina  wegen  ihrer  dativ-  und 
aecusativfunetion  allein  nicht  am  anfang  des  satzes  stehen 
könnten,  so  wäre  es  nicht  zu  verstehen,  weshalb  dies  bei  den 
persönlichen  so  oft  vorkommt,  auch  wenn  sie  im  dativ  oder 
aecusativ  stehen.  Es  ist  aber  noch  hervorzuheben,  dass  sich 
einem  rhythmischen  gesetz  zufolge  im  satzinnern  vor  dem  sub- 
jeet  stehen  muss,  sobald  dies  stark  genug  betont  ist;  ein  schwach 
betontes  dieser  hat  schon  das  sich  vor  sich  (dagegen  heisst  es 
er  sich,  sie  sich,  ebenso  ich  mich,  du  dich  u.s.w.  nach  dem 
gesetz  der  funetion). 

Hierher  gehört  es  wol  auch,  wenn  das  prädicat  hinter 
dem  subjeet,  der  prädicative  aecusativ  hinter  seinem 
aecusativ1),  wenn  der  Satzteil  mit  'persönlicher' bedeutung 
vor  dem  Satzteil  mit  'sachlicher'  bedeutung  zu  stehen  pflegt, 
also  der  persönliche  aecusativ  vor  dem  sachlichen  bei  lehren, 
fragen,  das  dativobjeet  vor  dem  aecusativobjeet,  das  aecusativ- 
objeet  vor  dem  genetivobjeet,  die  objeete  überhaupt,  die  viel- 
fach persönlich  sind,  vor  den  übrigen  meist  sachlichen  be- 
stimmungen. 

Man  sieht  übrigens,  dass  namentlich  im  letzten  fall 
auch  die  funetion  der  einzelnen  obereinheiten  den  ausschlag 
geben  kann. 

Ferner  kann  eine  obereinheit,  wenn  sie  besonders 
betont  werden  soll,  an  eine  ungewöhnliche  stelle  ge- 
rückt werden  und  zwar  sowol  weiter  nach  vorn  als 
auch  weiter  nach  hinten. 

(Es  ist  fraglich,  wie  weit  man  berechtigt  ist  zu  sagen: 


x)  Hieran  schliesst  sich  die  anordnung  des  aecusativobjeets  oder  passiven 
subjeets  vor  gewissen  ' prädicativen '  bestimmungen  mit  als,  für,  zu;  auf, 
z.  b.  betrachten  als,  erklären  für,  wählen  zu;  festsetzen  auf. 


DIK  AUFGABEN   DBB   MII>.   W0BTSTBLLü1?G8LBHBE. 

zwei  inhalte  können  ihre  gewöhnliche  Btellnng  ver- 
tauschen, wenn  ihr  betonungsverhältnis  stark  von 
den)  gewöhnlichen  abweicht.) 

Ee  Ist  Erdmann  i>.  190)  darin  recht  zu  geben,  allerdings 
nicht  für  alle  falle,  dasa  die  letzte  Btelle  des  Batzes  eine  be- 
vorzugte ist  und  besonders  betonten  Satzteilen  angewiesen  ist 
Es  ist  auch  richtig,  dass  ein  aufsparen  auf  den  schlnss  die 
Spannung  erhöht:  ein  so  vorbereiteter  Inhalt  liiuss  besonders 
stark  wirken  (und  plötelich  stand  vor  seinem  throne  —  das 
hässliche  kamel  Lessing,  Fabeln  15).  Vgl.  in  der  umgai 
Bprache:  ich  mache  die  tür  auf  —  steht  da  vor  der  tut 
baumlanger  maisch!  Binauszögerung  eines  inhalts  zur  er- 
höhnng  der  spannnng  i>t  ein  in  der  Umgangssprache  ziemlich 
gebräuchliches  mittel:  und  wie  ich  in  Genf  aussteige,  wer 
glaubst  du  dass  da  auf  dem  perron  steht?  Nun,  rat  einmal! 
— :  X.  N.  Vgl  auch  die  beiden  Sätze  mit  dem  bettler  und 
dem  brol  B.522.  Die  nachgestellte  einheit  ist  hier  jedesmal 
Märker  betont. 

Die  wähl  von  zwei  sehr  häufigen  und  sehr  heftig  an- 
gegriffenen türmen  für  inhalte  mit  H-eigenschaft,  nämlich  der 
angehängten  relativsätze  und  der  Infinitive  mit  um. ..tu,  ist 
wenigstens  zum  teil  dadurch  bedingt,  dass  hier  in  vielen  fällen 
der  inhalt  de.>  verbums  stark  betont  ist  und  am  Schlüsse  des 
Batzes  stein.  Vgl  das  luftschiff  fuhr  bis  eu  einer  freien  stelle 
in  der  nähe  von  ....  wo  es  um  neun  uhr  glatt  landete]  das 
luftschiff  fahr  noch  einige  ~cit  mit  dei  propeüer  w< 

um  dann  um  neun  uhr  glatt  eu  landen.  In  beziehung  damit 
steht  e  wähl  dieser  formen  es  erlaubt,  den  inhalt 

verba  onzersplittert  and  daher  durch  sein  ungeteiltes 
auftreten  in  voller  form  wirksame]-  als  sonst  zu  erhalten  und 
Doch  dazu  an  einer  'bevorzugten'  stelle  Vgl.  wir  bestiegen 
d>  >i  eng  nach  "Frankfurt;  dort  kamen  wir  um  vier  uhr  an 
und  ...  no  wir  uni  vier  uhr  ankamen,  ...  dort  fuhren  wir 
nach  hurwem  aufenthaU  wider  ab  und  ...  um  dort  nach  km 
aufenthaU  wider  ab  eu  fahren. 

Somit  gilt  nicht  allein  das  'prineip  der  stärkeren  betonnng 
des  vorangehenden  gliedes'  Wandt  s.3£      v*gL  Barth  B.22IL, 

•  11  aSO  (vom  lateinischen):  'wo  aber  ein  satstei]  betont 
und  darum  an  den  auf  ■  tat  wird,  tritt  Völlige  Inversion  ein.' 


526  BLÜMEL 

Mir  scheint,  Wundt  fasse  'betont'  als  'für  den  sprechen- 
den augenblicklich  besonders  wichtig  und  daher  zuerst  aus- 
gesprochen'. Fasst  man  aber  'betont',  wie  es  üblich,  hier  als 
'besonders  stark  betont  im  vergleich  mit  den  übrigen  Satz- 
teilen', so  ist  das  vorausgehende  Satzglied  als  gewöhnlich  nicht 
betont  zu  bezeichnen.  Sehr  oft  beginnt  ein  satz  mit  einem 
schon  bekannten  inhalt,  und  dieser  wird  gewöhnlich  nicht 
betont.  Es  ist  auch  gar  nicht  richtig,  dass  'stets  der  gegen- 
ständ, über  den  eine  erklärung  abgegeben  werden  soll  —  der 
ja  gewöhnlich  vorausgeht  —  am  stärksten  betont  ist'  (Wundt 
ebenda).  Dieser  gegenständ  ist  gewöhnlich  S  und  als  solches 
schwächer  betont  als  P.  Vgl.  Paul,  Principien  s.  127  f.,  anm.  3. 
Nur  wenn  auf  eine  erklärung  besonderer  wert  gelegt  wird, 
dann  wird  der  gegenständ  der  erklärung  stärker  betont  als 
gewöhnlich,  aber  auch  nur  gleich  stark  wie  die  aussage. 

Gegen  Wundts  ansieht  spricht  dann  die  tatsache,  dass 
im  innern  des  nhd.  satzes  ein  gesetz  herscht,  dem  zufolge  die 
rhythmisch  leichten,  also  verhältnismässig  unbetonten  oberein- 
heiten  den  rhythmisch  schweren,  also  verhältnismässig  stark 
betonten,  selbst  ohne  berücksichtigung  der  funetion  voran- 
gehen. Es  handelt  sich  hier  keineswegs  bloss  um  mecha- 
nische Wirkung  des  rhythmus,  sondern  auch  um  schwächere  und 
stärkere  betonung  des  inhalts.  Vgl.  auch  s.  530  ff.  und  Süt- 
terlin  s.  294. 

Wundt  (s.  376  f.  anm.)  und  Barth  (s.  38)  suchen  die  Stellung 
verbum  finitum  —  subjeet,  die  in  bestimmten  fällen  eintritt, 
darauf  zurückzuführen,  dass  hier  das  verbum  finitum  stärker 
betont  sei  als  das  subjeet. 

Barths  erklärung,  dass  in  dem  Satzgefüge  NH  das  verbum 
dem  nachsatz  vorangestellt  wird,  wenn  N  und  H  gleiches 
subjeet  haben,  'weil  es  zweifellos  der  wesentliche,  weil  neue 
bestandteil  des  satzes  ist'  (s.  41),  ist  schon  deshalb  nicht  an- 
zuerkennen, weil  der  nachsatz  vielfach  noch  andere  Satzteile 
ausser  dem  subjeet  enthält,  die  wichtiger  sind  als  das  verbum 
finitum.  (Gewöhnlich  sind  alle  nominalen  Satzteile  stärker  be- 
tont als  das  verbum  finitum,  wenn  sie  nicht  selbst  enklitisch 
sind.)  Gegen  diese  erklärung  von  Barth  spricht  auch  die  tat- 
sache, dass  gerade  die  so  häufig  vorkommenden  hilfsverba  und 
die  verba  des  sagens  und  denkens,  die  gerade  in  der  hier 


DIK   AlltJAliKN    l»i;i;    MII).   W0RT8TELLDNGBLBHRE. 

erwähnten  si'-llimg  —  sagte  er,  n  -ehr  häufig  Bind, 

enklitisch,  also  Bchwachbetonl  Bind. 

Man  kann  sich  die  Bache  demnach  so  vorstellen:  das  verbum 
finitum  schloss  sich   in  der  mehrzahl  der  fälle  enklitisch  an 
den  vorhergehenden  X  an,  darauf  folgten  die  abrigi 
teile,  anter  diesen  das  subjecl  gewöhnlich  an  erster  Btelle. 

Wir  können  zum  vergleich  die  fälle  in  der  heutigen  spräche 
heranziehen,  wo  nach  dem  \"  nicht  die  jedesmal  grammatisch 
bedingte  Stellung  verbum  finitum-subjeet  eintritt,  sondern  wo 
abweichend  davon,  durch  psychologische  gesetze  bedingt, 
das  Bubjeet  oder  eine  andere  obereinheit  des  nachsatzes  vor 
dem  verbum  finitum  gesetzt  ist.  Hier  ist  es  aber  nur  in  den 
weniger  zahlreichen  fällen  die  betonung  des  vorangestellten 
Satzteils,  noch  dazu  eine  viel  stärkere,  als  sie  Wundt  liier  im 
äuge  hat,  in  der  mehrzahl  der  lalle  eine  von  der  gewöhnlichen 
abweichende  bedeutung  des  Verhältnisses  Vordersatz  :  nachsatz, 

ie  die  abweichende  Stellung  im  nachsatz  veranlasst  hat 
Somit  ist  es  durchaus  nicht  notwendig  anzunehmen,  dass  der 
grund  für  die  'voranstellung'  des  verbums  in  dessen  betonung 
allein  gelegen  sei.  wenn  auch  dann  und  wann  eine  solche  be- 
sondere betonung  tatsachlich  die  voranstellung  des  verbums 
bewirkt  haben  mag  zu  einer  zeit,  wo  die  Stellung  verbum 
finitum  —  subjeet  —  übrige  Satzglieder  im  nachsatze  nicht  so 

war  als  heutzutage. 

Wenn  wir  eine  solche  entwicklung  annehmen,  dann  isl 
Barths  annähme  einer  complicierten  analogiebildung  (NB  mit 
gleichem   subjecl    soll    vorbildlich  gewesen  sein  für  NB   mit 

chiedenen  subjeeten)  gar  nicht  nötig. 

Wenn  mit  dem  augenblick,  wo  das  verbum  finitum  (\i^ 

nachsatzes   gesprochen    wird,   'ein    geftthl    der  löSUng'    eintritt 

tnflber  der  Spannung,  die  im  vorsatze  des  aussprechens 
eines  complexen  gedankens  I  isl  dii  hl  nicht 

damit  primär  zu  erklären,  dass  man  -mit   dieser  voranstellung 

•etiihl  hat,  das  notwendige  jedenfalls  gesagt  zu  haben'. 

oder   dass  man    'das  stieben  erfüllt   hat.    vom  hauptsatze  nun 

das   neueste,   wichtigste   vorauszunehmen'    Barth  b.  ii.     Ein 

BOlches  'gefühl'  mag    dann  und   wann  mit  wirken,    hier  und 

da  mag  tatsächlich  das  verbum  finitum  das  wichtigste  sein; 

aber    sicher    nicht   in  der  mehrzahl  der  fälle    oder  gar  immer. 


528  BLÜMEL 

Denn  in  einer  —  auch  verhältnismässig  grossen  —  zahl  von 
fällen  folgen  auf  das  verbum  finitum  im  nachsatze  inhalte,  die 
ihm  den  rang  in  der  genannten  hinsieht  mindestens  streitig 
machen  können.  Und  sollen  etwa  gar  die  ungemein  häufigen 
hilfsverba  das  wichtigste  im  nachsatze  darstellen? 

Die  lösung  der  Spannung  ist  vielmehr  wol  in  allen  fällen 
durch  folgenden  factor  bedingt  oder  mitbedingt: 

Das  ganze  gefüge  (Vordersatz  und  nachsatz)  ist  (heutzu- 
tage) ein  satz,  der  Vordersatz  der  funetion  nach  die  erste 
obereinheit.  Da  er  ziemlich  lang  sein  und  bis  zu  seiner 
Vollendung  ziemlich  viel  geistige  arbeit  in  ansprach  nehmen 
kann,  aber  doch  wider  ein  teil  eines  ganzen  ist,  so  erklärt 
sich  das  gefühl  der  lösung,  das  beim  aussprechen  des  H- verbums 
eintritt,  dadurch,  dass  ein  hindernis  überwunden  und  die  stelle 
des  ganzen  satzes  erreicht  ist,  von  der  aus  er  einfacher  abläuft. 

Wundt  spricht  ebenda  davon,  dass  das  lateinische  die  Stel- 
lung ingens  mons,  nicht  mons  ingens  wählt,  wenn  die  grosse 
des  bergs  betont  wird.  Hier  handelt  es  sich  um  zwei  Unter- 
einheiten, dort  um  zwei  obereinheiten  (verbum  finitum  und 
subjeet).  Viel  wichtiger  ist  aber  ein  anderer  unterschied:  die 
'voranstellung'  des  verbums  im  nhd.  nachsatze  ist  das  ständige, 
die  des  lateinischen  adjeetivs  dagegen  nicht.  — 

Auch  das  nachholen  von  ober-  und  Untereinheiten 
nach  dem  satzende  oder  nach  ausdrücken  mit  zu,  um 
...zu,  ohne...  zu  hängt  mit  dem  gesetz  der  gliederung  zu- 
sammen, namentlich  das  nachholen  von  N-en  und  H-en  und 
ausdrücken  mit  zu,  um . .  .zu,  ohne  . . .  zu. 

Darüber  vielleicht  einmal  an  einer  anderen  stelle. 

Um  die  Wirkung  der  folgenden  gesetze  —  und  des  gesetzes 
der  gliederung,  soweit  es  im  satzinnern  wirkt  —  zu  erkennen, 
ist  es  notwendig,  den  satz  (willkürlich)  in  drei  gebiete  zu 
zerlegen.  Diese  treten  freilich  nur  in  Sätzen  hervor,  die  be- 
stimmte Satzteile  enthalten. 

Auf  alle  andern  nichtverbalen  Satzteile  folgen 
ständig  infinitiv  oder  partieip  perfect,  diesen  der  infinitiv  oder 
das  partieip  perfect,  von  dem  sie  abhängen  (das  gilt  auch, 
wenn  sich  das  abhängigkeitsverhältnis  widerholt).  In  ent- 
sprechender weise  steht  nach  den  nominalformen  des  verbs  im 
X  das  verbum  finitum,   von  dem  sie  abhängen.    Vor  dem  in- 


DIB   AUFGABEN    DBB   BTHD.   WOBT8TBLLUNG8LBHBE.        529 

finitiv  steht,  wenn  nötig,  eu.    Vor  dieser  d  >hen  die 

bestimmungen,  welche  mil  dein  verbum  linitum  onfeste  Zu- 
sammensetzungen eingehen,  also  die  präpositionaladverbien 
wie  ab,  auf,  bestimmungen  wie  eu  gründe  (ric)  hlittschuh 

(laufen)]  in  antoendung  (bringen),  davor,  wenn  möglich,  die 
obereinheit  des  prädicatsnomens  oder  das  prädicative  attribut, 
und  ähnliche  bestimmungen  (prädicativer  accu  iv,  bestim- 
mungen mit  als  im  accusativ  "der  nominatiy,  mil  eu,  für  u.s.w., 
vgl  s.  524  anm.,  da/u  frei  in  frei  häufen  u.s.w.);  davor  die 

einheiten  der  negationen  (kein  gehört  natürlich  nichl  hier- 
her), z.  1).  (noch,  gar)  nicht,  nie  (wider),  nicht  mehr,  wenn  sie 
zum  ganzen  satz  gehören. 

sind  alle  diese  obereinheiten  ausgesprochen,  dann  ist  der 
satz  mit  der  letzten  regelrechl  abgelaufen;  was  dann  noch 
nachkommt,  gilt  als  nachträglich  hinzugefügt  oder  als  nach- 

»lt 

Wenn  wir  von  den  bekannten 'ausnahmen1  in  der  Stellung 

Lniteu  verbs  absehen,  z.  b.  weil  er  nicht  hat  hören  wollen..., 
—  daneben  auch  weil  er  nicht  hören  hat  wollen...,  —  so  ist 
zu  Bagen: 

Die  hier  angegebene  Stellung  ist  grammatisch  durch  die 
Function  bedingt  und  wird  nur  gelegentlich  verändert,  z.  b. 
wenn  nicht  u.s.w.  zu  einem  weiter  vorne  stehenden  Satzteil, 
nicht  zum  ganzen  satz  gehört,  im  Cragesatz  und  ausrufesatz, 
wenn  nicht  'unlogisch1  ist.  wenn  das  prädical  oder  eine  nominal- 
form des  verbums  an  dii  Satzes  kommt. 

Zum  anfangsgebiet  gehören  im  II  nur  das  verbum  nni- 
tum    und    der   etwa   vor   ihm  stehende  satzteil,   etwa  mit  dem 

omen-  oder  pronimaladverb,  das  ihn  aufnimmt:  mein  freund 
abend  da .... 

Im  \  gehör!  hierher  nur  die  erste  obereinheil  (die  des 
einleitenden  pronomens  oder  die  unterordnende  conjunetion). 

Das  verbum  finitum  Eolgl  im  anfangsgebiet,  wenn  es  nicht 

•  t   den  satz  eröffnet,  auf  dii  obereinheil  nach  dem 

grammatischen  gesetz  der  verbstellung. 

Wenn   eine   beiordnende  conjunetion   nach  der  ersten 
obereinheit   steht,  kann  sie  nur  rhythmisch,  als  schallmi 
zum  anfangs  anel  werden,  notwendig  is1  dies  nur, 


530  BLÜMEL 

wenn  sie  zwischen  der  ersten  obereinheit  und  dem  verbum  fini- 
tum  (im  H)  steht.  *) 

Das  zwischen  diesen  beiden  gebieten  liegende  gebiet  ist 
ein  kampfgebiet,  in  dem  sich  die  gesetze  der  gliederung, 
des  rhythmus  und  der  function  z.  t.  durchkreuzen. 

Gliederung  und  rhythmus  wirken  oft  zusammen,  aber 
nicht  immer.  Für  den  fall,  dass  sie  nicht  zusammenwirken, 
vgl.  man  hörte  die  zwei  sich  streiten  (hier  siegt  die  gliederung) 
und  ivenn  sich  die  zwei  streiten  . . .  (hier  siegt  der  rhythmus; 
daneben,  mit  ein  Wirkung  der  gliederung:  wenn  die  zwei  sich 
streiten  . . . ). 

Die  obereinheiten,  die  dem  rhythmus  nach  leichter, 
schwächer  sind,  rücken  im  kampfgebiet  nach  vorn,  die  schwe- 
reren, stärkeren  nach  hinten.  Es  heisst  also  (unbekümmert 
um  die  function):  endlich  fand  er  den  freund  und  endlich  fand 
ihn  der  freund.  (Schon  das  spricht  gegen  Wundts  theorie, 
dass  voranstellung  betonung  bedeute;  freund  ist  in  beiden 
fällen  stärker  betont  als  das  vorausgehende  pronomen.  Es 
handelt  sich  hier  nicht  nur  um  enklitischen  anschluss  von  er 
oder  ihn  an  fand,  sondern  auch  um  rhythmische  anordnung 
von  er  und  den  freund,  ihn  und  der  freund,  freilich  im  an- 
schluss an  fand). 

Die  genauere  abgrenzung  der  enklitischen  glieder  gegen- 
über ihren  nicht  enklitischen  doppelformen  und  andern  nicht 
enklitischen  obereinheiten  —  soweit  dies  möglich  ist  —  und 
genaueres  über  ihre  anordnung  unter  sich  ist  erst  noch  fest- 
zustellen. Dabei  spielen  verschiedene  factoren  mit,  z.  b.  die 
zahl  der  enklitischen  glieder,  ihre  lautgestalt,  namentlich  die 
silbenzahl  des  einzelnen  glieds,  enklitische  oder  nicht  enklitische 
natur  der  vorausgehenden  einheit,  endlich  function  und  geschicht- 
lich bedingte  erstarrung,  vgl.  Sütterlin  s.  294. 

Im  allgemeinen  gelten  die  rhythmisch  schwachen  glieder 
zunächst  nur  als  schallmassen,  die  sich  enklitisch  an  das 
anfangsgebiet  anschliessen.  Auch  beiordnende  conjunctionen, 
soweit  sie  im  satzinnern  (und  hier  nicht  zwischen  der  ober- 
einheit am  satzanfang  und  dem  verbum  finitum)  stehen,  sowie 
obereinheiten  wie  gar,  etwa  rechnet  man  am  besten  lediglich 

*)  Vgl.  s.  530  f. 


DIK   AUFGABEN    DEB    NIM).    VVOKTSTHLUXOSLKHKE.  531 

als  schallmassen  hierher.  (Zwischen  der  ersten  obereinheit 
und  dem  verbum  linitum  (oder  nach  deren  erster  Untereinheit) 
steht  die  beiordnende  conjnnction  anch  nur  infolge  enklitischen 
anschlusses.) 

Anordnung  nach  der  Function  zeigl  sich,  wenn  z.  b.  mir 
nur  er  mich,  du  mir  U.8.W.  geläufig  ist,  das  subject  also  hier 
immer  voranstellt,  namentlich  dann,  wenn  seihst  das  stark- 
betonte  pronominale  subject  vor  dem  unbetonten  pronominalen 
object  stellen  kann:  hast  du  ihn  gesehen? 

Man  könnte  diese  rhythmisch  leichten  glieder,  soweit  sie 
als  enklitische  schallmassen  gleich  hinter  dem  anfangsgebiet 
stehen,  diesem  gebiet  zurechnen,  wenn  nicht  bei  ihnen  das 
gesetz  der  Function  geltung  hätte  wie  auch  sonst  im  kampf- 
gebiet  —  Ist  in  dem  kämpf  gebiet  die  Wirkung  des  rhythmischen 
Unterschiedes  und  der  inneren  gliederung  —  soweit  möglich 
—  ausgeschaltet,  so  ordnen  sich  die  obereinheiten,  die  nach 
dem  anfangsgebiet  stehen,  ihrer  function  entsprechend. 

Erdmann  behauptet  s.  189,  die  anordnung  nominaler  Satz- 
teile nach  dem  verbum  sei  völlig  frei,  wenn  sie  gleiche  Wich- 
tigkeit für  die  rede  und  gleichen  tonwert  hätten. 

Dass  Erdmann  mit  dieser  annähme  nicht  recht  hat,  zeigen 
namentlich  die  beispiele,  in  denen  die  Wirkung  des  rhythmus 
und  der  gliederung  soweit  möglich  ausgeschaltet  sind. 

Nehmen  wir  z.  b.  an,  es  weide  von  einem  kämpfe  eines 
ritten  mit  einem  Türken  berichtet,  das  interesse  soll  sich 
beiden  gleichmassig  zuwenden.  Der  ausgang  des  Kampfes 
wird  dann  mit  den  Worten  erzählt:  endlich  besiegte  der  rittcr 
ihn  Türken  oder  endlich  besiegte  <l>  r  Türke  den  rittcr.  Vgl. 
die  anderen  Stellungstypen:  hat  der  rittet  rken  oder  der 

Türke  den  ritter  besiegt?  Wenn  dir  ritter  <ii >/  Türken  besiegt 
hätte  ...  IC///;/  der  Türke  den  ritter  besiegt  hätte  ...  (und 
der  ritter  besiegti  i  irken        der  Türke  besiegte  den  ritter). 

i « 1 1  glaube,  eine  andere  Btellung  als  hier  (subject  —  aecusativ- 

i.  Dämlich  aecusativobjeet — subject)  ist  im  und.  in  dem 
vorliegenden  falle  nicht  möglich.  Vgl.  auch  die  feste  Stellung 
der  enklitischen  obereinheiten  '/•  mich  u.s.  w. 

Aueli    in    dem  satZLrebiet .    das  auf   das  Kampfgebiet   folgt, 

herscht  das  funetionsgesetz,  vgl.  /.  i>.  die  Ordnung  der  nominal- 


532  BLÜMEL 

formen  des  verbs.  Im  anfangsgebiet  herscht  das  functions- 
gesetz  im  H,  wenn  das  subject  der  erste  Satzteil  ist. 

Das  eigentliche  grammatische  stellnngsgesetz  ist  somit 
das  gesetz  der  anordnung  nach  der  function. 

Auf  die  anordnung  der  nichtverbalen  obereinheiten  wirkt 
dieses  gesetz  unmittelbar,  soweit  es  nicht  durchkreuzt  wird 
und  soweit  es  wirken  kann  (so  ist  im  H  die  anfangsstellung 
der  nichtverbalen  obereinheiten,  die  nicht  subject  sind,  nur 
durch  die  gliederung  bedingt,  höchstens  bei  den  frageworts- 
obereinheiten  kann  mitwirkung  der  function  angenommen 
werden).  Auf  die  verbstellung  dagegen  wirkt  das  functions- 
gesetz,  soweit  das  verbum  nicht  am  anfang  steht,  nur  mittelbar, 
nämlich  (im  H  wie  im  N)  durch  die  function  der  ersten  ober- 
einheit.  Es  stehen  sich  also  gegenüber  die  masse  aller  nicht- 
verbalen  obereinheiten  und  das  verbum  finitum,  dessen  Stellung 
zu  dieser  masse  wechselt. 

Somit  ist  weder  die  Stellung  des  verbs  allein,  die  uns  über 
die  Stellung  der  übrigen  obereinheiten  nichts  sagt  und  die  selbst 
in  der  mehrzahl  der  fälle  durch  die  function  einer  anderen  ober- 
einheit  bedingt  ist,  noch  das  Stellungsverhältnis  von  subject  und 
verbum  finitum  der  kernpunkt  der  nhcl.  wortstellungslehre. 

Damit  fällt  die  berechtigung,  die  wortstellungstypen  nach 
der  verbstellung  zu  benennen  und  die  berechtigung,  dem  sub- 
ject auf  kosten  der  übrigen  nichtverbalen  Satzteile  einen  so 
hervorragenden  platz  in  der  wortstellungslehre  einzuräumen, 
wie  es  die  inversionstheorie  tut.  Das  subject  hat  einen  ge- 
wissen vorrang  vor  den  andern  nichtverbalen  Satzteilen  des 
H-es,  aber  eben  deswegen  muss  es  gerade  in  diesem  seinem 
Verhältnis  zu  diesen  andern,  nichtverbalen  Satzteilen  des  H-es 
betrachtet  werden.  Durch  diesen  vorrang  unterscheidet  es  sich 
von  ihnen,  aber  das  verbum  finitum  unterscheidet  sich  in  seiner 
Stellung  von  allen  nichtverbalen  Satzteilen,  auch  denen  des 
H-es,  und  zwar  infolge  der  bedingtheit  seiner  Stellung  zu 
seinen  Ungunsten. 

Schliesslich  ist  noch  hervorzuheben,  dass  alle  obereinheiten 
in  der  wortstellungslehre  nach  ihrer  function  zu  bezeichnen 
oder  wenigstens  zu  betrachten  und  zu  unterscheiden  sind1), 


*)  Ebenso  die  Untereinheiten. 


DIE   AUFGABEN   DBB  BHD.    W0BT8TBLLUNGSLBHBB.         533 

also  auch  infinüiv  und  particip  perfecl  (die  Function  des  ver- 
lumis  tritt  aamentlich  im  falle  der  satzfrage  hervor).  Dass 
die  form  die  Stellung  des  verbums  nicht  bedingt,  zeigt  sich 
in  der  s.507  erwähnten  erscheinung, "  dass  jeder  laut, 
lautmasse  in  bestimmte]]  fällen  in  «mimt  beschränkten  anzahl 
von  Functionen  aaltreten  kann,  die  mii  Beiner  form  gar  nichts 
zu  tun  haben  müssen.  Das  verbum  linitum  kann  (als  laut- 
masse) ebenfalls  an  diesen  Functionen  teilnehmen,  aber  gerade 
seine  fnnction  ist   hier  nicht  vertreten. 

An  dem  entstehen  der  grammatischen  kategorie  iU'.<  func- 
tionsgesetzes   ist  jedenfalls   das   der  gliederung   ursprünglich 
siligt    gewesen.     Darauf   weist   z.  b.   die   ständige    voran- 
stellung  des  subjeets  namentlich  im  satzinnern. 

Die  ahordnung  der  nichtverbalen  obereinheiten  ist  am 
deutlichsten  in  der  satzfrage  nach  dem  verbum  finitum,  und 
im  N  hinter  der  unterordnenden  conjunetion  zu  sehen.  Ich 
gebe  sie  nach  meinem  'Sprachgefühl": 

Subject,  persönliche  und  sachliche  dativbestimmung  mit 
von  beim  passiv,  dativ-,  persönliches,  sachliches  aecusativ-, 
genetivobjeet,  dann  die  übrigen  (meist  -freien")  bestimmungen 
wol  in  dieser  reihenfolge:  Zeitbestimmung  auf  die  frage  wann, 
seit  wann,  bis  wann,  wie  lange;  Ortsbestimmung  auf  die  frage 
wo,  woher,  wohin:  aecusativ  des  raumes;  bestimmung  des 
grundes;  bestimmung  der  folge;  bestimmung  der  art  und 
weise.  Darauf  folgen  die  bestimmungen  des  satzgebiet.-, 
das  sich  an  dns  kampfgebiet  anschliesst,  in  der  erwähnten 
reihenfolge. 

K>   ist  nicht  immer  klar,  ob  man  annehmen   soll,  dass 
nur  die  Function  einen  bestimmten  platz  in  der  Stellung  be- 
dingt oder  ob  eine  engere  beziehung  zu  einer  andei 
einheil  die  Stellung  mitbedingt.  Sohal  z.  b.  da  tivobjeet 

sicher  eine  enge  beziehung  zum  prädicatsaecusatrv  desselben 
satzes. 

kommen  natürlich  niemals  all  in  einem 

satze    70r. 

ü-'i   den   'freien'  bestimmun  3timmung  u.  s.  w.) 

ders  darauf  zu  achten,  da—  gei  oft  den 

anknüpfungspnnkl  für  eine  hauptgliederung  oder  inner--  gliede- 
rung abgeben.     Deshalb  sieht  so  häufig  olehe  "freie' 


534      BLÜMEL,   DIE   AUFGABEN   DER  NHD.  WORTSTELLUNGSLEHRE. 

Bestimmung  unmittelbar  nach  dem  anfangsgebiet,  aber  keines- 
wegs infolge  ihrer  grammatischen  function. 

Auch  die  anordnung  der  Untereinheiten  in  der 
obereinheit  ist  gesetzlich  bedingt,  ebenso  die  anord- 
nung der  beigeordneten  inhalte  innerhalb  des  satzes 
sowie  die  anordnung  zu  massen,  die  den  satzumfang 
überschreiten. 

Doch  damit  kann  ich  mich  hier  nicht  näher  befassen. 


Inhalt. 

Seite 

Die  aufgaben  der  nhd.  wortstellungslehre 494 

Psychologische  und  geschichtliche  behandlung    ....  498 

Wortstellung  und  wortfrage 500 

Folgerungen 507 

Abgrenzung  der  obereinheiten  im  satz 510 

Aufbau  und  zerreissung  von  einheiten 511 

Einheit  im  sinne  der  Wortstellung  und  enge  der  syntak- 
tischen Zusammengehörigkeit 513 

Die  nhd.  Wortstellungsgesetze 520 

Verbstellung 521 

Gliederung 521 

Damit  zusammenhängende  erscheinungen     .    .    .  523 

Die  drei  satzgebiete 528 

Rhythmus 530 

Function 531 

WÜRZBURG,  mai  1909.  RUDOLF  BLÜMEL. 


DVAl  GOTT   K>S(K)TK  UND  SKIN   LAND. 

Der  name  des  gottes  Fos(e)te,  Fos(i)t<  ist  uns  gut  bezeugt: 
er  wird  in  Alkuins  Vita  Sancti  Willibrordi,  in  Altfrida  Vita 
Sancti  Liudgeri  und  in  der  Hamburgischen  kirchengeschichte 

Adam  von  Bremen  genannt;  als  seine  cultst ättt-  wird  in 
allen  drei  quellen  das  Fos(e)tesland,  I  !  sland  angegeben. 
Späterhin  wird  der  name  erwähnt  in  des  Theofridus  Epterna- 
censis  (Thiofrid  von  Epternach)  'de  itinere  Sancti  Willibrordi' 
cap.  X  als  Fositesland  um  1105;  in  der  versificierten  bearbei- 
tung  der  Vita  Sancti  Liudgeri,  Letania  prima  vers  1213  ü. 
als  Fosete  und  Fosetesland  ebenfalls  zu  anfang  des  12.  Jahr- 
hunderts; in  der  um  1400  in  Holland  verfassten  gefälschten 
Vita  Suiberti  (Leibnitz,  SS.  Brunsv.  II  226)  als  'insula  Foste- 
landiae  quae  a  qnodam  deo  sno  dicto  Foste  tunc  Fostelandia 
appellabatnr'  und  dortige  'delnbra  Jovis  et  Foste\  Alle  diese 
späteren  erwähnungen  aber  beruhen  auf  der  \'ita  Willibrordi 
bez.  Liudgeri  und  setzen  auch  wol  bekanntschaft  mit  Adam 
von  Bremen  voraus:  sie  kommen  daher  für  unsere  zwecke  nicht 
weiter  in  betracht 

Unsere  gesammte  künde  beruht  also  am  berichten  der 
Vitae  und  des  Adam,  und  so  ist  ihre  vollständige  angäbe  nebsl 
Übersetzung  zur  benrteilnng  der  frage  onerlässlich. 

In  Alkuin.N  Vita  Sancti  Willibrordi  (Bibliotheca  rer. 
Germ  ed.  .Tafte  band  VI,  cap.  10,  p.  17)  heissl  es  folgender- 
massen: 

■  \'j  dum  pina  v.i i.i  Dei  praedicatoi  Itn  agebat,  pervenil  in  confinio 
Fresonnm  ei  Danonun  ad  quandam  insulam,  onae  ■  qnodam 
/    riiae,   I  ib  acoolii  terrae    i  md  appellabatar,  quia  in  et 

in  dei  Cum  tuen  Qnj  locua  .i  paganii  in  tanta  n 

tione  habebatnr,  ut  nihil  in  ea  rel  animaliam  i t > i  paaoentinni  rel  aliarnm 
quaramlibel  ramm  qniaauam  gentüinm  m  .i  fonte, 

qni  iM  ebulliebat,  aqoam  hanrire  oiai  taoeni  praeenmebat    Quo  cum  vir 


536  siebs 

Dei  tempestate  iactatus  est,  mansit  ibidem  aliquot  dies,  quousque  sepositis 
tempestatibus  oportimuui  navigaudi  tempus  adveniret.  Sed  parvipendens 
stultam  loci  illius  religionem,  vel  ferocissimum  regis  aniraum,  qui  violatores 
sacrorum  illius  atrocissima  morte  dauinare  solebat,  igitur  tres  bomines  in 
eo  fönte  cum  invocatione  sanctae  trinitatis  baptizabat;  sed  et  animalia  in 
ea  terra  pascentia  in  cibaria  suis  mactare  praecepit.  Quod  pagani  intuentes 
arbitrabantur  eos  vel  in  furorem  verti  vel  etiam  veloci  morte  perire.  Quos 
cum  nibil  mali  cernebant  pati,  stupore  perterriti  regi  tarnen  Rabbodo  quod 
videbant  factum  retulerunt.  Qui  niiaio  furore  succensus  in  sacerdotem  Dei 
vi  vi,  suorum  iniurias  deorum  ulcisci  cogitabat;  et  per  tres  dies  semper 
tribus  vicibus  sortes  suo  more  mittebat,  et  nunquam  damnatorum  sors,  Deo 
vero  defendente  suos,  super  servum  Dei  vel  aliquem  ex  suis  cadere  potuit; 
nisi  unus  tantum  ex  sociis  Sorte  monstratus  et  martyrio  coronatus  est. 
Vocabatur  vero  vir  sanctus  ad  regem  et  multum  ab  eo  increpatus  quare 
sua  sacra  violasset  et  iuiuriam  deo  suo  fecisset.    Cui  praeco  veritatis  con- 

stanti  animo  respondit:  non  est  deus,  quem  colis,  sed  diabolus Ad 

haec  rex  miratus  respondit :  video  te  minas  nostras  non  metuisse,  et  verba 
tua  esse  sicut  et  opera.  Etsi  noluisset  veritatis  praedicatori  credere,  tarnen 
ad  Pippinum  ducem  Francorum  cum  bonore  remisit  eum.' 

'Und  auf  dieser  reise  kam  der  fromme  prediger  des  wertes  gottes  an 
der  grenze  der  Friesen  und  Dänen  zu  einer  insel,  die  von  den  bewobnern 
nach  einem  gotte  Fosite,  den  sie  verehren,  Fositesland  genannt  wurde, 
weil  hier  beiligtümer  dieses  gottes  errichtet  waren.  Dieser  ort  wurde  von 
den  beiden  so  heilig  gehalten,  dass  niemand  irgend  etwas  von  dem  vieh, 
das  dort  weidete,  oder  von  sonstigen  dingen  da  zu  berühren  wagte  oder 
anders  als  schweigend  aus  der  quelle,  die  dort  sprudelte,  wasser  zu  schöpfen 
sich  gestattete.  Der  mann  gottes  blieb  hier,  durch  einen  stürm  verschlagen, 
einige  tage,  um  abzuwarten,  bis  der  stürm  sich  legte  und  günstiges  wetter 
zur  fahrt  würde.  Er  kümmerte  sich  aber  nicht  um  die  törichte  scheu  vor 
der  heiligkeit  jenes  ortes  oder  um  den  wilden  sinn  des  königs,  der  mit 
dem  grausamsten  tode  alle  zu  bestrafen  pflegte,  die  jene  heiligtümer  an- 
tasteten, und  so  taufte  er  in  jener  quelle  drei  leute  unter  anrufung  der 
heiligen  dreieinigkeit;  ja  er  liess  auch  vieh,  das  dort  weidete,  zur  nahrung 
für  die  seinen  schlachten.  Als  die  beiden  das  sahen,  glaubten  sie,  die 
würden  wahnsinnig  werden  oder  plötzlichen  todes  sterben.  Wie  sie  jedoch 
inne  wurden,  dass  denen  nichts  böses  widerfuhr,  gerieten  sie  in  schrecken, 
meldeten  aber  dem  könig  Eadbod,  was  sie  gesehen  hatten.  Der  kam  in 
grossen  zorn  gegen  den  priester  des  lebendigen  gottes  und  sann  darauf, 
die  beschimpfung  seiner  götter  zu  bestrafen ;  drei  tage  lang  warf  er  immer 
dreimal  das  los  nach  seiner  sitte;  und  da  der  wahre  gott  die  seinen  ver- 
teidigte, konnte  niemals  das  los  der  Verdammung  auf  den  knecht  gottes 
oder  auf  einen  von  den  seinen  fallen;  nur  einen  von  seinen  genossen  traf 
es1,  und  der  wurde  mit  dem  martyrium  gekrönt.  Der  heilige  mann  aber 
wurde  zum  könige  gerufen  und  von  ihm  angefahren,  weshalb  er  die  heilig- 
tümer verletzt  und  seinen  gott  beleidigt  habe.  Ihm  antwortete  der  herold 
der  Wahrheit  unerschrocken :  »nicht  ein  gott  ist  es,  sondern  der  teufel,  den 
du  verehrst«  u.  s.  w.    Da  wunderte  sich  der  könig  und  sagte :  »ich  sehe,  dass 


DEB   QOTT    P08  KTE.  537 

du  unsere  drohungen  nicht  scheust,  and  dass  deine  worte  Bind  wie  deine 
taten.  Wenn  er  aber  anoh  dem  prediger  derwahrheit  nicht  hatte  glauben 
«rollen,  bo  Baute  er  ihn  doch  mit  ehren  an  den  herzog  der  Franken,  Pippin, 
zurück.' 

Das  zweite  Zeugnis  sieht  in  Altfrids  Vita  Liudgeri 
cap. 22  (Moii.  Germ.  Scr.  ii  ll<»;  auch  hsg.  von  Diekamp,  Ge- 
schichtsquellen <l*'s  bistums  Münster  IV): 

v.To  riii.i  .-iillrrii,  doctrinae  Domini  gregi  ribi  credito  fluenta 
minifltrare  Btadnit,  fana  destmere  e1  omnes  erroris  pristini  ablnere  Bordes. 
Cnravit  qnoqne  nlterins  doctrinae  derivare  flnmina  et  consilio  ab  impei 
accepto,  transfretavit  in  conhnio  Fresonum  atqneDanornm  adqnandam  in- 
Bolam,  quae  ;i  nomine  Dei  boj  falsi  Fosete  Fosetesland1)  est  appellata.  Cni 
cum  navigando  appropinqnasset,  tenens  in  mann  Bna  crucem,  et  ad  Domi- 
num preces  cum  laudibus  fundens,  viderunt,  qui  in  ea  navi  erant,  caliginem 
tenebrosam  de  eadem  insnla  egredientem,  qua  reccdente  ma^iia  in  ea  sere- 
nitas  j'i-titit.    Tunc  vir  l><-i  ait:    Videtis,  qualiter  per  misericordiam  Dei 

itus  est  inimicus,  qui  prius  caligine  occupaverat  insulam  haue?    Per- 
renientee  autem  ad  eandem  insulam  destrnxi  runt  omuia  eiusdem  1 
fana,  que  illic  fuere  t  pro  eis  Christi  Eabricavernnt  ecclesias. 

Cumque  habitatores  terrae  illiua  fide  Christi  imbueret,  baptizavit  eos  cum 
invocatione  Trinitatis  in  fönte,  qui  ibi  ebulliebat,  in  quo  sanetus 

Willibrordus  prius  homines  tres  baptizaverat,  a  quo  etiam  fönte  nemo  prius 
haurire  aquam  nisi  tacens  praesumebat.  Cnjusdam  etiam  eorum  prineipis 
tiliiun  Landricum  nomine  aeeepit  a  fönte;  quem  Bacris  literis  imbutum  or- 
(Unavit  preebiterum.  Qui  multis  annis  genti  Fresonum  in  doctrinae  prae- 
fnit  studio.' 

•Kr  aber  war  in  eifrig  t  müht,  der  herde  des  herrn,  die  ihm 

zur  lehre  übergeben  war,  das  wasser  reiner  lehre  bu  spenden,  die  heilig- 
tflmer  zu   zerstören  und   allen   unrat   froheren   irrglaubens  fortsnspulen. 
Auch  suchte  er  den  Btrom  der  lehre  weiter  au  leiten  und,  nachdem  ei 
beim  kaiser  rat   und  Weisung  geholt  hatte,  fuhr  er  im  gl  I   der 

n  und  Dänen  nach  einer  insel  über,  die   —  nach  dum  namen 

I  hiess.    und  als  er  zu  schiffe  nahe 

herankam,  das  kreuz  in  banden,  zum  herrn  betend  und  ihn  lobpreis«  od,  da 
sahen  die  leute  im  schiffe  eine  dichte  dunkle  nebelwolke  von  der  insel 
wegziehen,  und  heiterer  himmel  bri  h  über  ihr  aus.  ■•  der 

mann  gottee:  seht  ihr,  wie  durch  die  bannhei  I  ver- 

seheucht  ist,  der  bis  dahin  mit  finsfternis  die  buel  bedeckt  hatte?  Auf 
dieser   in*  1   angelangt    zerstörten   sie   nun   alle   heiligtumer  eben 

n,  und  i  •  Christi  kirchen. 

lud  als  er  die  i><  wohner  jenes  landes  im  ohristlichen  glauben  onterriohtet 
hatte,  taufte  er  sie,  unter  snrurung  der  heiligen  dreinigkeit,  in  der  quelle, 
die  dort  sprudelte,  und  in  der  der  beilige  Willibrord  fthmneh  drei  leute 
getauft  hatte        aus  dieser  quelk  hatte  früher  niemand  -  inden 

handschrift,  ton  L  abgeschrieben). 


538  siebs 

als  schweigend  wasser  zu  schöpfen.  Auch  taufte  er  in  der  quelle  den  söhn 
eines  ihrer  fürsten,  den  Landrik;  er  unterwies  ihn  iu  der  heiligen  lehre 
und  weihte  ihn  zum  priester.  Und  der  hat  viele  jähre  dem  Friesenvolke 
die  heilige  lehre  gespendet.' 

Das  dritte  zeugnis  bietet  Adam  von  Bremen  in  den 
'Gesta  Hammaburgensis  Ecclesiae  Pontificum'  unter  der  'De- 
scriptio  Insularum  Aquilonis'  (Monn.  Germ.  Scrr.  VII  369): 

'  Archiepiscopus  vero  de  suis  clericis  ordinavit in  Funem  Eilber- 

tum,  quem  tradunt  conversum  a  pyratis  Farria[m] l)  insulam,  quae  in  ostio 
fluminis  Albiae  longo  recessu  latet  in  oceano,  primum  repperisse  constru- 
ctoque  ibi  monasterio  fecisse  habitabilem.  Haec  insula  contra  Hadeloam 
sita  est.  Cuius  latitudo  vix  octo  miliaria  panditur,  latitudo2)  quatuor, 
homines  Stramine  fragmentisque  navium  pro  igne  utuntur.  Sermo  est, 
piratas,  si  quando  praedam  inde  vel  minimam  tulerint,  aut  mox  perisse 
naufragio  aut  occisos  ab  aliquo,  nulluni  domum  redisse  indempnem.  Qua- 
propter  solent  heremitis  ibi  viventibus  decimas  praedarum  offerre  cum 
magna  devotione. 

Est  enim  haec  insula  feracissima  frugum,  ditissima  volucrum  et  pe- 
cudum  nutrix,.  collem  habet  unicum,  arborem  nullam,  scopnlis  includitur 
asperrimis,  nullo  aditu  praeter  unum,  ubi  et  aqua  dulcis,  locus  venerabilis 
omnibus  nautis,  praecipue  vero  pyratis.  Unde  accepit  nomen,  ut  Heiligland 
dicatur.  Haue  in  vita  saueti  Willebrordi  Fosetisland3)  appellari  diseimus, 
quae  sita  est  in  confinio  Danorum  et  Fresonum.  Sunt  et  aliae  insulae 
contra  Fresiam  et  Daniam,  sed  nulla  earum  tarn  memorabilis.' 

'Der4)  erzbischof  aber  ordinierte  aus  der  zahl  seiner  kleriker 

für  Fünen  den  Eilbert,  der,  wie  man  erzählt,  vor  Seeräubern  von  Farria5) 
geflohen  sein  und  eine  insel,  die  in  der  mündung  des  Elbeflusses  weitab 
im  ocean  verborgen  liegt,  zuerst  entdeckt  und  durch  anlegung  eines  klosters 
daselbst  zuerst  bewohnbar  gemacht  haben  soll.  Diese  insel  liegt  Hadeln 
gegenüber.  Ihre  länge  erstreckt  sich  auf  kaum  acht  milliarien,  ihre  breite 
auf  vier.  Zum  brennen  benutzen  ihre  bewohner  stroh  und  schiffstrümmer. 
Es  geht  die  rede,  dass  die  Seeräuber,  die  von  da  je  auch  nur  die  geringste 
beute  weggeholt  hätten,  entweder  bald  darauf  durch  Schiffbruch  umgekommen 

J)  Nach  v.Schwerin  gebessert  aus  Farriam  der  Überlieferung  vgl.,  anm.5. 

2)  Einmal  ist  hier  irrtümlich  latitudo  für  longitudo  geschrieben. 

3)  Fostisland  in  der  abschritt  (1685)  nach  einem  alten  Kopenhagener 
manuscript;  Fotislandt  in  einer  papierhandschr.  des  16.  Jahrhunderts.  Sonst 
Fosetisland. 

4)  Vgl.  die  Übersetzung  von  Wattenbach,  Geschichtsschreiber  d.  deutschen 
vorzeit,  2.  gesammtausg.  bd.  14. 

5)  Wahrscheinlich  ist  hier  (vgl.  oben  anm.  1)  mit  v.  Schwerin  Farria 
zu  lesen  und  sind  damit  die  Färöer  gemeint.  Die  frühere  ansieht,  dass  in 
Farriam  ein  alter  name  für  Helgoland  zu  sehen  sei,  wird  wol  von  niemand 
mehr  aufrechterhalten.  Hierüber  sowie  über  die  namensgleichheit  von  Farria 
und  Fer  (Föhr)  vgl.  Siebs,  Helgoland  und  seine  spräche  s.  17. 


DBB   GOTT   POS  E)TE.  539 

oder  v<>n  Irgendjemand  im  kämpf  erschlagen  seien  keiner  sei  je  ungestraft 
nach  hanse  zurückgekehrt  Deshalb  pflegen  sie  den  dort  lebenden  eremiten 
mit  grosser  ehrfurchl  den  zehnten  von  ihrer  beute  darzubrinj 

Diese  insel  nämlich  i>t  sehr  fruchtbar  an  getreide,  sehr  reich  an  i 
and  hal  aucb  vieh;  Bie  hat  nur  eine  einzige  erhebung,  bal  keinen  bäum, 
ist  von  sehr  schroffen  klippen  eingeschlossen;  nur  durch  einen  einz 
Zugang  ist  Bie  erreichbar,  and  da  ist  auch  süsses  nasser;  die  statte  stehl 
bei  alles  Beefahrern,  besonders  aber  bei  den  Seeräubern  in  Verehrung.  Daher 
hat  sie  ihren  namen  bekommen:  Heiligland  wird  Bie  genannt.  Aus  dem 
leben  des  heiligen  Willibrord  lernen  wir,  dass  Bie  Fosetisland  heisse  and 
auf  der  grenze  zwischen  dem  gebiete  der  Dänen  and  Friesen  lie^e.  Auch 
aooh  andere  inseln  liegen  Friesland  and  Dänemark  gegenüber,  aber  keine 
ist  so  beachtenswert.' 

Vergleichen  wir  diese  berichte  mit  einander,  so  ist  sofort 
klar,  dass  die  Vita  Liudgeri  —  Liudger  ist  809  gestorben, 
der  Verfasser  bischof  Aitfrid  von  .Münster  849  —  fast  wört- 
lich die  erzählung  der  Vita  Willibrordi  widerholt,  dessen  er- 
lebnisse  im  Fosetislande  am  695  anzusetzen  sind  und  von 
Alkuin  (f  804)  bereits  um  800  dargestelll  waren:  und  Adam 
von  Bremen,  der  um  1050  lebte,  berichtet  ans  eigentlich  über- 
haupt nicht  vom  Fosetislande,  sondern  Bagl  nur.  die  von  ihm 
beschriebene  insel  Heiligland  werde  in  der  Vita  Willibrordi 
Fosetisland  genannt.     Er  behauptet  liier  also  gar  nicht  selber, 

die  insel  wirklich  so  geheissen  haben  solle,  sondern  nur, 
dass  er  sie  Cur  dieses  von  Alkuin  erwähnte  eiland  halte.  Wie 
wir  at»er  Adams  berichte  kennen  und  im  besonderen  denjenigen 
aber  Heiligland  beurteilen  müssen,  so  ist  a  priori  aof  diese 
seine  zosammenschweissong  von  angaben,  die  zum  teil  mehrere 
Jahrhunderte  all  waren,  nicht  viel  zu  geben. 

Hiernach  ist  klar,  dass  man  den  in  rieht  der  Vita  Willi- 
brordi als  den  ältesten  und  einzig  massgebenden  vom 

etislande  anzusehen  und  ihn  für  sich  allein  zu  beurteilen 
hat.  Und  da  muss  man  anbedingt  zu  der  gleichen  aegativen 
auffassung  kommen  wie  II.  II.  v. Schwerin  in  seiner  vortreff- 
lichen arbeit  (Helgoland,  historisk-geograflsk  ondersökning, 
Land  1896,  s.imi.,  vgL  Siebs,  Helgoland  und  seine  spräche): 
dass  Fosetisland  alles  eher  gewesen  sein  kann  als  Helgoland. 
Den  positiven  ergebnissen  V.Schwerins  werden  wir  in  di 
punkte  Ereilich  nicht  beitreten  können.  In  der  Vita  ^*->  hei- 
ligen Willibrord  wird  ans  erzählt,  wie  er  in  Friesland  missioniert 
hat.  wie  er  dann  eine  bekehrungsreise  nach  .Unland  macht  und 

I   der  deutschen  ipractic 


540  SIEBS 

auf  der  rückfakrt  zu  könig  Eedbad1)  —  mit  dem  er  schon 
früher  in  Friesland  westlich  der  Zuidersee  zusammengetroffen 
war  —  nach  Fosetisland  verschlagen  wird.  Das  lässt  eigent- 
lich schon  vermuten,  dass  das  Fosetisland  eben  in  jenem  west- 
friesischen gebiete  zu  suchen  ist.  Wie  aber  sollte  denn  auch 
Redbad,  als  dessen  residenz  wir  Wiltaburg  oder  Utrecht  im 
fernen  westen  kennen,  nach  Helgoland  gekommen  sein  und 
gar  auf  der  —  für  damalige  zeiten  —  unendlich  schwer  von 
der  küste  aus  erreichbaren  insel  als  rex  geherscht  haben? 
Wo  immer  uns  um  jene  zeit  von  Redbad  berichtet  wird,  han- 
delt es  sich  um  die  gegenden  der  Frisia  citerior,  des  westlich 
von  der  Zuidersee  gelegenen  Friesland,  und  um  die  gebiete 
bei  Trajectum.2)  Ganz  besonders  ersehen  wir  das  aus  Beda  V, 
cap.  X.  Pipin  hatte  689  durch  den  sieg  bei  Durstede  den 
Redbad  unterworfen,  und  nun  ward  Willibrord  selbzwölft 
zum  bekehrungswerke  dorthin  gesant:  'qui  cum  illo  advenis- 
sent,  erant  autem  numero  duodecim,  divertentes  ad  Pippinum 
ducem  Francorum  gratanter  ab  illo  suscepti  sunt;  et  quia 
nuper  citeriorem  Fresiam  expulso  inde  Rathbedo  rege  ceperat, 
illo  eos  ad  praedicandum  misit, '  Man  hat  sich  damit  zu  helfen 
gesucht,  dass  Redbad  sich  nach  seiner  niederlage  nach  Helgo- 
land zurückgezogen  habe  —  das  würde  etwa  einem  Sanct 
Helena  unserer  zeiten  vergleichbar  sein,  oder  dass  man  gar 
mit  einem  gleichzeitigen  anderen  fürsten  desselben  namens 
für  Helgoland  rechnen  müsse;  aber  alle  solche  wenig  glaub- 
haften ausfluchte  werden  dadurch  überflüssig,  dass  man  es 
kurzweg  als  einen  begreiflichen  irrtum  Adams  von  Bremen 
auffassen  darf,  wenn  er  das  Fosetisland  des  Willibrord  nach 
mehreren  Jahrhunderten  mit  Helgoland  in  Verbindung  bringt. 
Wie  er  dazu  gekommen,  glaube  ich  (s.  543  ff.)  wahrscheinlich 
machen  zu  können. 

Schwerin,  der  in  seiner  trefflichen  arbeit  genügend  betont 
hat,  dass  Fosetisland  nicht  mit  Helgoland  gleichzusetzen  sei, 
will  es  als  das  heutige  land  Wursten  am  rechten  ufer  der 
Wesermündung  erweisen.    Recht  hat  er  zwar  in  dem  sinne, 


x)  Wir  setzen  stets  diese  friesische  namensform  anstatt  der  deutschen 
Badbod  oder  der  lateinischen  Badbodus,  Babbodus  u.  s.  w. 

2)  Vgl.  v.  Eichthofen,  K.,  Untersuchungen  zur  friesischen  rechts- 
geschichte  II  351. 


DBB   QOTT  F08(E)TE.  541 

dass  onter  dem  lateinischen  insula  der  quellen  durchaus  nicht 
eine  insel  in  unserem  heutigen  Btrengen  geographischen  Binne 
verstanden  zu  werden  braucht,  Bondern  auch  eine  halbinsel 
oder  überhaupt  ein  bewässertes  land  (vgl.  altwfries.  äland 
eiland;  neufries.  -öch,  -äi  'insel'  u.s.w.       vgl.  mit  mhd.  o 
•aue.  wasserland')  gemeint  sein  kann:  ob  man  freilich  gerade 
Wursten,   ein  Küstenland   ohne  buchten,   seen  oder  gros 
wasserzüge,  als  'insula*  benannl  halten  würde,  ist  mir  höchsl 
zweifelhaft    Recht  mag  7. Schwerin  auch  damit  haben. 
man  das  land  Wursten  als  in  confinio  Danorum  et  I 
gelegen  bezeichnen  konnte:  allerdings  gilt  das  für  die  zeit  der 
Normannenheerungen  wol   für  das  ganze  küstengebiet  bis  zur 
Rheinmundung  (vgl.  s. 544).    Aber  der  wichtigste  beweispunkt 
V.Schwerins  ist  unhaltbar:  lautlich  sei  das wort  Fosetesland 
dem  werte  'Wurstenland'  gleichzusetzen,  indem  die  form  Wort- 
8etenland  zu  Wosseten-   und  dann  zu  Fosetesland  entstellt  sei 
Die  terra  Wbr(t)satia  (so  heisst  sie  latinisiert    1203)    ist    im 
L2.  Jahrhundert  von  Küstringer  Friesen  der  gegenüberliegenden 
küste  besiedelt   worden;   erst   im  jähre  1420  findet   man  die 
friesische  namensform   Wurtsetenalond  bezeugt.    Aber   weder 
sie    noch    die    tiir   jene    frühere  zeit  um  800  WO]  allein  in  be- 
trachl   kommende  altsächsische  form  Wurdsatönoland  könnte 
in   den   lauten  oder  in  der  flexion  irgendwie  zu  Fosetesland 
Btimmen:  Bchon  das  scheinbar  nebensächliche  -s  würde  dagegen 
spieiie-n.    Nicht  minder  aber  widerspricht  die  bedentung:  es 
ist  das  land  der  Wurtsaten,  der  auf  der  Wurt  sitzenden,  und 
dieser  durchsichtigste  aller  Ortsnamen  wurde  sicherlich  damals 
noch  verstanden.    Wie  hätte  da  die  Vita  Willibrordi  zu  der 
behauptung  kommen  können,  das  land   Bei  nach  dem  heiden- 
benannt?    Solange  wir  aber  dieser  geschichts- 
quelle  nicht  allen  historischen  wert   absprechen,    haben  wir 
kein  recht,  die  wolbezeugte  nachrichl  von  dem  gotte  als  eine 
erflndung  zu  betrachten.    Und  endlich:  uns  berechtigt  nichts, 
den  Efriesenkönig  Eledbad  als  beherscher  jenes  damals  gar  nicht 
friesischen  landes  Wursten  anzusehen. 

Wo    aber    ist   nun    die  CUltSt&tte  des  gOtteS   Posete,    jenes 

Fosetesland  zu  suchen?    Zunächst   wird  man  nach  jüngeren 

nanieii  forschen,  die  sieh  damit  vergleichen  lassen:  solche  aber 
sind  uns  nicht   bekannt   idas  von  F.  Buitenrust  Hettema  an- 


542  siebs 

gezogene  Furswerth  kommt  nicht  in  frage,  vgl.  s.  547).  Schon 
v.  Eichthofen  —  der  noch  unter  der  anschauung  steht,  dass 
Fosetisland  gleich  Helgoland  sei  —  wundert  sich  über  diesen 
namenswechsel  und  sucht  nach  einer  erklärung:  'der  alte  name 
der  insel  verschwindet  mit  der  hekehrung  seiner  bewohner. 
Die  Christen  wagten  nicht  mehr,  den  namen  des  heidnischen 
gottes  zu  nennen;  es  scheint  aber  doch  damit  in  Verbindung 
zu  stehen,  dass  die  insel  später  den  namen  Helgoland,  das 
heilige  land,  führt.'  Das  ist  mir  an  und  für  sich  nicht  wahr- 
scheinlich, wie  es  vielleicht  manchem  anhänger  der  jetzt  so 
beliebten,  gefährlich  aus  einem  punkte  kurierenden  tabutheorie 
sein  wird.  So  wenig  glaubhaft  aber  auch  die  angäbe  Adams 
von  Bremen  über  den  namenwechsel  von  Fosetisland  zu  Heilig- 
land ist,  kann  sie  uns  doch  vielleicht  den  weg  zur  auffindung 
des  eigentlichen  Fosetislandes  weisen. 

Vor  allem  ist  zu  beachten,  dass  der  name  Heiligland 
(Helgoland  ist  eine  gelehrte  Umbildung  aus  der  entsprechenden 
niederdeutschen  oder  dänischen  form)  gar  nicht  der  auf  der 
insel  im  volksmunde  lebende  ist,  sondern  dass  hier  der  name 
Hälün  gilt,  der  wol  aus  häch  Und  oder  besser  Mlik  Und 
'hohes  land'  entstanden  ist;  ich  habe  das  an  anderer  stelle 
(Helgoland  und  seine  spräche  s.  21)  ausgeführt.  Dieser  name 
scheint  vor  der  zeit  Adams  von  Bremen  in  Heiligland  um- 
gedeutet zu  sein.  Von  einer  namensänderung  der  insel  mag 
Adam  sagenhaft  gehört  und  deshalb  nach  einem  älteren  namen 
geforscht  haben.  Wie  aber  kommt  er  gerade  auf  Fosetisland 
und  die  Vita  Willibrordi?  Die  beantwortung  dieser  frage 
wird  zugleich  eine  Vermutung  über  das  eigentliche  Fosetisland 
enthalten. 

Im  anschlusse  an  v.  Schwerins  scharfsinnige  kritik  habe 
ich  in  der  genannten  schrift  über  Helgoland  (s.  17)  ausgeführt, 
dass  der  ganze  bericht  Adams  von  Bremen  eine  compilation 
verschiedener  nachrichten  ist.  Während  der  erste  teil  seiner 
darstellung  nichts  für  Helgoland  bezeichnendes  bietet,  setzt 
mit  den  Worten  est  enim  haec  insula  ganz  unvermittelt  eine 
kurze  und  treffende  Charakteristik  der  insel  ein.  die  eben  nur 
auf  Helgoland  bezogen  werden  kann.  Adam  von  Bremen  musste 
es  in  erster  linie  auf  die  legendarische  seite  der  sache  an- 
kommen.   Von  Helgoland,  seinem  Heiligland,  weiss  er  'ubi  et 


DKR  GOTT    : 

aqua  dulHs.  locus  venerabilis  omnibus  nautis,  praecipue  vero 
pyratis.  ünde  accepit  nomen,  ut  Heiligland  dicatur.'  Und 
v<>n  dem  Fosetislande  der  Vita  Willibrordi  weiss  er  'qui  locus 
a  paganis  in  tanta  veneratione  habebatur'.  Wie  er  in  dem 
ersten  teile  seines  von  ihm  auf  Heiligland  bezogenen  berichtes 
Bagt,  hätten  dorl  die  Seeräuber,  die  Irgend  welche  beute  ge- 
nommen, es  mit  dem  tode  büssen  müssen,  so  heisst  es  bei 
Willibrord  vom  Fosetislande,  dort  habe  aus  religiöser  scheu 
niemand  etwas  anzurühren  gewagt:  und  wie  auf  Heiligland 
die  quelle  süssen  wassers  in  hoher  Verehrung  stand,  so  hatte 
im  Fosetislande  Willibrord  aus  einer  dort  sprudelnden  quelle 
getauft,  aus  der  man  nur  schweigend  zu  schöpfen  wagte. 
und  wie  die  Vita  Willibrordi  cap.  10  von  dieser  Willibrord- 
quelle  erzählte,  so  wusste  sie  cap.  16  noch  von  einer  anderen 
WillibrordsqueUe  in  Friesland  westlich  der  Zuidersee  zu  be- 
richten, die  der  heilige  habe  hervorsprudeln  lassen:  'loca 
circumibat  maritima,  in  quibus  aquae  dulcis  penuriam  patie- 
bantur  ...  orabal  Deum,  qui  populo  suo  in  desertis  aquam 
produxit,  de  petra  ...  qui  mox  exauditus  est  et  subito  fons 
dulcissimi  saporis  Eossam  implebat.'  Und  solch  eine  Willi- 
brordsqueUe wurde  im  Kennemerlande  in  Heiligelo  ver- 
ehrt. Beka  (f  134(3)  erzählt  die  geschichte  von  Willibrord 
und  setzt  hinzu  ;eadem  vero  cisterna  nunc  in  terra  Heyligelo 
patenter  ostenditur,  quae  ab  inquilinis  illic  inhabitantibus 
modemo  tempore  puteus  sancti  Willibrordi  dicitur,'  und 
noch  bis  in  die  neuzeit  wird  dieser  quelle  zu  Heiligelo  heil- 
krat't  zugeschrieben.  Der  ort  ist  urkundlich  als  Heiligelo 
(1063),  Heliehelo  (1156),  HeUgelo  (1226),  Eeiligheloe  (1251) 
u.  B.  bezeugt;  das  kloster  Epternach  und  die  abtei  Egnu «ud 

3800  hier  eine  kirche.  Ks  ist  sehr  wol  anzunehmen.  da88 
Adam  diese  nachrichteii  von  den  drei  heiligen  quellen  in  Fries- 
land.  deren  eine  die  WillibrordsqueUe  m  insula  1 
war.  deren  zweite  die  Wülibrordsquelle  an  der  friesischen  kttste 
(«n  insula?)  in  Heiligelo,  deren  dritte  die  quelle  m  insula 
Heiligeland  war.  in  dem  sinne  combinierl  oder  verwechselt 
hat.  dass  er  die  beiden  letzten  aamen  als  Insel  Seiligland 
mit  der  insula  Fosetisland  gleichsetzt 

Wie  BchoE   erwähnt,   ist    es   durchaus   ^wahrscheinlich, 
dass  Etedbad,  dessen  ganze  geschichte  sich  onseri  os  im 


5  <  I  SIEBS 

westen  der  Zuidersee  abspielt,  am  rechten  Weserufer  im  lande 
"Wursten  oder  gar  auf  der  insel  Helgoland  als  könig  geherscht 
habe  und  dort  von  Willibrord  aufgesucht  sei.  Vielmehr  ist 
bei  Fosetesland  am  besten  an  eine  maritima  zu  denken,  wie 
es  die  gegend  von  Heiligelo  im  Kennemerlande  war.  Übrigens 
wäre  gar  kein  anstoss  daran  zu  nehmen,  dass  man  damals  die 
ganzen  gebiete  Texel,  Kinhem,  Westflinge  (also  das  spätere 
Xordholland  vom  Flie  bis  nördlich  von  Haarlem)  als  insula 
bezeichnet  hätte  —  ein  blick  auf  die  karte  dieses  vom  wasser 
fast  ganz  umschlossenen  landes  lehrt  das.  Vor  allem  aber 
braucht  uns  der  ausdruck  'in  confinio  Danorum  et  Fre- 
sonum'  nicht  zu  stören.  Es  handelt  sich  hier  um  die  Nor- 
mannen, die  Wikinger,  für  die  der  eigentliche  nationale  name 
'Dani'  war,  vgl.  Einhard,  Vita  Caroli  cap.  14  'Nortmannos,  qui 
Dani  vocantur';  eine  reihe  von  weiteren  Zeugnissen  dafür  gibt 
W7alther  Vogel,  Die  Normannen  und  das  fränkische  reich,  Heidel- 
berg 1906,  s.  21.  Ebenda  ist  auch  über  die  Verwüstung  Süd- 
frieslands durch  die  Dani  im  9.  Jahrhundert  gehandelt  (s.  66  ff.): 
das  küstengebiet  von  Walcheren  bis  zum  friesischen  Westergo 
kam  in  ihren  besitz,  so  dass  im  9.  jahrh.  die  Westküste  der 
Zuidersee  als  'in  confinio  Danorum  et  Fresonum'  bezeichnet 
werden  konnte  —  eine  benennung,  die  freilich  im  11.  jahrh. 
durch  Adam  von  Bremen  auf  nördlichere  gebiete  gedeutet 
werden  musste.  Für  die  älteren  zeiten  sei  noch  besonders 
auf  die  von  Schwerin  (a.  a.  o.  s.  21)  angegebenen  Zeugnisse  und 
auf  die  Zusammenstellungen  in  J.  C.  H.  R.  Steenstrups  'Norman- 
nerne'  (1.  und  2. band)  hingewiesen1),  z.  b.  Einhard,  Vita  Caroli 
cap.  17  'praeterquod  in  Frisia  quaedam  insulae  Germanico  litori 
contiguae  a  Nordmannis  depraedatae  sunt';  Einhards  Annalen 
zum  jähre  810  'imperator  . . .  nuntium  accepit  classem  ducen- 
tarum  navium  de  Nordmannia  Frisiam  appulisse  totasque 
Frisiaco  litori  adiacentes  insulas  esse  vastatas,  iamque  exer- 
citum  illum  in  continenti  esse,  ternaque  praelia  cum  Frisonibus 
commisisse,  Danosque  victores  tributum  victis  imposuisse  et 
vectigalis  nomine  centum  libras  argenti  a  Frisonibus  iam  esse 


')  Ueber  Dänen  an  der  westfriesischen  küste  vgl.  besonders  Steenstrup 
a.a.O.  154;  ein  friesischer  Häuptling  Half  dem  ist  in  Friesland  zu  ende  des 
8.  und  zu  anfang  des  9.  jh.'s  bezeugt  (I  115  ff.),  sein  söhn  auf  Walcheren 
UI  27.  157  ff.). 


deb  qott  roa  B  545 

solutas';  in  den  Bertinischen  Annalen  zu  den  jähren  B46/47 
'piratae  Damnum  Fresiam  adeuntes  recepto  pro  libitn  cmn 
pngnando  quoque  \i  ecti  tota  paene  provincia  potitm- 

tor...  emporiumquod  Dorestadum  dicitnr  ei  insulam  Batavam 
occupant  atque  obtinent'     Späterhin  konnte  dann  die 
die  den  Franken  einsl  feindlichen  Priesen  mit  den  dem  Pranken- 
reiche  feindlichen  Danen  zusammenwerfen  und  gar  den  Friesen- 
könig Redbad  zum  Jconing  fem  Danemerkutn  machen,  vgl  s. 

Eiermit   meine  ich  erwiesen  zu  haben,  dass  unter  dem 

Btislande  keineswegs  Eelgoland  zu  verstehen  ist, 
dass  vielmehr  die  Zusammenstellung  der  beiden  namen  ein 
irrtum  Adams  von  Bremen  ist  und  ihren  grnnd  hal  in  der 
ahnlichkeil  der  für  beide  gebiete  bezeugten  cnlte  sowie  der 
namen  Beiligelo  und  Heiligeland;  dass  das  Fosetisland  der 
Vita    Willibrordi    mit   gl  Wahrscheinlichkeit    in    Frisia 

citerior  zu  snchen  ist.  dem  friesischen  (seit  dem  9.  Jahrhundert 
von  den  Dani  in  besitz  genommenen)  kiistengebiete  westlich 
der  Znidersee,  sei  es  auf  der  •insnla*  Texel  oder  in 
K  inhem. 

Die    weiteren   irrtümer,   die    der    anglückliche   gedanke 
Adams  von  Bremen    über  Helgoland   heraufbeschworen   hat, 
halie   ich    in   meiner   schritt    über  diese  insel   (a.a.O.  3.2 
aufgezeigt    her  bericht,  dass  man  statt  der  -fana'  christliche 

lesias'  errichtet  habe,  und  dass  hier  die  residenz 
mächtigen  Friesenkönigs  Redbad  gewesen  sei,  Hess  ein  ziem- 
lich grosses  Land  vermuten:  und  als  im  jähre  1496  herzog 
Friedrich  von  Schleswig  es  practisch  fand,  sein  besitzrechl 
auf  Helgoland  durch  die  sonderbare  behanptnng  zu  stützen. 
dass  es  einsl   mit  dem  festlande  zusammengehangen  hah 

war  es  nur  mich  ein  kleiner  schritt   zu  den  um  die  mitte  des 
17.  jahrhundi  iröffentlichten    berüchtigten    Meyer  sehen 

ben  von  Helgoland,  auf  denen  die  tempel  der  gottheiten 
Fostae,  Vestae  und  Jovis  und  vier  königlich  friesische  schl 
verzeichnet   sind.    Alle  die  heute  noch  gepfli  ober 

die  dereinsti  d  Helgoland  fuhren  also  im  letzten 

gründe    am    die   kleine    Verwechslung    Adams    von    Bremen 
zurück,  und  der  mbedeatende  irrtum  eines  einzelnen   ist   zu 
die  weli  beten  uu>inn  algeschwollen. 

\\'e:  aber  ist  der  b  nach  dem  das  / 


5t6  SIEBS 

benannt  gewesen  sein  soll?  Bekanntlich  hat  Jacob  Grimm 
(Myth.4  68, 190  ff.;  nachtr.  80)  diesen  namen  mit  dem  Forseti 
der  Edda  und  weiterhin  mit  dem  Baldrculte  in  Verbindung 
gebracht;  obschon  Grimm  selber  in  der  anmerkung  (s.  192) 
gerechten  zweifei  an  seiner  Vermutung  äussert,  ist  sie  doch 
von  vielen  aufgenommen  worden.  Sie  ist  unhaltbar.  Denn 
gesetzt  auch,  man  wollte  an  diesen  unmöglichen  allegorischen 
präsiden  Forseti  der  Edda  glauben,  so  Hesse  er  sich  doch  nicht 
kurzerhand  mit  unserem  Fos(e)te  vereinigen,  sondern  würde 
ein  germanisches  *(for)setan-,  ahd.  -se^o  voraussetzen,  und  in 
unsern  quellen  hätten  wir  etwa  *Forseta,  *Forseteland  zu  er- 
warten. Dafür,  dass  das  r  aufgegeben  wäre,  ist  kein  grund 
einzusehen.  Wer  sich  durchaus  nicht  zu  völliger  trennung 
von  dem  nordischen  namen  bequemen  will,  würde  zum  min- 
desten gut  tun,  in  dem  nordischen  namen  Forseti  eine  etymo- 
logisierende Umgestaltung  eines  älteren  dem  friesischen  Fos{e)tc, 
Fos(i)te  entsprechenden  namens  zu  sehen,  wie  auch  Mogk 
(Grundriss  d.  germ.  phil.2  3, 328.  386)  anzunehmen  scheint.  Da 
man  nun  in  diesem  worte  also  gar  nicht  mit  einem  präfix 
for-  zu  rechnen  hat,  wird  man  die  erste  silbe  als  Stammsilbe 
betrachten  müssen.  Und  da  ein  altes  i-  der  nebensilbe  unter 
allen  umständen  i-umlaut  zu  *Fes(i)te  bewirkt  hätte,  so  müssen 
wir  entweder  Fosete  als  die  richtige  form  ansehen  oder  aber 
(und  das  ist  viel  wahrscheinlicher)  in  dem  zwischen  e  und  i 
wechselnden  vocal  der  nebensilbe  eine  art  irrationalen  vocals 
sehen,  so  dass  Fosete,  Fosite  für  Foste  stünde. 

Eine  sichere  sprachliche  deutung  lässt  sich  natürlich  für 
einen  solchen  götternamen  nicht  gewinnen,  eine  meines  erachtens 
sehr  annehmbare  aber  ergibt  sich  leicht.  Wir  können  nämlich 
in  Foste,  Foste  (vor  st  und  cht  tritt  urfriesisch  kürzung  ein, 
vgl.  moste  'musste',  brockte  'brachte'  Grdr.  1, 1223)  eines  jener 
alten  nomina  agentis  mit  der  idg.  stammbildung  -tu-  sehen, 
wie  sie  uns  in  got.  Miftus  'dieb',  anord.  vorfir  ' Wärter'  erhalten 
sind,  und  zwar  zur  germ.  wurzelstufe  föd  'ernähren',  so  dass 
afries.  Fost,  gen.  Fostes  (vgl.  zur  declinationsform  afries.  däth, 
gen.  däthes  für  *dätha  nach  analogie  der  o-  und  «-stamme,  got. 
daufius  'tod')  'ernährer'  bedeuten  würde.  Diese  form  Fost 
würde  sich  zu  einem  afries.  *f oster  verhalten  wie  etwa  der 
stamm  aind.  yätü-  zu  tjätdr-  'Verfolger'.    Auf  die  altenglischen 


DEB  GOT!    FOS  E  n:.  5  IT 

und  altnordischen  formen  (ae.  ßstor,  an.  fdatr  •nahrung*)  sei 
um-  nebenbei  hingewiesen.  Sollte  übrigens  an  der  annähme, 
dass  das  e(%)  in  Fo8(e)te8-  als  sogenannter  irrationaler  vocal 
zu  beurteilen  Bei,  anstoss  genommen  weiden,  bo  hindert  uns 
nichts,  den  namen  als  gern.  *fÖ8  (ans  idg.  'pöt-so-  'nahmng', 
vgl.  Brngmann,  Grundriss  <1.  vgl.  gramm.  I2, 701)  i  sut'iix  germ. 
-////-,  -uj>-,  das  Domina  agentis  bildet,  zu  erklären  (vgl.  Kluge, 
Nominale  stammbildnngslehre  §  29).  Die  bedentnng  wurde  dann 
etwa  die  gleiche  Bein. 

Hai  der  Forseti  der  Edda,  der  söhn  des  Baldr  und  ihr 
Xanna.  der  in  Grlitnir  wohnt  und  als  gott  der  rechtsprechnng 
gilt,  überhaupt  eine  beziehung  zu  unserem  Fos(e)te,  bo  können 
wir  sie  —  wie  gesagt  —  nur  dadurch  erklären,  da^s  der 
eddisehe  nanie  eine  etymologisierende  Umgestaltung  darstellt. 
Sehnliches  schien  auch  F.  B.  Hettema  anzunehmen,  wenn  er 
(Tijdschrift  voor  nederlandsch  Taal-  en  Letterkunde  12  [1893], 
B.  281)  den  namen  de-  gottes  mit  dem  Stammnamen  der  . 
und  somit  (nach  Much,  Beitr.  17,57.222)  mit  anord.  fosa  in 
Verbindung  brachte  und  als  (poßeQoq  deutete.  Ich  schliesse 
mich  zwar  solcher  etymologie  Hettemas  keineswegs  an  und 
sehe  auch  keinen  grund.  den  gott  Fos(e)tc  dem  Thunor  gleich- 
zustellen oder  gar  das  wort  mit  dem  namen  des  klosters  Fos- 
/rnt.  das  ja  in  älterer  form  Furswerih  heisst.  in  Verbindung  zu 
bringen.  Nur  darin  scheint  mir  Hettema  das  richtige  zu  treffen, 
dass  er  den  Fos{c)tc  nicht  als  einen  jener  ^instruierten  rechts- 
und  versammlungsgottheiten  ansehen  möchte,  mit  denen  die 
germanisten  ohne  irgend  welchen  anlass  Friesland  zu  besiedeln 
pflegen,  und  dass  er  deshalb  den  sonst  gern  angezogenen  sagen- 
haften bericht  über  die  findung  ^w<  rechts  aus  dem  spiele  lässt. 

Diese  erzählung  erscheint  in  den  altwestfriesischen  rechts- 
quellen lim  alten  drucke  des  westerlauwerschen  landrechts.  vgl. 
Fries,  rechtsquellen,  hsg.  von  v.  Bichthofen,  s.  139  140  Dr.; 
im  .Ins  municipale,  lt>Lr.  von  de   Haan   Hettema.  pag.  30         J; 

im  Codex  l'nia.  vgl.  >>i»)»s.  Weetfries.  rtudien  >.  22,  foL55a 
=  D  i.  snu  ie  in  der  von  Pufendorf  i(  Ibservationes  iuris  aniv.  1 1 1. 
app.36)  gedruckten  handschr.  des  Wurster  landrechts  (erst  Dach 
L565  geschrieben).1)    Sie  ist  mit  grosser  vorsieht  aufzunehmen, 

I   DiflM]   niedi  unter  bei  jung  einer 


548  siebs 

geschweige  dass  sie  als  alte  gemeinfriesisclie  sage  angesehen 
werden  dürfte.  Da  der  für  uns  in  erster  linie  massgebende 
text  der  handschrift  Unia  nach  den  von  mir  1893  in  Oxford 
aufgefundenen  Juniusabschriften  noch  nicht  gedruckt  ist,  teile 
ich  hier  eine  unter  benutzung  von  Dr  und  J  auf  grund  von  U 
hergestellte  neue  fassung  mit. 

Tha  tM  koning  Karle  and  tili  koning  Redbad  faii  Daiiemerkuui  in 
thet1)  land  komen,  tka  bisette  aider  sine  wer2)  ina  Franekra  gae  mit  ene 
bereskilde,  and  kwat1)  aider,  tbet  land  were  sin.  Tha  woldent  wise  linde 
ierne  sena  ende  tha  heren  woldent  bifiuchta;  thaeh  wisade  ma  there  sone 
also  lange  thet  ma  hit  np  tha  tweer  koningen  ief3),  hoder  so  otherne  an 
stille  stalle  nrstode,  thet  hit  wonnen  hede.  Tha  brochtma  tha  heren  toga- 
there,  tha  stoden  se  en  etmel  al  umbe',  tha  let  thi  koning  Karle  sine 
handsko4)  falla.  Tha  rachtene  him  thi  koning  Redbad.  Tha  kwat1)  thi 
koning  Karle  a  ha  a  ha,  thet  land  is  min,  and  hlackade;  aider  umbe  hat 
sin  worth5)  Hachense.  Hwerumbe,  kwat1)  Redbad.  Tha6)  kwat  Karle:  j 
sint  min  man  worden.  Tha  kwat')  Redbad:  o  wach:  alderumbe  hat  sin 
worth7)  Wachense.  Tha  for  thi  koning  Redbad  uta  lande,  and  thi  koning 
Karle  wolde  thingia.  Tha  ne  mostere,  hwant  ther  lethegis  landes  so  fule 
naut  ne  was,  ther  hi  uppa  thingia  machte.  Tha  santere  boda  in  tha  sawen 
seland,  and  het,  thet  hiam8)  wonnen  ene  fri  sto,  ther  hi  uppa  thingia 
machte.  Tha  kapadense  mit  skette  and  mit  skillinge  Deldama-nes,  ther 
thingadere  uppa  and  lathade  tha  Fresan  tofara9)  him  and  het10),  thet 
hia  riucht  keren11)  asca  hiat  halda  wolden.  Tha  beden  hia  ferstes  ti  hara 
forespreka.  Tha  ief12)  hi  him  orlof.  This  othera13)  deis  het  hi,  thet  se 
fore14)  thet  riucht  komen.11)  Tha  komense  and  keren  foresprekan,  tolif 
fan  tha  sawen  selandum.  Tha  het  hi,  thetse  riucht  keren. 1!)  Tha  jaradense 
ferstis.  This  thredda  deis  het  hi  se  koma.  Tha  tegen  hia  nedskin.  This 
fiarda  deis  also,  this  fifta  also  —  thit  send  tha  twa  ferst  and  tha  thria 
nedskin,  ther  thi  fria  Fresa  mit  riuchte  mei  hava.  This  sexta  deis  het  hi, 
thetse  riucht  keren.11)    Tha  sprekense,  hia  ne  kuden. u)    Tha  sprek15)  thi 


Hannoverschen  hs.  (c)  und  einer  Göttinger  (g)  gedruckt  als  '  van  ordtsprunck 
vnd  herkamenn  der  Fresenn'  in  C.  Borchlings  vortrefflicher  ausgäbe  'Die 
niederdeutschen  rechtsquellen  Ostfrieslands'  I  216  ff.  (Aurich  1908).  Diese 
späte  fassung,  die  offenbar  auf  der  kenntnis  westfriesischer  texte  beruht, 
ist  für  unsere  frage  nicht  von  bedeutung;  sie  hebt  den  christlichen  inhalt 
der  sage  ganz  besonders  stark  hervor. 

*)  In  U  stehen  hier  a-formen,  z.  b.  that,  ivasa  u.  s.w.  Ich  habe  in 
den  meisten  fällen  hier  die  normalen  e-formen  eingesetzt.  2)  wer  bessere 
ich  für  loei  U;  Dr  hat  syn  oerd  ende  syn  eynd  seine  stelle  und  seine  grenze; 
J  hat  bnreh  3)  gaf  U  4)  hantslco  TJ  3)  U  hat  vrth,  Dr.  oerd,  J  burch, 
vgl.  7)  6)  that  Ü  7)  worth  U,  oerd  Dr,  burch  J  8)  steht  für  hia  him 
9)  tofare  U  10)  hat  U  (oder  bat  für  lad  'gebot'?)  «)  in  U  fehlt  hier 
dsa  n      12)  juf  U      ,3)   andern  U      14)   unsicher  in  U,  ob  fare  oder  fore 


DEB   GOTT    POS  B  VE.  549 

krmiii£>- :  nu  lidze  ikia)  jo  tofara  thre  keran").  boder  jo  liawera  Be:  fchetma 
jo  alle  handle,  than  3  alle  ain  wirde,  thanma  jo  en  skip  jo^ 
and  also  sterk,  ther  anne  ebba  and  anne  flod  mei  witstan,  and  I 
allerbanda  rower18)  and  rema  and  towe.     Tha  keren  bia  thei  -ki|>  and 
i'olen  ut  mitta  ebba  also  Hr  tbetse  neu  aland10)  ae  muchten  sian.  Thi 
hin  leitbe  to  mode;  tha  sprek16)  thi  ena,  ther  fao  Widekines  Blachte  was, 
thi   forma  asega:    ik  habbe  herd,  thei   os  hera  god,  tha  hi  an  erthi 
was,   t « > I i t'  jüngeren  hede  and  hi  selva  threttnndista   were81)   and  hi  to 
himmen  kome  al   bi  sletena  dornm  and  trastese  an.l  Lerdese;  hu  De  bidda 
wi  Haut,  thet  lii  os  anne  threttnndista  Bende,  ther  ds  riueht88)  lere  and 
(i  lande  wise?   Tha  folen  bia  alle  an  hara  kne  and  beden  inlike.    Tha  Be 
tha  bedinge  heden  den,   tha  Begen  hia  anno  threttnndista  an  there  Btiorne 
ütta  and  ene  [geldene88)]  axe  Dp  Biner  axla,  ther  lii  medeto  lande  h 
Btinrde  wit  Btram  and  wit  wind.    Thase  to  lande  komen,  tha  warp  hi  mit 
ther  aze  np  thei  land  and  warp  ene  tnre  ap,  tha  ontsprang  ther  en  bnrna; 
aldernmbe  hat  thei  ii  Axenshowe;  and  et  Eswei  komen*4)  hia  to"8)  Luid 
-  den  umbe  tlu  bnrna.    and  hotso  bim  tili  threttnndista  lerdt  .   thei 
nomen  hia  to  rinchte.    thaoh8*)  De  wistet  aemma  ander  tha  fnlke,  hot  tlii 
threttnndista  were81),  ther  to  him  komen  was:  also  lik  was  lii  allereknm. 
Tha  hi-';)  him  thet  rinchl  wisid  hede,  tha  Deren  ther  ner  tolif;  aldert 
sken  in  tha  lande  threttene  asegan  wesa1)  and  hara  doman  agen  hia  to 
delane  ei    \  and  ei  Eswei.    And  hwerso  hia  antna  sprekat1),  so 

agen  tha  sawen  tha  sei  in  ti  haliane.    Aldos  i-t  landrincht  alra  Fr< 

AI-  kOnig  Karl  und  könig Bedbad  von  Dänemark  in  das  land  kamen, 

■  Bt&tte  im  Pranekergan  mit  einer  heerschar,  und 
.  das  land  wäre  Bein.  Da  wollten  weise  lente  die  sache  gern  friedlich 
beilegen,  and  die  herren  wollten  sie  ansf echten;  jedoch  setzte  man  den 
friedlichen  ansgleich  dahin  fest,  dasa  man  den  beiden  känigen  anferl 
wer  von  beiden  im  Btülstehen  den  andern  überträfe,  der  hätte  das  land 
gewonnen.  Da  brachte  mau  die  herren  zusammen,  da  standen  sie  einen 
and  eine  aachl  lang;  da  liess  der  kSnig  Karl  Beinen  handschnh  fallen, 
und  da  reichte  der  köni»;  |{>'diiad  iiini  den.     I  der  köni»;  Karl  -aha. 

aha,  dal  land   i-;   iixin "    und  lachte;    darum  b        I  Ltte   Eachl 

•Warum'.''  sagte  ELedbad;  da  Bprach  Karl  'ihr  Beid  mein  mann  geworden.1 
Etedbad  'o  wach'.'  Darom  hei-st  seine  Btätte  Wachense.  Da 
lex  könig  Redbad  aus  dem  lande,  und  der  könig  Karl  wollte  gericht 
halten.  Da  könnt''  er  es  Dicht,  denn  da  war  nicht  so  viel  freies  land,  dasa 
••r  daraui  bitte  gerichl  halten  können.  Da  sante  er  boten  in  die  - 
seelande  und  liess  sie  si<  erwerben,  auf  der  er  gerichl 

halten  konnte.    Da  kauften  sie  mit  -'li.it/  (geld)  und  Schilling  'Deldama- 
darauf  gerichl  und  ladete  die  Friesen  vor  sich  und  g 

rock  (jtpraekT)  \      '•)  ik  hei  jo  V     |:>  hara  Lllige 

form  auch  ->>nM   in   1      (Bechtsqn.  -  in  lind'  J 

Irihr    V         -••)    irny,     I  ■    ,    .      ,•     !  I.     fehlt 

in  Di       \>  juamen  l       »)  tu  \        )  UuA  i  •  alt  in  r 


550  SIEBS 

dass  sie  recht  kürten,  wie  sie  es  dann  halten  wollten.  Da  baten  sie  um 
frist,  sich  eiiien  fürsprechen  zu  wählen.  Da  gab  er  ihnen  erlaubnis.  Am 
andern  tage  befahl  er,  dass  sie  vor  gericht  kämen.  Da  kamen  sie  und 
wählten  fürsprecben,  zwölf  von  den  sieben  Seelanden.  Da  gebot  er,  dass 
sie  recht  küren  sollten.  Da  begehrten  sie  frist.  Am  dritten  tage  Hess  er 
sie  kommen.  Da  führten  sie  echte  not  an;  am  vierten  tage  ebenso;  am 
fünften  ebenso  —  das  sind  die  zwei  fristen  und  die  drei  fälle  echter  not, 
die  der  freie  Friese  von  rechtswegeu  haben  kann.  Am  sechsten  tage  gebot 
er,  dass  sie  recht  küren  sollten.  Da  sagten  sie,  das  könnten  sie  nicht. 
Da  sprach  der  könig:  'nun  lege  ich  euch  dreierlei  zur  wähl  vor:  ob  es 
euch  lieber  ist,  dass  man  euch  alle  köpfe,  denn  dass  ihr  alle  unfrei  werdet; 
oder  dass  man  euch  ein  schiff  gebe  also  fest  und  stark,  dass  es  einer  ebbe 
und  flut  Aviderstehen  kann,  und  dieses  ohne  irgend  welches  Steuer,  ohne 
rüder  und  taue.'  Da  wählten  sie  das  schiff  und  fuhren  (eig.  fielen;  oder 
ist  foren  zu  bessern?)  aus  mit  der  ebbe,  soweit  dass  sie  kein  eiland  sehen 
konnten.  Da  war  ihnen  traurig  zu  mute;  da  sagte  der  eine,  der  von  Wide- 
kins  geschlecht  war,  der  erste  rechtsprecher:  'ich  habe  gehört,  dass  unser 
herr  gott,  als  er  auf  erden  war,  zwölf  jünger  hatte  und  er  selbst  der  drei- 
zehnte war  und  er  zu  ihnen  kam  bei  verschlossenen  türen  und  sie  tröstete 
und  lehrte;  warum  bitten  nun  wir  nicht,  dass  er  uns  einen  dreizehnten 
sende,  dass  er  uns  recht  lehre  und  zu  lande  weise?'  Da  fielen  sie  alle 
auf  ihre  knie  und  beteten  inbrünstig.  Und  als  sie  ihr  gebet  verrichtet 
hatten,  da  sahen  sie  einen  dreizehnten  am  Steuer  sitzen,  und  eine  [goldene] 
axt  (scheit?)  auf  seiner  Schlüter,  womit  er  zu  lande  steuerte  gegen  ström 
und  wind.  Und  als  sie  ans  land  kamen,  da  warf  er  mit  der  axt  (dem 
scheit?)  auf  das  land  und  warf  einen  rasensoden  auf,  da  entsprang  da  eine 
quelle;  deswegen  heisst  das  zu  Axenshowe.  Und  zu  Eswei  kamen  sie  ans 
land  und  sassen  um  die  quelle;  und  Avas  immer  der  dreizehnte  sie  lehrte, 
das  nahmen  sie  zum  rechte.  Doch  wusste  niemand  unter  dem  volke,  wer 
der  dreizehnte  wäre,  der  zu  ihnen  gekommen  war:  so  gleich  war  er  jedem 
von  ihnen.  Als  er  ihnen  das  recht  gewiesen  hatte,  da  waren  dort  nur  noch 
zwölf;  deswegen  sollen  in  dem  lande  dreizehn  Asegen  sein  und  ihre  urteile 
haben  sie  zu  geben  zu  Axenshove  und  zu  Eswei.  Und  wenn  immer  sie 
uneins  sind,  so  haben  die  sieben  die  sechs  zu  überstimmen,  so  ist  es  land- 
recht aller  Friesen. 

Diese  erzählung  hat  v.  Blchtkofen  (Untersuchungen  zur  fries. 
rechtsgesch.  2, 419.  435  ff.  447.  459  ff.)  zwar  als  historisch  wertlos 
erachtet,  ihr  aber  eine  grosse  bedeutung  als  sage  beigemessen: 
er  hat  in  dem  unbekannten,  der  den  Asegen  das  recht  lehrt, 
den  Fosete  =  Forseti,  den  höchsten  gott  erkennen  wollen,  der 
—  wie  Baldr  am  Urdbrunnen,  der  gerichtsstätte  der  götter  — 
das  recht  weist;  in  dem  namen  Eswei  sei  noch  die  bezeichnung 
des  gottes  (ansi-)  zu  sehen.  Dieser  auffassung  schliesst  sich 
z.  b.  Mogk  (a.  a.  o.  s.  328)  an,  indem  er  sie  freilich  —  in 
vorsichtigem   und  richtigem  empfinden  —  für  das  nordische 


DHU    GtOTT    FOS(E)TE.  551 

nicht  gelten  hissen  möchte:  'es  ist  derselbe  Foseti,  der  die 
friesischen  Asegen  nach  alter  Bage  »Ins  rechl  lehrte,  ein  gott, 
der  vor  ihnen  erschien  and  nach  ihrer  belehmng  wider  ver- 
Bchwand,  nachdem  er  zuvor  noch  den  alles  stillenden  quell  hatte 
hervorsprudeln  lassen.  I>as  war  kein  untergeordneter  gott, 
Mindern  eine  gottheit.  die  bei  den  ainpliikt  vollen  ihres  heilig- 
t ums  die  höchste  bedeutung  halte;  wir  verstehen  Bie  allein  von 
friesischem  boden  ans  mit  einem  hinblick  auf  den  Mars  Thingsus, 
nimmermehr  vom  nordischen,  auf  den  sie  zweifellos  ersl  in 
später  zeit  verpflanzt  ist.'  —  Dem  entgegne  ich:  von  einer 
friesischen  rechtsgottheit  kann  liier  Bberhaupt  keine 
reih'  Bein,  deren  annähme  isl  lediglich  eine  folge  *\>v  -  be- 
reits abgewiesenen  —  Grimmschen  gleichsetzung  des  Fosete 
mit  dem  nordischen  Forseti  (Forsetelund);  auch  kann  der  Mars 
Thingsus  hier  nicht  in  frage  kommen,  zumal  da  die  ihm  altäre 
errichtenden  Qermani  cives  Tuihanti  (Twenthe)  gar  keine 
Friesen  waren. 

Diese  erzählung  der  westfriesischen  rechtsquellen  leint 
uns  für  die  mythologie  nichts.  Nach  art  der  mehrfach 
erscheinenden  tractate  und  einleitungen  zu  den  rechten  sind 
hier  in  gelehrter  weise  die  verschiedenartigsten  stücke  ver- 
einigt Zunächst  wird  rechtssymbolisch  die  besitzergreifung 
di's  Landes  durch  Karl  den  grossen  dargestellt:  er  wirft  K'edbad 
—  der  hier  zum  koning  fem  Danemerkum  gemacht  wird,  vgl 
s.  544  —  den  handschuh  hin,  und  der  hebt  ihn  auf;  diese 
rechtssymbolische  handlung,  durch  die  K'edbad  seines  besitzes 
verlustig  oder  Karl  als  der  höhere  gegenüber  dem  geringeren 
erklärt    wird  (Rechtsaltert4 1, 211  ff.),    i-t    hier    weiter   aus- 

iltet  Daran  Bchliesst  sich  eine  Behr  alberne  etymologische 
ortssage,  die  nichl  friesisch  sein  kann,  sondern  wegen  des  ganz 
unfriesischen  o  wach  von  einem  Niederländer  fabricierl  zu  Bein 
Bcheint  Freilich  i-t  die  sage  in  Westfriesland  (östlich  der 
Zuidersee)  localisiert,  in  Franehraga\  vielleicht  ist  mit  Wac\ 
der  mt  Waeksens  (in  Bennaarderadeel,  auch  in  Westdongera- 
deel)  oder  Waakens  (in  Barderadeel)  gemeint,  vgL  v.  Rieht- 
hofen  a.a.O.  &  in».  <>l»  bei  Axenshowt  (so  hat  ü)  an  Aei. 
(bei  Tjerkwerd  in  Wonseradeel)  und  lud  Eswei  an  Jestwei 
(bei  Suameer  in  Tietjerksteradeel)  zu  denken  sei.  lasse  ich 
dahingestellt,  zumal  da  Axeti  auch  in  Ostfriesland  ein  häufiger 


552  siebs 

Personenname  ist,  und  da  ees(Jc)-  neuwestfries.  ies-  [vgl.  ost- 
fries.  ees(k)wei]  ein  in  Ortsnamen  weit  verbreitetes  erstes  com- 
positionsglied  ist.  in  dem  man  einen  personennamen  Ese,  Ees, 
Eesli(e)  vermuten  kann.  Die  namensformen  sind  bei  Winkler, 
Lijst  van  friesche  eigennamen  s.  92.  182  u.s.w.  gesammelt.  Es 
kommt  noch  die  möglichkeit  hinzu,  dass  e-swei  zu  trennen  ist, 
und  dass  es  eine  niederlassung  (ndl.  zwaag,  daraus  fries.-ndl. 
auch  sweach)  am  flusse  (afries.  e,  neuwestfries.  ie)  sein  kann. 
Weiterhin  ist  eine  nicht  viel  höher  zu  bewertende  geschiente 
von  der  kürung  des  rechtes  und  der  entstehung  der  beiden 
fristen  und  der  drei  echten  nöte  angefügt.  Einen  weniger 
doctrinären  eindruck  macht  die  darauf  folgende  erzählung, 
wie  die  fürsprechen  auf  steuerlosem  schiffe  auf  das  wasser 
hinausgesant  werden  und  später  bei  der  dingstätte  antreiben: 
es  ist  jenes  in  grimdungssagen  so  häufige  motiv,  dass  die  nieder- 
lassung dem  zufalle  anheimgegeben  wird.  Auch  hier  aber  gibt 
wider  eine  ortsnamenetymologie  den  ausschlag:  Axenshove  wird 
in  gesuchter  weise  als  'Axthau'  gedeutet.  Jedenfalls  hat  hier 
der  bekannte  gebrauch  des  Werfens  von  axt  oder  beil  als 
symbol  des  landerwerbs  eine  rolle  gespielt,  und  so  ist  altwest- 
fries.  axe,  dem  neuwesfries.  alcsd  entsprechend,  als  'axt'  (nicht 
als  holzscheit)  zu  übersetzen.  Gerade  die  sonderbaren  worte 
ene  axe  up  siner  axla  scheinen  einer  alliterierenden  rechts- 
formel  'die  axt  über  die  achsel  werfen'  zu  entstammen  (über 
den  brauch  vgl.  Eechtsaltert.4 1,  83  ff.  91.  92  u.  ö.).  Nur  im 
hinblick  auf  den  nach  der  landung  geschehenden  wurf  der  axt 
über  die  achsel  begreift  man  die  worte,  dass  der  am  Steuer 
(des  früher  steuerlos  genannten  schiffes)  sitzende  das  schiff 
mit  einer  axt  *)  lenkt,  die  er  auf  der  Schulter  trägt;  der  unsinn 
erscheint  noch  grösser,  wenn  J  und  U  daraus  eine  goldne  axt 
gemacht  haben.  Für  Esivei,  die  zweite  dingstätte,  ist  keine 
etymologische  deutung  gegeben,  sei  es  dass  dieser  name  erst 
nachträglich  eingefügt  ist  oder  dem  nichtfriesischen  Verfasser 


')  Im  Wurster  teste  heisst  es :  '  vnd  hadde  eyn  krumkoldt  in  der  handt 
-vnd  warp  dath  achter  vth  dem  schepe  vnd  forede  desse  also  wedder  tho 
lande  in  de  hauene  dar  sehe  vthgekamen  wheren.  Vnd  dho  desse  drutteinste 
tho  lande  quam,  so  nam  he  dath  holdt  und  warp  dat  vp  dath  landt,  und 
dar  entsprauck  ein  schone  borne  . . . '  Hier  ist  also  ein  krummholz  genannt, 
wie  es  die  schiffer  zum  steuern  der  kähne  brauchen  (an  das  im  rechtsbrauche 
zum  dinggebot  übliche  krummholz  ist  nicht  zu  denken). 


DEB   GOTT    FOSrE)TE. 

in  anlehnung  an  <  'gesetz,  recht1  als  klar  erschien.  —  Diese 
rechtssymbolischen  and  etymologischen  dinge  sind  nun  mit  der 
erzählang  vom  erscheinen  des  lehrers  als  dreizehnten  und  vom 
schlag  der  quelle  verbunden.  Die  erstere  sagt  mit  klaren 
Worten,  dass  die  zwölfe  zu  gotl  beten,  er  möge  ihnen  einen  drei- 
zehnten senden,  wie  Christas  za  den  zwölf  jungem  gekommen 
sei,  and  dass  gotl  ihn  schickt  —  es  ist  die  auch  sonsl  in 
der  einleitung  zu  den  rechten  herschende  auffassung,  dass  die 
christlichen  könige  tha  Hockt  nei  godis  iefta  scöpen  'die  rechte 
nach  gottes  gäbe  schufen.1  Wie  man  hierin  etwas  heidnisches 
hat  sehen  können,  ist  nur  unerfindlich,  und  was  endlich 
das  schlagen  der  quelle  anlangt,  so  ist  ja  bekannt,  dass  von 
nordischen  göttern,  z.b.  von  Baldr  solches  berichtel  wird; 
man  darf  aber  nicht  ausser  achl  Lassen,  dass  auf  nichl  ger- 
manischem  boden  ähnliches  bezeugt  ist .  z.  b.  von  ßhea  in 
Arkadien  (vgl.  Grimm,  Myth.4 1,  485  und  nachtr.  b.166.  190). 
Auch  hat  ja  der  in  den  einleitungen  zu  den  friesischen 

rechten  unter  den  iuris  conditores  eine  grosse  rolle  spielt,  mit 
seinem  stabe  wasser  aus  dem  felsen  geschlagen  —  also  auch 
dem  Christenglauben  ist  der  schlag  der  quelle  nicht  fremd. 
sei  hier  nochmals  daran  erinnert,  dass  der  heilige  Willibrord 
an  der  friesischen  küste  durch  sein  gebet  eine  quelle  hat 
sprudeln  lassen,  und  dass  am  grabhugel  des  Bonifacius 

alt  die   Vita  —   durch  den  hufschlag  eines  rosses   eine 
quelle  entsprang  (wie   unter  dem  hul'srhlag  (Ws  Pegasus  die 
Eippokrene).    Wir  wissen,  dass  gern  an  solchen  statten  gericht 
gehalten   ward,    wo   brunnen  oder  bäche   wasser  Bpem 
(Bechtsaltert4  2, 419).    Wenn  nun   in  eini  kern 

die  wähl  einer  dingstatte  ist,  der  schlag  der  quelle  vorkommt, 
bo  braucht  darin  aoeh  kein  zeagnis  für  den  eult  eines  ger- 
manischen gottes  gesehen  zu  werden. 

Hiermit   glaube  ich  erwiesen  zu  haben,  dass  uns  nichts 
berechtigt,  in  dem  FosQ  Vita  Willibrordi  einen   gott 

ilrs  rechtes  oder  gerichtes  zu  sehen;  wir  wissen  nur.  dass  er 
in  J  -ml   —    vermutlich   im  gebiete  von  Texel 

K'inhem  —  als  ein  hoher  gott  verehrt  wurde,  denn  die  Ver- 
letzung Beines  beüigtums  forderte  menschenopfer. 

BRESLAU.  THEODOB  SIEBS. 


KLEINE  BEITRÄGE  ZU  DEN  QUELLEN  DES 
ANNOLIEDES. 

Die  bisherigen  resultate  der  forsckungen  über  das  Anno- 
lied  hat  M.  Rödiger  in  der  ausführlichen  einleitung  seiner  für 
die  Mon.  Germ.  hist.  (Deutsche  Chroniken  bd.  I)  besorgten  aus- 
gäbe zusammengefasst  und  besprochen. 

Besonders  erwähnt  seien  die  arbeiten  von  Bezzenberger 
(Msere  von  Sente  Annen.  Bibl.  d.  ges.  deutsch,  national -liter. 
bd.  25,  Quedlinburg  u.  Leipzig,  1848),  Kettner  (Zs.fdph.  9,  257  ff. 
19,  321  ff.),  Wilmanns  (Beitr.  z.  gesch.  d.  alt.  deutsch,  lit.  heft  2, 
Bonn,  1886)  und  Zarncke  (Sitzgsb.  d.  k.  sächs.  ges.  d.  wiss.  phil- 
hist.  cl.,  bd.  39, 283  ff.).  Die  jüngste  publication  auf  diesem  ge- 
biete, von  Eberhardt  (Beitr.  34,1  ff.),  ist  ausschliesslich  metrischen 
Studien  gewidmet. 

Hinsichtlich  der  quellen  zum  weltgeschichtlichen  teile 
des  Annoliedes  begnügt  sich  Rödiger  mit  einem  hinweise  auf 
die  Untersuchungen  von  Carnuth  (Germ.  14,  74  ff.),  Kinzel  (Zs. 
fdph.  15, 222)  und  Wilmanns  (s.  10  ff.). 

Es  liegt  in  der  natur  der  sache,  dass  ein  acker,  welcher 
schon  so  oft  durchgepflügt  wurde,  wenig  ausbeute  gewährt. 
Was  ich  in  dieser  beziehung  noch  gefunden  zu  haben  glaube, 
sei  im  folgenden  mitgeteilt. 

Hin  und  wider  wurden  stellen  der  vulgata  zu  versen  des 
liedes  in  parallele  gesetzt. 

Was  den  stil  mittelalterlicher  Schriftsteller,  besonders  das 
häufige  erscheinen  klassischer  und  biblischer  reminiscenzen 
betrifft,  so  erinnere  ich  an  Rödigers  bemerkung:  'man  möge 
nicht  vergessen,  dass  die  gelehrten  des  mittelalters  so  gut  wie 
wir  allerhand  auswendig  wussten  und  so  wenig  wie  wir  für 
jede  angäbe  bücher  nachzuschlagen  brauchten.  Mit  unseren 
quellennachweisen  umgrenzen  wir  nicht  immer  die  bücherkunde 


ZU    DEN    QUEM,  KV    DAS    ANNOF.IKIH  18 

des  Schriftstellers,  Bondern  geben  einen  beitrag  zur  geschiente 
der  gelehrsamkeit  und  des  Unterrichts'  (a.a.O.  b.  113). 

31.  (Eoedig.)  der  (mennisch)  beide  ist,  corpus  unte  geist. 
Wilmanns  meint  (a.a.O.  b.  11):  manche  der  in  der  einleitung 
des  A.I..  vorgetragenen  gedanken  seien  bo  allgemein  verbreitet, 
dass  man  überhaupt  nach  einer  bestimmten  quelle  nichl  zn 
fragen  habe,  so  gleich  zn  anfang  die  Unterscheidung  der  geister- 
und  körperwell  .... 

Die  Verbindung  der  worte  'corpus1  and  'anima1  begegnet 
häufig  in  der  vulgata:  Tob. 4,8  ••um  acceperit  Dens  animam 
meam,  corpus  meum  sepeli;  Sap.  9,15  corpus  enim,  quod  cor- 
rumpitur,  aggravat  animam;  Eccli.  31,37  Banitas  est  animae 
et  corpori  sobrius  potus;  DLMac.  7, 37  animam  et  corpus  meum 
trado  pro  patriis  Legibus;  ebda.  14,38  corpusque  et  animam 
tradere  contentus;  Matth.lo.2s  timete  tum.  qui  potest  et 
animam  et  corpus  perdere;  [. Thess.  5, 23  et  anima  et  corpus 
Bine  querela  . . .  servetur. 

Aus  der  klassischen  Literatur  kommen  in  betracht:  Luci- 
lius  579  (ed.  Lachmann):  principio  physici  omnes  constare 
hominem  ex  anima  et  corpore  dicunt;  ebda.  695  adfuerit  anima 
»■t  corpore:  rfj  corpus,  anima  est  jtvevfia\  Cerner  Varro,  De  lingua 
lat.  IX  .".  neque  anomalia  neque  analogia  est  repudianda,  nisi 

Bl  nun  est  homo  61  anima,  quod  681  [homo  ex  anima  quod  est] 
ei  corpore  et  anima:  Sallust  Cat  1,2  sed  nostra  omnis  vis  (im 
gegensitz  zu  dem  der  tiere)  in  animo  et  corpore  Bits 
aiiimi  Unperio,  corporis  servitio  magis  ntimur;  alterum  nobis 
cum  dis,  alterum  cum  beluis  commune  est;  ebda  [ug.  c.2  Dam 
ini  genus  hominum  compositum  ei  corpore  et  anima 
it;i  res  eunetae  Btudiaque  omnia  nostra  corporis  alia  alia  animi 

naturam  seeuntur. 

Welche  der  citierten  Btellen  dem  A.nnodichter  in  der 
erinnerung  schwebte,  wird  rieh  Bchwer  entscheiden  lassen, 
Vielleicht  eine  aus  Sallust,  der  in  mittelalterlichen  schulen 
vorzugsweise  gelesen  wurde.  Bezzenberger  (a.a.O.  s.97,  anm.27) 
glaubte  in  drin  vorkommen  des  Wortes  'corpus'  für  das  Bonsl 
gebräuchliche  'lieh'  einen  beweis  für  die  abfaasung  des  gedientes 
durch  einen  geistlichen  zu  erblicken. 

88,    haltt  ar  sich  behaikm.   Vielleicht  eine  widergabe  des 

ilcitrag«  utr  gcjchichtc  Jor  deutschen  sprach'- 


556  KOHLMÄNN 

biblischen  'si  perseveraverit';  cf.  I.  Par.  28,  7  et  firmabo  (David) 
regnum  ejus  (Salomonis)  usque  in  aeternum,  si  perseveraverit 
facere  praecepta  mea;  Judith.  4, 14  sie  erunt  universi  hostes 
Israel,  si  perseveraveritis  in  hoc  opere. 

45.  die  sterrin  hihaltent  ire  vart.  Aehnlich  heisst  es  ein- 
mal bei  Lucan,  dessen  Pharsalia  der  Annodichter  nach  dem 
übereinstimmenden  urteile  aller  genau  gekannt  hat:   Pharsal. 

II  267   sicut  caelestia  semper  Inconcussa  suo  volvuntur 

sidera  lapsu.  Dass  hiermit  die  vorläge  gefunden  sei,  möchte 
ich  indes  bezweifeln. 

47.  daz  fuir  havit  üfwert  sinin  zug.  Gewissen  anklang 
zeigt:  Hiob  5,  7  Nein  der  mensch  ist  zum  elend  geboren,  sowie 
der  flamme  kinder  (d.h.  die  feuerfunken)  aufwärts  fliegen 
(nach  E.  Kautzsch,  H.  schritt,  2.aufl.  1896,  während  der  vulgata- 
text  lautet:  homo  nascitur  ad  laborem,  et  avis  ad  volatum). 

49.  dl  wölken  dragint  den  reginguz.  Cf.  lob.  26,  8  qui 
ligat  aquas  in  nubibus  suis,  ut  non  erumpant  pariter  deorsum. 

50.  nidir  wendint  diu  wazser  irin  vlaz.  Vgl.  lob.  5, 10  qui 
dat  pluviam  super  faciem  terrae,  et  irrigat  aquis  universa. 

60.  dannin  huobin  sich  diu  leiht.  Vielleicht  biblische 
reminiscenz:  Marc.  13, 8  Initium  dolorum  haec  (nach  der  er- 
zählung  von  der  Zerstörung  Jerusalems);  Matth.  24,  8  haec 
autem  omnia  initia  sunt  dolorum. 

65.  unze  got  gesante  sinin  sun:  \  der  irlöste  uns  . .  Galat. 
4,  4.  5  at  ubi  venit  plenitudo  temporis,  misit  Deus  Filium 
suum ,  ut  eos,  qui  sub  lege  erant,  redimeret. 

67.  ce  opfere  wart  her  mir  uns  bräht.  Cf.  Ephes.  5,  2  sicut 

et  Christus tradidit  semetipsum  pro  nobis  oblationem  et 

hostiam;  Tit.  2, 14  qui  dedit  semetipsum  pro  nobis,  ut  nos  redi- 
meret ab  omni  iniquitate;  Hebr.  7, 27  seipsum  offerendo. 

68.  dem  dode  nam  her  sini  mäht  2.  Tim.  1, 10  Jesu  Chr., 
qui  destruxit  quidem  mortem  (der  dem  tode  die  macht  hat  ge- 
nommen, nach  Luther). 

71.  der  tiuvel  virlos  den  sinin  gewalt.  Hebr.  2, 14.  15  auf 
dass  er  (J.)  durch  den  tod  die  macht  nähme  dem,  der  des 
todes  gewalt  hatte,  d.i.  dem  teuf el;  Und  erlösete  die,  so  durch 
furcht  des  todes  im  ganzen  leben  knechte  sein  mussten  (v.  62). 


hl  N    QÜELL&H    D] 

72.   "//•  wwräin  al  in  wie  geeält   Vielleicht  nach  GaL  5, 18 
enim  in  libertatem  vocati  estis,  fral  i 

s\),  himilbröt.  Noch  Luther  Betzl  himmelbrod  manna; 
vgL  Ps.  7s.  21.  Hebr.9,  i.  Jon. 6,81.  50.  51.  " 

1J">.  Ninus  lii:  der  toristi  man,  \  dir  dir  ie  volctoigis  bigan 
s(|q.  Seitdem  Martin  Opitz  im  jähre  L689  zum  ersten  male  nach 
einer  inzwischen  verloren  g<  gangenen  handschr.  das  Annolied 
im  druck  herausgab,  hal  man  ßich  daran  gewöhnt,  als  quelle 
für  die  verse  aber  könig  Ninus  and  dessen  burgenban  den 
Justin  (II)  zu  betrachten.  Diese  allgemein  verbreitete  an- 
sichl  wurde  von  fast  sämmtlichen  bearbeiten)  des  A.L..  darunter 
?on  Massmann  (Kehr,  m  398)  and  Wilmanns  aeeeptiert  — 
Rüdiger  zieht  (a.a.O.)  zur  vergleichung  [sidor.  Orig.  Will  l.  l 
heran. 

Es  dürfte  aber  wo]  fraglich  Bein,  ob  der  verf.  des  AI., 
drit  Justin  urkaiiiit  hat.  (arnuth  ist  freilich  für  diese  annähme 
eingetreten  and  citierl  zum  beweise  einige  beispiele  (a.a.O. 
IL  •'.  kann  aber  oicht  mehr  ein  Zweifel  darüber  bestehen, 
wir  es  A.L.  v.  687.  688:  'diz  riche  alliz  bikerte  sin  gewönne  | 
in  sin  eigin  in§dire'  lediglich  mit  einer  nachbildung  von  Lucan 
zu  tun  haben: 

Pharsal.  I  l    'Bella  per  Emathioa  plus  quam  civilis  campoa 

fasque  datam  Bceleri  canimus,  populumque  potentem 
In  Bna  virtrifi  conversum  viscera  dextra.' 

Bierfür  sprichl  victrici  dextra       mil  siginuftlicher  o 
ein  zusatz,  welcher  bei  Justin  in  beiden  allen  fehlt 

E3s  scheint  mir  vielmehr,  als  ob  der  Annodichter  an  ans 
stelle  »lfuorn.Mii>  als  vorläge  benutzte.  Die  'Historia  advers. 
-  spanischen  mönches,  am  U7  geschrieben,  hat  an- 
geachtel  der  trockenheil  ihrer  darstellung,  als  tendenzschrift 
die  mittelalterlichen  autoren  Btark  beeinflusst  [ch  erinnere 
nur  an   Adam  von  Bremen   and  i  d  Freising. 

Oroeius  seinerseits  den  Justin  fleissig  ezcerpierl  hat,  darf  als 
bekannt  von  t   werden.    -     Was  das  A.L.  von  Ninus 

zu  berichten  weiss  (y.  L25 ff.),  stimmt  im  wesentlichen  mit  den 

tben  des  Orosius  (14)  überein.  Dazu  kommt,  dass  die  im 
anfange  des  1-.  jahrh/s  entstandenen  i  um,  eine 

lauptquelle  des  Annoäedes        <»|dt/.  scheint  am  dieses  ab- 


558 


KOHLMANN 


hängigkeitsverhältnis  nicht  gewusst  zu  haben  —  mit  könig 
Ninus  beginnen.  Es  handelt  sich  hierbei,  wie  der  herausgeber 
der  Trierischen  ckronik,  G.  Waitz,  andeutete  (M.G.SS.  VIII 130), 
um  fast  wörtliche  widergabe  von  Oros.  I  4. 

Dass  die  Gesta  Trever.  dem  Anne-dichter  bei  der  erzählung 
von  könig  Ninus  den  weg  gewiesen  haben  könnten,  ist  dem- 
nach ein  naheliegender  gedanke,  eine  Vermutung,  welche  Wil- 
manns  einmal  offen  ausspricht  (a.  a.  o.  s.  53).  Trotzdem  heisst 
es  an  anderer  stelle  (ebda.  s.  55)  bei  ihm:  'Im  Annoliede  ist, 
wie  wir  gesehen  haben,  Justin  zu  hilfe  genommen,  in  den  Gesta 
Orosius.'  (ebda.  s.  13). 

Ich  stelle  die  betreifenden  abschnitte  aus  Justin  und  Oro- 
sius zum  vergleich  einander  gegenüber. 

Justin  II:  Orosius  14: 

Fines   iniperii   tueri  magis  quam  A°  ante  urbera  condit.  MCCC  Ninus 

proferre  mos  erat ;  intra  suam  cuique  rex  Assyriorum  primus,  ut  ipsi  vo- 

patriam  regna  finiebantur   (v.  133 —  lunt,  propagandae  dominationis  libi- 

136).    Primus    omnium    Ninus,    rex  dine  (v.  128)  arma  foras  extulit  (v.  126) 

Assyriorum,   veterem  et  quasi  nati-  cruentamque  vitam  quinquaginta  an- 

vum  gentibus  morem  nova  imperii  nis  per  totam  Asiam  (v.  146)  bellis 

cupiditate  (v.  128)  mutavit.  Hie  pri-  egit;  a  meridie  atque  a  Rubro  mari 

mus  intulit  bella  finitimis  (v.  125  ff.)  surgens,  sub  ultimo  septentrione  Eu- 

et  rüdes  adhuc  ad  resistendum  po-  xinum  pontum  vastando   perdomiüt 

pulos  (v.137)  terminos  usque  Libyae  Scytbicamque  barbariem  adbuc  tunc 

perdomuit Ninus  magnitudinem  inbellem  (v.  137)  et  innocentem  tor- 

quaesitae  dominationis  continua  pos-  pentem  excitare  saeuitiam  (v.  133  ff.), 

sessione     firmavit.      Domitis    igitur  vires  suas  nosse,   et  non  lacte  iam 

proximis  cum  accessione  virium  for-  peeudum    sed    saugninem    bominum 

tior  ad  alios   transiret   et   proxima  bibere,   ad  postremum  vincere,  dum 

quaeque  victoria  instrumentum    se-  vincitur  edoeuit  (v.  139  ff.). x) 
quentis  esset  (v.  144),  totius  orientis 
populos  subegit  (v.  145). 

Dürfen  wir  aber  die  anfangssätze  der  Gest.  Trever.  als 
vorläge  des  A.L.  v.  125  ff.  betrachten,  so  würde  damit  ein 
kriterium  für  die  zeitliche  bestimmung  des  liedes  gewonnen 
sein.  Es  könnte  demnach  nicht  vor  1101  —  soweit  reichen 
die  Gesta  Trever.  in  ihrer  ersten  fassung2)  —  entstanden  sein. 


')  Zu  A.L.  v.  133  ff.  diu  Hute  warin  uns  an  diu Hesse  sich  ver- 
gleichen Sallust.  Cat.  2  initio  ....  vita  hominum  sine  cupiditate  agitabatur. 
sua  cuique  satis  placebant. 

2)  Ueber  die  Gest.  Trever.  und  ihre  fortsetzungen  vgl.  Wattenbach, 


ZU    DES   QUELLE»    DE«    iNNOLIEDEft 

Die  ansätze  von  Wilmanns  (s.91:  zwischen  H»77  und  I 
and  Rödiger  (a.a.O.  8.98:  1077  L081)  scheinen  nichl  das 
richtige  zn  treffen.  Vielmehr  möchte  ich  mich  hinsichtlich 
der  Chronologie  Kettnen  ansichten  (a.a.O.  IX  304  805.  XIX 
337/338)  anschliessen,  wonach  das  lied  bald  Dach  1106  nieder- 
geschrieben Bein  soll  (vgl.  Zarncke  a.a.O.  -.'-ü'!1.  304). 

HJ.  da  stiphter (Ninns) eine  bürg  dageweidi  wiht,\ 

driir  dageweidi  lank.   micl  ler  sin  getvalt   die  bürg  nanter 

näh  <•''.    Wilmanns  bemerkl  (a.a.O.  s.13),  dass  Justin 

den  ban  Ninives  anerwähnt  lasse  and  ziehl  zum  vergleich 
einige  Bieronymusstellen  heran.  Erscheinl  abersehen  za  haben, 
dass  bereits  Massmann  (Kehr.  III  398)  hinwies  ani  die  Bistor. 
Trever.  (M.GKSS.  VIII 144/145):  temporihns  Habrahae  patri- 
archae  Ninns  res  potent  issimns,  qui  aediflcayii  civitatem  Niniven, 
de  qua  Jonas  propheta  perhibel  testimonium  qnod  magna  all 
itinere  triam  diernm. 

153.  Sin  wtfdii  i  Bdbilonü  stiphti 

9%  sqq.  Wilmanns  verwirft  das  hierfür  von  Massmann  (Echr. 
DI  899)   and    Bezzenberger   (anm.15'  ebene  Justincitat 

Justin  I  -:  Baec  (Semiramis)  Babyloniam  condidit  mnrnmqne 
urlii  cocto  latere  cirenmdedit,  arenae  vice  bitnmine  interstrato, 
qnae  materia  in  Ulis  locis  passim  e  terra  exaeetnat  Neben 
den  belegen,  welche  Wilmanns  (a.a.O.  b.  14)  in  Vorschlag  bringt, 
ist  zn  vgl.:  Oros.  II  2  occiso  Nino  Samiramis  axoreins,  totins 
Kom  regina,  Babylonam  arbem  instauravit;  ebda  Uö,  7 
oamqne  Babylonam  a  Nebrot  gigante  Eundatam,  a  Nino 
vd  Samiramide  reparatam  mnlti  prodidere.  ha  strornm 

facie  moenibns  paribus  per  qnadrum  disposita  (v.  169  die 
burchmüra  viereggehtich).  mnrornm  «'ins  vii  credibilis  relatu 
firmitaa  et  magnitndo,  idest  latitndine  cnbitornm  qninqnaginta, 
altitndine  qnater  tanta.  mnrns  coctili  iatere  (v.155  I 
atqne  interfnso  bitnmine  conpaetns.  Die  masze  der  manern 
stimmen  demnach  nicht  zu  den  angaben  des  LL. 

!«•'».  m  derbun  '  rint  wdrin  \  die  ktu 
<>■  <i>  h  i  inru      I  ■  n.    Erwähnt  sei  wei 


bUqnellen  im  i 
nuuuu  li\ ;  d  der  benntnu 

schichte  In  A  ! 

Aumi.  :    iinkl.ir. 


560  KOHLMANN 

Oros.  II  2,  2  regnum  Assyriorum  diu  inconcussa  potentia  stetit ; 
sed  cum  Arbatus  . . .  praefectus  Medorum  idemque  natione 
Medus,  Sardanapallmn  regem  suum  apud  Babylonam  inter- 
fecisset  regni  nomen  et  summam  ad  Medos  traustulit.  — 
ebda.  II  2, 6  discedente  autem  Arbato  in  Medos,  partem  regni 
penes  se  retinuere  Chaldaei  (v.  176),  qui  Babylonam  sibi  ad- 
versum  Medos  vindicaverunt.  ita  Babyloniae  potestas  apud 
Medos,  proprietas  apud  Clialdaeos  fuit:  Chaldaei  autem  propter 
antiquam  regiae  urbis  dignitatem  (v.  154?)  non  illam  suam, 
sed  se  illius  vocare  maluerunt.  unde  factum  est,  ut  Nabucho- 
donossor  ceterique  post  eum  usque  ad  Cyrum  reges,  quam  vis 
Chaldaeorum  viribus  potentes  et  Babyloniae  nomine  clari 
(v.  174)  legantur,  in  numero  tarnen  et  cardine  regum  non 
habentur  inlustrium. 

178.  unzi  si  (Chaldei)  Hierusalem  virbranten.  Nach  Wil- 
manns  (a.a.O.  s.  16):  IV.  Reg.  25,  10  Et  muros  Jerusalem  in 
circuitu  destruxit  omnis  exercitus  Chaldaeorum,  qui  erat  cum 
principe  militum. 

236.  driu  deil  her  (Alexander)  der  werilte  zume  geivan, 
nämlich:  Europa,  Asien  und  Afrika.  Zur  erklärung  vgl.  Sali, 
lug.  17, 3  In  divisione  orbis  terrae  plerique  in  parte  tertia 
Africam  posuere,  pauci  tantum  modo  Asiam  et  Europam  esse, 
sed  Africam  in  Europa. 

263.  Homere  scrivin  cisamine.  Nach  Wilmanns  (s.  25) 
liegt  der  ausdruck  'patres  conscripti'  zu  gründe.  Er  findet 
sich  auch  häufig  bei  Sallust,  Cat.  51.  51,4.  51,7.  51, 12.  52,35. 

275.  da  aribeiii  Cesar,  daz  ist  ivär,  \  mer  dan  ein  jär. 
Neben  Lucan  I  283  (Bellantem  geminis  tenuit  te  Gallia  lustris), 
wie  Wilmanns  (s.  26)  andeutet,  Hesse  sich  verweisen  auf  Lucan 
I  299:  Bellorum  o  socii,  qui  mille  pericula  Martis  |  Mecum  'ait 
'experti  deeimo  iam  vincitis  anno.  Ebda.  1374  Per  signa 
decem  felicia  castris  . . .  iuro.  Wahrscheinlich  handelt  es  sich 
A.L.  275  ff.  aber  nur  um  widergabe  einer  notiz  der  Gesta 
Trever.  (Wilmanns  a.  a.  o.  s.  51). 

327.  der  (Alexander)  die  werlt  in  järin  zuelevin  \  irvuor. 
Ausser  den  von  Wilmanns  (s.  31)  gesammelten  Hieronymus- 
stellen  cf.  Oros.  III  23, 6:  Igitur  Alexander  per  duodeeim  annos 
trementem  sub  se  orbem  ferro  pressit. 


y.v   DBB   QÜBLLBB    DM   4HN0LIBD]  561 

:>.'{!.  äi  (viere  sfni  man)  dir  al  dm  woUin  hun 
Ob  «lies  an!  einen  bei  Orosius  vorkommenden,  ähnliches  ge- 
danken  zurückgeht,  um—  zweifelhaft  bleiben  Oroa  KU  23, 
Ptolemaeus  iternm  cum  Demetrio  navali  proelio  conflixh  et 
...  victus  in  Aegyptnm  refagit.  hac  victoria  elatus  Antigonus, 
regem  se  cum  Demetrio  tili"  appellari  iubet:  quod  exemplum 
omnes  secuti  regium  sibi  nomen  dignitatemque  sump- 
Berunt  Wer  unter  den  'omnes'  zu  verstehen  ist,  erfahren 
wir  aus  Justin,  der  quelle  des  Oroeius:  Justin.  XV  n  l'tolo- 
meua  quoque,  oe  minoris  apud  su<>s  anctoritatis  haberetur, 
rex  ab  ezercitn  cognominatur.  Quibus  auditis  Cassander  ei 
Lysimachus  et  [psi  regiam  sibi  maiestatem  vindicaverunt. 
Huius  honoris  ornamentis  tarn  diu  omnes  abstinuerunt,  quam 
diu  tilii  regia  sui  Buperesse  potuerunt  Tanta  in  illis  vere- 
cundia  erat,  ut  cum  opes  regiaa  haberent,  regum  tarnen  nomi- 
nibus  aequo  animo  caruerint,  quoad  Alexandro  iustus  heres  t'uit. 

:{.")'J.  die  burch  dvaUin.  Vielleicht  nach  Verg.  Aen  I  20 
Tyrias  olim  qnae  verterel  arces  (sc.  prugenies  Troiano  a 
Banguine  ducta).    Gemeint  ist  hier  Carthago. 

:!•">;.    in  järin.    GL  Verg.  Aen.  II 198  quos  —  non 

anni  domuere  decem;  ebda.  XI  290. 

361.  des  ward  wslagin  der  kuning  Agamerrmo.  Wilmanns 
irrt,  wenn  er  glaubt  (a.a.O.  3.39),  dass der mord Agamemnons 
bei  Vergil  nicht  vorkomme;  cf.  Aen.  XI  266  it.: 

ipae  Kfycenaeus  magnorom  ductal  AehiTom 
ooniagifl  infandae  prima  intru.  limina  d< 
oppetiit,  derietam  Asiam  rabsedil  adulter. 

aemnon  und  Klytemnestra  werden  hier  von  dem  römischen 
dichter  breilich  ebensowenig  genannt,  wie  der  mörder  Agisthus. 

:>1:'».    7  lifi  im  <//' 

Ankl  igen:   Verg.  Aen.  1 204   per  varios  casus,  per  tot 

discrimina  rerum     tendimus  in  Latium,  Bedea  abi  fata  quietaa 
la.  VII 22S   diluvio  es    illo  tot    vasta   per 
aequora  vecti     dia  Bedem  exiguam  patriis  litusque  rogamna 
379.  rktindart  Len.III497  Troiamque 

videtis,  quam  \  i  ■••!•••  manua 

101.  i:  i" r  i< laesar)  i   g<  <l  |  kariU 

mii  l(  il   di  iL     In  den  <  test.  Tr< 


562  KOHLMANN 

(S.S.  VIII 142/143),  denen  der   dichter  des  liedes   (v.  399  ff.) 
folgte,  lesen  wir  cap.  13: 

. . .  ipse  (Caesar)  omni  Gallia  pacata,  Romain  redire  disposuit  (v.  399). 
Sed  cum  intellexisset  a  Pompeio  et  senatu  triumpbum  sibi  ob  invidiam 
denegari  (v.  400),  reversus  in  Galliam,  Germanos  et  Gallos  in  amicitiam 
sibi  ascivit,  et  eorum  auxilia  magna  accepit  (v.  417  ff.);  cui  et  Treberi 
nicbilominus  solacia  contulere.  Grata  foit  Gallis  haec  belli  administratio, 
videlicet  gaudentibus,  ad  Romam  bellum  referri,  a  qua  sibi  dudum  per 
Caesarem  fuit  illatum.  Qua  multitudine  fretus  Caesar,  Pompeium  et  sena- 
tum Roma  expulit  (v.  429  ff.),  postea  ad  mortem  coegit,  Romanum  regnum 
solus  obtinuit  (v.  471),  post  aliquot  annos  a  senatoribus  occisus  interiit. 
Huic  successit  Octavianus,  eius  ex  sorore  nepos  (v.  482),  qui  Claudium 
Tiberium  Neronem  et  Drusum  priviguos  suos  (v.  485  ff.)  misit  ad  Gallias 
rebellantes  pacandas. 

Lucan  lässt  Cäsars  Veteranen  nach  dem  spanischen  feld- 
zuge  folgendermassen  klagen:  Pharsal.  V  261 

'Liceat  discedere,  Caesar, 
A  rabie  scelerum.     Quaeris  terraque  marique 
His  ferrum  iugulis,  animasque  effundere  viles 
Quolibet  beste  paras:  partem  tibi  Gallia  nostri 
Eripuit,  partem  duris  Hispania  bellis, 

Terris  fudisse  cruorem 

Quid  iuvat  aretois  Rhodano  Rbenoque  subactis?' 

417«,  üzir  Gallia  unti  Germania  \  quämin  imi  scarin  maniga. 
Vielleicht  nach  den  Gest.  Treveror.  Vgl.  dagegen  Wilmanns 
(a.a.O.  s. 48/49).  'Germania'  kann  sich  hier  wol  nur  auf  die 
beiden  römischen  provinzen  G.  superior  und  G.  inferior  beziehen. 
Man  vgl.  die  reihe  der  Völkerschaften,  aus  deren  Wohnsitzen 
Cäsar  seine  cohorten  zum  bürgerkriege  heranzog  (Lucan  I  394). 
Ebda.  I  481  Hunc  (Caesarem)  inter  Rhenum  populos  Alpemque 
iacentes  |  Finibus  aretois  patriaque  a  sede  revolsos,  |  Pone  sequi . . 

422.  als  ein  vluot  vuorin  sin  das  lant.  Möglich,  dass  der 
Annodichter  dies  bild  dem  Lucan  entnahm,  wie  Wilmanns  (a.a.O. 
s.  41)  vermutet:  Pharsal.  VI  272 

Sic  pleno  Padus  ore  tumens  super  aggere  tutas 
Excurrit  ripas  et  totos  coneutit  agros 

Sonst  könnte  man  vergleichen  Verg.  Aen.  II  496 : 

non  sie,  aggeribus  ruptis  cum  spumeus  amnis 
exit  oppositasque  evicit  gurgite  moles, 
fertur  in  arva  furens  cumulo  camposque  per  omnis 
cum  stabulis  armenta  trabit. 


EU    DKH    ','i  BLLBN    DM    an\<>ui:i  ■ 

ebda.  II 805  v«-l  ut  i  ...  rapidua  montano  Barnim   I 

•  i  laeta  boumq 
■  dpitetque  trabit  büvm. 

123.    duo  ei  Börne  her  bigondi  nähan,    duo  dar 

manig  man,     wanii  si  sdgin  schinin    so  bi  ni.    \  iel- 

leichl  anter  dem  einflösse  von  Lacan  [244:  Dt  aotae  ful 
aqnilae  Romanaque  Bigna  Et  celsns  medio  conspectns  in 
agmine  Caesar  !  Derignere  metn,  gelidos  pavor  occnpal  artns 
(vom  Vormärsche  Cäsarsauf  Ariminum);  ebda  UM  l  t  procnl 
inmensam  campo  consnrgere  nnbem  !  Ardentisque  a 
cnssis  sole  cornsco  Conspexil  telis,  'Socii,  decurrite'  «lixit 
'Fluminis  ad  ripas  (Domitius,  commandant  von  Corfininm). 

133.  her  (Caesar)  vuorun  nähjaginta.  Lucan  V  105  Ocior 
et  caeli  flammis  ei  tigridefeta  Transcorrit  (nämlich  Apnlien); 
ebda  II  652  Adsequitur  generique  premil  vestigia  Caesar. 

136.  I  michil  ward  <l>  >■  herebrant.  InV  form  'herebrant' 
als  eine  Übertragung  ans  «lern  lateinischen  aufzufassen,  ist  wo! 
nicht  möglich;  vgl.  Verg.  A.en.  I  566  quis  ...  nesciat  ...  tanti 
incendia  belli?  (von  den  kämpfen  am  Qion).  Etödiger  hält 
'herebrant'  für  oberdeutsch  (a.a.O. s.94)  and  verweisl  auf  «las 
vorkommen  dieses  ausdruckes  in  der  mittelalterlichen  literatur 
(jüngere  Judith,  Biterolf). 

\-\~i.  Wer  mohte  gecelin.  Beliebte  poetische  Wendung.  Verg. 
Ach.  II  361  quis  cladem  Ulius  aoctia  -  fand«)  explicet?;  ebda. 
XII  500  Quis  mihi  nunc  tot  acerba  deus  ...  ezpediat? 

\:'M.    van  östrit  allntihaibin   (al  die  menige).    Ansprache 
er  vor  der  Schlacht  bei  Pharsalua 
Lucan  VII 360  . . .  Primo  genl  itecoactae    [nnumeraeque 

orbes,  quantas  in  proelia  aumquam  ivere  manne 

simnl  atimur  orbe, 

1  L2.   a '  ■    "■  t  i  ilkin.    K>  scheint  hier 

wirklich  Aen.  \  308  zu  gründe  zu  Liegen:  ac  velut  effnsa  Bi 
qnando  grandine  oimbi  ,  praecipitant  (Wilmanns  aa 
Vgl  ferner  Aen.  rv  L61  insequitor  commixta  grandine  nimbna 

I  tass  die  Schilderung  der  Schlacht  l>«i  Pharsalos  i.\.L.  v.  1 19 

0)  in  der  hau]  I  uf  Lucans  'B  zuruck- 

ie  bekannte  tatsache.1)    Aber  auch  im  einzelnen 

VgL  Wilmas  I  ff. 


564  KOHLMANN 

glaubt  man  den  einfluss  römischer  Vorbilder  zu  verspüren. 
Fast  für  jeden  vers  des  A.L.  lassen  sich  stilistische  belege  aus 
Lucan  und  Vergil  anführen.  An  directe  entlehnungen  braucht 
man  hierbei  indes  kaum  zu  denken,  vielmehr  dürften  sich  die 
Übereinstimmungen  im  ausdruck  aus  der  ähnlichkeit  der  Situa- 
tion erklären,  oder,  wie  Rüdiger  (a.a.O.  s.  125,  anm.  2)  bemerkt, 
'es  werden  bei  der  schlachtschilderung  des  A.L.  feststehende 
momente  hervorgehoben,  die  notwendig,  soweit  die  kampfweise 
gleichartig  ist,  auch  in  der  antiken  und  romanischen  dichtung 
begegnen  müssen.' 

449.  Oy  w%  diu  ivifmi  dungin  \  da  diu  marih  cisamine 
sprungin.  Ein  ähnliches  bild  Verg.  Aen.  XI  613  conixi  incur- 
runt  (T.  et  A.)  hastis  primique  ruinam  |  dant  sonitu  ingenti 
perfractaque  quadrupedantum  |  pectora  pectoribus  rumpunt. 

451.  hcrehorn  duzzin.  Vgl.  Lucan  I  237  Stridor  lituum 
clangorque  tubarum  |  Non  pia  concinuit  cum  rauco  classica 
cornu  (bei  der  einnähme  Ariminums);  Verg.  Aen.  VIII  2  rauco 
strepuerunt  cornua  cantu;  ebda.  IX  503  At  tuba  terribilem 
sonitum  procul  aere  canoro  increpuit;  ebda.  XI  474  bello  dat 
signum  rauca  cruentum  bucina. 

452.  beche  bluotis.  Vgl.  Lucan  VII  292  Videor  fluvios 
spectare  cruoris  (anrede  Cäsars  an  seine  Soldaten).  Vielleicht 
auch  Lucan  VII  700  Eespice  turbatos  incursu  sanguinis  amnes. 

453.  derde  diruntini  diuniti  \  diu  lielli  ingegine  gliumiti. 
cf.  Verg.  Aen.  III  90  tremere  omnia  visa  repente  |  liminaque 
laurusque  dei,  totusque  moveri  |  mons  circum  et  mugire  adytis 
cortina  reclusis;  ebda.  VI  256  sub  pedibus  mugire  solum  et 
iuga  coepta  moveri  |  silvarum;  X  102  tremefacta  solo  tellus; 
XII  445  pulsuque  pedum  tremit  excita  tellus. 

455.  da  di  Mristin  in  der  iverilte  \  suöhtin  sich  mit  stierten. 
Verg.  Aen.  X  513  proxima  quaeque  metit  gladio  (Aeneas)  la- 
tumque  per  agmen  |  ardens  limitem  agit  ferro,  te,  Turne, 
superbum  |  caede  nova  quaerens  (entscheidungskampf  der 
beiden  hauptführer  der  feindlichen  parteien). 

458.  mit  bluote  birunnin.  Vielleicht  widergabe  von  crasso  . . . 
sanguine;  cf.  Lucan  VI  186  crasso  non  asper  sanguine  mucro; 
ebda.  VII  605  Viderat  in  crasso  versautem  (Domitium)  sanguine 
membra  I  Caesar. 


ZU   DEN    QUBLLBH    I  »1  LIEDES, 

168,  nüwin  aiddt  aneviengin:  :  (Römöre)    >  begondin 

igiain  den  hürrin.  Wilmanns  hat  (a.a.O.  s.  II.  15)  darauf  auf- 
merksam  gemacht,  dass  der  A.nnodichter  der  poel  ischen  wir  kung 
zu  liebe  den  Lucanversen  bisweilen  eine  andere  bedentong 
unterlegte.  Nur  vermutungsweise  möchte  ich  eine  Lncanstelle 
eitleren,  welche  obigen  fersen  vielleicht  zn  gründe  liegen  köi 
Lncan  \  38 1 : 

ir  vor  der  überfahrt  nach  Dyrracbium) 

petil  trepidam  tntxu  rine  milite  Romain 

[am  doetam  ;iti 

Scilicel  indulgena  srnnmnm  dietator  honorem 

Contigit  <'t  laetos  fecit  w  cowrale  fastoa. 

Namqne  omnü  \nu  iaa  tempore  tanto 

nfentimnr  dominis,  haec  primnm  repperit  ;ieta», 

Qua  tibi  ne  fern  lob  ollnm  Caesar  ab 

anaoniafl  voluil  gladiis  miacere  bc 

Addidit  ei  rasces  aquilia  et  nomen  inane 

[mperii  rapiena  signavit  tempora  digna 

:.i  nota;  oam  quo  melius  Pharealicni  annui 

Consnle  aotoa  erit?    Fingil  sollemnia  Campni 

El  dod  admisBae  dirimit  BufEragia  plebia 
atatqnd  tribus  et  rana  renal  in  oraa. 

Lncans  'Bürgerkrieg'  reicht  bekanntlich  mir  bis  zn  Cäsara 
kämpfen  bei  Alexandria. 

\]'t.   ci  Bonn   deddir  üf  da»  s&uhus  sqq.    Lncan  III  155 
t  Uli«-  rriiiilitiis  imo     Kiuitur  templo  mnltis  non  taetns  ab  annia 
Romani  censns  popnli,  qnem  Punicj  Qnem  dederal  P( 

507.  chtuom.  Bei  diesem  worte,  wie  Kehrein 

(Annolied  8. 44)  will,  an  die  kOnigs wählen  zu  denken,  halte 
ich  für  falsch.  Es  kann  Bich  hier  nur  um  die  kronungen  han- 
deln (erhebnng  anf  den  thron;  feierliche  ftbei  r  reichs- 
insignien;  kirchliche  Balbung  und  krönunj 

er,  Deutsche  rechtsgeseb.  5.  anfl  Lindner, 

I  lie  deutschen  königswahlen  - 

519.    In  des  A  i  «uc  2,  1. 

7.  11.    G  cap.  l'.  [gitnr  anno  im] 

tayiani  •'.-'.       d  ttus  est  « Ihrii  tua  ... 

■  >y,  I  -  i  trosius  \  l 

20,6  (Wilmanns  a.a.< 

590.    aitd  röhi  «ins  \  I  . 


566  KOHLMANN 

nur:  circulus  ad  speciexn  caelestis  arcus  orbem  solis  ambiit, 
Dem  Annodichter  schwebte  vielleicht  vor:  Act.  Ap.  2, 19  et 
dabo  prodigia  in  coelo  sursum,  et  signa  in  terra  deorsum, 
sanguinem  et  ignem,  et  vaporem  fumi.  v.  20  sol  convertetur 
in  tenebras  et  luna  in  sanguinem,  antequam  veniat  dies  Domini 
magnus  et  manifestus  (cf.  Joel  2,  30.  31,  Apoc.  6, 12). 

551.  duo  intlöich  sich  diu  niolta.  Vielleicht  biblische 
reminiscenz  Ps.  105, 17  Aperta  est  terra  (Luther:  die  erde  tat 
sich  auf);  Num.  16,31  dirupta  est  terra  sub  pedibus  eorum. 

587.  diu  (sunni)  inzuschin  erden  unti  himili  get.  Zum 
ausdruck  \g\.  Verg.  Aen.  IV  184  nocte  volat  caeli  medio  ter- 
raeque  per  umbram  (Fama);  ebda.  256  haud  aliter  terras  inter 
caelumque  volabat  (Mercurius). 

601.  als  ein  lewo  saz  her  mir  din  viuristin,  \  als  ein  lamb 
ginc  her  untir  diurftigin.  Cf.  Rödiger  a.a.O.  s.  106,  25.  Ein 
vergleich,  den  auch  Adamus  Bremensis  auf  den  rivalen  Annos, 
erzbischof  Adalbert  von  Hamburg -Bremen,  anwendet:  III  37 
Qua  de  re  accidit,  ut  quotienscumque  iratus  est,  ceu  leo 
fugeretur  ab  omnibus,  cum  vero  placatus,  est,  palpari  posset 
ut  agnus. 

628.  vatir  allir  weisin.  Nach  Wilmanns  (a.  a.  o.  s.  70) 
lieferte  das  vorbild  Vita  Annonis  (S.S.  XI  470, 29  vere  pater 
orphanorum,  vere  iudex  viduarum).  Zu  gründe  liegt  Psal.  67,  6 
patris  orphanorum  et  judicis  viduarum. 

649.  also  dir  goltsmid  duot  sqq.  Carnuth  (a.a.O.)  hat 
bereits  auf  Jes.  Sir.  2,  5,  Prov.  17,  3,  Sap.  3,  6  hingewiesen.  Zu 
vgl.  ist  ferner  1.  Petr.  1,7  aurum  quod  per  ignem  probatur; 
Malach.  3, 2  Ipse  (Angulus)  enim  quasi  ignis  conflans,  et  quasi 
herba  fullonum.  v.  3  et  sedebit  conflans  et  emundans  argentum, 
et  purgabit  Mos  Levi,  et  colabit  eos  quasi  aurum  et  quasi 
argentum.  Nach  Luther:  Er  ist  wie  das  feuer  eines  gold- 
schmieds  und  wie  die  seife  der  Wäscher,  v.  3  Er  wird  sitzen 
und  schmelzen  und  das  silber  reinigen;  er  wird  die  kinder 
Levis  reinigen  und  läutern,  wie  gold  und  silber. 

653.  mit  wierin.  Ein  wort,  das  heute  nicht  nur  im  eng- 
lischen und  holländischen  (Bezzenberger  a.a.O.  s.  118),  sondern 
auch  im  niederdeutschen  vorkommt.  wier-dräd=  eisen-  oder 
kupferdraht,    Die  schweine  werden  'gewiert',  es  werden  eisen- 


/.!     m.n    QUELLEN    DES   aHNOUED] 

drahte  durch  den  rü  n,  um  ihnen  das  wühlen  im 

erdboden  zn   verleiden  (cf.  Bremisch -niedersachs.  Wörterbuch 
1m|.  6,  1 16). 

687.   dü  rieht  aUis  bikSrte  sin  getoSfine,    VgL  B.557. 

691.  da*  di  gidouftin  Itchämin  ',  umbigravin  eiworfin  lägin 
sqq.  Zu  gründe  liegt  gewiss  Lucan  VII  325  (cf.  Wilmanns  a.a.O. 
s.  77 1.1)  Am  den  stil  dv*  Annodichters  können  ferner  ♦■iiiLr« *^^  irk t 
haben:  Lucan  VI  L01  dum  mixta  iacenl  incondita  rivis  Corpora; 
Verg.  Aen.  !\  i~">  heu,  terra  ignota,  canibua  data  praeda  La- 
tinis  alitibusque  Laces!  (Euryale);  Lucan  71626  pererrat 
(Erichtho,  thessalische  zauberin)  Corpora  caesorum  tumulis 
proieeta  uegatis.     Continuo  fugere  lupi  ... 

713.  Amins  träum  dürfte  auf  wirklichkeil  beruhen,  weil 
er  (in-  gedankenwell   eines  hohen,  geistlichen  würdentri 

spricht  Man  vergleiche  das  traumgesicht  des  erzbischofs 
Adalbert  von  Bremen,  welches  Bein  biograph  Adam  uns  er- 
zählt: III  68 

YMit  igitnr  (Adalbert.)  nocte  intempe>ta  >.•  in  conventtui 
mpt um.  ni>i  missarum  Boliempnia  debereat  celebrari,  astantibos  qnatuor- 
deeim  ribus,  Lta  ut  proximal  aoi  ante  Lpaum  fueral 

;  illa  quae  ad  mis&as  fieri  Bolenl  mystaria. 

Cnmqae  lecto  eaangelio  sacerdoa  Dei  ad  suseipienda  offerentiain 
munera  conversua  pexveniasel  ad  domnum  Adalb.,  qui  .-tai>at  in  ultimo 
ehori  loco,  iu<>\  torria  in  eum  luminibus  intnens,  oblationem  eiru  reppnlit, 

-  'Tu  homo  Dobilifl  et  clarua  non  potes  habere  partem  com  hanülibai1 
in  baec  i 

726.  un  was  ein  lebin  unfein  muokt.  VieUeichl  nach  Act 
Ap.  i.:;j  Bfultitudinis  credentium  erat  cor  unum  et  animauna 
i  Luther:  ein  herz  und  eine  Beele). 

<*<!>.  A/ ;•  wintii  sieh  »\  ei  berge.  Man  hat  hierbei  wol 
,in  dir  kreisbewegnngen  zudenken,  welche  gewisse  vögel,  /.  i». 
Ealken  und  Btörche,  beim  aufsteigen  in  die  lüfte  ausführen. 

rocket  rermutnng  problematisob  Bein. 

LEIPZIG.  PHILIPP  fcOHLMANN. 


ZUR  DEUTSCHEN  ETYMOLOGIE.1) 
V. 

Die  folgenden  etyinologien  knüpfen  nur  teilweise  an  die  neue  aufläge 
meines  Et.  wb.  an.  In  einigen  fällen  gehe  ich  von  den  Grundzügen  der 
gotischen  etymologie  von  S.  Feist  aus;  z.  t.  erneuere  ich  Vermutungen,  die 
ich  an  verschiedenen  stellen  geäussert  habe,  ohne  damit  die  heachtung  der 
fachgenossen  zu  finden.  Wenn  ich  in  einzelnen  fällen  anschauungen  er- 
neuere, die  schon  irgendwo  vorgetragen  sind,  so  bestimmt  mich  dazu  die 
nicht  abzustreitende  tatsache,  dass  es  dem  einzelnen  heute  nicht  immer 
gelingen  kann,  die  ganze  fachliteratur  zu  beherschen. 

1.  Ahd.  ahhalmo  hielt  J.  Grimm,  Mythologie3  s.  1113  für 
einen  pflanzennamen,  aber  in  der  glosse  ahhelmo  =  Malannns 
(Ahd.  gl.  III  476)  sieht  Steinmeyer  keinen  zwingenden  grund 
für  die  annähme  eines  pflanzennamens.  Der  verdacht  eines 
pflanzennamens  wird  auch  von  Björkmann,  Zs.  fdw.  3, 263  ab- 
gelehnt. Mit  recht  erkennt  Höfler  (Janus,  Archives  inter- 
nationales pour  l'histoire  de  la  medecine  1909,  s.  12)  die  be- 
zeichnung  einer  krankheitserscheinung  in  dem  worte  und  ist 
auch  halbwegs  auf  der  richtigen  spur  der  wortdeutung,  indem 
er  an  ein  ags.  oecalma,  cecilma  erinnert,  das  er  freilich  mit 
deutsch  hellig,  behelligen  zusammenstellen  will.  Das  ags.  dbcelma 
'f  rostbeule'  wird  von  Sweet,  The  Students  Anglosaxon  Dict. 
s.  3b  richtig  als  nominalbildung  zu  d-calan  'sich  erkälten'  ge- 
stellt. Dazu  stellt  sich  nun  das  ahd.  ahhalmo  als  correcte 
entsprechung.  Es  handelt  sich  also  um  eine  m-ableitung  (got. 
*e-halman-)  zu  der  bekannten  verbalwz.  des  gemeingerm.  adj. 
für  halt,  dessen  verbalwz.  nicht  bloss  in  lat.  gelu  'kälte',  son- 
dern auch  in  lit.  gelmenis  'heftige  kälte'  vorliegt.  Das  ahd. 
ahhalmo  zeigt  im  innern  die  regelmässige  Verschiebung  des  h 
zur  doppelspirans  in  der  gleichen  weise  wie  ahd.  dri$ug  die 
inlautsverschiebung  von  altem  t  zeigt. 


J)  Vgl.  Beitr.  34, 552  ff. 


BUB   i»ki  i.Miir.N    ii  |  UOLOOIB. 

•j.  Ahd.  ;'i  i'iin i  i  'botschaft'  lässl  sich  mii  got  amu  'böte' 
nicht  vereinigen:  beide  sind  sicher  unverwant  Würde  die  ur< j t . 
form  für  alnl.  ärunti  voll:  würde  unter  umständen  auch 

der  bartnäckigste  Skeptiker  Znsammenhang  mii  gotatrus  auf- 
geben  müssen;  denn  rein  lautlich  betrachtet   würde  ein 

//  möglich  Bein.    Siehl  man  ann  einmal  'bot- 

schaft1 and  das  ztw.  dsendan  'entsenden'  nebeneinander  an, 
bo  ergibt  sich  nur  die  differenz  r:  s  onddasisl  keine  diffe- 
renz.  IHi  bin  also  ernsthaft  der  meinnng,  dass  ahd.  änrnü  ■♦•nt- 
sendunir.  gesantschaft'  bedeutet  und  zu  ndan  'entsenden', 

(l.  h.  zu  ahd.  sentan  'senden'  und  sind  'reise'  gehört  Der  gram- 
matische Wechsel  im  anlaut  ompositionsglieds  ha1  be- 
kannte parallelen  (YgL  ahd.  meffirahs  Deben  sahs  Kuhns  Zs. 
26,82),  und  an  dem  ablaut  des  verbalstammes  kann  man  nicht 
will  anstoss  nehmen.  Eine  von  Köge)  früher  einmal  urgierte 
Bchreibung  aruunii  kann  ich  nicht  tragisch  aehmen 
damit  nichts  anzufangen  und  es  muss  wol  ein  Schreibfehler 
sein,  in  bezug  auf  das  präfix  in  ags.  ir-mi'ir :  äsendem  habe 
ich  Grdr.  l.  176  schlagende  parallelen  beigebracht 

::.   Got  aürali    [ch  möchte  auf  Braunes  etymon  lat  ördk 
(Got  irraiiim.'  g  5a)  zurückkommen,  da  auch  noch  Fe 
wl>.  die  möglichkeit  dieses  etynions  zugibt    Bekanntlich  con- 
curriert   lat.  ördrhm   als   mögliches  etymon:   ich  meine; 
halte  dies  für  die  einzig  berechtigte  annähme.    Mlat.  <;/•//>   ist 
für  die  kaiserzeit  mich  gar  nicht  nachgewiesen,  ■  aber 

literarisch  bezeugt  oder  in  der  Volkssprache  vorhanden 
so  könnte  es  nicht   zu  got  atirdM  fuhren,  sondern  hatte  un- 
bedingt »in  got  neutrum  aürdl  ergeben  müssen,  denn  im 

man.,  auch   im  got  musste  der  aUSlautSTOCal  durch  die  au>lauts- 

•iit  schwinden  wie  in  pvnd  für  lat  j  ot  lo, 
iür  lat.  gmapi  oder  htkarn  aus  Uteema.    Mit  der  behandlung 
der  auslautsg  setze  \<-\  trägt  sich  nur  lat  ördrimm  als  quel 
für  iti:  die dissimilierung  r-r  :  r-i.  nag  sie  nun 

Vulgärlatein,  oder  dem  got  angehören,  ist  entschieden  unei 
licher,  als  die  einreihung  des  Wortes  in  die  behandlui 
der  lateinischen  lehnwörter. 

l.  Ahd.  bior.  So  viel  darüber  auch  geschrieben  ist)  kann 
ich  mich  doch  nicht  entschliessen,  irgend  eine  deatong  im 
wahrscheinlicher  /u  halten  ■  U*he  an  alisarhs. 


570  KLUGE 

heu  ;  gerste'  anknüpft;  denn  entlelmung  aus  den  slavischen 
sprachen  mit  E.  Kuhn  (Kuhns  Zs.  35,  313)  anzunehmen,  liegt 
kein  grund  vor.  Der  germanische  Charakter  des  Wortes  ist 
für  mich  unzweifelhaft.  Freilich  geht  laut-  und  wortanalyse 
nicht  ohne  Schwierigkeiten  ab.  Die  hauptschwierigkeit  liegt 
im  fehlen  der  got.  lautform.  Denn  nur  das  gotische  könnte 
uns  über  die  urgerm.  lautgestalt  endgiltig  aufklären,  ob  diese 
mit  z  (=  s)  oder  mit  echtem  r  anzusetzen  ist.  Das  fehlen  der 
got.  (auch  der  kriingot.)  entsprechung  wäre  nicht  so  schlimm, 
wenn  uns  eine  echt  nordische  entsprechung  erhalten  wäre. 
Wenn  nämlich  dem  got.  stamm  diuza-  'tier'  das  altnord.  dyr 
lautcorrect  entspricht,  so  ist  der  ^-umlaut  hier  für  das  altnord. 
charakteristisch  (vgl.  Xoreen,  Altnord,  gramm.  §  68,  3)  und  ein 
got.  stamm  hiuza-  müsste  altnord.  *byr  lauten.  Nun  begegnet 
aber  einmal  hiör.  Aber  das  Eddalied,  in  dem  es  vorkommt, 
legt  den  verdacht  unabweisbar  nahe,  dass  es  sich  hier  nicht 
um  ein  echt  nordisches  wort  handelt. 

Hier  liegt  deutlich  ein  fremdsprachliches  element  aus  dem 
westgermanischen,  vielleicht  speciell  aus  dem  angelsächsischen 
vor.  Und  so  bleibt  das  ostgermanische  bei  der  bestimmung 
der  germ.  grundform  für  hier  besser  aus  dem  spiel. 

Wenn  nun  durch  die  bedeutung  verwantschaft  von  hier  mit 
altsächs.  heu  'gerste'  nahegelegt  wird  (Kögel,  Beitr.  9,  537), 
bleibt  der  Charakter  der  ableitung  des  secundären  wortes  aus 
dem  primären  noch  näher  zu  bestimmen.  Die  verwantschaft 
kann  erst  dann  als  gesichert  gelten,  wenn  die  wortbilduugs- 
lehre  einen  einklang  zwischen  beiden  worten  hergestellt  hat.1) 

Man  kann  von  einem  vorgerm.  hlieusö-m  als  secundäre 
ableitung  eher  ausgehen,  als  von  einem  secundären  hheuro-m. 
Ich  wüsste  nicht,  wie  man  von  einem  germ.  nominalstamme 
heivo  'gerste'  zu  einer  secundären  ableitung  idg.  hheuro-  =  germ. 
heura-  gelangen  könnte.  Ich  gehe  für  das  germ.  wort  für 
' gerste'  (altnord.  hygg  =  ags.  heotv  =  altsächs.  heu)  von  einem 
neutralen  os-stamm  heivwoz  aus.  Die  lautliche  behandlung 
verträgt  sich  durchaus  mit  der  behandlung  anderer  neutraler 


*)  Kögels  Vermutung  eines  hypothetischen  got.  *biggwis,  gen.  *biggivisis 
trifft  sicher  nicht  das  richtige ;  die  westgerm.  sprachen  würden  dafür  zwei- 
silbige lautformen  zeigen  müssen  und  nicht  die  einsilbigen  ahd.  bior  = 
ags.  beor. 


ZUB  DEUTSCHE«  ETYMOLOGIE 

Imme,  für  die  übertritt  in  die  centralen  o-stftmme  überall 
möglich  war.  Für  das  ostgermanische  Bprichl  altnord.  bygg 
nur  scheinbar  gegen  einen  os-stamm;  denn  im  got  seigt  Bich 
lamb  and  baurd  als  a- stamm,  wahrend  wir  bestimmt  wissen, 
dass  h  ide  iron  banse  ans  os-stämmi  d  sind  (Ann. 

iid.  l>  nihir  und  brüir  als  plnrale  zu  lamb  und  i 

Hilf  also  auch  ein  got  *biggu>  die  annähme  i  ines  orgenn. 
00-stammes  sehr  wo!  vertragen. 

Was  nun  die  ableitnng  aus  den  os-stammen  anbetriffl 
ist  nullstufe  oder  Schwundstufe  dee  snffixyocala  bei  allen  Endo- 
germanen,  auch  bei  den  Germanen,  vielfach  zu  belegen.  Das 
bekannteste  beispiel  ist  got  aha  (pL  ahaa)  'ahre'  gegenüber 
ahd.  (ihn-  'anre'.  Eierher  auch  got  ms  'erz'  —  lat.  aes  gegen- 
über skr.  in/äs.  Qot  weihs,  gen.  sn'  zu  einen 
stamme  i«l lt.  veikos,  ahd.  lefsa  neben  mnd.  Wppt  und  alts 
lepur.    So  ist  auch  nhd.  &no£p<  ein  hypothetisches  ahd. 

dt  ahd.  nihd.  knöpf  verwant   ist. 

So  wäre  also  zu  einem  idg.  Btamm  bhetcos-  -.  bheufes*  eine 

ndärbüdung  bhew(e)86-  Iheusö-  sehr  wol  denkbar  und 
nichts  oäher  als  darin  ein  woii  Cur  'gerstensaft'  anzu- 

nehmen.     und  eine  Bolche  annähme  Hesse  sich    wo!  stützen 
durch  ein  uraltes  wort,  dem  vielleicht  die  bedeutung 
snppe1  zukommt.     Es  handelt  sieh  um  die  bekannte  wortgruppe 
lat  jus  'snppe'  =  altind.  yüidn  "brühe'.  altbulg./Mdta  'brühe, 
snppe',  altpreuss.  just  'fleischbrühe'. 

.Mir  scheint  der  gedanke  an  eimn  idg.  stamm  ftt] 
unabweisbar:    ich  in-  LS  im 

späteren  Banskrit  auch  'gerste'  bedeutet,  damit  wird  bei  Walde 

unter  jus    auch    griech.  -  -nbier'    und  ipelt', 

-   'nahrung  schenkend'   \  ableitnng 

zu  i  rar  in  skr.  yocoM  'gras',  aber  es  wäre  wol 

.  eine  andere  art  der  weiterbihlu:  mit 

rednction  oder  Schwundstufe  der  vocale  denkbar,  i  also 

auch  einlaches  s  in  iat.  jus  K  skr.  -  ableitnng  berech- 

tigt 

\hd.  61  a  r    wird    von    l'hleiil  S  anter 

timmung  von  Iferinger,  II-'.  i-  Urü  'bett1 

r  'pfähl',  -•  in  der  scheue' 

iusamm<  Ü>er  TJhlenbecks  glaube,  bd.  i 

Bc  :  cbichtc  der  deutschen  >, 


572  KLUGE 

eine  idg.  grdf.  *edhro-,  ist  durchaus  irrig,  denn  die  Überein- 
stimmung- der  germ.  sprachen  erweist  für  das  idg.  mit  Sicher- 
heit eine  dreisilbige  grundform.  Die  bedeutung  'zäun',  die 
dem  german.  worte  zukommt,  drängt  vielmehr  zur  annähme 
von  identität  mit  altind.  atasd-  'gebüsch,  gestrüpp'.  Die  vor- 
germ.  lautgebung  war  etosö-,  so  dass  nicht  bloss  die  einzelnen 
laute,  sondern  auch  der  accent  mit  dem  altind.  übereinstimmt. 
Wir  haben  hier  übrigens  ein  hübsches  neues  beispiel  für  die 
Wirkungen  des  Vernerschen  gesetzes! 

6.  Ahd.  gröz,  war  1894  von  Holthausen,  Anz.  fda.  20,  234 
ohne  irgendwelche  begründung  zu  ahd.  griog  gestellt  worden; 
ich  hatte  aber  in  der  6.  aufl.  meines  Et.  wb.  von  dieser  Ver- 
mutung keine  notiz  genommen.  Noch  im  jähre  1901  bezeichnet 
Bradley  im  NEdict.  unter  grcat  die  Vermutung  als  problematisch 
und  doch  ergibt  sich  aus  den  ältesten  ags.  belegen  bei  Bradley 
der  beweis,  dass  ags.  great  von  hause  aus  'grobkörnig'  bedeutet. 
Es  war  mir  früher  immer  sonderbar  erschienen,  dass  ags.  great 
in  der  älteren  poesie  überhaupt  nicht  bezeugt  ist;  jetzt  wissen 
wir  durch  Bradley,  dass  ags.  great  nur  vom  grobkörnigen 
hagel  oder  salz  gebraucht  wird.  Von  diesem  ursprünglichen 
bedeutungsbereich  zeigt  das  ahd.  andd.  wort  keinerlei  deutliche 
spuren,  aber  die  mhd.  bedeutung  'dick'  ist  offenbar  eine  fort- 
setzung  der  alten  grundbedeutung.  Somit  lässt  sich  jetzt  Zu- 
sammenhang von  ahd.  grö$  mit  ahd.  grio%  aufrecht  erhalten. 

7.  Krimgot.  schuos  'braut'.  Nicht  übersehen  werden 
durfte  bei  Feist  s.  227  der  meines  Wissens  zuerst  von  Holt- 
hausen, Anz.  34,  33  geäusserte  verdacht,  dass  bei  Busbeck  ein 
schreib-  oder  lese-  oder  druckfehler  für  schnos  vorliegt,  so  dass 
es  sich  um  die  got.  entsprechung  für  schnür  handelt.  Ich  halte 
mit  Braune,  Beitr.  32,  58  diesen  gedanken  für  durchaus  accep- 
tabel.  Wenn  wir  die  ulfllanische  sprachform  des  wortes  fest- 
stellen wollen,  so  geben  uns  die  westgerman.  lautformen  den 
fingerzeig,  dass  das  got.  wort  als  u- stamm  anzusetzen  wäre: 
got.  *sniisus,  denn  die  tonvocale  von  altengl.  snoru  und  ahd. 
snura  deuten  wie  etwa  bei  ags.  ford  =  ahd.  fürt,  ags.  weder 
=  ahd.  widar  mit  aller  Wahrscheinlichkeit  auf  u- stamme  hin. 
Das  o  in  krimgot.  schnos,  wie  wir  es  getrost  ansetzen  dürfen, 
stimmt  zu  dem  o  von  krimgot.  goltz  gegenüber  ulfilanischem 
gulp. 


ZUR    DEUTSCHEN    ETYMOLOGIE. 

8.  Gfot  spilL    Die  vagen  mtlglichkeiten,  wie  t,Et 

wb.  »l.  got  Bprache5  b.245  zusammenstellt,  kommen  gewiss  nicht 
ernsthaft  in  Frage,  [ch  wundere  mich,  dasa  eine  Vermutung 
\mii  mir  dabei  übersehen  werden  konnte,  die  das  wort  < l « »< - 1 1 
wo!  definitiv  aufgehellt  hat  Auch  in  der  2.aufl.  von  ühlenbecks 
Got  wb.  unter  spül  ist  es  unerwähnt  geblieben,  dasa  ich  in 
meiner  besprechung  der  l.  anfl.  des  buches  (LiteraturbL  18,1) 

tpül  air.  seil  'erzählung'  gesetzt  habe.  Nach  Stokes' 
ürkelt  Bprachschatz  (1894)  b.  296  beruhl  air.  scä  auf  nrkelt 
sqttlo-n.  In  demselben  jähr,  als  Stokes'  ürkelt  Sprachschatz 
erschien,  Lernten  wir  im  Leskien-bande  der  II-'.  (i.:;.'.",i  von 
Sievers  das  bis  dahin  unbekannte  lai  wonach  germ.  // 

für  eigtl.  91  stehen   könne:  damals  ergab  sich  für  mich 
gleichnng  got  spül        ir.  seil  au-  ein«  r  gemeinsamen   j 
sqetlo-n.    In  Kegels  darstellung  (Grdr.  IlJ  •'•'*>)   ir-t  meine  glei- 
chnng  ignoriert  und  schliesslich  wnrzelverwantschaft  mit 
specan   und  seop  angenommen,   obwol  II'".  t, 318  ein  weg  ein- 
en war.  der  Kögel  zum  gleichen  ziele  führen  mi 

mich.  Es  verlohnt  sich,  hier  meine  Vermutung  zu  wider- 
holen, weil  in  verschiedenen  handbuchern  keine  notiz  davon 
genommen  wird.    Die  einzige  Schwierigkeit,  die  ftbrij 

ler  sy-anlaut   des  germ  Wortes.    A.ber  man  erwäg 
idg.  sq-  im  german.   anlant    vertreten  wird.    Wenn  es  kein 
einzig  m.  wort  mit  trg-anlaut  u i i » i .  so  folgt  mit  notwendig- 

keit,  dass  in  alten  erbworten  irgend  ein  wände!  zu  gewärtigen 
i>t.    Und  liegt  da  nicht  derwandelvon  sqzasp  nahe  gm 
Ist  meine  gleichnng  richtig,  so  Btellen  sich  eine  reihe  weit« 

ii  ein,  die  zu  sehr  in  das  bypothesengel 
sprachperiode  fahren,    [st   das  germ.  wort  etwa  «'in  m' 
iehnwort  der  allerältesten  zeit?   Der  wortbildungstypus  «g< 
erinnert  an  henetion  (ir.  eschlecht1  bei  Stokes  b.7' 

■.'.   Got  a1  ik  ia   'becher'.     Bei   Feist  e  i«-li 

den  nächstliegenden  .  an     w  ie  ahd.  mhd.  sUmf  zu  dem 

ags. »Map 'hochragend, steil1  gehört,  bo  wird  al  l 'trink- 

is1  zu  ahd.  st&hak  'steil'  gehören,    Es  wird   eben   koch- 
ende trink  •*1»»mi  liaht  n.     in  htiden  fällen  handelt 
li  hier  um  lubetantn  Lei  V  iva 

l".   Got.  nnte\    Der  artikal  von  Feist  (Et wb. d got spr. 

mit   (in    gotil 


574        KLUGE.   ZUR   DEUTSCHEN    ETYMOLOGIE.    —   LEITZMANN 

ahd.  unzi,  womit  aber  die  bedeutung  'denn,  weil'  und  der 
conjunctionale  gebrauch  mit  der  bedeutung  'solange  als'  nicht 
erklärt  wird.  Ich  möchte  hier  auf  einen  gedanken  zurück- 
kommen, den  ich  Grdr.  I2  397  geäussert  habe:  got.  unte  ist 
nach  got.  bipe  und  dupe  zu  beurteilen  und  kann  wol  nur  auf 
*imd-pc  zurückgeführt  werden.  Alle  drei  wörtlein  haben  das 
gemeinsam,  dass  eine  adverbiale  bedeutung  sich  in  eine  unter- 
ordnende conjunction  verwandelt  hat.  Es  bleibt  die  Schwierig- 
keit übrig,  dass  kein  beispiel  den  lautwandel  d  +  p  zu  *tt  =  t 
(nach  n)  bestätigt.  Man  vergesse  aber  auch  nicht,  dass,  wenn 
man  got.  unte  mit  ahd.  unzi,  altsächs.  unti  vergleicht,  ein  Über- 
gang von  d  +  t  zu  *tt  =  t  (nach  n)  angenommen  werden  muss 
—  und  auch  dafür  liefert  das  got.  keine  parallele. 

11.  Ahd.  z  ick  in  'junge  ziege'  macht  neben  ahd.  ziga 
'ziege'  doch  erhebliche  Schwierigkeit.  Man  sieht  keinen  grund 
ein,  wie  das  diminutivum  zu  seiner  gemination  gekommen  sein 
soll.  Als  relativ  junge  secundärbildung  muss  es  zurückweisen 
auf  ein  Stammwort,  dem  selber  gemination  zukommt.  Da  bleibt 
doch  wol  nur  mhd.  zecke  'holzbock'  übrig.  Man  wird  zu  dem 
verdacht  geführt,  dass  mhd.  zecke  von  hause  aus  ein  wort  für 
'bock'  gewesen  ist;  unser  heutiges  liolzbock  spricht  für  die 
möglichkeit  einer  solchen  annähme.  Wir  würden  dann  in  ahd. 
zickin  die  fortdauer  der  grundbedeutung  annehmen  müssen  und 
die  Schwierigkeit  der  secundärbildung  mit  -Ich-  neben  ahd.  ziga 
wäre  aus  der  weit  geschafft.  Natürlich  wäre  weiterhin  das 
vorauszusetzende  ahd.  *zecko  'bock'  etymologisch  mit  ahd.  ziga 
zu  verbinden. 

FREIBURG  i.  B.  F.  KLUGE. 


ZUR  ABFASSUNGSZEIT  VON  BONERS 
EDELSTEIN. 

Nachdem  Boner  schon  im  prolog  seiner  fabelsammlung 
(vers  43)  bemerkt  hat,  dass  er  sein  werk  ze  liebe  dem  erwir- 
degen  man  von  Rinkenberg  hem  Jöhan  gedichtet  habe,  kommt 
er  im  epilog  noch  einmal  auf  diesen  seinen  gönner  zu  sprechen. 


ZOT    LB1  El  i  i    VOM    B(  !  I  BIN. 

vers  85:    der,  den  <■/  ic  1  i *-l>e  sl 

_: •  - 1 i t - 1 1 t .  d  D   vri 

vi>r  allem  onglttli  iemermfl: 
stn  -'l  bevinde  nlemer 
•    EUnkenberg  i-t  er  genanl : 
nttesi   n  i-  m<  i  itn  bekam ' 

Schönbach  hat  (Anz.  fda.  7, 33)  zuerst  darauf  hingewiesen, 

verse  mir  dann  den  richtigen  sinn  geben,  wenn  Johann 
vini  ftinkenb  eits  toi  war:   'das  anglflck  71        i     Inde 

statt,  wenn  einträte,  was  vers  3£  abhalten  soll;  bo  kann  man 
nur  von  einem  toten  sprechen  und  auch  vers40  kann  nicht  über 
einen  lebenden  gesagt  sein.1    ßottschick  hat  dem  in  der  zw 
Beiner  programmabhandlnngen  1  Ueber  Boners  fabeln  a  1 1  wider- 
sprochen and  zwar  Bagt  er  wörtlich  (s.2):  'der  wünsch,  das 
mand  von  allem  anglfick  Btets  mehr(!)  befreit  sei  ai 
niemals  leid  treffe,  wäre  doch  für  einen  lebenden  sehr  passend, 
sowie  der  wünsch,  dass  er  gotl  dem  heim  bekannl  Bei; 
nach  dem  tode  leib  und  Beele  vor  onglück  und  1<  nützt 

sind  und  gott  den  gestorbenen  kennt.  Bollteman  für» 
Bt&ndlich   halten."     Da  diese  argumentation   teilweise  beifal] 
gefunden  hat   (vgl.  Einzels  recension  in  der  Zs.  fdph,  19,  2 
Schönbach  aber  auf  die  trage  nicht  wider  zurückgekommen 
ist,  verdient  sie  doch  wol  eine  nochmalige  prüfni 

Wenn  Boner  mit  seinen  wünschen  das  hätte  sagen  wollen. 

ihn  Qottschick  hier  sagen  lässt,  dann  hatte  er.  der  pre- 
digende mönch,  ober  das  Schicksal  der  menschlichen  seele  nach 
dem  tode  recht  irreligiös  und  gleichgiltig  gedacht  und  in  den 
Bchlnssyersen  allerdings  directen  unsinn  g  was  wir  dem 

ernsten  manne  doch  wo!  nicht  ohne  not  zutrauen  dürfen. 
ausdrücklich  die  seele  hervorgehoben  wird,  die  für  ewige  seitea 
ron  Bchmerzen  befreil  sein  möge,  scheint  im  munde  eines  geist- 
lichen doch  am  natürlichsten  in  Schönbachs  sinne  zu  verstehen 
und  vers  10  bedeutet  natürlich  nicht  'gott  dem  herrn  möge  er 

immerdar    bekannt    Sein',     Mindern  uitlitz     1 

immerdar  Behauen'.  Daas  bekani  Hn  bei  Bonei  den  prägnanten 
sinn  von  'gesehen  werden1  hat,  geht  ans  den  beiden  andern 
-teilen,  wo  er  die  Wendung  braucht  26)  mit  aller  nur 

wünschenswerten  deutlichkeit  hervor:  der  Jäger  schiesst  dort 

./.    'alle    liele.    die    ihm    ZU    gOSlCht 
kamen  .   and  \    1.  nicht 


576  I.EITZMANN 

Iclant,  'er  sah  den  schützen  nicht',  weil  dieser  nämlich  sich 
verborgen  hatte.1)  Derselbe  prägnante  sinn  des  gesehenwerdens 
muss  auch  in  unserm  verse  angenommen  werden,  ja  er  ist  der 
einzig  brauchbare:  Boner  wünscht  seinem  gönner  Einkenberg 
das  ewige  anschauen  gottes,  d.h.  die  ewige  Seligkeit.  Somit 
dürfte  es  doch  wol  bei  Schönbachs  anschauung  sein  bewenden 
haben:  wir  müssen  annehmen,  dass  Einkenberg  bei  abfassung 
von  Boners  epilog  nicht  mehr  am  leben  war. 

Welches  chronologische  datum  ist  nun  durch  diese  erkenntnis 
gewonnen?  Ich  bin  in  Übereinstimmung  mit  allen  forschem, 
die  sich  zu  der  frage  geäussert  haben,  der  meinung,  dass  der 
ältere  und  nicht  der  jüngere  der  beiden  herren  Johann  von 
Einkenberg,  der  vater,  nicht  der  söhn,  der  erwirdege  gönner 
Boners  gewesen  ist,  der  vermutlich  auch  die  uns  erhaltenen 
Strophen  betrachtenden  inhalts  (Schweizer  minnes.  s.  371)  ver- 
fasst  hat.  Wann  starb  dieser  ?  Schönbach  ist  im  irrtum,  wenn 
er  1340  als  todesjahr  angibt,  trotzdem  dieselbe  zahl  sich  auch 
bei  von  der  Hagen  (Minnes.  4,285),  Pfeiffer  (ausg.  s.  XI)  und 
Bartsch  (Germ.  9, 150)  findet.  Schon  1856  hat  Stürler  (Germ. 
1, 119)  festgestellt,  dass  der  ältere  Einkenberg  noch  1349  und 
1350  in  Urkunden  vorkommt  (vgl.  auch  Bartsch,  Schweizer 
minnes.  s.  ccm;  Bächtold,  Gesch.  d.  d.  lit.  in  der  Schweiz  s.  162. 
172.  176  und  anm.  s.  45).  Sein  todesjahr  ist  nicht  genau  be- 
kannt. Damit  entgeht  uns  ein  sicherer  terminus  a  quo:  jeden- 
falls aber  fällt  demnach  der  abschluss  von  Boners  werk  und 
sein  epilog  mindestens  in  den  anfang  des  sechsten  Jahrzehnts 
des  14.  Jahrhunderts. 

Abgesehen  von  dieser  leider  nur  relativen  tatsache,  dass 
der  prolog  des  lebenden,  der  epilog  des  verstorbenen  Johann 
von  Einkenberg  gedenkt,  liegt  die  entstehung  der  fabelsamm- 
lung  im  einzelnen  in  völligem  dunkel.  Die  versuche,  in  dieses 
dunkel  auf  irgend  einem  wege  hineinzuleuchten,  sind  gescheitert: 
die  Zuweisung  der  Aesop-  und  der  Avianfabelgruppe2)  an  zwei 

J)  Vgl.  auch  den  ganz  entsprechenden  gebrauch  von  erbaut  s/n  und 
werden  bei  Boner  47,  34.  81,  50.  91, 14  (Benecke)  und  besonders  85, 65  (vom 
blinden,  der  daz  Hecht  treit  in  der  haut  und  ez  im  doch  nicht  ist  erkant, 
'und  es  doch  nicht  sieht'). 

a)  Waas  hat  sich  in  der  ersten  hälfte  seiner  dissertation  erfolgreich 
bemüht,  die  von  Boner  benutzten  handschriften  beider  lateinischen  quellen 


ZUH    '.  BIT  VON   SONERA  ■><  < 

durch  einen  längeren  Zwischenraum  getrennte  Zeitabschnitte 
wird  durch  die  tatsache  völlig  ansicher,  handschriften 

gibt   and  Bicher  auch  zu  Boners  zeil   ;rai>.  die  beide  aul 
hinter  einander  enthalten  (vgLWaas,  Die  quellen  der  beispiele 
andrerseits  hat   sich  der  angebliche  fortschritt 
der  reimtechnik  von  einer  gruppe  zur  andern  durch  Bai 
lichtvolle  Untersuchung  über  Bon»  iche  (Zs.  t.  hd.  mund- 

artenö,  37)   völlig  in  nichts  aufgelöst.    '  ner,  wi 

hauptel  worden  Ist,  Bein  werk  zunächst  einmal  in  erheblich 
geringerem  umfange  herausgegeben  and  später  erweitert  : 

h   auf   keine  weise   wahrscheinlich   machen   (zu   der 
Schlussformel  der  62.  fahr]  vgl  AA  !    und  den  ähnlichen 

schluss  von  98).  Es  kann  sehr  wol  auch  anunterbrochen, 
wenn  auch  natürlich  in  langsamer,  sich  aber  jähre  erstrecken- 
der arbeil  entstanden  sein. 

ihrer  kritischen  Stellung  nach  in  bestimmen.    Mir  i-r  aufgefallen,  dass  au 
.i  der  anonymustext  von  Schönbach  (Zs.fdpb  7t)  l»evor- 

• 
anon.  .;7.  LS  ludo  »<<  and  zu  den  nach  18, 82  in  BCD  aberlieferten 

verseu  anon.  L5,  7  ; 

JEN  .  _      ctober  L909.  ALBERT  L KITZ. MANN. 


LITERATUR 

(Verseichnis  i»-i  di  ingener  schrift 

Bachmann,  Albert,  Mittelhochdeutsch  eamatik  und 

wrorterbueh.    L.  aufläge.   Züri  I        vm.    .  . 

Partita]  nnd  der  Oral.    Bede  gehalten  am  I 
der  pron   I  mrg  i.  B 

—    t 

d  der  lautlichen  dissimilation  |      Abh*ndl, 
d.  philol.-hist  el.  '1  h  tisch,  bd  27, 

Clawaon,  W 
itndii     ,  oireraitj 

Du<  i 

I   Halle  i 

Dolbruck.  liurthohl.  Zu  .In.  i.iudl. 

d.  pbüoL-bJtt  cid   I  gea  d.  iriateni 

Teubi 


578        LITERATUR.   —   BERICHTIGUNGEN   UND   NACHTRAGE. 

Eckert,  Victor,  Beiträge  zur  geschickte  des  gerundivs  im  deutschen. 
(Diss.)  Heidelberg,  J.  Hörning,  1909.  —  78  s. 

Elsässer,  August,  Die  kürzuug  der  nihd.  langen  stamrasilbenvocale 
in  den  hochdeutschen  mundarten  auf  grund  der  vorhandenen  dialektliteratur. 
(Heidelberger  diss.)   Halle  a.  S.  1909.   —   7G  s. 

Fischer,  Hermann,  Grundzüge  d.  deutsch,  altertumskuude  (=  Wissen- 
schaft und  bildung  40).   Leipzig,  Quelle  &  Meyer,  1908.   —  IV,  135  s. 

Götze,  Alfred,  Volkskundliches  bei  Luther.  Ein  Vortrag.  Weimar, 
Böhlau,  1909.   —   35  s. 

Iselin,  Ludwig  Emil,  Der  morgenländische  Ursprung  der  grallegende 
aus  orientalischen  quellen  erschlossen.  Halle,  Niemeyer,  1909.  —  IV,  133  s. 
M.  3,60. 

Kauffmann,  Friedrich,  Deutsche  grammatik.  Kurzgefasste  laut-  und 
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—  VIII,  119  s. 

Laurembergs  Scherzgedichte  in  handschriftlicher  fassung  [hsg.  von 
Edward  Schröder].  Drucke  des  Vereins  für  niederd.  Sprachforschung  V. 
Norden  u.  Leipzig,  Diedr.  Soltau,  1909.  —  IX,  60  s. 

Mogk,  E.,  Die  menschenopfer  bei  den  Germanen  (=  Abhandl.  d.  philol.- 
hist.  cl.  d.  k.  sächs.  ges.  d.  wissensch.  bd.  27,  no.  XVII).  Leipzig,  Teubner, 
1909.    —   43  s.   M.  1,80. 

Schönbach,  Anton,  Studien  zur  erzählungsliteratur  des  mittelalters. 
8.  teil:  über  Caesarius  von  Heisterbach  III.  (=  Sitzungsber.  d.  Wiener  acad., 
phil.-hist.  cl.  bd.  163,  I).   Wien,  Alfred  Holder,  1909. 

Siebs,  Theodor,  Helgoland  und  seine  spräche.  Beiträge  zur  volks- 
und  Sprachkunde.  Mit  einer  karte  von  Helgoland.  Cuxhaven  -  Helgoland, 
Aug.  Rauschenplat,  1909.  —  319  s. 

Sievers,  Eduard,  Zur  technik  der  Wortstellung  in  den  Eddaliedern  I 
(=  Abhandl.  d.  phil.-hist.  cl.  d.  k.  sächs.  ges.  d.  wissensch.  bd.  27,  no.  XV). 
Leipzig,  Teubner,  1909.  —  38  s.   M.  1,60. 

Suolahti,  Hugo,  Die  deutschen  vogelnamen,  eine  wortgeschichtliche 
Untersuchung.    Strassburg,  Trübner,  1909.    —   XXXIII,  540  s. 

Verrier,  Paul.  Essai  sur  les  principes  de  la  metrique  anglaise.  I.  par- 
tie :  Metrique  auditive.  II.  p. :  Theorie  generale  eu  ry  thme.  Paris,  Welter, 
1909.   —  XI,  352  +  232  s. 


Berichtigungen  und  nachtrage. 

S.  171  z.  23  ist  der  kleine  strich  über  m  zu  tilgen. 
S.  272.  Ueber  die  grundbedeutung  von  skatts  urteilt  wie  ich  jetzt  Janko, 
Wörter  und  Sachen  1, 103  f.  —  W.  B. 

S.431  z.  1  v.u.  füge  hiuzu:  Akrostichon  VRSVLA  B. 

S.  447  z.20  v.u.  statt  21  lies:  no.21. 

S.  461  z.  2  v.  o.  statt  Inventario  I  1. :  Inventario  H. 


Druck  von  hhrhardt  Karras,  Halle  a.  S. 


PF  Beitrage   zur  Geschichte  der 
3003  deutschen  Sprache  und 

B5  Literatur 

Bd. 35 


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